Close Up - Erregende Nähe

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Allein mit einem sexy Bodyguard … Der aufregende neue Roman von Bestsellerautorin Erin McCarthy!

Melanie hat genug von Männern! Kurz vor ihrem romantischen Liebesurlaub, macht ihr Freund Schluss. Stattdessen schickt er sie mit seinem arroganten Bodyguard Hunter nach Mexico. Und da wartet schon die nächste Katastrophe auf Melanie: Im Hotel muss sie sich mit Hunter ein Zimmer teilen. Natürlich will sie sich nach der großen Enttäuschung keinesfalls wieder auf einen neuen Mann einlassen - doch die glühende Sonne, der idyllische Strand, und ihr muskulöser heißer Begleiter wecken in ihr bald unwiderstehlich sinnliche Fantasien …

"Scharf, temporeich und superheiß!"

Publisher’s Weekly


  • Erscheinungstag 06.02.2017
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783956499852
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. Kapitel

Etwas stimmte hier nicht. So gut wie jeder am Flughafen war nackt.

Melanie Ambrose sah sich verwundert das Spektakel an, dann drehte sie sich zu ihrem Freund um. Verdammt, er hatte ihre Abmachung gebrochen. „Du hast gesagt, die Arbeit ist erledigt! Seit Mitternacht haben wir Urlaub, Ian! Unser Flug nach Mexiko geht in einer Stunde.“ Mit dem ausgestreckten Zeigefinger wies sie dabei auf eine Gruppe Männer und Frauen, die es sich splitterfasernackt auf den Hartplastikstühlen im Terminal B des O’Hare Airports bequem gemacht hatten. „Das da sieht für mich sehr nach Arbeit aus.“

Sie hätte ihm nicht trauen dürfen, als er sagte, er werde allein zum Flughafen fahren. Sie hätte ihn von seiner Wohnung abholen sollen, auch wenn das für sie einen riesigen Umweg bedeutet hätte. Dass er überhaupt daheim übernachtet hatte, lag nur daran, dass er ihr Bett nicht ausstehen konnte. Sie war damit einverstanden gewesen, dass sie getrennt zum Flughafen fuhren, und nun so was! Das machte sie rasend vor Wut. Ihre Beziehung ging nur deshalb vor die Hunde, weil Ian ständig arbeitete. Ihr war schon klar, dass seine Fotografien kommerziell viel erfolgreicher waren, als er es sich je hätte träumen lassen. Sie wusste auch, dass damit Verpflichtungen und Erwartungen einhergingen, doch dieser Urlaub sollte ihm eine dringend benötigte Ruhepause verschaffen. Und ihr einen dringend benötigten Orgasmus.

Er hielt die Hände vor sich und zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Mel, Baby, ich konnte einfach nicht widerstehen. Ich habe noch nie an einem Flughafen Fotos gemacht. Das ist die ideale Gelegenheit, um das Hin- und Hereilen der Menschheit im Bild festzuhalten. Das ist genial. Und das verdanke ich nur dir.“

Weder fiel sie auf seine schmeichelnden Worte rein noch auf seinen sexy neuseeländischen Akzent. „Wie du meinst.“ Sie stellte den Koffer ab und sah auf ihre Füße. Die fünfzig Dollar, die sie gerade erst für eine Pediküre ausgegeben hatte, sollten besser kein rausgeworfenes Geld sein, sonst würde sie Ian dafür bezahlen lassen. „Wir werden nicht unseren Flug verpassen“, verkündete sie mit Nachdruck.

„Sei nicht so kleinlich“, ermahnte er sie und schob die Brille auf seiner Nase nach oben, dann sah er an ihr vorbei und winkte jemandem zu.

Als Melanie sich umdrehte, entdeckte sie einen Mann in einem Anzug, der inmitten so viel entblößter Haut völlig fehl am Platz wirkte. Der arme Kerl wollte wahrscheinlich nur geschäftlich irgendwo hinfliegen, und dabei war er in ein Kunstwerk aus nackten Brüsten und Hintern geraten.

Sie wandte sich wieder Ian zu und warf ihm einen wütenden Blick zu. „Es ist jetzt neun! Unser Flug soll um zehn gehen.“ Sie hielt sich für eine extrem vernünftige Frau. Noch nie hatte sie sich über seine Arbeitszeiten beschwert, und sie hatte auch nie Zweifel an den Leuten geäußert, mit denen Ian sich umgab. Vor seiner Kunst hatte sie großen Respekt, und als PR-Fachfrau seines Unternehmens Bainbridge Studios tat sie alles, um ihm den Aufstieg auf der Erfolgsleiter so reibungslos wie möglich zu gestalten. Aber diese Reise hatten sie sich bereits vor zwei Monaten vorgenommen.

Der Gedanke, Chicago gerade im Dezember für eine Weile gegen einen sonnigen Strand einzutauschen, war verlockend genug, doch Melanie freute sich auch auf die Gelegenheit, die Romantik in ihrer Beziehung neu zu entfachen.

Offenbar hatte Ian es im Gegensatz zu ihr nicht so eilig, einen Wein zu genießen und sich die Kleider vom Leib zu reißen. Das war schon ein bisschen deprimierend. Sogar sehr deprimierend.

„Ich nehme einfach einen späteren Flug. Du fliegst wie geplant los, Hunter wird dich begleiten.“

Wie bitte? „Wer zum Teufel ist Hunter?“ Ihr Südstaatenakzent kam immer dann durch, wenn sie sich über irgendetwas ärgerte. „Und warum um alles in der Welt sollte ich mit ihm nach Mexiko fliegen wollen?“

„Das ist Hunter.“ Ian deutete hinter sie. „Er ist dein neuer Leibwächter.“

Melanie drehte sich um und sah wieder den Mann im Anzug, der ein paar Meter von ihr entfernt dastand. Er nickte kurz, und sie war nun ganz offiziell verwirrt.

„Ian, warum brauche ich einen Leibwächter? Du hast eine Stalkerin!“ Irgendeine Frau, der Ian noch nie begegnet war, glaubte, in ihn verliebt zu sein, und verfolgte ihn jetzt schon seit über einem Jahr. Einmal war diese Savannah angeklagt worden, und Melanie hatte geglaubt, das Thema sei damit erledigt. Aber dann hatten die Geschworenen sie für unschuldig befunden, und gleich nach dem Freispruch waren abwechselnd Liebesbriefe und Drohbriefe eingegangen. „Sie weiß nicht mal, dass zwischen uns etwas läuft. Darum haben wir uns schließlich in der Öffentlichkeit nichts anmerken lassen.“

Das war noch so eine Sache, die ihr nicht passte. Es war einfach Mist, dass sie nach außen hin immer so tun musste, als wäre sie bloß seine Angestellte. Doch darüber war sie inzwischen hinweggekommen.

Ian sah sie ernst an und beugte sich zu ihr. „Es scheint so, als hätte sie es herausgefunden. Vor ein paar Tagen habe ich eine beunruhigende E-Mail erhalten. Ich wollte dir nichts davon sagen, um uns nicht den Urlaub zu verderben. Aber ich halte es für zu riskant, wenn du ganz ohne Schutz unterwegs bist.“

Na großartig. Jetzt lief sie wenigstens auch noch Gefahr, von einer Verrückten angegriffen zu werden. „Du kannst für meinen Schutz sorgen, indem du mitkommst.“

Er verzog die Mundwinkel. „Ich muss dieses Shooting machen“, sagte er, berührte flüchtig ihre Hand und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Flieg mit Hunter. Tu es mir zuliebe, damit ich mir keine Sorgen um dich machen muss.“

Melanie kam sich vor wie eine Fünfjährige, die entgegen ihrem Willen in den Kindergarten geschickt wurde. Sie kam einfach nicht gegen ihn an. Und er würde es sich nicht anders überlegen, immerhin hatte er ein Terminal voller nackter Freiwilliger vor sich. Manchmal fragte sie sich, ob sie wirklich für die Rolle der Künstlergeliebten geeignet war, denn das ganze Musengetue wurde ziemlich schnell langweilig. Andererseits gefiel es ihr, dass er um ihre Sicherheit besorgt war. Schließlich seufzte sie. „Ruf mich an, wenn du weißt, mit welchem Flug du nachkommst. Viel Erfolg mit dem Shooting.“

„Danke, Mel, du bist einfach die Beste.“

Ian wandte sich um und ging zu Sam, seinem Assistenten, während Melanie dastand und sich am Boden zerstört fühlte.

Es brachte jedoch nichts, deswegen Tränen zu vergießen. Sie drehte sich um und lächelte Hunter an. „Hi, ich bin Melanie. Freut mich, Sie kennenzulernen.“

„Hunter.“

Er schüttelte ihr die Hand. Keine Spur eines Lächelns.

Das ärgerte sie ein bisschen. Okay, für ihn war es Arbeit, aber der Mann flog nach Mexiko und konnte rumsitzen und zusehen, wie sie auf einem Badelaken dalag. Es war ein Kinderspiel, schließlich war sie nicht in Gefahr. Das war völlig paranoid von Ian gedacht. Selbst wenn Savannah wüsste, wer sie war, würde sie nicht mit dem nächsten Flieger nach Cancún fliegen, um sie da aufzuspüren. Dafür brauchte man Bargeld und einen Reisepass, und für den typischen Stalker gehörten spontane Auslandsreisen eher selten zu den üblichen Methoden. Warum also schaute Hunter so missmutig drein?

„Das könnte der langweiligste Auftrag Ihrer ganzen Karriere werden“, warnte sie ihn, fasste nach dem Griff ihres Koffers und zog ihn hinter sich her in Richtung des Gates.

„Mag sein, doch ich hatte schon eine Menge Aufträge, die alles andere als aufregend waren.“

Wie bitte? Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Es schien nicht so, als hätte er gerade eben einen Witz gerissen. Möglicherweise war er einfach nur ein Idiot. Zwar ein gut aussehender Idiot, aber trotzdem ein Idiot. Als ob es ihre Schuld war, dass sie kein Promi war und daher nicht von Paparazzi und zwielichtigen Gestalten verfolgt wurde. Sie war bloß eine Pressesprecherin aus Kentucky, also jemand, der keinen Leibwächter brauchte. Andererseits erledigte der Mann nur seinen Job, und das sollte sie respektieren. „Na gut. Ich hoffe, Sie haben Ihre Badehose eingepackt, schließlich geht es nach Mexiko. Das ist in jedem Fall besser, als hier festzusitzen.“

„Da kann ich Ihnen nur zustimmen.“

Ein Gedanke ging ihr durch den Kopf. „Haben Sie eine Waffe dabei? Ist das legal?“

„Ich habe eine Lizenz, um eine Waffe verdeckt mitzuführen, aber ich habe sie nicht bei mir.“

„Gut.“ Das beruhigte sie. Schließlich wollte sie nicht verhaftet und abgetastet werden. Das war nämlich die Art von Abtasten, die ihr gar nicht gefiel. „Sie wissen, dass das Ganze völlig lächerlich ist, oder? Mein Freund ist bloß übervorsichtig.“ Ian hatte sich noch nie so verhalten, aber sie musste zugeben, dass ihr bei so viel Sorge um sie ausgesprochen warm zwischen den Schenkeln wurde.

Hunter warf ihr einen unergründlichen Blick zu. Himmel, war der Mann attraktiv. Wäre sie Single, würde sie ihn haben wollen. Er war einfach nur heiß, so heiß wie eine gute Texas-Barbecue-Sauce. Man könnte sich die Finger nach ihm lecken.

Er schien jeden Tag Fitnesstraining zu machen, denn solche Muskeln bekam man nicht zufällig. Für diesen Bizeps hatte er hart trainiert und geschwitzt. Ihr wurde heiß, als sie sich das ausmalte, was erschreckend und völlig unangemessen war. Normalerweise hatte sie es nicht so mit Männern mit aufgepumpten Muskelpaketen, aber in Hunters Fall war seine Statur in Verbindung mit dem tadellos sitzenden Anzug eine Kombination, die sie nicht ignorieren konnte. Er hatte einen markanten Unterkiefer, seine Augen waren von einem faszinierenden Grün. Nicht dieses Grün, das man bei farbigen Kontaktlinsen oft sah, sondern ein intensives Moosgrün mit goldenen Sprenkeln.

Oh ja, dieser Mann hatte bei der Verteilung eine Extraportion Sexiness abbekommen, und sie konnte seinen Anblick würdigen, ohne dass sie den Wunsch verspürte zuzugreifen.

Zu schade, dass er null Persönlichkeit hatte.

Wieso kümmerte sie das überhaupt? Sie hatte einen Freund. Einen gedankenverlorenen, launischen Freund, dessen Schuld es war, dass sie die nächsten zwölf Stunden neben diesem absolut heißen Typen verbringen würde. Wahrscheinlich sollte sie sich sogar darüber freuen, dass er ihr so blind vertraute. Sie war sich nicht sicher, dass sie umgekehrt genauso gehandelt hätte. Andererseits hatte er ja auch keinen Grund, Unsicherheit zu zeigen. Fast regelmäßig wurde sie von der Sorge heimgesucht, dass sie mehr für Ian empfand als er für sie. Allerdings verbannte sie diesen Gedanken jedes Mal ganz schnell aus ihrem Kopf.

„Wenn Sie das sagen“, erwiderte Hunter.

Was sollte denn das heißen?

Er sah auf sein Handy, dann deutete er nach rechts. „Das da ist unser Gate. Perfektes Timing, wir können sofort an Bord gehen.“

„Okay“, sagte sie und entfernte sich in die andere Richtung, weil sie vorher zur Toilette wollte. Weit kam sie nicht, da Hunter sie am Arm packte und zurückzog.

„Wo wollen Sie denn hin?“, fragte er.

Sie sah ihn verdutzt an und warf einen unmissverständlichen Blick auf seine Hand, die noch immer ihren Arm umfasst hielt. „Zur Toilette“, sagte sie und hoffte, er würde sie jetzt gehen lassen.

Tat er aber nicht.

„Das können Sie auch im Flugzeug“, erklärte er ihr.

„Glauben Sie wirklich, jemand kauft ein Flugticket, um an der Security vorbeizukommen, nur um mich dann auf der Damentoilette angreifen zu können?“

„Ich würde es jedenfalls nicht ausschließen.“

„Sie leben in einer bedauernswerten Welt“, gab sie zurück, stellte sich aber in die Schlange der Leute, die darauf warteten, in die Maschine durchgelassen zu werden. Wenn Ian erst mal in Cancún eingetroffen war, würde dieser Unsinn ein Ende haben. Sie würden sich auf ihr Hotelzimmer zurückziehen und wie die Kaninchen rammeln. Und von Hunter würde weit und breit nichts zu sehen sein.

Jedenfalls hoffte sie darauf. In letzter Zeit hatte es in Sachen Rammelei gar nicht so toll ausgesehen. Genau genommen hatte in letzter Zeit gar nichts toll ausgesehen. Es war schon ein bisschen beunruhigend. Sie war noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem sie ihre Beziehung mit Ian zu den Akten legen würde, sogar wenn er in Gedanken oft meilenweit entfernt war. Sogar wenn ihre Beziehung geheim bleiben musste. Wenn sie sich jetzt von ihm trennte, wäre das so, als würde sie eine Niederlage eingestehen. Niederlagen gestand sie niemals ein, selbst dann nicht, wenn sie den Eindruck hatte, gescheitert zu sein.

Fünfzehn Minuten später saß sie auf ihrem Platz, gleich neben ihr der Leibwächter mit der versteinerten Miene. Ein Leibwächter. Das gab ihr das Gefühl, großspurig und zugleich lächerlich zu sein. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich wie eine Gefangene vorkam. Während sie sich abmühte, ihre sehr große Handtasche unter dem Vordersitz zu verstauen, saß Hunter nur da und sah zu. Sie konnte seine Blicke spüren, obwohl sie schnaufte und keuchte und ihr die Haare ins Gesicht fielen. Als sie sich schließlich wieder aufrecht hinsetzte, hielt er ihr wortlos einen Umschlag hin.

„Was ist das?“, fragte sie irritiert.

„Ich weiß nicht. Mir wurde nur gesagt, dass ich Ihnen den Umschlag geben soll, sobald die Türen geschlossen und wir startbereit sind.“

Ein Angsthauch jagte ihr den Rücken hinunter. Das klang zwielichtig, aber den Gedanken verwarf sie gleich wieder. Der Umschlag hatte das Format einer Grußkarte. Vielleicht eine romantische Nachricht von Ian, eine Geste der Wiedergutmachung dafür, dass er überhaupt nicht hatte verstehen wollen, wie viel ihr dieser gemeinsame Urlaub bedeutete.

Sie drehte sich ein wenig zur Seite, sodass Hunter ihr beim Lesen nicht über die Schulter schauen konnte, dann

öffnete sie den Umschlag. Die Karte, die sie herauszog, war kein teures, dickes Papier, sondern eine von diesen Klappkarten, die sie im Büro benutzten, um jemandem eine persönliche Mitteilung zu schicken. Die Vorderseite zeigte eine von Ians Massenszenen mit einem Dutzend nackter Leute in einem Baum. Das war schon nicht mehr so vielversprechend.

Sie schlug die Karte auf und erkannte Ians Handschrift.

Liebe Melanie,

ich glaube, wir wissen beide, dass es mit uns nicht funktioniert. Das Ganze in Cancún auf die lange Bank zu schieben wäre vertane Zeit. Wir hatten ein paar gute Monate, aber es ist notwendig, dass jeder von uns nach vorne schaut und dass wir uns bewusst abkoppeln. Hab viel Spaß am Strand, wir sehen uns nach deinem Urlaub.

Alles Gute

Ian

Melanie musste die Zeilen mehrmals lesen, wobei ihr Herz raste und ihr Verstand sie davon zu überzeugen versuchte, dass diese Worte eine andere Bedeutung haben mussten. Doch da war keine andere Bedeutung. Ian machte mit ihr Schluss. Mit einer geschäftlichen Klappkarte. Nachdem er sie mit einem Leibwächter in ein Flugzeug nach Mexiko gesetzt hatte.

„Oh mein Gott“, platzte sie heraus, bevor sie es schaffte, sich zusammenzureißen. Sie fasste nach dem Sicherheitsgurt und öffnete ihn. „Ich muss raus.“ Sie konnte nicht dasitzen und nach Mexiko fliegen. Sie musste die Maschine verlassen, sie musste fort von all diesen Leuten. Sie musste irgendwohin, wo sie alleine war, damit sie tief durchatmen konnte und ihre Gefühle unter Kontrolle bekam. Jedoch erst, nachdem sie Ian im Terminal B aufgespürt, ihn zur Rede gestellt und ihn gefragt hatte, wie er so verdammt rücksichtslos sein konnte, sie in Urlaub zu schicken und ihr per Brief ihre Trennung bekannt zu geben.

Und nachdem sie ihm einen Tritt wohin verpasst hatte.

Das durfte doch nicht wahr sein!

„Was haben Sie vor?“, fragte Hunter sie. „Wir starten jeden Moment. Legen Sie den Gurt wieder an.“

„Ich muss raus aus diesem Flugzeug“, beharrte sie.

„Ist Ihnen nicht gut? Haben Sie Flugangst?“

Sie schüttelte den Kopf, da wegen der Panik ihre Stimme versagte. Ian hatte absichtlich gewartet, bis sie in der Maschine in der Falle saß, damit sie ihn nicht mal zur Rede stellen konnte. Es war unfassbar, es war eine Beleidigung, und außerdem hatte sie das Gefühl, sich übergeben zu müssen.

Hunter legte eine Hand an ihren Nacken, sie fühlte sich groß und warm an, als er ihren Kopf nach vorn drückte, sodass sie sich vornüberbeugte.

„Atmen Sie“, forderte er sie auf. „Atmen Sie tief und langsam durch. Es ist alles okay.“

Seine dunkle Stimme klang sanft, dennoch verlangte sie Gehorsam, und Melanie tat, was er sagte, indem sie tief ein- und durch die Nase wieder ausatmete.

„Noch mal.“

Nach mehreren Atemzügen fühlte sie sich etwas besser. Sie kam sich vor wie ein Vollidiot. „Tut mir leid.“

Das Flugzeug rollte vom Gate weg, um Kurs auf die Startbahn zu nehmen. Sie würde nach Mexiko fliegen, ob sie es wollte oder nicht.

„Sie müssen sich nicht entschuldigen. Viele Menschen haben Flugangst.“ Mit seiner Hand massierte er sanft ihren Nacken. „Geht es jetzt wieder?“

Sie nickte und setzte sich gerade hin, wobei sie darauf hoffte, dass er seine Hand wegnahm. Die Massage fühlte sich zwar wirklich gut an, ihr war jedoch nur zu deutlich bewusst, wie unpassend das war. Er begriff ihre Absicht und nahm den Arm zur Seite. Sie sammelte sich kurz, dann drehte sie sich zu Hunter um. In ihrer schweißnassen Hand hielt sie immer noch den dämlichen Brief von Ian. Hunter betrachtete sie ruhig, aber auch ein wenig besorgt. Vielleicht war der Mann doch gar nicht so ein Idiot.

„Was hat Ian Ihnen gesagt?“, wollte sie wissen. Sie musste erfahren, ob Ian ihn in seinen Plan eingeweiht hatte und ob sie vor Verlegenheit tot umfallen musste. „Was diese Reise betrifft, meine ich.“

„Dass er eine Stalkerin hat und dass Sie in Gefahr sind. Ich habe ihre Akte, ich weiß, wie die Frau aussieht. Sie müssen keine Angst haben.“

„Ich habe keine Angst vor Savannah.“ Die hatte sie tatsächlich nicht, denn Savannah würde da sein, wo Ian war, nicht dort, wo sie sich aufhielt. „Nehmen Sie es nicht persönlich, doch ich halte es für völlig nutzlos, dass Sie mich begleiten.“ Er zog einen Mundwinkel hoch. „Ich nehme es nicht persönlich. Aber ich habe diesen Auftrag und führe ihn auch aus, ob Sie es für notwendig halten oder nicht.“

„Ian kommt nicht mit“, sagte sie geradeheraus. Sie konnte es ohnehin nicht allzu lange verheimlichen. Falls Hunter es jetzt noch nicht wusste, würde ihm spätestens gegen Abend ein Licht aufgehen.

Es kam keine Reaktion, wenn man von diesem ausdruckslosen Blick absah.

„Sollte er denn mitkommen? Ich hatte den Eindruck, dass Sie allein fliegen, um Urlaub zu machen und auszuspannen.“

Na großartig. Einfach fantastisch. Damit war dies ganz offiziell ein Flug in die Hölle. Und die Ironie daran war, dass sie alles bezahlt hatte. Sie hatte die gottverdammte Rechnung mit ihrer Kreditkarte beglichen. Es sollte eine Geste sein, um Ian zu zeigen, wie sehr sie ihn und ihre Beziehung schätzte. Obwohl er Millionär war und sie gerade mal dreißig Riesen im Jahr verdiente, hatte sie die Rechnung bezahlt. Der Liebe wegen.

Und nun flog sie mit einem wildfremden Mann in den Urlaub, der auch noch Zeuge davon geworden war, wie Ian sich bewusst von ihr abgekoppelt hatte.

Was nebenbei bemerkt in der gesamten Geschichte der Beziehungen zwischen zwei Menschen die feigste Art war, um jemanden loszuwerden. Hatten Höhlenmenschen ihrer besseren Hälfte ein Mammut mit einer Steintafel geschickt, in die sie ein gebrochenes Herz gemeißelt hatten? Falls ja, würde es sie nicht wundern.

Eine Träne lief ihr über die Wange. Sie schnappte angestrengt nach Luft. „Er hat mit mir Schluss gemacht. Per Brief.“

Eigentlich wollte sie sich Hunter nicht anvertrauen, aber sie fühlte sich hin und her gerissen zwischen peinlicher Verlegenheit und dem Gefühl, Dampf ablassen zu müssen. Hier war jedoch keine Freundin, mit der sie reden konnte, und sie konnte während des Flugs nicht mal telefonieren. Also blieb nur Hunter. Sie war nicht in der Lage, ihre Abscheu und den Schmerz zu überspielen. „Ist so was zu fassen? Nach einem Jahr. Eine kurze Notiz. Gerade mal einen Absatz lang.“ Sie hielt die Karte hoch. „Und den hat er auch noch auf eine Karte mit einem Foto von nackten Leuten geschrieben. Das ist nicht nur demütigend, es ist eine Beleidigung.“

Sie schluchzte laut, obwohl sie das gar nicht hatte tun wollen.

Hunter Ryan sah entsetzt mit an, wie Melanie das Gesicht verzog und zu weinen anfing. Ihre Unterlippe bebte, ihre Brust hob und senkte sich bei jedem angestrengten Atemzug. Oh Gott, er ertrug es nicht, wenn Frauen weinten. Sie konnte allerdings nichts dafür. Was für ein Arsch musste man sein, wenn man seiner Freundin auf Geschäftspapier eine Abschiedsnotiz überreichen ließ? Er wusste zwar nicht, was sie mit diesen nackten Leuten gemeint hatte, aber ihm war klar, womit ihr Freund sein Geld verdiente. Also musste es wohl irgendwas mit seiner Arbeit zu tun haben.

Eine Nachricht, die gerade mal einen Absatz lang war. Himmel!

Das war nicht nur Melanie gegenüber grausam, es war auch ihm gegenüber unhöflich. Er war Leibwächter, kein Therapeut. Er war ein Marine, und Marines befolgten Befehle und ignorierten ihre Gefühle. Und wenn sie sie mal nicht ignorieren konnten, dann redeten sie zumindest nicht darüber. Trotzdem geriet er immer wieder in solche Situationen. Am liebsten hätte er seinen Gurt gelöst und wäre weggelaufen. Nur hätte ihm das jetzt nichts mehr gebracht, denn die Maschine war längst auf der Startbahn unterwegs und würde jeden Moment abheben. Also streckte er die Hand aus und tätschelte Melanies Knie, weil er keine Ahnung hatte, was er sonst tun sollte.

Mutig machte er sich daran, die Situation zu entschärfen.

„Ich schätze, er wollte bloß eine Auseinandersetzung vermeiden.“ Hunter vermutete, dass wohl so gut wie jeder Mann ein- oder zweimal in seinem Leben diesen Moment erlebte, in dem es ihm lieber war, keine in Tränen aufgelöste Frau vor sich zu haben. Oder schlimmer noch: eine, die vor Wut tobte. Das hatte er schon mitgemacht, nur war er da sechzehn gewesen, nicht dreißig. Sogar er, der nach Aussage seiner Exfreundin Danielle emotional gehandicapt war, verhielt sich Frauen gegenüber ehrlich und offen.

„Eine Auseinandersetzung vermeiden? Sehe ich vielleicht so aus, als würde ich eine Szene machen?“, fragte sie und wurde immer lauter. „Ich habe diese Beziehung ein Jahr lang geheim gehalten! Ich habe ihn allein durchs ganze Land reisen lassen! Ich habe nie ein Wort darüber verloren, dass seine Arbeit sich nur um nackte Frauen dreht.“

Sie mochte recht haben, auf jeden Fall hatte er es für sie nur noch schlimmer gemacht. Es gab keine Rechtfertigung für das, was Bainbridge getan hatte. Immerhin hatte der diese Aktion schon vor mindestens einer Woche geplant, weil er, Hunter, zu dem Zeitpunkt diesen Auftrag von ihm bekommen hatte.

Okay, also musste er behutsam den Rückzug antreten, damit sie merkte, dass er auf ihrer Seite war. Das konnte er, schließlich hatte er seine gesamte Kindheit hindurch mit den miesen Bekanntschaften seiner Mutter klarkommen müssen. „Nein, Sie sehen nicht so aus, ganz im Gegenteil. Ich persönlich finde es respektlos, jemandem eine Notiz hinzulegen, wenn man sagen will, dass man mit ihm Schluss macht. So verhält sich nur ein Arsch.“

Sie zuckte zusammen. „Ich würde ihn nun nicht gleich als Arsch bezeichnen. Das ist ein bisschen heftig.“

Womit der Beweis erbracht war, dass er sagen konnte, was er wollte, es war so oder so verkehrt. Warum mussten Frauen immer widersprechen, selbst wenn ein Mann ihrer Meinung war? Und dann wunderten sie sich darüber, dass Männer nicht mit ihnen reden wollten. Er sah sie nachdenklich an, da er nicht so recht wusste, wie er fortfahren sollte. „Er hatte mir gesagt, dass er nicht mitkommen würde. Aber ich dachte, Sie wüssten das. Ich hatte keine Ahnung, dass er so was vorhatte, sonst hätte ich ihm gesagt, dass ich solche Nachrichten nicht überbringe. Er hat mich sozusagen zu seinem Komplizen gemacht, weil ich Ihnen das mit seiner Nachricht angetan habe. So jemanden bezeichne ich als Arsch.“

Ihre Unterlippe zitterte schon wieder. Oh verdammt. Doch dann nickte Melanie.

„Sie haben recht. Er ist ein Arsch. Und ich bin die ganze Zeit mit ihm ausgegangen und habe nichts davon gemerkt. Was bin ich bloß für eine Idiotin.“

Hunter verzog den Mund. Er war der letzte Mensch auf Erden, der anderen einen Ratschlag in Sachen Beziehung geben durfte. Vor Danielle war er vier Jahre lang mit Lynn ausgegangen, doch von diesen vier Jahren hatte er dreieinhalb seinen Dienst am entgegengesetzten Ende der Welt verrichten müssen. Er hatte wirklich kein Recht, Ratschläge zu erteilen, aber im Moment musste jemand Melanie sagen, dass sie keine Schuld an dem Ganzen traf, was ja tatsächlich der Fall war.

„Sie sind keine Idiotin. Sie konnten nicht wissen, dass so was dabei herauskommen würde. Er ist derjenige, der ein Problem hat, weil er zu feige ist, Ihnen in die Augen zu sehen, wenn er Ihnen etwas zu sagen hat.“

Mehr würde er zu dem Thema nicht von sich geben, diese Unterhaltung war damit für ihn beendet. Er fühlte sich dabei unbehaglich, da es ihn an die vielen Nächte in seiner Kindheit erinnerte, in denen er mitbekommen hatte, wie seine Mutter in Tränen aufgelöst dagesessen und Eis aus einer Großpackung gegessen hatte, weil ein weiterer Vorstoß hin zu einem Happy End gescheitert war. So etwas wie ein Happy End gab es überhaupt nicht. Er selbst wollte zwar nicht auch wie ein Arsch dastehen, aber ihm war es lieber, wenn Melanie nach der Landung in Mexiko eine Freundin anrief, um mit ihr zu reden. Hauptsache, sie ließ ihn aus dem Spiel.

Nach Danielle hatte er Beziehungen ein für alle Mal abgeschworen. Vor ihr hatte es Lynn gegeben, davor Allison. Alle drei hatten ihn verlassen, und er fand, dass er nach drei Fehlversuchen aufgeben sollte. Er beherrschte dieses Spiel nicht, deshalb war er davon überzeugt, dass kurze, unverbindliche Affären für ihn die bessere Lösung waren. Würde Melanie einen ehrlich gemeinten Ratschlag wollen, dann hätte er ihr genau das gesagt. Aber so was würde sie nicht hören wollen. Kein Mensch war an seiner zynischen Einstellung zur Liebe interessiert.

Sie nickte flüchtig und schniefte wieder. Als sie sich vorbeugte, um nach irgendetwas in ihrer Handtasche zu suchen, zog sich ihr Shirt hoch und legte ihr Kreuz und den Poansatz frei. Hunter musste sich räuspern und rutschte unbehaglich auf seinem Platz zur Seite. Womit er bei diesem Auftrag wirklich nicht gerechnet hatte, war die Möglichkeit, dass er seine Klientin attraktiv finden könnte. Melanie war nicht nur attraktiv, sondern wunderschön, und das sogar dann, wenn sie in Tränen aufgelöst war. Sie hatte ein fein geschnittenes Gesicht mit vollen rosigen Lippen, deren Anblick seine Gedanken schnell in gefährliche Regionen abschweifen ließ. Ihre enge Jeans und das locker sitzende Shirt unterstrichen die Tatsache, dass sie zwar zierlich war, aber genau an den richtigen Stellen weibliche Kurven hatte.

Als er den Auftrag übernahm, war er der Meinung gewesen, Melanie würde aus freien Stücken allein reisen, und er würde wie ein Angestellter behandelt werden, der auf Abstand zu ihr blieb. Für ihn war das so in Ordnung, weil er nur seine Arbeit machte. Außerdem brauchte er diesen Auftrag und das Geld. Das Szenario, mit dem er jetzt konfrontiert wurde, war nicht absehbar gewesen. Er konnte unmöglich auf Abstand zu ihr bleiben und schweigend im Hintergrund seinen Job erledigen, obwohl ihm das viel lieber wäre. Er musste sich an peinlichen Unterhaltungen beteiligen, und er musste tun, was er konnte, um ihr über ihr gebrochenes Herz hinwegzuhelfen. Das hier war schlimmer als Afghanistan. Okay, eigentlich stimmte das nicht, aber es war auf jeden Fall schlimmer als dieses eine Mal, als er diesen brennenden Ausschlag am Sack bekommen hatte. Zumindest wand er sich jetzt genauso heftig.

Melanie setzte sich wieder gerade hin, nachdem sie ein Taschentuch hervorgeholt hatte, mit dem sie ihr Gesicht abtupfte. Ihr Augen-Make-up war bis auf die Wangen verlaufen. Hunter überlegte, dass er an Ians Stelle bis nach der Reise gewartet hätte, um mit ihr Schluss zu machen. Was zum Teufel stimmte nicht mit Bainbridge, dass er lieber darauf verzichtete, Melanie eine Woche lang jeden Tag im Bikini zu erleben? Diese Aussicht war jetzt das Einzige, was den Auftrag für ihn erträglich machte. Diese Frau war einfach süß, also konnte mit Ian irgendwas nicht stimmen. Wer würde eine solche Frau allein in den Urlaub fliegen lassen?

Der Typ musste wirklich irgendwelche Probleme haben.

Okay, er hatte ebenfalls Probleme, aber seinen Exfreundinnen zufolge hatten die damit zu tun, dass er nicht in der Lage war, seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen, und dass er keine romantische Ader hatte. Er hatte keine Angst, sich zu binden, und er war auch kein Arsch. Er wäre glücklich darüber, wenn er zusammen mit einer sexy Freundin eine Woche am Strand verbringen könnte. Bloß hatte er keine Freundin.

„Ich meine, bin ich denn tatsächlich so dumm?“, fragte Melanie, die noch immer ihre Augen abtupfte. „Zugegeben, ich wusste, dass es zwischen uns nicht so großartig lief. Aber der Sinn und Zweck dieses dämlichen Urlaubs war es schließlich, diese Probleme in unserer Beziehung aus der Welt zu schaffen. Hat ja wirklich toll funktioniert. Und ich habe einen Haufen Geld zum Fenster rausgeschmissen.“

„Wenigstens sind Sie nicht schwanger“, erwiderte er. „Das wäre eine richtig teure Methode, um eine Beziehung zu retten.“ Es war als kleiner Scherz gemeint gewesen, aber ihr Blick verriet ihm, dass daran überhaupt nichts witzig war. Im Geiste verpasste er sich einen Tritt in die Eier. Er wusste doch ganz genau, dass eine weinende Frau niemals zu Scherzen aufgelegt war. Das hatte er über die Jahre hinweg ständig bei seiner Mutter beobachten können, wenn wieder mal die Hoffnung auf eine Beziehung zerschmettert worden war. Vielleicht war er auch einfach nur zu lange der Hitze in der afghanischen Wüste ausgesetzt gewesen.

„Keine Witze über Schwangerschaften, das ist ja so, als wollten Sie das Schicksal herausfordern.“ Sie verzog einen ihrer Mundwinkel. „Allerdings kann ich überhaupt nicht schwanger sein. Schließlich hatten wir seit sechs Wochen keinen Sex.“

Oh nein, so was wollte er gar nicht hören, weil er keine Ahnung hatte, was er mit diesem Wissen anfangen sollte.

„Tut mir leid, das war geschmacklos von mir.“ Er zog ein Magazin aus der Tasche an der Rückenlehne des Sitzes vor ihm und hielt es ihr hin. „Warum lesen Sie nicht was? Das wird Sie ablenken.“

Sie sah auf das Heft, ohne es ihm aus der Hand zu nehmen. „Skymiles? Glauben Sie ernsthaft, dass Werbung für Massagesessel und Anzeigen für Katzenapartments mich von der Tatsache ablenken können, dass ich dem Mann, der mir so wichtig ist, im Gegenzug rein gar nichts bedeute?“

„Das werden Sie erst dann mit Sicherheit wissen, wenn Sie es ausprobiert haben.“ Er konnte nur hoffen, dass sie es tat.

Sie schüttelte den Kopf und lachte erstickt auf. „Nein danke, ich versinke lieber in Selbstmitleid.“

Genau das Gegenteil von ihm. Er würde sich lieber bei lebendigem Leib von Piranhas auffressen lassen, als in Selbstmitleid zu versinken. Nicht umsonst hatte er die Kunst gemeistert, einen Bogen um jede Trauer und jede Enttäuschung zu machen. „Na gut, wenn Sie das wollen. Ich werde Sie dabei nicht stören. In der Zeit werde ich dieses Magazin lesen.“ Er schlug es auf und sah verständnislos auf das Foto eines umfassenden Systems mit Türen und Tore für … Hunde? Nein, er war sich nicht sicher, was das darstellte. Dafür wusste er aber ganz genau, was er im Moment nicht wollte: reden, und zwar mit Melanie.

Sie tat ihm leid, ehrlich. Er konnte mit ihr mitfühlen, doch ihm war zweifelsfrei klar, wie das weiterging. Sie würde sich beklagen und in Selbstzweifel versinken, er würde ihr sein Mitgefühl bekunden und ihr sagen, dass dieser Mann es nicht wert war, sich irgendwelche Vorwürfe zu machen, was ja auch zutraf. Anschließend würde er sich ausgelaugt fühlen, und sie würde ihm sowieso kein Wort glauben. Er hatte das oft genug mitgemacht. Er war dieser Mann, bei dem jede Frau glaubte, er könne ihr einen guten Ratschlag geben, den sie letztlich jedoch alle ignorierten.

Vor allem aber wollte er nicht über Beziehungen reden, da er entschlossen war, das Thema für sich selbst vollständig aufzugeben.

Melanie schwieg erstaunliche sechzig Sekunden lang, schließlich seufzte sie laut und erklärte: „Vielleicht sollte ich gleich wieder nach Hause fliegen, wenn wir in Mexiko angekommen sind.“

So ungern er diese Unterhaltung fortführen wollte, war das eine Bemerkung, die er so nicht im Raum stehen lassen konnte. „Bekommen Sie das Hotel erstattet?“

„Nein.“

„Und warum wollen Sie dann gleich wieder dahin zurück, wo Schnee und Kälte herrschen? Genießen Sie den Urlaub so gut Sie können, Melanie. Lassen Sie sich Ihre Freizeit nicht von Ian verderben.“

„Ich habe sogar Ausflüge gebucht“, sagte sie so wehmütig, dass er sie am liebsten in den Arm genommen und an sich gedrückt hätte. Ganz wie der Typ, der zuhören und Ratschläge geben konnte. Zum Teufel mit seiner Mutter. Ihr hatte er das alles zu verdanken.

„Wer geht schon allein Seilrutschen? Das ist nur peinlich.“

„Ich komme mit.“

„Würden Sie das machen?“ Sie sah ihn mit hoffnungsvoller Miene an.

„Na klar. Das gehört zu meinem Job.“

Das war genau die falsche Antwort gewesen, denn Melanie verzog mürrisch den Mund.

„Großartig, ich habe einen bezahlten Begleiter. Das wird ja immer besser.“

„Ich würde es auch machen, wenn ich nicht dafür bezahlt würde“, schob er nach, aber das kam ein bisschen zu spät. Er steckte das Magazin wieder in die Tasche an der Rücklehne vor ihm. Das würde ein verdammt langer Flug werden, und es war keinerlei Ablenkung von diesem einen Thema in Sicht. Dass er wegen seines schmerzenden Arms eine Ibuprofen genommen hatte, machte das Ganze nicht erträglicher.

„Besten Dank.“ Sie schnaubte missmutig.

Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte.

Es verging gerade mal eine Minute, dann fragte sie: „Wissen Sie, was mich am meisten ärgert?“

„Ähm … nein.“ Er war so ahnungslos, er hätte nicht mal raten wollen.

„Ich habe mich dazu gezwungen, Ian zu lieben. Können Sie sich so was vorstellen?“ Während sie redete, riss sie das Taschentuch in kleine Stücke, die sich auf der Schnalle ihres Sitzgurts sammelten. „In der Theorie sah das alles so gut aus. Wenn ich mir ausmalte, welchen Typ Mann ich an meiner Seite haben wollte, dann war das immer ein Künstler, nie so ein Macho-Kerl. Und trotzdem habe ich Ian eigentlich nie richtig geliebt, jedenfalls nicht so, wie es sein sollte.“

„Das ist doch gut“, entgegnete er und bekam mit einem Mal den Eindruck, dass die vor ihm liegende Woche womöglich gar nicht so schlimm ausfallen würde. Vielleicht würden ja doch nicht an sieben Tagen hintereinander Tränen fließen. „Dann waren Sie an seiner Seite ohnehin nicht gut aufgehoben. Seien Sie froh, dass Sie früh genug zu dieser Erkenntnis gelangt sind.“ Es wäre ihm nur lieber gewesen, wenn er nicht hätte danebensitzen müssen.

„Ich würde nicht sagen, dass es gut ist. Es ist trotz allem demütigend und schmerzhaft. Ich meine, ich habe schließlich versucht, unsere Beziehung zu hegen und zu pflegen, damit die Liebe wachsen kann. Warum hat er das nicht versucht?“

„Sie sind kein Baum“, gab er geradeheraus zurück. „Liebe kann nicht wachsen, sie ist entweder da oder nicht da.“

„Was? Reden Sie von Liebe auf den ersten Blick?“

„Nein. Gegenseitige Anziehung, Bewunderung, brennendes Interesse an seinem Gegenüber. Das ist alles von Anfang an da. Wenn es nicht da ist, kann man es nicht erzwingen.“ Wenn jemand das wissen sollte, dann er. Von seiner ersten ernsthaften Beziehung abgesehen, war er immer den rationalen Weg gegangen und hatte sich von seinem Verstand leiten lassen, nicht von seinem Herzen … Es hatte nicht funktioniert. Danielle hatte völlig recht gehabt, als sie ihm vorwarf, ihm mangele es an Gefühlen. Beide waren sie auf Abstand zueinander geblieben, weil keiner von ihnen wirklich großes Interesse an seinem Gegenüber gehabt hatte.

Melanie zog die Augenbrauen zusammen. „Und woher weiß man, ob die Liebe da ist oder nicht?“

War das ihr Ernst? Hunter sah sie ungläubig an. „Na, Sie wissen schon. Jetzt sagen Sie nicht, dass Ihnen nicht klar ist, wenn Sie jemanden attraktiv finden.“ So, wie es ihm mit ihr erging. Oh Gott, ihre Lippen erschienen ihm, als wären sie allein zum Küssen erschaffen worden. War ihr das eigentlich bewusst? Anscheinend nicht.

„Doch, sicher. Schätze ich mal. Ich meine, wenn ich Sie anschaue, sehe ich, dass Sie ein attraktiver Mann sind. Aber das bedeutet nicht, dass wir deswegen auch zusammenpassen.“

Hunter fand, dass sie ihn nicht richtig verstanden hatte. Es ging um mehr als nur das, sogar um viel mehr. Es störte ihn jedoch nicht, sie sagen zu hören, dass sie ihn attraktiv fand. „Ich meine nicht nur die körperliche Anziehung.“

„Wollen Sie damit sagen, dass Sie mich nicht körperlich anziehend finden?“ Melanie fasste den Stapel Taschentuchfetzen, knüllte ihn zusammen und stopfte ihn energischer als eigentlich nötig in ihre Handtasche.

Das war ja, als würde er sich über ein Feld voller Tretminen bewegen. So wie immer, wenn er mit einer Frau zu tun hatte. „Das habe ich damit nicht sagen wollen. Ganz im Gegenteil. Ich finde Sie körperlich anziehend.“ Was maßlos untertrieben war, denn genau genommen entsprach sie praktisch in jeder Hinsicht seiner Vorstellung von der perfekten Frau: blonde Haare, volle Lippen, kecke Brüste und schmale Taille. Sie weckte bei ihm den Wunsch, sie vor allem Übel zu bewahren und sie mit dem Rücken gegen eine Wand zu drücken und sie dazu zu bringen, vor Lust zu schreien. Das konnte er ihr jedoch nicht sagen, weil es völlig unprofessionell wäre. Immerhin machte er hier einen Job, für den er bezahlt wurde. „Sie sind eine wunderschöne Frau.“

„So fühle ich mich aber nicht. Ich fühle mich vielmehr dumm und naiv. Und mir wird vom Fliegen ein bisschen übel.“

Wow, das fehlte jetzt noch. „Kommen Sie, legen Sie sich hin und schließen Sie die Augen.“ Er tippte auf seine Beine, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie es sich bequem machen sollte.

„Macht Ihnen das nichts aus?“

Natürlich machte es ihm was aus. Doch obwohl er zu seiner Klientin unbedingt auf Abstand bleiben wollte, war das kein Grund, über ihre Übelkeit hinwegzugehen. Und dann war da noch dieses Etwas, das er ihr eben erklärt hatte. Dieses Ziehen, dieses Verlangen, das in seinen Lenden und in seiner Brust erwacht war. Ja, er fühlte sich zu ihr hingezogen, aber … er verspürte mehr: Interesse.

Das war nicht gut. Das war gar nicht gut.

Und es machte sein großzügiges Angebot, es sich auf seinem Schoß bequem zu machen, zu einer sehr dummen Idee. Als sie sich von ihrem Platz zu ihm rüberbeugte, fühlte sich ihr Körper auf seinen Beinen warm und weich an. Auf einmal sah sie ihn in mit ihren großen braunen Augen an.

„Sie sind hart.“

„Wie bitte?“ Das war er nämlich noch gar nicht, doch wenn sie sich weiter so hin und her bewegte, würde es nicht mehr lange dauern.

„Ihre Oberschenkel. Die sind sehr muskulös. Als Kissen taugen sie nicht viel.“

Oh.

Dann lächelte sie ihn an. „Trotzdem danke. Ich weiß das zu schätzen.“ Sie drückte sein Knie und fügte hinzu: „Sie sind lieb zu mir.“

Hunter reagierte mit einem undefinierbaren Brummen, während sie die Augen zumachte.

In diesem Augenblick war sein Auftrag um ein Vielfaches schwieriger geworden, weitaus schwieriger, als er es sich jemals hätte vorstellen können.

2. Kapitel

Es war ein Fehler gewesen, sich auf Hunters Beine zu legen. Melanie hielt die Augen geschlossen, aber nicht, weil sie schlafen wollte. Vielmehr wollte sie vermeiden, dass sie ihn ansah. Ihr war nur zu deutlich bewusst, wie nahe sie seinem Schwanz war und wie fest sich sein Körper unter ihr anfühlte. Seine Hand, die auf ihrer Seite lag, war unglaublich groß und schwer und warm. Melanie kam sich wie von ihm umgeben und rundum behütet vor.

Dazu duftete er nach Wald. So, als hätte er einen Baum gefällt, um ihn zu Brennholz zu verarbeiten, dann schnell nach seinem Anzug gegriffen und sich auf direktem Weg zum Flughafen begeben, um mit ihr nach Mexiko zu fliegen. Das war sehr ansprechend.

Das Ganze hatte jedoch auch etwas Gefährliches an sich. Sie war verletzlich, man hatte ihr wehgetan und sie gedemütigt. Hunter war sexy und sehr männlich. Sie wollte sich nicht in eine Falle manövrieren, indem sie sich durch Post-Trennungssex bewies, dass sie anziehend und begehrenswert war. Mal abgesehen davon, dass Hunter ohnehin nicht an Sex mit ihr interessiert war. Obwohl er gesagt hatte, er finde sie attraktiv, entging ihr nicht seine gequälte Miene, die er schon seit dem Moment ihrer ersten Begegnung zur Schau stellte. Sie war überzeugt, dass er ihr das Kompliment nur gemacht hatte, weil sie ihm leidtat und weil er von ihr dazu gedrängt worden war.

Selbst wenn sie also den gewaltigen Fehler hätte begehen wollen, Hunter zu benutzen, damit sie sich besser fühlte, würde ein solcher Plan nicht funktionieren. Hunter war nicht interessiert, aber er war zumindest sehr nett, auf eine quälende, distanzierte Art.

Er war geduldig und versuchte, sein Mitgefühl auszudrücken. Trotz dieser heftigen Demütigung musste sie sich zusammenreißen, anstatt Hunter für Ians Fehlverhalten büßen zu lassen. Ian hielt sich jetzt am Flughafen auf und tat voller Hingabe das, was er am liebsten tat, während ein wildfremder Mann den von ihm verursachten Scherbenhaufen wegkehren musste. Sie konnte nur hoffen, dass Hunter für seine vergeudete Zeit angemessen bezahlt wurde.

Sie rutschte auf seinem Schoß leicht zur Seite, atmete ruhig und gleichmäßig ein und aus und dachte über ihre momentane Situation nach. Voller Scham musste sie einsehen, dass sie versucht hatte, eine Beziehung zu retten, die in Wahrheit nie eine Chance auf Bestand gehabt hatte. Natürlich war ihr Ian wichtig, aber wie gut kannte sie ihn wirklich? Sie hatten zusammengepasst, doch eine Verbindung zwischen ihnen gab es eigentlich nie. Wieso war sie bloß so versessen darauf gewesen, sich damit zufriedenzugeben, und wieso schmerzte es sie trotzdem so sehr? Sie hätte nie gedacht, dass sie ein zerbrechliches Ego hatte, aber offenbar war genau das der Fall.

Vielleicht wäre es ja nicht so schmerzhaft gewesen, wenn Ian sie zum Essen eingeladen und es ihr von Angesicht zu Angesicht gesagt hätte. Sie hätten darüber diskutieren und übereinstimmend feststellen können, dass etwas nicht so lief, wie es hätte laufen sollen. Dann hätten sie sich erwachsen einen leicht traurigen Abschiedskuss geben und getrennter Wege gehen können. Aber das hier war etwas anderes, das hier war ihr erster und einziger Urlaub seit einem Jahr, und den hatte Ian ihr ohne jede Rücksicht verdorben. Hunter hatte recht, Ian war tatsächlich ein Arsch, für den sie ein Jahr ihres Lebens vergeudet hatte.

Mit einem Mal wurde ihr bewusst, wie lange es her war, seit sie das letzte Mal Sex gehabt hatte. Und wie nah sie Hunters Penis war. Ihre Gedanken drehten sich plötzlich nur noch um ein Thema.

Abrupt setzte sie sich auf.

Hunter sah sie verwundert an. „Alles in Ordnung?“

„Ich muss zur Toilette“, behauptete sie schnell. Sie musste unbedingt auf Abstand zu seinem Schoß gehen, nicht dass ihre Fantasien sie noch zu irgendeiner Dummheit verleiteten. Es kam ihr so vor, als wäre ihr Körper auf Feriensex geeicht, und ihre Hormone wollten keinen Rückzieher mehr machen, obwohl sich ihre Pläne geändert hatten. Auch wenn Hunter nicht ihre Gedanken lesen konnte, war sie verlegen.

„Stimmt, das wollten Sie ja schon, bevor wir an Bord gegangen sind.“ Er öffnete seinen Gurt und machte einen Schritt in den Gang, damit sie an ihm vorbeikam.

„Danke.“ Sie stand auf und ging in Richtung Toilette. Nachdem sie sich in dem winzigen Raum eingeschlossen hatte, warf sie einen Blick in den Spiegel – fast wäre sie ohnmächtig geworden. Himmel, sie sah aus wie das lebende Elend. Ihr Gesicht war aufgedunsen und fleckig, die Haare waren völlig zerzaust, weil sie immer wieder mit den Fingern hindurchgefahren war. So wie sie im Augenblick rüberkam, war es kein Wunder, dass Hunter sich nicht zu ihr hingezogen fühlte.

Nachdem sie sich Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, versuchte sie, ihre Haare platt zu drücken, aber das war ein hoffnungsloses Unterfangen. Sie hatte ihre Handtasche nicht mitgenommen, daher konnte sie den Schaden nicht beheben. Natürlich würde ein Lipgloss nicht darüber hinwegtäuschen, wie verquollen ihre Augen waren und wie gerötet ihre Nase war. Sie ließ den Kopf und die Schultern kreisen und bemühte sich, die Tatsache zu akzeptieren, dass sie mit einem wildfremden Mann nach Mexiko unterwegs war. Es gab kein Zurück, es gab keinen rettenden Ausweg.

Sie würde mindestens die nächsten sechs Monate lang für diese Reise bezahlen müssen, also konnte sie sich entweder in ihrem Hotelzimmer einschließen und heulen, oder aber sie konnte ihre ursprünglichen Erwartungen an diesen Urlaub komplett vergessen und stattdessen genießen, was sich ihr an ihrem Ziel bieten würde. Immerhin ließ sie den Winter zurück. Sie musste nicht arbeiten. Dessertbuffets und Salsa-Tanz warteten auf sie. Zwar würde Hunter nicht ihren nackten Leib mit Küssen übersäen, doch er war immer noch angenehmere Gesellschaft als zum Beispiel ihre Mutter oder ein weinendes Baby oder ein Pavian. Jeder von ihnen wäre bei der Wahl des perfekten Mitreisenden auf einem der hinteren Plätze gelandet.

Ein sexy Fremder sollte nicht so schwer zu ertragen sein.

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