Sexy wie die Sünde

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Gegensätzlich wie Feuer und Eis haben die Dozentin Chastity und der vermögende Lebenskünstler Sin spontan Lust aufeinander. Und während Chastity sich noch bemüht, das erotische Knistern zwischen ihnen zu ignorieren, steuert Sin direkt an, was er will: eine Nacht mit der rothaarigen Schönen, deren kühle Fassade seine Sinne reizt. Da Chastity als Historikerin für die Kostüme eines geplanten Renaissance-Festes zuständig ist, an dem auch Sin teilnimmt, sind weitere Begegnungen unausweichlich - und einem ersten heißen Kuss folgt nur Stunden später eine leidenschaftliche Liebesnacht. Völlig überwältigt von der Kraft dieser sinnlichen Erfahrung, hofft Chastity zum normalen Leben zurückkehren zu können, nachdem das gegenseitige Begehren gestillt wurde. Doch die Flamme, die Sin entzündet hat, schlägt hoch und höher - und verlangt nach mehr...


  • Erscheinungstag 01.09.2013
  • Bandnummer 0877
  • ISBN / Artikelnummer 9783864948992
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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1. KAPITEL

Chastity Goodwin schaute zum Fenster hinter dem antiken Schreibtisch, in der Erwartung, den Trauzeugen, der sich bereits sehr verspätet hatte, die Straße heraufkommen zu sehen wie einen weißen Ritter auf seinem Schlachtross. Doch im Moment war die Straße leer.

„Wo steckt der Mann nur?“, murmelte sie und blätterte in den Seiten ihres Terminkalenders, um sicherzugehen, dass sie sich nicht im Datum geirrt hatte. Dann sah sie von den detaillierten Seiten, die säuberlich jeden Tag ihres Lebens einteilten, auf ihre schmale goldene Armbanduhr und seufzte. Halb drei. Sie rieb sich die Stirn. Offenbar würde er auch diesmal nicht erscheinen.

Mit heute wäre es dann die dritte Verabredung, die er versäumte. Wenn er nicht bald auftauchte, würde er nackt zu der Hochzeit gehen müssen. Chastity grinste bei der Vorstellung, wie die Hochzeitsgäste darauf reagieren würden. Selbst auf einer Hochzeit im Rahmen eines Renaissance-Festivals, bei dem alle möglichen Kostüme vom Bischof bis zur Hofdame, vom Kerkermeister bis zum Hofnarren vertreten waren, würde ein nackter Trauzeuge für einiges Aufsehen sorgen.

Besonders in Gloriana im Staat New York.

Chastity legte ihren Terminkalender auf den eleganten Schreibtisch und trat näher an das Sprossenfenster. Noch immer lag die friedliche Nachbarschaft ruhig da. Niemand war zu sehen. Hier ging das Leben seinen gewohnten Gang. Das Sommerwetter setzte ihren älteren Nachbarn zu, sodass sie an diesem heißen Julinachmittag im Haus ein Nickerchen machten. Chastity musste zugeben, dass gerade die Ruhe und Gleichförmigkeit des Lebens ihr an dieser Kleinstadt gefielen. Hier gab es keine Überraschungen, sondern einen Sinn für Geschichte und Beständigkeit.

Sie wollte sich gerade wieder vom Fenster abwenden, als sie ein lautes Brummen wie von wütenden Bienen hörte. Sie schob den Spitzenvorhang beiseite und sah verblüfft hinaus. Ein großes schwarzes Motorrad fuhr wie ein Streitwagen aus der Hölle die Straße hinunter und hielt mit quietschenden Reifen vor ihrem Haus. Der Motor verstummte, doch das Geräusch hallte in der Stille nach. Der Mann auf dem Motorrad sah kurz zu ihrem Haus, schwang ein Bein über das Metall-Ungeheuer und setzte seinen Fuß auf den Gehsteig.

Erschrocken über den Anblick dieses unerwarteten Besuchers, ging Chastity näher ans Fenster, bis ihre Nase fast die Scheibe berührte. Wenn das Motorrad ein Streitwagen aus der Hölle war, dann war der Mann darauf der perfekte Fahrer dafür. Trotz der Hitze war er ganz in Schwarz gekleidet – er trug eine schwarze Lederjacke, schwarze Jeans und schwarze Stiefel. Nur am Hals blitzte etwas Weißes hervor. Ein T-Shirt?

Wie ein Raubvogel kam er näher, düster, bedrohlich. Chastity wich vom Fenster zurück und fragte sich, was sie tun sollte, als es an der Tür klingelte. Es war ein ungeduldiges Klingeln, das darauf hindeutete, dass der Mann keinen Wert auf Manieren legte. Chastity biss sich auf die Lippe und sah zu ihrem Terminkalender.

Konnte das der Trauzeuge sein? Nein, dieser Mann konnte unmöglich Harrison O’Connors Bruder sein. Harrison gehörte zu den Menschen, die sich noch bei einem Straßenräuber dafür entschuldigten, dass sie nicht genug Geld dabeihaben. Ein so rauer Typ wie dieser Biker war bestimmt nicht mit Harrison verwandt. Aber wer war er dann?

Chastity holte tief Luft, entspannte sich und zwang sich, in den Flur zu gehen. Vorsichtig öffnete sie die Haustür gerade weit genug, um sich unterhalten zu können.

Der Mann auf ihrer Veranda stand in lässig-arroganter Haltung da und musterte sie. „Ich bin Sin“, sagte er.

„Aha“, erwiderte sie benommen.

„Sin O’Connor.“

„Sin … O’Connor?“ Hatte Harrison den Vornamen seines Bruders eigentlich erwähnt? Mit dieser Hochzeit ging es so schnell, dass sie sich nicht sicher war.

Sin fuhr sich ungeduldig durch die schwarzen Haare und strich sich eine widerspenstige Strähne aus der Stirn. „Ich habe um zwei einen Termin.“

Chastity starrte ihn an, und sein verwegenes Aussehen erinnerte sie an den neuesten James-Bond-Darsteller. Ihr Blick blieb an den kragenlangen, schwarzbraunen Haaren hängen, die vom Wind zerzaust waren. Dann registrierte sie erschrocken, wie durchdringend seine bernsteinfarbenen Augen sie ansahen. Außer bei ihrer schwarzen Katze Squash hatte sie eine solche Augenfarbe noch nie gesehen. Dieser Mann strahlte etwas verführerisch Verwegenes aus, das Chastity unwillkürlich an zerwühlte rote Satinlaken denken ließ.

Zwei Finger schnippten vor ihrer Nase. „Hallo?“

Chastity kam langsam wieder zu sich. „Ja?“

„Sie schlafwandeln doch nicht, oder?“

Das holte sie abrupt in die Realität zurück. „Nein, natürlich nicht.“

Er lehnte sich an den Türrahmen und schien plötzlich amüsiert. „Das ist gut. Ich bin es nämlich nicht gewohnt, dass Frauen in meiner Gegenwart einschlafen.“

Sofort versuchte Chastity, die beunruhigende Vorstellung von ihnen beiden im Bett zu vertreiben.

Er hob lächelnd eine Braue. „Bin ich hier richtig? Ich suche eine Hochzeitskoordinatorin.“

Sie hatte Mühe, sich angesichts seines umwerfenden Lächelns, das zwei Reihen makelloser weißer Zähne entblößte, zusammenzureißen und einen vernünftigen Gedanken zu fassen. „Sie haben sie gefunden.“

Sein Lächeln vertiefte sich. „Gut.“

Es war die Zufriedenheit in diesem Lächeln, die sie schließlich wieder auf den Boden der Tatsachen holte. Es verriet, dass er an seine Wirkung auf Frauen nicht nur gewöhnt war, sondern sie für selbstverständlich nahm. Das brachte sie auf die Palme. Sie schaute auf ihre Uhr und zwang sich zu einem kühlen Tadel: „Mr. O’Connor, Sie kommen zu spät.“

„Ja, tut mir leid. Unterwegs kam mir eine Idee, und ich musste anhalten, um sie aufzuschreiben. Es war wichtig.“

„Wichtiger als die Hochzeit Ihres Bruders?“

Sin stützte sich mit dem Unterarm am Türrahmen ab. „Viel wichtiger. Die Hochzeit meines Bruders betrifft letztlich nur zwei Leute. Meine Idee wird von jetzt an bis ins nächste Jahrtausend Millionen Leben betreffen.“

Chastity sah ihn mit einer Mischung von Ablehnung und Faszination an. „Bis ins nächste Jahrtausend? Ich persönlich denke nicht so weit in die Zukunft. Sie kommt mir so fern vor.“

Sin machte ein entsetztes Gesicht. „Die Zukunft liegt nicht in weiter Ferne, sie beginnt jetzt.“

Nach diesen Worten öffnete Chastity die Tür ganz und bat ihn herein. „Das stimmt, Mr. O’Connor. Für mich ist die Zukunft die Hochzeit Ihres Bruders in fünf Tagen. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich daher gern anfangen.“

Sin sah auf seine Armbanduhr. „Einverstanden, obwohl ich nur noch ein paar Minuten Zeit habe. Lassen Sie uns also die Sache schnell hinter uns bringen. Ich muss rasch wieder an meine Arbeit.“

Chastity erschauerte, als er an ihr vorbei in den Flur trat. Sein Gang war bestimmt, als hätte er irgendwo etwas Wichtiges zu erledigen und dürfe nicht aufgehalten werden. Die leichte Arroganz seiner Bewegungen und die gezügelte körperliche Anmut beschleunigten ihren Puls. Sie schüttelte den Kopf. Was um alles in der Welt war denn los mit ihr? Normalerweise mochte sie keine arroganten Männer mit aggressivem Auftreten. Obwohl sie wusste, dass es besser wäre, nichts zu sagen, konnte sie nicht widerstehen.

„Wenn Sie rechtzeitig hier gewesen wären, hätten wir jetzt mehr als nur ein paar Minuten Zeit.“

„Ach, fangen wir also wieder damit an, wie?“ Er blieb so abrupt stehen und drehte sich um, dass Chastity mit ihm zusammenstieß. Er hielt sie automatisch fest, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor, und sie atmete seinen herben, frischen Duft ein. Sofort stieß sie ihn wieder von sich. „Sind Sie immer so pingelig, was Zeit angeht?“

Chastity machte den Mund empört auf und wieder zu, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Wer achtete heutzutage nicht auf seine Zeit? Niemand besaß Zeit im Überfluss. „Nur wenn ich sie nicht effektiv nutzen kann.“

Sin runzelte neugierig die Stirn. „Haben Sie nie Lust, spontan etwas Neues zu entdecken, ohne sich darum zu scheren, wie lange es dauert?“

„Selbstverständlich. Ich bin Historikerin. Wir leben für so etwas. Sie sollten mich mal in einer Bibliothek erleben.“

„Ich dachte, Sie sind Hochzeitskoordinatorin.“

„Nur im Sommer, während des Renaissance-Festivals.“ Bevor er weitere Fragen stellen konnte, fügte sie hinzu: „Entschuldigen Sie bitte, ich möchte nicht unhöflich sein …“

„Oh, ich finde, Sie sollten immer unhöflich sein wollen.“ Er grinste. „Andernfalls wäre es doch die reinste Zeitverschwendung, sich ständig zu entschuldigen.“

Chastity fragte sich, wie sie so schnell die Kontrolle über die Situation hatte verlieren können. „Mr….“

„Sin.“

Sie atmete schwer aus und blies eine Locke aus ihrer Stirn. „Hören Sie, es ist mir egal, ob Sie nun Mordred heißen …“

„Mir wäre es nicht egal.“

Sie biss die Zähne zusammen. „Ich habe heute Nachmittag noch tausend Dinge zu erledigen und bin bereits in Verzug. Daher müssen wir auf der Stelle mit der Anprobe Ihres Kostüms beginnen.“ Sie rauschte so anmutig wie möglich an ihm vorbei, wobei sie fast auf dem Läufer im Bogengang zum Wohnzimmer ausgerutscht wäre.

Sin hielt sie am Oberarm fest, ließ sie jedoch sofort wieder los, da sie am Türrahmen Halt gefunden hatte. „Ganz wie Sie wollen, Miss …“

„Goodwin“, sagte sie unwillig. „Aber da Sie Harrisons Bruder sind, nennen Sie mich ruhig Chastity.“

Sin hob verblüfft die Brauen. „Chastity? Wie das englische Wort für Keuschheit? Sie machen Witze, oder?“

„Keineswegs. Was ist daran so lustig?“

Er musterte sie genüsslich von Kopf bis Fuß. „Der Name passt.“

In diesem Moment hätte Chastity ihre ledergebundene Ausgabe von Shakespeares Werken gern gegen eine schwere gusseiserne Pfanne eingetauscht, um diesem Lümmel einen Denkzettel zu verpassen.

Offenbar ahnte er ihre Gedanken, denn er hob die Hände in einer versöhnlichen Geste. „Das war als Kompliment gemeint.“

Am liebsten hätte sie einen kindlichen Wutausbruch bekommen, aber ihre Manieren siegten. „Vielleicht sollten wir das Thema besser fallen lassen.“

„Das könnte schwierig werden. Irgendwie muss ich Sie schließlich nennen.“

„Sie können es sich aussuchen – Chastity oder Miss Goodwin.“

„Beides geht nicht.“ Er schaute von seinen schwarzen Stiefeln auf und ihr direkt in die Augen. „Keine Sorge, mir fällt schon etwas ein.“

„Ich will aber gar nicht, dass Ihnen irgendetwas einfällt. Ich bin vollkommen zufrieden mit meinem Namen und …“

„Entschuldigen Sie bitte.“ Sin sah auf seine Uhr. „Wir sollten uns jetzt wirklich um meinen Smoking kümmern, meinen Sie nicht?“

„Welchen Smoking?“

Er wirkte perplex. „Den für die Hochzeit. Ich bin hier zur Anprobe. Darüber reden wir doch.“

Chastity verschränkte die Arme und gab sich Mühe, nicht allzu selbstzufrieden zu klingen. Denn was er gleich zu hören bekäme, würde ihm ganz sicher nicht gefallen. „Um ehrlich zu sein, Sie brauchen keinen Smoking zu tragen.“

„Großartig. Ich hätte ihn ohnehin nur unter Protest angezogen. Die einzigen Sachen, in denen ich mich wohlfühle, sind Jeans und T-Shirt. Das trage ich ständig. Es sitzt gut und schmiegt sich dem Körper an. Verstehen Sie, was ich meine?“

„Eng sitzende Kleidung ist Ihnen also wichtig?“

„Ja, könnte man so sagen“, erwiderte er ein wenig irritiert.

Chastity rieb sich die Hände. „Dann habe ich genau das Richtige für Sie. Das wird Ihnen gefallen.“

„Ach ja?“

„Vertrauen Sie mir. Gehen wir in mein Atelier, dann zeige ich es Ihnen.“

„Gern.“ Er sah erneut auf die Uhr. „Ich stehe Ihnen noch genau zwanzig Minuten zur Verfügung. Dann muss ich los. Ich erwarte einen Anruf aus Übersee.“

„Zwanzig Minuten werden sicher reichen.“ Chastity führte ihn durch das altmodische Wohnzimmer zu einer Schiebetür. Sie schob die eine Seite auf und betrat ihr Atelier. Hier, wo sich ihr Schreibtisch, ihr Computer und ihre Bücherregale befanden, fühlte sie sich in ihrem Element. In einer Ecke stand ein Zeichenbrett, an das lauter Skizzen geheftet waren. Eine andere Ecke des Raumes wurde von einem großen Arbeitstisch und einer elektrischen Nähmaschine ausgefüllt. Daneben befanden sich ein Spiegel und ein Kleiderständer. Was den Raum jedoch so einzigartig machte, waren die sechs Schaufensterpuppen, die mehr oder weniger vollständig mit Kostümen bekleidet waren.

Die Gruppe Frauen und Männer stand so angeordnet, als befänden sie sich auf einer Party an einem Sommernachmittag. Die Satin- und Seidenstoffe glänzten im einfallenden Sonnenlicht, dessen Muster von den sich im Wind bewegenden Blättern der alten Ulme vor dem Fenster bestimmt wurde.

Chastity berührte im Vorbeigehen unwillkürlich die herabhängende Spitze des hellblauen Hochzeitskleides, das eine der Puppen trug. Manchmal kamen die Schaufensterpuppen ihr lebendig vor, auch wenn sie das nie jemandem gestehen würde. Sie deutete auf die Puppen und sagte über die Schulter zu Sin: „Darf ich vorstellen: die Hochzeitsfeier.“

Sin starrte die halb bekleideten Puppen an. „Was haben Sie getan? Ein Schaufenster geplündert?“

Chastity lachte. „Nein. Letztes Jahr schloss eines der alten Bekleidungsgeschäfte in der Stadt. Der Besitzer erwähnte es meinem Vater gegenüber. Da ich gerade mit der Arbeit an den Hochzeitskleidern begonnen hatte und etwas brauchte, an dem ich meine Schnittmuster ausprobieren konnte, fuhr ich hin und holte sie mir.“ Sie betrachtete sie liebevoll. Für Chastity nahmen sie jedes Mal eine neue Persönlichkeit an, wenn sie ihnen Hochzeitskleider anzog.

„Es ist so, als würde man mit einer Menschenmenge zusammenleben.“

„Es sind doch nur sechs.“ Sie zuckte die Schultern. „Außerdem mag ich Menschenmengen.“

Sin schüttelte sich. „Ich hasse sie.“ Er betrachtete die Gruppe genauer. „Und was geschieht, wenn Sie hier mitten in der Nacht herumlaufen? Die jagen Ihnen doch sicher einen Schrecken ein.“

„Erstens laufe ich nicht mitten in der Nacht hier herum. Ich schlafe sehr fest. Und im Übrigen weiß ich, dass sie da sind. Ergo können sie mich nicht erschrecken.“

„Ergo? Wer sagt denn heutzutage noch ergo?“

„Jeder gebildete Mensch kann ergo sagen, weil er weiß, was es bedeutet.“

Sin legte der Schaufensterpuppe, neben der er stand, den Arm um die Schultern. „Wir wissen, was es bedeutet, was, alter Knabe? Trotzdem würde ich es nicht vor einem völlig Fremden verwenden. Das könnte einen merkwürdigen Eindruck machen.“

„Es ist mir egal, welchen Eindruck ich auf Sie mache. Ich kenne Sie nicht einmal. Und nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe, muss ich Sie auch nicht besser kennenlernen, ob Sie nun Harrisons Bruder sind oder nicht.“

Er grinste und löste sich von der Puppe. „Das war jetzt wirklich schroff.“ Er hob eine geschwungene Braue. „Ich wette, so haben Sie es auch gemeint.“

Selbst erstaunt über ihre mangelnde Höflichkeit, holte sie schon Luft, um sich zu entschuldigen. Doch dann überlegte sie es sich anders. „Und ob“, erwiderte sie herausfordernd.

„Jetzt kommen wir wenigstens voran.“

„Was soll das heißen?“

Er streifte seine Lederjacke ab. „Na ja, ich kann Sie schlecht küssen, wenn Sie ständig so steif und förmlich sind. Das bringt mich völlig aus dem Konzept.“

„Ich will nicht, dass Sie mich küssen!“

„Na schön, dann vergessen Sie’s. Zeigen Sie mir meine Hochzeitsklamotten, und anschließend verschwinde ich wieder.“

Noch immer geschockt von seinen überraschenden Worten – und ebenso entsetzt darüber, dass sie seine Anspielung aufs Küssen sehr interessant fand – sagte sie: „Sie stehen neben einem Teil davon.“

„Wie bitte? Doch nicht die Sachen, die mein Kumpel hier trägt?“ Er näherte sich wieder der Schaufensterpuppe und betrachtete das mit Goldfäden durchwirkte purpurfarbene Wams, das Chastity der Puppe an diesem Morgen angelegt hatte.

„Wie gesagt, das ist nur ein Teil“, meinte sie.

Sin drehte sich mit finsterer Miene zu ihr um. „Das hoffe ich. Ich sehe keine Hose. Nicht, dass ich dieses glitzernde Oberteil anziehen würde. Aber wie auch immer, eine Hose brauche ich schon.“

„Sie werden keine Hose tragen.“

„Was soll das heißen, ich werde keine Hose tragen? Ich kann ja wohl schlecht im Suspensorium herumlaufen, oder?“

„Gütiger Himmel.“ Sie blinzelte und wünschte, sie könnte die erotischen Bilder von Sin O’Connor vertreiben, die ihr plötzlich in den Sinn kamen. Sie räusperte sich. „So etwas brauchen Sie nicht. Ich habe etwas anderes für Sie.“ Das Blut schoss ihr in die Wangen. „Allerdings muss ich erst Maß nehmen, um sicherzugehen, dass alles passt. Ich versuche, historisch korrekt zu bleiben, daher würde es komisch aussehen, wenn Ihre Hose zu weit sitzt.“

„Sie haben doch gerade gesagt, dass ich keine Hose tragen werde.“

„Keine Hose, wie Sie es sich vorstellen.“ Chastity nahm ein Maßband vom Tisch, das unter einem Haufen Spitze lag, und ging zum Ankleidespiegel und Kleiderständer. „Würden Sie bitte hierherkommen, damit ich es mir noch einmal anschauen kann, bevor Sie sie anprobieren. Ich habe zwar die Größe Ihres Bruders als Anhaltspunkt genommen, aber …“

„Dann brauchen Sie mich ja nicht mehr.“

„Er sagte, er sei ein wenig größer, und deshalb muss ich bei Ihnen …“ Sie hob ihren Rock und kniete sich vor ihn.

„Was zur Hölle tun Sie da?“

Das fragte sie sich plötzlich auch, während ihr Gesicht sich vor seiner engen schwarzen Jeans befand. Sie gab sich Mühe, nicht auf den interessantesten Punkt zu starren, und konzentrierte sich stattdessen auf seine Hüfte. „Nachschauen … ich meine nachmessen“, verbesserte sie sich rasch. „Ich nehme noch einmal Maß.“ Ihre Position war natürlich nicht gerade dazu geeignet, Würde zu wahren. Vorsichtig legte sie das Zentimeterband an und maß die Länge von seiner Hüfte bis zum Fußknöchel. Sie achtete lediglich auf die Zahlen, aus Angst, sie könnte sonst ihre Arbeit nicht zu Ende bringen. Die Wärme, die sein Körper dort ausstrahlte, wo sie das Maßband anlegte, konnte sie allerdings nicht ignorieren.

Dabei hatte sie diese Prozedur schon so oft absolviert. Wieso war es bei diesem Mann etwas Besonderes? Vielleicht, weil sie zum ersten Mal mehr daran interessiert war, die Innenseite der Beine eines Mannes zu messen als die Außenseite. Nie war sie einem Mann wie ihm begegnet. Gewöhnlich hielt sie sich an Männer, die denselben Kreisen angehörten wie sie. Gebildete, kultivierte Typen, die sie mühelos kontrollieren konnte. Männer, die ihren nächsten Forschungsbericht aufregender fanden als die Frau an ihrer Seite. Zu einem Mann wie Sin hatte sie sich noch nie hingezogen gefühlt. Bis jetzt. Doch während sie seine stahlharten Muskeln betrachtete, wurde ihr plötzlich klar, was ihr entgangen war.

Chastity fühlte, dass sie heftig errötete. Mit zitternder Hand legte sie das Maßband an. Im Zimmer war es so still, dass sie das Gurren einer Taube hören könnte, die unter dem Dach des alten Hauses saß. Die Uhr auf ihrem Schreibtisch tickte unerträglich laut. Wie in Zeitlupe bewegte sich Chastitys Hand auf die Innenseite seiner Schenkel zu. Zögernd hob sie den Anfang des Maßbandes und schaute auf. Das war ein Fehler, denn ihre Blicke trafen sich. Fasziniert bemerkte sie ein sinnliches Funkeln in seinen Augen.

Chastity verstand nicht ganz, was passierte. Dieser Mann war ihr vollkommen fremd, und dennoch fühlte sie sich überwältigend zu ihm hingezogen. So etwas hatte sie nicht einmal bei Jeremy erlebt, mit dem sie seit einiger Zeit ausging. Zwischen ihnen herrschte ein gewisses Verständnis, an das sie sich momentan aber nicht einmal mehr erinnern konnte. Wie seltsam!

Chastity studierte das aufregende Gesicht über ihr und stellte sich unwillkürlich vor, wie seine Bartstoppeln sich wohl auf ihrer Haut anfühlen würden. Würde es so sein wie Squashs Katzenzunge? Oder würde sein Bart eine andere Wirkung haben? Würde sie so erregt sein wie in diesem Augenblick?

Einer von uns beiden sollte jetzt ausatmen, dachte sie, sonst kippen wir um. Doch die Vorstellung, wie sie beide zu Boden sanken und ihre Glieder sich miteinander verflochten, half ihr nicht gerade. Sins wundervolles Gesicht begann bereits zu verschwimmen, als sie endlich zu sich kam und begierig die Luft einsog. Ihr Hirn arbeitete fieberhaft, um eine Erklärung für ihr plötzliches Schwindelgefühl zu finden. Sie konnte es auf ihren Hunger schieben. Schließlich hatte sie nichts zu Mittag gegessen. Ja, daran lag es. Ihr Blutzuckerspiegel war zu niedrig.

„Ich bin hungrig.“

Gütiger Himmel, hatte sie das etwa laut ausgesprochen? Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie. Er legte ihr die Hände auf die Schultern, und sie spürte den Druck seiner Finger. Sie konnte sich nicht rühren. Das Blut rauschte ihr in den Ohren, ihr Magen zog sich zusammen und …

„Hicks!“ Verdammt, dachte sie, jetzt bekomme ich auch noch Schluckauf! Eigentlich hatte sie geglaubt, sie hätte diese kindische nervöse Reaktion überwunden. Offenbar nicht. Sie versuchte, tief durchzuatmen, um den Schluckauf unter Kontrolle zu bringen, doch die Folge waren lediglich eine Reihe schnell aufeinander folgender Hickser.

2. KAPITEL

„Hicks … hicks … hicks …“

Sin versuchte, den Blick von Chastity loszureißen, und fragte sich, was um alles in der Welt hier eigentlich vor sich ging. Diese Hexe mit den langen roten Haaren hatte ihn mit irgendeinem Zauberbann belegt.

Sein Verlangen erwachte, was ihm unerklärlich war, da diese Frau überhaupt nicht seinem Typ entsprach. Dennoch hatte er das Gefühl, in ihren großen blauen Augen zu ertrinken. Verwirrt riss er sich schließlich von ihrem Anblick los und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Dummerweise trafen sich erneut ihre Blicke.

Er stellte sich vor, wie es wäre, ihre sanfte Halsbeuge zu küssen oder ihre vollen erdbeerfarbenen Lippen. Und dann nahm er die Laute wahr, die sie von sich gab.

„Hicks … hicks … verdammt … hicks …“

Verwundert stellte er fest, dass diese elegante Frau mit der schwanengleichen Anmut plötzlich einen ordinären Schluckauf hatte. „Gesundheit“, sagte er. „Unsinn, das sagt man ja beim Niesen, nicht wahr?“ Er rieb sich das Kinn. „Was sagt man bei Schluckauf?“

„Gar nichts … hicks. Herr im Himmel!“ Chastity Goodwin ging in die Hocke und hielt sich die Hände vors Gesicht. Das Maßband hing von ihren Fingern.

Sin kniete sich vor sie und nahm ihre Hände von ihrem Gesicht. „Ich fürchte, mehr als eine Rettung am Tag können Sie von Ihm nicht erwarten, Schätzchen.“

Chastity sah abrupt auf. „Nennen Sie mich nicht Schätzchen … hicks! Ich kenne Sie nicht gut genug, als dass Sie mich so freizügig mit Koseworten anreden könnten.“

„Mit Koseworten? Sie reden wie ein Lehrbuch.“

„Das tue ich nicht!“

„Hören Sie, ich habe es Ihnen doch schon erklärt. Ich kann Sie nicht Chastity nennen, nicht einmal Miss Goodwin.“

„Na schön, dann reden Sie mich eben mit Dr. Goodwin an.“

Sin war verwirrt. „Sie sind auch noch Doktor? Zuerst sind Sie eine Hochzeitsplanerin, dann erzählen Sie mir, Sie seien Akademikerin. Was kommt als Nächstes? Eine Nuklearphysikerin?“

Chastity schauderte es. „Ach nein, dafür wäre ich nicht geeignet. Obwohl ich es faszinierend finde, die Materie in ihre kleinsten Bestandteile zu zerlegen. Allerdings bin ich fest davon überzeugt, dass der unersättliche Drang des Menschen, die Welt um sich herum zu verändern – und nicht immer zum Besten, wie ich hinzufügen möchte – für den Zustand unserer Welt verantwortlich ist.“

„Die Welt ist in einem solchen Zustand, weil die Menschen nicht schnell genug sind, die Möglichkeiten der Zukunft Realität werden zu lassen.“ Sin war noch nie eine so widersprüchliche Frau begegnet – äußerlich kühl und innerlich voller brodelnder Leidenschaft. Wenn sie aus sich herauskam, war sie sehr anziehend, daher konnte er der Versuchung nicht widerstehen, noch ein wenig Öl ins Feuer zu gießen. „Das Problem ist, dass die Menschen gern am Gewohnten festhalten. Sie klammern sich an ‚historische‘ Verfahren, die völlig überholt sind.“

„Der Ansicht bin ich überhaupt nicht. Wie können Sie der Geschichte die Schuld geben? Der Geschichte haben wir die Einsicht in vergangene Fehler zu verdanken oder in Errungenschaften.“

„Doktor.“ Sin schnippte mit den Fingern, da ihm plötzlich etwas klar wurde. „Sie haben wohl nicht erst vor Kurzem Ihren Doktortitel erhalten, oder?“

„Hicks. Doch, habe ich.“

Sin grinste. „Das dachte ich mir. Einen frischgebackenen Doktor erkennt man immer an der pedantischen Art, mit der er selbst beim banalsten Thema seine Argumente vorbringt.“

„Pedantisch! Sie sollen wissen, dass ich über Literatur und Kunst der Renaissance promoviert habe. Das war nicht pedantisch, sondern intensiv. Es war eine Zeit der intellektuellen Blüte und der begeisterten Einbeziehung allen Wissens.“

„Unglücklicherweise liegt sie drei oder vier Jahrhunderte zurück.“

„Was hat das denn damit zu tun?“

„Nichts. Das ist nur mein Standpunkt.“

„Wie … hicks … können Sie das sagen?“

„Lesen Sie es von meinen Lippen ab, Doc. Wenn sich die Gesellschaft nicht darauf konzentriert, wohin sie sich bewegt …“ Er hielt inne und neigte den Kopf. „Doc – das gefällt mir. Ich werde Sie Doc nennen.“

„Das ist wohl der ärgerlichste Spitzname, den ich mir vorstellen kann. Ich wüsste niemanden, dem ich erlauben würde, mich Doc zu nennen. Da komme ich mir ja vor wie eine Figur aus einer Comedy-Serie! Oder wie ein Charakter aus dem Computerspiel, für das jetzt ständig im Fernsehen geworben wird. Das, wo der verrückte Wissenschaftler einen auffordert, die Tür zu seinen Albträumen zu öffnen, wenn man mutig genug ist.“

Autor

Meg Lacey
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