Tiffany Hot & Sexy Band 42

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DIE QUINNS: ROGAN von HOFFMANN, KATE
Was für eine Idee, Angst-Patienten in den Regenwald zu bringen! Bevor alles im Chaos versinkt, macht sich Bergführer Rogan daran, die Gruppe zu beruhigen. Und der Psychologin Claudia zu zeigen, was ein Mann wie er unter einer Expedition an unbekannte Orte versteht …

HEIß GEKÜSST - EISKALT BETROGEN? von HUNTER, SAMANTHA
"Was ist nur los mit dir?" Vanessa schaut Luke verständnislos an. Sie ist noch atemlos von seiner Liebe, da stößt er sie schon wieder weg! Was verbirgt der Bodyguard vor ihr? Vanessa macht sich mit den erotischen Waffen einer Frau daran, sein Geheimnis zu ergründen …

NADELSTREIFEN UND LEDERTANGA von IRELAND, KELLI
Tagsüber seriöser Geschäftsmann, nachts der beste Stripper der Stadt: Eric führt ein Doppelleben, das unbedingt geheim bleiben muss. Wie dumm, dass nach einer seiner Shows die süße Cass in seinem Bett landet. Denn am nächsten Tag tritt er ihr unverhofft im Anzug entgegen …

IM BETT MIT DEM COACH von WARREN, NANCY
Solche Männer kennt sie zur Genüge! Adam ist auch nur ein Macho, der sich nichts von einer Frau sagen lässt. Und doch - der Polizist geht Serena nicht aus dem Kopf. Als sie Hilfe braucht, eilt er herbei. Und plötzlich wird aus dem harten Typen ein zärtlicher Verführer …


  • Erscheinungstag 17.02.2015
  • Bandnummer 0042
  • ISBN / Artikelnummer 9783733750701
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kate Hoffmann, Samantha Hunter, Kelli Ireland, Nancy Warren

TIFFANY HOT & SEXY BAND 42

KATE HOFFMANN

Die Quinns: Rogan

Diese Reise hatte sich Psychologin Claudia anders vorgestellt. Zwar beruhigt Rogan Quinn ihre Patienten – dafür bringt er Claudia jede Nacht in Aufruhr. Doch eine Zukunft mit ihr will er nicht!

SAMANTHA HUNTER

Heiß geküsst – eiskalt betrogen?

Das ist sie – die Frau, an der sich Luke rächen wird! Er weiß, dass Vanessa ein Herz aus Eis hat, aber ihr Körper ist heißer als jeder Vulkan. Kann so eine erotische Frau wirklich eine Betrügerin sein?

KELLI IRELAND

Nadelstreifen und Ledertanga

Langsam entblättert sich der Stripper – und als Erics letztes Kleidungsstück fällt, weiß Cass: Sie will ihn – sofort! Sie ahnt nicht, dass sie Eric bald wiedersehen wird. Dann aber als ihren Gegner!

NANCY WARREN

Im Bett mit dem Coach

Er braucht keinen Coach – schon gar keinen weiblichen! Adam ist der beste Mittelstürmer, den das Team je hatte – auch ohne Psycho-Doc! Doch als Serena seine Hilfe braucht, kommt er ihr sehr nahe …

PROLOG

Rogan Quinn sah zum Fenster hinaus und beobachtete die Menge, die sich vor dem Gartenzaun versammelt hatte.

„Was wollen die hier?“, fragte er in den Raum hinter sich.

Sein Zwillingsbruder Ryan trat neben ihn und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ein gutes Foto, wie wir um Dad weinen, damit sie allen zeigen können, wie traurig wir sind.“

„Den Gefallen werde ich ihnen nicht tun“, sagte Rogan stur. „Ich wünschte, sie würden einfach weggehen und uns in Ruhe lassen.“ Er trat von der Scheibe weg und sein Blick blieb an der geschlossenen Schlafzimmertür hängen. Seine Mutter war den ganzen Morgen noch nicht herausgekommen.

Seit Rogans Vater vor einem Monat gestorben war, hatte sie gute und schlechte Tage gehabt. An den guten Tagen schaffte sie es, in ihrem Morgenmantel am Esstisch zu erscheinen. Dann saß sie dort und ignorierte ihre vier Kinder, bis sie zurück ins Schlafzimmer schlurfte.

Rogan hatte den Verlust seines Vaters erlebt und es war niederschmetternd gewesen, aber er hatte den Schmerz überlebt. Warum war seine Mutter zum Opfer geworden? Er hatte gesehen, was die Liebe und der Verlust seiner Mutter angetan hatten.

Er hatte in den letzten Wochen oft darüber nachgedacht. Was machte die Liebe zwischen seinem Vater und seiner Mutter so besonders? Vielleicht war es etwas, das nur Erwachsene verstanden. Rogan spürte, dass er den Schmerz seiner Mutter verstehen würde, wenn er älter war. Er wollte ihn nur nicht selbst fühlen.

Rogan klopfte an die Schlafzimmertür. „Mum? Soll ich dir etwas Tee bringen?“

Er wartete, in der Hoffnung, dass er diesmal eine Antwort erhalten würde, aber es blieb still. Er ging wieder zum Fenster. Wenn diese Mediengeier nur verschwinden würden, vielleicht würde sie dann wieder die Mutter sein, die sie immer gekannt hatten – die Mutter, die mit ihnen lachte und sie liebte.

„Ich gehe da raus“, murmelte Rogan.

„Nein, tu’s nicht“, erwiderte Ryan, seinen Arm ergreifend. „Oma hat gesagt, wir sollen so tun, als wären sie nicht da. Sie wird sie vertreiben.“

„Ich werde nicht warten, bis sie da ist“, meinte Rogan. „Wir tun das. Bist du dabei?“

„Okay.“

Rogan öffnete die Tür. Als die Reporter sie sahen, drängten sie sich an den Zaun und riefen ihnen Fragen zu. Die Kameras blitzten und Rogan hielt eine Hand hoch, um den Ansturm abzuwehren, aber sein Ärger wuchs an.

Mit einem stummen Fluch rannte er die Vordertreppe hinunter und ergriff einen Klumpen Erde aus dem Blumenbeet. Mit aller Kraft warf er ihn der Menge entgegen. „Lasst uns in Ruhe“, rief er. „Haut ab. Wir wollen nicht mit euch reden.“

Die Erde, die auf die Meute niederprasselte, reichte aus, um sie alle in Bewegung zu setzen. Ryan schloss sich ihm an und warf Erdklumpen über den Zaun, bis sich alle zu ihren Autos zurückgezogen hatten. Rogan fand einen Stein und traf die Windschutzscheibe des Autos, das am nächsten stand. Als es davonfuhr, hob er noch einen auf und warf ihn hinterher.

Nacheinander eilten die Reporter davon und als die Straße vor dem Haus endlich leer war, sah Rogan seinen Bruder an und grinste. „Feiglinge“, murmelte er.

Ryan lachte leise. „Denen haben wir’s gezeigt, was?“

„Stimmt“, antwortete Rogan.

Als sie ins Haus zurückgingen, war Rogan überrascht, als er ihre Mutter am Fenster stehen sah. Sie sah ihn und Ryan an und schenkte ihnen ein schwaches Lächeln. „Gute Arbeit“, murmelte sie, bevor sie sich abwandte.

„Mum? Soll ich dir eine Tasse Tee machen?“, fragte Rogan erneut.

Sie blieb stehen und holte tief Luft. „Das wäre schön“, sagte sie mit einem Nicken. „Eine Tasse Tee würde mir guttun.“

Rogan und Ryan eilten zu ihr hinüber. Jeder nahm eine Hand und gemeinsam führten sie sie zum Sofa. Sie setzten sich neben sie und ihre Mutter legte die Arme um ihre Schultern und zog sie an sich.

„Ihr seid meine tapferen, starken Jungen“, flüsterte sie. „Versprecht mir, dass ihr mich nie verlasst.“

„Das verspreche ich, Mum“, erwiderte Rogen.

„Ich auch.“

Rogan gab sich selbst in Gedanken ein Versprechen. Wenn die Liebe ihrer Mutter das angetan hatte, dann wollte er sie nicht. Sie brachte nur Verzweiflung und Einsamkeit. Kein Mädchen konnte das wert sein.

1. KAPITEL

Das Klingeln seines Handys riss Rogan aus dem Tiefschlaf. Stöhnend drehte er sich um und suchte auf dem Nachttisch nach dem Telefon.

Schlanke weibliche Finger strichen über seinen Bauch und er lächelte, als ihr warmer nackter Körper sich enger an ihn schmiegte.

„Willst du rangehen?“, murmelte Kaylee.

Er warf einen Blick auf das Display. Wenn es seine Mutter oder einer seiner Brüder war, konnte er sie auf die Mailbox sprechen lassen. Aber als er den Namen seiner nächsten Expeditionskundin, Dr Claudia Mathison, sah, überlegte Rogan es sich anders. „Es dauert nur einen Moment“, sagte er.

Kaylee seufzte. „Beeil dich. Ich muss bald gehen.“

Er setzte sich auf und hielt das Handy ans Ohr. „Doctor Mathison“, sagte er verschlafen.

„Guten Morgen, Mister Quinn. Ich hoffe, ich störe Sie nicht?“ Sie wartete seine Antwort gar nicht ab. „Es gibt da noch ein paar Dinge, die ich besprechen möchte. Die Details sind wichtig, um diesen Trip so reibungslos wie möglich ablaufen zu lassen.“

Die Psychologin Claudia Mathison hatte ihn in den letzten paar Wochen mindestens zweimal täglich wegen ihrer „Details“ angerufen und sie trieb ihn wirklich langsam in den Wahnsinn. Ja, er verstand, dass dieser Trip für ihre fünf Patienten mit ihren Phobien eine große Herausforderung war. Aber es ging hier um Menschen, die in der Realität lebten, nicht um ein paar Invalide, die sich kaum um sich selbst kümmern konnten.

Als Rogan die Expedition angenommen hatte, hatte er vor seinen Brüdern, Malcolm und Ryan, damit angegeben, wie dieser Trip einen völlig neuen Markt für Maximum Adrenaline, das Familienunternehmen, das Abenteuerreisen anbot, erschließen könnte. In den letzten Jahren hatte ein rivalisierender Anbieter – der ehemalige Geschäftspartner ihre Vaters – ihnen schwer zugesetzt. Aber Rogan glaubte, dass sie ihr Hauptgeschäft, Klettern und Trekkingexpeditionen, erweitern und sich so einen Vorteil gegenüber ihren Wettbewerbern verschaffen konnten.

Doch Rogan hatte noch ein anderes Motiv, um einen neuen Geschäftszweig zu suchen. Obwohl er anfangs glücklich gewesen war, mit seinen Brüdern zu arbeiten und das Andenken seines Vaters zu bewahren, hatte er dies nicht als den Beruf angesehen, den er für den Rest seines Lebens ausüben wollte. Sobald das Geschäft erfolgreich war, hatte er immer seinen eigenen Weg gehen wollen. Aber das Geschäft schien nie in die schwarzen Zahlen zu kommen und neuerdings fragte er sich, ob es nicht mehr im Leben gab, als Berge zu besteigen und Gletscher zu überqueren.

Er war den ständigen Stress und sein entwurzeltes Dasein leid. Er wollte neue Orte sehen, neue Abenteuer erleben, aber er führte die Kunden seit vier Jahren dieselben Routen entlang.

Neue Routen anzubieten war immer ein Risiko für das Geschäft und eine große Investition, was Zeit und Ausrüstung betraf. Aber wenn er und seine Brüder eine einfache Einkommensquelle fänden, eine, bei der sie ihr Kapital nicht aufs Spiel setzen mussten, dann könnte er Maximum Adrenaline vielleicht hinter sich lassen und sein eigenes Leben leben. Darum musste er dafür sorgen, dass Claudia Mathison zufrieden war.

„Was kann ich heute Morgen für Sie tun, Doctor?“

„Ich bin gerade die Zeltbelegung durchgegangen und ich glaube, wir brauchen zwei Zelte mehr“, meinte sie. „Eigentlich wäre es noch besser, wenn jeder sein eigenes Zelt hätte, falls das nicht zu viel Mühe macht. Ich habe es hier mit sehr launischen Menschen zu tun und ich will, dass alles glattgeht.“

„Nein, es macht keine Mühe, die Anzahl der Zelte zu verdoppeln“, erwiderte er. „Solange es Ihren Patienten nichts ausmacht, ihr eigenes Zelt zu tragen. Bedenken Sie bitte, dass unsere Zwei-Personen-Zelte für diese Art Expedition acht Pfund wiegen. Also muss jeder das Extragewicht mit sich herumtragen.“

„Acht Pfund? Das ist nicht viel“, meinte sie.

„Wenn man einen steilen Pfad hinaufklettert schon“, entgegnete er. „Was wir auf diesem Trip tun werden.“

„Vielleicht könnten Sie jemanden mit den Zelten vorausschicken?“, schlug sie vor.

„Doctor Mathison, ich dachte, Sie wollten eine Herausforderung für Ihre Patienten. Ich habe eine Woche Überlebenstraining und Camping geplant. Wenn Sie wollen, dass Maximum Adrenaline die ganze Arbeit übernimmt, dann sollten Sie das nächste Kurhotel buchen und sich mit Massagen und Mineralbädern begnügen.“

Sie schwiegen beide und Rogan biss sich auf die Unterlippe. Normalerweise hütete er sich, solche Dinge laut auszusprechen, besonders gegenüber einer neuen Kundin. Aber zusätzlich zu ihrer ständig anwachsenden Liste an Dingen, um die Ängste ihrer Phobiepatienten zu besänftigen, wollte sie der Unternehmung jetzt jegliche Herausforderung nehmen. Diese Frau musste unbedingt lockerer werden.

Dennoch brauchten sie den Auftrag dringend fürs Geschäft. „Es tut mir leid“, sagte er. „Vielleicht sollte ich Sie zurückrufen, wenn ich eine Tasse Kaffee getrunken habe.“

„Das wäre vielleicht das Beste“, meinte sie. „Rufen Sie mich um Viertel vor eins meiner Zeit an. Das wäre bei Ihnen Viertel vor vier. Dann können wir die letzten Details besprechen.“

Rogan rieb sich die Stirn. Wenn es hier in Auckland neun Uhr morgens war, dann war es sechs Uhr morgens in Sydney, wo sie lebte. „Arbeiten Sie immer so früh?“, fragte er.

„Ich brauche nicht viel Schlaf“, antwortete sie. „Wir reden später.“

„Okay. Bis dann.“

Rogan ließ sich zurück aufs Bett fallen und legte den Arm über die Augen. Ein paar Sekunden später drückte Kaylee ihm einen Kuss auf die Brust. Als er hinabblickte, sah er, wie sie ihn anlächelte. „Guten Morgen“, sagte sie.

„Morgen“, erwiderte er. „Tut mir leid.“

„Kein Problem“, meinte sie. „Zeit aufzustehen. Ich muss heute einiges packen.“

Rogan runzelte die Stirn. „Packen? Machst du Urlaub?“

Kaylee lächelte ihn unsicher an. „Nein. Eigentlich ziehe ich um.“

„Wirklich? Hast du eine neue Wohnung?“

„Eher … ein neues Leben“, sagte sie. Sie setzte sich neben ihm auf und zog das Laken um ihren nackten Körper. „Ich wollte es dir letzte Nacht erzählen, aber dann hatten wir die Drinks und dann wurde es heiß zwischen uns. Ich ziehe mit Denny Fitzgerald nach Christchurch. Er ist befördert worden und hat mich gefragt, ob ich mitkomme. Und ich habe Ja gesagt.“

„Warte“, sagte Rogan kopfschüttelnd. „Du und Denny?“

Kaylee zuckte mit den Schultern. „Ja. Er ist ein netter Kerl, Rogan. Wir sind uns nähergekommen. Er liebt mich und er will sein Leben mit mir verbringen. Und er ist für mich da.“

„Wann ist das denn passiert?“

„Das geht seit etwa einem Jahr, aber es war nichts Offizielles. Das heißt, bis jetzt.“

„Warum habe ich davon nichts mitbekommen?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht, weil du nie zu Hause bist. Hör zu, du bist ein netter Kerl, Rogan, aber eine Frau kann sich nicht mit ein paar Wochen unglaublichem Sex drei- oder viermal im Jahr zufriedengeben. So schön es auch ist, es reicht nicht. Ich will … mehr. Ich will einen Ehemann und eine Familie. Denny kann mir das geben.“

„Ich könnte dir mehr geben“, sagte Rogan. Aber als er es sagte, wusste er, dass es nicht stimmte. Er war vollkommen zufrieden mit dem, was sie gehabt hatten – toller Sex alle zwei oder drei Monate, wenn er zu Hause war … aber er hatte nicht an sie gedacht, wenn er weg war.

Kaylee strich ihm mit der Hand über die Wange. „Du glaubst nur, dass du das willst“, flüsterte sie. „Aber ich kenne dich. Du wirst dich nie binden. Das ist einfach nichts für dich.“

„Ja“, murmelte Rogan. „Aber manchmal wünschte ich, es wäre nicht so.“

Ein wehmütiges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Denny und ich werden sehr glücklich werden.“

Rogan nickte widerstrebend. „Ich hoffe, er weiß, was für ein tolles Mädchen er bekommt.“

„Ich glaube, das tut er.“ Sie begann, das Schlafzimmer nach ihrem Slip abzusuchen. „Du wirst eine andere finden. Frauen fühlen sich immer zu Männern wie dir hingezogen. Zumindest für eine Weile.“

Rogan sah stumm zu, wie Kaylee sich anzog. Von allen Mädchen, mit denen er ausgegangen war, war sie ihm das liebste gewesen. Sie war nett und sexy und verlangte nichts – sie war immer zufrieden mit dem gewesen, was er ihr gegeben hatte. Bis jetzt.

Sie ließ sich aufs Bett fallen und wandte sich ihm zu. „Also verabschieden wir uns jetzt.“

„Sieht so aus“, murmelte Rogan.

Sie beugte sich zu ihm hinüber und drückte ihm einen raschen Kuss auf die Lippen. „Es war schön. Und ich werde dich vermissen. Pass auf dich auf.“

„Ich werde dich auch vermissen.“

Sie lachte und ihre Augen blitzten auf. „Nein, wirst du nicht. Du wirst bis nächste Woche ein neues Mädchen in deinem Bett haben.“

Kaylee sprang auf, ging zur Tür und drehte sich nur einmal um, um ihm eine Kusshand zuzuwerfen. „Also dann, Rogan. Ich wünsche dir ein schönes Leben.“

„Also dann, Kaylee. Pass auf dich auf.“

Er lauschte ihren Schritten und schloss die Augen, als die Vordertür ins Schloss fiel. „Verdammt“, murmelte er.

Die Haustür öffnete sich und das Geräusch beendete seine momentane Depression. Rogan grinste. Vielleicht hatte sie ihre Meinung schon geändert. Denny Fitzgerald war ein Vollidiot und keine Frau, die bei Verstand war, würde ihn wählen. „Schon zurück?“, rief er.

„Ich bin’s.“

Ein paar Augenblicke später kam Malcolm, Rogans älterer Bruder, durch die Schlafzimmertür. „Ich habe Kaylee draußen getroffen. Tut mir leid für dich.“

Rogan fluchte leise, stand auf und ging ins Bad. „Seit wann weißt du das von ihr und Denny Fitzgerald?“

„Dana hat es mir vor ein paar Monaten erzählt. Ich dachte, du wüsstest es.“ Dana, ihre Schwester, konnte normalerweise kein Geheimnis für sich behalten.

„Ich habe es vor“, er sah auf dem Weg ins Bad kurz zur Uhr hinüber, „drei Minuten erfahren“, sagte Rogan, als er anfing, sich die Zähne zu putzen. „Kann es ihr nicht verübeln. Ich habe ihr nicht viel zu bieten.“ Er sah aus der Badezimmertür hinaus. „Was machst du hier?“

Mal hielt einen großen Briefumschlag hoch. „Ich wollte dir das hier bringen. Es sind die ersten drei Kapitel der Biografie, die Amy über Dad schreibt. Ich dachte, du willst sie vielleicht lesen.“

Rogan nahm sich ein Handtuch und wischte sich den Mund ab, dann ging er zurück in Richtung des Wohnzimmers. Als er den Umschlag nicht sofort ergriff, zuckte Malcolm mit den Schultern und ließ ihn auf den Couchtisch fallen.

Rogan war sich nicht sicher, wie er zu dem stand, was bezüglich Max Quinn geschah. Das Buch, die Expedition, um seine Leiche vom Mount Everest zu bergen und der Medienrummel, den es geben würde. Er verstand, warum es Malcolm wichtig war, aber etwas tief in Rogan mahnte zur Vorsicht.

Aber er wusste auch mehr über seinen Vater als Mal – als Mal wissen wollte. Er hatte die Gerüchte über ihren Vater erstmals auf einer Expedition nach Annapurna gehört. Ein paar Bergsteiger hatten sich beim Abendessen unterhalten und das Gespräch war auf Bergsteigerinnen gekommen, ganz besonders auf eine. Annalise Montgomery. Er hatte nicht lauschen wollen, aber als er den Namen seines Vaters gehört hatte, hatte er sich rasch umgedreht, um den anderen beiden ins Gesicht zu sehen. Sie waren verstummt, als sie ihn erkannten, und weigerten sich, mehr zu sagen.

Rogan betrachtete nachdenklich den Umschlag, dann nahm er ihn. „Bist du sicher, dass du das alles ans Licht bringen willst, Mal? Was, wenn wir etwas herausfinden, was wir nicht wissen wollen? Etwas, das Mum verletzt?“

„Sie hält das Buch für eine gute Idee“, meinte Mal

„Aber sie ist noch unschlüssig, was die Expedition betrifft“, entgegnete Rogan.

„Sie wird ihre Meinung ändern. Die Finanzierung steht fast. Und du kannst mir nicht erzählen, dass du den Everest nicht besteigen willst.“

Es stimmte, Rogan wollte den Everest besteigen. Es würde keine Kunden geben, um die er sich sorgen müsste, und es wäre wirklich etwas anderes. Maximum Adrenaline hatte aus Respekt vor ihrer Mutter niemals eine Expedition zum Mount Everest angeboten. Dennoch, er erwartete nicht, dass sie es gutheißen würde, wenn ihre drei Söhne den Gipfel bestiegen, auf dem ihr Mann umgekommen war.

„Ich denke immer noch, dass wir das Buch diskutieren sollten“, sagte Rogan. „Wir alle.“

Mal zuckte mit den Achseln. „Uns alle vier zu einer Zeit zusammenzubringen ist nahezu unmöglich. Und was für einen Unterschied würde es machen?“ Er stand auf. „Jetzt muss ich mein altes Fahrrad suchen. Hast du es gesehen? Amy will ein Fahrrad, damit sie ihre Besorgungen ohne Auto erledigen kann.“

„Keine Ahnung. Warum kaufst du ihr nicht einfach ein neues Fahrrad?“

„Das habe ich vorgeschlagen, aber sie ist gerade auf dem Askesetrip. Sie meint, wir sollten anfangen, unser Geld zu sparen. Damit wir eine Familie gründen können.“

„Ihr seid noch nicht einmal verheiratet“, sagte Rogan und starrte seinen Bruder an.

„Ich weiß. Aber wir reden darüber, es offiziell zu machen. Und wer weiß schon, was danach passiert. Wir wollen beide Kinder, also werden wir früher oder später welche bekommen.“

„Himmel, Mal, das geht alles ein bisschen schnell, findest du nicht?“

„Nein. Jetzt, wo wir wissen, dass wir zusammenbleiben wollen, machen wir den nächsten Schritt. So wie Dad immer gesagt hat, ‚Einen Fuß vor den anderen setzen‘. Nur so bringst du es zu etwas.“

„Wie wird das unsere Termine beeinflussen?“

„Amy weiß, dass wir für lange Zeit getrennt sein werden. Aber sie versteht, dass es sein muss. Es wird klappen. Obwohl ich nicht mehr so viele von den langen Expeditionen machen möchte. Ich hatte gehofft, mit dir und Ryan darüber zu sprechen.“

Rogan fuhr sich mit der Hand durch das zerzauste Haar. So viel zu seinen Plänen, den Familienbetrieb hinter sich zu lassen.

„Klar“, sagte Rogan. „Kein Problem.“

„Super. Es ist nur für eine Weile. Das Geschäft kommt wieder ins Rollen und dann können wir es uns leisten, mehr Tourenführer einzustellen. Irgendwann möchte ich nur noch ein paar Expeditionen im Jahr machen.“

Rogan stand auf. Maximum Adrenaline war immer Malcolms Ding gewesen. Er war derjenige gewesen, der Rogan und Ryan überzeugt hatte, mitzumachen. Und jetzt machte er einen Rückzieher. „Also hast du es geschafft, die einzige Frau auf der Welt zu finden, die sich mit deinem Lebensstil abfindet. Wie hast du das gemacht?“

Er ging frustriert an Mal vorbei in die Küche. Warum war alles immer so viel leichter für Mal? Er schien immer die Kontrolle über alles zu haben – sein Leben, seine Gefühle, seine Frauen.

„Lass deinen Ärger nicht an mir aus“, sagte Mal, als er ihm folgte. „Es ist nicht meine Schuld, dass Kaylee beschlossen hat, sich mit Fitzgerald aus dem Staub zu machen.“

Rogan holte tief Luft, bevor er anfing, Kaffee zu machen. „Es liegt nicht an ihr. Ich hatte nur einen schlechten Start heute.“

Um ehrlich zu sein, konnte er sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt einen guten Start in den Tag gehabt hatte.

„Kopf hoch“, sagte Mal und wiederholte damit einen weiteren Familiengrundsatz.

So gingen die Quinns mit Problemen um – Kopf hoch, einen Fuß vor den anderen setzen und die Ohren steif halten.

„O-kay“, murmelte Rogan.

„Außerdem kann deine neue Kundin nicht so schlimm sein, wie du tust“, meinte Mal.

„Sie hat heute Morgen schon wieder angerufen. Ich glaube, du solltest sie übernehmen. Du kommst mit ihrer Nörgelei besser zurecht als ich.“

„Sie ist deine Kundin“, sagte Mal. „Und was soll das heißen? Ich komme mit dem Nörgeln zurecht?“

Rogan lachte in sich hinein. „Du bist der mit einer Frau in seinem Leben.“

„Ja. Aber Amy nörgelt nicht.“

„Nie?“

Mal schüttelte den Kopf. „Nein. Wir kommen gut zurecht. Ich bin gerne mit ihr zusammen. Es gibt niemanden, mit dem ich meine Zeit lieber verbringen würde.“

„Warum?“, fragte Rogan. „Was ist so besonders an ihr?“

Mal versuchte, seine Gedanken in Worte zu fassen. „Sie bringt mich zum Lachen. Und ich bringe sie zum Lachen. Ich schätze, wenn das so ist, gibt es nicht viel, was uns trennen könnte.“

Rogan lehnte sich im Sofa zurück und schloss die Augen. Vielleicht war es das, was ihm fehlte – jemand, der ihn zum Lachen brachte. Jemand, der sein Leben fröhlicher machte.

„Es ist ein einwöchiger Trip hier auf der Nordinsel“, murmelte Mal. „Wie oft hast du Überlebenstrips gemacht? Du bist wieder da, bevor du es bemerkst.“

„Ja, ja“, gab Rogan zu. „Wieso braucht man antibakterielle Tücher fürs Überleben? Und sie ist besessen von der Menge an Toilettenpapier, die ich mitbringen werde. Du siehst, warum ich Bedenken habe. Ich habe das Gefühl, dass ich mich um kleine Kinder kümmern muss und nicht um fünf Erwachsene.“

„Halt sie bei Laune“, meinte Mal. „Das ist ein neuer Markt für uns. Außerdem hat sie im Voraus gezahlt und wir haben das Geld schon ausgegeben.“

„Wahrscheinlich hat sie deshalb im Voraus bezahlt. Damit ich nicht mehr absagen kann.“ Er seufzte. „Ich werde es überleben. Vielleicht verliere ich meinen Verstand, aber ich werde dafür sorgen, dass alles klappt.“

„Gut“, meinte Mal. „Jetzt zieh dir ein Hemd an und frühstücke. Und dann sehen wir uns Doctor Mathisons Liste an.“

„Meinst du, ich sollte ihr nachlaufen?“, fragte Rogan.

„Doctor Mathison?“

„Nein. Kaylee. Vielleicht ist sie diejenige, die mich zum Lachen bringt, und ich habe es nur noch nicht begriffen.“

„Glaub mir“, sagte Mal, „wenn du sie lieben würdest, wüsstest du es. Vertrau mir.“

Rogan sah zu seinem Bruder hinüber. Er hatte keine andere Wahl, als ihm zu vertrauen. Mal war der einzige von seinen Geschwistern, der zugab, dieses Gefühl erlebt zu haben. Obwohl Rogan verstehen konnte, dass Kaylee nicht die Richtige für ihn war, konnte er sich nicht vorstellen, dass es jemand Besseren geben konnte. Nicht, dass er sich je so verlieben wollte wie Mal.

Jetzt würde er sich auf den nächsten Trip konzentrieren und dafür sorgen, dass Dr Mathison zufrieden war. Um den Rest seines Lebens konnte er sich später kümmern.

Claudia sah zu, wie sich das Karussell der Gepäckausgabe drehte, und betrachtete ihre fünf Patienten, die sich alle in verschiedenen Phasen der Panik befanden. Der dreistündige Flug war ein stressiger Alptraum gewesen, weil jeder der fünf eine Beschwerde hatte.

Emma Wilson, ihre Patientin mit der Bazillenphobie, hatte den Flug damit verbracht, jede Oberfläche um sich herum mit antibakteriellen Tüchern abzuwischen – während sie einen Mundschutz trug. Die klaustrophobische Millie Zastrow war den Gang zwischen ihrem Sitz und der Toilette entlanggetigert. Eddie Findlay, der an Agoraphobie litt, verbrachte den Flug murmelnd unter einer Decke. Leticia Macullum hatte sich mit Alkohol so betäubt, dass sie kurz nach dem Start einschlief und die Höhe ignorierte, die sie normalerweise fürchtete. Und Marshall Block hatte seine Zeit damit verbracht, den Boden sorgfältig nach irgendwelchen Insekten abzusuchen, die sich im Flugzeug angesiedelt hatten, denn er litt unter einer Entomophobie.

Es gab Momente, besonders in letzter Zeit, in denen Claudia sich fragte, ob sie den richtigen Beruf gewählt hatte. Sie arbeitete seit zwei Jahren mit dieser Gruppe und nicht einer der fünf hatte seine Ängste besiegt. Oder auch nur in den Griff bekommen.

Letztes Jahr hatte sie einen Halbtagsjob an einer kleinen Universität in Sydney angenommen und überlegte sich nun, den Beruf zu wechseln. Vielleicht war sie im akademischen Bereich besser als im Umgang mit Patienten. Und die meisten ihrer Patienten wären bei anderen Ärzten mindestens ebenso gut aufgehoben. Vielleicht sogar besser.

Sie sah zu der Gruppe hinüber und fühlte sich schuldig. Es schien ihnen Spaß zu machen, zur Gruppentherapie zu kommen, und obwohl sie sich oft stritten, waren sie doch zu einer Art Familie zusammengewachsen – zu einer dysfunktionalen Familie, aber einer Familie.

Manchmal schienen sie so nahe dran zu sein, ihre Ängste zu überwinden, und dann wurden sie wieder von ihnen überwältigt. Sie hatte gehofft, diese Reise würde sie aus ihrer Komfortzone holen und eine Konfrontation erzwingen. Kein Mitglied der Gruppe war je gereist, weil ihre Ängste sie an ihre tägliche Routine ketteten.

Also hatte sie überlegt, dass sie vielleicht lernen würden, in der Realität zurechtzukommen, wenn sie in einer neuen Umgebung waren. Bis jetzt hatte sie damit falschgelegen.

„Ihr bleibt alle hier“, sagte sie. „Ich muss nur schnell zur Toilette.“

„Nehmen Sie die hier“, sagte Emma Wilson und streckte ihr eine Packung Hygienetücher entgegen. „Man kann nie wissen, was für Keime auf all diesen Armaturen lauern.“

„Danke, Emma. Ich versuche mein Glück ohne die Tücher“, erwiderte Claudia.

Sie machte auf dem Absatz kehrt und eilte durch die Flughafenhalle, während ihr die Tränen in die Augen schossen. Dieser Trip wurde zu einem völligen Desaster. Es hatte auf dem Papier so gut ausgesehen und sie hatte sich vorgestellt, wie sie ihre Erfolgsgeschichte in einem Buch veröffentlichen würde. Sie hatte sich sogar einen Namen ausgedacht: Abenteuer-Therapie.

Claudia ging zu einer leeren Reihe Stühle und setzte sich. Tränen liefen ihr die Wangen herunter und sie ließ es zu, in der Hoffnung, dass das Weinen ihr emotionales Gleichgewicht wiederherstellen würde.

Das Gesicht mit den Händen bedeckend, ließ sie die Frustration zusammen mit den Tränen heraus und schalt sich selbst für ihre Überheblichkeit. Wenn sie unterrichten wollte, musste sie veröffentlichen. Aber sie hatte so verzweifelt nach einer neuen Richtung für ihre Karriere gesucht, dass sie das Wohlergehen ihrer Patienten und ihren guten Ruf riskiert hatte. Wenn sie schon einen dreistündigen Flug kaum überstanden, wie sollten sie dann den Rest der Woche hinter sich bringen?

„Alles in Ordnung?“

Claudia sah auf. Ein Mann stand vor ihr, dessen gut aussehendes Gesicht besorgt dreinblickte. „Natürlich. Wieso?“

„Sie sitzen alleine um Mitternacht in einem fast verlassenen Flughafen und weinen. War nur so eine Idee.“

Ihre Wangen wurden heiß und sie fragte sich, ob er sie aufreißen wollte. Nichts in ihrem Verhalten ließ darauf schließen, dass sie dafür offen war. Vielleicht hatte er einen Ritterlichkeitskomplex, der ihn zwang, Menschen in Not zu helfen. Oder vielleicht war er einfach nur ein netter Mann, der sich ein wenig um eine Fremde sorgte.

„Ich muss mich nur etwas abreagieren“, erklärte sie. „Dieser Tag war eine einzige Katastrophe.“ Sie holte Luft. „Ich musste nur etwas von dem Stress loswerden.“ Claudia streckte die Arme aus und schüttelte ihre Hände.

„Stress kann Sie umbringen“, erklärte er. „Brauchen Sie etwas? Eine Tasse Tee? Etwas zu essen?“

„Es geht mir gut“, sagte sie. „Einen Moment noch, dann gehe ich zurück zu meiner Gruppe.“

„Ihre Gruppe?“ Er lachte leise. „Sie sind nicht zufällig Doctor Mathison, oder?“

„Das bin ich“, antwortete sie. „Woher …“ Claudia hielt inne. „Und Sie sind Rogan Quinn?“ Sie zwang sich zu lächeln. „Natürlich sind Sie das.“ Neue Tränen sprangen ihr in die Augen. „Das ist großartig. Ich soll hier die Leitung haben und Sie finden mich heulend wie eine Idiotin vor.“

Rogan schüttelte den Kopf. „Sie sehen nicht aus wie eine Idiotin. Und manchmal müssen wir uns alle mal ausheulen“, neckte er sie. „Um ehrlich zu sein, Sie wirkten etwas zu angespannt, als wir das letzte Mal telefoniert haben.“

„Bitte?“

„Dieser Trip soll Spaß machen. Davon scheinen Sie gerade weit entfernt. Ich sehe, ich habe einen Haufen Arbeit vor mir.“

„Ich bin nicht diejenige, die Hilfe braucht“, sagte sie und warf ihm einen trotzigen Blick zu.

„Oh, aber ich bin mir sicher, ich kann Ihnen auch etwas Gutes tun“, erwiderte Rogan. „Machen Sie sich locker. Sie sind im Urlaub.“

„Ich bin recht locker, danke.“ Claudia wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht. „Und ich bin nicht im Urlaub. Das ist Arbeit.“

„Arbeit oder nicht, ich habe Zimmer in einem Hotel in der Nähe reserviert“, sagte er. „Ich dachte, Nachtruhe ist genau das, was der Doktor verordnet hat.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen. „Kommen Sie. Kopf hoch und dann machen wir uns auf den Weg. Einen Schritt nach dem anderen.“

Sie legte ihre Hand in seine. Es wäre unhöflich gewesen, diese freundliche Geste zu missachten. Und er versuchte wirklich zu helfen. Aber Claudia war nicht auf ihre Reaktion gefasst gewesen, als er sie berührte. Ihr Herz setzte einige Schläge aus und für einen Moment vergaß sie zu atmen.

Sie stand auf und es gelang ihr, zu sprechen. „Danke.“ Sie zog vorsichtig ihre Hand aus seiner, aber als sie die Halle zur Gepäckausgabe entlanggingen, legte er ihr seine Hand auf den Rücken.

Sie waren nicht in einer Menge. Es gab keinen Grund, sie zu berühren, doch er schien sich wohl dabei zu fühlen. Stopp! Es war verrückt, sein Benehmen und ihre Reaktion darauf analysieren zu wollen. Er war einfach nur höflich. Aber es fühlte sich so wunderbar an.

„Also, hatten Sie einen angenehmen Flug?“, fragte er.

Claudia lachte laut auf. „Sie machen Witze, ja?“

„Ich mache nur Small Talk.“

„Mister Quinn, ich …“

„Nennen Sie mich Rogan.“

Auf keinen Fall. Ihn auf so familiäre Weise anzusprechen würde es noch schwieriger machen, professionell zu denken. Rogan. Es war ein ungewöhnlicher Name … für einen ungewöhnlichen Mann.

Etwas an ihm war anziehend. Wenn er lächelte, fühlte sie sich, als sei sie die einzige Frau auf der Welt.

Sie hatte Männer wie ihn gekannt. Sie waren immer die Exfreunde oder Exmänner ihrer Patientinnen. Männer, in die Frauen sich so heftig verliebten, dass sie jegliche Fähigkeit verloren, rationale Entscheidungen zu treffen.

„Vielleicht sollten Sie vorgehen und die Fahrt ins Hotel organisieren“, schlug sie vor, da sie auf einen Moment alleine hoffte.

„Unser Minibus steht im Parkhaus. Ich habe an alles gedacht.“

Claudia fühlte, wie ihre Anspannung langsam verschwand. Sie bekämpfte den Drang, ihre Arme um ihn zu schlingen und ihn zu küssen, obwohl sie normalerweise nicht zur öffentlichen Zurschaustellung ihrer Gefühle neigte. Aber dieser Mann war kompetent, gut vorbereitet und sehr nett. Er verdiente eine Belohnung.

„Das wird sich definitiv auf Ihr Trinkgeld auswirken“, murmelte sie.

Sobald sie es gesagt hatte, bedauerte Claudia das zweifelhafte Kompliment. Es wirkte, als sei er geldgierig, wo er ihr doch nur mit seiner Professionalität eine Freude hatte machen wollen.

„Das gehört alles zum Job“, erwiderte Rogan.

Sie warf ihm einen Blick zu und versuchte seinen Gesichtsausdruck einzuordnen. Er schien nicht beleidigt zu sein. Claudia war stolz darauf, Probleme vorauszusehen und sie zu lösen, bevor sie sich in eine Katastrophe verwandelten. Für ihn musste sie wie eine inkompetente Idiotin aussehen. „Ich hoffe, diese Verspätung wird nicht zu viele Probleme mit dem Reiseplan verursachen.“

„Ich denke, von jetzt an werden wir den Plan so flexibel wie möglich halten.“

„Aber alles ist geplant. Ich will unsere Zeit effizient …“

Er drückte ihr einen Finger auf die Lippen. „Ruhig. Lassen Sie sich treiben. Ich habe mich um alles gekümmert. Vertrauen Sie mir.“

Claudia nickte stumm. Sie war nicht besonders flexibel. Jede Minute ihres Tages, ihrer Woche, ihres Lebens war durchgeplant. Sie tat nichts, wenn es nicht in ihrem Terminkalender stand. Vielleicht würde dieser Trip für sie eine ebenso lehrreiche Erfahrung werden wie für ihre Patienten.

Sie gingen gemeinsam zur Gepäckausgabe und fanden ihre Patienten dicht zusammengedrängt in eine Diskussion vertieft. Als sie Claudia sahen, trennten sie sich schnell und warfen ihr nervöse Blicke zu. Emma trat vor und reckte die Schultern trotzig vor, als sie sich darauf vorbereitete, zu sprechen. „Wir sind müde und hungrig“, sagte sie. Sie sah die anderen an und dann nickten alle zustimmend. „Wir möchten in ein Hotel und wir wollen Einzelzimmer.“

„Und Zimmerservice“, flüsterte Eddie Findlay. „Ich esse nicht in einem Restaurant.“

„Ich brauche ein Zimmer im Erdgeschoss“, fügte Leticia Macullum hinzu. „Falls es brennt, will ich nicht aus einem Fenster springen müssen.“

„Und keinen Aufzug“, warf Millie Zastrow ein. „Und ich brauche ein Zimmer mit großen Fenstern. Die sich öffnen lassen.“

„Aber Millie. Ich dachte, wir hätten Ihre Angst vor Fahrstühlen besiegt“, meinte Claudia. „Erinnern Sie sich an unsere Strategien? Das Zählspiel?“

„Kein Aufzug“, beharrte Millie, die Arme vor ihrem Körper verschränkend.

„Ich bin sicher, wir können alle Ihre Wünsche erfüllen“, sagte Rogan freundlich. „Nehmen Sie Ihr Gepäck. Ich hole den Minibus und dann machen wir uns auf den Weg.“

Emma lächelte triumphierend. „Gut. Wir sind alle sehr erschöpft vom Flug.“

„Wissen Sie, wie lange es her ist, dass das Hotel vom Kammerjäger inspiziert wurde? I… ich habe ein Problem mit Insekten“, fragte Marshall Block

Rogan drehte sich zu ihm um. „Ich bin mir nicht sicher. Aber ich werde fragen, wenn wir da sind.“

Claudia blieb stehen und sah zu, wie Rogan sie alle zum Ausgang bugsierte. Sie wusste, dass er ein erfahrener Führer war. Aber sie hatte nicht erwartet, dass er so geduldig und verständnisvoll sein würde. Er schien die Stimmung der Gruppe zu spüren und seinen Tonfall daran anzupassen. Überraschenderweise folgten sie ihm aufs Wort.

Auf dem Weg zum Hotel schwiegen alle und die Strecke war zum Glück kurz. Als sie ausstiegen, half Rogan, das Gepäck hineinzubringen, und versammelte dann alle an der Rezeption. „Wir treffen uns morgen Mittag hier. Sie können alle alleine frühstücken. Setzen Sie es einfach auf die Zimmerrechnung und wir begleichen die Rechnung für Sie.“

„Was werden wir morgen tun?“, fragte Leticia schüchtern.

„Das habe ich mir noch nicht genau überlegt“, antwortete er. „Aber wir werden sicher nicht mit einem Flugzeug fliegen.“

Das sorgte für einen Chor erleichterter Seufzer. Claudia räusperte sich und sagte: „Warum treffen wir uns nicht zu einer Gruppensitzung morgen um elf? Wir könnten besprechen, was heute passiert ist und …“

„Ich denke, es wäre besser, wenn wir den heutigen Tag hinter uns lassen und morgen einen neuen Start machen“, unterbrach Rogan sie. „Es hat keinen Sinn, darauf herumzureiten. Es ist wichtig, dass wir nach vorne sehen.“

Claudia unterdrückte ein Keuchen. Es war schrecklich anmaßend von ihm, ihre Autorität so früh auf dieser Reise zu untergraben. Aber es wäre unprofessionell, es vor den anderen aufzubauschen. „Vielleicht wäre das das Beste“, meinte sie.

Sie wollte jetzt nicht streiten. Sie würde Rogan später beisei­tenehmen und ihn über seinen Fehler informieren.

Vor ihrem geistigen Auge blitzte ein Bild von ihnen beiden alleine auf. Sie war schockiert, denn die Szene war vertraut, das Licht gedämpft und die Stimmung entspannt. Claudia schüttelte sich, um den kurzen Tagtraum zu vertreiben, und sah zu Rogan hinüber, nur um zu bemerken, dass er sie ansah.

„Ja, wir treffen uns mittags in der Lobby“, sagte sie. Ihre Patienten nickten zustimmend und stellten sich dann in einer Reihe auf, um in ihre Zimmer einzuchecken. „Ich überlasse es Ihnen, sich um die Details zu kümmern“, sagte sie zu Rogan.

Sie nahm ihre Tasche und ging zu den bequemen Sofas hinüber, aber im letzten Augenblick machte sie einen Umweg zur Hotelbar. Obwohl sie selten trank, brauchte sie jetzt etwas, um ihre Stimmung zu heben. Dieser Trip würde die größte Herausforderung ihrer Karriere werden. Aber er konnte auch ihr größter Erfolg werden. Sie konnte sich eine große Anzahl an Universitäten vorstellen, die an ihrer bahnbrechenden Arbeit interessiert waren.

Und dennoch, hier war sie, bereit, alles aufzugeben und in ein Flugzeug zurück nach Sydney zu steigen, mit oder ohne ihre Gruppe. Wenn sie wirklich wollte, dass das hier funktionierte, musste sie all ihre Entschlossenheit zusammenraffen und die Frustration bekämpfen. Außerdem war sie neugierig, was Rogan Quinn für sie alle geplant hatte. Auch wenn sie gerade nicht viel Vertrauen in ihren Plan hatte, schien er zu denken, es könnte funktionieren.

„Vertrau dem Profi“, murmelte sie. Schließlich hatte sie ihre Karriere in seine Hände gelegt.

Er fand sie in der Hotelbar, als sie sich um einen Martini mit zwei Oliven kümmerte. Rogan hatte nicht bemerkt, wie sie gegangen war. Aber sobald er alle ihre Patienten eingecheckt hatte, hatte er festgestellt, dass Claudia es noch nicht getan hatte.

Rogan setzte sich auf den Stuhl neben ihr. „Whiskey“, sagte er zum Barkeeper. „Single Malt, pur.“

Claudia sah mit trüben Augen zu ihm hinüber. Es schien, als hätte sie sich wieder „abreagiert“. Sogar jetzt, völlig erschöpft und vermutlich betrunken, war sie schön – und wusste es wahrscheinlich nicht einmal.

„Sollten Sie nicht im Bett sein?“, fragte sie und griff nach dem fast leeren Glas.

„Das wollte ich Sie gerade fragen. Sie sehen ziemlich erschöpft aus.“

Sie hob ihr Glas, dann leerte sie das bisschen Gin am Boden, steckte die beiden Oliven in den Mund und dachte über seine Äußerung nach. „Toll. Dann sehe ich wenigstens so aus, wie ich mich fühle.“ Stirnrunzelnd streckte sie dem Barkeeper ihr Glas entgegen und er machte ihr gehorsam einen neuen Drink.

„Wie viele hatten sie?“

„Wie viele hatte ich?“, fragte Claudia den Barkeeper.

Der junge Mann hielt drei Finger hoch.

„Mit dem?“, fragte Rogan.

Er nickte.

„Ich glaube, sie hat genug“, erklärte er.

„Sie sind der Chef“, murmelte sie und deutete auf ihn.

„Alle sind auf ihren Zimmern“, fuhr er fort. „Ich glaube nicht, dass sie bis morgen Probleme haben werden.“

„Danke“, sagte sie und nippte an ihrem neuen Drink. „Es war ein sehr aufschlussreicher Tag. Ich habe meine Grenzen als Therapeutin gesehen und mein Ego hat ziemlich darunter gelitten.“ Sie kicherte. „Und ich bin ein bisschen betrunken.“

„Ich weiß ja, ich habe Ihnen geraten, etwas lockerer zu werden, aber ich meinte nicht, dass Sie sich bei der erstbesten Gelegenheit die Kante geben sollen.“

„Habe nur die Befehle befolgt.“ Sie lächelte ihn an. „Ich bin definitiv locker.“

Das ist unerwartet, dachte Rogan. Als er ihr geraten hatte, sich zu entspannen, hatte er nicht erwartet, dass sie so weit gehen würde. Aber jetzt, da es geschehen war, würde er dafür sorgen, dass sie auf würdevolle Weise in ihr Zimmer kam.

„Also, erzählen Sie mir von sich, Mister Quinn.“

„Wollen Sie mich analysieren?“, wollte Rogan wissen.

„Oh, dafür habe ich heute nicht mehr die Kraft. Ich unterhalte mich nur.“

„Was möchten Sie wissen?“

„Sind Sie verheiratet?“

„Nein“, antwortete er. Sie war gleich auf den Punkt gekommen. Aber er war sich nicht sicher, was genau ihr Punkt war. Machte es einen Unterschied, ob er eine Beziehung hatte oder nicht?

„Erklären Sie mir das“, befahl sie.

Er sah sie zweifelnd an. „Erklären? Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

„Wieso ist ein so attraktiver Mann wie Sie, mit einer Stimme wie Ihrer …“ Sie holte tief Luft und schloss die Augen. „Und der so gut riecht wie Sie. Wieso sind Sie nicht glücklich verheiratet, haben drei Kinder und einen Hund?“

„Ich vermute, ich habe noch nicht die richtige Frau gefunden.“

„Sie mögen Frauen, oder nicht? Mir können Sie es sagen.“ Sie presste einen Finger auf ihre Lippen. „Ich bin ein Profi.“

„Ja“, erwiderte er nickend. „Ich mag Frauen.“

Claudia seufzte und trank erneut. „Oh, gut. Es wäre so schade, wenn Sie es nicht täten.“ Sie holte tief Luft. „Also, haben Sie eine Freundin?“

„Befragen Sie Fremde immer so?“, wollte er wissen. „Oder spricht da das Martini-Trio aus Ihnen?“

„Ich mache das immer so“, sagte sie. „Ich bin von Natur aus neugierig. Den meisten macht es nichts aus. Eigentlich sprechen die meisten Menschen gerne über ihre Probleme und wenn sie herausfinden, dass ich Psychologin bin, sind sie froh, eine Gratissitzung zu bekommen.“

„Nun, ich benötige Ihre Hilfe nicht, Doc.“

„Jeder hat ein paar Probleme, über die er reden möchte“, entgegnete sie.

„So wie Ihr Bedürfnis, jeden einzelnen Augenblick dieser Reise zu kontrollieren? Vielleicht sollten wir darüber reden.“

Sie dachte über das, was er gesagt hatte, nach und nickte dann. „Verstanden. Ich habe meine eigenen Dämonen. Aber ich bin neugierig auf Ihre.“

„Ich habe keine.“ Rogan bemerkte, dass er log. Aber die letzte Person, von der er wollte, dass sie in die dunklen Ecken seines Verstandes blickte, war Dr Mathison.

„Ich schlage Ihnen einen Deal vor“, meinte sie.

„Wie soll der aussehen?“

„Wenn Sie mich dazu bringen, lockerer zu werden, dann darf ich in Ihren Kopf schauen.“

„Sie wollen mein Gehirn röntgen?“

„Nein“, sagte sie kichernd. „Wenn Sie mich locker machen können, dann darf ich Sie analysieren. Sie müssen alle meine Fragen beantworten.“

„Glauben Sie mir, in meinem Kopf werden Sie nichts Interessantes finden. Ich bin ein ganz normaler Mensch.“

„So etwas gibt es nicht. Außerdem, sehen Sie sich an. Sie sind umwerfend – und nicht verheiratet. Nicht einmal verliebt.“

„Woher wissen Sie, dass ich nicht verliebt bin?“

„Wenn Sie es wären, würden Sie mich nicht ansehen, als wollten Sie mich küssen“, erwiderte sie.

Rogan schnappte nach Luft. „Ich …“

„Oh, bitte. Sie flirten eindeutig mit mir. Sie berühren mich, wann immer es geht.“ Sie deutete mit einem Kopfnicken auf seine Hand, die auf ihrem Bein ruhte. „Sehen Sie? Also, erzählen Sie mir Ihre Geheimnisse.“

Rogan kippte seinen Whiskey herunter, dann gab er dem Barkeeper ein Zeichen, dass er noch einen wollte. Er hatte noch nie eine Frau wie Claudia getroffen, eine Frau, die so sehr sagte, was sie dachte, in dem Moment, in dem sie es dachte. Er war es gewohnt, alle Anstrengung darauf aufzuwenden, das andere Geschlecht zu verstehen. Frauen sagten nie genau das, was sie meinten, sie spielten immer Spielchen.

Vielleicht hatte er sich deshalb nie gebunden. Wie sollte ein Mann einer Frau sein Herz anvertrauen, wenn er nicht wusste, wann sie log und wann sie die Wahrheit sagte? „Ich habe keine Geheimnisse“, meinte Rogan. „Vielleicht sollten wir über die morgige Reiseroute sprechen.“

„Klassisches Ausweichmanöver“, sagte sie.

„Ich mache meinen Job“, entgegnete er.

„Ich bin sicher, alles wird nach Plan verlaufen.“

„Sie können nicht jede Eventualität einplanen, Doctor Mathison. Ich …“

„Sie sollten mich Claudia nennen“, unterbrach sie ihn. „Es sei denn, Sie wollen bewusst eine Distanz zwischen uns aufrechterhalten. Was nicht der Fall zu sein scheint, weil Sie mich immer noch berühren.“

Rogan sah auf seine Finger, die mittlerweile mit ihren verflochten waren. Mist, er hatte es nicht einmal bemerkt. Sanft zog er seine Hand zurück.

„Ich könnte unseren Plan etwas ändern“, sagte er. „Ich will die Gruppe an ihrem ersten Tag nicht überfordern.“

„Heute war eine absolute Katastrophe, nicht wahr?“, flüsterte sie. „Ich hätte besser planen müssen. Aber es war wie eine – wie nennt man es, wenn der Schnee einen Berg hinabrutscht?“

„Eine Lawine?“

„Ja! Eine Lawine. Es fing klein an und wurde immer größer, bis ich es nicht mehr aufhalten konnte. Lawine. Warum konnte ich mich nicht mehr an das Wort erinnern?“

„Sie sind erschöpft. Und Sie trinken Ihren dritten Martini.“

„Ich brauche nicht viel Schlaf“, erklärte sie ihm.

Himmel, sie war eine eigenartige Frau, dachte Rogan, ein Lächeln unterdrückend. „Ja, Sie erwähnten das am Telefon.“

„Ich weiß, ich kann nervtötend sein“, meinte Claudia. „Und es tut mir leid, wenn ich zu viel verlangt habe. Ich wusste, dass Sie verärgert waren, aber es zahlt sich immer aus, vorbereitet zu sein, oder?“

„Ja“, stimmte Rogan zu. „Aber Spontaneität hat auch etwas für sich. Wenn man nicht plant, können interessante Dinge geschehen.“

„Ich vermute, Sie haben recht“, antwortete Claudia. „Ich hatte nicht erwartet, dass Sie so attraktiv sind. Das habe ich nicht eingeplant.“

Er lachte leise. „Was hatten Sie erwartet?“

„Jemand älteren. Gebieterischen.“

„Ich bin nicht gebieterisch?“, fragte Rogan.

„Nein. Ich meine, Sie sind offensichtlich sehr kompetent. Aber ich würde Sie nett nennen. Genau. Sie sind nett.“

War das wirklich ihr erster Eindruck gewesen, fragte sich Rogan. Frauen waren meistens von seinem Charme oder seinem Aussehen angetan. „Und Sie sind betrunken“, sagte er.

„Vielleicht“, gab Claudia zu. „Aber Sie werden morgen früh immer noch nett sein.“

Aus irgendeinem Grund schien sie das zu amüsieren und sie kicherte laut los. Rogan fand ihren Kontrollverlust ebenso liebenswert wie ihren Witz. Claudia holte tief Luft. „Jetzt geht es mir besser“, sagte sie.

„Besser, als nachdem Sie sich ausgeweint haben?“, wollte er wissen.

„Viel besser.“

„Also dann“, sagte er. „Ich habe Ihnen ein Zimmer besorgt. Sie können Ihren Martini dort trinken. Falls Sie dann das Bewusstsein verlieren, sind Sie zumindest schon im Bett.“

Er nahm ihr Glas und wartete, bis sie aufgestanden war. Ihre Tasche stand noch neben dem Barhocker. „Könnten Sie ihre Tasche aufs Zimmer 1114 hinaufbringen lassen?“, fragte er den Barkeeper.

„Ich kann meine Tasche selbst nehmen“, protestierte Claudia. „So betrunken bin ich nicht.“ Sie bückte sich, um die Tasche zu nehmen, aber musste sich am Hocker festhalten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. „Oder vielleicht doch.“

„Kommen Sie, Doc. Einen Fuß vor den anderen. Der Aufzug ist nicht weit.“

„Sie sind ein sehr guter Führer“, sagte Claudia und wedelte mit dem Finger hin und her.

Sie brauchte eine Weile, bis sie ihre Handtasche und ihre Reisetasche ausbalanciert hatte, aber dann marschierte sie überraschend schnell los. Als sie zum Aufzug kamen, drückte sie den Knopf und sah die Lichter über der Tür an. Er stand hinter ihr und fragte sich, was in ihrem Kopf vorging.

Rogan wusste genau, was in seinem Kopf vorging. Sein Blick wanderte zu ihrem Hintern und er dachte über die Rundungen unter der dunklen Jeans nach. Sie schien ein Muster an Vollkommenheit zu sein, aber er vermutete, dass ihr ordentliches Äußeres eine Masse an Widersprüchen im Inneren verbarg.

Er hatte gehört, dass Psychologen meist noch verrückter waren als ihre Patienten. Sie war verrückt genug gewesen, um ihre Patienten in ein Flugzeug zu verfrachten und nach Neuseeland zu fliegen, und verrückt genug, diesen Trip zu planen.

Aber obwohl es für ihn wahrscheinlich eine grauenhafte Woche werden würde, genoss er den Gedanken, sie besser kennenlernen zu können.

Rogan hatte sich immer zu unkomplizierten Frauen hingezogen gefühlt. Die, die sich nicht darum kümmerten, wie sie aussahen, und spontan bereit waren, surfen, radfahren oder wandern zu gehen. Claudia Mathison war ganz offensichtlich nicht so. Sie plante alles, war die Art von Frau, die ihm gewöhnlich auf die Nerven ging. Und trotzdem fand er sie anziehend. Vielleicht war es auch nur Neugier.

Dennoch wäre es klug, diese Anziehung mit einer gesunden Dosis Misstrauen unter Kontrolle zu halten. Sie wollte ihn analysieren und er würde seine Seele keiner Fremden offenbaren, auch wenn es sich um eine schöne, faszinierende Frau handelte.

Seine Unsicherheiten und Verletzlichkeiten zum Vorschein zu bringen würde keinem von ihnen guttun. Sie würde erkennen, dass er Fehler hatte, und er würde ständig nervös sein und darauf warten, dass sie ihr Wissen gegen ihn einsetzte.

Aber vielleicht lag es auch daran, dass er noch nie verliebt gewesen war. Er hatte noch nie einer Frau genug getraut, um sie an sich heranzulassen. Diese Art von Vertrauen war ein zweischneidiges Schwert. Es konnte einen Menschen für die Liebe öffnen, aber es konnte ihn auch mit einem Hieb vernichten. Nein, er würde sein Herz für sich behalten.

Aber ihre Herausforderung reizte ihn. Er war sicher, er konnte die gute Frau Doktor lockerer machen – ohne irgendwelche Geheimnisse preiszugeben.

Die Fahrstuhltüren öffneten sich und sie stolperte hinein. Rogan folgte ihr und sie standen nebeneinander, als sich die Türen schlossen. Sie war näher an der Schalttafel und er wartete darauf, dass sie den Knopf für den elften Stock drückte.

Er lächelte in sich hinein. Sie blickte wieder die Lichter über der Tür an und verzog ihr hübsches Gesicht. „Der Aufzug ist kaputt“, sagte sie schließlich. „Er bewegt sich nicht. Oder doch?“ Sie lehnte sich gegen die Wand. „Vielleicht bin ich diejenige, die sich bewegt.“

Rogan drückte auf den Knopf. „Ich habe ihn repariert.“

Als sie nach oben fuhren, schloss er für einen Moment die Augen, holte tief Luft und atmete den Duft ihres Parfums ein. Für gewöhnlich machte er sich nichts aus Parfum, aber gerade jetzt schienen seine Sinne auf Hochtouren zu laufen. Alles an ihr war wesentlich verlockender, als es sein sollte. Als sie ihr Zimmer erreichten, fragte Rogan sich bereits, wie es wohl wäre, sie zu küssen.

Sie hatte einen unglaublichen Mund, groß und ausdrucksstark. Er kannte das ungeschriebene Gesetz, dass ein Bergführer niemals eine Kundin verführen sollte. Aber Claudia war nicht wirklich eine Kundin. Er führte nicht sie, sondern ihre Patienten. Und das tat sie auch. Eigentlich waren sie Kollegen. Zumindest sagte er sich das.

Er zog ihre Schlüsselkarte aus seiner Jackentasche und reichte sie ihr, aber es fiel ihr schwer, sie zu benutzen.

Rogan wollte ihr helfen, aber sie wies ihn ab. „Ich werde wohl eine Tür aufbekommen“, sagte sie.

Es war lustig, ihr zuzusehen. Ihr dunkles Haar fiel um ihr Gesicht, ihre Wangen waren gerötet. Jedem Versuch folgte ein leiser Fluch. „Nicht so schnell“, riet er ihr. „Und warten Sie, bis das Licht grün wird, bevor Sie sie wieder herausziehen.“ Claudia versuchte es noch ein paar Mal, bevor sie ihm widerwillig die Karte reichte. „Tun Sie es.“

Er schloss die Tür auf und öffnete sie. „Nach Ihnen.“

Claudia drehte sich um und stand, den Eingang blockierend, in der Tür. „Danke für alles. Ich weiß Ihre … Effizienz zu schätzen.“

Er streckte ihr ihren Drink entgegen. „Also dann, gute Nacht.“

Sie wollte das Gas ergreifen, aber verschätzte sich und stieß es gegen seine Brust. Der Wodka lief über sein Hemd und sie versuchte, ihn wegzuwischen. Rogan nahm ihre Hand und drückte sie gegen seine Brust. Ihre schlanken Finger spreizten sich über den nassen Stoff seines Hemds. Sein Puls beschleunigte sich und sein Herz klopfte heftig.

„Darf ich Sie etwas fragen?“, flüsterte sie.

Sie sah zu ihm auf und er bekämpfte das Verlangen, das ihn durchflutete. „Sicher“, sagte er.

„Wenn Sie darüber nachdenken, mich zu küssen, was hält Sie davon ab?“

War das eine Einladung? Oder eine rhetorische Frage? Er war sich nicht sicher. Aber der Duft ihres Haars und der Anblick ihres sinnlichen Munds war zu viel, um widerstehen zu können.

Er kam näher und ließ seine Lippen an ihrer Wange entlanggleiten.

Als er sich zurückzog, war ihr Mund leicht geöffnet, als wolle sie etwas sagen. Er bekämpfte das Bedürfnis, weiterzugehen. Dann schlang sie ihre Arme um seinen Hals und nahm ihm die Entscheidung ab.

Ihre Lippen waren weich und feucht und als der Kuss außer Kontrolle geriet, ließ Rogan seine Hände um ihre Taille gleiten und zog sie enger an sich. So viel dazu, sie lockerer zu machen.

Eine Welle des Begehrens durchflutete ihn. Und dennoch, er durfte ihr nicht nachgeben. Wenn man bedachte, in welchem Zustand sie sich befand, war es das Beste, schnell Gute Nacht zu sagen.

Er zog sich zurück und bevor sie ihn erneut küssen oder hineinbitten konnte, schob er sie sanft weiter ins Zimmer hinein. „Gute Nacht, Claudia“, sagte er. „Ich sehe Sie morgen früh.“

Die Tür hinter sich schließend, trat er auf den Gang raus. Als er zum Lift ging, dachte Rogan über sein Verhalten nach. Offensichtlich fühlten er und Claudia sich voneinander angezogen. Aber wie weit würde sie gehen, um diese Anziehungskraft zu erforschen? Würde sie sich zurückziehen, sobald sie nüchtern war, und es mit professionellem Benehmen entschuldigen? Oder würde sie sich ihrer Leidenschaft hingeben?

Er war ein guter Führer und er konnte mit allem umgehen, was ihre Patienten ihm in den Weg warfen. Aber Claudia war eine andere Sache. Sie schien ihn abzulenken, seine Gedanken durcheinanderzubringen und sein Verlangen anzuheizen. Und da so viel vom Erfolg dieses Trips abhing, fragte er sich: Durfte er es riskieren, Verführung zu einem Teil dieser Reise zu machen?

Aber war es ein Risiko? Schließlich war er ein Meister darin, Sex und Gefühle zu trennen. Mit Claudia Mathison würde es auch nicht anders sein.

2. KAPITEL

Claudia erwachte, als es an ihrer Zimmertür klopfte. Sie setzte sich stöhnend auf und bemerkte, dass sie in der Kleidung von gestern geschlafen hatte. Blinzelnd versuchte sie auf die Uhr zu sehen und schrie auf, als sie sah, dass es bereits Mittag war. Sie hatte seit Jahren nicht mehr verschlafen.

Sie krabbelte aus dem Bett und taumelte zur Tür. Ihr Kopf hämmerte. Als sie die Tür öffnete, stand Rogan im Gang. „Warum haben Sie mich nicht früher geweckt? Was ist los? Wo sind die anderen?“

„Wir warten unten. Sind Sie gerade erst aufgewacht?“

„Natürlich bin ich gerade erst aufgewacht“, erwiderte sie. „Wenn ich früher wach gewesen wäre, wäre ich pünktlich gewesen.“

„Sie tragen dieselbe Kleidung wie gestern Nacht.“

Natürlich hatte Rogan Quinn das Offensichtliche bemerkt. „Das ist Ihre Schuld. Sie haben mir den letzten Drink gegeben.“ Sie ging zum Bett und begann ihre Sachen zusammenzusuchen. Dann hielt sie inne.

Sie erinnerte sich an die Ereignisse des letzten Abends. Ihre Unterhaltung. Wie er sie berührt hatte. Der Kuss. Ihre Wangen wurden heiß.

„Es tut mir leid, das war unfair. Ich habe mir selbst leidgetan und zu viel getrunken. Es ist nicht Ihre Schuld.“

„Danke“, sagte Rogan und sah sich um. Er bückte sich und hob eine leere Chipstüte auf. „Was haben Sie gemacht, die Minibar geräubert?“

„Ich hatte Hunger.“ Sie schwieg. „Ich muss noch etwas sagen. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich Sie gestern Nacht geküsst habe, und ich wollte mich dafür entschuldigen, falls ich Ihre berufliche Integrität damit kompromittiert habe.“

„Wir haben uns geküsst“, antwortete Rogan. „Und soweit ich mich erinnere, war es sehr angenehm. Hat es Ihnen nicht gefallen?“

Claudia rieb sich den Schlaf aus den Augen. „Natürlich, ich – ja, es war sehr schön.“

Sie sank auf die Bettkante. Rogan hatte sie geküsst – oder sie hatte ihn geküsst.

„Alles in Ordnung?“, fragte er.

Ihr Magen zog sich zusammen und ihr würde übel. „Entschuldigen Sie mich“, murmelte sie, als sie ins Bad eilte.

Die Demütigung war beinahe unerträglich, aber man konnte die Symptome eines Katers nicht aufhalten. Als sie schließlich aufhörte zu würgen, blickte sie auf und sah ihn in der Tür zum Bad stehen. „Gehen Sie weg!“, rief sie.

Sie hörte das Wasser laufen, dann war er da und saß neben ihr auf dem Boden. Er drückte ihr den kühlen Stoff an die Stirn. „Sie sehen heute Morgen wunderbar aus“, meinte er.

Claudia schaffte es, kurz aufzulachen. „Oh, ich fühle mich auch wunderbar“, antwortete sie sarkastisch. Sie lehnte sich an die Badewanne. „Ich habe das nicht so gemeint“, sagte sie leise. „Sie sind wirklich sehr nett gewesen. Und ich befinde mich in einem üblen Zustand. Sie müssen mich für völlig irre halten.“

„Nein, ich finde Sie auch sehr nett“, erwiderte Rogan.

„Ich vertrage die Wahrheit“, meinte Claudia. „Ich habe mich darauf spezialisiert.“

„Das habe ich bemerkt“, antwortete Rogan. „Sie sagen immer genau das, was Sie denken. Das mag ich an Ihnen. Also sagen Sie mir die Wahrheit. Möchten Sie mich noch mal küssen?“

Sie wusste, dass sie lügen sollte, sagen sollte, dass ein weiterer Kuss vollkommen unangebracht wäre. Und sie wusste, dass es zur Katastrophe führen konnte. Ihre gesamte Karriere hing an ihrem guten Ruf und das bedeutete, sie musste es mit ihrem professionellen Benehmen sehr genau nehmen.

Und das galt jetzt mehr als je zuvor. Wenn es auch nur einen Hauch unangemessenen Betragens gab, könnte das ihre akademische Karriere gefährden. Wenn der Ausschuss auch nur die leisesten Bedenken bezüglich ihres Verhaltens hatte, würden sie sie ganz unten auf die Liste setzen.

Und dennoch, verdiente sie es nicht, ein Privatleben zu haben, eines, das Aufregung und Leidenschaft einschloss? Wie sollte sie ihre Patienten davon überzeugen, für den Moment zu leben, wenn sie es selbst nicht tat?

Claudia verfluchte sich innerlich dafür, dass sie wieder einmal alles zu Tode analysierte. Es war nur ein Kuss. Sie hatte ja nicht vor, mit ihm ins Bett zu gehen.

„Wenn Sie so lange brauchen, um zu antworten, dann müssen Sie Vorbehalte haben“, murmelte er. „Ich ziehe die Frage zurück.“

Es hatte ihr gefallen, ihn zu küssen. Und sie wollte es noch einmal tun – nachdem sie ihre Zähne geputzt hatte, natürlich. „Ja“, sagte Claudia.

„Sie wollen mich küssen?“

„Ja, aber nicht jetzt gleich. Vielleicht später?“

„Später“, entgegnete er. „Ich kann warten.“

Als er ihr in die Augen sah, wusste Claudia, dass sie verloren hatte. Sie war schwach, ihr Selbstbewusstsein war an einem Tiefpunkt und wenn er ihr gegenüber so charmant war, fühlte sie sich besser.

„Ich sollte mal nach der Gruppe sehen“, meinte Rogan. „Nachdem ich ihnen erzählt habe, was wir heute tun werden, wurden sie ein wenig ängstlich.“

„Was machen wir denn?“, wollte Claudia wissen.

„Ich habe einen Kajaktrip den Puhoi hinunter organisiert. Es ist ein ruhiges Gewässer und die Fahrt geht nur über acht Kilometer. Und die Strömung zieht einen mit, also ist es körperlich nicht zu anstrengend. Und die Landschaft ist wunderschön. Ich glaube, alle werden es genießen.“

Sie stöhnte leise. Beim Gedanken, den ganzen Tag auf einem Boot zu verbringen, wurde ihr wieder übel. „Es klingt … toll.“

„Wenn Sie den Nachmittag lieber hier verbringen wollen, können Sie uns später treffen.“

„Nein, nein“, sagte Claudia. „Ich möchte mitkommen. Ich muss mitkommen. Ich muss beobachten und bewerten.“

„Okay. Ich werde Ihnen ein paar Minuten geben, sich zusammenzureißen, und wir warten in der Lobby auf Sie.“ Er stand auf. „Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht?“

„Ja. Ich esse nur eine Kleinigkeit und dann bin ich wieder wie neu.“

„Wir haben in einer Stunde eine Reservierung zum Mittagessen in einem Pub hier in der Nähe. Tolles Essen. Sie werden es mögen.“

„Sie denken an alles“, meinte sie.

„Das ist mein Job, Doc.“

Er verließ das Bad und sie hörte, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Sie hatte sich die Reise tausendmal vorgestellt, seit sie die Idee gehabt hatte, aber sie hatte sich niemals vorgestellt, dass es so sein würde. Ein wackeliger Start, ein sexy Führer, ein überraschender Kuss und ein übler Kater. Was kam als Nächstes?

„Ganz sicher kein Sex“, murmelte sie, als sie aufstand. Sie sah sich im Spiegel an und erschrak ein bisschen. „Oh, verdammt.“ Ihr Mascara war unter ihren Augen verschmiert und ihr dunkles Haar war verknotet.

„Nun, du hast einen tollen ersten Eindruck hinterlassen.“ Zum Glück hatten ihre Patienten sie nicht in diesem Zustand gesehen. Aber Rogan hatte es getan. Vielleicht war das das Beste. Ein Kuss war eine Sache, aber eine Beziehung mit Rogan Quinn zu haben war eine schlechte Idee. Sie hatte an ihren professionellen Ruf zu denken und wenn sie von einem sexy Bergführer träumte, würde ihre Gruppe es sicherlich bemerken.

Außerdem, wo sollte das hinführen? Jedes Mal, bei jedem Mann, schaffte Claudia es, sich aus der Beziehung herauszuanalysieren. Sie schien sich nicht davon abhalten zu können, jedes Gespräch, jedes Problem auseinanderzupflücken, bis die Beziehung zerbrach.

Aber wer hatte etwas von einer Beziehung gesagt? Hier war ein Mann, mit dem sie unmöglich eine Zukunft haben konnte. Er verbrachte sein Leben damit, die Welt zu durchwandern, und sie lebte ihr Leben in einer Praxis in Sydney. Es war wunderbar, ein bisschen zu flirten, und es musste ja nicht im Bett enden. Sie könnten sich küssen, einander berühren und sich dann, am Ende der Woche, trennen. Es würde einfach sein.

Und sie würde die Kontrolle behalten, so wie Claudia es in ihren Beziehungen immer tat. Mit Rogan Quinn würde es auch nicht anders sein.

Sie wusch sich rasch das Gesicht und putzte sich die Zähne. Und obwohl sie gerne geduscht hätte, konnte Claudia nicht von der Gruppe erwarten, noch länger zu warten.

Ihre Tasche nehmend, eilte sie zum Aufzug und fuhr in die Lobby hinunter. Sie war überrascht, dass die Gruppe entspannt auf den Sofas saß und alle ruhig und glücklich aussahen. Rogan saß bei ihnen, aber als er sie sah, stand er auf.

„Da ist sie“, sagte er.

„Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Haben Sie es erklärt?“

„Ich habe ihnen erzählt, dass Sie einen Anruf wegen eines Notfalls hatten. Ist alles in Ordnung?“

Sie lächelte Rogan dankbar an. „Alles bestens. Können wir gehen? Ich habe gehört, dass wir einen interessanten Tag vor uns haben.“

Als sie zum Minibus gingen, holte sie Rogan ein. „Danke. Ich lüge sie normalerweise nicht an, aber ich denke, in diesem Fall war es gerechtfertigt.“

„Machen Sie sich keine Sorgen“, meinte er.

„Also, wie sieht der Plan für heute Nacht aus?“

„Wir werden nach unserer Kajakfahrt im Nationalpark campen. Es ist ein sehr sicherer Ort, aber es wird ein guter Test sein. Ich werde allen ein paar Überlebenstechniken beibringen, wir essen etwas und dann werde ich Sie wieder küssen. Danach richten sich meine Pläne ganz nach Ihnen.“

„Haben Sie mit der Gruppe darüber gesprochen?“

„Über den Kuss? Nein, aber wenn Sie möchten, tue ich es.“

„Über Ihre Pläne für sie.“

Er grinste. „Habe ich. Und obwohl sie lieber im Hotel bleiben würden, sind sie bereit, sich der Herausforderung zu stellen.“

„Es ist ein guter Plan“, meinte sie. „Also los.“

Rogan legte ihr die Hand auf den Rücken, während sie darauf warteten, dass alle einstiegen. Claudia konzentrierte sich auf die Wärme seiner Hand und auf die Empfindungen, die seine Berührung verursachte, wohl wissend, dass es mehr als eine höfliche Geste war. Er wollte sie berühren, sie küssen und wartete darauf, dass sie wieder alleine sein würden.

Ihr Puls ging schneller und ihr Kater schien zu verschwinden. Sie fühlte sich voller Energie und aufgeregt. Sie war bereit, den Tag damit zu verbringen, ihren Ruf als kompetente Therapeutin wiederherzustellen und Rogan in seinem Element zu sehen.

Es war Jahre her, dass Rogan das malerische Dorf Puhoi besucht hatte. Es war nicht die Art von Ort, die normalerweise auf seiner Reiseroute stand. Ein wenig zu zivilisiert für seine üblichen Kunden. Aber für Claudias Patienten war es perfekt. Die Stadt war von böhmischen Einwanderern in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gegründet worden und hatte viel von ihrem euro­päischen Charme erhalten.

Rogan stand am Flussufer und sah zu, wie die Gruppe Unterricht im Paddeln bekam. Der Puhoi war ein flacher und ruhiger Fluss, perfekt für Anfänger. Der Unterricht verlief ungestört, bis Eddie das Thema Krokodile anschnitt. Es schien, als hätten alle bereits die Geschichte von dem Neuseeländer gehört, der in Australien von einem Riesenkrokodil verfolgt worden war, und sie waren alle besorgt.

„Ich kann euch versichern“, beruhigte Rogan sie, „dass es hier in Neuseeland weder Krokodile noch Schlangen gibt. Außer ein paar Spinnen gibt es hier keine unheimlichen krabbelnden Tiere.“

„Ich hasse Spinnen.“ Marshall erschauerte.

„Ich weiß“, erwiderte Rogan. „Aber sie sind extrem schlechte Schwimmer, also wirst du vor ihnen in der Mitte des Flusses sicher sein.“

Das beschwichtigte Marshall, daher fuhr Rogan fort und erzählte noch mehr von den einheimischen Tieren und davon, dass es keine einheimischen Säugetiere außer Fledermäusen gab. Nach einer langen Diskussion über Tollwut und der Versicherung, dass Fledermäuse nachtaktive Tiere waren, waren alle schließlich bereit.

Als alle mit Rettungswesten ausgestattet wurden, bemerkte Rogan, dass Claudia sich von der Gruppe entfernt hatte. Er ging zu ihr hinüber.

„Das ist toll“, sagte sie mit leuchtenden Augen. „Sie sind so … engagiert. Und Sie haben sich um alle ihre Sorgen gekümmert.“

„Sie scheinen sich grundlos aufzuregen.“

„Sie machen sich keine Vorstellung. Dieser Gruppe ist es aus irgendeinem Grund sehr schwergefallen, ihre Ängste über Bord zu werfen, und jetzt haben sie es gerade getan. Nach gestern hätte ich erwartet, dass sie sich im Auto einschließen und sich weigern würden, herauszukommen. Aber da sind sie, bereit, einen Fluss hinunterzupaddeln.“ Sie drehte sich zu ihm um. „Sie haben einen guten Einfluss auf sie. Ich weiß nicht genau, warum, aber es ist so.“

„Ich kenne sie kaum. Vielleicht bin ich deswegen im Vorteil. Ich erwarte nichts.“

„Vielleicht ist es Ihr Charme. Ich glaube, die Männer wollen wie Sie sein und die Frauen wollen Ihnen gefallen. Was auch immer der Grund sein mag, der heutige Tag war ein Erfolg für sie alle.“ Claudia seufzte. „Obwohl ich vermute, es könnte sich jeden Moment ändern. Sind Sie sicher, dass es im Fluss keine Schlangen gibt?“

„Ich bin sicher. Wir werden einfach weitermachen.“ Seine Hand streifte ihre. Wären sie alleine und ungestört gewesen, Rogan hätte die Gelegenheit genutzt, sie in die Arme zu schließen und zu küssen.

Warum sollte er seinem Verlangen nicht folgen? Gewöhnlich forderte sein Beruf als Führer ungeteilte Aufmerksamkeit, besonders da Leben auf dem Spiel standen. Aber dies war ein erholsamer Trip, einer, den er genießen konnte. Und Claudias Patienten waren beim Kajaklehrer in guten Händen.

„Kommen Sie mit“, sagte er. „Ich brauche Ihre Hilfe“

„Okay“, sagte Claudia und folgte ihm hinter einen Anhänger.

Als Rogan eine Stelle fand, wo sie nicht gesehen werden konnten, zog er sie an sich. „Ich werde Sie küssen“, erklärte er. „Und wenn Sie irgendwelche Einwände haben, sollten Sie es jetzt sagen.“ Er wartete. „Nun?“

Claudia holte tief Luft. „Es gibt einiges, das wir bedenken sollten. Wenn es nur ums Küssen geht, ist das in Ordnung. Aber meist küsst man und erwartet …“

Er legte ihr den Finger auf die Lippen. „Sie analysieren zu viel. Es ist nur ein Kuss.“

Als Reaktion auf seine Berührung stöhnte Claudia leise auf. Ihre Miene war verwirrt. Die Augen wurden groß und sie rang nach Luft.

„Nein“, flüsterte sie. „Keine Einwände.“

Er grinste, dann beugte er sich vor. Rogan wusste, dass es bis zum Abend nicht mehr viele Möglichkeiten geben würde, also tat er sein Möglichstes, um den Kuss unvergesslich zu machen.

In dem Augenblick, als ihre Lippen sich berührten, öffnete sie sich ihm und er nahm ihre unausgesprochene Einladung an. Rogan hatte sich noch nie so sehr auf einen einzigen Kuss konzentriert, aber er hatte seit letzter Nacht darüber nachgedacht.

Seltsam, wie falsch ein erster Eindruck sein konnte. Am Telefon hatte er Claudia für einen herrischen Kontrollfreak gehalten. Nun sah er, wie besorgt sie um ihre Patienten war und wie sehr sie ihnen helfen wollte.

Rogans Hände wanderten zu ihrem Gesicht und er vertiefte den Kuss, bis das Verlangen, das sie verspürten, außer Kontrolle geriet. Er wusste, dass der Kuss enden musste, aber er brauchte all seine Willenskraft, um aufzuhören. „Wir müssen später weitermachen“, sagte er.

„Wann?“, fragte Claudia atemlos.

„Wenn alle anderen im Bett sind, vermute ich.“

Sie nickte und fuhr mit den Fingern durch sein Haar. „Und was ist mit meiner Frage?“

„Welche Frage?“

„Ich dachte, wir hätten einen Deal. Ein Kuss für eine Frage.“

„Das war der Deal? Ich dachte, du darfst mich erst analysieren, wenn ich dich etwas lockerer gemacht habe.“

„Ich muss Fragen stellen.“

„Okay. Gut. Ein Kuss für eine Frage, aber sie ist hoffentlich gut.“

Sie dachte eine Weile nach und lächelte dann. „Hast du vor irgendetwas Angst?“

„Nein“, erwiderte er.

„Das ist alles?“

„Das ist eine Ja-oder-Nein-Frage und ich habe geantwortet.“

„Aber ich …“

„Wenn du noch eine Frage stellen willst, musst du mich noch mal küssen.“

Eingestehend, dass er sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen hatte, trat sie hinter dem Anhänger hervor und ging zurück zur Gruppe. Rogan lehnte sich an den Anhänger und holte tief Luft.

Als er auf seine Cargoshorts hinunterblickte, bemerkte er, dass er sich ein wenig zu sehr hatte hinreißen lassen. Leise fluchend versuchte er an etwas anderes zu denken als Claudias nackten Körper, der sich unter seinem wand. Aber er konnte die Erektion nicht in ein paar Sekunden verschwinden lassen.

„Quinn!“

Er sah, dass alle bereit waren, loszufahren. „Fahrt schon los“, rief er dem Kajaklehrer zu. „Ich bin gleich da.“

Rogan wartete, bis sie sich alle vom Ufer abgestoßen hatten, bevor er zur Landestelle ging. Er war dankbar, dass das Kajak seine Reaktion auf Claudia verbarg. Als er schließlich zur Gruppe hinüberpaddelte, trieben sie schon mit der Strömung den Fluss hinunter.

Es war ein perfekter Tag für eine friedliche Bootsfahrt und die Frühlingssonne erwärmte die Luft. Den größten Teil der Reise konzentrierte sich Rogan auf Claudias Patienten und sorgte dafür, dass es ihnen gut ging. Aber als er sah, dass Claudia zu einer kleinen Bucht paddelte, folgte er ihr.

Das Nachmittagslicht schmeichelte ihr und er nahm seine Kamera und machte ein paar Fotos. „Hey“, sagte er, als er zu ihr aufschloss.

„Hey“, antwortete sie lächelnd.

„Ich habe ein paar nette Fotos von der Gruppe geschossen“, sagte er und hielt ihr die Kamera hin. Er zeigte ihr die Fotos und sie lächelte.

„Die sind toll. Danke. Ich habe nicht daran gedacht, eine Kamera mitzubringen. Recht auf Privatsphäre und so.“

„Dann soll ich keine Fotos machen?“

„Doch. Sie werden sich bestimmt über eine Erinnerung an diese Reise freuen.“ Sie gab ihm die Kamera zurück und holte dann tief Luft. „Ich glaube, ich brauchte diese Reise mehr als sie. Es ist so lange her, dass ich wirklich entspannt habe.“

„Geht mir auch so.“

„Aber ist das nicht dein Job?“

Rogan lachte. „Auf einer Expedition muss ich dafür sorgen, dass meine Kunden keinen Berg hinunterfallen oder erfrieren. Das hier ist wie Urlaub für mich.“

„Wenn man mir vor dieser Reise erzählt hätte, dass ich lernen würde, wie man Kajak fährt, hätte ich es nicht geglaubt. Aber ich bin sehr stolz auf mich. Ich bin nicht mal nahe dran, ins Wasser zu fallen.“

Er lächelte sie an, sein Blick wanderte zu ihrem Mund und wieder zurück zu ihren Augen. Jetzt, wo er sie geküsst hatte, konnte er an nichts anderes mehr denken als an ihre Lippen. Er wollte sie in seine Arme nehmen und sie langsam verführen.

Ihre Kajaks streiften einander und er umkreiste sie. Jedes Mal, wenn sie aneinanderstießen, wurde sein Verlangen größer. Schließlich, als er es nicht länger leugnen konnte, zog Rogan ihr Kajak zu seinem herüber.

Ihre Blicke trafen sich, aber als sie ihr Gewicht verlagerte, kippte ihr Kajak zur Seite. Claudia schrie und klammerte sich an seine Rettungsweste, während sie beide beinahe kenterten.

Instinktiv wollte er sie von sich wegstoßen, aber Rogan wusste, dass er sie nur aufrecht halten konnte, wenn er sie an sich zog. Zuerst fuchtelte sie mit ihrem Paddel herum, aber als seine Lippen ihre trafen, beruhigte sie sich und fand ihr Gleichgewicht wieder.

„So“, sagte er. „So ist es besser.“

„Ja“, flüsterte sie und sah ihm in die Augen.

Himmel, war sie schön. Das Spiel von Licht und Schatten ließ ihre Augen im sattesten Grün leuchten, das er je gesehen hatte, und ihr dunkles Haar fiel, vom Wind zerzaust, um ihr makelloses Gesicht.

Als er sie wieder küsste, glitt seine Hand zu ihrem Hintern. Sie stöhnte leise, als er den Kuss vertiefte und mit den Händen in seine Haare fuhr.

„Siehst du?“, murmelte er und lächelte sie an. „Wir müssen nur beieinanderbleiben. Sehr nah beieinander.“

„Doctor Mathison? Hallo? Ist alles in Ordnung?“

Rogan sah über seine Schulter und den Kajaklehrer auf der anderen Seite der Mangroven. Der Rest der Gruppe paddelte flussaufwärts zurück, um nach ihnen zu suchen. „Kein Problem“, rief er. „Nur eine kleine Kollision.“ Er senkte die Stimme. „Ich werde mich abstoßen und du bleibst gerade sitzen.“

Sie tat, was er gesagt hatte, und sie trieben auseinander. Rogan ergriff sein Paddel und drehte sich schnell zum Rest der Gruppe um. „Sie hatte sich in den Wurzeln verfangen, während sie einen Vogel beobachtet hat.“

Die Antwort schien alle zufriedenzustellen, obwohl ihn Emma misstrauisch ansah, als sie umdrehte und davonpaddelte. Rogan lächelte Claudia zu und nickte. „Und versuchen Sie, sich nicht wieder zu verfangen“, sagte er und seine Stimme hallte über das Wasser.

„Danke für den Rat, Mister Quinn“, erwiderte sie etwas zu laut und paddelte an ihm vorbei.

„Kein Problem“, sagte er und dachte daran, was der Abend noch bringen würde.

„Ich zähle das als zwei Fragen“, sagte sie lächelnd.

„Also führst du Buch?“ Rogan lächelte. Er hatte nicht die Absicht, ihre Zeit mit Gesprächen zu verschwenden. Er dachte an andere, interessantere Aktivitäten.

Sie genossen ein wunderbares Essen beim Campen, bestehend aus Rinderragout und Apfelmus, mit heißem Wasser zubereitet. Sie hatten essbare Wurzeln und Beeren gesucht, bevor Rogan ihnen beigebracht hatte, wie man ohne Streichhölzer ein Feuer entzündete.

Claudia war überrascht, wie dieses Wissen das Selbstvertrauen ihrer Patienten stärkte, und nach dem Essen saßen alle ums Feuer und übten sich in ihren neu erlernten Fähigkeiten. Claudia betrachtete Rogans Gesicht im flackernden Licht des Feuers.

Sie war gut darin, Menschen einzuschätzen, aber je mehr sie Rogan beobachtete, desto mehr verwirrte er sie. Er schien sich völlig sicher zu sein, wer er war und wohin er gehörte. Und dennoch spürte sie, dass da mehr war.

Sie spielten ein Spiel, Küsse für Fragen. Aber es war kein dummer Zeitvertreib für sie. Sie wollte – musste – alles über diesen Mann wissen, der in ihre kleine dysfunktionale Gruppe hereingeschneit war und alles auf den Kopf gestellt hatte.

Er hatte bereits bewiesen, dass er mit ihren Patienten umgehen konnte – besser als sie. Und sie alle schienen ihn zu bewundern, auch wenn er sie zwang, sich ihren Ängsten zu stellen. Wenn sie etwas sagte, klang es wie Genörgel. Aber wenn er die Gruppe tadelte, schienen sie noch härter an sich zu arbeiten, um ihm eine Freude zu machen.

Sie beobachtete ihn, als er der Gruppe eine Geschichte über eine Bergbesteigung in Nepal erzählte. Sie waren alle gefesselt. Aber nach ein paar Minuten stand Emma auf, entfernte sich von der Gruppe und ließ sich neben Claudia plumpsen.

„Er ist ein hübscher Kerl“, flüsterte Emma ihr zu. „Ich mag sein Haar. Wollen Sie nicht auch einfach mit Ihrem Finger hindurchfahren?“

Claudia schnappte leise nach Luft. „Nein. Natürlich nicht. Sie etwa?“

„Nur, wenn er es mit antibakterieller Seife gewaschen hätte“, seufzte Emma.

Claudia sah sie überrascht an.

„Das war ein Witz. Er ist nicht mein Typ.“

Es sah Emma gar nicht ähnlich, über ihre Angst Witze zu machen. Die meiste Zeit beherrschte sie ihr Leben. Lagen die Dinge jetzt anders? Und hatte ihr Sinneswandel etwas mit Rogan zu tun?

„So gut sieht er auch nicht aus“, meinte Claudia. „Und mein Typ ist er auch nicht.“

„Bitte“, erwiderte Emma. „Wir haben vielleicht nicht alle Kängurus in der Koppel, aber wir sind nicht dumm. Geben Sie es zu. Rogan gefällt Ihnen.“

Diesmal schnappte Claudia laut nach Luft. War es so offensichtlich? Ihre Patienten waren normalerweise so mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt, dass sie ihre Stimmung kaum bemerkten. „Natürlich ist er attraktiv“, gab Claudia zu. „Ich müsste blind sein, um das nicht zu bemerken. Aber ich habe nicht vor …“

„Nein?“, fragte Emma mit hochgezogenen Brauen. „Und warum nicht? Er ist Single, er ist verfügbar und wenn ich nicht total in Marshall verliebt wäre, würde ich es bei ihm versuchen.“

Claudia riss die Augen auf. „Sie und … Marshall?“

„Fragen Sie mich nicht warum“, gestand Emma. „Und sagen Sie es ihm nicht. Ich werde es auch nicht tun. Ich bewundere ihn lieber aus der Ferne. Ich meine, wie konnte ich mich in einen Mann verlieben, der Angst vor Käfern hat? Und wer weiß was er für Bazillen mit sich herumschleppt.“

„Ich bewundere Mister Quinn, ja. Er kann mit Stöcken ein Feuer machen. Aber mehr ist da nicht.“

Was sagte sie denn da? Sie hatte ihren Patienten immer geraten, Entscheidungen mit dem Kopf zu treffen und ihre Handlungen nicht von ihren Gefühlen beeinflussen zu lassen. Dennoch ignorierte sie alle ihre Grundsätze, wenn es um Rogan ging. Und sie hatte eine ihrer Kardinaltugenden gebrochen. Sie hatte ihre Pa­tienten belogen. Sie sagte immer die Wahrheit oder weigerte sich, zu antworten. Aber sie log nicht. Niemals. Andererseits bezogen sich die Lügen auf ihr Privatleben, nicht ihr Berufsleben. Vielleicht war es nicht so schlimm.

„Sie sollten es versuchen“, sagte Emma.

„Dasselbe könnte ich zu Ihnen sagen“, entgegnete Claudia. „Aber wir wissen beide, dass es schwierig ist.“ Sie räusperte sich. „Ich bin nicht sicher, ob das ein angemessenes Gesprächsthema für uns ist.“

„Okay.“ Emma stand auf. „Aber Sie sollten wissen, wir sind alle dafür.“

„Sie haben meine Beziehung zu Rogan in der Gruppe diskutiert?“

„Natürlich. Worüber hätten wir uns sonst unterhalten sollen, während wir den Fluss entlanggetrieben sind? Unsere eigenen Probleme? Die sind langweilig.“ Sie streckte sich lautstark und sprach die anderen an. „Ich bin müde. Ich glaube, ich gehe ins Bett. Wie sieht’s mit euch aus?“

Sie standen alle wie aufs Stichwort auf und erklärten, wie erschöpft sie seien. Einer nach dem anderen wünschte Rogan und Claudia eine gute Nacht, dann zogen sie sich in die Zelte zurück.

Rogan runzelte die Stirn. „Was war das?“

„Fragen Sie mich nicht“, antwortete sie. „Ich bin baff, dass sie einer Meinung sind.“

„Also bleibst du auf der anderen Seite des Feuers oder möchtest du mir auf diesem bequemen Baumstamm hier Gesellschaft leisten?“

„Ich glaube, ich sollte lieber hier bleiben.“

Rogan stand auf und ging um das Feuer herum. „Macht es dir etwas aus, wenn ich zu dir komme?“

Sie schaffte es nicht, abzulehnen. Sie hatte sich den ganzen Nachmittag lang diesen Moment ausgemalt und sich gefragt, wann er sie wieder berühren würde. Sie hatte immer gedacht, dass sie ihre Gefühle unter Kontrolle hätte, aber seit sie ihn getroffen hatte, war sie besessen von dem Gedanken, was zwischen ihnen geschehen könnte. Er war einfach so gut aussehend und charmant und … kompetent.

Von all seinen Eigenschaften gefiel diese Claudia am besten. Sie war mit einigen Männern ausgegangen, alle sehr erfolgreich in ihrem Beruf. Aber keiner hatte dieses beiläufige Selbstbewusstsein ausgestrahlt, das Rogan hatte. Er war für alles verantwortlich und zum ersten Mal in ihrer Karriere musste sie es nicht sein.

Wie es wohl wäre, mit einem solchen Mann zusammen zu sein? Endlich jemand anderem die Kontrolle zu überlassen und ihn die Richtung bestimmen zu lassen? Manchmal war es einfach zu anstrengend, sich um alles zu kümmern. Aber mit Rogan konnte sie loslassen und einfach nur sie selbst sein.

„Was hast du für morgen geplant?“, fragte sie, als er sich neben sie setzte.

„Lass uns lieber darüber reden, was ich für heute Nacht geplant habe“, sagte er und nahm ihre Hand.

Sie zwang sich, zu lächeln. „Wie schaffst du es, dass sie dir zuhören? Sie scheinen dir unbedingt eine Freude machen zu wollen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ist das nicht normal?“

„Nein“, erwiderte sie. „Eigentlich benehmen sie sich abnormal. Ich befürchte, dass du ihre schwierige Seite noch kennenlernen wirst. Ich versuche nur herauszufinden, warum du mehr Erfolg bei ihnen hast als ich.“

Er hob ihre Hand an seinen Mund und küsste ihre Fingerspitzen. „Ist das wirklich wichtig?“

Er presste seine Lippen auf ihr Handgelenk. „Rogan, ich bin nicht sicher, ob wir …“

„Ich weiß“, sagte er. „Ich verstehe.“

„Ja?“ Ihre Blicke trafen sich und sie sah das Begehren in seinenAugen.

„Ich weiß, dass du einen Ruf zu verlieren hast. Und dass deine Patienten den Eindruck haben, dass wir aufeinander scharf sind.“

„Haben sie etwas zu dir gesagt?“

„Ja. Durch die Blume. Und ich verstehe es. Es würde nicht gut aussehen.“

„Ja. Ich meine, nein. Es könnte eine falsche Botschaft vermitteln. Ich bin hier, um mich um meine Patienten zu kümmern. Nicht, um mit dir zu flirten.“

„Wir würden Spaß haben“, sagte er grinsend. „Das kann ich dir versprechen.“

„Oh, daran zweifle ich nicht“, stimmte sie zu. „Aber bei dieser Reise geht es nicht um mich.“

„Stimmt.“

„Und wenn wir uns unserem Verlangen hingeben, wäre es nur Sex zum Vergnügen, richtig? Davor warne ich meine Patienten immer.“

„Vor dem Vergnügen?“

„Nein, Sex zu haben und dann enttäuscht zu sein, wenn keine Liebe daraus wird.“

„Muss aus Sex immer Liebe werden? Kann er nicht einfach Spaß machen?“

„Natürlich. Ich sage ja nur, ich sollte meinen eigenen Rat beherzigen. Ich bin sicher, dass wir Sex haben und das Ganze in Grenzen halten könnten. Aber das heißt nicht, dass wir Sex haben sollten.“

„Du analysierst schon wieder zu viel. Was willst du?“, fragte Rogan. „Jetzt, in diesem Moment, was willst du?“

Sie dachte darüber nach. Er küsste großartig. Aber wenn er gut küsste, war er sicher auch in anderen körperlichen Aktivitäten bewandert. Sie würde nicht in der Lage sein, es beim Küssen zu belassen, und sie durfte sich nicht hinreißen lassen – jedenfalls nicht jetzt. Also würde sie ihm einen Gutenachtkuss geben und es dabei belassen. Sie stand langsam auf. „Ich denke, ich möchte zu Bett gehen.“

„Oder du könntest mir deine Fragen stellen. Ich schulde dir zwei, vielleicht sogar drei Antworten.“

„Ich glaube, du wirst meine Fragen nicht wirklich beantworten.“

„Oh, du hast mich durchschaut, ja?“

„Vielleicht ist es besser so. Wenn du nicht antwortest, dann habe ich keinen Grund mehr, dich zu küssen.“

„Und ich sehe, dass du mich nicht küssen willst“, sagte er mit sanfter Stimme. „Ich sehe es in deinem Gesicht. Siehst du, ich habe dich durchschaut.“

„Gute Nacht, Rogan.“

Er stand auf und schlang ihr die Arme um die Taille. „Dann gib mir einen Gutenachtkuss. Analysiere ihn nicht. Denk nicht an die Konsequenzen. Tu es einfach.“

Leise seufzend legte sie ihren Kopf an seine Brust. Er vergrub seine Finger in ihrem Haar und Claudia wusste, dass sie ihm nicht widerstehen konnte, wenn sie jetzt nachgab.

„Okay, geh ins Bett“, flüsterte Rogan nach langem Schweigen. „Ich würde sagen, ‚Schlaf gut‘, aber ich glaube nicht, dass du heute Nacht schlafen wirst.“

„Warum?“

„Weil du die ganze Nacht darüber nachdenken wirst, was du hättest tun sollen. Dass du die Chance hättest ergreifen sollen.“

„Bei dir klingt es so einfach“, sagte sie. „Aber ich kann dir nicht sagen, wie viele Frauen ich therapiere, die die falsche Entscheidung getroffen haben, als sie in derselben Situation waren.“

„Hör auf, wie eine Psychologin zu denken.“

„Und denke wie …?“

„Die schöne, sexy, leidenschaftliche Frau, die du wirklich bist.“

„Du sagst immer das Richtige, oder? Ich wette, die Frauen würden sich in dich verlieben, auch wenn du der Teufel höchstpersönlich wärst.“

Er trat einen Schritt zurück. „Genug. Geh ins Bett. Wir sehen uns morgen früh.“

Als sie zu ihrem Zelt ging, spürte Claudia die Frustration in sich aufsteigen. Er hatte recht. Sie dachte über jede einzelne Entscheidung viel zu lange nach, ehe sie sie endlich traf. Aber dies war ebenso eine private wie berufliche Entscheidung. Und es musste genügen, dass sie seine Einladung gerne angenommen hätte, wenn sie alleine in den Wäldern gewesen wären.

Als sie ihr Zelt erreichte, öffnete sie den Reißverschluss und krabbelte hinein. Sie hatten ihre Ausrüstung in Rucksäcke gepackt und Rogans Schwester, Dana, hatte ihre Koffer mitgenommen.

Jeder hatte eine Taschenlampe bekommen. Claudia knipste ihre an und betrachtete das Zeltinnere. Sie hatte noch nie draußen geschlafen. Sie waren nicht oft in Urlaub gefahren, als sie noch ein Kind war. Ihre Mutter hatte sie verlassen, als sie sechs war, und ihr Vater hatte sich um sie gekümmert. Sie hatten also nicht viel Zeit für Spaß gehabt. Nicht, dass ihr Vater viel für Spaß übrig gehabt hätte.

Sie hatte nicht bemerkt, dass er sich seltsam benahm, bis sie ein Teenager geworden war. Dann wurde ihr klar, dass ihr Vater kaum das Haus verließ.

Im College hatte sie dann Psychologiekurse belegt und alles ergab endlich einen Sinn. Ihr Vater litt unter Agoraphobie. Sie verstand schließlich, warum ihre Mutter gegangen war, warum das Leben mit James Mathison unerträglich geworden war. Und warum sie Claudia zurückgelassen hatte, um sich um ihn zu kümmern.

Als sie Psychologin wurde, wollte sie ihrem Vater helfen, aber er wollte sein Leben nicht ändern. Aufgrund ihres Vaters und ihres eigenen Interesses an der menschlichen Natur schien klinische Psychologie die perfekte Wahl für sie gewesen zu sein.

Aber nun stellte sie ihre Entscheidung und ihre Fähigkeiten infrage. Vielleicht hatte sie zu viel erwartet. Ein Therapeut wollte natürlich ein Heilmittel für einen Problempatienten finden. Aber manche Probleme saßen zu tief, um geheilt zu werden. Sobald eine Person die Angst als Teil des Lebens wahrnahm, war es sehr schwer, sie loszuwerden.

Sie hatte gehofft, dass es ein paar Fortschritte für ihre Patienten auf dieser Reise geben würde, hatte auf eine Chance gehofft, sie in eine neue Richtung zu lenken. Schließlich hatte sie nicht viel Erfolg in ihren Sitzungen im Büro gehabt. Aber was, wenn sie falschlag? Was, wenn es nicht funktionierte? Dann würde sie ihre Berufswahl infrage stellen müssen – und ihre Ziele.

Sie ging ihre Habseligkeiten durch und suchte nach ihrem Fleeceanzug. Als sie ihn fand, zog sie ihre Sachen aus und schlüpfte hinein.

Statt all ihre Zeit damit zu verbringen, von Rogan zu träumen, sollte sie sich auf ihre Patienten konzentrieren. Sie suchte ihr Notizbuch und begann, im Licht der Taschenlampe ihre Beobachtungen aufzuschreiben. Und dennoch musste sie immer an den Mann denken, der im Zelt neben ihr schlief.

Sie sah Bilder vor ihrem inneren Auge, die so verführerisch waren, dass sie nicht wollte, dass sie aufhörten. Sie stellte sich vor, wie er nackt neben ihr lag, muskulös und stählern und doch mit weicher Haut. Wie sie ihm in seine warmen Augen sah und dann auf seine Erregung, die er nicht vor ihr verstecken konnte. Nicht vor ihr verstecken wollte. Sie sah, wie sie ihn auf den Rücken drehte, sich langsam auf ihn setzte, mit den Händen über seine Brust strich, ihn heiß und feucht küsste, sich langsam und immer fordernder an ihm rieb, bis sie beide keine Wahl mehr hätten, als sich einander endlich hinzugeben.

„Verdammt, hör auf damit“, murmelte sie. „Du quälst dich nur selbst.“

Aber es fühlte sich nicht wie eine Qual an. Zum ersten Mal in ihrem Leben dachte sie darüber nach, sich einem Mann völlig hinzugeben. Rogan hatte vermutlich mehr Erfahrung mit weiblichen Orgasmen als sie.

Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie er ihr Lust bereitete. All die leidenschaftlichen Intimitäten, die sie genießen würde, bis sie ihren Höhepunkt erreichte. Bis sie beide ihren Höhepunkt erreichten.

Mit einem leisen Stöhnen ließ sie sich auf den Schlafsack fallen.

Wie sollte sie diese Woche überstehen, ohne diesen Träumen nachzugeben? Und warum das Unvermeidliche hinauszögern, besonders, wenn sie sich jetzt vergnügen könnten? Er hatte sie eine sexy, leidenschaftliche Frau genannt. Sie wollte, dass er recht hatte. Und nur er konnte es ihr beweisen.

Autor

Kate Hoffmann
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