1. KAPITEL
Es hatte seine Vorteile, verheiratet zu sein.
Gloria Santori konnte gleich ein ganzes Dutzend aufzählen, ohne lange überlegen zu müssen. Auf ihrer Liste stand zum Beispiel die Tatsache, dass sie sich nie Sorgen um den Ölwechsel ihres Wagens zu machen brauchte, am Samstagabend immer etwas vorhatte und keinen verdammten Herzinfarkt fürchten musste, weil sie in den letzten zehn Jahren fünf Kilo zugenommen hatte. Außerdem musste sie auch nicht mehr mit anderen Frauen um einen Mann kämpfen.
Ab und zu Sex zu haben, war auch nicht so übel.
Obwohl man es nach der Geburt von James, ihrem dritten Sohn, im vergangenen Frühling nicht mehr wirklich als Sex bezeichnen konnte. Eher als ein kurzes Rein und Raus, das zwischen einem Anfall von Müdigkeit und dem nächsten Fläschchen stattfand. Und sie genoss es eigentlich auch, selbst wenn sie sich danach oft fragte, ob sie die zehn Minuten nicht besser dazu verwendet hätte, Rechnungen zu bezahlen oder den Küchenboden zu wischen.
Mit dem Baby, den zwei älteren Jungs und Tony, der sich in der Familien-Pizzeria abschuftete, war es momentan wahrscheinlicher, dass Gloria beim Verputzen eines großen Bechers Ben & Jerryʼs einen Orgasmus bekam, als wenn sie mit ihrem Mann ins Bett ging.
Das war wohl einer der Nachteile am Hausfrauen-Dasein.
Genau wie das. „Wollt ihr noch ein wenig in der Lounge herumhängen?“, schlug Vanessa, eine der anderen Brautjungfern vor. Die hinreißend schöne Frau war nur für eine Nacht nach Chicago gekommen und suchte offensichtlich Gesellschaft.
„Ich kann nicht. Tony und meine Quälgeister warten.“
Wobei „Quälgeister“ selbstverständlich liebevoll gemeint war. Wenn Anthony allerdings wieder ihren Lippenstift dafür verwenden würde, um eine Karte für die Schlachten seiner Drachenkrieger an die Wand seines Zimmers zu malen, würde sie ihm – zumindest in Gedanken – einen viel schlimmeren Namen geben. Teufelsbraten, der auf die Welt geschickt worden ist, um mich zu quälen, zum Beispiel.
„Genau, sie muss sich vergewissern, dass ihr Mann nicht im Supermarkt war, um Milch einzukaufen, und einen der Quälgeister dort vergessen hat“, meinte Mia spöttisch.
Gloria antwortete auf ihre gewohnte Art. Sie zeigte ihrer Schwester den Stinkefinger. Nicht den mittleren, sondern den Ringfinger an der linken Hand.
„Ja, ja, gib’s mir ruhig“, beschwerte Mia sich.
„Wie traurig, dass du deine Schwester dazu brauchst. Wenn du doch nur einen Mann hättest.“
„Du kannst mich mal.“ Ihre jüngere Schwester lächelte, als sie das sagte. So wie Gloria auch. Der Schlagabtausch war typisch für sie. Wer sie nicht kannte, mochte leicht glauben, dass sie sich nicht ausstehen konnten, aber das stimmte ganz und gar nicht. Sie liebten sich, hatten nur nichts gemeinsam.
Ab und zu fragte sich Gloria zwar, wie es gewesen wäre, aufs College zu gehen und anschließend zu arbeiten, aber sie würde nicht mit Mia tauschen wollen. Besonders, da sie wusste, dass ihre Schwester auch heute wieder allein ins Bett gehen würde. Mia war mit keinem Mann ausgegangen, seit sie nach Chicago zurückgekommen war, und morgen früh würde sie aufwachen und schon wieder eine Nacht einsam und allein verbracht haben.
Gloria dagegen würde morgen früh wahrscheinlich gleich mit vier männlichen Wesen in ihrem Bett aufwachen. Drei davon hatte sie zur Welt gebracht, einer davon war die Ursache dafür.
Wenn das so weiterging, würde sie den älteren Jungen sagen, dass sie einen Bewegungsmelder hätte anbringen lassen, damit sie aufhörten, mitten in der Nacht aus ihren Zimmern zu schleichen und in das Bett ihrer Eltern zu klettern. Diese nächtlichen Abenteuer waren noch ein Grund, weswegen sie und Tony schon seit Monaten fast keinen Sex mehr hatten. Das eine Mal, als Anthony neben ihrem Bett aufgetaucht war und Tony gefragt hatte, warum er mitten in der Nacht Bockspringen mit Mommy spielte, hatte ihr wirklich genügt. Zurzeit kamen sie also entweder nur ganz hastig unter der Dusche zu einem Quickie oder gar nicht.
Was würde sie nicht darum geben, ungestört „Bockspringen“ spielen zu können oder von ihr aus auch ein ganz normales, konservatives Sexspiel. Egal was!
„Dann also gute Nacht“, sagte Vanessa, nachdem Mia gegangen war. „Pass auf dich auf.“
„Na klar“, erwiderte Gloria lächelnd. „Ich geh nur noch mal nach oben und ziehe mich um, bevor ich nach Hause fahre.“
Es war ihr wie eine Verschwendung vorgekommen, die Hotelsuite eine weitere Nacht zu behalten, wenn doch niemand darin schlafen würde. Aber sie wollte nicht in diesem Kleid und den Schuhen fahren. Sie wünschte nur, sie und Tony hätten für heute Abend einen Babysitter für die Kinder gefunden. Eine ganze Nacht mit ihrem Mann in einem schönen Hotel wie diesem wäre himmlisch gewesen. Aber da sowohl seine Familie als auch ihre an dieser großen Hochzeit beteiligt gewesen waren, konnte niemand einspringen.
In ihrem Zimmer angekommen, holte sie ihre Jeans aus dem Schrank – immer noch eine Nummer größer, als ihr lieb war – und ging auf das Badezimmer zu. Aber sie hatte kaum zwei Schritte getan, als ihr Handy klingelte. „Hallo?“
„Hi, Baby.“
„Hi, Tony. Geht’s den Kindern gut?“
„Ja, die sind wohlauf. Mikey liegt schon im Bett und James bringe ich auch gleich dorthin.“
„Hat er die Flasche leer getrunken?“
„Ja.“
„Gut.“ Sie versuchte seit Wochen, ihn zu entwöhnen. Dieses Kind war genauso hartnäckig wie sein Vater früher, wenn es darum ging, an ihrer Brust zu bleiben.
„Bist du gut im Hotel angekommen?“
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