Tiffany Exklusiv Band 62

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LASS MICH DEIN SKLAVE SEIN von DAYTON, GAIL
Als Sicherheitsexpertin Ellen im Central Park gekidnapped und auf ein geheimes Luxus-Anwesen in New Mexico gebracht wird, hat sie keine Sekunde Angst. Sie weiß: Der aufregende Rudi will sie in seinem Bett haben und verwöhnen! Ellen beschließt, den Verstand auszuschalten …

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  • Erscheinungstag 08.05.2018
  • Bandnummer 0062
  • ISBN / Artikelnummer 9783733752958
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Gail Dayton, Meg Lacey, Jule McBride

TIFFANY EXKLUSIV BAND 62

1. KAPITEL

Sie hatte ihn endlich gefunden. Er saß an der Bar, und seine weißen Zähne blitzten, als er irgendeine Brünette anstrahlte. In dem zu einem Nachtclub umgebauten alten Lagerhaus in dem ehemaligen Viertel der New Yorker Textilindustrie kreisten die Spotlights und tauchten die stark geschminkten Besucher in grelle Farben. Der Mann, auf den sie es heute Nacht abgesehen hatte, war nicht geschminkt. Der Scheich von Qarif. Zumindest war das sein Titel.

Als sie sich langsam und möglichst unauffällig in seine Richtung bewegte, sah Ellen, dass die flackernden Spotlights sein Gesicht erst rosa färbten, dann in ein fahles Grün tauchten, dann blau sprenkelten. Was seine Attraktivität aber nicht beeinträchtigte. Und das wusste er auch.

Er warf leicht den Kopf zurück, lachte und wirkte dabei unübertrefflich. Augen wie schwarzer Samt, gerade weiße Zähne und hohe Wangenknochen. Das Foto wurde ihm bei weitem nicht gerecht.

Zwar war auch darauf deutlich zu erkennen, dass er aussah wie ein Filmstar, aber es zeigte nicht seine enorm erotische Ausstrahlung, die selbst aus dieser Entfernung zu spüren war. Doch auch wenn er der attraktivste Mann war, den sie in den letzten zehn Jahren gesehen hatte, so durfte sie nicht vergessen, dass er nur ihr Observationsobjekt war und sie einen Auftrag zu erfüllen hatte. Was er natürlich nicht merken durfte.

Außerdem kannte sie verwöhnte reiche Playboys. Einige sogar sehr gut. Und so wusste sie mittlerweile, der äußere Schein konnte täuschen.

Davis Lowe, zum Beispiel, war bereits mit einem silbernen Löffel im Mund geboren und hatte immer Erfolg gehabt. Mit seinem Charme und seinem Geld hatte er sie sofort für sich eingenommen, als sie noch sehr jung gewesen war. Sie hatte viele seiner verwöhnten Freunde aus ebenfalls reichem Hause kennen gelernt, und ihr war schnell klar geworden, dass die sich alle sehr ähnlich waren. Ob sie nun aus New York oder aus New Delhi kamen, alle erwarteten, dass die ganze Welt sie bewunderte und ihnen jeden Wunsch von den Augen ablas.

Dieser Vertreter seiner Gattung war wenigstens ansehnlich.

Endlich reagierte er auf ihren herausfordernden Blick und sah zu ihr rüber. Ellen lächelte kurz, wandte sich dann ab und zählte die Sekunden.

Eins … Sie fand einen leeren Barhocker neben ihm, setzte sich und bestellte einen Gin Tonic. Sieben, acht, neun … Musste sie ihm etwa noch einen Blick zuwerfen? Schöne Männer brauchten manchmal etwas länger, bis sie begriffen. Ellen warf das Haar zurück. Lang, glatt und goldblond, war es eine ihrer wirksamsten Waffen.

„Hallo.“

Bingo. Sie hatte ihn am Haken. Genau vierzehn Sekunden hatte sie gebraucht. Sie hatte es schon mal schneller geschafft, aber immerhin. Wenn es mit dem Augenkontakt nicht klappte, dann meistens mit dem Haar.

Sie drehte sich um und unterzog ihren Scheich einer genaueren Musterung. Aus der Nähe merkte sie, dass sein strahlendes Lächeln vielleicht sogar ihr gefährlich werden könnte. Sie hob abschätzend eine Augenbraue, um sich ganz cool zu geben, aber die Wirkung verpuffte, weil sie sich wegen der lauten Musik zu ihm neigen und fast schreien musste, um sich verständlich zu machen.

„Nur hallo?“, meinte sie. „Mehr haben Sie nicht zu bieten? Was für ein Flirt soll das werden?“

Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Gar keiner, nur ein Hallo. Aber sicher sind eine Menge Männer hier gern zu mehr bereit.“

Er sprach ein tadelloses Englisch, wenn auch mit einem leichten Südstaaten-Akzent, und trug ein offenes, kurzärmeliges Navy-Hemd über einem weißen T-Shirt. So eng wie das T-Shirt um seinen schlanken, aber durchaus muskulösen Oberkörper lag, musste es eine Nummer zu klein sein. Eine Khakihose rundete sein Outfit ab. Alles in allem nicht gerade das, was man von dem Spross einer Königsfamilie erwarten würde, aber es sah gut an ihm aus. Sehr gut sogar. War das wirklich der Mann, den sie suchte?

Ellen musterte aufmerksam sein Gesicht noch einmal und verglich es in Gedanken mit dem Foto. Ja, das war er zweifellos.

Sie hob lässig eine Schulter. Bei diesem Mann, der gewohnt war, dass alle Frauen ihn anhimmelten, kam sie sicher weiter, wenn sie sich kühl und überlegen gab.

„Kein Interesse“, erwiderte sie. Sie nahm den Drink an, den der Barkeeper ihr reichte, und nippte daran, ohne bei dem bitteren Geschmack das Gesicht zu verziehen. Sie mochte lieber Fruchtcocktails, aber zu einer coolen Frau passten keine Getränke mit bunten Papierschirmchen.

Er grinste und strich sein tiefschwarzes Haar zurück. „Das ist mir nur recht, denn ich habe keine Ahnung, was ich jetzt Tolles sagen soll.“

Ellen war beeindruckt von seiner Offenheit, sagte sich aber schnell, dass das bestimmt nur eine Masche von ihm war. Ein Mann mit blauem Blut in den Adern konnte unmöglich so natürlich sein.

„Haben Sie irgendwelche Vorschläge?“ Er stützte sich leicht auf den Tresen und beugte sich etwas vor. Sein Lächeln wurde herzlicher.

„Ich heiße Ellen.“ Sie reichte ihm die Hand. Schließlich durfte sie ihn nicht vom Haken lassen, bis sie ihn an Land gezogen hatte.

„Sie wollen meinen Namen wissen? Na gut.“ Er nahm ihre Hand und drückte sie leicht. „Nennen Sie mich Rudi.“

Rudy? Eilig ging sie in Gedanken die Namen durch, die man ihr genannt hatte. Mindestens unter sechs war dieser Mann, den sie sich schnappen sollte, bekannt. Darunter war auch Rashid, aber das hörte sich ganz anders an als Rudy. Die übrigen hatten noch weniger Ähnlichkeit.

„Rudi mit i“, sagte er. „Ich finde, das sieht geschrieben irgendwie besser aus.“

Sie erwiderte seinen Händedruck. „Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen, Rudi mit i.“

Es war ihr vollkommen egal, wie er sich nannte, wenn es sie auch ein wenig verwunderte. Warum benutzte er nicht seinen richtigen Namen? War er doch mehr auf seine Sicherheit bedacht, als sie vermutete? Sie konnte sich gerade noch davon abhalten, sich suchend nach seinen Bodyguards umzuschauen. Denn schließlich wusste sie, wo die sich aufhielten. Sie hatte sie ja selbst dorthin geschickt.

„Also …“ Er blickte auf ihre Hand, die er immer noch umfasst hielt, und bei dem Lächeln, das in dem Moment in seinen Augen aufblitzte, wurde ihr plötzlich heiß bis in die Zehen. „Da wir die Formalitäten nun erledigt haben, könnten wir doch …“ Er ließ den Satz unbeendet, zog ihre Hand an die Lippen und küsste ihren Handrücken.

Es war ein Kuss, bei dem es ihr wie Feuer über die Haut lief und der ein Begehren in ihr weckte, das sie längst begraben glaubte.

Könnten wir doch … was? Prickelnde Neugier entfachte dieses schlummernde Begehren noch weiter. So etwas war ihr seit Jahren nicht mehr passiert.

„Tanzen“, sagte Rudi.

„Tanzen?“ War das alles, was er tun wollte?

Sie fühlte sich benommen und war gleichzeitig wie elektrisiert. Ohne sich zu sträuben, ließ sie sich von ihm auf die Tanzfläche führen. Rudi legte sanft, aber bestimmt die Arme um sie. Die Band spielte einen schnellen südamerikanischen Titel, und die Spotlights flackerten entsprechend dem furiosen Rhythmus der Musik noch hektischer als vorher. Er hatte sie dicht an sich gezogen und bewegte sich mit ihr in einem Stil, der eine Mischung aus Tango, Salsa und Sex in bekleidetem Zustand war.

Den Sex bildete sie sich vielleicht auch nur ein.

Nüchtern betrachtet sah dieser Tanz kaum anders aus als andere, die Ellen schon x-mal in ihrem Leben getanzt hatte. Er hatte die Hände leicht um ihre Taille gelegt, ihre Hände lagen auf seinen Schultern. Er und sie bewegten sich nach der Musik, soweit die Enge des Raums das erlaubte. Aber jedes Mal, wenn Rudi mit den Hüften ihre berührte, wurde ihr noch ein paar Grade heißer.

Selbstvergessen fuhr sie mit den Händen über seine Schultern, die sehr gerade und breit waren. Er war schlank und stark zugleich, schön und edel wie die Rassepferde, die man dort, wo er herkam, züchtete.

Plötzlich lachte er – es war ein wohlklingendes, anziehendes Lachen –, und ihr fiel nun auf, dass ihre Hände tiefer gerutscht waren und mittlerweile über seine breite Brust strichen. Lachend streifte er schnell das offene Hemd ab, so dass seine Figur in dem engen T-Shirt noch besser zur Geltung kam. Und sie musste zugeben, dass er wirklich sehr gut gebaut war.

Er behielt einen Hemdzipfel in der Hand, legte ihr den anderen von hinten um die Taille und zog sie dann an beiden Hemdzipfeln wie mit einem Seil zu sich, bis sie Hüfte an Hüfte standen, und wiegte sich lässig hin und her. Seine Augen funkelten.

„Machen Sie mit!“ Er musste fast schreien, um die dröhnende Musik zu übertönen. „Wissen Sie nicht, wie man Rumba tanzt?“

Ellen versuchte, ihn von sich zu schieben. „Für mich hört sich das nicht nach einer Rumba an!“

Rudi bewegte sich eine Spur heftiger, so dass er mit den Hüften ganz leicht, aber sehr sinnlich an ihre stieß. „Den Rhythmus haben Sie im Blut. Sie fühlen ihn tief in sich.“

Wieso wurde es hier immer heißer? Oder lag das daran, dass Rudi sie verrückt machte?

Er beugte sich vor. Seine Lippen streiften ihr Ohr. „Überlassen Sie sich einfach Ihren Gefühlen. Lassen sie sie heraus.“

Ohne dass Ellen wusste, wie er das geschafft hatte, lag sein Hemd plötzlich ein paar Zentimeter höher um ihren Körper, und er zog sie langsam näher, so dass ihre Brustspitzen unweigerlich sein T-Shirt berührten.

Sie war vollkommen verwirrt. In einer solchen Situation war sie noch nie gewesen. Ihre Absicht war, ihn anzulocken, bis die Falle zuschnappen konnte. Stattdessen geriet sie nun selbst in Versuchung. Sie wollte ihn berühren, sich mit den Brüsten an ihn pressen. Sie hatte Wünschte, die, solange sie im Dienst war, äußerst unpassend waren. Es war nicht zulässig, dass sie Gefühle für die Zielpersonen entwickelte.

Die Band machte eine Pause, und Ellen stürzte in dem Moment der Stille vor, um Rudi das Hemd aus den Händen zu nehmen. Sie starrte ihn an und fühlte sich atemlos, als habe sie ebenso wie die Band gerade Schwerstarbeit geleistet. Warum? Sie hatte doch gar nichts Anstrengendes getan.

Rudis Lächeln erstarb einen Moment, um dann sofort wiederzukehren. „Kommen Sie, ich bestelle uns was zu trinken.“

Das strahlende Weiß des T-Shirts bildete einen tollen Kontrast zu seiner dunklen Haut. Doch dieser Mann sah nicht nur hinreißend aus, er war auch noch nett. Eine gefährliche Kombination. Sie musste diese Sache umgehend zu Ende bringen, bevor sie sich in etwas verstricken würde, das ihrer Kontrolle entglitt. Für sie beide konnte es nur von Vorteil sein, wenn sie das Ganze schnell durchzog.

„Ich habe eine bessere Idee.“ Sie nahm seine Hand und zog ihn von der Tanzfläche.

„Was haben Sie vor?“

„Warten Sie ab.“ Sie schenkte ihm ihr berühmtes geheimnisvolles Lächeln und warf den Kopf zurück, so dass ihr das lange Haar locker um die Schultern fiel.

Rudi ließ sich von ihr aus dem Nachtclub führen. Er konnte sein Glück gar nicht fassen. Ellen war die schönste Frau, die er je in seinem Leben gesehen hatte, und das wollte wirklich etwas heißen. Aber sie waren nicht so schnell zu beeindrucken gewesen wie Ellen. Nicht von Rudi.

Bei Rashid ibn Saqr ibn Faruq al Mukhtar Qarif war das anders. Da brauchte er nur mit den Fingern zu schnippen, und schon waren alle Frauen willig. Geld und Macht wirkten eben sehr anziehend. Der Mann dahinter war dabei Nebensache.

Aber Geld und Macht waren in seinem Fall eine Illusion, vielleicht war auch Rashid nur ein Phantom. Oder Rudi. Manchmal wusste er selbst nicht, wer er war. Aber eins war sicher: Geld und Macht hatte sein Vater, nicht er.

Draußen hielt Ellen ein Taxi an. Als sie einstieg, blickte Rudi hingerissen auf ihre langen schlanken Beine, die im Licht der Straßenlaternen schimmerten. Er stand wie angewurzelt da, bis Ellen sich aus der offenen Wagentür lehnte.

„Wollen Sie nicht einsteigen?“, fragte sie, ein Lächeln auf den rosa Lippen. Ein Lächeln, das ebenso alles wie nichts versprach, so dass er nur noch herausfinden wollte, was sich dahinter verbarg.

Dabei sollte er auf der Hut sein. Auch wenn er einfach verschwunden war, was seine Familie mit Sicherheit in helle Aufregung versetzt hatte, blieben die Bomben in Qarif eine Realität. Und die Terroristen waren auch nicht seiner Fantasie entsprungen. Aber die Terroristen, die die Macht an sich reißen wollten, waren in Qarif. Diese Frau hier war ganz sicher keine Terroristin. Man brauchte sie ja nur anzusehen.

Sie sah aus wie eine Göttin. Das glatte goldblonde Haar fiel ihr über die Schultern, lange dunkle Wimpern beschatteten Augen, deren Farbe eine interessante Mischung aus Grün und ein bisschen Braun war. Sie hatte eine hohe Stirn, eine gerade schmale Nase, ausgeprägte Wangenknochen und volle, sinnliche Lippen. Ja, sie war eine klassische Schönheit.

Im Grunde waren es aber weniger ihr schönes Gesicht und die schlanke Figur, die ihn anzogen. Ein gewisser Übermut lag in ihren Augen, und ihr Lächeln war geheimnisvoll, als spiele sie ein Spiel mit ihm, dessen Regeln er nicht kannte. Sie provozierte ihn und forderte ihn heraus, auf ihr Spiel einzugehen. Und Herausforderungen hatte er noch nie widerstehen können.

Er stieg ein. Ein Ausdruck von Genugtuung erschien auf ihrem Gesicht. Gut, die erste Runde war vielleicht an sie gegangen, aber er würde das Spiel gewinnen.

„Also, Rudi …“, sie lehnte sich in die Polster zurück, „… was machen Sie denn sonst so?“

„Ich grabe Löcher.“ Das zumindest würde er gern tun. Aber seine Familie gab sich alle Mühe, ihn in einem sauberen aufgeräumten Büro zu halten, wo er nicht in der Erde wühlen konnte.

„Tatsächlich?“ Sie hob die Augenbrauen.

Würde sie sich jetzt von ihm zurückziehen, weil sie ihn für einen Bauarbeiter hielt?

„Löcher, so wie für den Lincoln-Tunnel?“, fragte sie. „Oder Löcher wie diese hier?“ Sie wies auf eine Baustelle, wo die Bulldozer gerade ein Fundament aushoben.

„Keines von beidem. Ich bohre Löcher, wie man sie für Brunnen braucht. Oder um Ölquellen zu erschließen.“

Ihr Gesichtsausdruck wechselte, als habe er sie überrascht. Zumindest wollte er es so deuten.

„Sie bohren nach Öl?“ Mit einer eleganten Bewegung legte sie den schlanken Arm auf die Rücklehne.

Er wollte zustimmen, entschied sich dann aber, ihr die Wahrheit zu sagen, um zu sehen, wie sie darauf reagierte. „Wenn ich ehrlich bin, bohre ich lieber nach Wasser. Öl kann man nicht trinken.“

„Aber ein Auto fährt nicht mit Wasser.“

„Noch nicht.“ Er grinste. „Die Wissenschaftler sind noch nicht ganz so weit. Aber ich denke, irgendwann werden sie so weit sein, Wasserstoff als Energie zu nutzen, und dann werden wir den Gartenschlauch benutzen können, um unsere Autos zu betanken.“

Sie sah ihn erneut mit diesem rätselhaften Lächeln an, sagte aber nichts, und er fügte hinzu: „Natürlich kann man mit Öl mehr Geld verdienen, aber …“, er hob kurz die Schultern, „… normalerweise braucht man Wasser sehr viel dringender.“

Ihr Lächeln veränderte sich plötzlich, wurde herzlicher und gleichzeitig ernsthafter. Er wurde aus ihr nicht schlau.

„Sie sind nett, Rudi“, sagte sie, „Sie gefallen mir.“

Rudi war über Ellens Bemerkung so verblüfft, dass er nicht merkte, dass das Taxi anhielt. Erst als Ellen die Tür öffnete, sah er, dass sie vor einem der New Yorker Luxushotels standen. Ellen nahm ihn beim Arm und zog ihn am Portier vorbei in die große marmorne Empfangshalle. Sie führte ihn an der Rezeption vorbei, an schweren Ledersesseln, an dem Eingang zu einer schummerig beleuchteten Bar, bis sie vor dem Fahrstuhl standen. Ohne zu zögern, drückte sie auf den Knopf.

Er hatte zwar nichts dagegen, von Ellen mit auf ihr Zimmer genommen zu werden, um sie „besser kennen zu lernen“, aber Tatsache war nun einmal, dass er keine Ahnung hatte, wer sie war. Wahrscheinlich war sie tatsächlich keine Terroristin, aber sicher konnte er sich da nicht sein. Vielleicht war sie eine Diebin, deren Komplize schon in ihrem Zimmer lauerte, um ihm, dem ahnungslosen Rudi, nach einem kräftigen Schlag auf den Kopf alles abzunehmen, was er bei sich trug. Das war allerdings momentan nicht sehr viel.

Vielleicht war sie aber auch das Beste, was ihm bisher in seinem Leben widerfahren war.

Er war gewohnt, dass Frauen seine Nähe suchten, weil sie mit ihm gesehen werden wollten. Meistens zog sein Name sie an, manchmal auch sein Aussehen. Solche Frauen waren leicht zu durchschauen, und meistens hatte er sich auch bereitwillig auf ihr Spiel eingelassen. Sie hatten sich zusammen vergnügt, die Frauen hatten ein bisschen Aufregung gehabt, ein paar Geschenke. Doch alles war so simpel und offensichtlich, dass er in letzter Zeit keine Lust mehr hatte, dieses Spiel mitzuspielen.

Aber diese Frau hier war anders. Sie war eine reizvolle Herausforderung, weil sie ihr Geheimnis für sich behielt. Sie war schwer zu durchschauen, und doch schienen alle Möglichkeiten offen zu stehen.

Vielleicht hätte er mehr davon, wenn er nicht so schnell mit ihr ins Bett ging und sie erst wirklich besser kennen lernte. Was ging in ihrem Kopf vor? Was brachte sie zum Lachen, was zum Weinen? Doch das herauszufinden brauchte Zeit.

„Ellen, lassen Sie uns in die Bar gehen und etwas trinken. Wir könnten uns da in Ruhe unterhalten.“ Er wies mit dem Kopf zum Eingang der Bar, der hinter ihnen lag.

Für einen Moment schien sie überrascht zu sein, dann zeigte sie wieder dieses mysteriöse Lächeln, das ihn allmählich irritierte.

„Warum?“, fragte sie und strich Rudi langsam über den Arm und über die Brust.

„Ich möchte mit Ihnen sprechen.“ Er nahm ihre Hand und küsste die Fingerspitzen.

Ihr Lächeln veränderte sich kaum wahrnehmbar.

„Ich möchte wissen, was für eine Frau hinter diesem Lächeln steckt“, sagte er leise. „Wenn wir aber gleich nach oben gehen, werden wir vielleicht nicht viel zum Reden kommen.“

„Wahrscheinlich nicht. Aber wenn nun gar nicht viel dahinter steckt?“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Man braucht sich nur den Ausdruck Ihrer Augen anzusehen.“

Ihre grünen Augen flackerten kurz auf, als sei sie durch irgendetwas alarmiert. Dann öffnete sie leicht die Lippen, und ein sinnliches Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. „Durchs Reden kann man sich auch nur begrenzt kennen lernen.“ Sie nahm seine Hände und zog ihn rückwärtsgehend in den Fahrstuhl. „Wir können uns doch später unterhalten.“

„Versprochen?“

Die Fahrstuhltüren schlossen sich. Sie streifte ihn kurz, als sie sich vorbeugte und auf den Knopf drückte. Er erschauerte und legte ihr die Hand auf den Rücken.

„Versprochen“, sagte sie.

Versprochen? Was? Dann fiel es ihm wieder ein.

„Wenn Sie immer noch reden möchten, dann können wir das tun. Später, wenn Sie dann noch wollen.“

Der Fahrstuhl hielt, die Türen öffneten sich. Sie nahm wieder seine Hand. Vor einer der Zimmertüren blieb sie stehen. Sie sah zu ihm hoch, und jetzt lächelte sie wieder herzlich und ernsthaft zugleich. Dann legte sie ihre Hand auf seine Brust, hob sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. Ihm wurde in sehr angenehmer Weise bedeutend wärmer.

Sie zog die Schlüsselkarte durch, und als es grün aufleuchtete, blickte sie ihn an. „Tut mir leid“, sagte sie leise, „aber es ist nur zu Ihrem Besten.“

Er war aufs Höchste alarmiert. War sie etwa doch eine Terroristin?

Die Tür wurde aufgerissen, und Omar, sein langjähriger Bodyguard, zog ihn schnell ins Zimmer. Frank, der für einen privaten Sicherheitsdienst arbeitete, den seine Familie immer engagierte, wenn er in New York war, stand hinter Omar, und noch ein dritter bulliger Mann, offenbar auch ein Bodyguard.

„Danke, Miss Sheffield“, sagte Frank. „Ich wusste, wenn jemand ihn finden kann, dann Sie.“

Sie lächelte nicht mehr, sondern starrte die drei Männer düster an. „Das wäre nicht nötig gewesen, wenn Ihr Idioten ihn nicht verloren hättet.“

„Sind Sie etwa Bodyguard?“, fragte er fassungslos.

„Nein, Rudi, aber ich bin Sicherheitsberaterin und arbeite auch für ‚Swainson Security‘. Die Bodyguards sind Frank und George.“ Sie wandte sich an die beiden Männer. „Ich hoffe, Ihr lasst ihn jetzt nicht mehr aus den Augen.“

Damit drehte sie sich um und knallte die Tür hinter sich zu.

Die Frau seiner Träume hatte nichts anderes im Sinn gehabt, als ihn im Auftrag seiner Familie ausfindig zu machen und ihn wieder der wenig zuverlässigen Obhut seiner Bodyguards zu übergeben.

Rudi musste lachen. Ellen hatte ihn auf raffinierte Art und Weise überlistet, das musste er ihr lassen. Diese Runde hatte eindeutig sie gewonnen. Aber das Spiel war noch nicht vorbei.

Sie hatte ihm versprochen, dass sie reden würden. Später, wenn er dann noch wolle.

Und er wollte unbedingt. Denn er hatte noch sehr viel mit Miss Ellen Sheffield zu besprechen.

2. KAPITEL

Ellen Sheffield war in allem, was sie tat, perfekt.

Zumindest war sie das gewesen, bevor sie diesen Scheichsohn getroffen hatte. Immer wieder sah sie plötzlich sein Gesicht vor sich, attraktiv wie das eines Filmstars und mit diesem bezwingenden Lächeln, das ihn noch unwiderstehlicher machte. Doch sosehr sie sich auch bemühte, ihn als charakterliches Leichtgewicht abzutun, ein Satz von ihm ging ihr nicht aus dem Kopf: „Öl kann man nicht trinken.“

Ob er sich wohl immer noch mit ihr unterhalten wollte?

Sooft sie sich auch sagte, dass sie an ihm überhaupt nicht interessiert sei, immer wieder musste sie daran denken. Er war der erste Mann seit Jahren, wenn nicht überhaupt in ihrem Leben, der sie als Person hatte kennen lernen wollen und sie nicht nur als Sexobjekt oder Vorzeigefrau betrachtet hatte.

Als kleines Mädchen war sie immer nur die „Schwester der Sheffield-Brüder“ gewesen. Als sie älter wurde und weibliche Rundungen entwickelte, hatten die Freunde ihrer Brüder ihr immer nur auf den Busen gestarrt. Bis es ihren Brüdern zu viel wurde und sie die Kerle verprügelten.

In der High School hatte es deshalb niemand gewagt, sich mit ihr zu verabreden, und später während der Ausbildung auf der Polizeiakademie auch nicht, denn ihr einer Bruder war auch Polizist und hatte eifersüchtig über sie, „die kleine Schwester“, gewacht. So hatte sie keinerlei Erfahrungen machen können und Davis’ Verführungskünsten nichts entgegenzusetzen gehabt. Davis hatte sie so beeindruckt, dass sie zugestimmt hatte, ihn zu heiraten, noch bevor sie wusste, was für ein Mann er eigentlich war – und was für einen Typ Frau er suchte. Er hatte ein dekoratives Spielzeug haben wollen, mit dem er bei seinen Freunden angeben konnte, nicht eine eigenständige Frau. Ihre Wünsche, Gedanken und Sehnsüchte hatten ihn nicht interessiert, ihre Arbeit war ihm gleichgültig gewesen. Davis hatte von ihr erwartet, dass sie alles hintenan stellte und nach seiner Pfeife tanzte.

Als sie die Verlobung löste, wurde sie von seinen so genannten Freunden belagert, die alle dasselbe wie er suchten: eine Vorzeigefrau. Sie hatte schnell gelernt, wie sie ihre Erscheinung nutzen konnte – als Werkzeug und Waffe gegen Männer. Das war gut für ihre Karriere, erst bei der Polizei, nun bei dem privaten Sicherheitsdienst. Vic Campanello, mit dem sie eng zusammenarbeitete und der momentan ihr Vorgesetzter war, nannte sie seine Geheimwaffe. Deshalb war sie auch darauf angesetzt worden, Prinz Rudi, den Schönen, zu finden – den sie nun endlich aus ihrem Kopf verbannen wollte. Sicher war er an ihr auch nicht mehr interessiert, denn er hatte es schließlich ihr zu verdanken, dass er wieder in seinen goldenen Käfig gesperrt worden war.

Sie stieg aus dem Taxi und knallte die Tür zu. Doch sie hatte Rudi oder Rashid, oder wie auch immer er hieß, nicht betrogen, sie hatte ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. Es war viel zu gefährlich für ihn, auf eigene Faust in New York unterwegs zu sein. Er wusste doch genau, dass das Herrscherhaus von Qarif von Terroristen verfolgt wurde. Selbst wenn er an terroristische Drohungen gewöhnt war und nicht daran glaubte, dass auch er persönlich gefährdet sei, bedeutete das nicht, dass für ihn keine Gefahr bestand. Ihre Aufgabe hatte darin bestanden, ihn vor dieser Gefahr zu schützen, und sie hatte keinen Grund, deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben.

Auf den Beeten entlang der Straße blühten die Sommerblumen, aber Ellen achtete nicht darauf, als sie jetzt schnell in Richtung Central Park ging. Kurz blickte sie auf die Uhr und beschleunigte dann ihren Schritt.

„Swainson Security“, war beauftragt worden, für den sicheren Ablauf eines Videoclips zu sorgen, der im Central Park gedreht werden sollten. Das sollte irgendwann im nächsten Monat sein, und sie musste sich heute mit dem Produzenten, dem Regisseur, dem Manager der Gruppe und wer sonst noch damit zu tun hatte, treffen, um die genauen Drehorte festzulegen. So etwas war ihr sehr viel lieber, als verwöhnte Wüstensöhne ausfindig zu machen. Obwohl sie zugeben musste, dass es eine Herausforderung gewesen war, Rudi auf die Spur zu kommen. Und sie liebte spannende Herausforderungen.

Campanello hatte ihr heute Morgen erzählt, dass er einen neuen Auftrag für sie habe, um den sie sich unmittelbar nach diesem Treffen im Central Park kümmern sollte. Hoffentlich war das etwas, was sie von ihren Gedanken an diesen Prinz von Qarif ablenken würde.

Ellen zog die Mundwinkel hoch, als der Manager auf sie zukam. Hoffentlich sah das wie ein Lächeln aus. Sie musste sich auf ihren jetzigen Job konzentrieren.

Rudi starrte auf das Blatt Papier, das vor ihm auf dem glänzend polierten Tisch lag, ohne wahrzunehmen, was darauf stand. Es war Mittwoch, der Wochentag, den sie auf dem College in Texas immer heiß ersehnt hatten, denn damit war die Hälfte der Woche endlich geschafft. In seiner jetzigen Situation war vom Wochenende allerdings nichts Spannendes zu erwarten. Die Bodyguards und sein großer Bruder Ibrahim würden schon dafür sorgen, dass er hier festsaß.

Rudi fühlte Ibrahims wachsamen Blick auf sich ruhen und ließ sich nichts anmerken. Er zog die Hand in den Ärmel seiner Djellaba zurück und kratzte sich verstohlen den Oberschenkel. Ibrahim hatte darauf bestanden, dass sie für die heutige Besprechung die traditionellen Gewänder anzogen, um den Gesprächspartnern deutlich zu machen, wer ihnen gegenübersaß. Rudi streckte die Hand wieder vor und griff nach dem Wasserglas.

Er hatte keine Ahnung, warum er bei diesem elenden Treffen anwesend sein musste. Er könnte sowieso nichts dazu sagen, war einfach nur eine Person mehr auf dieser Seite des Tisches. Ibrahims Frau oder eins seiner Kinder, die gerade in New York zu Besuch waren, hätten genauso gut den Stuhl besetzen können. Diese Besprechungen langweilten ihn zu Tode, denn es ging nur um Dollars und Yens und Zahlen. Davon verstand er nichts, und davon wollte er auch nichts verstehen.

Aber wenn man ihm einen Bohrturm gab und ein paar kräftige Männer, um das Ganze aufzubauen, dann war er dabei. Er konnte sogar vorhersagen, ob man Öl, Erdgas oder Wasser finden würde. Aber Gespräche über Geld konnte er nicht ausstehen. Wenn er hier nicht bald herauskam, dann würde er einschlafen. Ibrahim würde ihn umbringen, sollte er sich unterstehen, das zu tun!

Er hatte sich geschworen, nicht mehr an Ellen zu denken. Diesen Schwur hatte er genauso lange gehalten wie den davor – vielleicht eine Stunde. Aber irgendwie musste er sich wach halten, und so fing er an, zu überlegen, wie er sich an ihr rächen könnte. Er dachte dabei an ein einsames Luxuszelt in der Wüste mit dicken weichen Teppichen und vielen Seidenkissen. Er würde sie zwingen, Sachen zu tragen, die so gut wie durchsichtige Sachen waren. Nein, lieber gar nichts.

Nicht dass diese Fantasien jemals Realität werden würden. Es war schon zehn Tage her, dass Ellen ihn wieder dem Schoß der Familie zugeführt hatte, wie einen dummen Schuljungen, der von zu Hause weggelaufen war. Und immer noch hatte er keine Ahnung, wie er sie finden sollte. Ihre Firma gab generell keine privaten Informationen über die Mitarbeiter heraus, das hatte er sich wieder und wieder von der Empfangsdame sagen lassen müssen. Seine Traumfrau war vielleicht genau das, nämlich nur ein Traum. Er hatte sie im Arm gehalten, und nun war sie verschwunden wie Spuren im Wüstensand nach einem Sturm.

„Und wie denken Sie darüber, Prinz Rashid?“

Einer der Männer im dunklen Anzug stellte ihm diese Frage. Doch über was sollte er wie denken? Selbst wenn er die Diskussion verfolgt hätte, hätte er keine Ahnung, wovon die Rede war. Vorsorglich zog er unter dem Tisch sein Bein aus der Reichweite von Ibrahims Fuß.

„Ich stimme vollkommen mit meinem Bruder überein“, sagte er, und das war die Wahrheit. Ibrahim kannte sich in diesen Dingen aus. Er wünschte nur, Ibrahim würde tun, was er für richtig hielt, und ihm diese qualvollen Situationen ersparen.

Schließlich wurde die Sitzung zur Zufriedenheit offenbar aller beendet. Man schlug sich auf die Schultern und gratulierte sich gegenseitig. Sobald es möglich war, ging er Richtung Fahrstuhl.

„Rashid, kommst du nicht mit zum Lunch?“ Ibrahim sah überrascht, ja beinahe etwas verletzt aus, weil er so schnell verschwinden wollte. „Willst du denn nicht mit uns den erfolgreichen Abschluss unserer Gespräche feiern? Komm mit.“

Er unterdrückte ein Stöhnen. Er könnte keine Minute länger Gespräche über Hochfinanz ertragen. „Verzeih mir, aber es war ein langer Vormittag, und mir macht das Wetter ziemlich zu schaffen.“

„Geht es dir nicht gut?“, fragte Ibrahim ernsthaft besorgt.

„Ich bin nur müde“, sagte er. „Ich nehme mir ein Taxi und fahre zurück ins Hotel.“

„Du wirst den Wagen nehmen. Und Omar.“

„Gut. Ich nehme den Wagen.“ Rudi verschwieg, dass Omar längst wieder zurück im Hotel war, weil er eine ernsthafte Magenverstimmung hatte. Omar war aber nur bereit gewesen, sich hinzulegen, weil Ibrahims Bodyguards anwesend sein würden. Die jetzt natürlich an Ibrahims Seite blieben und nicht an seiner. Vielleicht war das endlich seine Chance, der strengen Aufsicht zu entkommen.

Und vielleicht ließ man ihn dann ja wieder durch Ellen suchen.

Rudi pfiff fröhlich vor sich hin, als er die Garage erreicht hatte.

Rudi saß im Fond des großen Wagens, der gegen alles gesichert war, ob es sich nun um Schüsse, Bomben oder Ausbruchsversuche handelte, und überlegte, wohin er fliehen könnte. Ohne Omar oder einen dieser angemieteten Bodyguards sollte es relativ einfach sein. Er hatte aus Buckingham die Nachricht erhalten, dass alles für ihn vorbereitet sei. Er könnte sich von dem Chauffeur im Hotel absetzen lassen, ein Taxi zum Flughafen nehmen, und er wäre in der Luft, bevor irgendjemand sein Verschwinden bemerkt hätte. Vielleicht würden sie tatsächlich Ellen hinter ihm herschicken. Und vielleicht würde er zulassen, dass sie ihn fand.

Aber nicht in Buckingham. Keiner wusste etwas von Buckingham, und das war auch gut so.

Plötzlich richtete Rudi sich auf und starrte aus dem Wagenfenster. Sie steckten im Stau und fuhren gerade im Schneckentempo am Central Park vorbei. War das nicht Ellen? Sie musste es sein, denn keine andere Frau hatte dieses wunderschöne Haar und diese hinreißenden Beine.

Sie unterhielt sich mit einer Gruppe von merkwürdig aussehenden Männern, das hieß, sie stand dabei, schien aber kaum zuzuhören. Stattdessen sah sie sich um, und erst als einer der Männer den Arm um sie legte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das, was er offenbar zu sagen hatte, entzog sich aber seinem Arm.

Der Wagen war inzwischen ein paar Meter weitergefahren und ließ Ellen und diese Gruppe hinter sich. Rudi sah durch das Rückfenster und fluchte leise, als ein Pferd mit einer Reiterin ihm den Blick verstellte.

Aber dann hatte er eine Idee. Er hatte immer schon eine Frau aufs Pferd ziehen und mit ihr davonreiten wollen, so wie seine Vorväter das mit den Frauen gemacht hatten, die sie begehrten. In seiner traditionellen orientalischen Kleidung war er dafür sogar passend angezogen.

„Halten Sie bitte!“

Noch bevor der Wagen stand, öffnete Rudi bereits die Tür. „Ich bin in spätestens zehn Minuten wieder da.“

Mit wenigen Schritten hatte er die Reiterin eingeholt. Als er sich das Pferd genauer ansah, kamen ihm Zweifel. Das Tier sah so ganz anders aus als die feurigen Araberhengste in den Ställen seines Vaters. Die Reiterin schrie überrascht auf, als er in die Zügel griff. Sie war etwas dicklich, kaum älter als dreizehn und trug eine Zahnspange.

„Entschuldigen Sie, aber dürfte ich mir mal Ihr Pferd ausleihen?“, fragte er höflich. „Ich möchte meine Verlobte gern überraschen.“ Die Lüge kam ihm leicht über die Lippen. „Ich möchte sie auf das Pferd ziehen, wie meine Vorväter das immer gemacht haben.“

Das Mädchen schluckte und kicherte dann.

Er nahm die Hand der Kleinen. „Ich bin sicher, dass jemand, der so sensibel ist wie Sie, meine romantischen Gefühle verstehen wird.“

Das Mädchen lächelte geschmeichelt. „Aber ich habe das Pferd nur für eine Stunde gemietet“, sagte es zögernd.

„Ich brauche es nur eine Minute.“ Rudi blickte sich schnell um. Ellen und ihre Begleiter waren kaum noch zu sehen. „Bitte. Mein Glück liegt in Ihren Händen“, sagte er beschwörend und drückte einen Kuss auf die etwas dickliche Hand.

Das Mädchen kicherte wieder und warf einen Blick auf die anderen Reiter im Central Park, die stehen geblieben waren und die Szene lächelnd beobachteten. Sie seufzte. „Gut, aber nur für eine Minute.“ Ungeschickt glitt sie von dem Pferderücken herunter.

„Allah segne Sie für Ihre Großzügigkeit.“ Er küsste das errötende Mädchen auf die Wange und schwang sich in den Sattel.

Das Pferd spürte sofort die kundige Hand und tat, was Rudi wollte.

Ellen ging an dem großen Brunnen vorbei und hörte kaum auf das erregte Geschnatter der Crew, die sich über Kamerawinkel, Tanzschritte und Musik unterhielten. Sie dagegen dachte darüber nach, wo überall Barrikaden und Sicherheitsleute platziert werden mussten. Ellen war so in Gedanken versunken, dass sie die Hufschläge nicht wahrnahm, bis sie unmittelbar hinter ihr waren. Sie fuhr herum und sah ein Pferd auf sich zukommen. Der Reiter trug ein weites weißes Gewand, das sich im Wind blähte.

„Verdammter Bastard!“ Der Produzent konnte sich gerade noch durch einen Sprung zur Seite retten.

Ellen war so überrascht, dass sie sich nicht rühren konnte. Sie starrte den Reiter an, der sich jetzt vorbeugte, den Arm ausstreckte und sie mit einer einzigen kraftvollen Bewegung aufs Pferd hob. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, saß sie vor ihm. Fantastisch, wie er das geschafft hat, war ihr erster Gedanke.

Dann erst nahm sie die Stimmen um sich herum wahr.

„Ruf sofort die Polizei!“

„Ein Verrückter! Jemand muss ihn aufhalten!“

„Er will sie entführen!“

Das Pferd blieb plötzlich stehen, dann drehte es sich um und galoppierte den Weg zurück, den es gekommen war. Sie presste sich an den Mann, der hinter ihr saß, und klammerte sich an den Sattel, um nicht vom Pferd geworfen zu werden. Wer war dieser Wahnsinnige? Auf eine merkwürdige Art und Weise war dieser muskulöse Oberkörper ihr vertraut. Nein, das konnte doch nicht wahr sein …

Sie wandte sich um und blickte ihrem Entführer ins Gesicht. Rudi, tatsächlich! Um Himmels willen, wenn er jetzt verhaftet wurde, konnte das zu einem internationalen Skandal führen. Und sie wäre bestimmt ihren Job los.

„Alles in Ordnung!“, schrie sie der Video-Crew zu. „Ich kenne ihn! Es ist ein Freund!“

Offensichtlich hatte man verstanden, was sie gerufen hatte. Die Stimmen wurden leiser, die allgemeine Aufregung schien sich zu legen. Das Pferd allerdings verlangsamte sein Tempo nicht. Und bei jedem Hufschlag wurde sie gegen Rudi gepresst, in einem Rhythmus, der bei ihr … Rumbagefühle weckte. Kein Wunder, dass der Körper unter diesem Gewand ihr ziemlich vertraut war. Die kräftigen Schenkel, die jetzt mit beeindruckender Sicherheit das Pferd lenkten, hatten einmal sie zu einer Rumba herausgefordert.

„Bin ich das wirklich?“, fragte er, und sie wandte sich kurz um.

Er lächelte. Seine Zähne waren geradezu unverschämt weiß in dem braunen Gesicht.

„Was sollten Sie denn sein?“ Sie zwang sich, nicht mehr an den Druck seiner Schenkel zu denken, sondern ihren Verstand wieder einzuschalten.

„Ihr Freund. Sie sagten eben, ich sei ein Freund von Ihnen.“

„Ich … Sie …“ Es müsste ihr doch möglich sein, einen klaren Gedanken zu fassen! „Ich wollte nicht, dass man Sie verhaftet.“

„Ach so.“ Das hörte sich beinahe enttäuscht an.

Plötzlich kam das Pferd abrupt zum Stehen, sicher, weil er es dazu gebracht hatte. Er stieg ab und warf einem Mädchen die Zügel zu, bevor er sie vom Pferd hob. Aber anstatt sie ganz herunterzulassen, trug er Ellen auf den Armen zu einem Wagen, der am Straßenrand wartete. Der Fahrer öffnete den Wagenschlag, und Rudi schob Ellen auf den Rücksitz.

Dann rief er dem Mädchen etwas zu und warf ihm danach etwas zu, das aussah wie eine Goldmünze. Das Mädchen bückte sich und hob die Münze auf, und er stieg ein und bedeutete dem Fahrer, loszufahren.

„Was haben Sie ihr denn gegeben?“, fragte sie.

„Eine Zehnfiatmünze.“

„Die sah aus wie aus Gold.“

„Sie ist auch aus Gold.“ Rudi legte einen Arm auf die Rücklehne. Er wirkte vollkommen entspannt in seinem exotischen Aufzug. Dennoch schien er eine andere Person zu sein. Fremd, mysteriös – und noch aufregender.

„Gold?“ Sie setzte sich energisch auf.

„Ich wollte mich bei ihr dafür bedanken, dass sie mir das Pferd geliehen hat.“

„Mit einem Goldstück?“

Er nickte nur.

„Wie viel die Münze in unserer Währung wert?“

Rudi lachte. „Ungefähr dreißig bis vierzig Dollar, das hängt von dem momentanen Goldpreis ab.“

Sie sah ihn missbilligend an. Glaubte er wirklich, er könne sie beeindrucken, indem er mit Geld um sich warf? Oder hielt er sie etwa für käuflich, so wie er sich die Nutzung des Pferdes erkauft hatte?

„Was wollen Sie von mir?“, fragte sie ganz direkt.

„Etwas von Ihrer Zeit.“ Seine Stimme klang sanft, als wollte er sie beruhigen. Ihr Ärger nahm zu. „Sie hatten mir versprochen, sich mit mir zu unterhalten. Erinnern Sie sich?“

Allerdings, und dass er ein Recht darauf hatte, dass sie ihr Versprechen hielt, machte sie nur noch wütender. „Wenn Sie mit mir sprechen wollen, hätten Sie nur im Büro anzurufen und nach mir zu fragen brauchen.“

„Das habe ich getan. Aber Sie haben nie zurückgerufen.“

Auch das traf zu, was sie nicht gerade milder stimmte.

„In Ordnung. Sprechen Sie.“ Sie lehnte sich zurück und zog den Saum ihres kurzen Kleides zurecht. Sein Blick glitt über ihre Beine. Ein Blick, bei dem sie das Gefühl hatte, dass die Temperatur im Wagen stieg.

„Ein paar Minuten im Fond eines Autos genügen mir nicht“, sagte er.

Das kann ich mir vorstellen, dachte sie. Sie sah ihn kurz von der Seite an und begegnete seinem wissenden Blick. Ihm war klar, dass sie sich in seiner Schuld fühlte, und nutzte das weidlich aus. Das kleine Lächeln um seine Mundwinkel machte es nicht besser. Sie wollte dieses Lächeln wegküssen … Nein, natürlich wegwischen! Ihn zu küssen wäre viel zu gefährlich für sie.

„Heute Nachmittag habe ich geschäftlich außerhalb von New York zu tun. Ich möchte, dass Sie mit mir kommen.“ Es klang ungezwungen, aber er sah sie dabei an wie ein Tiger auf der Jagd. Jedenfalls empfand sie es so.

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist leider nicht möglich.“

„Warum nicht?“ Er strich über ihre nackte Schulter. Unabsichtlich?

Schnell schob sie seine Hand zur Seite. „Ich habe Verpflichtungen. Einen Beruf. Und Sie haben doch genügend Bodyguards.“ Oh nein! „Wo sind die eigentlich?“, fragte sie alarmiert.

„Omar ist krank, die anderen sind bei Ibrahim, meinem Bruder. Der Fahrer ist kein Bodyguard.“

„Das ist schlecht. Wenigstens ein Bodyguard sollte immer bei Ihnen sein.“

„Sie sind ja bei mir.“

„Ich bin nicht Ihr Bodyguard.“

„Warum nicht? Kommen Sie doch mit. Ich habe das schon mit Ihrer Firma besprochen. Und mit meiner Familie. Es ist alles geklärt.“ Er lächelte sie treuherzig an wie ein kleiner Junge, der sich etwas von ganzem Herzen wünschte. „Natürlich nur, wenn Sie einverstanden sind.“

„Und wenn nicht?“ Der Gedanke war sehr verführerisch. Aber wenn sie etwas so sehr wollte, war es bestimmt nicht gut für sie. Und wenn das hier nun ihr neuer Auftrag von Campanello war?

„Der Fahrer wird Sie absetzen, wo immer Sie wollen.“ Er lächelte gewinnend. „Am liebsten erst nach dem Lunch. Den mit Ihnen zusammen einzunehmen werden Sie mir doch nicht verweigern.“

Misstrauisch sah sie ihn an. „Und wenn doch? Wer wird Sie dann begleiten?“

„Niemand.“

Ellen runzelte die Stirn und wusste gleichzeitig, dass es keinen Sinn haben würde, mit ihm zu argumentieren. Er würde sowieso tun, was er wollte. Wenn sie nicht mit ihm kam, würde er allein zum Lunch fahren, und das kam überhaupt nicht in Frage. „Ich möchte im Büro anrufen, um zu hören, ob mein Chef damit einverstanden ist.“

Sie musterte ihn aufmerksam, aber sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Entweder hatte er wirklich alles abgesprochen, oder er war ein begnadeter Schauspieler.

Er zuckte die Schultern. „Wie Sie wollen, und was immer Sie für nötig halten.“ Irgendwoher aus den Tiefen seines Gewandes zog er ein Handy.

„Danke. Ich habe selbst eins.“ Sie zog es aus ihrer Tasche, die sie glücklicherweise nicht losgelassen hatte, als Rudi sie so überraschend auf das Pferd gezogen hatte. Wie war noch gleich ihre Büronummer? Es war unglaublich, wie sehr dieser Mann ihr Denkvermögen beeinflusste. Nach einem Moment hatte sie sie wieder und tippte die Nummer ein.

„Swainson Security.“

„Oh, hallo, Marco. Ist Campanello da?“

„Hallo, Miss Sheffield. Nein, er hat sich mit irgendjemandem wegen eines Konzerts im Park getroffen. Aber ich soll Ihnen ausrichten, dass diese Scheichs wollen, dass Sie sich besonders um …“, Papier raschelte, „… um einen von ihnen kümmern. Ich kann leider momentan den Namen nicht finden. Vor einer Minute lag der Zettel noch hier.“ Marco hörte sich überfordert an.

Ellen warf Rudi einen verärgerten Blick zu. Sie hasste es, wenn über sie einfach verfügt wurde. Aber er war ein Kunde, und Kunden hatten das Recht, bis zu einem gewissen Grad Anforderungen zu stellen. „Sagen Sie Campanello, ich wüsste schon Bescheid und würde mich darum kümmern.“

Es konnte sich dabei nur um Rudi handeln. Seit sie ihn ausfindig gemacht hatte, hatte Campanello sie damit genervt, dem Mann nicht von der Seite zu weichen. Sie hatte sich gewehrt, weil sie normalerweise nicht mehr als Bodyguard arbeitete, aber nun zwang Rudi sie praktisch dazu, es doch wieder zu tun.

„In Ordnung, Miss Sheffield.“

„Ich werde versuchen, Campanello über sein Handy zu erreichen, aber falls das nicht geht, sagen Sie ihm bitte, dass ich so bald wie möglich wieder ins Büro komme. Ich habe alles unter Kontrolle. Rudi ist hier.“

„Ja, ich werde es ihm ausrichten. Ja, Rudi war der Name.“

„Danke.“ Ellen stellte das Handy aus und steckte es wieder in die Handtasche.

„Marco, ist das auch einer dieser Riesenkerle wie Frank und George?“ Rudi grinste. „Oder jemand Interessanteres?“

„Sehr viel interessanter.“ Sie musste lachen. „Er ist sechzehn, ein Freund von Campanellos Kindern. Dies ist sein erster Sommerjob. Vielleicht wächst er sich eines Tages zu einem Riesenkerl aus, aber dazu fehlen ihm noch hundert Pfund. Er ist ein netter Junge. Und Telefondienst macht er nur während der Mittagspause.“

„Ach so.“ Er beugte sich vor und nannte dem Fahrer eine Adresse, die sie leider nicht genau verstehen konnte. „Apropos Mittagspause: Haben Sie was dagegen, wenn wir auf der Fahrt lunchen? So sparen wir Zeit.“

„Nein, mir ist alles recht. Wenn Krümel auf den Polstern Sie nicht stören …“

Der Fahrer ließ sie vor einem Hochhaus heraus, das Ellen nicht kannte. Sie und Rudi stiegen in den Fahrstuhl. Ellen war in Stimmung für ein Date, aber sie zwang sich dazu, sich wie ein Bodyguard zu verhalten, ein Job, den sie schon länger nicht ausgeübt hatte. In Stimmung für eine private Verabredung mit einem Mann war sie allerdings noch länger nicht gewesen – ganz abgesehen davon, dass dies hier keine solche Verabredung war.

Als der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte, entschuldigte sich Rudi. Er müsse ein paar Telefongespräche führen. Kurz darauf hielten sie im obersten Stockwerk, und er hatte immer noch das Handy am Ohr. Als guter Bodyguard Ellen stieg als Erste aus und sah sich vorsichtig um.

Moment mal, das war ja gar nicht das oberste Stockwerk. Sie befanden sich auf dem Dach des Hochhauses in einem kleinen gläsernen Büro. Zwar kannte sie fast alle Hubschrauberlandeplätze in New York, aber dieser war ihr unbekannt. Rudi schaltete das Handy ab, nahm sie beim Arm und ging mit ihr zu dem Schalter.

„Ihr Hubschrauber steht für Sie bereit, Mr. Ibn Saqr“, sagte der Angestellte und wies aus dem Fenster.

Auf der Landefläche ließ sich gerade wie auf einen magischen Befehl hin ein weißer Hubschrauber nieder.

„Wollen wir?“ Rudi machte eine leichte Verbeugung und bot ihr den Arm.

Geflissentlich übersah sie die Geste und ging zur Tür. „Ihre Höflichkeit ist an mich verschwendet“, sagte sie und stieß die Tür auf.

Das Dröhnen der Rotorblätter machte eine Verständigung unmöglich, und so zog Rudi die Tür schnell wieder zu. In der Annahme, dass er noch etwas sagen wollte, ließ Ellen es geschehen.

„Höflichkeit ist an eine schöne Frau nie verschwendet“, sagte er mit einer erneuten leichten Verbeugung.

Sie rollte nur mit den Augen und schob die Tür wieder auf. Dieses galante Getue ging ihr auf die Nerven. Sie hatte es satt, schön zu sein, zumindest, immer nur als schön betrachtet zu werden. Sie hätte sich nicht bereit erklären sollen, mitzukommen; hätte wissen sollen, dass Rudi auch nicht anders war als all die anderen Männer, die sie kannte. Sie ging zu dem Hubschrauber und stieg ein.

Erledige einfach deinen Job, sagte sie sich. Ignorier seinen Charme. Denn der galt nicht ihr persönlich, sondern nur der Frau, die sie nach außen hin darstellte.

3. KAPITEL

Der Wind fuhr in sein langes weites Gewand, als Rudi Ellen hinterhereilte. Ihre plötzliche Kälte irritierte ihn. Was hatte er denn Schlimmes gesagt? Oder hatte er irgendetwas getan, das sie verärgerte?

Er hatte sie als schön bezeichnet. Dagegen konnte doch keine Frau etwas einzuwenden haben. Sie war schön, sehr schön sogar. Außerdem war sie klug, zuverlässig und selbstsicher. Aber er hatte auch schon gemerkt, dass sie sensibler war, als sie vorgab zu sein. Da war eine verborgene Empfindsamkeit in ihr, die von dem richtigen Mann geweckt und mit ihm gelebt werden wollte. Und er wollte dieser Mann sein.

Der Hubschrauber landete auf einem Flugplatz außerhalb der Stadt, wo Rudis Privatflugzeug stand. Ellen ließ sich widerstrebend über das Rollfeld zu der Maschine führen, die mit laufenden Motoren auf sie wartete.

„Wo müssen wir denn eigentlich hin?“, fragte sie. „Wie weit ist das entfernt?“

„Nicht sehr weit. Sie werden sich kaum angeschnallt haben, da setzen wir schon wieder zur Landung an.“

„Warum müssen wir dann fliegen?“

„Damit wir schnell da sind.“

„Sehr witzig.“ Sie kletterte an Bord.

Rudi war froh, dass die Maschine so bequem ausgestattet war. Vielleicht konnte das Ellen besänftigen. Das Flugzeug gehörte seiner Familie, um die verschiedenen Mitglieder hin und her zu transportieren, aber meistens war er der Einzige, der es benutzte. Die anderen flogen lieber mit den größeren Maschinen, die noch luxuriöser eingerichtet waren. Aber Rudi mochte diese kleine Maschine, weil er sie auch allein fliegen konnte.

Ein Korb mit Sandwiches und Obst stand bereits auf dem Tisch, wie Rudi befriedigt feststellte, als er sich sein Gewand auszog. Er hängte es über einen Sitz und ging nach vorn. Wie immer trug er unter der Djellaba schwarze Hosen und ein weißes Hemd.

„Samuel …“, er tippte dem Piloten auf die Schulter, „… alles in Ordnung?“

„Ja, wir sind startklar. Wollen Sie selbst fliegen?“

„Ja.“ Rudi nahm ihm das Klemmbrett aus der Hand. „Sie können einen Tag freinehmen oder auch die ganze Woche, wenn Sie wollen.“

Samuel lachte. „Das sollte ich vielleicht tun. Sie hauen mal wieder ab, was?“

„Ich bin mit einem Bodyguard unterwegs“, antwortete Rudi, ohne mit der Wimper zu zucken.

Ungläubig drehte sich der Pilot um und blickte in die Passagierkabine. Dann stieß er einen leisen Pfiff aus. „Schöner Bodyguard! Auf den Body würde ich auch gern mal aufpassen.“

„Es ist genau umgekehrt. Sie passt auf mich auf, und ich habe gehört, dass sie das ganz vorzüglich macht.“

„Das müssen Sie mir genauer erzählen, wenn Sie wieder zurück sind.“

Rudi ging darauf nicht ein, sondern fragte: „Haben Sie den Flugplan fertig?“

„Kaum. Ich habe ja nicht viel von Ihnen gehört.“ Er grinste. „Geht es wieder nach Santa Fe?“

„Das habe ich vor.“ Rudi beugte sich vor und fing an, die Instrumente zu checken.

„Woher kommt es, dass Sie nie in Santa Fe ankommen, auch wenn der Flugplan es vorsieht?“

Rudi richtete sich auf und sah Samuel ausdruckslos an. „Das brauchen Sie nicht zu wissen.“

„Doch. Wenn ich nun eines Tages gefeuert werde, weil ich meine Arbeit nicht richtig mache? Sie wissen genau, dass ich das Flugzeug nicht verlassen darf, auch wenn Sie fliegen. Ich sollte als Copilot mitfliegen.“

„Das machen wir doch schon jahrelang so. Bisher hat uns noch nie jemand erwischt, und das wird auch nicht passieren. Und falls man Sie feuert, dann stelle ich Sie eben wieder ein.“

„Ich bin zu teuer.“ Samuel hielt Rudis Blick stand, wandte dann aber doch die Augen ab. „Aber okay, es ist Ihre Sache. Ich möchte nur nicht darin verwickelt werden.“

„Ich tue nichts Illegales oder Unmoralisches. Ich muss nur hin und wieder einfach mal raus und frei atmen können.“

„Das verstehe ich. Aber bei den vielen Terroristen, die da in Qarif herumlaufen, macht man sich natürlich so seine Gedanken.“

Rudi nickte. „Verstehe. Deshalb nehme ich diesmal ja auch einen Bodyguard mit.“

„Aha, so ist das.“ Samuel warf Rudi einen langen Blick zu, stand dann aber auf und verließ das Flugzeug.

Rudi folgte ihm. „Wir sehen uns dann in ein paar Tagen“, sagte er leise.

„Hinter Harrisburg braut sich ein Gewitter zusammen“, sagte Samuel. „Darauf sollten Sie achten.“

„Ja, das werde ich tun.“ Rudi stieg wieder ein und zog die Tür hinter sich zu. Dann wandte er sich zu Ellen um, die ihn misstrauisch beobachtete.

„War das nicht der Pilot?“, fragte sie.

„Ich werde die Maschine fliegen.“ Rudi nahm sich einen Apfel aus dem Obstkorb und biss hinein. „Ich habe alle erforderlichen Scheine. Während meines Militärdienstes vor ein paar Jahren habe ich Fliegen gelernt. Ich selbst habe diese Maschine von Qarif hergeflogen.“

Ellen sah ihn an, als bedaure sie, mitgekommen zu sein.

„Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?“, fragte er. „Ich fliege auf alle Fälle, ob Sie nun mitkommen oder nicht. Wie ist es, fliege ich nun mit Bodyguard oder ohne?“

Sie seufzte leise und zerrte an dem wundervoll kurzen Rock. „Fliegen Sie schon. Ich bleibe an Bord.“

Rudi nickte kurz und unterdrückte ein triumphierendes Lächeln. Er konnte sich gut verstellen. Manchmal war es ihm selbst etwas unheimlich, wie perfekt er das beherrschte. Heute allerdings kam ihm diese Fähigkeit sehr gelegen.

Er überprüfte die Instrumente, setzte sich mit dem Tower in Verbindung und bekam die Starterlaubnis. Minuten später war er bereits in der Luft. Als er den Flughafen hinter sich gelassen hatte und seine Flugbahn frei war, stellte er den Autopiloten ein und ging in die kleine Passagierkabine.

Ellen starrte ihn entsetzt an. „Wer steuert denn jetzt die Maschine?“

„Der Autopilot. Zumindest so lange, bis ich mir was zu essen und zu trinken geholt habe.“ Rudi goss sich Kaffee in einen Pappbecher. „Nachher werde ich nicht mehr dazu kommen. Denn vor uns liegt ein Sturm, und den muss ich unbedingt im Auge behalten.“

„Sie meinen den hinter Harrisburg?“

„Richtig.“ Rudi hob überrascht die Augenbrauen. Was hatte sie sonst noch alles gehört hatte? „Ich kann vor Ihnen wohl nichts verbergen, was?“

Sie antwortete nicht.

Er gab Zucker in seinen Kaffee. „Sie können gern ins Cockpit kommen, wenn Sie möchten. Man hat eine viel bessere Sicht dort.“

Rudi nahm sich ein Sandwich aus dem Korb und ging wieder nach vorne. Hoffentlich nahm Ellen seine Einladung an. Er wollte mit ihr sprechen. Viel lieber wäre es ihm gewesen, wenn Samuel mitgekommen wäre und er nicht selbst hätte fliegen müssen. Aber er hatte noch nie jemanden nach Buckingham mitgenommen. Bis heute.

Ellen saß in dem weich gepolsterten Samtsitz und blickte aus dem Fenster. Dicke Wolken zogen vorbei, und sie fragte sich wohl zum x-ten Mal, was um Himmels willen sie in diesem Flugzeug tat. Sie war schon ein paar Mal mit kleinen Firmenjets geflogen, aber noch nie mit einem, der so luxuriös ausgestattet war. Perserteppiche bedeckten die übliche graue Auslegeware, und die Wände waren bis auf halbe Höhe getäfelt. Außerdem war sie noch nie in einer Privatmaschine der einzige Passagier gewesen.

Sie war zwar nicht ganz allein, denn immerhin war ihr Kunde Rudi ja auch da. Auf dessen körperliche Unversehrtheit hatte sie zu achten, ansonsten durfte ihr der Mann nichts bedeuten.

Lustlos sah sie sich die eingewickelten Sandwiches an. Vor einiger Zeit war sie noch ausgesprochen hungrig gewesen, aber inzwischen war ihr der Appetit vergangen. Das Zusammensein mit Rudi war ihr regelrecht auf den Magen geschlagen. Vielleicht lag es an der Mischung aus schlechtem Gewissen, Groll und Verlangen, die dieser Mann bei ihr auslöste.

Ellen wickelte ein Sandwich aus und schnupperte daran. Sehr frischer und würziger Hühnersalat. Vielleicht sollte sie doch eine Kleinigkeit essen. Sie goss sich einen Becher Kaffee ein. Der erste Schluck warf sie fast um. Der Kaffee war so stark, dass ein Löffel darin stehen konnte, aber gut. Sie milderte ihn etwas ab mit Sahne und Zucker – und fasste einen Entschluss.

Mit Kaffee und Sandwich beladen balancierte sie den schmalen Gang entlang zum Cockpit. Als sie eintrat, sah Rudi hoch und lächelte.

„Dann haben Sie sich also doch entschlossen, sich das Cockpit anzusehen.“ Er wies auf den Sitz rechts neben sich. „Bitte, setzen Sie sich und sehen Sie sich in aller Ruhe um.“

Ellen setzte sich vorsichtig, sehr darum bemüht, nichts weiter zu berühren. Vor ihrem Sitz befand sich eine Steuervorrichtung, die aber offensichtlich nicht eingeschaltet war. Sehr gut. Sie blickte aus dem Fenster und war fasziniert.

Sanfte Hügel waren mit einem Teppich von Bäumen bedeckt, immer wieder unterbrochen von goldenen oder leuchtend grünen Feldern, den Schlangenlinien blauer Flüsse oder den wie mit einem Lineal gezogenen Straßen. Selbst die Autos waren zu erkennen. Und nach allen Seiten hin öffnete sich Ellen der Blick in den leuchtend blauen Himmel.

Weiße Wolken begleiteten sie wie dicke, zufriedene Schafe. Aber vorne am Horizont ballten sich dunkle Wolkenmassen zusammen und schienen schnell näher zu kommen.

„Ist das der Sturm?“, fragte sie.

„Ja. Wir werden in wenigen Minuten nach Süden abdrehen, um den Sturm zu umfliegen.“ Er warf ihr einen schnellen Blick zu. „Ich fliege nicht durch Gewitterstürme, um meine Männlichkeit zu beweisen.“

Ellen lachte. „Nein, aber Sie reiten durch den Central Park auf einem geliehenen Pferd, um eine Frau zu entführen.“

„Nur aus Spaß.“ Er grinste. „Und geben Sie zu, Ihnen hat es auch Spaß gemacht.“

Sich selbst würde sie sich das vielleicht eingestehen, aber nie ihm. „Sie sind unmöglich.“

„Das ist es ja gerade, was Ihnen so gut an mir gefällt.“

Ellen ging auf diese Bemerkung nicht ein, sondern biss herzhaft in ihr Sandwich.

Eine Zeit lang flogen sie in einiger Entfernung zum Gewitter, aber Ellen hatte den Eindruck, dass das Gewitter sich schneller ausbreitete, als das kleine Flugzeug vorankam. Die Wolken bauten sich immer höher auf, so dass sie schließlich die Sonne verdeckten. Blitze zuckten durch die schwarze Wolkenmasse und schienen immer näher zu kommen.

„Schnallen Sie sich auch noch mit dem Schultergurt an“, wies Rudi sie an, da sie sich nur den Hüftgurt umgelegt hatte. Sie befolgte seine Anweisung sofort. „Wir werden dem Sturm nicht ganz ausweichen können. Er hat sich stärker entwickelt, als vorhergesagt wurde. Aber wir werden das Schlimmste vermeiden können.“

„Können wir ihn nicht überfliegen?“ Schnell faltete Ellen die Hände im Schoß, um das Zittern zu verbergen. Sie war selbst überrascht, wie nervös sie war. Bisher hatte ihr das Fliegen noch nie Probleme bereitet. Aber bisher war sie ja auch noch nie mit einem so kleinen Flugzeug geflogen, dazu noch mitten in einem Sturm und mit einem Mann, der nicht hauptberuflich Pilot war.

„So hoch können wir nicht hinauf. Selbst ein normales Passagierflugzeug hätte Probleme mit einer solchen Höhe.“ Rudi lächelte sie beruhigend an. „Keine Angst. Ich habe bisher noch keine Maschine zum Absturz gebracht.“

„Es gibt immer ein erstes Mal.“

Rudi lachte. Doch dann wurde er schnell wieder ernst, denn die Maschine geriet in ein Luftloch und verlor mit beängstigender Geschwindigkeit an Höhe.

Ellen schrie auf, während Rudi die Maschine wieder nach oben zog. Das kleine Flugzeug schlingerte, und Ellen kniff immer wieder die Augen zu und umklammerte die Armlehnen. Schreckliche Angst hatte sie eigentlich nicht, aber sie wollte auch nicht zusehen, wenn die Maschine zerschmettert wurde.

So ging es eine ganze Zeit. Das kleine Flugzeug gewann mühsam wieder an Höhe, bis der nächste Abwärtssog es ergriff und es wieder nach unten sackte. Rudi starrte geradeaus, während er gegen den Sturm anfocht, und Ellen betrachtete ihn fasziniert. In seinen Augen stand ein gefährliches Glitzern, und sie stellte sich vor, dass mit einem solchen Ausdruck in den Augen seine Vorfahren gegen die Kreuzfahrer gekämpft hatten.

Wusch! Und wieder ging es abwärts, und Ellen kniff ganz schnell die Augen wieder zu. Regen- und Schneeböen peitschten gegen die Außenwand. Ein paar Mal sah es so aus, als würden sie durch ein Wolkental ins Freie fliegen, aber dann hatte der Sturm sie wieder eingeholt, und alles begann von vorn.

Endlich wurde die Wolkendecke dünner, und schließlich flog das kleine Flugzeug wieder in hellem Sonnenschein.

Rudi atmete tief durch und schaltete den Funk ein. Die knappen Meldungen zwischen Tower und Piloten waren gespickt mit Ausdrücken, die Ellen nicht kannte. „In Richtung …“ verstand sie und „Südwest …“, aber mehr auch nicht.

„Vor uns liegt wolkenloser Himmel“, sagte Rudi und legte das Mikrofon wieder zur Seite, „auf der ganzen Strecke nach Kalifornien, wenn man den Wetterfröschen glauben darf.“

„Wahrscheinlich irren sie sich nicht.“ Ellen sah Rudi misstrauisch von der Seite her an. „Aber wir fliegen nicht nach Kalifornien.“ So viel hatte sie mitbekommen.

„Richtig.“

„Wohin denn dann?“

„Nicht nach Kalifornien.“

Ellen zählte innerlich bis drei. „Seien Sie nicht albern. Da steht Ihnen nicht. Wohin fliegen wir?“

„Das werden Sie schon sehen. Lassen Sie sich doch einfach überraschen.“

„Ich mag keine Überraschungen. Ich bin schließlich für Ihre Sicherheit verantwortlich. Was ist, wenn Terroristen Sie an Ihrem Ziel erwarten?“

„Das tun sie nicht.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

„Selbst wenn sie wüssten, wohin wir fliegen, was aber nicht der Fall ist, könnten sie nicht rechtzeitig dort sein. Und selbst wenn sie bereits dort wären, was aber auch nicht der Fall ist, hätten sie keine Chancen, weil man sie sofort ausfindig machen würde.“

Ellen runzelte die Stirn. „Warum wollen Sie mir nicht endlich sagen, wohin wir fliegen? Rudi, bitte.“

„Ja, Ellen?“ Er strahlte sie an.

„Sie machen sich über mich lustig. Und falls Sie es mir nicht sagen wollen, weil Sie glauben, ich könnte wütend werden, dann können Sie es ruhig tun. Ich bin nämlich schon wütend. Also, wohin fliegen wir?“

„Unser Ziel ist eine Überraschung.“

Nicht noch eine! „Ich hasse Überraschungen! Meistens bedeuten sie nur Ärger.“

„Aber es gibt auch schöne Überraschungen. Wie diese.“

Sie glaubte ihm kein Wort. Sie musste hier heraus, weg von Rudi. Dieser Mann machte sie wahnsinnig. Sie umklammerte die Armlehnen, um nichts Unbedachtes zu tun. Schließlich musste er das Flugzeug ja noch sicher auf den Boden bringen.

Nach einer weiteren Sekunde löste sie ihre Gurte. „Ich muss mir mal die Beine vertreten.“ Bevor ich irgendetwas Dummes tue, fügte sie innerlich hinzu.

Er nickte. „Stellen Sie doch einfach zwei Sessel zusammen und legen Sie die Beine hoch. Sie sehen erschöpft aus, als hätten Sie uns mit eigener Hand durch den Sturm lenken müssen. Ruhen Sie sich doch ein bisschen aus.“

Machte er sich etwas Sorgen um sie? Sie wusste nicht, ob sie beleidigt sein sollte oder gerührt. Auf alle Fälle reagierte er nicht so, wie sie es von einem reichen verwöhnten Playboy erwartet hätte. Aber Rudi war ja schon für ein paar Überraschungen gut gewesen. „Sind Sie nicht müde?“

„Nicht, wenn ich fliege.“ Er grinste. „Außerdem ist ein solcher Sturm für einen Passagier viel schwerer zu ertragen als für den Piloten selbst. Denn der ist wenigstens damit beschäftig, die Maschine unter Kontrolle zu halten. Er kann es sich nicht leisten, die Augen zuzukneifen und herumzujammern. Was Sie natürlich auch nicht getan haben“, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu.

Ellen stand wortlos auf und ging los, drehte sich aber noch einmal um. „Ich habe die Augen zugekniffen“, sagte sie. Sie hielt viel von Aufrichtigkeit. „Und ich kann Überraschungen wirklich auf den Tod nicht leiden!“

Da Ellen auch nach geraumer Zeit nicht wieder ins Cockpit zurückgekommen war, stellte Rudi den Autopiloten ein, denn er wollte sich vergewissern, dass mit ihr alles in Ordnung war. Sie saß in einer Ecke an die Wand gelehnt und schlief. Aber sicher nicht, weil er es vorgeschlagen hatte. Wahrscheinlich hatte sie nur aus dem Fenster sehen wollen und war dann gegen ihren Willen eingeschlafen. Sie schien es zu hassen, wenn man sie im Unklaren ließ und ihr dann auch noch Verhaltensvorschläge machte. Sie war geradezu fixiert darauf, alles unter Kontrolle zu halten.

Er ließ noch einmal den Blick über sie gleiten und riss sich dann von ihrem Anblick los, um wieder ins Cockpit zu gehen. Es ist gut, dass sie schläft, dachte Rudi, als er sich wieder anschnallte und den Autopiloten ausschaltete. Sie brauchte Schlaf, und außerdem konnte sie ihm so nicht mit der Frage nach dem Ziel auf die Nerven fallen.

Durch den Sturm war Rudi spät dran. Da er die kleine Landebahn aber unbedingt noch bei Tageslicht erreichen musste, flog er schneller, als er eigentlich wollte. Aber sonst hätte er einen Riesenumweg machen müssen, um auf dem nächsten beleuchteten Flugplatz zu landen. Glücklicherweise blieb es im Sommer ja ziemlich lange hell.

Dennoch stand die Sonne schon sehr tief, als Rudi nun die schmale Landebahn unter sich sah. Er ging tiefer. Der Windsack zeigte einen starken Südwind an, was nicht ungewöhnlich war, und Rudi kam nach nur einem kurzen Aufprall relativ problemlos zum Stehen. Doch bevor er weiter zum Hangar weiterrollen konnte, platzte Ellen in das Cockpit.

„Wo sind wir denn nun eigentlich?“

„Bei mir zu Hause.“ Rudi stellte die Instrumente aus. „In meinem Zuhause an diesem Ende der Welt. Keine Angst“, meinte er trocken, „ich habe Sie nicht in eine arabische Altstadt gebracht. In der Kasbah habe ich zwar auch ein Haus, aber ich glaube, hier gefällt es mir besser.“

„Aber Sie haben doch gesagt, Sie hätten geschäftlich zu tun.“ Sie sah ihn wütend an. Er hatte es immer für ein Klischee gehalten, aber sie war wirklich besonders schön, wenn sie wütend war.

„Das stimmt auch. Morgen früh, in der Stadt.“ Er stand auf, ging zwischen den Sitzen hindurch zur Tür und reichte ihr die Hand. „Kommen Sie?“

Er hielt den Atem an, als Ellen zwischen seinem Gesicht und seiner Hand hin- und hersah. Doch sie würde schon mitkommen. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig. Sie war auf ihn angewiesen, wenigstens momentan. Aber würde sie seine Hand, die er ihr bot, nehmen? Er zweifelte daran, aber er wollte es wenigstens versuchen.

Als sie dann mit ihren kühlen, schlanken Fingern um seine Hand glitt, durchfuhr es ihn wie ein Blitz. Er war sich Ellens Gegenwart immer bewusst gewesen, aber dieses plötzliche Verlangen nach ihr hatte er so noch nicht gehabt. Er sehnte sich nach ihr und das nicht nur sexuell. Obwohl sein Begehren schon stark genug war, wollte er noch mehr.

Er wollte, dass sie ihn bewundernd ansah, wollte ihr Lachen hören. Er wollte sich mit ihr streiten und wieder versöhnen. Er wollte morgens neben ihr aufwachen, nach einer Nacht, in der sie sich immer wieder geliebt hatten, und er wollte, dass sie ihn dann anlächelte, einfach, weil sie ihn gern hatte.

Doch ein sicheres Gefühl sagte ihm, dass er dieses Lächeln nie sehen würde, wenn er sofort mit ihr ins Bett ginge. Auch wenn es ihm noch so schwer fiele, er sollte sein Begehren zügeln und die Sache langsam angehen lassen.

„Was ist?“ Ellens Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, und er sah, dass er immer noch an der Tür stand und sie an der Hand hielt. „Werden wir irgendwann in diesem Jahrhundert das Flugzeug noch mal verlassen?“

Er musste grinsen, er liebte ihren Sarkasmus. „Kommen Sie. Ich stelle Ihnen die Eingeborenen vor“, witzelte er.

4. KAPITEL

Ellen ließ Rudi zwar die Tür des Flugzeugs öffnen, war dann aber die Erste, die ausstieg. Sie hielt ihre Tasche, in der auch ihre Pistole steckte, fest an sich gepresst, während sie die schmale Leiter hinunterstieg. Der Hangar, eine schlichte Blechhalle, war leer.

Sie ging zu dem Eingang und sah sich draußen vorsichtig nach allen Seiten um. Weit erstreckte sich das Land vor ihr. In dem bläulichen Zwielicht hoben sich im Hintergrund dunkle Berge ab, deren tafelförmige Gipfel wie abgeschnitten aussahen. Kurzes, kräftiges Buschwerk bedeckte den Boden und wirkte beinahe silbern in der Dämmerung. Die asphaltierte Landebahn ging in eine ungepflasterte Straße über, die nach Westen in Richtung der Berge führte.

Das sind wohl eher Ausläufer eines Gebirges, berichtigte Ellen sich nun selbst. Denn weiter hinten in der Ferne konnte sie die Gipfel richtig hoher Berge ausmachen, die von der untergehenden Sonne golden angestrahlt wurden. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so viel weites Land gesehen. Oder so wenig Menschen. Denn außer Rudi und ihr schien keiner da zu sein. In dieser Einsamkeit würde sie einen Terroristen sicher schon von weitem erkennen.

„Wohin haben Sie mich bloß verschleppt?“, stieß sie leise hervor.

„Wie ich schon sagte, dies ist mein Zuhause.“

Sie blickte sich um und wies auf den Hangar. „Ein hübsches Haus.“

Rudi musste lachen. „Das Haus ist dort hinten am Fuß der Hügel.“ Er wies nach Westen.

„Für Geländemärsche bin ich leider nicht ganz passend angezogen.“

„Keine Sorge. Wir werden abgeholt.“

In diesem Moment war auch schon ein Wagen zu hören. Erst sah Ellen nur die Scheinwerfer, die dann zu einem Pick-up-Truck gehörten, der über die ungepflasterte Straße rumpelte und vor dem Hangar hielt. Sie packte die Tasche mit der Pistole wieder fester und stellte sich vor Rudi. Vielleicht wusste er, wer dort in diesem Pick-up saß, aber sie wollte kein Risiko eingehen.

Der schlaksige Cowboy, der sich aus dem Wagen schob, sah zwar nicht wie ein muslimischer Terrorist aus, aber Ellen war erst beruhigt, als Rudi mit einem breiten Lächeln auf den Mann zutrat.

„Bill.“ Rudi umarmte den Cowboy und küsste ihn auf beide Wangen.

Verlegen wischte sich der Cowboy die Wangen mit dem Handrücken ab.

Rudi lachte und nahm sie beim Arm. „Dies ist Ellen Sheffield. Sie wird ein paar Tage bei uns bleiben.“

„Angenehm, Miss Sheffield.“ Bill schüttelte ihr kräftig die Hand. „Willkommen in New Mexico.“

„Ich …“ Ellen stockte. Was? Sie war in New Mexico? Das würde Rudi ihr büßen! „Ich … freue mich, Sie kennen zu lernen, Mr. …?“ Wieder hielt sie inne.

„Sagen Sie einfach Bill zu mir. Das tut hier jeder.“ Bill zog die Hand zurück und wandte sich ab.

„Mach ich. Aber ich würde trotzdem gern Ihren Nachnamen wissen.“

Ellen wusste genau, dass Rudi sich prächtig amüsierte, als Bill sich jetzt wieder umdrehte und erst sie und dann ihn verblüfft ansah.

„Verdammt, Junge“, brummte er missmutig. „Wenn du schon so lange gewartet hast, bevor du endlich mal eine Frau mitbringst, hättest du dir auch eine aussuchen können, die nicht so zickig ist.“

„Ich bin als Bodyguard hier“, sagte Ellen schnell. „Dass ich eine Frau bin, ist dabei vollkommen unerheblich. Und ich weiß immer noch nicht, wie Sie mit Nachnamen heißen.“

„Chandler.“ Bill sah sie langsam von oben bis unten an. Er grinste kurz und wandte sich dann an Rudi. „Hast du dein übliches Gepäck mit?“

„Ja.“ Rudi nahm Ellen, die immer noch die Tasche umklammert hielt, beim Arm und ging mit ihr zum Auto. „Alles so weit in Ordnung, Bill?“

„Ja. Wir haben nur wie immer viel zu wenig Regen.“ Bill setzte sich hinter das Steuerrad und wartete.

Ellen blickte zu der Beifahrertür hoch und runzelte die Stirn. Sie war bisher noch nie mit einem Wagen dieses Typs gefahren, und fand es sehr unbequem, denn es war schwierig, in einem Kleid einzusteigen, vor allem in einem so kurzen engen Kleid, wie sie es trug.

„Soll ich Ihnen helfen?“, murmelte Rudi.

„Nein.“ Sie hob einen Fuß, hielt aber mitten in der Bewegung inne, weil der Kleidersaum gefährlich nach oben rutschte.

Rudi lachte leise, legte ihr wortlos die Hände um die Taille und hob Ellen auf die Sitzbank, bevor er selbst hinterherkletterte.

„Danke, mein Sohn“, sagte Bill und ließ den Motor an. „Ich hatte schon Angst, wir müssten hier übernachten, weil Miss Bodyguard nicht weiß, wie man in einen Lastwagen steigt.“

Ellen ging nicht darauf ein. Sie kannte solche Typen. Sie waren es nicht wert, dass man auch nur ein Wort an sie verschwendete.

„Wie geht es der schönen Annabelle?“, fragte Rudi.

„Sie freut sich schon, dich zu sehen. Aber das wird nichts vor morgen. Sie hat dir aber was zum Abendbrot hingestellt.“ Bill umfuhr vorsichtig eine tiefe Furche und fügte hinzu: „Ich vermute, es wird genug für euch beide sein, auch wenn Annabelle nur mit einer Person gerechnet hat.“

Annabelle? Ellen unterdrückte ihren ersten Impuls und sah Rudi nicht irritiert an. Diese Blöße wollte sie sich nicht geben. Wenn er hier in New Mexico eine Geliebte hatte, war das seine Sache. Sie war nur sein Bodyguard.

„Das ist ja entsetzlich“, sagte Rudi. „Erst morgen kann ich meine Annabelle wieder sehen? Wie soll ich es ohne sie so lange aushalten?“

Bill schnaubte. „Vielleicht hast du mich so wenig auf der Rechnung, dass du glaubst, einfach mit meiner Frau flirten zu können. Aber Miss Bodyguard wird dir schon Bescheid geben!“

Rudi lachte.

Annabelle war Mrs. Chandler? Ellen zwang sich weiterhin, Rudi nicht anzusehen. Ihr konnte es egal sein, wer diese Annabelle war. Rudis Flirts gingen sie nichts an. Bei ihr, Ellen, würde er sowieso nicht landen. Sie war nur aus einem einzigen Grund hier. Sie hatte eine Aufgabe zu erfüllen, und das würde sie tun.

„Wie weit ist es bis zu dem Haus?“, fragte sie.

„Noch ein paar Meilen“, sagte Bill.

„Wie ist das Haus gesichert?“

„Ausreichend.“ Rudi legte hinter ihr den Arm auf die Rücklehne, und sie rückte sicherheitshalber ein Stück nach vorn. „Bewegungsmelder mit akustischen Signalen benutze ich nicht, um Tiere nicht zu erschrecken, aber alles andere ist installiert. Ungesehen kann man sich dem Haus nicht nähern.“

„Gut.“ Ellen nickte. Wenn sie sich ganz auf ihren Job konzentrierte, dann würde sie Herr der Lage bleiben.

„Machen Sie sich keine Gedanken.“ Rudi lächelte sie an. „Hier besteht keine Gefahr. Terroristen verirren sich nicht hierher.“

Wahrscheinlich hatte er recht. Sie konnte sich hier in der Wüste von New Mexico auch keine Terroristen vorstellen. Aber sie musste immer auf alles gefasst sein.

Sehr aufrecht saß sie zwischen den beiden Männern. Der Wagen ruckelte und wackelte auf der unebenen Straße, und sie hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Rudi hatte den Kopf gegen das Fenster in der Rückwand gelehnt und schien zu schlafen. Offenbar machte ihm das Holpern nichts aus.

Bill war so schweigsam, wie man es Cowboys nachsagte. Den Rest der Strecke waren jedenfalls nur der Motor zu hören und hin und wieder Rudis leises Schnarchen.

Es war schon beinahe Nacht, die Berge am Horizont hoben sich schwarz gegen den nachtblauen Himmel ab, die ersten Sterne funkelten, als der Wagen schließlich eine befestigte Straße erreichte und scharf nach links abbog. Ein paar Minuten später gingen Lichter an, vermutlich von Bewegungsmeldern gesteuert, und beleuchteten ein weites Areal, in dessen Mitte Rudis Haus lag.

Ellen riss die Augen auf. Das war keine Hütte in den Bergen. Das war ein großes Herrenhaus wie Tara in dem Roman „Vom Winde verweht“. Es lag direkt am Fuß der Bergausläufer. Halb Glaspalast, halb Blockhaus wirkte es wie mit der Landschaft verwachsen. Es hatte etwas ebenso Offenes wie Geschlossenes und passte genau in diese Wildnis. So etwas hätte sie sich nie träumen lassen, und sie hatte doch eine sehr lebhafte Fantasie.

Bill hielt vor der Treppe, die zu der breiten vorderen Veranda führte. Rudi fuhr hoch und sah sich verwirrt um.

„Wir sind da“, sagte Bill. „Brauchst du noch irgendwas?“

„Nein, danke.“ Rudi öffnete die Beifahrertür und stieg aus. Dann streckte er die Hand aus, um Ellen beim Aussteigen zu helfen.

Doch sie übersah diese Geste geflissentlich. Er spielte ihr bestimmt nur etwas vor, um sie einzufangen. Sie kannte solche Spielchen, solche Tricks, weil sie sie manchmal selbst anwandte. Wenn, dann war sie es, die die Zügel in der Hand hatte. Einfangen ließ sie sich nicht.

„Die Schlüssel liegen da, wo sie immer sind“, sagte Bill, der sitzen geblieben war. „Das Auto ist getankt und fahrbereit.“

„Danke, Bill. Bis morgen dann.“ Rudi schloss die Tür, und Bill fuhr davon.

Rudi verbeugte sich leicht vor Ellen und wies zur Treppe. „Wollen wir hineingehen?“

„Wer weiß, dass Sie hier sind?“

„Außer meiner Familie und den Chandlers?“ Rudi ging neben ihr die Treppe hoch, führte sie zur Vordertür und schloss auf. „Nur Ihr Büro.“

Ellen trat ein, fand schnell den Lichtschalter und knipste das Licht an. Die schussbereite Pistole in der Hand, sah sie sich um. Sie konnte von der Tür aus fast das ganze Stockwerk überblicken. Die Nordwand wurde von einem großen Kamin beherrscht, der aus Natursteinen gemauert war. Auf der Westseite lag die Küche, deren Schränke gut zu den naturbelassenen Holzwänden passten. Den Flur hinunter auf der Südseite lagen wahrscheinlich Schlafräume. Der riesige Raum vor ihr hatte massive bequeme Möbel und war in einen Ess- und einen Wohnbereich aufgeteilt.

Schnell inspizierte Ellen die anderen Räume im Parterre – Rudis Schlafzimmer mit dem Bad daneben und vier Gästezimmer. Um das Haus herum zog sich eine breite Veranda. Ellen trat hinaus und hob sicherheitshalber die Abdeckung von dem Whirlpool, der direkt vor Rudis Schlafzimmer lag.

„Alles in Ordnung?“, fragte Rudi, als sie wieder nach vorn gekommen war, und nahm eine Auflaufform aus dem Ofen.

„Momentan ja.“ Ellen steckte die Pistole wieder ein. Sie musste plötzlich lächeln. „Sie sehen wirklich süß aus mit den Küchenhandschuhen. So natürlich.“

„Oh, vielen Dank.“ Er verbeugte sich charmant.

Ellen wünschte, sie hätte nichts gesagt. Irgendwie sah er mit den albernen Handschuhen noch männlicher aus, wahrscheinlich wegen des Kontrastes. Unter seinem eng anliegenden Hemd zeichneten sich die breiten Schultern und die gut ausgebildeten Armmuskeln ab. Besaß der Mann denn kein Hemd in einer passenden Größe?

Rudi setzte die Auflaufform auf den Tisch. „Haben Sie Hunger?“

Autor

Jule Mc Bride
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Gail Dayton
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