Das Land der Mackenzies

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Mary Elizabeth Potter hat ein Anliegen: Wolf Mackenzie soll seinen Sohn unbedingt zurück auf die Schule schicken. Doch auf seiner Bergranch begegnet sie ihrem Schicksal … Das Geheimnis der MacKenzies: Dr. Caroline Evans ist klug, schön - und unerfahren. Damit sie nicht seinem ganzen Team den Kopf verdreht, kümmert sich Lieutenant-Colonel Joe Mackenzie persönlich um sie … Die Ehre der MacKenzies: Als Navy SEAL ist es ein Leichtes für Zane Mackenzie, die gekidnappte Barrie Lovejoy zu befreien. Die wahre Herausforderung ist aber, sein Herz nicht an sie zu verlieren …


  • Erscheinungstag 15.02.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783955765927
  • Seitenanzahl 200
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Er brauchte eine Frau.

Wolf Mackenzie verbrachte eine schlaflose Nacht. Angespannt beobachtete er, wie das silbrige Mondlicht auf das unberührte Kissen neben ihm fiel. Sein Körper schmerzte vor Verlangen. Dem sexuellen Verlangen eines gesunden Mannes. Mit den verrinnenden Stunden wuchs seine Frustration. Irgendwann stand er auf und ging nackt zum Fenster hinüber. Der Boden war kalt unter seinen bloßen Füßen. Doch das war Wolf nur recht. Die Kälte lenkte von der unerwünschten Hitze ab, die durch seine Adern pulste.

Das fahle Mondlicht fiel auf die ausgeprägten Züge seines Gesichts, zeigte deutlich seine Herkunft auf. Mehr noch als das schwarze Haar, dicht und lang bis auf die Schultern, mehr noch als die dunklen Augen mit den schweren Lidern wiesen seine Gesichtszüge ihn als Indianer aus. Hohe Wangenknochen, breite Stirn, schmale Lippen, gerade Nase. Weniger augenscheinlich, aber genauso stark war das keltische Erbe seines Vaters ausgeprägt, erst vor einer Generation aus den schottischen Highlands herausgetragen. Dieses Erbe machte die indianischen Züge noch markanter, betonte sie klar und scharf. In ihm floss das Blut zweier Kriegervölker, Komantschen und Kelten. Der geborene Kämpfer, eine Tatsache, die der Armee schnell aufgefallen war, sobald er sich eingeschrieben hatte.

Er war ebenso ein sinnlicher Mensch, er kannte sich. Selbst wenn er sich zu kontrollieren wusste, gab es Zeiten, da er eine Frau brauchte. Normalerweise besuchte er dann Julie Oakes. Sie war geschieden, ein paar Jahre älter als er und lebte in einer kleinen Stadt ungefähr fünfzig Meilen entfernt. Ihr Arrangement dauerte jetzt schon fünf Jahre. Weder Wolf noch Julie waren an einer Ehe interessiert, aber beide hatten Bedürfnisse, und sie waren einander sympathisch. Wolf achtete darauf, dass er nicht zu oft zu Julie ging. Und dass niemand ihn sah, wenn er ihr Haus betrat. Die Nachbarn wären entsetzt, wüssten sie, dass Julie mit einem Indianer schlief. Nicht nur mit irgendeinem Indianer. Eine Anklage wegen Vergewaltigung blieb für immer an einem Mann haften.

Morgen war Samstag. Die üblichen Pflichten waren zu erledigen, und er musste Zaunmaterial in Ruth, der kleinen Stadt am Fuße seines Berges, abholen. Der Samstagabend war traditionell der Entspannung vorbehalten. Wolf würde Julie besuchen.

Die Nacht wurde kälter, tief hängende Wolken zogen über den Himmel. Wolf sah zu, bis sie den Mond verdeckten. Schnee kündigte sich an. Er wollte nicht in sein leeres Bett zurück. Sein Gesicht war ausdruckslos, auch wenn ein körperliches Verlangen ihn beherrschte. Er brauchte eine Frau.

Mary Elizabeth Potter hatte viele kleine Dinge an diesem Samstagmorgen zu tun, doch ihr Gewissen würde ihr keine Ruhe lassen, bis sie nicht mit Joe Mackenzie geredet hatte. Der Junge hatte zwei Monate, bevor Mary die Stelle von einer aus dem Schuldienst ausgeschiedenen Lehrerin übernommen hatte, die Schule verlassen. Niemand hatte ihr gegenüber den Jungen erwähnt, sie war in den Schülerakten auf ihn gestoßen. Im kleinen Ruth, Wyoming, gab es nicht viele Schüler, Mary hatte sie alle kennenlernen wollen. Die Durchfallquote bei kaum sechzig Schülern war extrem gering, daher war jeder Abgang ungewöhnlich. Beim Durchlesen von Joe Mackenzies Akte war Marys Verblüffung gewachsen. Der Junge war der Beste in seiner Klasse, hatte Einser in allen Fächern. Schlechte Schüler mochten den Mut verlieren und frühzeitig von der Schule abgehen, aber Mary war Lehrerin aus Berufung, und alles in ihr sträubte sich dagegen, dass ein so brillanter Schüler einfach aufgeben sollte. Sie würde mit ihm reden, ihm klarmachen, wie wichtig es für seine Zukunft war, die Ausbildung fortzusetzen. Mit sechzehn war er zu jung, um einen Fehler zu begehen, den er für den Rest seines Lebens bereuen würde. Sie würde nicht mehr ruhig schlafen können, bis sie ihr Bestes gegeben hätte, um den Jungen zu überzeugen.

Über Nacht war es bitterkalt geworden, es hatte wieder geschneit. Ihr Kater maunzte kläglich, als er ihr um die Beine strich. “Ich weiß, Woodrow”, tröstete Mary das Tier, “dir müssen ja die Tatzen frieren.” Sie konnte es nachempfinden. Sie hatte kalte Füße, seit sie nach Wyoming gezogen war.

Bevor der nächste Winter kam, würde sie sich ein Paar solide, mit Fell gefütterte und wasserdichte Stiefel anschaffen. Damit könnte sie dann durch den Schnee stapfen, als hätte sie ihr ganzes Leben nichts anderes gekannt. Eigentlich brauchte sie diese Stiefel schon jetzt, aber der Umzug hatte ihre Barschaft aufgebraucht, und die eingetrichterten Lehrsätze ihrer sparsamen Tante verboten es ihr, irgendetwas auf Kredit zu kaufen.

Woodrow miaute laut, als Mary die wärmsten und solidesten Schuhe anzog, die sie besaß. Die, die sie heimlich ihre “Gouvernantenschuhe” nannte. Sie kraulte dem Kater die Ohren, und er streckte sich genießerisch ihrer Hand entgegen. Mary hatte Woodrow zusammen mit dem Haus übernommen, das die Schulverwaltung ihr zur Verfügung gestellt hatte. Der Kater wie auch das Haus machten nicht viel her. Mary hatte keine Ahnung, wie alt Woodrow war, aber er und das Haus sahen etwas verwahrlost aus. Bisher hatte Mary widerstanden, sich eine Katze anzuschaffen. Für sie schien es wie die endgültige Besiegelung eines Lebens als ältliche Jungfer. Aber nun hatte das Schicksal sie eingeholt. Sie war eine alte Jungfer. Sie hatte eine Katze, und sie trug Gouvernantenschuhe. Das Bild war komplett.

Der Blick in den Spiegel, um zu überprüfen, ob ihr Knoten auch ordentlich saß, entlockte ihr einen schweren Seufzer. Vernünftige Schuhe und Katzen passten zu ihrem Stil, zu dem blassen Teint und dem unauffälligen Allerweltsgesicht. Eine graue Maus – die treffende Beschreibung. Mary Elizabeth Potter war geboren worden, um als alte Jungfer zu enden.

Nun, es hatte keinen Sinn, es noch länger hinauszuschieben, wärmer würde es erst im Frühjahr werden. Mary wappnete sich gegen die Kälte, die ihr entgegenschlagen würde, wenn ihr Körper immer noch auf die angenehmen Temperaturen in Savannah eingestellt war.

Sie hatte ihr kleines Dorf in Georgia verlassen, um sich der Herausforderung einer neuen Schule in einem ebenso kleinen Ort in Wyoming zu stellen. Wie sie sich still eingestand, war es auch ein kleines bisschen die Lust auf Abenteuer gewesen, die Aufregung, die ein neues Leben mit sich bringen würde, die Mary dazu veranlasst hatte. Obwohl sie das niemals offen zugeben würde. Eine Fehleinschätzung war ihr dabei allerdings unterlaufen: Ja, sie war auf Schnee vorbereitet gewesen, aber nicht auf so niedrige Temperaturen. Kein Wunder, dass es hier so wenige Schüler gibt, dachte sie, als sie die Haustür aufzog und ihr schneidender Wind ins Gesicht blies. Es ist zu kalt für die Erwachsenen, um sich jemals so weit auszuziehen, als dass sie etwas tun könnten, was für Nachwuchs sorgen könnte!

Ihre vernünftigen Schuhe versanken im Schnee, als sie zu ihrem soliden zweitürigen Chevrolet ging, auf den sie gewissenhaft sofort nach ihrer Ankunft Winterreifen hatte ziehen lassen. Laut Wetterbericht würden die Tageshöchsttemperaturen an diesem Samstag sieben Grad minus erreichen. Mit einem weiteren Seufzer gedachte Mary des Wetters, das sie in Savannah zurückgelassen hatte. Es war März, und dort würde der Frühling längst Einzug gehalten haben, mit zartem Grün und Frühlingsblühern in üppigen Farben.

Doch Wyoming war auf eine majestätische Art schön. Vor der Kulisse der Gebirgskette wirkten die Städte der Menschen wie Zwergensiedlungen. Man hatte Mary erzählt, dass ein Teppich von wilden Blumen die Weiden überziehen würde, wenn der Frühling erst kam, und dass von den kristallklaren Bächen dann ein ganz eigenes Lied durch die Lüfte klingen würde. Wyoming war anders als Savannah, und Mary kam sich wie eine umgepflanzte Magnolie vor, die sich noch nicht an den neuen Standort gewöhnt hatte.

Ihre Fragen nach der Wegbeschreibung zur Mackenzie-Ranch hatte man nur unwillig und ausweichend beantwortet. Es verwunderte sie, denn sie hatte die Einwohner des kleinen Städtchens bisher als hilfsbereite und liebenswürdige Menschen kennengelernt. Der direkteste Kommentar war von Mr Hearst gekommen, dem Eigentümer des kleinen Kaufhauses und Lebensmittelladens. “Die Mackenzies haben Ihre Fürsorge nicht verdient”, hatte er gemurmelt.

Jedes Kind hatte ihre Fürsorge verdient. Sie war Lehrerin, und sie beabsichtigte zu lehren.

Als Mary jetzt in ihren Wagen stieg, schaute sie zu dem Berg hinauf. Mackenzie’s Mountain, so wurde er genannt. Sie sah die schmale Straße, die sich den Berg hinaufschlängelte, und verzog das Gesicht. Winterreifen oder nicht, sie war keine sehr erfahrene Fahrerin. Nicht in unbekanntem Gebiet, und Schnee … Schnee war nun mal unbekanntes Gebiet. Doch auch der Schnee würde sie nicht von ihrem einmal gefassten Entschluss abbringen können.

Sie zitterte so sehr, dass sie kaum den Schlüssel ins Zündschloss stecken konnte. Es war so kalt! Nase und Lungen taten schon weh von der eisigen Luft. Vielleicht sollte sie auf bessere Wetterbedingungen warten, bevor sie diese Fahrt antrat. Mary schaute noch einmal zu dem Berg. Im Juni wäre der Schnee bestimmt geschmolzen. Aber im Juni wäre Joe Mackenzie vielleicht schon zu lange aus der Schule, um das Versäumte noch aufholen zu wollen. Für den Jungen wäre es dann zu spät.

Mary hatte sich angewöhnt, sich selbst laut Mut zuzusprechen, wenn sie vor schwierigen Situationen stand. In diese Angewohnheit verfiel sie auch jetzt, als sie langsam anfuhr. “Es ist bestimmt nicht so steil, wie es von hier aussieht. Aus der Entfernung sehen alle Bergstraßen steil aus, aber die Straße muss befahrbar sein, sonst könnten die Mackenzies sie ja auch nicht benutzen. Und wenn sie das schaffen, dann schaffe ich das auch.”

Die Entschlossenheit trieb sie voran. Als sie bei der Bergstraße ankam, umklammerten ihre Finger das Lenkrad fester. Den Blick hielt sie starr geradeaus gerichtet. Zu wissen, wie tief es neben ihr den Abgrund hinunterging, würde ihr nichts nützen.

“Ich werde nicht abrutschen”, murmelte sie. “Ich fahre so langsam, dass ich gar nicht die Kontrolle über den Wagen verlieren kann. Das ist wie beim Riesenrad. Da hatte ich auch Angst, ich würde herausfallen. Bin ich aber nicht.” Sie hatte nur ein einziges Mal eine Fahrt mit einem Riesenrad gemacht, da war sie neun gewesen. Und niemand hatte sie je dazu überreden können, es noch einmal zu versuchen. Karussells hatten ihr mehr zugesagt.

“Die Mackenzies haben bestimmt nichts dagegen, wenn ich mit ihrem Sohn rede”, versuchte sie sich von der Fahrt abzulenken. “Vielleicht hatte er Probleme mit einem Mädchen und wollte deshalb von der Schule nichts mehr wissen. In seinem Alter ist so etwas längst wieder vergessen.”

Die Fahrt war gar nicht so schlimm, wie sie erwartet hatte. Mary atmete etwas ruhiger. Es war eine sanfte Steigung, und sicherlich hatte sie ihr Ziel auch bald erreicht. So hoch war der Berg nun auch wieder nicht.

Mary konzentrierte sich so sehr auf die Straße, dass sie das rote Licht nicht bemerkte, das auf dem Armaturenbrett aufleuchtete. Nichts warnte sie, bis plötzlich dichter Dampf unter der Motorhaube hervorquoll. Die eisige Luft ließ den Nebel in Sekundenschnelle zu Eiskristallen auf der Windschutzscheibe gefrieren. Instinktiv trat Mary auf die Bremse und fluchte verhalten, als der Wagen prompt zu schlingern begann. Nur schnell den Fuß vom Bremspedal! Die Reifen griffen wieder, aber Mary konnte absolut nichts sehen. Nur hoffen, dass sie auf der Straße blieb, bis die Schwerkraft der Steigung den Chevrolet von allein zum Stehen brachte.

Der Wagen zischte wie ein Drachen, als er endlich ausrollte. Mit zitternden Fingern stellte Mary den Motor ab und stieg aus. Der schneidende Wind schlug ihr ins Gesicht wie eine Peitsche. Nur mit Anstrengung öffnete Mary die Motorhaube, um nachzusehen, was passiert war. Sie wollte wissen, was mit dem Wagen nicht stimmte, auch wenn sie es nicht reparieren konnte. Man musste kein Automechaniker sein, um den Schaden zu erkennen: Ein Schlauch war geplatzt, und heißes Wasser spritzte dampfend in den Motorraum.

Jäh wurde ihr die prekäre Lage klar. Im Auto konnte sie nicht sitzen bleiben, weil sie den Motor nicht laufen lassen konnte, damit die Heizung funktionierte. Die Straße gehörte zum Privatgrundstück, und die Mackenzies würden heute vielleicht gar nicht mehr hier vorbeikommen. Vielleicht das ganze Wochenende über nicht. Um zu ihrem eigenen Haus zurückzulaufen, war es zu weit und viel zu kalt. Sie konnte sich nur auf den Weg zu der Mackenzie-Ranch machen und darauf hoffen, dass es nicht mehr allzu weit war. Ihre Füße waren jetzt schon taub vor Kälte.

Mary begann zu laufen. Ihr Wagen war nicht mehr zu sehen, als sie um die nächste Biegung ging. Aber auch kein Haus, nicht einmal eine Scheune. Mary fühlte sich unendlich einsam und allein. Als hätte man sie im Nirgendwo ausgesetzt. Es gab nur noch den Berg, den Schnee, den weiten Himmel und sie selbst. Die Stille schmerzte regelrecht, ebenso wie ihre Füße, die sie schon jetzt durch den Schnee schleifte, anstatt sie anzuheben. Dabei war sie kaum zweihundert Meter weit gekommen.

Das satte Röhren eines starken Automotors ließ sie vor Erleichterung stehen bleiben und trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie blinzelte sie zurück. Erstens grauste ihr davor, in der Öffentlichkeit zu weinen, und zweitens erschienen Tränen ihr jetzt völlig unsinnig. Sie war noch nicht einmal fünfzehn Minuten unterwegs und war nicht eine Sekunde in wirklicher Gefahr gewesen. Es lag alles nur an ihrer überreizten Fantasie, wie immer.

Ein kompakter schwarzer Pick-up mit übergroßen Reifen kam in Sicht. Mary spürte den Blick des Fahrers auf sich, und beschämt senkte sie den Kopf. Ältliche Lehrerinnen waren nicht daran gewöhnt, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Außerdem kam sie sich wie eine komplette Närrin vor. Es musste ja so aussehen, als sei sie zu einem Spaziergang im Schnee aufgebrochen.

Der Truck hielt neben ihr an, ein Mann stieg aus. Er war groß, und instinktiv missfiel Mary das. Sie mochte es nicht, wenn große Männer zu ihr herunterblickten, noch weniger mochte sie es, wenn sie aus rein körperlicher Notwendigkeit zu großen Männern aufblicken musste. Ob groß oder nicht, er war ihr Retter. Sie rang die behandschuhten Finger und wusste nicht, was sie sagen sollte. Wie bat man um Rettung? In ihrem ganzen Leben war sie noch nie per Anhalter gefahren, für eine ehrbare und gesittete Lehrerin schien das einfach ungebührlich.

Wolf starrte auf die Frau und fragte sich, wer verrückt genug war, bei dieser Kälte und in diesem Aufzug draußen herumzulaufen. Und was hatte sie überhaupt auf seinem Berg zu suchen?

Plötzlich fiel ihm ein, wer sie war. Er hatte zufällig eine Unterhaltung in der Futtermittelhandlung über die neue Lehrerin aus dem Süden mit angehört. Diese Frau verkörperte das Klischee einer Lehrerin, und für einen Winter in Wyoming war sie mit Sicherheit falsch angezogen. Blaues Kleid unter braunem Mantel, hellbraune Strähnen, die unter dem Schal, den sie sich um den Kopf geschlungen hatte, hervorlugten, eine Hornbrille, so groß, dass ihr Gesicht dahinter fast völlig verschwand. Kein Make-up, nicht einmal Lippenbalsam zum Schutz gegen die Kälte.

Und keine Stiefel. Der Schnee klebte ihr bis zu den Knien hinauf.

In zwei Sekunden hatte er sie von oben bis unten gemustert. Er wartete erst gar nicht auf eine Erklärung, was sie hier auf seinem Berg tat. Hier stehen lassen konnte er sie nicht. Da sie bisher keinen Ton herausgebracht hatte, sagte er auch nichts.

Er beugte sich vor, legte einen Arm unter ihre Knie, den anderen an ihren Rücken und hob sie hoch, ohne auf ihr Luftschnappen zu achten. Während er mit ihr zu seinem Truck ging, überlegte er, dass sie nicht viel mehr als ein Kind wog. Er sah noch das erstaunte Aufflackern der blauen Augen hinter den Brillengläsern, dann schlang sie die Arme um seinen Nacken und klammerte sich fest an ihn, als hätte sie Angst, fallen gelassen zu werden.

Er setzte sie auf den Beifahrersitz und rieb ihr den Schnee von Beinen und Schuhen, so gut es ging. Wieder schnappte sie nach Luft, aber er ignorierte es und sah nicht auf, klopfte sich nur den Schnee von der eigenen Jacke und ging um den Wagen herum, um hinters Steuer zu gleiten.

“Wie lange laufen Sie schon da draußen herum?”

Mary zuckte zusammen. Sie hatte nicht erwartet, dass seine Stimme so tief sein würde. Ihre Brille war von der Wärme im Truck beschlagen, und sie riss sie sich hastig herunter. “Ich … nicht lange … vielleicht fünfzehn Minuten. Mir ist ein Wasserschlauch geplatzt … ich meine, der in meinem Auto.”

Wolf betrachtete sie von der Seite. Ihre Wangen nahmen langsam wieder Farbe an. Gut. Sicherlich auch vor Verlegenheit, wie er an dem gesenkten Kopf und den nervös im Schoß gefalteten Fingern erkennen konnte. Glaubte sie etwa, er würde sie auf den Rücken werfen und sich über sie hermachen? Schließlich war er ein geächteter Indianer und zu allem fähig. Auf der anderen Seite … so wie sie aussah, wäre das wahrscheinlich das Aufregendste, das ihr je passieren würde.

Sie waren nicht weit vom Haus entfernt und erreichten es in wenigen Minuten. Wolf parkte den Pick-up am Hintereingang zur Küche und stieg aus. Er kam bei der Beifahrertür an, als die Frau gerade vom Sitz schlüpfen wollte. “Vergessen Sie’s”, sagte er und hob sie wieder auf die Arme. Durch die Bewegung war ihr Kleid hochgerutscht, hastig zerrte sie es nach unten, doch er hatte bereits einen Blick auf wohlgeformte Beine erhascht, und das Rot auf ihren Wangen wurde intensiver.

Die Wärme im Haus hüllte sie ein. Mary war viel zu erleichtert, um bewusst zu merken, dass er einen Stuhl hervorzog und sie darauf niederdrückte. Ohne ein Wort ging er zum Spülbecken und füllte eine Schüssel mit warmem Wasser.

Nun, sie hatte ihren Zielort erreicht, vielleicht nicht ganz auf die Art, wie sie es geplant hatte, aber wenn sie schon hier war, konnte sie auch den Grund ihres Besuchs ansprechen. “Ich bin Mary Potter, die neue Lehrerin.”

“Ich weiß.”

Sie riss erstaunt die Augen auf. “Woher?”

“Hier gibt es nicht viele Fremde.”

Ihr wurde plötzlich klar, dass er sich immer noch nicht vorgestellt hatte. “Sind Sie … Mr Mackenzie?”

Er sah über die Schulter zu ihr, und ihr fiel auf, dass seine Augen schwarz wie die Nacht waren. “Ich bin Wolf Mackenzie.”

Etwas anderes erregte sofort ihr Interesse. “Sie wissen, dass Ihr Name ungewöhnlich ist. Ein sehr alter englischer …”

“Nein.” Mit der Wasserschüssel in den Händen kam er zu ihr. “Es ist ein indianischer Name.”

Sie blinzelte. “Indianisch?” Sie kam sich schrecklich dumm vor. Das hätte sie sich denken sollen, bei seinem schwarzen Haar, den schwarzen Augen und der bronzefarbenen Haut. Aber die meisten Männer in Ruth hatten wettergegerbte Gesichter, und sie hatte angenommen, er sei eben ein dunklerer Typ. Dann runzelte sie die Stirn. “Mackenzie ist aber kein indianischer Name.”

“Schottisch.”

“Oh, dann sind Sie also ein Halbblut?”

Sie stellte diese Frage mit einer Arglosigkeit, als hätte sie sich nach dem Weg erkundigt. Wolf biss die Zähne zusammen. “Genau”, murmelte er. Der interessiert-gezierte Ausdruck auf ihrem Gesicht reizte ihn, sie gründlich zu schockieren. Aber dann sah er das Zittern, das ihren Körper durchlief, und schob seinen Ärger erst einmal beiseite. Die ungelenke Art, wie sie da draußen die Füße voreinandergesetzt hatte, sagte ihm, dass sie sich im ersten Stadium der Unterkühlung befand. Er schüttelte sich die schwere Jacke von den Schultern und setzte Kaffee auf.

Mary sah ihm schweigend zu. Er war wohl kein sehr gesprächiger Zeitgenosse. Aber das würde sie nicht aufhalten. Ihr war wirklich kalt, und wenn sie erst eine Tasse Kaffee in Händen hielt, würde sie erneut ansetzen. Sie sah zu ihm auf, als er zu ihr zurückkam, ihr wortlos den Schal vom Kopf wickelte und sich daranmachte, ihren Mantel aufzuknöpfen.

“Das kann ich allein”, wehrte sie empört ab, aber ihre Finger waren zu klamm, um mit den Knöpfen zurechtzukommen, die kleinste Bewegung schmerzte. Er ließ sie eine Zeit lang gewähren, dann schob er ihre Hände fort und beendete die Arbeit.

“Warum ziehen Sie mir den Mantel aus, wenn mir so kalt ist?”, fragte sie verwirrt.

“Damit ich Ihre Arme und Beine abreiben kann.” Er ging vor ihr in die Hocke und zog ihr auch noch die Schuhe aus.

Die Vorstellung, dass jemand sie berührte, war ihr so fremd wie der Schnee. Sie war nicht daran gewöhnt, und sie hatte auch nicht vor, sich daran zu gewöhnen. Das wollte sie ihn gerade wissen lassen, als sie seine Hände unter ihrem Kleid auf ihrer Hüfte fühlte. Mit einem leisen Aufschrei zuckte sie zurück und wäre fast mit dem Stuhl hintenübergefallen.

“Keine Sorge”, gab er scharf zurück. “Heute ist Samstag. Ich vergewaltige nur an Dienstagen und Donnerstagen.” Er spielte mit dem Gedanken, sie hinaus und zurück in den Schnee zu schicken. Aber er konnte keine Frau zu Tode frieren lassen, nicht einmal eine weiße Frau, die offensichtlich der Auffassung war, dass seine Berührung sie vergiften würde.

Marys Gesicht schien nur noch aus Augen zu bestehen. “Was stimmt denn nicht mit Samstagen?”, rutschte es ihr heraus, und im gleichen Moment wurde ihr klar, dass diese Frage praktisch einer Aufforderung gleichkam. Du liebe Güte! Sie schlug die Hände vors Gesicht, als ihr das Blut in die Wangen schoss. Die Kälte musste ihr den Verstand eingefroren haben, anders war es nicht zu erklären.

Wolfs Kopf ruckte hoch. Er konnte nicht glauben, was sie da eben gesagt hatte. Große blaue Augen starrten ihn entsetzt über schwarzen Lederhandschuhen an, welche fast das ganze Gesicht bedeckten, denen es aber nicht gelang, das flammende Rot zu verdecken. Es war so lange her, dass er jemanden hatte rot werden sehen, dass es einen Augenblick dauerte, bevor es ihm bewusst wurde. Sie war also auch noch prüde! Das vervollständigte das Bild von der verklemmten Lehrerin, das sie verkörperte. Belustigung milderte seinen Ärger. Wahrscheinlich war das eben der Höhepunkt ihres Lebens gewesen. “Ich ziehe Ihnen die Strumpfhose aus, damit Sie Ihre Füße in das warme Wasser stellen können.”

“Oh!” Das “Oh” klang erstickt, weil sie immer noch die Hände vor das Gesicht hielt.

Und seine Arme steckten immer noch unter ihrem Kleid, seine Finger umfassten ihre Hüften. Verklemmt oder nicht, sie war weich wie eine Frau und duftete wie eine Frau. Sein Pulsschlag erhöhte sich, als sein Körper automatisch auf die Nähe reagierte. Verflucht, sein Verlangen musste größer sein, als er gedacht hatte, wenn er jetzt schon auf eine unscheinbare kleine Lehrerin ansprang.

Mary saß stocksteif, als er sie mit einem Arm leicht anhob, um ihr die Strumpfhose von den Beinen ziehen zu können, und starrte auf sein glänzendes schwarzes Haar hinunter. Wenn er jetzt den Kopf drehte, würde sein Gesicht ihre Brüste streifen. Sie hatte mal irgendwo gelesen, dass erwachsene Männer an den Brüsten von Frauen sogen wie Babys. Damals hatte sie sich gefragt, warum sie das machten. Jetzt allerdings raubte ihr allein der Gedanke den Atem. Seine von harter Arbeit rauen Hände streiften die weiche Haut ihrer Schenkel, sie fühlte eine seltsame Hitze in sich aufwallen, und ihr war leicht schwindlig.

Wolf sah sie nicht an, als er die völlig unzureichende Nylonstrumpfhose beiseitewarf, dann Marys Füße nahm und sie langsam in die Schüssel stellte. Er hatte darauf geachtet, dass das Wasser nur handwarm war, aber ihre Füße waren so verfroren, dass auch diese Temperatur ihr wehtun würde. Sie rang nach Atem; als er aufschaute, glänzten Tränen in ihren Augen, aber sie protestierte mit keinem Wort.

“Der Schmerz vergeht gleich”, versicherte er. Er hockte sich so vor sie, dass er mit seinen Schenkeln ihre bloßen Beine zusammenpresste, und zog ihr vorsichtig die Handschuhe von den Fingern. Ihre feinen weißen Hände überraschten ihn. Er hielt sie zwischen seinen Handflächen, dann traf er kurz entschlossen eine Entscheidung, knöpfte sein Hemd auf und steckte ihre Hände unter seine Achseln. “Das wird Ihre Finger aufwärmen.”

Mary war wie erstarrt. Sie konnte nicht fassen, dass ihre Hände wirklich unter den Achselhöhlen eines Mannes steckten. Zwar berührte sie seine Haut nicht, er trug ein T-Shirt, aber so nahe war sie einem anderen Menschen noch nie gewesen. Noch nie so … so gefangen von dem Körper eines anderen Menschen, geschweige denn eines Mannes.

Jetzt rieb er ihr auch noch kräftig über Arme und Schultern. Ihr entfuhr ein erstickter Laut. Nein, das konnte einfach nicht passieren. Nicht Mary Elizabeth Potter, ihres Zeichens ältliche Lehrerin!

Wolf war auf seine Aufgabe konzentriert, aber als er diesen Laut hörte, schaute er auf in ihre weit aufgerissenen Augen. Ein ungewöhnliches Blau, nicht wie Kornblumen, da war auch noch ein Hauch Grau. Wie Schiefer, dachte er. Ja, Schieferblau, das war es. Ihm fiel auf, dass ihr Haar sich aus dem Knoten gelöst hatte und nun einzelne hellbraune, seidige Strähnen ihr Gesicht umrahmten. Ihre Haut war so zart, dass sie fast durchsichtig schimmerte, er konnte die feinen blauen Äderchen an ihren Schläfen erkennen. Nur die ganz Jungen sollten eine solche Haut haben. Er fragte sich, ob sie überall solche Haut hatte, an ihren Brüsten, ihrem Bauch, ihren Schenkeln. Der Gedanke sandte einen elektrischen Stoß durch seinen Körper, eine Art Kurzschluss seines Systems. Verdammt, sie roch gut – und würde wahrscheinlich wie von allen Teufeln gehetzt aus dem Stuhl aufspringen, sollte er seinem Impuls nachgeben und sein Gesicht zwischen ihren Schenkeln bergen.

Mary fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, blind dafür, dass Wolf der Bewegung gebannt folgte. Sie sollte etwas sagen, aber sie wusste nicht, was. Sie sollte sich daran erinnern, warum sie hergekommen war, anstatt sich verwirren zu lassen von der Nähe eines gut aussehenden und – auf eine raue Art – sehr männlichen Mannes. Sie leckte sich noch einmal über die Lippen und räusperte sich. “Ich … ich wollte mit Joe sprechen, wenn Sie nichts dagegen haben.”

Seine Miene veränderte sich nicht, trotzdem hatte Mary das Gefühl, dass er in Abwehrstellung ging.

“Joe ist nicht hier. Er erledigt seine Pflichten.”

“Ich verstehe. Wann kommt er zurück?”

“In einer, vielleicht zwei Stunden.”

Sie sah ihn ungläubig an. “Sind Sie Joes Vater?”

“Ja.”

“Und seine Mutter ist …?”

“Tot.”

Das einzelne Wort schockierte sie, und doch verspürte sie zur gleichen Zeit Erleichterung, was sie erschreckte. “Wie denken Sie darüber, dass Joe von der Schule abgegangen ist?”

“Es war seine Entscheidung.”

“Aber er ist doch erst sechzehn, noch ein Junge!”

“Er ist Indianer. Er ist ein Mann.”

Entrüstung mischte sich mit Frustration und ließ Mary ruckartig ihre Hände unter seinen Achseln hervorziehen und in die Hüften stemmen. “Das hat doch überhaupt nichts damit zu tun! Er ist sechzehn, und er braucht eine anständige Ausbildung!”

“Er kann lesen, schreiben und rechnen. Er weiß alles über Pferde und darüber, wie man eine Ranch führt. Er wollte mit der Schule aufhören und hier auf der Ranch arbeiten. Es ist meine Ranch, und es ist mein Berg. Eines Tages wird der Berg ihm gehören. Er hat sich entschieden, was er mit seinem Leben machen will. Und er will Pferde züchten.” Ihm gefiel es nicht, seine und Joes persönliche Angelegenheiten dieser kleinen Lehrerin zu erklären. Aber etwas an ihrer empörten Art brachte ihn dazu. Ihr schien nicht klar zu sein, dass er Indianer war. Natürlich, sie hatte diese Information mit dem Verstand erfasst, aber sie hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Besonders in Bezug auf Wolf Mackenzie, von dem die Leute sich abwandten.

“Ich möchte trotzdem mit ihm sprechen”, beharrte sie starrsinnig.

“Das liegt bei ihm. Vielleicht ist er bereit, mit Ihnen zu reden, vielleicht nicht.”

“Sie werden keinerlei Einfluss auf ihn ausüben?”

“Nein.”

“Warum nicht? Sie hätten zumindest darauf bestehen sollen, dass er die Schule zu Ende macht.”

Wolf lehnte sich zu ihr vor, so weit, dass seine Nase fast ihre berührte. “Er ist Indianer, Lady. Möglicherweise wissen Sie nicht, was das bedeutet. Verflucht! Woher auch, Sie sind eine Anglo, eine Amerikanerin mit angelsächsischer Herkunft. Indianer sind nicht gern gesehen. Die Ausbildung, die er hat, hat er sich selbst erarbeitet, ohne Hilfe von irgendwelchen Anglo-Lehrern. Wenn man ihn nicht ignorierte, wurde er beleidigt. Warum sollte er dahin zurückgehen?”

Mary schluckte, alarmiert durch seine aggressive Art. Sie war nicht daran gewöhnt, dass Männer ihr direkt ins Gesicht starrten und fluchten. Sie war überhaupt nicht an Männer gewöhnt. Als sie noch jünger war, hatten die Jungen den unscheinbaren Bücherwurm gar nicht bemerkt, und als sie älter wurde, war es ihr genauso ergangen. Sie wurde bleich, aber sie glaubte so fest an die Vorteile einer guten Schulbildung, dass sie sich nicht einschüchtern ließ.

“Er war der Beste seiner Klasse. Wenn er das ohne die Hilfe von Lehrern geschafft hat, stellen Sie sich nur mal vor, was er mit deren Hilfe erreichen kann.”

Wolf richtete sich zu seiner vollen Größe auf. “Wie schon gesagt, es liegt bei ihm.”

Der Kaffee war längst fertig. Wolf wandte sich ab, um eine Tasse einzuschenken und reichte sie Mary. Schweigen breitete sich aus. Wolf lehnte am Küchenschrank und beobachtete, wie sie behutsam an ihrem Kaffee nippte. Zierlich, das war die Beschreibung, die auf sie passte. Winzig war sie nicht unbedingt, vielleicht eins fünfundsechzig, aber sie war graziös gebaut. Sein Blick glitt zu ihren Brüsten unter dem reizlosen blauen Kleid. Nicht groß, zeichneten sie sich fest und rund darunter ab. Er fragte sich, ob die Spitzen wohl rosig oder eher bräunlich waren, ob sie ihn bequem in sich aufnehmen könnte …

Abrupt befahl er sich, mit diesen erotischen Gedanken aufzuhören. Verflucht, diese Lektion sollte er doch längst gelernt haben! Weiße Frauen mochten mit ihm flirten, aber nur wenige würden sich mit einem Indianer einlassen. Diese verklemmte graue Maus in seinem Haus flirtete nicht einmal mit ihm, also warum fühlte er sich so zu ihr hingezogen? Vielleicht, gerade weil sie so verklemmt war. Er stellte sich vor, wie dieser zierliche Körper nackt und ausgestreckt auf den Laken aussehen würde …

Mary stellte die Tasse ab. “Danke. Mir ist schon viel wärmer. Der Kaffee hat geholfen.” Der Kaffee und wie Wolf sie überall abgerieben hatte. Aber das würde sie nicht laut sagen. Sie sah auf und stutzte. Etwas an ihm ließ ihr Herz schneller schlagen, auch wenn sie nicht wusste, warum. Schaute er tatsächlich auf ihren Busen?

“Ich glaube, ein paar von Joes alten Sachen müssten Ihnen passen.” Seine Stimme wie auch seine Miene waren völlig ausdruckslos.

“Ich brauche keine Kleidung. Ich meine, was ich habe, ist alles …”

“… nutzlos”, fiel er ihr ins Wort. “Wir sind hier in Wyoming, Lady, nicht in New Orleans oder woher Sie sonst kommen.”

“Savannah”, ließ sie ihn wissen.

Er stieß einen murrenden Laut aus, scheinbar seine bevorzugte Art, zu kommunizieren, und holte ein Handtuch aus einer Schublade. Damit ließ er sich vor ihr auf dem Boden nieder, hob ihre Füße einzeln aus dem Wasser und trocknete sie mit einer Zartheit ab, die in krassem Gegensatz zu seiner feindseligen Stimmung stand.

“Kommen Sie mit”, sagte er, als er sich erhob.

“Wohin?”

“Ins Schlafzimmer.”

Mary blieb abrupt stehen, und ein bitteres Lächeln zog über sein Gesicht. “Keine Angst”, meinte er scharf. “Ich kann meine Gelüste kontrollieren. Wenn Sie sich etwas Wärmeres übergezogen haben, verschwinden Sie von meinem Berg.”

2. KAPITEL

Mary richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und hob das Kinn. “Sie brauchen sich nicht über mich lustig zu machen, Mr Mackenzie.” Der ruhige Ton kostete sie Mühe. Sie wusste, dass Mutter Natur, was das Äußere anbelangte, sie nicht gerade großzügig bedacht hatte. Es bedurfte keiner Ironie, um sie daran zu erinnern. Normalerweise war sie auch nicht so empfindlich. Sie hatte ihre Unscheinbarkeit als gegeben akzeptiert, so wie den Sonnenaufgang im Osten. Aber Mr Mackenzie ließ sie sich seltsam verletzlich fühlen. Es tat weh, so offen gesagt zu bekommen, wie reizlos sie war.

Wolf zog die dunklen Augenbrauen zu einem Stirnrunzeln zusammen. “Ich mache mich keineswegs über Sie lustig, Lady. Es ist mir todernst. Ich will Sie von meinem Berg herunterhaben.”

“In diesem Falle werde ich natürlich gehen. Trotzdem war das unnötig.”

Jetzt stemmte er die Hände in die Hüften. “Wie soll ich mich denn angeblich lustig über Sie gemacht haben?”

Ein zarter Hauch Röte überzog ihre Wangen, aber der Blick aus den graublauen Augen blieb fest. “Ich weiß, dass ich keine attraktive Frau bin. Mit Sicherheit nicht der Typ Frau, der wilde Gelüste in einem Mann weckt.”

Sie meinte, was sie sagte. Noch vor zehn Minuten hätte er ihr zugestimmt. Sie war bestimmt keine Titelbildschönheit. Was ihn allerdings am meisten erstaunte, war die Tatsache, dass sie sich wirklich nicht darüber im Klaren war, was es hieß, dass er ein Indianer war. Oder auf was er mit seiner sarkastischen Bemerkung hatte anspielen wollen. Und dass die Nähe zu ihr ihn erregt hatte. Er lachte hart auf. Warum sollte er nicht noch ein bisschen mehr Aufregung in ihr Leben bringen? Wenn sie erst die ganze Wahrheit erfuhr, würde sie gar nicht schnell genug von seinem Berg verschwinden können.

“Weder habe ich gescherzt noch mich lustig gemacht.” Seine schwarzen Augen funkelten sie an. “Es hat mir gefallen, Sie so zu berühren. Ich war Ihnen so nah, dass ich Ihren Duft wahrnehmen konnte.”

Mit leerem Blick starrte sie ihn an. “Ihnen gefallen?”

“Ja.” Sie sah ihn an, als spräche er eine andere Sprache. Ungeduldig ergänzte er: “Mich heißgemacht, mich erregt. Wie immer Sie es ausdrücken wollen.”

Sie strich sich eine lose Strähne hinters Ohr. “Sie amüsieren sich schon wieder über mich”, warf sie ihm vor. Das war unmöglich. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch keinen Mann … erregt.

Er war bereits verärgert – und das Verlangen war auch noch da. Im Umgang mit Anglos hatte er eiserne Beherrschung gelernt, aber etwas an dieser kleinen Lehrerin ging ihm unter die Haut. Er hatte nicht vorgehabt, sie zu berühren, aber plötzlich lagen seine Hände an ihrer Taille, und er zog sie zu sich heran. “Vielleicht brauchen Sie eine Demonstration”, sagte er rau, und dann beugte er den Kopf und presste seine Lippen auf ihre.

Mary begann vor Schock zu zittern, die Augen weit aufgerissen. Er hatte seine Augen geschlossen. Sie konnte seine Wimpern sehen. Verwundert fiel ihr auf, wie dicht diese standen. Er zog sie eng an seinen muskulösen Körper, und sie schnappte nach Luft. Eine Geste, die er zu seinem Vorteil nutzte, um die warme Höhle ihres Mundes mit seiner Zunge zu erkunden. Mary erschauerte. Ihre Lider senkten sich wie aus eigenem Willen, als tief in ihr ein warmer Rhythmus zu pulsieren begann. Dieses angenehme Gefühl war so fremd und gleichzeitig so intensiv, dass es ihr Angst machte. Eine Flutwelle von unbekannten Empfindungen schwappte über sie, sie spürte seine festen Lippen, seine lockende Zunge, seinen warmen Körper, seinen Duft, ihre Brüste an seiner harten Brust.

Jäh löste er sich von ihr, und die Enttäuschung ließ sie die Lider abrupt öffnen. Sein Blick brannte sich in ihre Augen. “Küss mich zurück”, verlangte er heiser.

“Ich weiß nicht, wie”, sprudelte es aus ihr heraus, einfach, weil sie immer noch nicht glauben konnte, was hier geschah.

Seine Stimme klang heiser. “So.” Wieder nahm er ihren Mund in Besitz, und dieses Mal öffnete sie ihre Lippen für ihn sofort, begrüßte seine Zunge und ließ sich von ihm zeigen, wie sie das Vergnügen verstärken konnte. Ihre Erwiderung kam scheu, schüchtern und unsicher, doch sie kam. Mary war zu unerfahren, um zu wissen, was ihre Zustimmung auslöste, doch sie hörte seinen Atem schneller gehen, und er vertiefte den Kuss, verlangte mehr von ihr.

Etwas in ihr kam zum Vorschein, das weit über Vergnügen hinausging. Es war ein schmerzhaftes Sehnen, ein Verlangen. Ihr war nicht mehr kalt, sie hatte das Gefühl, von innen heraus zu brennen, und ihr Herz schlug einen wilden Rhythmus gegen ihre Rippen. Das hatte er also damit gemeint, dass sie ihn heißgemacht habe. Er hatte die gleichen Empfindungen gespürt, dieses rastlose Fieber, diese unglaubliche Sinnenlust.

Sie hatte nicht gewusst, dass es so sein konnte. Dass die Hitze sie sogar die strenge Warnung der Tante vor Männern und den abscheulichen Dingen, die Männer mit Frauen anstellten, vergessen lassen konnte. Vernunftbetont hatte Mary bereits seit Langem für sich entschieden, dass diese Dinge nicht so abscheulich sein konnten, denn sonst würde schließlich keine Frau mit einem Mann zusammen sein. Doch sie hatte nie geflirtet oder einen Freund gehabt. Die Männer, die sie an der Universität und bei der Arbeit getroffen hatte, schienen alle normal zu sein, keine geifernden Sexbesessenen. Sie fühlte sich in der Gesellschaft von Männern nicht unwohl, einige bezeichnete sie sogar als Freunde. Es war einfach nur so, dass sie nicht sexy war. Kein Mann hatte sie je nach ihrer Telefonnummer gefragt, geschweige denn Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um eine Verabredung mit ihr zu ergattern.

Deshalb war sie nicht darauf vorbereitet, so fest von Wolf Mackenzie gehalten zu werden. Nicht auf seine gierigen Küsse, nicht auf den Beweis seiner Erregung, den sie an ihrem Schoß spürte. Dennoch schlang sie instinktiv die Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn. Ihr Körper schien in Flammen zu stehen, und sie hatte keinerlei Erfahrung, wie man es kontrollierte.

Wolf hob jäh den Kopf und biss die Zähne zusammen, als er um Beherrschung rang. Seine dunklen Augen glänzten, während er Marys Gesicht betrachtete. Ihre Lippen waren von seinen Küssen rosig und geschwollen, ihr Blick verhangen. Ihr hellbraunes Haar hatte sich vollständig aus dem Knoten gelöst und fiel ihr in seidigen Strähnen um die Wangen. Sie sah aus, als hätte er wesentlich mehr mit ihr angestellt, als sie nur zu küssen, und in Gedanken hatte er das auch. Sie war leicht und zerbrechlich in seinen Armen, aber sie rieb sich mit einem Fieber an ihm, das dem seinen in nichts nachstand.

Er könnte sie jetzt in sein Bett nehmen, sie würde zustimmen, er wusste es. Doch ihre Unerfahrenheit war offensichtlich, er hatte ihr sogar beibringen müssen, wie man küsste …

Dieser Gedanke ließ ihn innehalten, als ihm das Ausmaß ihrer Unerfahrenheit bewusst wurde. Als wäre er gegen eine Wand gerannt. Verdammt, sie war noch Jungfrau!

Er musste sich räuspern. “Herr im Himmel, Lady, das wäre fast außer Kontrolle geraten.”

Langsam, weil er sie nicht loslassen wollte und doch wusste, dass er es musste, ließ er sie an sich hinuntergleiten, bis ihre Füße wieder den Boden berührten. Die Verwicklungen waren ihr gar nicht klar. Ihm schon. Er war Wolf Mackenzie, ein Halbblut, und sie eine weiße Lehrerin. Die braven Bürger von Ruth würden nicht tatenlos zusehen, wie sie sich mit ihm einließ. Schließlich standen die Kinder unter ihrer Obhut, sie hatte Einfluss auf den noch biegsamen jungen Geist. Niemand würde erlauben, dass seine Tochter von einer Frau unterrichtet wurde, die sich auf ein heißes Techtelmechtel mit einem indianischen Vorbestraften einließ. Eine solche Frau könnte vielleicht sogar die Söhne verführen, das würden die Leute sagen.

Ihre Arme lagen immer noch um seinen Hals. Sie schien sich nicht bewegen zu können. So griff er ihre Handgelenkte und zog ihre Hände fort.

“Ich sollte wohl später noch mal wiederkommen.”

Eine unbekannte Stimme drang in Marys neu entdeckte Traumwelt ein, und mit hochroten Wangen sprang sie von Wolf zurück, um sich zu dem Neuankömmling umzudrehen. Ein großer dunkelhaariger Junge stand in der Küchentür.

“Sorry, Dad. Ich wollte nicht stören.”

Wolf trat einen Schritt zurück. “Bleib. Sie ist deinetwegen hier.”

Der Junge sah verdutzt drein. “Da wär ich nie draufgekommen.”

Wolf zuckte nur eine Schulter. “Das ist Miss Mary Potter, die neue Lehrerin. Miss Potter, mein Sohn Joe.”

Trotz ihrer Verlegenheit bemerkte sie, wie leicht es ihm fiel, sie “Miss Potter” zu nennen. Er war völlig ruhig und gelassen, als hätte die Intimität, die sie soeben geteilt hatten, ihn überhaupt nicht berührt, während jede Faser in ihr noch vibrierte. Sie wollte sich an ihn schmiegen und sich dem alles verzehrenden Feuer hingeben.

Stattdessen stand sie da, die Arme steif an den Seiten, mit brennendem Gesicht, und zwang sich dazu, Joe Mackenzie anzusehen. Er war der Grund, weshalb sie auf der Ranch war, sie würde sich nicht erlauben, das noch einmal zu vergessen.

Er glich seinem Vater. Obwohl Joe erst sechzehn Jahre alt war, war er bereits gut einen Meter achtzig groß. Er würde die Größe seines Vaters mit Leichtigkeit erreichen, ebenso wie die jungen Schultern bereits das Versprechen in sich trugen, ebenso breit zu werden. Sein Gesicht wirkte jung, wies aber dieselben markanten, stolzen Züge auf wie das seines Vaters. Er wirkte beherrscht, viel zu beherrscht für einen Sechzehnjährigen, und seine Augen waren seltsamerweise von einem strahlenden Blau. Etwas Ungezähmtes lag in diesen Augen, und auch eine Bitterkeit und ein Wissen, das ihn älter machte, sprach aus ihnen. Er war seines Vaters Sohn.

Sie würde ihn nicht aufgeben.

Mary streckte ihm die Hand hin. “Ich möchte mich mit dir unterhalten, Joe.”

Er behielt den distanzierten Gesichtsausdruck bei, aber er kam in die Küche hinein und schüttelte ihre Hand. “Ich wüsste nicht, worüber.”

“Du hast die Schule abgebrochen.” Mary atmete tief durch. “Darf ich fragen, aus welchem Grund?”

“Da gab es nichts für mich.”

Die ruhige, tonlose Feststellung frustrierte sie. Nichts an diesem ungewöhnlichen Jungen ließ irgendeine Unsicherheit erkennen. Wie Wolf gesagt hatte, der Junge hatte seine Entscheidung getroffen und beabsichtigte nicht, sie zu ändern. Sie suchte nach einem anderen Ansatz, als Wolfs tiefe Stimme ihre Gedanken unterbrach.

“Miss Potter, Sie können weiterreden, nachdem Sie ein paar vernünftige Sachen angezogen haben. Joe, hast du nicht noch ein Paar alte Jeans, die Miss Potter passen könnten?”

Der Junge musterte sie mit einem erstaunlich erfahrenen Blick. “Möglich. Die, die ich getragen habe, als ich zehn war.” Für einen Augenblick blitzte der Schalk in den blauen Augen auf, und Mary presste die Lippen zusammen. Was war nur mit den Mackenzie-Männern, dass sie meinten, ständig ihren Mangel an Attraktivität herausstellen zu müssen?

“Socken, T-Shirt, Stiefel und Jacke”, fügte Wolf der Liste hinzu. “Die Stiefel werden zu groß sein, aber mit zwei Paar Socken müsste es gehen.”

“Mr Mackenzie, wie schon gesagt, ich brauche wirklich keine zusätzlichen Sachen. Was ich anhabe, reicht völlig aus, bis ich nach Hause komme.”

“Nein. Die Höchsttemperaturen liegen heute bei zehn Grad minus. Sie werden dieses Haus nicht mit bloßen Beinen und diesen albernen Schuhen verlassen.”

Ihre vernünftigen Schuhe waren auf einmal albern? Sie wollte schon Protest erheben, doch dann erinnerte sie sich, wie ihr der Schnee in die Schuhe gedrungen war und ihre Zehen hatte gefrieren lassen. Was in Savannah vernünftig war, war erbärmlich unzureichend für den Winter in Wyoming.

“Nun gut”, gab sie nach, aber nur, weil es vernünftig war. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, Kleidungsstücke von Joe anzunehmen, selbst leihweise. Sie hatte noch nie die Kleidung anderer getragen, hatte auch nicht mit ihren Freundinnen Blusen oder Röcke getauscht. Tante Ardith hatte so etwas für eine Unsitte gehalten.

“Ich werde nach Ihrem Wagen sehen, während Sie sich umziehen.” Ohne sie eines Blickes zu würdigen, zog Wolf seine Jacke über und verließ das Haus.

“Hier entlang.” Joe bedeutete ihr, ihm zu folgen. Er sah über die Schulter zu ihr zurück. “Was ist denn mit Ihrem Wagen?”

“Ein Wasserschlauch ist geplatzt.”

“Wo steht das Auto?”

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