1. KAPITEL
“Was ist das denn jetzt?”, fragte sich Grant und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
Hinter ihm ragte der Copper Mountain empor, der sich wie ein riesiger dunkler Wal vor dem Himmel abzeichnete. Vor ihm erstreckte sich graue Wüste bis in weite Ferne, wo eine Staubwolke die Ankunft eines unerwarteten Besuchers ankündigte. Der Anblick war Grant äußerst unwillkommen.
Es war ein unerträglich heißer Tag hier auf dem Bohrfeld. Grant war müde und schlecht gelaunt, und das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war eine weitere Unterbrechung. Er folgte einem sehr knapp bemessenen Zeitplan, und vor einer Stunde war der Bohrungsleiter mit einer Alkoholfahne aus der Schlafbaracke gestolpert. Der Besitzer der Bohrgesellschaft hatte sich anerboten, als Bohrungsleiter einzuspringen, aber mit seinen achtundfünfzig Jahren war Paddy Flynn kein junger Mann mehr, und die schwere Arbeit auf dem Bohrfeld, ebenso wie die unvernünftigen Anforderungen, die er immer an seinen Körper gestellt hatte, hatten ihn so ausgelaugt, dass er jetzt nicht mehr zu einer so anstrengender Arbeit fähig war.
Grant weigerte sich, das Leben der Angestellten in die Hände eines verantwortungslosen Trunkenbolds zu legen, und so blieb ihm keine andere Wahl, als den Bohrungsleiter auf der Stelle zu feuern und den Job selbst zu übernehmen. Er war eine Art Feuerwehrmann, der auf allen Bohrstellen der “L.L. Drilling Operations” nach dem Rechten sah.
Viele gab es nicht mehr davon. Alle wussten, dass dieses Projekt die letzte Hoffnung des Unternehmens war, finanziell wieder auf die Füße zu kommen. Um es mit Paddys Worten zu sagen: wenn sie nicht bald auf eine besonders ergiebige Quelle stießen, würde das Loch in ihren Taschen größer sein als das Bohrloch.
Mit jedem Jahr sah Grant seinen Traum von einer eigenen Ranch immer weiter in die Ferne rücken. Er hatte sich das Land schon ausgesucht, ein herrliches Fleckchen Erde in der unberührten Wildnis von Wyoming, das am Fuß eines Berges lag. Wenn Grant die Augen schloss, konnte er es fast sehen und das Rauschen des Flusses hören, der sich in Schlangenlinien durch eine Weidefläche wand, die das Herz jedes Ranchers höherschlagen ließ.
Das Geräusch eines bremsenden Fahrzeugs zwang ihn, die Augen wieder zu öffnen. Irgendwie schien er Ärger anzuziehen. Er stöhnte leise auf, als die Fahrertür des brandneuen Jeeps geöffnet wurde und der Besucher aus dem Wagen stieg. Eine aufregende Frau in engen Jeans und T-Shirt, die eine sowieso schon widerspenstige Mannschaft ablenkte, das hatte ihm gerade noch gefehlt. Die Männer waren gereizt, seit sie erfahren hatten, dass ihr Kumpel Harry abserviert worden war und der härteste Vorgesetzte seine Stelle übernommen hatte.
“He, Baby!”, brüllte jemand, als die junge Frau die Tür öffnete und in die Sonne hinaustrat.
Grant verstand nicht, wie sich jemand auf den Weg zu dieser abgelegenen Bohrstelle machen konnte. Die Frau hatte sich entweder verirrt oder war so reich, dass es ihr nichts ausmachte, ihren neuen Wagen den Schotterpisten dieser rauen Gegend auszusetzen. Sie war Grant auf Anhieb ziemlich unsympathisch.
Aber selbst aus der Entfernung konnte er sehen, dass sie umwerfend aussah. Ihr glänzendes dunkelbraunes Haar reichte ihr bis zu den Schultern, und da Grant schon immer ein Faible für Dunkelhaarige gehabt hatte, regte sich in ihm gegen seinen Willen doch ein gewisses Interesse. Die Männer pfiffen bewundernd.
Grant schob seinen Schutzhelm aus der Stirn und fluchte leise. Obwohl er das machohafte Benehmen seiner Leute nicht guthieß, hoffte er insgeheim, dass das Gejohle der Männer dieses kleine verirrte Lamm verscheuchte, bevor es sich mitten unter die Wölfe begab. Die meisten von ihnen hatten seit mehr als einem Monat keine Frau mehr gesehen, geschweige denn eine, die ausschaute, als ob sie den Seiten eines Kinomagazins entsprungen wäre. Und dort hatte er sie wahrscheinlich auch gesehen, denn irgendwie kam sie ihm bekannt vor.
Leider entschloss sich die Frau nicht für das Klügste und stieg wieder in ihren Jeep, sondern ging selbstsicher auf die Stufen zu, die zum Bohrturm führten, als ob man sie hier erwarten würde. Ihr Gang war genauso elegant wie die Art, wie sie das Kinn hob und die Pfiffe und Spötteleien der Männer einfach ignorierte. Grant nahm an, dass sie entweder sehr mutig oder sehr dumm sein musste. Er vermutete Letzteres.
Seufzend unterbrach er seine Arbeit und ging auf die Treppe zu, um den unerwünschten Eindringling abzufangen.
“Die Show ist vorbei”, rief er den Männern zu. “Zurück an die Arbeit!”
Caitlyns Vater hatte immer gesagt, dass die Männer in Wyoming groß und kräftig waren. Wenn der Mann, der ihr den Weg versperrte, ein Beispiel dafür war, dann musste sie sich wohl daran gewöhnen, den Kopf in den Nacken zu legen, um ihnen in die Augen sehen zu können.
“Haben Sie sich verirrt?”, wollte der Mann wissen. Es klang eher wie eine Feststellung als eine Frage.
“Ganz und gar nicht. Ich weiß genau, wo ich bin. Ich bin die neue Geologin.”
Wie herrlich es war, die Worte laut aussprechen zu können. Sie erklärten nicht nur ihre Anwesenheit hier, sondern sie bestätigten den Traum, den sie schon als Kind gehabt hatte. Alle, von ihrer Mutter bis zu ihren Professoren an der Universität, hatten ihr davon abgeraten, einen typischen Männerberuf zu ergreifen. Laura Leigh hatte gewollt, dass ihre Tochter dieselbe kleine Privatuniversität besuchte wie sie, aber Caitlyn hatte sich einfach geweigert. Im Gegensatz zu vielen Mädchen, die zu ihrem Bekanntenkreis gehörten, war der höchste Titel, den sie ersehnte, nicht der einer “Mrs”.
“Ich sagte, ich bin die neue Geologin”, wiederholte sie unbehaglich. Nichts hatte sie darauf vorbereitet, sich völlig fehl am Platz vorzukommen – und so furchtbar schutzlos.
Ein leichtes Lächeln umspielte die Mundwinkel des Mannes, während er sich nachdenklich das Kinn kratzte. Caitlyn glaubte fast, das Geräusch zu hören, das seine Finger auf seinem unrasierten Gesicht machten. Sie erschauerte unwillkürlich. Himmel, was würde ein Hollywood-Produzent mit einem umwerfenden Mann wie diesem nicht alles zuwege bringen!
Caitlyn war einige Stufen unter ihm stehen geblieben und ihm gegenüber deutlich im Nachteil. Sie hoffte nur, dass er die Röte auf ihren Wangen auf die Sommerhitze zurückführte und nicht auf ihre Verlegenheit. Ihre Zimmergenossin im College hatte sich immer einen Spaß damit gemacht, Caitlyn wegen ihrer sexuellen Unerfahrenheit zu necken. Roxy behauptete, Caitlyns heftiges Erröten verriet jedem, der es wissen wollte, aus meilenweiter Entfernung, dass sie die älteste Jungfrau Amerikas war.
Sie zwang sich, den Blick von seinem Hosenbund zu reißen, und betrachtete das weiße T-Shirt, das die breite Brust und die muskulösen Arme betonte. Die Schweißflecken machten deutlich, dass er sich seine Muskeln auf die altmodische Art verdient hatte, nicht in einem schicken Fitnesscenter mit Höhensonne und persönlichem Trainer.
Sie holte tief Luft und bemühte sich um einen autoritären Ton. “Wenn Sie mich entschuldigen wollen, ich möchte an die Arbeit gehen.”
Der Mann rührte sich nicht von der Stelle. Er lehnte unverschämt an der Metallreling, richtete seinen hellblauen Blick auf sie und fragte: “Und wer genau hat Sie angeheuert, Miss Scarlett?”
Das Lächeln, das seinen Mund umspielte, brachte sie genauso auf die Palme wie der Name, den er ihr spöttisch an den Kopf warf. Offenbar war ihm ihr vornehmer Südstaatenakzent nicht entgangen. Nur weil sie keine Einheimische war, hieß das jedoch noch lange nicht, dass sie dumm war oder dass sie nicht das College-Diplom verdient hatte, das ihr jedes Recht dazu gab, hier zu sein. Nachdem sie vier Jahre in einem traditionell von Männern dominierten Fach durchgestanden und sich dabei jedes bisschen Respekt hart errungen hatte, ließ Caitlyn sich nicht so leicht einschüchtern.
“Ich wurde von dem Besitzer engagiert, Rhett Butler, und ich werde Ihnen nicht erst mein Diplom zeigen, um an Ihnen vorbeizukommen”, fuhr sie ihn ungeduldig an.
Ihr Ausbruch bewirkte jedoch nur, dass sich sein arrogantes Lächeln vertiefte. Er setzte einen gestiefelten Fuß auf die Reling und schnaubte doch tatsächlich verächtlich durch die Nase, als sie ihr Diplom erwähnte. Diesmal war keine Geduld mehr in seiner Stimme. “Tut mir leid, Lady. Wer immer Ihnen eingeredet hat, dass es hier einen Job für Sie gibt, muss sich einen Spaß mit Ihnen erlaubt haben. Wir stellen im Augenblick niemanden ein, und so ist mein einziger Rat, dass Sie Ihr hübsches Hinterteil schleunigst von dieser Bohrstelle wegbewegen und wieder dahin zurückkehren, wo Sie hergekommen sind.”
Caitlyn ballte die Hände zu Fäusten. “Wenn Sie nicht augenblicklich beiseitegehen, Mister, bin ich gezwungen, für Ihre Entlassung zu sorgen. Obwohl ich Sie nur ungern feuern lassen möchte”, log sie. Nichts würde ihr größere Freude bereiten, als diesen Chauvi aus dem Verkehr zu ziehen.
Der Mann warf den Kopf zurück und lachte amüsiert. “Wenn Sie es nur könnten, Süße. Sie würden mir wahrscheinlich sogar einen Gefallen damit tun. Aber da das nicht der Fall ist, werde ich Ihnen meinerseits einen Gefallen tun. Ich werde Sie persönlich zu Ihrem Jeep begleiten und Ihnen den Weg zeigen, den Sie einschlagen müssen, wenn Sie keinen Ärger haben wollen. Eines Tages werden Sie noch dankbar sein, dass jemand besorgt genug war, um Sie fortzuschicken.”
Diesmal war es Caitlyn, die verächtlich schnaubte. Sie richtete sich zu ihren ein Meter zweiundsiebzig auf und straffte die Schultern, als ob sie vorhätte, den schweren Mann aus dem Weg zu schubsen. Nur ihre gute Erziehung hielt sie davor zurück, den Fluch auszustoßen, der ihr auf der Zunge lag.
“Bei dem harten Schädel, den Sie haben”, entgegnete sie, “dient der Schutzhelm wohl nur zur Dekoration?”
Jeder Anschein von Höflichkeit verschwand jetzt völlig. Der Mann nahm den Helm ab und starrte Caitlyn finster an. Die Tatsache, dass sein volles dunkles Haar zerzaust und schweißfeucht war, machte ihn nicht weniger sexy oder angsteinflößend.
“Es ist mir schnurzegal, ob Sie der Papst persönlich geschickt hat. Eine Bohrstelle ist kein Ort für eine Lady!”, blaffte er sie an, wobei er bedrohlich auf dieselbe Stufe herunterkam, auf der Caitlyn stand.
Caitlyn musste sich seitlich hinstellen, um nicht zurückweichen zu müssen. Die Stufe war so schmal, dass Caitlyn sicher war, der Mann müsste das wilde Pochen ihres Herzens hören, als ihre Brust seinen Oberkörper streifte. Bei diesem unerwarteten Kontakt spürte sie, wie eine Welle sinnlicher Erregung über ihr zusammenschlug. Sie erstarrte und sah ihn voller Entsetzen an.
“Ich sage es nicht noch einmal”, erklärte er. “Wenn Sie nicht sofort freiwillig verschwinden, bin ich gezwungen, Sie mit Gewalt vom Bohrgelände zu vertreiben.”
Caitlyn hielt sich nur mit größter Anstrengung davor zurück, ihm das hochmütige Grinsen mit einer Ohrfeige vom Gesicht zu wischen. Sie bezweifelte nicht, dass er seine Drohung ernst meinte. Die Vorstellung, er könnte sie über seine Schulter werfen und zum Vergnügen der Crew in ihren Jeep verfrachten, ließ sie unwillkürlich erschauern. Sie hatte zu hart gearbeitet, um dahin zu kommen, wo sie war, um sich auf eine so lächerliche, brutale Weise abservieren zu lassen. So hatte sie sich ihren ersten Arbeitstag nicht vorgestellt.
Einer der Männer, die sich unten am Bohrturm eingefunden hatten, schrie: “Ich wette, Harry würde so eine hübsche Geologin nicht davonjagen!”
“Hör nicht auf ihn, Süße. Komm her”, meinte ein anderer. “Du kannst meine geologischen Schichten untersuchen, wann du willst!”
Grant runzelte die Stirn. Dass die Mannschaft sich über das Schauspiel amüsierte, machte ihn nur noch entschlossener, die Frau fortzubekommen, bevor die Hölle losging. Noch ein Grund dafür war, dass sie versuchte, die Tränen zurückzuhalten.
Nichts war Grant unangenehmer als weinende Frauen. Noch vor einem Moment hatte er mit dem Gedanken gespielt, sie sich über die Schulter zu werfen. Und jetzt plötzlich war er versucht, das arme kleine Ding in die Arme zu nehmen und sie vor den rüden Sprüchen der Männer zu schützen. Die Entschlossenheit in ihren Augen zeigte ihm jedoch, dass solche Ritterlichkeit fehl am Platz sein würde.
“Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt an die Arbeit zurückgehen!”, rief Grant über die Schulter.
Wenn er erkannt hätte, wer die zweideutige Bemerkung gemacht hatte, die die Frau tief erröten ließ, hätte er dem Betreffenden höchstpersönlich den Hals umgedreht.
“Letzte Chance, Lady.” Grant legte ihr die Hände auf die Schultern. “Sie können mit oder ohne Würde gehen, aber gehen werden Sie auf jeden Fall. Es ist hier nicht sicher für Sie.”
Caitlyn zuckte unter seiner Berührung zusammen. Entrüstet sah sie mit blitzenden Augen zu ihm auf.
“Wissen Sie überhaupt, mit wem Sie reden?” Sie stieß ihn hart mit dem Zeigefinger in die Brust.
“Und wissen Sie’s?”, erwiderte er gereizt.
“Was ist denn das für ein Lärm hier?”, rief eine vertraute Stimme.
Grant sah Paddy aus dem Wohnwagen in der Nähe der Bohrstelle steigen. Er sah so finster aus wie ein Grizzlybär, den man aus seinem Winterschlaf gerissen hatte.
Grant atmete erleichtert auf und antwortete seinem Partner mit einem schiefen Lächeln. “Du kommst gerade richtig. Vielleicht kannst du ja der Lady hier mit deinem berühmten irischen Charme erklären, dass ein Bohrturm kein Platz für eine Frau ist.”
Zu Grants Überraschung schaffte allein Paddys Anwesenheit, was er mit all seinen Drohungen nicht fertiggebracht hatte. Die Frau setzte sich in Bewegung. Tatsächlich nahm sie zwei Stufen auf einmal. Ihre Stimme erhob sich über das Geräusch der Maschinen, als sie mit unbändiger Freude rief: “Daddy!”
2. KAPITEL
Sekunden später beobachtete Grant erstaunt, wie die Frau, die sich als die neue Geologin ausgegeben hatte, sich in Paddys weit ausgebreitete Arme warf. Diesmal gab er sich nicht damit zufrieden, leise vor sich hinzufluchen. Diesmal machte er seiner Wut Luft.
Kein Wunder, dass sie ihm so vertraut vorgekommen war! Paddy hielt ihm die Fotos seines Lieblings seit zehn Jahren ständig unter die Nase. Er konnte nicht sagen, wie oft er sich hatte anhören müssen, wie wundervoll seine “kleine Prinzessin” war. Sie war Paddys ganzer Stolz und ständig in seinen Gedanken. Wenn er einige Bierdosen geleert hatte, füllte sie auch den größten Teil seiner Gespräche.
Grant brauchte Caitlyn nicht persönlich zu kennen, um sie nicht ausstehen zu können. Wenn man Paddy glaubte, war sie die begehrteste Junggesellin in ganz Texas. Und sie gehörte zur besten Gesellschaft, genau wie ihre Mutter – die kalte Hexe, die Paddy verlassen hatte, weil er angeblich keine “Kultur” besaß und zu viel Mumm in den Knochen hatte, um sich von ihr in etwas verwandeln zu lassen, das er nicht sein konnte. Grant gab zwar nicht vor, die ganze Geschichte zu kennen. Selbst nach zehn Jahren waren Paddys Wunden noch so frisch, dass er selten über die Frau sprach, die ihm das Herz gebrochen hatte und nach der er sein Unternehmen benannt hatte. Die meisten glaubten, dass die Buchstaben “L.L.” im Firmennamen für “Lucky Lady” standen, aber einmal hatte Paddy Grant gebeichtet, dass es tatsächlich Laura Leigh gewesen war, die ihn dazu inspiriert hatte.
Grant hatten Frauen bisher nur Kummer und Ärger gebracht. Wahrscheinlich fiel es ihm deshalb so schwer zu verstehen, weswegen Paddy so begeistert war, dass seine Tochter das genaue Abbild seiner Frau war. So weit Grant es mitbekommen hatte, war Paddy nichts für seine verwöhnte Frau gut genug gewesen. Sie hatte sich vor den endlosen Weiten in Wyoming gefürchtet und wahrscheinlich auch vor einem Mann mit Öl unter den Fingernägeln. Dass Gegensätze sich anzogen, war Unsinn. Persönlich konnte Grant der überschätzten Institution der Heirat nichts abgewinnen, aber er glaubte, dass für ein Paar die Chancen zusammenzubleiben größer waren, wenn sie aus den gleichen Kreisen stammten und ähnliche Interessen hatten.
Er konnte nicht leugnen, dass ihn die Fotos von Paddys dunkelhaariger, grünäugiger Tochter fasziniert hatten, aber die Wahrheit war, dass ihm Caitlyn schon auf den Fotos wie ein Snob vorkam. Vielleicht lag es an den niedlichen weißen Söckchen und Handschuhen auf den Kinderfotos oder an dem Foto, das sie als Teenager im Damensattel zeigte, als sie an einem Reitturnier teilnahm. Es erregte seine Wut, wenn er daran dachte, dass sie bestimmt glaubte, alle Privilegien, die sie genoss, stünden ihr ganz selbstverständlich zu.
Das Schicksal war mit Grant nicht so liebevoll umgegangen wie mit der niedlichen kleinen Miss Texas. Seine Pläne, das College zu besuchen, hatten sich jäh zerschlagen, als sein Vater bei einer Explosion ums Leben kam. Wenn er es sich jetzt überlegte, war er wahrscheinlich durch die Schwierigkeiten, die er in seinem Leben bewältigen musste, zu einem besseren Menschen geworden, aber es war manchmal doch schwer, nicht bitter zu werden. Nach dem frühen Tod seines Vaters, dem Selbstmord seiner Mutter und Tante Ednas Verrat beschloss er, so wenig an diese Schicksalsschläge zu denken wie möglich.
Jetzt wandte er seine Aufmerksamkeit dem aktuellen Problem zu. Trotz der Liebe, die Paddy für seine Tochter empfand, konnte Grant sich einfach nicht vorstellen, dass sein Freund sich auf diese Weise über ihn hinwegsetzen und Caitlyn engagieren würde, ohne ihn vorher um seine Meinung zu fragen. Grant kannte Paddys weiches Herz, aber er musste doch einsehen, dass eine Bohrstelle nicht der richtige Ort für seine Tochter war, die außerdem nach Meinung ihres Vaters so rein wie frisch gefallener Schnee sein musste. Kaum wahrscheinlich, fand Grant, es sei denn, sie hätte in einem Kloster gelebt. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine so schöne Frau mit zwanzig noch Jungfrau war, war ebenso groß wie die, dass er schon morgen auf eine Ölquelle stieß und damit Paddys marode Bohrgesellschaft von ihren Schwierigkeiten erlöste.
Grant wischte sich den Nacken mit einem roten Tuch trocken und beobachtete die rührende Wiedersehensszene. Wie es aussah, würde der heiße Tag für ihn gleich noch heißer werden. Nach Caitlyns heftigen Gesten zu schließen, beschrieb sie ihrem Vater wohl gerade, wie brutal sein Angestellter sie behandelt hatte. Ein Lächeln umspielte Grants Lippen. Er fragte sich, wie sie auf die Neuigkeit reagieren würde, dass er kein einfacher Angestellter war. Wenn er nicht befürchten müsste, dass ihre Darstellung der Situation sehr gut Unfrieden zwischen ihm und dem Mann stiften könnte, den er wie einen Vater liebte, hätte er sich über ihr theatralisches Getue amüsiert. “Die Prinzessin und der Heißsporn” hätte man das Stück nennen können.
Er stopfte sein Tuch zurück in die Gesäßtasche und fand, dass es sinnlos war, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Sosehr er es auch bedauerte, diese rührende Szene zu unterbrechen, es war an der Zeit, offiziell die Bekanntschaft Ihrer Königlichen Bockigkeit zu machen.
Caitlyn war so gerührt, ihren Vater wiederzusehen, dass sie für einen Moment die abscheulichen Männer und ihren Anführer vergaß. In der sicheren Umarmung ihres Vaters dachte sie nur, wie glücklich sie war, wieder bei ihm zu sein. Jetzt, nachdem sie endlich ihr Studium abgeschlossen hatte, konnte sie tun und lassen, was sie wollte. Und mehr als alles andere auf der Welt wünschte sie sich, die verlorene Zeit mit ihrem Vater, den sie vergötterte, aufzuholen.
Sie hatte natürlich wie die meisten einen Einführungskurs in Psychologie belegt und wusste, dass die meisten Töchter ihre Väter idealisierten. Sie wusste auch, dass eines Tages das grelle Licht der Wirklichkeit ihren kindlichen Glauben in einen unbesiegbaren Vater zerstören würde. Aber was sie niemandem begreiflich machen konnte war, dass ihr eigener Vater wirklich all das war, was John Wayne in den alten Western symbolisierte. Er war der ehrenhafteste, gütigste, heroischste Mann, den es gab.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie die Wange an seine Brust lehnte. Sie fühlte sich, als ob sie wieder zehn Jahre alt wäre – beschützt, sicher und glücklich. Caitlyn war entschlossen, sich durch nichts je aus dieser Geborgenheit reißen zu lassen.
“Ich hasse es, diesen rührenden Moment zu unterbrechen, aber hier gibt es noch eine Menge Arbeit zu erledigen.”
Grants Stimme klang barsch und unfreundlich, aber er konnte nichts dagegen tun. Er kam langsam näher, damit Paddy und Caitlyn Zeit hatten, sich voneinander zu trennen. Ihr Anblick verursachte Grant Schmerzen. Himmel, was würde er nicht alles geben, um seinen Vater noch ein einziges Mal umarmen zu können!
Der schmerzliche Ausdruck auf seinem Gesicht wurde von Caitlyn als Missbilligung ausgelegt, und sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Sie wandte sich wütend an ihren Vater. “Daddy, ich wäre dir dankbar, wenn du diesem ungehobelten Klotz erklären könntest, wer hier das Sagen hat.” Das selbstgefällige Lächeln, das sie Grant schenkte, sollte wohl ein Wink sein, dass es an der Zeit für ihn war, sich zu entschuldigen.
“Ja, Daddy”, äffte Grant sie spöttisch nach. Er verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust und fuhr fort, als ob sie nicht da wäre: “Da deine Tochter nicht bereit ist, auf mich zu hören, würdest du ihr bitte klarmachen, wer in dieser Firma für Einstellungen und Entlassungen zuständig ist?”
Paddy schüttelte grinsend den Kopf. “Wenn ihr Kinder aufhören könntet, euch zu streiten, würde ich euch gern einander vorstellen. Und danach können wir vielleicht alles zu eurer Zufriedenheit klären.”
Caitlyn und Grant fühlten sich durch das Wort “Kinder” beschämt. Statt sich wie erwachsene Menschen zu benehmen, lagen sie sich wie verzogene Kinder in den Haaren. Um sich als Erste reumütig zu zeigen, tätschelte Caitlyn den Arm ihres Vaters. “Du hast natürlich recht. Und wenn ein ganz gewisser Jemand sich für einen Moment beruhigen könnte, bin ich sicher, dass du ihn zur Vernunft bringen kannst.”
Sie achtete nicht auf Grants giftigen Blick, sondern stellte zum ersten Mal fest, wie blass ihr Vater aussah. Er wirkte sehr viel älter, als sie ihn in Erinnerung hatte. Es war kein Geheimnis, dass Paddy fleisch- und fettarme Kost ablehnte, und Sport zu treiben brauchten seiner Meinung nach nur Leute, die keinen Beruf hatten, der sie körperlich forderte. Caitlyn hakte sich bei ihm ein und betrachtete ihn eingehender. Die kleinen Äderchen um seine Nase und der Schweiß auf seiner Stirn machten sie nervös. Große Hitze und Stress waren eine gefährliche Kombination für einen Mann in seinem Alter und mit seinem Temperament.
“Wollen Sie meinem Vater einen Herzinfarkt verursachen?”, fuhr sie Grant an.
“Ich?”, rief er ungläubig. “Sie kommen auf die Bohrstelle stolziert wie die Königin von Saba und tänzeln in Ihrer engen Jeans vor der Mannschaft herum, als ob Ihnen hier alles gehört, und dann bin ich derjenige, der Ihren Vater aufregt?”
“Stolzieren!”, wiederholte Caitlyn empört. “Tänzeln!”
Grant hielt eine Hand ans Ohr. “Gibt’s hier ein Echo?”
“Na, na, Kinder …” Paddy seufzte müde. “Wir wollen doch unsere familiären Angelegenheiten nicht vor den Männern besprechen, oder?
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