Tiffany Exklusiv Band 67

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WO HAST DU DAS GELERNT? von DREW, JENNIFER
Schneesturm, alle Flüge sind gestrichen! Kim und Rick versuchen gemeinsam, nach Phoenix zu kommen. Das Wetter zwingt sie, nicht nur Bus und Bahn, sondern auch das Bett zu teilen … Es wird eine höchst erotische Traumreise durch Amerika! Doch bald naht der Abschied …

LIEBE VERBOTEN? von EAMES, ANNE
Keine Affäre mit dem Boss! Das ist oberstes Gesetz in der Firma von Cash Cunningham. Doch dummerweise ist er selbst nicht in der Lage, sich an seine eigenen Richtlinien zu halten, denn seine neue Personalchefin, die hinreißende Carrie, hat ihn ganz und gar verzaubert!

DIE JAHRTAUSEND-PARTY von HOFFMANN, KATE
In der Silvesternacht soll Maggies Verlobung mit Colin bekannt gegeben werden. Doch Colin macht sich mit einer anderen aus dem Staub - traurig sinkt Maggie in die Arme ihres besten Freundes Luke und glaubt zu träumen: Seine zärtlichen Küsse erregen sie maßlos …


  • Erscheinungstag 20.11.2018
  • Bandnummer 67
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753009
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennifer Drew, Anne Eames, Kate Hoffmann

TIFFANY EXKLUSIV BAND 67

1. KAPITEL

Sie war ein wandelnder Gepäckkarren.

Kim Grant zog ihren vollgepackten Rollenkoffer mit einer Hand hinter sich her und trug in der anderen einen alten Hartschalenkoffer vom Trödelmarkt. Alle paar Schritte rutschten ihr die Träger ihres Matchbeutels von der Schulter, und die Umhängetasche mit den Flugtickets, die sie sich um den Hals gehängt hatte, schlug gegen ihre Brust.

Ein freundlicher Nachbar, Ben, hatte sie durch das morgendliche Schneegestöber zum Flughafen gefahren und sie vor den Ticketschaltern des Flughafens von Detroit um sechs Uhr früh abgesetzt. Kim lächelte und dachte an den süßen Abschiedskuss. Fast hätte sie sich gewünscht, dass sie nicht fliegen würde, und tatsächlich sah es ganz so aus, als würde ihr Flug ausfallen. Ben war schon lange fort, als sie erfuhr, dass ihr Flugzeug nicht starten würde. Der eisige Wind hatte Schnee auf die Rollbahnen geweht, und deshalb waren alle Flüge abgesagt worden.

Und da sie nun auf dem Weg nach Phoenix, ihrer Heimatstadt, war, war dieser Aufschub doppelt ärgerlich. Ihre Wohnung in Detroit war leer, ihre Möbel aus dem Trödelladen verkauft oder verschenkt, und der Schlüssel war wieder beim Vermieter. Es gab für sie nichts mehr in dieser Stadt zu tun, außer dass sie versuchte, nach Arizona zu kommen.

Sie musste so schnell wie möglich zu ihrer Schwester. Es war das erste Mal, dass Jane sie wirklich brauchte. Luke Stanton, Janes Mann, war in Afrika, um den Bau einer Niederlassung der Sportartikelfirma zu überwachen, die er für seinen Großvater leitete. Er war nur widerwillig gefahren, denn Jane war zum zweiten Mal schwanger; dieses Mal erwartete sie Zwillinge – Mädchen. Kim war sich sicher, dass Luke so schnell wie möglich nach Hause kommen würde, wenn er von Janes Problemen bei der Schwangerschaft wüsste. Aber Jane war zu starrköpfig, um Lukes Reise zu unterbrechen, indem sie etwas sagte.

Nur hatte sie leider Kim erzählt, dass der Arzt ihr viel Ruhe verschrieben hatte. Jane hatte eine Haushälterin, aber sich um den vierjährigen Peter zu kümmern war schon ein echter Liebesdienst. Kim betete ihren Neffen an, obwohl er mehr oder weniger wie ein Klon des wilden Mannes wirkte, der sein Vater gewesen war, ehe die Liebe ihn gezähmt hatte. Der kleine Teufelskerl kletterte so leicht auf Bäume, wie er Treppen stieg, und er nahm das Wort „nein“ als persönliche Herausforderung.

Es machte Kim nichts aus, ihren Job als Leiterin von Computerkursen aufzugeben. Sie vermisste Phoenix mit seiner goldenen Sonne und dem trockenen Wüstenklima, aber vor allem wollte sie näher bei ihrer Schwester sein. Deshalb war es die reine Freude für sie, dass sie endlich etwas für ihre Schwester tun konnte. Jane hatte sie nach dem frühen Tod ihrer Eltern aufgezogen und ihr durch sämtliche Krisen geholfen, die ein Teenager durchzustehen hat, und sie hatte dafür gesorgt, dass sie den Abschluss auf dem College machte.

Kim sehnte sich danach, Peter wiederzusehen, auch wenn er beim letzten Besuch Sand in ihren Koffer geworfen oder mit ihrem Lippenstift den Badezimmerspiegel beschmiert hatte. Nun war sie auf solche Streiche vorbereitet. Mit ihrer Hilfe würde Jane die Ruhe bekommen, die sie brauchte, und sie, Kim, würde das Vergnügen haben, Lukes Sohn zu zähmen.

Aber erst einmal musste sie nach Phoenix kommen. Es gab nur eine Möglichkeit, eine Maschine dorthin zu kriegen: sie musste zu einem anderen Flugplatz.

Die Rolltreppe lag vor ihr und war zum Glück gerade frei, sodass Kim genug Zeit hatte, ihre Koffer auf die abwärtsfahrenden Stufen zu stellen. Sie stellte den Rollkoffer auf eine der sich bewegenden Stufen und lud den anderen Koffer obenauf, drückte die Umhängetasche an sich und hüpfte etwas zu spät auf die Stufe hinter ihrem Gepäck. Sie schaffte es nicht, mit beiden hochhackigen schwarzen Lederstiefeln auf eine einzige Stufe zu gelangen, und zudem wickelte sich ihr langer Rock um ihre Knöchel. Kim fiel nach vorne und fasste instinktiv mit der Hand, die den alten Koffer in der Balance hielt, nach dem Handlauf der Rolltreppe.

„Oh nein!“, rief sie.

Der alte Koffer fiel von seinem schwankenden Posten und sprang beim zweiten Aufprall auf, sodass der gesamte Inhalt herausfiel. Kim sah, wie ihre Seidenwäsche in einem weiten Bogen auf die Stufen segelte.

Sie konnte nichts tun; ihr großer Rollenkoffer stand ihr im Weg. Ihre Dessous folgten dem verflixten anderen Koffer – dem vom Flohmarkt – und sammelten sich am Fuß der Rolltreppe zu einem kleinen Berg an.

Kim wäre beinahe gestürzt, als sie hastig versuchte, ihre Unterwäsche aufzuheben, konnte sich aber gerade noch festhalten. Sie schob den Rollenkoffer mit einem Tritt beiseite, ging auf die Knie und war so intensiv mit der Rettung ihrer Habe beschäftigt, dass sie um ein Haar ein Paar langer Beine übersehen hätte, die in kakifarbenen Jeans steckten.

„Darf ich Ihnen helfen?“, fragte die zu den Beinen gehörende Stimme.

Kim stopfte gerade einen pfirsichfarbenen Slip in ihre Jackentasche und war viel zu verlegen, um den Mann mit der tiefen Stimme anzuschauen, von dem dieses Angebot stammte. Er stand auf einem silbern schimmernden BH, den Kim unter seinen Stiefeln wegzupfte.

„Danke, aber ich schaffe es schon alleine.“ Sie hielt ihr Gesicht abgewandt und fragte sich, was in sie gefahren war, als sie sich den schwarz-weiß gestreiften Slip gekauft hatte.

„Keine Ursache. Es wäre zu schade, wenn die Leute auf Ihren Sachen herumtrampeln würden.“

Sie folgte seinem Blick zum oberen Ende der Rolltreppe, wo bereits mehrere Leute standen. Ihr Retter nahm den lädierten Flohmarktkoffer und stopfte Kims Dessous hinein. Es sprach für ihn, dass er sie nicht allzu genau betrachtete, außer als er ihr schwarzes Spitzenhemdchen zu falten versuchte.

„Es ist zum Schlafen“, sagte Kim hochrot.

Die Leute waren die Treppe schon halb hinabgefahren. Kim griff verzweifelt nach den restlichen Kleidungsstücken und konnte gerade noch rechtzeitig zur Seite treten, als drei grölende junge Männer in schwarzroten Jacken über die letzte Stufe sprangen. Kim wandte ihnen den Rücken zu und überhörte ein anerkennendes Pfeifen, bis sie endlich in ein Paar elektrisierender blauer Augen sah. Ihr Retter in der Not war wirklich ein toller Mann!

Von seinem Finger hing ein feuerroter G-String, den er wie eine heiße Kartoffel fallen ließ und dabei den Koffer verfehlte, als Kim ihn ansah. Sie schnappte sich das Teil vom Boden und knüllte es zusammen, weil sie es in die Tasche stecken wollte. Sie überlegte es sich aber anders und warf es mit den restlichen Sachen in den Koffer. Zu ihrer Erleichterung hielt der altmodische Verschluss, nachdem sie den Deckel zugeklappt hatte.

„Ich kann Ihnen gar nicht genug danken“, sagte sie und versuchte, die Sache herunterzuspielen, obwohl ihr das Ganze ausgesprochen peinlich war.

„Kein Problem. Kann ich Ihnen bei dem Gepäck helfen?“

Der Fremde schob sich eine Strähne seines dunkelblonden Haares aus der Stirn, wodurch Kim sein ausgesprochen hübsches Gesicht mit dem markanten Kinn sah.

Immer boten ihr die Männer Hilfe an. Ihre Schwester meinte, es wäre, weil sie so verletzlich aussah, aber Kim wusste, dass sie nicht hilflos war. Sie hatte nur die unglückliche Tendenz zu stolpern, zu stürzen und auszurutschen. Sie arbeitete daran, das zu ändern, aber manchmal ging es noch schief. Wie eben heute.

„Tausend Dank, aber ich reise nie mit mehr Gepäck, als ich selber tragen kann.“

Natürlich wäre etwas Hilfe ganz nett, aber wie konnte sie ihren Koffer einem Mann geben, der gerade ihre Unterwäsche in der Hand gehabt hatte? Im Moment war Kim viel zu sehr damit beschäftigt, seine von langen Wimpern umgebenen Augen zu mustern, die sie skeptisch ansahen.

„Okay, aber Sie werden doch wohl nicht dieses Ding da hinter sich herziehen wollen.“ Er zeigte auf ihre dunkelblaue Strumpfhose, die aus dem Koffer quoll.

Dann ging er und ließ Kim zurück; noch einmal öffnete sie den Koffer und stopfte die Strumpfhose in das Durcheinander, damit sie sich nicht wieder verfangen würde. Kim hatte nicht die Nerven, um die vielen Reisenden anzusehen, die in alle Richtungen davoneilten, und um sich zu fragen, wie viele von ihnen die öffentliche Zurschaustellung ihrer ausgefallenen Unterwäsche mitbekommen hätten.

Vollkommen erschlagen von ihrem Gepäck, ging sie zu den Schaltern der Autovermietungen. Wenn sie jetzt schnell loskäme und die Straßen frei wären, könnte sie nach Chicago fahren und den letzten Flug nach Phoenix nehmen.

Am ersten Schalter gab es keine Warteschlange, weshalb Kim sich dort anstellte. Leider verkündete ein Schild, dass zurzeit keine Fahrzeuge zur Verfügung standen.

Beim zweiten Schalter war ihr breitschultriger Retter zwei Plätze vor ihr in einer langen Schlange. Da die Straßen vermutlich vereist sein würden und mit weiterem Schneefall zu rechnen war, wollte sie das bestmögliche Auto.

Zum Glück bekam sie mit, wie die Person ganz vorn in der Schlange mit dem Hinweis weggeschickt wurde, hier gäbe es nur reservierte Wagen. Kim lief zum letzten Schalter.

Unterwegs sah sie über ihre Schulter und bekam mit, wie ihr Retter gleichfalls zum Schalter der Econo-Cars ging. Hätte er vorhin nicht angehalten, um ihr zu helfen, hätte er vielleicht längst einen Wagen bekommen und wäre schon unterwegs. Kims Gewissen sagte ihr, dass sie ihn eigentlich vorlassen sollte, aber es war ihre letzte Chance, eine der billigen Kisten zu mieten. Sie musste einfach nach Phoenix. Ihre große Schwester brauchte sie.

Himmel, war der Typ schnell! Kim lief, so schnell sie konnte, ihre Umhängetasche schlug ihr gegen die Brust, und der Riemen schnitt in ihren Hals; der Koffer mit den wackeligen Rollen schwankte hinter ihr her.

Kim konnte gerade noch einen Zusammenstoß mit dem Gepäckkarren vermeiden, den ein Kind vor sich herschob. Der Kleine hatte hellblonde Haare wie Peter, und wieder sehnte Kim sich danach, ihren Neffen zu sehen.

Von dem kleinen Kerl abgelenkt, hatte sie den Abstand zwischen sich und ihrem Mitbewerber schrumpfen lassen. Sie vergaß, dass er vorhin bei ihr den barmherzigen Samariter gespielt hatte, und lief zum Schalter, wo sie gleichzeitig mit ihm ankam.

„Ich war zuerst da“, keuchte sie, nestelte den Gurt ihrer Umhängetasche aus dem Haar und knallte die schwere Tasche auf den Tresen. „Hier ist meine Kreditkarte.“ Sie suchte noch danach, als ihr attraktiver Retter von vorhin dazwischenfuhr.

„Ich war vor Ihnen da“, sagte er. „Aber wenn Sie es so eilig haben, lasse ich Sie gern vor.“

„Sir, wir haben leider nur noch einen Wagen“, erklärte die Frau hinter dem Schalter.

„Ich nehme ihn“, sagte der Kerl mit einem Lächeln, das diese Frau bezirzen sollte, ihm den Schlüssel zu geben.

„Warten Sie!“ Kim hielt ihm ihre Tasche vor das Gesicht. „Ich war zuerst da. Ich stand hier schon am Schalter, als er noch einen Schritt entfernt war.“

„Tut mir wirklich leid“, meinte die Blondine. „Dieser Herr hat sich bereits für unseren letzten Wagen entschieden.“

„Rufen Sie bitte Ihren Vorgesetzten“, sagte Kim, die keine Lust hatte, mit einer Frau zu diskutieren, die ihren männlichen Kunden mit riesengroßen Augen ansah.

„Das wird auch nichts ändern.“ Miss Supersüß hörte sich an, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.

„Vielleicht rufen Sie ihn doch, damit es hier vorangeht“, schaltete sich Kims Konkurrent ein. „Ich muss eine Verbindung in Chicago kriegen, ehe der Sturm alle Inlandsflüge unmöglich macht.“

„Chicago! Dahin will ich auch. Vielleicht können wir uns zusammentun“, schlug Kim vor, ohne zu bedenken, dass der Mann ja auch ein Serienmörder, ein Betrüger oder ein mieser Fahrer sein könnte.

„Das glaube ich nicht.“

„Ich zahle auch die Hälfte – nein alles. Bitte, ich muss dringend nach Phoenix. Meine Schwester erwartet Zwillinge und …“

„Jetzt erzählen Sie mir bloß nicht, sie erwartet, dass Sie die Kinder zur Welt bringen!“, meinte er, zeigte seine Kreditkarte und klappte die Brieftasche wieder zu.

Er ging aufs Ganze. Kim senkte ihre Lider und bedachte ihn mit dem Blick eines verwundeten Vogels, was normalerweise Wirkung stets zeigte. Darauf war sie nicht gerade stolz, aber in ihrer Verzweiflung wusste sie sich nicht anders zu helfen.

Er übersah Kims Anstrengung, so bemitleidenswert wie möglich auszusehen, und wandte ihr die Schulter zu.

„Miss, ich bestehe darauf, dass Sie Ihren Chef holen“, sagte Kim. Sie hatte angeboten, sich den Wagen zu teilen. Was konnte sie sonst noch tun?

Ein rundlicher Mann mit metallgefasster Brille und Doppelkinn kam aus einer Tür, an der ein Schild mit der Aufschrift „Geschlossen“ hing.

„Sir“, sprudelte Kim los, „hier liegt leider ein Missverständnis vor. Ich hasse es, Ihnen Umstände zu machen, aber ich war wirklich zuerst am Schalter. Mir steht der letzte Wagen zu.“ Sie stockte, denn das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber sie brauchte diesen Wagen dringend.

„Haben Sie gesehen, wer zuerst am Schalter war, Miss Wheeler?“, fragte der Vorgesetzte. Sein Kinn wabbelte und verdeckte den Knoten seiner Firmenkrawatte, als er Kim von Kopf bis Fuß musterte. Sein Blick blieb die gewohnten Extrasekunden auf ihren spektakulären Brüsten, die unter der offenen schwarzen Regenjacke zu ahnen waren.

„Ich muss dringend nach Chicago und meinen Anschlussflug nach Phoenix erreichen. Meine Schwester ist schwanger, und sie muss viel liegen, damit sie keine Frühgeburt erleidet. Ihr Mann ist nicht da, und ich muss mich um ihren kleinen Jungen kümmern und aufpassen, dass sie sich schont.“

Kim erzählte ihre Geschichte in einem wahren Wortschwall und musste dabei tief Luft holen, sodass ihr rosa Kaschmirpullover über ihren Brüsten spannte.

„Dieser Herr war zuerst da“, beharrte Miss Wheeler, wobei sie mit ihren silbern geschminkten Augenlidern klimperte.

„Unsere Devise ist, wer zuerst kommt, wird zuerst bedient“, entgegnete Mr. Doppelkinn bedauernd.

„Es war ein Rennen ohne Sieger, würde ich mal sagen“, meinte Kims Mitbewerber. Er schob ihre Tasche zur Seite und legte seine Kreditkarte in die begierig wartenden Finger mit den roten Nägeln. „Sie können mit mir fahren“

„Wunderbar! Ich danke Ihnen! Ich nehme den Betrag auf meine Karte.“ Wieder kramte Kim in ihrer Tasche.

„Lassen Sie. Sie können ja das Frühstück bezahlen, wenn wir aus dem Sturm heraus sind. Wir müssen uns beeilen. So wie es jetzt schneit, werden sie bald den Interstate Highway 94 sperren.“

Kim seufzte erleichtert. Sie würde wie versprochen zu ihrer Schwester kommen.

Der Schreibkram schien ewig zu dauern, und Rick wusste, dass Geduld keine Eigenschaft der Taylors war. Er musste dringend nach Phoenix, aber der Schnee und die durcheinander gepurzelte Unterwäsche hatten sich verschworen, um ihn aufzuhalten. Jetzt hatte er eine alte Kiste gemietet, bei der es fraglich war, ob sie es bis nach Chicago schaffte. Und noch schlimmer, er hatte eine wandelnde Katastrophe als Reisegefährtin dabei.

Er lächelte automatisch die Frau hinter dem Schalter an und widerstand dem Drang, ihr das Formular wegzunehmen und es selber auszufüllen. Vielleicht eine Überreaktion, aber sein Bruder hatte schon eine Katastrophen-Ehe hinter sich. Nun rauschte Brian geradewegs in eine zweite, als hätte er nichts aus der kostspieligen Scheidung und den beiden strapaziösen Affären gelernt, die danach gekommen waren.

Rick kam fast um vor Ungeduld. Er zog seinen Führerschein heraus und übersah die ziemlich plumpe Anmache der Angestellten. Wann würde sein Bruder endlich begreifen, dass es kein immerwährendes Glück gab? Ihre Eltern waren ein Paradebeispiel: Sie hatten zehn Anläufe gemacht, und das Spielchen ging immer noch weiter.

Rick trat von einem Fuß auf den anderen; er platzte vor Ungeduld, versuchte aber, ruhig zu bleiben. Wieso hatten sie die Einladungen zur Hochzeit nicht früher verschickt? Vielleicht hatte Brian sie ja absichtlich zurückgehalten, damit der große Bruder keine Zeit mehr hätte, dem glücklichen Paar Vernunft zu predigen. Sturm hin oder her, er musste noch vor der Zeremonie in Phoenix sein und Brian die Hochzeit ausreden. Wenn Brian die Hochzeit dann nicht absagte, so würde Rick zumindest doch darauf achten, dass sein Bruder einen Ehevertrag abschloss, ehe er sich trauen ließ. Rick hatte sogar schon einen Anwalt aufgesucht, der den Vertrag aufgesetzt hatte.

Jedenfalls musste er vor der Hochzeit in Phoenix sein.

Sobald die Formalitäten erledigt waren, legte Rick sich den Riemen seiner Reisetasche über die Schulter, und schnappte sich den Matchbeutel seiner Reisegefährtin. Widerwillig griff er auch nach dem Koffer, der die Rolltreppe hinuntergepoltert war.

„Kommt mir jetzt gleich eine Ladung Unterwäsche entgegen?“ Er besah den Koffer voller Misstrauen und dachte daran, wie die weiche, sexy Unterwäsche herausgefallen war.

„Nein, das Schloss ist nicht kaputt, aber ich kann mein Gepäck selber …“

„Ich habe es eilig, Miss – wie heißen Sie eigentlich?“

„Kim Grant.“

„Ich bin Rick Taylor.“

Er strebte dem Parkplatz zu. Hoffentlich würde die Karre, die er gerade gemietet hatte, die dreihundert Meilen zum O’Hare Airport in Chicago schaffen.

Rick hatte keine Mühe, den Wagen zu finden. Es war der Einzige, der auf dem Parkplatz stand.

Ricks unerwünschte Begleiterin lachte angesichts des lavendelfarbenen Dinosauriers. „Es ist ein schwerer Wagen. Nicht schlecht auf dem Highway“, meinte sie.

„Stimmt, es war ein guter Gebrauchtwagen, als mein Vater so einen wie den da für seine zweite Frau gekauft hat. Jetzt ist er bei Ehefrau Nummer fünf.“ Er öffnete die Heckklappe, froh, den Koffer mit den Spitzenslips und Seiden-BHs außer Sichtweite zu haben – und hoffentlich auch aus dem Kopf. Vorhin, als er Kim beim Einsammeln der Sachen half, war ihm ganz schön heiß geworden.

„Du liebe Güte, fünf Frauen! Welche davon war denn Ihre Mutter?“

Taktgefühl war nicht Kims starke Seite, wie Rick feststellte. „Jeder braucht ein Hobby.“ Es war seine übliche Antwort auf die Kommentare zum Frauenverschleiß seines Vaters. „Meine Mutter war Nummer eins. Haben Sie denn keine Angst, mit einem fremden Mann zu fahren?“

Er schlug den Kofferraumdeckel zu und sah die aufregende, aber nervige Frau an, die ihn dazu gebracht hatte, dass er sie mitnahm. Waren ihre Augen wirklich grün? Wohl nur ein Trick der Beleuchtung, aber an ihrem dichten schwarzen Haar und der frechen Stupsnase konnte er nichts aussetzen. Eigentlich entsprach sie äußerlich genau dem Typ, der ihn anzog, wenn er Zeit für Frauen hatte. Leider erwartete sie vermutlich, Mr. Right zu ehelichen und mit ihm auf ewig glücklich zu werden. Solche Frauen mied er, wo er konnte.

„Sind Sie ein Axtmörder?“, fragte sie und wartete, dass er endlich die Beifahrertür öffnete.

„Möglich.“

„Na ja, ich habe ein paar Kurse Selbstverteidigung gemacht, und das hier sind tödliche Waffen.“ Sie machte einige Bewegungen mit ihren zarten Händen, die in Lederhandschuhen steckten.

Rick hatte fast die ganze Nacht wach gelegen und sich wegen Brian aufgeregt. Um vier war er wegen eines Fluges aufgestanden, der dann abgesagt worden war. Danach hatte er für eine Frau den Kavalier gespielt, die auf der Rolltreppe ihre Unterwäsche verstreut und danach versucht hatte, ihm den letzten Mietwagen zu stehlen. Es reichte jetzt. Mit einem schnellen Griff fasste er Kim um die Schenkel und hob sie sich auf die Schulter, was ihm einen kleinen Protestschrei ihrerseits einbrachte.

„Sagen Sie mir, wenn Sie gefährlich werden“, spottete er und hoffte, dass sie davon Abstand nehmen würde, mit ihm zu fahren.

„Lassen Sie mich runter!“

„Wie heißt das Zauberwort?“

„Bitte.“

Langsam ließ er sie heruntergleiten und genoss den engen Körperkontakt mehr, als für seinen Seelenfrieden gut war.

„Es ist eine ganz schlechte Idee, mit fremden Männern zu fahren. Soll ich Ihr Gepäck wieder ausladen?“

„Nein. Und ich fahre zuerst.“

„Danke – nein.“

„Okay, dann fahren Sie bis zum Highway. Aber wir wechseln uns ab.“

„Ich fahre. Steigen Sie ein. Wir haben schon genug Zeit verschwendet.“

Er schloss die Beifahrertür, nachdem sie auf den roten Ledersitz geklettert war. Er holte tief Luft und setzte sich ans Steuer.

„Sie erwarten also, dass ich Ihren Fahrkünsten vertraue, aber meinen trauen Sie nicht?“

Sie hörte sich beleidigt an. Das war gut. Wenn sie schmollte, würde er sich kaum vorstellen können, wie sie in dem rosa Slip oder dem schwarzen Spitzenhemd aussehen würde.

In der kurzen Zeit, die sie brauchten, um auf den Highway zu kommen, merkte Rick, dass Kim das geringste seiner Probleme sein würde. Es war nämlich ein ziemlicher Sturm, und Rick war an die Winter im Norden nicht gewöhnt. Ein Sattelschlepper überholte ihn; dem Fahrer schien weder die glatte Fahrbahn noch der Schnee etwas auszumachen, der über die Straße wehte. Rick und Kims lavendelfarbener Dinosaurier vibrierte, hielt aber die Spur, und Rick war froh, dass er keinen leichten Kleinwagen fuhr.

„Wo ist eigentlich Ihr Wagen?“, fragte Kim.

„Mein Wagen?“ Gerade wollte Rick einen Lieferwagen überholen, aber ein weiterer Sattelschlepper näherte sich ziemlich schnell auf der linken Spur.

„Sind Sie denn nicht mit Ihrem Wagen zum Flughafen gefahren?“, fragte sie.

„Ich habe den Fahrdienst vom Hotel in Anspruch genommen.“

„Ach, Sie wohnen wohl nicht hier?“

„Brillante Schlussfolgerung.“ Okay, er war schlecht gelaunt, aber er musste sich aufs Fahren konzentrieren.

„Geht mich ja auch nichts an.“ Sie war verletzt.

„Tut mir leid. Das ist einfach nicht mein Wetter. Ich lebe nämlich unten in Phoenix.“

„Da bin ich aufgewachsen. Ich habe nur zwei Jahre in Detroit gelebt und gehe nach Phoenix zurück. Meine Schwester wohnt da. Ihr Mann ist ein Prachtstück. Anfangs dachte ich, er wäre zu wild für sie. Man kann sagen, dass sie ihn gezähmt hat.“

„Das bezweifle ich.“ Rick nagte an der Unterlippe und wechselte die Spur, um den allzu ängstlichen Fahrer vor ihnen zu überholen.

„Sie glauben nicht, dass sie ihn gezähmt hat?“

„Nein, aber der arme Kerl hat meine Sympathie, falls es doch gelungen ist. Ich glaube nicht an die Zähmung der männlichen Spezies.“

Ein Lastwagen war direkt hinter ihm, und Rick fuhr erleichtert wieder auf die rechte Spur.

„Glauben Sie nicht an die Ehe?“

„Nein.“

„Sie kann aber wundervoll sein. Meine Schwester und ihr Mann könnten gar nicht glücklicher sein.“

„Sind Sie auf der Suche nach einem Mann?“

„Nein … nicht direkt. Ich glaube, dass man nicht zu jung heiraten sollte. Ich bin sechsundzwanzig und noch Single, aber meine Schwester ist der lebende Beweis, dass die Ehe etwas Wunderbares sein kann. Zwei Menschen, die zusammenarbeiten, eine Familie aufziehen …“

„Sich betrügen, sich scheiden lassen, wieder heiraten und die Kinder wie Figuren auf einem Schachbrett hin- und herschieben.“

„Falls Sie doch ein Mörder sind, dann aber wohl ein mürrischer. Sollten Sie nicht eher charmant sein und mich in falscher Sicherheit wiegen?“

„Haben Sie denn keine Angst vor diesem Schneesturm?“ Ihre Lässigkeit machte ihn gereizt. Er wollte nicht die Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen, und er wollte auch nicht, dass sie so vertrauensvoll war.

„Das wird eine ganz schön lange Fahrt, oder?“, meinte Kim nur und sah auf die Fahrbahn.

„Ja. Eine sehr lange Fahrt.“

2. KAPITEL

„Ich kann kaum glauben, dass wir es geschafft haben.“ Dankbar strich Kim über das Armaturenbrett des in die Jahre gekommenen Straßenkreuzers.

Wieder tippte der Ehemuffel eine Nummer in sein Handy, während er die Zufahrtsstraße zum Flughafen von Chicago entlangfuhr.

„Ich bin auf der Warteliste, aber … Nein, ich bin jetzt am Flughafen. Sobald ich diese Mühle geparkt habe … Brian, ein Tag mehr macht doch wirklich nichts aus.“

„Ich wäre eine ganz schön unglückliche Braut, wenn meine Hochzeit verschoben würde“, meinte Kim.

„Morgen heiraten sie auf seinem Landsitz – nur die Familie. Der Empfang findet erst am kommenden Wochenende statt“, erklärte Rick ihr leise, bevor er ihr wieder in den Hörer sprach. „Ich habe gerade mit der Frau geredet, die mit mir fährt. Nein, sie kommt nicht mit zur Hochzeit. Ich habe dir doch gesagt, dass wir uns den letzten Wagen teilen, den die Autovermietung hatte. Ich komme erst spät heute Nacht an … Sonntag wäre um einiges besser.“

Kim gähnte; sie freute sich schon darauf, während des Fluges nach Denver zu schlafen. Achterbahnfahrten waren entspannend im Vergleich zu diesem Rennen im Schneesturm quer durch Michigan. Dazu noch mit einem Mann, den sie gar nicht kannte.

„Sprich zumindest mit Carlisle“, drängte Rick seinen Bruder. „Heutzutage macht jeder einen Ehevertrag. Kein Grund, dass ihre Gefühle dadurch verletzt werden … Ich verstehe, keine Versprechungen. Aber versuch doch, eine Verschiebung um einen Tag herauszuholen.“

„Wissen Sie, wo wir hinmüssen?“, fragte Kim, nachdem Rick das Handy ausgeschaltet hatte. Sie war erst ein Mal auf dem Chicago O’Hare Airport gewesen.

„Ich gehe direkt zum Schalter, sobald ich diese Antiquität geparkt habe. Wenn Sie mit mir mitzockeln wollen, müssen Sie sich beeilen.“

Mitzockeln! Wie verächtlich das klang. „Ich habe es auch eilig. Und ich stehe auch auf der Warteliste“, erinnerte sie ihn.

Er sah sie finster an. „Falls es nur noch einen Platz gibt, gehört er mir. Mein Bruder hat versprochen, dass er die Hochzeit bis Sonntag zu verschieben versucht, aber wenn er verliebt ist, schlägt er sogar Saltos rückwärts für die Frau.“

„Keine Braut will, dass ihre Hochzeit verschoben wird. Haben Sie denn gar keinen Sinn für Romantik?“

„Ich hatte die Idee, ein Computerprogramm zu entwickeln, das berechnen soll, wie gut die Partner zusammenpassen.“

Rick hatte Kim während der Fahrt einiges von sich erzählt. Er war Softwareentwickler, besaß eine eigene Firma und war häufig geschäftlich unterwegs. Kim hatte aber mehr mitbekommen, als er berichtet hatte. Er sorgte sich zu sehr um seinen jüngeren Bruder und das Familienvermögen. Nach einem halben Dutzend Anrufen von seinem Handy war es deutlich, dass er gewohnt war, die Dinge unter Kontrolle zu haben. Wenn er es nicht so lief, wie er wollte, biss er sich auf die Unterlippe. Und er hatte ein tiefes, warmes Lachen, das Kim allerdings nicht oft gehört hatte.

Rick seinerseits nahm nicht an, dass Kim besonders lustig wäre, nicht einmal, als sie beschrieb, wie Peter sämtliche Kleidungsstücke aus seiner Kommode geholt und in einen Müllsack gepackt hatte, um mit seinem Vater nach Afrika zu fahren.

Als Rick den Parkplatz von Econo-Cars gefunden hatte, tat es Kim fast leid, das lavendelfarbene Fossil zu verlassen. Die Heizung arbeitete zwar recht sprunghaft und ermöglichte nur tropische Hitze oder arktische Kälte, und ein Pärchen hatte auf sie gezeigt und über ihre Art zu reisen gekichert, als sie zu einer kurzen Rast angehalten hatten. Aber der Wagen war mit der Würde des Alters weitergefahren und hatte Kim näher zu Jane und Peter gebracht.

Rick verhielt sich wie angekündigt. Er packte ihren Matchbeutel und den Koffer und spurtete zum Terminal, womit er Kim zwang, mitsamt dem schwankenden Rollenkoffer gleichfalls zu laufen. Dann ging es langsam voran. Dem allgemeinen Gedränge nach zu urteilen, schien sich ganz Chicago auf dem Flughafen eingefunden zu haben.

„Mist!“ Rick blieb unvermittelt stehen, sodass Kim gegen seinen Rücken prallte und der Rollenkoffer gegen ihre Beine knallte.

„Da sehen Sie, die Verspätungen.“ Rick wies auf eine Reihe von Monitoren, die an der Decke montiert waren. „St. Louis, Omaha, Denver, L. A. Von Westen her kommt keine Maschine mehr rein.“

„Aber hier schneit es doch gar nicht!“

Während sie die Monitore betrachtete, wurden zwei weitere Maschinen, die eigentlich gerade landen sollten, als verspätet gemeldet.

„Was ist denn los?“

„Nichts Gutes. Wir wollen mal nachsehen.“

Rick nahm Kims alten Hartschalenkoffer auf die andere Seite und klemmte ihn sich unter den Arm, als würde er erwarten, dass Kims Reizwäsche explodierte.

Dann ging er weiter zu ihrem Ausgang. Alle Sitze im Warteraum waren belegt, und die Gänge zwischen ihnen dienten als Picknick- und Spielplatz. Kim sah einen Jungen, der seinen kleinen Bruder an einem Trinkwasserbrunnen hochhob, wobei er versuchte, das Gesicht seines jüngeren Bruders unter den Wasserstrahl zu halten. Dieser Unfug machte Kim nur noch begieriger, endlich nach Phoenix zu kommen. Wenn Jane versuchen würde, ihren zappelnden Vierjährigen hochzuheben …

Rick ließ Kim bei dem aufgetürmten Gepäck zurück und ging zur Schlange am Schalter. Als er zurückkam, runzelte er die Stirn.

„Kein Problem, einen Flug zu kriegen – wenn wir über Mexico City fliegen wollen.“

„Sehr witzig.“

„Eine zweite Wetterfront kommt von Westen her. Der Flughafen von Denver ist schon zu. Westlich von Des Moines startet nichts mehr. Deshalb sind auch so viele Maschinen verspätet.“

„Und was heißt das für uns?“, wollte Kim wissen.

„Für uns bedeutet das, dass wir auf dem falschen Dampfer sind.“

„Soll das ein Vorschlag sein, per Schiff zu reisen?“ Sie konnte genau so schnodderig wie er sein.

„Nein, es sei denn, Sie wollten immer schon mal den Panamakanal sehen.“

„Wie wäre es mit der Bahn? Letzte Weihnachten bin ich per Zug gefahren.“

„Ein Zug?“ Er klang nicht begeistert, gab aber immerhin ein widerwilliges „Kann sein“ von sich.

„Sicher. Es braucht schon etwas mehr als ein wenig Schnee, um den Desert Chief zum Stehen zu bringen“, bekräftigte sie.

„Dann nehmen wir den doch.“

Wieder schwang sich die Riemen seiner Reisetasche und ihres Matchbeutels über die Schulter, hob ihren Koffer und nahm Kim an die Hand.

Sie hasteten weiter, liefen auf den Laufbändern, fuhren Rolltreppen hinab und strebten atemlos dem nächsten Ausgang zu, wo sie ein Taxi erwischen konnten.

Eine halbe Million aufgeschmissener Reisender hatte die gleiche Idee gehabt. Kim und Rick kamen aus dem Empfangsgebäude und mussten sofort anhalten und sich um einen Stehplatz auf dem Bürgersteig drängeln, während Busse und Taxen sich vor ihnen ein Schneckenrennen lieferten. Eine Stretchlimousine war schräg neben dem Bordstein eingeklemmt, begleitet vom Hupen der Taxen, die nicht um darum herumfahren konnten, um Gäste aufzunehmen.

„So geht es nicht“, brummte Rick.

„Wir haben keine andere Wahl.“

Kim kam dicht an ihn heran, um ihn als Deckung zu benutzen, stopfte ihre Umhängetasche unter ihren Rockbund, knöpfte die obersten drei Knöpfe ihrer Regenjacke zu, straffte die Schultern und schob ihren Bauch vor.

„Was machen Sie denn?“

„Ich besorge uns ein Taxi.“

„Das schaffen Sie nie.“

„Ich will mit einem Taxi fahren und keines stehlen.“. Kim stöhnte laut genug, um ein paar mitfühlende Blicke zu bekommen.

Rick packte den Griff ihres Rollenkoffers und tauchte in das Verkehrsgewühl ein, und Kim watschelte hinter ihm her, eine leidende Hochschwangere nachahmend.

Rick stritt mit einem Taxifahrer. Der hatte es mollig warm in seinem Taxi und außerdem die beste Chance, sich auf die äußere Spur zu quetschen und auf diese Art aus dem Verkehrsknäuel auszubrechen.

„Ich muss warten, bis ich an der Reihe bin. Sie wollen doch nicht, dass ich meine Lizenz verliere, oder?“, knurrte er.

„Sie sind der Einzige, der hier aus diesem Durcheinander herauskommen kann“, erklärte Rick.

„Ist mir egal. Ich muss …“

„Ist schon mal ein Kind in Ihrem Wagen zu Welt gekommen?“, fragte Kim, öffnete die hintere Tür und beförderte sich mit herzzerreißendem Stöhnen ins Wageninnere.

„Schon gut.“ Der Fahrer öffnete widerwillig den Kofferraum und ließ Rick das Gepäck verstauen.

Nachdem er sich die Zeit genommen hatte, dem vordersten Taxifahrer eine ausführliche Beschreibung des Zustandes seines weiblichen Fahrgastes zuzuschreien, führte der Fahrer eine regelrechte Rumba mit Anfahren und Bremsen auf, bis er sich endlich aus diesem Albtraum von Verkehr befreit hatte.

„Wohin?“

„Zur Union Station. Und machen Sie bitte schnell.“ Kim schnallte sich an und stöhnte.

„Hey, was ist das denn? Sie sollten doch ins Krankenhaus.“

Kim keuchte, jammerte und stieß Rick mit dem Ellbogen an. Sollte er das doch regeln. Sie war in den Wehen.

„Wir treffen die Ärztin dort.“

Rick konnte nicht mal im Notfall dieses Wort sagen.

Der Fahrer zuckte mit seinen breiten Schultern. „Kriegen Sie das Baby bloß nicht in meinem Wagen.“

Rick tätschelte Kims vorstehende Umhängetasche und tat so, als wäre er fasziniert und drückte sie dabei gerade so viel, dass er die harte Ecke der Brieftasche gegen ihren Nabel stieß. Kim stöhnte, als wäre sie wirklich schwanger.

„Ist es Ihr erstes Kind?“, fragte der Fahrer. „Das braucht immer am längsten.“

„Das fünfte“, keuchte Kim.

„Das vierte“, sagte Rick. „Wenn man die Zwillinge als eine Geburt zählt.“

„Wenn du die Arbeit damit hättest, würdest du sie als zwei zählen.“

„Zumindest warst du mit ihnen ja nicht in einem Bus.“ Rick hatte keinerlei Sinn für Humor.

Kim hatte zu viel damit zu tun, ihr Lachen zu unterdrücken, um den Anblick von Chicago zu genießen. Allerdings fuhren sie ja auch keine Touristenstrecke. Der Fahrer steuerte den Wagen von Spur zu Spur, sobald sich ein Spalt von zehn Zentimetern auftat, und er benutzte ausgiebig die Hupe.

Trübe sah der altmodische Bahnhof unter dem grauen Himmel aus, und Kim bekam Heimweh nach der Wüste und nach Phoenix. Der Fahrer öffnete die Tür, und Kim hievte sich schwerfällig hinaus in den beißenden Winterwind.

„Bezahl den Fahrer, Liebling“, gurrte Kim.

Sie sah, wie Rick ein großzügiges Trinkgeld gab, um den Fahrer für ihr Theater zu entschädigen. Rick hatte immerhin ein Gewissen. Das war gut, obwohl es ihr ein Rätsel blieb, warum sie sich überhaupt darum kümmerte. Sie waren wie Öl und Wasser. Er ertrug sie kaum, und sie dachte, dass er herrisch und anmaßend wäre. Vielleicht war es ja edel, sich um den eigenen Bruder zu sorgen, aber Rick hatte die Grenze zwischen Sorge und Einmischung längst überschritten.

Kim spielte die Schwangere, bis sie endlich in der riesigen Bahnhofshalle waren. Dann zog sie sich die dicke Umhängetasche aus der Bluse. Mit herausgestrecktem Bauch zu gehen hatte ihr Rückenschmerzen beschert, und wieder hatte sie Verständnis für die Klagen ihrer Schwester während der Schwangerschaft.

Rick stellte sich vor dem Fahrkartenschalter an, und Kim folgte ihm. Eine lange Schlange war vor ihnen und auch an den beiden Schaltern links und rechts. Kim stand dicht gedrängt hinter Rick und musste ihr Gepäck mit Knien und Füßen weiterschieben. Die Ungeduld ließ sie unruhig werden; sie hatte nichts zu tun, außer seine herrliche Rückansicht zu bewundern. Er hatte die Jacke ausgezogen und sie in seine Tasche gesteckt – was Kim nicht konnte, da in ihren Taschen und Koffern kein Platz mehr war. Rick hatte sein Hemd in die Hose gesteckt, die von einem schmalen dunkelbraunen Gürtel gehalten wurde, wodurch seine schlanke Taille betont wurde.

Kim bewunderte seine Schultern; sie waren breit ohne die übertriebenen Muskeln, die von hektischem Gewichtestemmen herrühren. Sein dunkelblondes Haar war vom Wind zerzaust; die Locken ließen seinen Nacken so verwundbar wie den eines kleinen Jungen erscheinen.

Rick drehte sich um und sah, wie sie seine Rückansicht genoss, und deshalb bückte Kim sich und fummelte am Reißverschluss ihres Rollenkoffers.

„Der geht doch nicht auf, oder?“, fragte Rick misstrauisch.

„Nein, natürlich nicht. Und der andere ist auch nur deswegen aufgegangen, weil er die Rolltreppe heruntergefallen ist, wie Sie sich vielleicht erinnern.“

Rick blickte skeptisch, aber die Menschenschlange schob sich vor, und er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Warteschlange vor ihm.

Er hatte einen knackigen Po, fand Kim. Gern würde sie ihn in der Badehose sehen – okay, genauso gern auch ohne. Hoffentlich drehte er sich jetzt nicht um und sah, wie sie rot wurde! Außerdem war sie eine große Freundin langer, starker Beine. Am meisten wurde sie abgeturnt, wenn ein Mann kürzere Beine hatte als sie. Zu dumm, dass jemand mit so ansprechender Verpackung eine Hochzeit ruinieren und eine Romanze zerstören wollte.

Endlich waren sie an der Reihe. Kim beugte sich neben Rick zum Fahrkartenschalter. Sie wollte sicher sein, dass er sich nicht die letzte Fahrkarte schnappte und sie zurückließ.

„Der Desert Chief ist schon vor zwei Stunden nach Flagstaff abgefahren“, sagte der Fahrkartenverkäufer, was ihm offenkundig eine gewisse Befriedigung bereitete.

„Welche Züge fahren denn heute noch Richtung Westen?“, fragte Rick.

„Da haben wir den Prairie Wind, Abfahrt nach Denver um 5.05 auf Bahnsteig fünf.“

„Wie lange fährt er?“, fragte Rick.

„Bis Denver braucht er siebzehn Stunden.“ Der Verkäufer strich über seinen Schnauzbart; er hatte offenbar keine Eile, seine Fahrkarten zu verkaufen.

„Wir nehmen zwei Karten für den Abteilwagen“, sagte Kim. Bei ihrer letzten Zugfahrt hatte sie sehr gut im Sitzen geschlafen.

„Der Abteilwagen ist ausverkauft.“

„Was haben Sie sonst noch?“ Rick hatte seine Kreditkarte schon hervorgeholt, und Kim suchte noch nach ihrer.

„Ich habe noch zwei Mal erster Klasse, einschließlich Mahlzeiten, oder das Familienabteil für zwei Erwachsene und zwei Kinder. Die sind natürlich alle ausverkauft“

„Was ist denn zu haben?“ Rick sprach langsam und betonte jede einzelne Silbe.

„Das normale Schlafwagenabteil für zwei, und zwar im oberen Teil.“

„Das nehmen wir.“ Rick war zu allem entschlossen.

„Zwei Betten. Jawohl, Sir.“

„Nein, zwei Abteile.“

„Das habe ich nicht. Das eine habe ich auch nur, weil es zurückgegeben wurde. Ein normales Schlafwagenabteil für zwei.“

Rick sah Kim an. „Wollen Sie eine Münze werfen?“

„Nein, ich will los.“

Er starrte sie an, tiefe Falten durchzogen seine Brauen, als würde er innerlich mit sich kämpfen.

„Ich muss nach Phoenix. Wir nehmen es“, sagte Rick zum Verkäufer.

„Das ist aber nicht so, als würden wir ein Auto teilen“, protestierte Kim.

„Nein, sicher nicht. Wir nehmen es.“ Rick reichte seine Karte unter dem Glas hindurch.

„Buchen Sie die Hälfte des Preises auf meine Karte“, sagte Kim und schob ihre Karte gleichfalls durch.

„Das ist zu kompliziert. Wir klären das später“, bestand Rick und gab ihr die Karte zurück. „Keine Sorge. Sie zahlen Ihren Anteil.“

Als Rick die Fahrkarten in der Hand hielt, gingen sie durch die Türen, die direkt auf den Bahnsteig führten. Der tägliche Vorortpendelverkehr hatte schon eingesetzt, und von der Arbeit müde aussehende Menschen strömten zu den Toren in Richtung ihrer heimwärts fahrenden Züge. Wieder hatte Rick Kims Wäschekoffer unter den Arm geklemmt, als würde er wichtige Geheimnisse bewachen.

Kim brauchte Zeit zum Nachdenken. Sollte sie ein Schlafwagenabteil mit ihm teilen? Etwas in ihr hielt das für eine sehr schlechte Idee. Vielleicht konnten sie ja die Sitze aufrecht lassen, aber Kim bezweifelte, dass Rick das gut finden würde. Er war zu groß, um zusammengesunken auf einem Sitz zu schlafen. Natürlich würden sie in Etagenbetten schlafen, einer über dem anderen. Sie würden einander nicht mehr sehen, wenn das Licht aus wäre.

Wen wollte sie da gerade zum Narren halten? Mit Sicherheit würde sie ja wissen, dass er da wäre – unter die Decke gekuschelt, sehr süß und sexy.

Stopp! Sie war sich ja nicht mal sicher, ob sie diesen Mann überhaupt mochte! Sicher, er war attraktiv. Der Bronzeton seiner Haut verriet, dass er aus einer Gegend mit warmem Klima stammte. Und sie würde wohlig erschauern, wenn sie seine Bartstoppeln an der Wange spürte. Dennoch war es nun einmal eine Tatsache, dass er ein Fremder für sie war.

„Beeilung!“, sagte er unwirsch.

An die siebzehn Stunden in Ricks Gesellschaft mochte Kim gar nicht denken. Die Männer mochten sie, und meist mochte sie die Männer auch, musste aber zugeben, dass sie nicht das Glück ihrer Schwester gehabt hatte, den Richtigen zu finden. Nun würde sie also in einem engen Abteil zusammen mit einem sexy Spielverderber sein, der der Meinung war, man könnte per Computerprogramm den richtigen Partner finden.

Als sie sich wieder auf ihren Spielverderber besann, war er fünf Schritte vor ihr und ging wegen ihr auch nicht langsamer. Es würde ihm gerade recht sein, wenn sie ihm die beiden Tickets überreichen und dann wieder zum Flughafen fahren würde, um dort auf einen Flug zu warten. Was sie auch getan hätte, wäre sie nicht so verdammt müde gewesen. Außerdem brauchte Jane sie.

Ein Gepäckträger stand im Wagen, als sie einstiegen, um ihr Gepäck auf einem Gepäcknetz zu verstauen und sie zu ihrem Abteil im oberen Stock zu bringen. Als der Zug pünktlich um fünf nach fünf abfuhr, saßen Kim und Rick beide in ihrem gemütlichen kleinen Abteil, und fuhren ihrem Schicksal entgegen.

Nein, dem Zielort natürlich, wie Kim sich verbesserte; vollkommen sicher, dass sich ihre Wege nach dem Ende der Reise trennen würden.

3. KAPITEL

Das Abendessen war nach Ricks Fast-Food-Maßstäben fast schon fantasievoll. Sie teilten einen Tisch mit zwei Pensionären, die gegenseitig jeweils die Sätze des anderen beendeten. Wie unheimlich, dachte Rick, so lange verheiratet zu sein, dass die Gehirne synchron arbeiten. Rick war zu müde, um ihrem ausführlichen Bericht über eine Fahrt nach British Columbia zu lauschen, aber Kim nickte höflich an den richtigen Stellen und fragte genug, um sie weiterreden zu lassen.

Ohne dieses geschwätzige Paar hätte Rick sich mit Kim unterhalten müssen. Er war aber nicht sicher, ob er sich mit seiner Reisegefährtin etwas zu sagen hätte. Daher war er dem gesprächigen Paar in gewisser Weise dankbar.

Der Speisewagen leerte sich allmählich, und auch ihre Tischgenossen gingen. Die Angestellten beeilten sich, die letzten Gedecke abzuräumen. Kim hielt sich an einem Becher Kräutertee fest und tat so, als würde sie trinken, obwohl sie nur noch ein paar Tropfen Tee hatte.

„Wir sollten auch gehen“, meinte Rick.

„Ja.“ Kim sah sehnsüchtig auf das weiße Leinentischtuch, als würde sie gern ihren Kopf auf den Tisch legen und auf der Stelle einschlafen.

Rick ahnte, wie ihr zumute war. Einen Mietwagen mit einer Fremden zu teilen war eine Sache, aber wie das Abenteuer mit dem gemeinsamen Abteil ausgehen würde, war ihm nicht klar.

Obwohl er immer noch mit Brians letztem Schnitzer beschäftigt war, war er der Frau gegenüber nicht gleichgültig, die da mit ihm durch die Gegend zog. Immer wenn er nicht aufpasste, fragte er sich, wie sie wohl in ihren sexy Slips aussehen würde oder einem durchsichtigen Spitzen-BH. Er wollte, er wäre nicht stehen geblieben, um ihr zu helfen, was er jetzt nämlich am allerwenigsten brauchte, war Lust auf eine Frau, die Eau de Palisadenzaun verströmte. Sein Bruder war derjenige, der heiratete; alles, was Rick von einer Frau wollte, war von Vergnügen ohne feste Bindung. Sein einziger Versuch, mit einer Frau zusammenzuwohnen, hatte sich als Fiasko entpuppt, als seine Gefährtin angefangen hatte, einen Schaufensterbummel bei Juwelieren zu machen und Porzellanreklame zu studieren.

Rick folgte Kim ins Abteil und versuchte dabei, nicht ihren anmutigen Gang zu bewundern. Rick war nicht der einzige, der Kim nachblickte. Die Augen der Männer folgten ihr mit derselben Zwangsläufigkeit, die Murmeln auf einem schrägen Brett nach unten rollen lässt. Wenn sie schon in einem langen schwarzen Rock und einem rosa Pullover diese Wirkung hatte, dann würde sie mit wirklich scharfen Klamotten einen regelrechten Aufstand bewirken.

Die meisten Männer im Zug würden wie Hunde darum betteln, das Abteil mit Kim zu teilen. Wieso also fürchtete er sich genau davor?

„Ich gehe vielleicht noch in den Salonwagen. Mal sehen, welchen Film sie zeigen“, meinte Rick. Besser, er machte da ein Nickerchen, als dass er wach lag und sich vorstellte, wie Kim aussehen würde, wenn sie schlief.

„Okay.“

Kim bot zu seiner Erleichterung nicht an, mitzukommen. Hätte sie es getan, hätte er vielleicht den Fehler begangen und ihre Hand genommen, vielleicht auch ihr Handgelenk gestreichelt. Bei dem Gedanken, ihren Puls zu fühlen, durchrieselte ihn ein heißer Schauer.

Rick ging zu ihrem Abteil, was ein übertriebenes Wort für die beiden Sitze waren, die einander auf engstem Raum gegenüberstanden, sodass gerade genug Platz für die Beine von Zwergen war.

„Ich dachte, wir könnten vielleicht die Sitze aufrecht lassen. Es ist doch nicht so schlimm, im Sitzen zu schlafen“, schlug Kim vor.

Rick würde gerne seine Stiefel ausziehen und die Füße hochlegen, aber wo sollte er sie hintun? Er könnte die Füße seitlich an ihre Hüften legen oder sie beide neben Kim auf den Sessel quetschen, aber nicht ohne sich vorzustellen, wie es wäre, wenn er mit seinen Zehen über ihre Waden fuhr oder unter ihren Rock.

Wäre es noch schlimmer, die Betten zu benutzen? Jede Bewegung würde er mitbekommen, jedes Geräusch, das sie im Schlaf machte. Sie würde ihm Albträume verursachen.

Aber er würde, wenn sie die Betten benutzten, die dicke Matratze zwischen sich und ihr haben.

„Ich würde mich gern langlegen“, sagte er.

„Na ja, Sie haben schließlich die Fahrkarten gekauft – aber morgen früh rechnen wir dann ab. Ich gebe Ihnen einen Scheck über meinen Anteil.“

„Das eilt nicht.“

Liebend gern würde er die ganze Reise bezahlen, um nur eine Stunde mit ihr im selben Bett zu verbringen, aber komischerweise fing er an, sie zu sehr zu mögen, um genau das auszunutzen. Er ging zum Gesellschaftswagen, wobei er sich nicht besonders gut fühlte. Er war aber entschlossen, jegliche Verwicklung mit einer Frau zu vermeiden, der der Sinn nach Heirat stand.

Dieser dumme Brian! Rick wünschte, sie wären immer noch Kinder und er könnte ihn mit hinter die Garage nehmen und ihm die Leviten lesen. Anstatt aus den ehelichen Katastrophen ihrer Eltern zu lernen, schien sein Bruder entschlossen, sie zu wiederholen.

Rick nahm auf einem Sessel Platz und starrte hinaus auf die schneebedeckten Felder. Zu viel ging ihm im Kopf herum: Brians Hochzeitspläne; die Notwendigkeit, ihn noch einmal anzurufen und um weiteren Aufschub zu bitten. Wenn Rick warten würde, bis der Zug in Denver eintraf, könnte er, Rick, den letzten Teil der Reise arrangieren. Dann könnte er auch mit Sicherheit sagen, wenn er in Phoenix ankommen würde.

Rick versuchte, sich auf Brians törichtes Benehmen zu konzentrieren, aber wieder kam ihm Kim in den Sinn. Frauen ihrer Art kamen immer mit einem ordentlichen Preis – der Ehe. Es war sein Pech, dass er nun so lange mit dieser großen, überaus attraktiven Brünetten auf engem Raum zusammen sein musste.

Rick ließ vor Müdigkeit den Kopf hängen. Das leise Summen der Stimmen im Wagen war eine Ablenkung, und er merkte plötzlich, wie er einem jungen Paar heimlich zuhörte.

„Das sollte eigentlich unsere Hochzeitsreise sein!“, jammerte die Frau. „Ein Witz ist das! Deine Eltern und dein Bruder lassen uns nie allein!“

„Liebes, dass holen wir später nach.“

„Wieso hat deine Schwester ihre Hochzeit auch so kurz nach unserer geplant? Ich kann einfach nicht glauben, dass wir unsere Hochzeitsreise im gleichen Zug mit deinen Eltern machen.“

„Das dauert doch nur bis morgen, und du hast ja auch zugestimmt.“

„Ich kann aber nicht in der Koje schlafen. Es ist wie in einem Sarg.“

Rick schämte sich, weil er diesem privaten Gespräch lauschte. Es war wie ein Einbruch in die Intimsphäre anderer Leute. Nach dem, was er gehört hatte, gab er diesen verliebten Vögeln höchstens drei Jahre. Dann würde die kleine Braut ihres albernen Ehemanns überdrüssig sein und sich zum richtigen Leben entschließen, was auch immer das war. Dann würden sie auch schon ein Kind haben, und der Junior würde das Glück haben, schließlich drei „Väter“ und ein paar Onkel mit dem Recht auf eine Nacht zu besitzen.

Auch Rick konnte eigentlich jetzt ins Bett gehen. Wenn er so zynisch war, ertrug er sich selber kaum. Er stand auf, holte sein Waschzeug aus dem Gepäck, putzte sich die Zähne und ging dann wieder zum Abteil.

Der Gepäckträger hatte während Ricks Abwesenheit die Betten gerichtet. Die weißen Laken sahen einladend aus, aber Ricks Gefährtin war nicht da. Er hatte gehofft, sie schlafend und in einem hochgeschlossenen Flanellnachthemd vorzufinden. Stattdessen musste er auf sie warten, während seine fieberhafte Fantasie ihm Bilder von ihr in einem knappen Nachthemd vorgaukelte. Wie sehr wünschte er, dass er nie den Inhalt ihres Koffers erblickt hätte!

Rick ließ die Glastür mit dem Vorhang offen und streckte sich auf der unteren Koje aus. Einen Schlafanzug besaß er nicht, weshalb er seine Jeans erst ausziehen würde, wenn Kim in ihrem Bett lag.

Er döste vor sich hin, bis sie ihn wachrüttelte.

„Ich will das untere Bett.“

Sie klang missmutig. Ihre Regenjacke war bis oben hin zugeknöpft, und eine Schlafanzughose bedeckte ihre Beine. Ihre flauschigen Hausschuhe ließen ihre Füße größer als seine aussehen, und Rick war einen Augenblick lang dankbar, weil sie eher unschuldig als sexy aussah.

Sorgfältig schloss sie die Tür und verriegelte sie, wickelte sich aus der Regenjacke und legte sie auf ihren Matchbeutel.

Ricks Impuls, sie auszulachen, erstarb. Sie trug einen altmodischen Männerschlafanzug; er war ihr zu groß, aber die cremefarbene Seide klebte wie eine Plastikplane an Kim und ließ sie so süß und sexy aussehen, dass Rick sie am liebsten auf seine Koje gezogen hätte.

„Ich werfe eine Münze“, bot er widerwillig an, da er sicher war, dass er auf dem oberen Bett so viel Platz hätte wie in einem Babybett.

„Nein.“

Er sah, dass sie ihre Unterwäsche noch anhatte. Das Rosa ihres BHs konnte man kaum ausmachen. Aber die Brustspitzen zeichneten sich unter der dünnen Seide deutlich ab.

„Sie sind um einiges kleiner als ich.“ Rick streckte sich auf dem unteren Bett aus und fragte sich, welche Zahnpasta sie benutzte. Keine Frau sollte beim Zubettgehen so toll riechen – jedenfalls keine Frau, die für ihn tabu war.

„Vielleicht kriege ich Platzangst“, entgegnete Kim.

„Vielleicht? Sie wissen es nicht?“

„Ich habe noch nie in einem Bett geschlafen, in dem ich mich nicht umdrehen kann, ohne mit dem Hintern an die Decke zu stoßen.“

Rick wollte sie aus der Sicht haben, in welchem Bett auch immer. Es fiel ihm immer schwerer, ihr zu widerstehen.

„Nehmen Sie das untere Bett“, meinte er resigniert.

„Nein, ich bin sehr selbstsüchtig. Sie brauchen es mehr Platz als ich. Ich will mich nur noch hinlegen, ehe Sie das Licht ausmachen.“

Kim drückte sich gegen die verhängte Schiebetür, um Rick Platz zu machen, damit er sich an ihr vorbeizwängen konnte.

„Wünschen Sie mir Glück“, sagte sie mit rauchiger Stimme.

„Ich werde Ihnen helfen.“ Nur zu gern würde ihren hübschen, seidenumspannten Po umfassen und sie hochheben.

„Jetzt aber.“ Kim stieg aus ihren großen Pantoffeln – die albernen Dinger hatten sogar Augen und Ohren – und entblößte ihre schlanken Füße mit den rot angemalten Nägeln.

Man konnte die Konturen ihres Slips unter der Schlafanzughose erkennen. Die Seide spannte sich straff über ihrem wohlgeformten Po, als sie die Leiter emporkletterte. Am härtesten war es für Rick, die Hände bei sich zu behalten, als Kim oben angekommen war, sich über die Koje beugte und abrupte erstarrte.

„Was gibt es?“

Rick würde in ernste Schwierigkeiten kommen, wenn Kim jetzt nicht bald ihren prachtvollen Hintern unter die Decke beförderte.

„Ach … nichts.“

„Schlüpfen Sie unter die Decke, dann kann ich endlich das Licht ausmachen.“

„Noch einen Augenblick.“

„Wofür?“

„Ich muss mich erst daran gewöhnen, so wenig Platz zu haben.“

Musste sie dazu ihren niedlichen Po herausstrecken?

„Sie haben es bequemer, wenn Sie unten liegen“, schlug er vor und war sich dabei ganz stark der rhythmischen Bewegung des Zuges und der ansteigenden Temperatur im Abteil bewusst.

Kim schlug die Decke und das obere Laken zurück und glitt langsam mit einem Bein auf der Matratze entlang. Von seiner Sicht aus sah es für Rick noch herausfordernder aus.

„So ist es gut. Jetzt das andere Bein. Rein damit“, sagte er. Er war versucht, Kim einen Stoß zu geben und ihr die Decke hochzuziehen.

„Kann ich nicht.“

„Schließen Sie die Augen und rollen sich zusammen“, meinte er.

„Sie haben gut reden.“

„Entweder gehen Sie jetzt ins Bett, oder Sie kommen wieder runter“, befahl er.

„Das geht. Ich bin schon auf Berge gestiegen – aber nicht mehr, seitdem ich mir dabei den Knöchel gebrochen habe. Das hier ist viel leichter – sollte es zumindest sein.“

„Dann tun Sie es.“

Kims Pyjamajacke war hochgerutscht und zeigte mehrere Zentimeter ihrer weichen Haut am Rücken. Kim zog das andere Bein hoch und vergrub ihr Gesicht in den Kissen. Rick wollte ihr die Decke überwerfen, hatte aber Angst, sie dabei zufällig zu berühren – oder absichtlich.

„Alles okay?“ War dieses heisere Kratzen seine Stimme?

„Gleich.“ Sie wackelte unter ihrer Decke, bis sie in Embryohaltung auf der Seite lag und Rick ansah. Ihre Augen waren so fest zusammengekniffen, dass Rick den Wunsch verspürte, ihre Lider durch einen Kuss zu entspannen.

„Ich werde das Licht anlassen“, bot er an.

„Nein! Ich will nichts sehen. Mein Goldhamster hatte einen größeren Stall als das hier.“

„Dann kommen Sie runter.“ Rick wusste, wenn man ihn besiegt hatte. „Ich nehme das obere Bett.“

„Sie passen doch gar nicht rein.“

„Sie stellen es sich kleiner vor, als es ist.“

„Nein, es schrumpft, während man darin liegt. Das Dach wird einstürzen und mich zerdrücken.“

„Kim, kommen Sie runter. Das ist doch töricht. Sie kriegen noch Platzangst.“

„Glauben Sie?“

Hatte er da gerade eine Spur der Befriedigung in ihrer Stimme gehört? „ Kommen Sie, oder ich rolle Sie heraus.“

„Dann stoße ich mir den Kopf.“

„Schieben Sie Ihre Beine heraus, und ich hebe Sie herunter.“

Das musste er nicht einmal. Kim kam die Leiter herunter und ging schnurstracks auf das untere Bett zu, wobei sie an seine Hüfte und sein Bein stieß, was wiederum in ihm ein helles Feuer entfachte.

„Kann ich bitte das Licht noch anhaben?“, fragte Kim leise, nachdem sie sich zugedeckt hatte.

„Klar doch.“

„Ziehen Sie sich nicht die Hose aus?“

„Das habe ich vor.“

„Da oben können Sie das aber nicht.“

„Vermutlich nicht.“

„Sie können es hier tun. Ich mache auch die Augen zu.“

„Sehr großzügig“, meinte er trocken.

Sie hatte recht. Sardinen in einer Büchse hatten mehr Platz als jemand, der in der oberen Koje schlief.

„Schaffen Sie es?“

Kim lag auf dem Bauch, die Ellbogen aufgestützt, die Finger einer Hand über den Augen. Auch vollständig zugedeckt bot sie eine verlockende Kurvenlandschaft.

Rick löste seinen Gürtel, ließ seine Hose die Beine hinabgleiten und stieß sich schmerzhaft an der Tür, als er sich so drehte, dass seine unübersehbare Erregung Kim verborgen blieb.

Natürlich riskierte sie einen Blick.

Was er auch getan hätte, wenn sie sich ausgezogen hätte.

Rick kletterte auf das obere Bett und hoffte, er würde daran denken, sich nachts nicht aufzusetzen. Platz für den Kopf gab es nicht.

Er schloss die Augen und wollte schlafen, aber das Licht störte ihn. Es war unbequem, dass er sich nicht richtig umdrehen konnte. Rick hörte Kims sanftes Atmen, das Rascheln der Decke und den leisen Seufzer, als sie es sich bequem machte.

Sobald Kim schlafen würde, würde er noch mal in den Salonwagen gehen. Aber es hatte nicht den Anschein, dass sie in der nächsten Zeit einschlafen würde.

„Schlafen Sie schon?“, flüsterte sie mit sinnlichem Unterton. Zumindest nahm Ricks hellwache Fantasie es so wahr.

„Nein.“

„Ich kann auch nicht schlafen.“

„Versuchen Sie es.“ Das sollte sich bestimmt und väterlich anhören; sein Vater war allerdings nie zur Schlafenszeit an seinem Bett gewesen.

„Ich komme mir so schuldig vor.“

„Weswegen?“

„Sie sind doch viel zu groß, um da oben zu schlafen. Ich bin zu egoistisch. Wir wollen die Plätze tauschen.“

„Sie haben doch Platzangst.“

„Vielleicht habe ich übertrieben.“

„Sie meinen, Sie haben nur so getan, als ob?“

„So was ähnliches. Ich meine …“

„Ich will nicht wissen, was Sie meinen.“ Rick kletterte die Leiter hinab, und es war ihm egal, dass sein dunkelblauer Slip keinen Zweifel über seinen Zustand ließ.

Kim wählte exakt den gleichen Moment, um sich aus dem unteren Bett zu schälen, wobei sie mit ihm zusammenstieß, als seine Füße den Boden erreichten.

„Oh!“, sagten sie beide zugleich.

„Tut mir leid“, murmelte Kim und lachte dabei.

„Das glaube ich Ihnen auch.“

Er hatte es nicht geplant, aber ihre Lippen stießen aneinander, als der Zug gerade besonders stark ruckelte. Kim fiel gegen Ricks Brust und um nicht zu fallen, hielt sie sich an ihm fest.

Der Schaden war angerichtet. Ricks Lippen streiften ihre, und er spürte die Süße ihres Mundes.

„Oh!“

Rick erkannte dieses Küss-mich-nochmal-Stöhnen, sobald er es hörte. Wieder küsste er sie.

„Ich … tut mir leid“, flüsterte sie atemlos.

„Muss ich das nicht sagen?“ Rick versuchte sich zu erinnern, warum er sie nicht auf das untere Bett ziehen sollte.

„Nein, es war mein Fehler, glaube ich.“

„Hat dich das wach gehalten? Du brauchtest einen Gutenachtkuss.“

„Sicher nicht!“

Rick war froh, dass das Licht an war. Kims Wangen wurden rot, und Rick sah, dass sie eine lausige Lügnerin war.

„Vielleicht solltest du deine Hose anziehen.“

„Du hast geguckt, oder?“ Er zog sie an sich. Sie leistete keinen Widerstand.

„Meinst du, dieses Abteil ist schalldicht?“

Er wusste nicht, ob sie scheu oder naiv oder einfach nur leichtsinnig war, aber es war die letzte Gelegenheit für ihn, die Einladung zu überhören, die er in ihrer Stimme zu vernehmen glaubte.

„Geh ins Bett“, sagte er heiser.

„Ja, das ist wohl besser so. Einen Meckerfritzen, der die Hochzeit seines Bruders ruinieren will, kann ich nicht gernhaben.“

Rick wusste nicht, ob sie erleichtert oder verärgert war.

Kim schob sich mit einiger Schwierigkeit an ihm vorbei, wobei sie zu ihrer Genugtuung feststellen konnte, dass zumindest ein Teil von ihm ihren Rückzug ins obere Bett bedauerte.

„Willst du das Licht jetzt aushaben?“, fragte er.

„Ist mir völlig egal.“

Hatte er da ein Schniefen gehört?

Er ließ das Licht an.

4. KAPITEL

Auf einem Regalbrett zu schlafen war nicht leicht, vor allem, da Rick so nahe war, dass sie einfach an ihn denken musste.

Kim drehte sich auf die Seite und dachte an den Kuss. Sie hatte ihn nicht erwartet, sich aber doch gefragt, wie sich seine Lippen auf ihren anfühlen würden. Er hatte einen ungemein süßen Kussmund – genau richtig, um mit der Zungenspitze die Konturen nachzufahren, was sie vorhin nicht getan hatte, denn so ein Kuss war es nicht gewesen. Rick war ein fantastischer Küsser, und die kleine Kostprobe machte ihr Lust auf mehr.

Kim drehte sich vorsichtig, weil sie bequemer liegen wollte, hatte aber die Furcht, er könnte ihre Ruhelosigkeit mitbekommen. Keinesfalls sollte er denken, dass er die Ursache für ihre Zappelei wäre. Ein toller Küsser oder nicht, er kam für sie nicht infrage. Kim hatte genug Enttäuschungen erlebt und wollte endlich den Richtigen finden. Jane hatte es geschafft. Ihre ruhige, ernsthafte Schwester hatte ein solches Glück mit Luke. Sie waren verwandte Seelen, und zusammen machten sie auch schöne Babys. Kim konnte sich nichts Schöneres vorstellen.

Ein solches Wunder konnte allerdings nicht mit einem Mann passieren, der Hochzeiten hasste. Rick mochte wie ein Liebesgott aussehen – sogar wie einer küssen – aber er war nicht das Wahre. Seine Art, mit dem Glück seines Bruders umzugehen, war, dessen Ehe zu verhindern. Er handelte vermutlich aus fehlgeleiteter Besorgnis, aber Kim war entschlossen, ihr Herz nicht Rick Taylor in die Hände zu legen, dem Feind jeglicher Romantik.

Der Rhythmus der Räder war leicht hypnotisierend, anders als die leisen Atemzüge ihres Reisegefährten. Ihr Gutenachtküsschen hatte ihn nicht wach gehalten.

Kim änderte ein weiteres Mal ihre Position und umarmte ihr Kissen. Sie versuchte, das Prickeln ihrer Lippen zu ignorieren.

Als der Schlaf endlich gekommen war, wurde er so abrupt unterbrochen, dass Kim sich aufsetzte und den Kopf an der Decke stieß. Einen Moment lang wusste sie nicht, wo sie war, als der Zug zum Stehen kam. Kim reagierte instinktiv und kletterte über den Rand ihrer Koje. Ihre Fußspitzen verpassten die erste Stufe der Leiter, und sie fiel rückwärts herunter.

„He!“

„Ich hab dich.“

Kims Po prallte auf Ricks Brust.

„Lass mich runter!“

„Willst du dich nicht bedanken?“

„Danke schön. Lass mich jetzt runter!“

„Das nächste Mal nimmst du die Leiter.“

Rick holte tief Luft und ließ Kim herunter. Ihre nackten Füße glitten an seinen langen, behaarten Beinen entlang und streiften seine Füße. Kim wandte sich zur Seite.

„Was war das für ein Stoß?“

„Der Zug hat angehalten.“

„Sind wir denn schon irgendwo?“

„Ich denke, das ist kein regulärer Halt. Es ist noch nicht mal fünf Uhr.“

Vom Korridor her kamen Geräusche. Kim schob den Vorhang zur Seite und sah nach draußen.

„Es sind Leute draußen.“

„Ich sehe mal nach, was los ist.“

Rick zog sich die Hose an, wobei er den Reißverschluss schnell hochzog, aber Kims Neugier hatte ihn schon angesteckt.

Der Korridor war voller Menschen, und Kim streckte ihren Kopf hinaus, hielt sich aber ihre Jacke vor.

„Kein Grund zur Beunruhigung“, rief ein Mann in Eisenbahneruniform durch den Waggon. „Ein Sattelschlepper ist gegen die Brücke direkt vor uns gekracht. Sie ist deshalb kurzzeitig gesperrt.“

„Für wie lange?“ Rick sprach im Sinne aller.

„Bis wir sicher sind, dass sie hält. Wenn allerdings die Träger Schaden genommen haben …“

„Wie lange dauert es, bis Sie das wissen?“, unterbrach ein beleibter Mann, der einen blauen Flanellschlafanzug trug.

„Ein Inspektor kommt aus Omaha. In ein paar Stunden sollte er da sein. Bis es hell wird, kann er sowieso nicht viel tun. Wir entschuldigen uns für diesen Aufenthalt, aber machen Sie sich keine Sorgen. Gehen Sie wieder schlafen, und unsere Crew wird Ihnen in ein paar Stunden ein schönes Frühstück machen.“

„Wo sind wir denn?“, rief Rick.

„In Fort Powell, Nebraska, ungefähr dreizehn Meilen südlich von Kearney. Mit dem Zug ist alles okay.“

„Was ist, wenn der Zug nicht über die Brücke kann?“, fragte der Mann im Flanellpyjama.

Der Eisenbahner versuchte, sich zum nächsten Wagen durchzukämpfen. „Es ist noch nichts entschieden, aber wir bringen Sie dahin, wohin Sie müssen.“

„Vermutlich müssen wir zurück nach Omaha“, brummte ein anderer Passagier, als sich die Menge zerstreute.

Zurück im Abteil, stellte Rick die Sitze aufrecht und schob das obere Bett an die Wand, damit sie Platz zum Sitzen hätten. Kim sah aus dem Fenster und sah Lichter, wo die Gleise eine Kurve beschrieben.

„Es kommt mir alles so unwirklich vor“, bemerkte Kim.

„Ich sehe mal nach.“ Rick zog sich seine Stiefel an.

„Heißt das, du gehst dort hinaus?“

„Der Hügel ist ja hier nicht so steil.“

„Kannst du das denn, einfach so aus dem Zug gehen?“

Rick lachte trocken. „Wir sind doch keine Gefangenen.“

Kim fühlte sich sehr allein, als Rick fort war. Unter dem Fenster gingen noch weitere Fahrgäste zusammen mit Rick den Hügel hinunter. Männer! Was wollten sie denn beweisen, indem sie im Dunkeln durch knietiefen Schnee pflügten? Sie konnten den Zug ja nicht über die Brücke befördern, indem sie sich die Unfallstelle ansahen.

Kim kuschelte sich in den Sitz, wobei sie ihre Jacke als Decke benutzte, und bewies sich zu ihrer eigenen Zufriedenheit, dass der Sitz bequem genug zum Schlafen war.

Rick stieg den Abhang hinab, wobei er immer wieder auf dem rauen, schneebedeckten Untergrund ausrutschte. Er war durch diese weitere Verspätung so frustriert, dass er schon selber den Zug über die Brücke schieben wollte. Die Unfallstelle war kaum eine halbe Meile weit entfernt. Rick lief auf das Lichterbündel zu. Was er sah, war alles andere als ermutigend. Ein Sattelschlepper war unter der Eisenbahnbrücke außer Kontrolle geraten und so heftig gegen einen Betonpfeiler geprallt, der dieser eingestürzt war. Der Sattelschlepper war umgestürzt wie ein Spielzeug im Sandkasten.

Rick ging zu einem Straßenarbeiter.

„Gibt es eine Chance, dass der Zug über die Brücke darf?“

„Klar – in ein paar Jahren, wenn sich die Schreibtischhengste an die Arbeit machen. Ich würde nicht mal mit meinem Motorrad über diese Brücke fahren.“

Der Mann bestätigte damit Ricks eigene Einschätzung. Wenn ihm nicht bald etwas einfiel, würde die Traumfrau seines Bruders schon wieder die Scheidung einreichen und um eine kräftige Abfindung nachsuchen, ehe Rick überhaupt ankäme.

Er ging die Straße zurück und starrte über die trostlosen Felder. Als er sich beeilt hatte, um an den Ort des Geschehens zu gelangen, hatte er sich auf die Lichter an der Brücke konzentriert. Nun sah er ein großes Schild mit der Aufschrift „Truck Stop“ im Dunst aufscheinen. Entfernungen waren um diese Zeit vor der Dämmerung schwer abzuschätzen, aber es schien ungefähr eine Meile südlich des Zuges zu sein.

Eine Fernfahrerraststätte bedeutete Transport, und Rick war bereit, mit allem zu fahren, was sich in Richtung Westen bewegte.

Der Hügel schien steiler, als Rick zum Zug zurückging. Aber viel schlimmer würde es sein, ohne Kim weiterzufahren. Sie hatte die lange Fahrt bisher weniger langweilig gemacht. Natürlich folgte daraus gar nichts. Er hatte einen größeren Test bestanden: eine Nacht mit ihr in einem Abteil zu verbringen, das kaum größer als ein Kleiderschrank war. Den kleinen Kuss mal ausgenommen und ebenso seine Fantasien, von denen einige ganz schön scharf waren, hatte er Kim da gehalten, wo sie hingehörte – auf Abstand.

Himmel, sie mochte ihn nicht einmal. Wieso auch? Sie bekam bei der Erwähnung des Wortes „Hochzeit“ einen verklärten Blick, und er, Rick, schuldetet ihr keine Erklärung wegen Brian. Wenn es die erste größere Romanze seines Bruders wäre, hätte Rick damit leben können. Noch hatte er die neue Frau nicht kennengelernt, aber er hielt es einfach nicht aus, dass sich sein einziger Bruder wie ein Idiot benahm.

Als Rick den Zug erreichte, kletterte er in den Waggon, wo sich das Gepäck befand. Einen Moment lang war er versucht, seine Reisetasche zu nehmen und abzuhauen. Im Abteil hatte er nur noch sein Rasierzeug, aber konnte nicht wissen, was Kim machen würde, wenn er verschwände. Er wusste, sie würde sich sorgen.

Sie schlief unter ihrer Regenjacke. Ihre aufregenden langen Beine waren quer über den Gang gelegt.

Vielleicht konnte er ihr ja eine Nachricht hinterlassen. Er brauchte Kim nicht aufzuwecken. Er griff in den Winkel zwischen Sitz und Wand, um sich eine der Reklamepostkarten zu nehmen, die hinter einer Landkarte steckten.

„Huch!“, stieß Kim schläfrig hervor. „Ich habe dich gar nicht zurückkommen hören.“

Ricks Blick wanderte unwillkürlich zu ihren hübschen Brüsten, die sich verführerisch unter dem Schlafanzugoberteil abzeichneten. Ein Tag oder auch zwei mit Kim allein in einem Abteil wäre nicht das Schlechteste. Doch sein Verstand sagte ihm, dass es das Beste für sie beide wäre, wenn sie sich trennten.

„Ich bin wegen meines Rasierzeugs gekommen“, erklärte er. Dass er gehen wollte, mochte er ihr nicht sagen.

„Wegen mir musst du dich nicht rasieren“, wehrte sie ab, auf einmal gar nicht mehr schläfrig.

„Das will ich auch nicht.“

„Hast du etwas erfahren?“, fragte Kim.

„Nichts Gutes. Zum Glück hat der Fahrer überlebt, aber der Sattelschlepper hat einen Stützpfeiler umgerissen.“

„Bist du sicher?“

„Ja.“

„Wie lange dauert es, bis es weitergeht? Ich sorge mich um meine Schwester.“

„Der Zug wird umgeleitet“. Vom langen Aufenthalt sagte Rick nichts. „Du kommst noch rechtzeitig an.“

Ich komme an?“

„Es gibt ungefähr eine Meile von hier einen Fernfahrerstopp. Da werde ich hingehen und mir eine Mitfahrgelegenheit suchen. Sonst ist mein Bruder womöglich schon verheiratet, wenn ich komme.“

„Mit einem Lkw kommst du niemals rechtzeitig hin.“

„Nein, aber ich kann vielleicht irgendwo südlich von hier einen Flughafen erreichen, der offen ist. Ich werde verrückt, wenn ich noch länger in diesem Zug sitze.“

„Ich komme mit.“

„Das ist keine gute Idee.“

„Wieso nicht?“

„Du kannst nicht einfach per Anhalter fahren.“

„Wieso nicht? Du bist doch bei mir.“ Kim kletterte auf den Rand des Sitzes und versuchte an ihren Matchbeutel zu gelangen.

„Du kommst nicht mit mir. Du bist viel besser dran, wenn du hier im Zug wartest.“

„Ich gehe aber mit. Wenn du mich nicht dabei haben willst, gehe ich eben alleine.“

„Das ist doch verrückt.“

„Kann sein, aber ich wette drei zu eins, dass ich vor dir einen Wagen bekomme.“

„Ich dachte, du wettest nicht.“

„Wenn ich mir ganz sicher bin, tue ich es schon.“

„Sei vernünftig, Kim.“

„Ich bin in zwei Minuten fertig und angezogen. Du kannst warten oder auch nicht, es liegt ganz bei dir.“

„Du machst einen schlimmen Fehler.“

„Und du nicht? Das heißt dann wohl, du willst ohne mich los. Viel Glück.“

„Ich werde zwei Minuten warten. Wenn du nicht in genau hundertzwanzig Sekunden zurück bist, gehe ich, und du bleibst hier. Wenn du zurück bist, kommst du mit mir.“

„Abgemacht! Vergleichen wir die Uhren.“ Kim sah auf das Zifferblatt ihrer Uhr. „Deine geht fünf – nein, sieben Sekunden nach“, meinte sie.

„Woher bist du so sicher, dass deine nicht zu schnell geht?“

Es war lächerlich, wegen ein paar Sekunden Unterschied aneinanderzugeraten. Rick hatte noch nie eine Frau getroffen, die in weniger als zwanzig Minuten angezogen war.

„Achtung, fertig, los.“ Die Regenjacke über die Schulter geworfen, lief Kim auf den Korridor.

Rick liebte die Präzision seine Schweizer Uhr mit ihrem komplizierten Hightech-Zifferblatt, das Tag, Stunde, Minute und Sekunde so effizient anzeigte, aber er hatte bislang noch nicht gewusst, wie lang zwei Minuten waren. Was könnte er denn in hundertzwanzig Sekunden schaffen? Sich rasieren, die erste Seite der Morgenzeitung überfliegen, ein Dokument auf dem Computer öffnen und mit der Arbeit anfangen? Er war froh über die Routine in seinem Leben, in dem es weder große Höhen noch bedrückende Tiefen gab. Doch jetzt hatte er das Gefühl, dass die Dinge zunehmend außer Kontrolle gerieten.

Noch dreißig Sekunden. Kim konnte es nicht schaffen. Zu seiner Überraschung drückte er ihr die Daumen. Dann gewann seine Vernunft die Oberhand, und er sah nichts als Ärger auf sich zukommen, wenn Kim mit ihm weiterzog.

„Noch drei Sekunden!“ Mit roten Wangen kam Kim ins Abteil gelaufen und hatte die Zufriedenheit einer Siegerin.

„Was ist mit deinem Gepäck? Du reist ja nicht gerade ohne.“

„Weil ich wieder nach Phoenix ziehe, und nicht bloß zu Besuch zu bin. Ehe ich aus Detroit weggegangen bin, habe ich tonnenweise Sachen per Frachtgut losgeschickt, was nicht gerade billig war. Aber egal, ich reise nie mit mehr, als ich selber tragen kann.“

„Natürlich“, bemerkte Rick trocken und dachte daran, wie er ihr beim Einsammeln ihre Dessous geholfen hatte. „Du machst einen großen Fehler.“

„Eine Wette ist eine Wette. Ich habe gewonnen, also komme ich mit.“

„Der Hügel ist steil.“

„Du sagtest, es wäre nicht so schlimm.“

„Das war, ehe ich ihn wieder heraufgestiegen bin.“

Als würde Brian ihm nicht schon genug Kummer bereiten. Nun musste er sich auch noch um Kim sorgen.

„Gehen wir.“ Es war ihm egal, ob er sich überzeugend anhörte.

Das erste Problem war ihr Gepäck, und Rick ging voraus auf dem Weg zum Gepäckwagen. Er war nicht gerade sehr heldenhaft, als er Kim anbot, den großen Rollenkoffer zu nehmen. Sie konnte ihn keinesfalls den schneebedeckten Abhang hinunterbefördern.

„Den nehme ich.“

„Ich lasse ihn einfach den Hügel runterrutschen.“

„Und wenn er von einem Stein aufgeschlitzt wird? Nein danke. Ich habe schon genug von deinen Sachen gesehen. Das eine Mal muss reichen.“ Rick nahm den Hartschalenkoffer vom Gepäckfach. „Du kannst ja den Inhalt auf den Matchbeutel und den großen Koffer verteilen.“

„Geht nicht. Die sind schon zu voll. Wie auch immer, ich will es so.“ Sie nahm ihm den alten Koffer weg.

„Hat der irgendeinen Wiederverkaufswert? Fünfzig Cents? Ich werde dir einen neuen kaufen. Mit dem Ding würde ich nicht trampen.“

„Da ist kein Platz …“

Rick öffnete den Hartschalenkoffer und den Matchbeutel, voller Furcht, Kim könnte bezüglich des Platzmangels recht haben. Er schaffte es, ein paar Slips in den schwarzen Beutel zu stopfen, aber das war es auch. Kim half mit, indem sie versuchte, etwas mehr in den Rollenkoffer zu stecken, aber der war schon weit über sein Fassungsvermögen ausgebeult.

„Stopf deine Jackentaschen voll“, schlug Rick vor.

„Nein, ich sehe schon mit dem Schlafanzug unter meinen Sachen so ausgebeult aus.“

„Den hast du noch an? So was nenne ich Wettbetrug.“

„Nein. Ich habe anständig und ehrlich gewonnen.“

Rick wusste, was er zu tun hatte. Er hatte nur für eine kurze Reise gepackt. Es war noch genug Platz in seiner Tasche. „Ich lege den Rest in meine Tasche. Wir können später wieder alles aussortieren.“ Er versuchte, ihre Reizwäsche nicht anzusehen, als er sie in seine Reisetasche stopfte, aber schon die bloße Berührung bewirkte, dass ihm heiß wurde und er Lust bekam.

„Gehen wir“, sagte er, nachdem Kim sich vergewissert hatte, dass ihr Koffer leer war.

Autor

Kate Hoffmann
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