Wo steht dein Bett?

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Edison zog sie fest an sich und küsste sie leidenschaftlich. Selena seufzte leise. Schon so lange träumte sie von einem Mann, der sich bei der Liebe Zeit ließ und jede Steigerung genau wie sie genoss, bis es zur Vereinigung kam. In diesem Bereich war Edison für sie die ideale Besetzung, doch in ganz anderer Hinsicht wusste Selena überhaupt nicht, was sie von ihm halten sollte. Konnte es sein, dass Edison auf sie angesetzt wurde? Glaubte man beim Geheimdienst, dass ausgerechnet sie als Spitzel für die Gegner arbeitete? All diese Fragen mussten warten - Selena wollte jetzt von Edison nur eins: Sex - puren Sex...


  • Erscheinungstag 10.12.2012
  • Bandnummer 0996
  • ISBN / Artikelnummer 9783864949630
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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PROLOG

“Wir haben jetzt den kritischen Punkt erreicht”, sagte die Frau leise, wobei sie kaum die Lippen bewegte und so tat, als sei sie nur mit ihrem Sandwich beschäftigt. “Wir müssen Edison Lone loswerden, und zwar sofort.”

Der Mann saß neben ihr auf einer Parkbank und trug wie immer einen tadellos geschneiderten Maßanzug, quasi eine Uniform für jemanden wie ihn, einen der mächtigsten Drahtzieher in einer der machthungrigsten Städte der USA. Ihre raue dunkle Stimme ließ ihn daran denken, dass einige Männer sich bestimmt von ihrer animalischen Sinnlichkeit bedroht fühlen würden, andere von ihrer Intelligenz und wieder andere von dem Einfluss, den sie in Washington hatte. Auf ihn wirkte sie lediglich sexy. Er spürte, wie Erregung in ihm aufstieg. Er war ihr Liebhaber, und jedes einzelne ihrer Worte hatte auf ihn die Wirkung eines Aphrodisiakums.

Betont langsam blätterte er eine Zeitungsseite um. “Hast du eine Idee, wie wir das anstellen könnten?”

“Sogar einige.”

“Würdest du sie mir verraten?”

“Nur wenn du gut bist.”

Sofort sah er sie wieder nackt aus dem Pool steigen auf ihrem weitläufigen Besitz in Arlington, und er hatte Schwierigkeiten, seine Erregung zu verbergen. “Gestern Nacht war ich gut, oder?”

“Oder böse, je nachdem, wie man es betrachten will.”

“Ich habe es von allen Seiten betrachtet.”

“Du meinst, du hast mich von allen Seiten betrachtet?” Sie sah ihn lächelnd an.

“Das auch. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass du unzufrieden warst.”

“Nein.” Ihr Lächeln erlosch. “Aber wir werden bald nicht mehr zufrieden sein, wenn Edison Lone herausfindet, was wir vorhaben.”

Das stimmte. Sie würden ganz sicher wegen Hochverrats vor Gericht gestellt werden. Er schaute von der Zeitung auf und starrte am Brunnen vorbei auf die Pennsylvania Avenue. “Bist du sicher, dass dir niemand gefolgt ist?” Sie hatten zwar beruflich viel miteinander zu tun, aber privat hatte man sie noch nie zusammen gesehen.

“Ganz sicher. Aber wir mussten uns treffen. Du weißt, dass das Telefon jederzeit abgehört werden kann. Und wir müssen uns endlich Edison Lone vom Hals schaffen.”

“Auf Dauer?”

“Nein … wenigstens jetzt noch nicht. Das wäre verdächtig.”

“Aber später?”

“Später? Ja, wenn es sein muss … werden wir gewisse Maßnahmen ergreifen.”

“Endgültige Maßnahmen?” Ihn überlief es plötzlich kalt. “Kann der Mann uns denn so gefährlich werden?”

“Er kann herausfinden, was wir vorhaben. Vergiss nicht, er ist der beste Code-Knacker in Washington.”

Nicht nur das, Edison Lone hatte bereits als Kind zu den Hochbegabten gehört und schon sehr jung in Harvard seinen Abschluss gemacht. Er liebte sein Land und war patriotischer als George Washington. “Man sagt, er würde nicht davor zurückschrecken, die eigenen Kinder den Behörden auszuliefern, wenn er damit seinem Land nützen könnte.”

“Nicht seine Kinder. Er hat nämlich keine. Auch keine Frau oder eine Exfrau. Der Mann ist ein eingefleischter Junggeselle”, sagte sie.

“Vielleicht liegt da seine verwundbare Stelle. Wenn wir Glück haben, ist er schwul. Das könnten wir doch gegen ihn verwenden.”

“Edison Lone und schwul?” Die Frau verschluckte sich fast an ihrem Sandwich. “Der Mann ist so scharf wie ein Zuchthengst!”

“Vielleicht kann er sich nur gut verstellen?”

“Nein. Jeder weiß, dass er auf Frauen abfährt.”

Er sah sie überrascht an. “Du auch?”

“Ich wiederhole nur das, was allgemein bekannt ist.”

Er seufzte leise, denn er wusste nur zu genau über Edison Lone Bescheid. Lone war fünfunddreißig, hochgewachsen und hatte schwarzes Haar und blaue Augen. Er war bei Pflegeeltern groß geworden, hatte aber früh eine so außergewöhnliche Intelligenz bewiesen, dass ihm von Sponsoren eine erstklassige Ausbildung ermöglicht wurde. Außerdem gehörte er zu der Sorte Männern, die Frauen magnetisch anzogen.

Wieder seufzte der Mann leise. Er hatte wirklich gehofft, dass Lone schwul war. Aber selbst er hatte schon gehört, dass der Mann im Bett fantastisch sein sollte.

Die leise, dunkle Stimme der Frau unterbrach ihn in seinen Gedanken. “Er ist davon überzeugt, dass jemand die Zeitungsannoncen dazu benutzt, geheime Informationen des IBI zu verkaufen. Und er wird herausfinden, dass wir dahinterstecken. Heute Morgen hat er gesagt, dass er das CIIC über seinen Verdacht informieren will.”

“Wenn das CIIC Nachforschungen anstellt, dann gute Nacht! Hast du denn nicht versucht, ihn davon abzubringen?”

“Doch.” Die Frau nickte.

Wahrscheinlich haben sie sich unter vier Augen unterhalten, dachte er. In einem dieser edlen Konferenzräume, wo der Kaffee nur in der Silberkanne serviert wurde. Plötzlich spürte er Eifersucht. Die Vorstellung, von Lone als Verräter entlarvt zu werden, war unerträglich. Und diese ewigen Abkürzungen hier in Washington gingen ihm auch auf die Nerven. Beim IBI, dem Informationsbüro des Innenministeriums, war Edison Lone angestellt. Und das CIIC, das Centrum für die Internationale Informationskontrolle, überwachte wiederum die Tätigkeiten des IBI.

“Wir sollten möglichst bald etwas unternehmen”, sagte die Frau, “sonst kommt er uns noch auf die Schliche.”

In der Computerdatei des IBI waren die Gegenstrategien für jede nur denkbare nationale Katastrophe gespeichert, von Seuchen bis hin zu einem atomaren Angriff. Und sowie sie weitere Interessenten hätten, könnten sie die restlichen Informationen verkaufen. “Wir müssen Lone unbedingt ausschalten”, fuhr die Frau fort. “Und dabei dürfen wir auf keinen Fall die Aufmerksamkeit auf die Annoncen lenken.”

“Wir brauchen nur noch eine Woche, dann können wir das Land verlassen.”

“Ja, nur noch eine Woche”, wiederholte sie.

Ihr neues Leben hatten sie perfekt vorbereitet, mit gefälschten Pässen, neuen Identitäten und einem verträumten Refugium auf Bali. Ihr Anwesen dort war von einer hohen Mauer umgeben und schloss einen schneeweißen Strand am kristallklaren Wasser mit ein.

Der Mann presste die Lippen zusammen. “Wir haben zu hart dafür gearbeitet, als dass wir uns jetzt alles kaputt machen lassen können.”

“Könnten wir Edison Lone nicht auf irgendetwas ansetzen, was ihn für eine Woche aus dem Verkehr zieht?”, fragte sie.

“Wenn er wirklich nicht schwul ist, hätte ich eine Idee.”

Sie runzelte die Stirn. “Eine Frau?”

Der Mann nickte. “Sie heißt Selena Silverwood.”

“Nie von ihr gehört.”

“Wie solltest du auch? Sie arbeitet als Sekretärin beim IBI.”

“Du meinst wohl als Assistentin.”

Er zuckte mit den Schultern. “Wie auch immer. Tatsache ist, dass sie an einem erotischen Tagebuch arbeitet …”

“Sie arbeitet an einem erotischen Tagebuch? Und sie arbeitet daran während der Bürozeit?”

“Ja. Ein New Yorker Verlag wird diese erotischen Fantasien veröffentlichen und zwar unter dem Titel ‚Nächte der Leidenschaft`. Es geht dabei um die sexuellen Begegnungen einer französischen Kurtisane mit einem mysteriösen Marquis. Das Buch kommt im nächsten Juni heraus, und der Verlag hat Selena Silverwood gebeten, die redaktionelle Überarbeitung selbst vorzunehmen. Da sie aber während ihrer Bürozeit mit etwas anderem beschäftigt war als mit IBI-Dokumenten, mussten wir sie und das Tagebuch natürlich überprüfen.”

“Selbstverständlich.” Die Frau lächelte. “Es hätte sich ja auch um eine besonders raffinierte Art von Geheimnisverrat handeln können. Und was habt ihr rausgekriegt?”

Der Mann grinste. “Dass es wirklich scharfe Sachen sind, die sie da schreibt.”

“Und du glaubst, dass diese Frau Edison Lone den Kopf verdrehen und ihn eine Woche in Atem halten kann?”

“Ich fürchte nicht. Selena Silverwood ist leider nicht sehr attraktiv.”

Die Frau lehnte sich enttäuscht zurück. “Dann können wir es vergessen.”

“Aber da gibt es etwas, das ihn noch mehr als Frauen interessiert.”

Sie sah ihn zweifelnd an, dann nickte sie langsam. “Genau! Codes, die bisher nicht geknackt werden konnten.”

“Stimmt. Wir machen eine Kopie des Tagebuchs und behaupten, dass das CIIC das Ganze für einen raffiniert verschlüsselten Text hält, mit dem geheime IBI-Informationen weitergegeben werden.”

Die Frau schüttelte den Kopf. “Das ist viel zu weit hergeholt. Glaubst du wirklich, dass uns jemand abnimmt, hinter diesen erotischen Fantasien verbergen sich geheime Nachrichten?”

Er zuckte mit den Schultern. “In Washington sind schon ganz andere Sachen passiert.”

“Allerdings. Und falls es klappt, wird man Selena Silverwood des Verrats verdächtigen.”

“Wenn auch nur kurz, aber wir brauchen ja auch nur eine Woche. Wenn er sich diese eine Woche lang um das Tagebuch und nicht um die Annoncen kümmert, dann sind wir aus dem Schneider.”

Sie schien noch nicht ganz überzeugt zu sein. “Ich weiß nicht so recht. Er scheint mir zu intelligent zu sein, um darauf hereinzufallen.”

“Nicht, wenn er wirklich davon überzeugt ist, dass die Frau eine Verräterin ist.”

Langsam nickte sie. “Wahrscheinlich hast du recht. Die Liebe zu seinem Vaterland ist sicher seine verwundbarste Stelle. Wenn er der Überzeugung ist, dass das CIIC damit zu tun hat, wird er uns glauben. Außerdem haben wir kaum andere Möglichkeiten.” Sie seufzte leise und sah ihn an. “Weißt du, warum ich dich liebe?”

“Weil ich so fantastisch und so anders bin?”

Sie nickte. “Ja. Und weil ich weiß, dass du Edison Lone loswerden kannst. Er beunruhigt mich.”

“Liebste”, sagte er leise, “du bist viel zu schön, als dass dich etwas beunruhigen sollte.”

1. KAPITEL

Genau das gefällt mir an Wörtern so gut, dachte Edison Lone. Im Gegensatz zu Frauen kann man sich auf sie verlassen. Aus Wörterbüchern und Grammatikbüchern erfuhr man, wie man mit ihnen umzugehen hatte. Auch wenn es sein Beruf war, Sprache in alle Richtungen zu durchleuchten und zu entschlüsseln, so hasste er es, wenn einem das Wort im Munde umgedreht wurde. Deshalb war er mit seinen eigenen Äußerungen besonders vorsichtig. Er fluchte leise.

Seine Vorgesetzte Eleanor Luders zog die Augenbrauen hoch. “Was meinen Sie?”

“Aber Eleanor!” Er war wütend, dass man ihn gerade jetzt auf so eine unbedeutende Mitarbeiterin wie Selena Silverwood ansetzen wollte. “Dafür braucht ihr doch keinen Entschlüsselungsexperten.” Er sah sie an. Eleanor war eine hochgewachsene schlanke Frau mit weißblondem Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel. Heute trug sie ein graues Kostüm – schlicht, korrekt und praktisch. Dann richtete er den Blick auf ihren Chef, Newton Finch, einen fünfzigjährigen Ex-New Yorker in einem zerknitterten Nadelstreifenanzug. Schließlich musterte er dessen Boss, Carson Cumberland, der, obwohl auch ganz in Grau, aussah wie ein James-Bond-Verschnitt. Sie wirkten alle ziemlich missmutig.

“Möchten Sie sich setzen?”, fragte Eleanor.

“Gern.” Aber statt sich in einen der Sessel fallen zu lassen, blieb Edison stehen. “Wie ich schon sagte, ich habe ein paar Annoncen in der Zeitung gefunden, die mir ziemlich verdächtig erscheinen. Es handelt sich um sexuelle Angebote. Aber die Art und Weise, in der sie formuliert sind, hat mich davon überzeugt, dass hier eine ganz besondere Ware angeboten wird, nämlich geheime Informationen. Wahrscheinlich vom IBI.”

Newton runzelte die Stirn. “Haben Sie irgendeinen Beweis?”

“Wenn ich den hätte, hätte ich die Sache doch schon längst vorangetrieben.”

Eleanor warf ihm einen warnenden Blick zu. So sprach man einfach nicht mit seinem Vorgesetzten.

Aber Edison ignorierte ihre Warnung. “Allerdings habe ich einen Verdacht”, fügte er hinzu. Wenn er etwas hasste, dann war es die Vergeudung von Zeit und damit von Steuergeldern. “Deshalb wäre es eine absolute Zeitverschwendung, wenn ich mich jetzt um irgendeine unbedeutende Angestellte kümmern müsste.” Er sah sich kurz um und mäßigte seinen Ton. “Sie müssen doch selbst einsehen, dass es wichtiger ist, die Annoncen zu analysieren.”

Wieder sah Eleanor ihn von der Seite an, und ihre Augen leuchteten kurz auf. Edison unterdrückte ein Seufzen. Hätte er doch bloß vor sieben Jahren auf der Weihnachtsparty nicht mit ihr geschlafen. Er war damals noch jung und unerfahren und hatte gerade erst bei dem IBI angefangen. Eleanor arbeitete in einer anderen Abteilung und wirkte reich und elegant. Nie wäre er damals auf die Idee gekommen, er könnte mal in ihrer Abteilung landen. Glücklicherweise hatte sie vor Kurzem geheiratet.

Das hielt sie allerdings nicht davon ab, weiterhin in einem Ton mit ihm zu sprechen, als wollte sie ihn verführen. “Sie haben immer schon bewiesen, dass Sie sehr gut intuitiv handeln können. Ich habe gelernt, Ihren Instinkten zu vertrauen. Sie sind so … ursprünglich. Selbst der Präsident war beeindruckt, auf welche Art und Weise Sie letzte Woche den Venezolaner verhaftet haben.”

Edison ließ sich von ihren Schmeicheleien nicht beirren. “Ich habe das Gefühl, dass hier eine große Sache läuft. Können Sie nicht Tom auf Selena Silverwood ansetzen? Oder Steve? Oder Gary Hughes? Hughes war doch derjenige, der die Geschichte in Syrien hat auffliegen lassen.”

“Gary ist ein guter Mann”, sagte Eleanor, “aber Sie sind besser.” Sie strich sich das silberblonde Haar zurück. “Edison”, fing sie dann wieder an, “Sie wissen, wie sehr wir Sie schätzen. Normalerweise können Sie frei schalten und walten. Aber in diesem Fall hat uns das CIIC …”

“Das CIIC will, dass ich Selena Silverwood überwache?”

Jetzt schaltete sich Newton ein. “Miss Silverwood macht während der Arbeitszeit Notizen in ihrem privaten Tagebuch. Das CIIC glaubt, dass es sich hier um codierte Informationen handeln könnte, die sie auf diese Weise herausschmuggelt. Genau da sollen Sie ansetzen.”

Carson rückte seine Krawatte zurecht. Er wirkte beunruhigt. “Und wenn diese ganze Sache nun etwas mit den Annoncen zu tun hat, an denen Sie dran sind?”, gab er zu bedenken.

Edison sah ihn kurz an, zog sich dann einen Stuhl heran und setzte sich. “Was haben Sie denn bisher?” Ihm fiel auf, dass Eleanor sich bemühte, ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken.

Eleanor dimmte das Licht und drückte auf einen Knopf. Eine Wand schob sich zur Seite und gab eine große Leinwand frei. Sie ließ schnell eine Reihe von Schwarzweißdias durchlaufen, die größtenteils im IBI-Gebäude aufgenommen worden waren.

“Selena Silverwood”, sagte sie, “dreißig Jahre alt, Sicherheitsstufe B. Sie arbeitet seit acht Monaten für das IBI. Davor war sie in der Privatwirtschaft tätig.”

“Was du nicht sagst”, murmelte Edison. Eleanors Vortrag war vollkommen überflüssig, denn diese Informationen, bis hin zur BH- und Kleidergröße, waren alle Selenas Akte zu entnehmen. Er kniff die Augen zusammen und betrachtete die Frau auf der Leinwand genau. Überrascht registrierte er, dass ihn Erregung erfasste. Sie trug keinen Ehering. Er hatte keine Ahnung, weshalb ihm das auffiel.

Aber irgendetwas an ihr war anders als an den anderen Töchtern aus gutem Hause, die scharenweise hier in Washington, D. C., herumliefen. Sie war zwar auch groß, nur wenig kleiner als er, und hatte lange schlanke Glieder, mit denen sie sich sicher und graziös wie eine Raubkatze bewegen konnte, aber ihre Haltung war leicht gebückt. Ihre Schultern hingen herab, als wollte sie möglichst wenig auffallen. Doch war sie deshalb gleich eine Spionin?

Edison schüttelte den Kopf. Allerdings wäre Selena nicht die Erste, die ihr bescheidenes Gehalt dadurch aufbesserte, dass sie Geheimnisse verriet. Der Gedanke schmerzte ihn irgendwie. Ob sie wohl rotes Haar hatte oder braunes? Wie sie wohl aussah unter den weiten Kleidern, die sie auf den Dias trug? Vielleicht reizte sie ihn, weil sie sehr viel hübscher aussehen könnte, wenn sie sich etwas mehr Mühe gab. Warum tat sie das nicht? Und wie würde sie sich einem Mann gegenüber verhalten? Dankbar, dass er sie beachtet, dachte er. Sie würde sich sicher nicht beschweren, wenn er zu spät kam oder anzurufen vergaß oder nicht zur rechten Zeit Blumen schickte. Diese Vorstellungen weckten Edisons Beschützerinstinkt. Er konnte sich leicht vorstellen, wie sie von irgendeinem Typen ausgenutzt wurde. Dabei wirkte sie doch so verletzlich …

Er riss sich gewaltsam von seinen Gedanken los. “Eleanor, sie ist das typische Mauerblümchen. Sie sieht nicht die Spur kriminell aus.”

“Vorsicht!”, gab Eleanor zurück. “Auch Sie können sich täuschen.”

“Aber höchst selten.” Doch Eleanor hatte recht. Auch er war nicht unfehlbar. Außerdem hatte das CIIC sich noch nie mit Unschuldigen abgegeben, und Edison hasste Verräter. Seine Eltern, wer auch immer sie waren, hatten ihn verlassen und damit verraten. Uncle Sam hatte dann für ihn gesorgt und ihm eine erstklassige Ausbildung und einen Job gegeben. Diesen Job. Und das bedeutete, dass er tun sollte, was die Regierung, in diesem Fall das CIIC, von ihm verlangte, nämlich Selena Silverwood überwachen.

“Wir möchten, dass sie genauestens unter die Lupe genommen wird”, erklärte Eleanor.

Immer noch wunderte sich Edison, was wohl hinter der unscheinbaren Selena Silverwood steckte, die seine Neugierde geweckt hatte. Er spürte, wie ihm warm wurde. “Ich werde mein Bestes tun.”

“Sie arbeitet hier im IBI-Komplex.”

“Ihr Aufgabengebiet ist ist die Erfassung geheimer Daten”, fügte Newton hinzu. “Sie werden vorübergehend als ihr Assistent eingesetzt.”

Edison protestierte. “Ist das ein Undercover-Job? Ich habe doch nicht so hart gearbeitet, um jetzt an der Schreibmaschine zu landen. Vor fünf Minuten war ich noch an einer heißen Sache dran, und nun ende ich als Tippse.”

“Sie werden es überleben”, sagte Eleanor kühl und reichte ihm ein schwarzes Buch. “Dies ist eine Kopie des Tagebuchs.” Sie hat das Original mal in ihrer Schreibtischschublade vergessen. So konnten wir es abtippen.”

Edison runzelte die Stirn. “Normalerweise arbeite ich nur mit dem Original. Ich kann eine Menge aus ihrer Handschrift erkennen.” Oder wenn ich mit ihr ins Bett gehe, fügte er im Stillen hinzu. Schnell schob er diesen Gedanken beiseite. Er starrte auf den schwarzen Einband. Was wohl darin stand? Wahrscheinlich das Übliche, Ärger mit dem Chef, Spielabende mit den Freundinnen. Wenn sie einen Freund hatte, dann war er sicher Buchhalter oder bei einer Bank. Irgendetwas Langweiliges jedenfalls. Ganz sicher kein Spion.

Edison unterdrückte bei dem Gedanken an diese öde Aufgabe mit Mühe ein Gähnen. Wieder schaute er auf die Leinwand. Das Dia zeigte Selena Silverwood, als sie das Gebäude durch eine automatische Glastür verließ. Sie hatte das Haar zurückgestrichen und sah durch ihre große Brille direkt in die Überwachungskamera. Sie hielt das Tagebuch an die Brust gepresst, die von einem weiten Blazer verdeckt wurde. Wie sie wohl unter dem Blazer aussah?

Edison musste über sich selbst lächeln und hob den Kopf. “Was ist, wenn sie mich erkennt? Wenn sie weiß, was ich hier tue?”

“Das ist sehr unwahrscheinlich”, sagte Eleanor. “Sie haben in den letzten acht Monaten im Wesentlichen im Ausland gearbeitet. Und falls sie Sie hier irgendwo gesehen hat, wird sie glauben, dass Sie einer der Aushilfskräfte sind, die immer mal wieder auftauchen. Doch wie auch immer, das CIIC ist unnachgiebig und hat mich ziemlich unter Zeitdruck gesetzt.” Eleanor machte eine kurze Pause. “Außerdem könnte eine Beförderung drin sein.”

“Für wen?” Edison konnte sich die Frage einfach nicht verkneifen.

Eleanor seufzte leise. “Für Sie. Aber nur, wenn Sie die Frau nicht aus den Augen lassen. Sie müssen herausfinden, ob sie sich verdächtig verhält. Und natürlich sollen Sie ihr Tagebuch entschlüsseln, falls es sich um einen codierten Text handelt.”

Falls. Es würde ihm also nichts anderes übrig bleiben, als die Annoncen in seiner Privatzeit zu analysieren. Offensichtlich war hier ja keiner daran interessiert, echte Kriminelle unschädlich zu machen. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, dass Selena Silverwood geheimes Material nach draußen schmuggelte, aber sie hatte etwas an sich, was ihn irritierte. Er sah kurz zu Eleanor hinüber. Er durfte seine Objektivität nicht verlieren. Er musste einfach ignorieren, wie sehr ihn sein neuestes Forschungsobjekt bereits faszinierte.

Ein Stunde später musste Edison feststellen, dass es ihm absolut unmöglich war, objektiv zu bleiben. Er stellte seinen Aktenkoffer auf dem Schreibtisch ab und konnte den Blick nicht von Selenas schlanken Fesseln lösen, die vom Saum ihres langen Kleides umspielt wurden.

Unter seinem Blick begann Selena sich unbehaglich zu fühlen. Sie lehnte sich gegen den Kopierer und sagte: “Ich glaube, ich habe Ihnen alles gezeigt, Mr Lone.”

Nicht alles. Ein Blick und er wusste sofort, dass an dieser Frau mehr war, als man auf den ersten Blick erkannte. Er war zwar ziemlich sicher, dass sie keine Spionin war – das CIIC war wahrscheinlich übervorsichtig – aber wenn er ihr so gegenüberstand, wirkte sie noch rätselhafter als auf den Dias. Und die Schwarzweißaufnahmen hatten ihn natürlich nicht darauf vorbereiten können, welche Wirkung ihre dunkle weiche Stimme auf ihn haben würde. Er lächelte leicht und hob eine Augenbraue. “Wirklich alles?”

Selena sah ihn überrascht an. Sie hatte wunderschöne Augen, die sie jedoch hinter einer unattraktiven schwarzumrandeten Brille versteckte. Ihr Blick glitt tiefer, als wollte sie den Sitz seines schwarzen Pullovers und der hellbraunen Hose überprüfen. Schnell sah sie wieder hoch. Mit einer kaum merklichen Bewegung nahm sie die Schultern zurück, als wollte sie sich gegen ihn wappnen. “Ich denke schon. Ich habe Ihnen die Kaffeemaschine gezeigt und den Kühlschrank. Und das hier”, sie klopfte leicht auf den Kopierer hinter sich, “ist unser Kopiergerät. Wenn Sie die Arbeitsanweisungen für unsere Abteilung gelesen haben, werden Sie sich vielleicht ein wenig damit vertraut machen wollen. Da von überall aus der Welt Kopien angefordert werden, ist unser Abrechnungssystem etwas kompliziert.”

Sicher nicht so kompliziert wie seine Reaktion auf diese Frau. Ihre Haut hatte einen fast goldfarbenen Ton, und ihr Haar glänzte rötlichbraun in der Sonne. Ihre hellbraunen Augen hinter der hässlichen Brille, die Edison ihr am liebsten abgenommen hätte, leuchteten wie Topase. Sie wirkte charmant und intelligent und bewegte sich mit einer etwas unbeholfenen Grazie.

Edison wurde plötzlich klar, dass er wieder ihre schmalen Fesseln anstarrte, und er hob schnell den Blick. Unter dem dünnen Stoff ihres Kleides zeichneten sich volle Brüste ab, eine schmale Taille und ein wohlgeformter Po.

“Haben Sie noch Fragen wegen des Kopierers?” Als er nicht antwortete, kniff Selena leicht die Augen zusammen und hob erstaunt die Brauen, die die gleiche Farbe hatten wie ihr dichtes schulterlanges Haar. “Mr Lone?”

“Ja … nein, ich habe keine Fragen zu dem Kopierer.” Er lächelte. “Aber Sie, Selena, Sie sind ganz sicher keine Kopie, sondern ein Original.” Und bevor sie etwas darauf erwidern konnte, fügte er hinzu: “Selena. Hübscher Name. Bitte nennen Sie mich Edison.”

Sie warf ihm einen Blick zu, in dem kurz Ärger aufflackerte. Dann wurde ihr Ausdruck sanft, und sie lächelte leicht, als überlegte sie ernsthaft, ob sie darauf eingehen sollte. “Original?” Sie bedeutete ihm, ihr in den Flur zu folgen. “Wie kommen Sie darauf? Sie kennen mich doch gar nicht.” Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: “Edison”.

Er ging hinter ihr her und betrachtete ihren sanften Hüftschwung. “Ich habe allmählich das Gefühl, ich würde Sie gern kennenlernen.”

Sie seufzte kurz missbilligend und führte ihn in ein helles Großraumbüro, in dem sich ungefähr vierzig durch Glaswände abgetrennte Arbeitsplätze befanden. Das leise Klicken der Keyboards erfüllte den Raum.

“Wie kuschelig”, sagte Edison sarkastisch.

Sie zuckte mit den Schultern. “Tut mir leid, für Gemütlichkeit ist hier kein Platz.”

“Dieses Büro sieht aus, als sei es vom Terminator eingerichtet worden.”

Sie nickte. “Ja, es wirkt sehr futuristisch.” Sie wies auf einen Glaskäfig. “Voilà! Willkommen an Ihrem Arbeitsplatz.”

Zwei Stahlschreibtische standen einander gegenüber, nur durch eine Glaswand getrennt, auf beiden stand ein Computer. Edison trat neben den einen Schreibtisch, wies auf den anderen und sah sie fragend an. “Und das hier?”

“Ist mein Arbeitsplatz.”

“So …” Er setzte sich in den Schreibtischsessel und stellte seinen Aktenkoffer neben den Schreibtisch. Dann sah er Selena grinsend an. Plötzlich war ihm klar, dass er schon seit ihrer ersten Begegnung wusste, wie er die Wahrheit herausfinden würde. Er würde sie verführen. Die Frau konnte unmöglich eine Spionin sein. Auf keinen Fall. “Es könnte gefährlich werden”, sagte er leise, “wenn ich Sie den ganzen Tag ansehen kann. Schließlich trennt uns nur eine dünne Glaswand.”

“Plexiglas”, verbesserte sie ihn ruhig. “Dass Sie nicht auf irgendwelche Ideen kommen. Big Brother is always watching us.”

“Oh!” Er konnte den Blick nicht von ihr wenden, und sein Mund wurde trocken. “Sie haben ja sogar Humor.”

“Aber verraten Sie es keinem!” Ihre Lippen verzogen sich zu einem amüsierten Lächeln.

Erst jetzt wurde Edison klar, was für einen hübschen Mund sie hatte. So richtig zum Küssen.

“Sie wissen doch”, fuhr sie fort, “hier beim IBI ist alles streng geheim!”

Er hob die schwarzen Augenbrauen. “Sie auch?”

Wieder zuckte sie lächelnd mit den Schultern, und wieder starrte er auf ihre Brüste, die sanft wippten. “Selbstverständlich. Ich möchte schließlich keine Sonderrolle haben.”

Fast hätte er vergessen, dass sie diejenige war, die er überwachen sollte. “Ich würde mich ja gern mit Ihnen verabreden”, bemerkte er leise, “aber ich fürchte, wir werden abgehört.”

“Und fotografiert.” Selena wies mit dem Kopf auf die Überwachungskameras, die an der Decke befestigt waren. “Lächeln Sie!”

“Cheese”, sagte er grinsend. Offensichtlich wusste sie über die Sicherheitssysteme bei IBI gut Bescheid. Das war ärgerlich. “In der letzten Abteilung, in der ich ausgeholfen habe, waren überall Kameras. Würde es Ihnen was ausmachen, den ganzen Tag beobachtet zu werden?”

Sie musterte ihn aufmerksam. Der Blick aus ihren sanften hellbraunen Augen wirkte jetzt scharf und wachsam. “Es kommt darauf an, wer einen beobachtet.”

Sie schien alle möglichen Gegensätze in sich zu vereinen. Edison wusste nicht, was er davon halten sollte. Sie war nicht unbedingt eine Schönheit, aber sie war verdammt sexy. Ihre Augen wirkten verführerisch und intelligent zugleich. Er sah sie ernst an. “Und wenn ich derjenige wäre?”

Sie verzog die Mundwinkel leicht nach oben. “Da würde ich mich wohl mit Kameras sicherer fühlen.”

“Mögen Sie es nicht, wenn Männer dafür sorgen, dass Sie sich sicher fühlen?”

Autor

Jule Mc Bride
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