Ein Goldfisch räumt auf

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Einst schwamm sie wie ein Goldfisch im Luxus. Jetzt bleiben Parker nur ein Stapel Umzugskartons und eine Pythonschlange namens Apollo von ihrem süßen Leben. Wie gut, dass sie noch das Häuschen von Tante Julia in Gideon’s Cove hat. Das sich bei ihrer Ankunft leider als vollkommene Bruchbude herausstellt - aber immerhin mit umwerfender Aussicht auf den Atlantik. Parkers Entschluss steht fest: Erst renovieren, dann verkaufen! Dumm nur, dass sie zwei linke Hände hat … und noch dazu kleine graue Nager als Untermieter. Da bleibt eigentlich keine Zeit für James Cahill, den arroganten Anwalt ihres Vaters, der ihr auf Schritt und Tritt folgt. Allerdings weiß James, wie man den Hammer schwingt - und außerdem ist er verboten attraktiv! Bald merkt Parker: Nicht nur bei Häusern lohnt oftmals ein Blick hinter die Fassade …


  • Erscheinungstag 12.05.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783956493225
  • Seitenanzahl 416
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kristan Higgins

Ein Goldfisch räumt auf

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Tess Martin

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Somebody To Love

Copyright © 2012 by Kristan Higgins

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Bettina Lahrs

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-322-5

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

 

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder
auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich
der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

DANKSAGUNG

Wie immer bin ich dankbar für die wunderbare Freundschaft und das unermessliche Engagement meiner Agentin Maria Carvainis, genauso wie für ihren unerschütterlichen Einsatz. Vielen, vielen Dank an mein fantastisches Team bei Harlequin: Keyren Gerlach, Tara Parsons, Margaret O’Neill Marbury und Michelle Renaud. Ich bedanke mich bei der außerordentlichen Marketing- und Digital-Gang, all den liebenswerten Vertriebsmitarbeitern und vor allem bei Donna Hayes, die es so aussehen lässt, als wäre es ein Kinderspiel, ein riesengroßes Unternehmen zu leiten – und dabei unglaubliche Schuhe trägt.

Viel Liebe und großen Dank an die unendlich talentierte Kim Castillo von Author’s Best Friend und an die brillante Sarah Burningham von Little Bird Publicity, die beide immer so fröhlich, hilfsbereit und freundlich sind!

Für ihren Einsatz bedanke ich mich bei Huntely Fitzpatrick, Shaunee Cole, Kelly Morse und Karen Pinco. Ihr alle seid witzig, klug und umwerfend. Außerdem bedanke ich mich bei der vergnügten Autorengruppe, besser bekannt als CTRWA, danke für eure Liebe und Unterstützung. Mein Dank auch an Jackie Decker, meine BBF (best buddy forever!) und Schwägerin (die Holy Rollers und Ark Angels waren ihre Ideen, beschweren Sie sich bei ihr!). Danke meiner Mom dafür, dass sie uns als Kindern so oft die Geschichte von Mickey the Fire Engine erzält hat … den Nervenkitzel habe ich nie vergessen! Ein dickes Dankeschön gilt meinem Schwager Brian Keenan, Esq., wegen seiner Hinweise zu rechtlichen Aspekten (für jeden Fehler bin ausschließlich ich verantwortlich).

Claire Shanahan Bacon hat Parkers Hund getauft (Beauty), dessen Persönlichkeit sich aus diesem Namen entwickelt hat. Maura Fehon war meine wunderbare und schwer arbeitende Sommerpraktikantin – danke, Liebes!

Ich bin sehr froh, so viele Autoren als Freunde zu haben, aber dieses Mal bedanke ich mich vor allem bei Robyn Carr, Susan Andersen, Jill Shalvis, Cindy Gerard, Joan Kayse und Elizabeth Hoyt. Mein besonderer Dank geht an Robyn, von der ich einen bestimmten anzüglichen Ausdruck geklaut habe, den Lavinia benutzt. Wenn Sie ihn lesen, wissen Sie, wovon ich spreche.

Ich bedanke mich bei meinen zwei wundervollen Kindern, die mit jedem Jahr noch entzückender werden, und bei meinem geduldigen Ehemann, der die Liebe meines Lebens ist, auch noch nach all diesen Jahren … vor allem nach all diesen Jahren.

Und bei Ihnen, liebe Leserinnen, für die Briefe und Nachrichten, die mir so viel Freude bereiten … ich danke Ihnen von ganzem Herzen.

1. KAPITEL

Und damit schnallten sich die sechs Holy Rollers – Golly, Polly und Molly, Ike, Mike und Spike – ihre magischen Rollschuhe zum letzten Mal ab. Ihre Aufgabe auf Erden war erledigt. Sie hatten sich ihre wunderschönen, glitzernden Engelsflügel verdient und durften nun für immer im Himmel bleiben … für immer und ewig. ENDE.“

Parker Harrington Welles unterdrückte ein Seufzen, klappte das Buch zu und versuchte angestrengt, die von ihr erfundenen Engel nicht im Geiste zu erwürgen – wobei sie genau das am liebsten getan hätte.

Töte uns nicht, Parker!, quietschten die heliumschrillen Stimmen in ihrem Kopf.

Ich kann euch nicht töten. Ihr seid unsterblich. Leider. Einer der vielen Nachteile dieser Serie war, dass die kleinen Nervensägen mit ihr sprachen. Ein weiterer, dass Parker ihnen antwortete.

Sieben oder acht kleine Finger schossen in die Luft.

„Bitte schreiben Sie noch mehr Holy-Rollers-Bücher, Miss Welles.“

Lieber würde ich in meinem eigenen Blut baden, Kindchen, dachte Parker. „Nein, Schätzchen, die Holy Rollers sind jetzt im Himmel“, entgegnete sie. „Das ist das letzte Buch der Serie. Aber ihr könnt sie diesen Sommer im Kino sehen, vergesst das nicht.“

Heute, im Kindergarten ihres Sohnes, wurde das offizielle Ende der Holy Rollers eingeläutet. Diese Serie war so kitschig und süß, dass Der kleine Kuschelhase dagegen wie ein Kapitel aus Sin City wirkte. Die Tatsache, dass Parker durch die Bücher – übersetzt in sechzehn Sprachen und mit unfassbar hohen Auflagen – in der Kinderbuchwelt einigermaßen berühmt geworden war, änderte nichts daran, dass die Autorin ihre eigenen Bücher hasste.

Hass ist so ein böses Wort!, sangen die Kinderengel im Chor. Wir hingegen lieben dich, Parker! Wirklich, sie waren wie die Trickfilmversion eines griechischen Chors. Ständig meldeten sie sich mit unerwünschten Ratschlägen zu Wort.

„Haben Sie auch Harry Potter geschrieben?“, lautete die nächste Frage von Nickys Freundin Caitlin.

„Nein, leider nicht, Schätzchen. Aber ich liebe diese Bücher, du auch?“

„Manchmal krieg ich auch die warmen Fluffis, genau wie die Holy Rollers“, sagte Mariah, und Parker wurde übel. Hatte sie sich wirklich diese bescheuerte Bezeichnung ausgedacht? War sie vielleicht betrunken gewesen?

„Bist du reich?“, wollte Henry Sloane wissen.

„Na ja“, antwortete Parker. „Wenn du wissen willst, ob ich als Autorin viel Geld verdiene, dann lautet die Antwort nein. Weil alle Einnahmen aus den Holy Rollers an einen Wohltätigkeitsverein namens Save the Children gehen.“

„Das ist für Kinder, die nicht genug zu essen haben“, erklärte Nicky stolz, und Parker lächelte ihrem Sohn zu. Das war das einzig Gute an der Kinderbuchserie. Parker brauchte kein Geld, deswegen hatte sie von Anfang an alle Einnahmen einem guten Zweck gespendet. Und das linderte den Brechreiz zumindest ein wenig.

„Aber du lebst in einer Villa“, stellte Will Michalski nachdrücklich fest. „Ich war schon mal da. Du hast neunundzwanzig Badezimmer.“

„Das stimmt allerdings“, gab sie unbehaglich zu.

„Eine Villa! Ein Schloss! Da möchte ich auch mal leben, wenn ich erwachsen bin!“

„Schreibst du ein anderes Buch?“, erkundigte sich Amelia.

Hervorragende Frage. So wenig Parker die Holy Rollers leiden konnte – eine neue Idee war ihr leider noch nicht gekommen. „Das hoffe ich.“

„Wovon handelt es?“

„Ähm, ich habe noch keine Ahnung. Aber ich werde es euch wissen lassen, einverstanden? Noch eine Frage? Ja, Ben.“

Nach einer weiteren halben Stunde, als die Fragen sich darauf beschränkten, zu erfahren, welche Farbe die Flügel von Golly hatten, meldete sich schließlich die Lehrerin zu Wort.

„Miss Welles muss jetzt langsam gehen, fürchte ich“, sagte sie. „Kinder, bedankt euch bei Nickys Mom.“

„Danke, Nickys Mom“, riefen die Kinder im Chor, dann stürmten sie zu ihr und umarmten ihre Beine – ihre Belohnung dafür, dass sie Die Holy Rollers verdienen sich ihren Heiligenschein laut vorgelesen hatte.

„Bleibe ich dieses Wochenende bei Daddy?“, fragte Nicky, als sie zusammen zum Auto gingen.

„Aber klar“, antwortete Parker und strich über das dunkle Haar ihres Sohnes. Ethans Wochenende war furchtbar schnell gekommen, wie sie fand. Sie gab ihrem Sohn einen Kuss, dann beugte sie sich vor, um ihn in seinem Kindersitz festzuschnallen.

„Das kann ich selber“, meinte Nicky.

„Richtig. Tut mir leid, Liebling.“ Sie nahm hinter dem Steuer Platz und startete den Motor.

Ein Wochenende ganz für sich allein. Parker versuchte, nicht zu seufzen. Die Holy Rollers waren zwar anfangs als Parodie gedacht gewesen, klar, aber zumindest hatte sie sich damit die letzten sechs Jahre beschäftigen können. Außer auf einen leeren Computerbildschirm zu starren oder ein bis drei Gerard-Butler-Filme zu gucken, hatte sie keine weiteren Pläne. Sie musste sich schnell eine neue Serie einfallen lassen.

„Du solltest auch bei ihm übernachten“, schlug Nicky vor, als hätte er ihre Gedanken erraten. „Wir könnten Popcorn machen. Und Lucy will einen Kuchen backen.“

„Diese Frau kann hervorragend backen, so viel steht fest“, meinte Parker. „Was für einen Kuchen?“

„Meinen Lieblingskuchen. Mit Zuckerguss und Kokosnuss. Ich darf sieben Stücke essen, hat sie gesagt.“

„Wirklich, Nicky?“ Parker hob eine Augenbraue. Mit der Wahrheit nahm es ihr kleiner Junge in letzter Zeit nicht ganz so genau.

„Glaub schon. Vielleicht hat sie auch fünf gesagt. Auf jeden Fall eine Menge.“

Nicky plapperte weiter über all den Spaß, den er an diesem Wochenende haben würde: Kuchen essen, Segeln mit Ethan, noch mehr Kuchen; mit Fat Mikey, Lucys und Ethans Katze, in einem Bett schlafen, vielleicht sogar mit ihm zusammen baden, um Mitternacht wieder Kuchen essen und die Piratenhöhle suchen, die es angeblich in Mackerly gab. Das Talent, munter vor sich hin zu plappern, hatte Nicky von seinen Großmüttern geerbt.

Als sie auf den Ocean View Drive bog, runzelte Parker die Stirn. Der Kommentar des kleinen Jungen von vorhin, dass sie in einer Riesenvilla lebte, ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie hatte schon öfter darüber nachgedacht, umzuziehen, da sie nicht wollte, dass Nicky von allen als schwerreiches Kind betrachtet wurde. Eine Menge Leute hatten einfach ein Problem mit einem großen Treuhandvermögen. Das Anwesen namens Grayhurst befand sich schon seit Generationen in Familienbesitz. Es war um die Jahrhundertwende von ihrem Ururgroßvater erbaut worden, und obwohl sie in New York City aufgewachsen war, war Parker ein paar Jahre zuvor dort hingezogen. Erstens hatte sie als Kind in Grayhurst glückliche Sommertage verlebt – Teepartys mit ihren drei Cousinen, Segelausflüge mit ihrem Vater. Und zweitens lebte Ethan in Mackerly, und sie wollte, dass Nicky mit beiden Elternteilen aufwuchs, auch wenn sie nie geheiratet hatten.

Aber dass zwei Personen in einem riesigen Herrenhaus nur wenige Zimmer bewohnten … das fühlte sich einfach nicht richtig an.

Wobei es umwerfend schön ist, dachte sie, als sie in die Auffahrt einbog. Vor dem blauen Junihimmel und in goldenes Sonnenlicht getaucht, wirkte das Gebäude wie eine würdevolle Grande Dame, die zufrieden den gepflegten Rasen, die Blumenbeete und die stattlichen Bäume überblickte. Verdammt riesig, aber wunderschön.

Ethan und Lucy, Parkers engste Freunde, waren schon da. Händchenhaltend hockten sie auf den breiten Eingangsstufen, die hinauf zu dem ausgedehnten Eingangsbereich führten. Ethan sprang auf, um ihr die Autotür zu öffnen.

„Daddy“, schrie Nicky und kletterte aus dem Wagen.

„Wie geht’s meinem Jungen?“ Ethan schleuderte Nicky in die Luft.

„Also“, fragte Lucy, „können wir gratulieren?“

„Ich bin offiziell fertig mit den Holy Rollers. Jetzt kann ich es krachen lassen.“

„Wie schön für dich, Parks“, meinte Ethan und küsste Nicky auf die Wange. „Bist du stolz auf Mommy, Nick?“

„Klar. Was gibt’s zu essen? Kuchen?“

„Kuchen erst nach dem Abendessen“, erklärte Lucy. „Es sei denn, dein Vater sieht das anders.“

„Sieh es anders, Dad!“, befahl Nicky und rannte voraus.

„Parker, hast du heute Abend schon was vor?“, fragte Lucy. „Ich finde, die Jungs sollten etwas Zeit allein verbringen, und wir könnten zusammen abhängen.“

Gerettet! „Das wäre toll! Wir köpfen eine gute Flasche Wein von meinem Vater und reden die ganze Nacht über Ethans Fehler.“

Lucy griff nach Ethans Hand. „Er macht mich schier verrückt. Ich glaube, es war ein Riesenfehler, ihn zu heiraten.“

„Mein Gott, mir geht es genauso“, verkündete Ethan. „Soll ich einen Scheidungsanwalt anrufen?“ Sie grinsten sich an.

„Leute, ich hab gerade erst gegessen, okay?“, warf Parker stirnrunzelnd ein. Sie war ein wenig neidisch auf die beiden. Lucy und Ethan waren total verliebt, und ja, Ethan war der Vater von Parkers Sohn. Was nicht so merkwürdig war, wie es klang. Oder vielleicht doch, und Parker war einfach eine Meisterin im Verdrängen.

„Wir haben unsere Reiseroute dabei“, sagte Ethan, der die beiden Frauen zuerst eintreten ließ. „Dachte, du hättest vielleicht gern eine Kopie davon.“

„Toll!“, meinte Parker. „Kann es kaum erwarten, sie zu sehen.“

Ihre Freunde hatten im Februar geheiratet, aber bisher noch keine Flitterwochen gehabt. Jetzt wollten sie Nicky, sobald der Kindergarten für den Sommer schloss, mit nach Kalifornien nehmen. San Francisco, Muir Woods, Yosemite. Danach hatte Ethan mit der Neueröffnung seines Restaurants zu tun, deswegen war der Zeitpunkt dafür perfekt.

Nur dass die Reise drei Wochen dauern sollte.

Drei Wochen ohne ihren Jungen.

„Daddy!“ Nicky kam zurück und griff nach der Hand seines Vaters. „Schau dir mein Zimmer an! Ich hab gestern aufgeräumt. Mommy wollte das. Sie hat gesagt, es wäre ein Saustall. Wo Schweine wohnen. Jedenfalls habe ich Darth Vaders Kopf gefunden!“ Er zog seinen Vater die weit geschwungene Treppe hinauf.

Parker und Lucy gingen in die Küche, wo Parker sich immer am liebsten aufhielt. „Ich habe uns was zur Stärkung mitgebracht.“ Lucy hob eine Tüte in die Höhe. „Macadamiakekse mit weißer Schokolade.“

„Weiche von mir, Satan!“ Parker schnappte sich einen Keks – Himmel, die waren sogar noch warm! – und biss hinein. Die pure Glückseligkeit erfüllte sie. „Weißt du eigentlich, dass ich im letzten Jahr fünf Kilo zugenommen habe? Kaum ist man fünfunddreißig – zack! –, landet plötzlich alles, was man mit zwanzig mal gegessen hat, auf deinen Hüften.“ Parker hob eine Augenbraue, als Lucy lachte. „Wirst schon sehen.“

„Das sehe ich schon“, entgegnete ihre Freundin. „Na und? Dann hast du jetzt Größe 38? Was für ein Horror.“

„Schon seit einer ganzen Weile. Lass uns nie wieder darüber sprechen.“

„Versprochen“, sagte Lucy.

Die Ehe scheint ihr gutzutun, dachte Parker. Lucy hatte es nicht leicht gehabt. Vor einigen Jahren war sie noch vor ihrem ersten Hochzeitstag Witwe geworden. Jimmy, ihr Mann, war Ethans älterer Bruder gewesen. Ethan und Lucy kannten sich schon während des Studiums, und ihr gemeinsamer Verlust hatte sie zusammengeschweißt. Doch erst ungefähr sechs Jahre nach Jimmys Tod hatten sie es endlich miteinander versucht.

Lange davor waren Parker und Ethan ungefähr zwei Monate lang ein Paar gewesen. Ethan war ein toller Mann – von der kleinen, unbedeutenden Tatsache abgesehen, dass er die ganze Zeit in Lucy verliebt gewesen war. Nur merkwürdig, dass niemand außer Parker etwas davon bemerkt hatte. Daher hatte sie sich ohne großes Trara von ihm getrennt, da ihre Beziehung von Anfang an sowieso eher freundschaftlich als leidenschaftlich gewesen war. Sechs Wochen nach der Trennung hatte sie dann festgestellt, dass sie von Ethan schwanger war. Von Anfang an hatten sie sich gemeinsam um Nicky gekümmert.

Sie nahm sich noch einen Keks aus der Tüte und aß ihn auf. „Heilige Heiligenscheine, die sind vielleicht gut. Gib mir noch einen. Wo ist die Reiseroute? Sie ist farblich markiert, oder? Bitte sag mir, dass sie farblich markiert ist!“

„Selbstverständlich.“ Lucy entfaltete eine dreiblättrige Tabelle.

„Also seid ihr drei Tage in San Fran?“

„Vier.“ Lucy tippte mit dem Finger aufs Blatt. „San Francisco ist rosa.“

„Natürlich.“ Parker beugte sich tiefer über das Blatt, dankbar für Lucys Organisationstalent. So würde sie immer auf die Minute genau wissen, wo ihr Sohn gerade war.

Ethan kam in die Küche und schnappte sich einen Keks. „Parker, was hast du eigentlich vor, wenn wir weg sind? Steht irgendwas auf dem Plan?“

„Oh, vielleicht mache ich einen Abstecher nach Nantucket und treffe mich mit ein paar alten Freunden. Oder ich fahre nach New York. Vielleicht besuche ich meine Mom. Und so weiter.“ Sie gönnte sich noch einen Keks.

In Wahrheit hatte sie überhaupt keine Pläne gemacht. Bald war ihr Sohn viertausend Meilen von ihr entfernt, und am liebsten würde sie ihr Nachtlager im Flughaufen aufschlagen, nur für den Fall, dass etwas passierte. Was nicht der Fall sein wird, beruhigten die Holy Rollers sie. Lucy und Ethan sind die Besten! Außerdem ist es gut, wenn Nicky auch einmal eine gesunde Beziehung zwischen Erwachsenen miterlebt!

Nehmt doch auch einen Keks, dachte Parker. Gut, seit Ethan hatte sie keine Beziehung mehr gehabt. Genau genommen nicht einmal eine zweite Verabredung mit irgendjemandem in den letzten fünf Jahren. Na und? Sie neigte sowieso dazu, emotional verkümmerte Männer anzuziehen. Verheiratete Männer, verlobte Männer, Soziopathen und Ähnliches. Somit war es besser, erst gar nichts anzufangen. Sicher verbrachte sie jede Menge Zeit damit, Ben-&-Jerry’s-Eiscreme futternd romantische Filme zu gucken, um eine gewisse Leere auszufüllen.

Eine Leere, die nun drei Wochen lang nur immer schlimmer werden würde.

Als Ethan im März diese Reise vorgeschlagen hatte, war sie ihr wie eine fabelhafte Idee vorgekommen … Endlich einmal allein, die Freiheit, alles zu tun, was sie wollte – zum Beispiel länger als bis fünf Uhr schlafen, da Nicky immer mit den Hühnern aufstand. Endlich auf eine grandiose Idee für ihre neue Serie kommen. Nur weil Parker ein riesiges Treuhandvermögen besaß, beschränkte sich der Inhalt ihres Lebens schließlich noch lange nicht nur auf das Kaufen von Handtaschen.

Doch jetzt, zehn Tage vor der Reise, erschienen ihr drei Wochen wie eine Ewigkeit. Schließlich konnte sie sich nicht einmal mehr mit den Holy Rollers ablenken. Dass ihr ausgerechnet diese Tatsache einen Stich versetzte, fand sie nur noch beunruhigender.

„Ich hab mich versteckt! Und niemand hat mich gefunden! Ich hab gewonnen!“

Mit Elefant, seinem liebsten Stofftier, kam Nicky in die Küche gerannt.

„Nicky, du darfst dich nicht verstecken, ohne es uns zu sagen, schon vergessen?“, meinte Parker. „Auf diese Weise ist es nämlich kein Spiel.“

„Aber ich gewinne immer“, stellte ihr Sohn klar.

„Da hat er nicht unrecht“, sagte Lucy.

Parker kniete sich grinsend auf den Boden. „Küss mich, Mister. Ich hab dich lieb.“

„Ich dich auch. Tschüss, Mom! Tschüss, Lucy.“ Er fegte aus der Küche.

„Das ist mein Stichwort. Bis später, Mädels. Viel Spaß heute Abend.“ Ethan küsste Parker auf die Wange, dann ging er mit Lucy zusammen in die Eingangshalle, vermutlich um sich etwas inniger von ihr zu verabschieden.

Einen Moment lang fragte sie sich, ob Lucy nur aus … nun … Mitleid hierbleiben wollte. Früher einmal waren sie, Ethan und Lucy einfach drei alleinstehende Freunde gewesen. Aber jetzt waren sie nicht mehr drei, sondern zwei und eins.

Na und? Such dir einen Freund, schlug Golly vor. Seit der letzte Band erschienen war, schienen die Holy Rollers in Parkers Fantasie älter zu werden. In den Büchern waren sie in etwa als Achtjährige dargestellt, und jetzt trug Golly bereits zum ersten Mal Wimperntusche.

„Klar. Einen Freund“, antwortete Parker. „Brauche ich wie ein Loch im Kopf.“

Sie ging hinunter in den geliebten Weinkeller ihres Vaters – in dem es sogar einen Verkostungsraum und einen Kamin gab. Und Abertausende Flaschen Wein, darunter auch eine Flasche Château Lafite, die angeblich einmal Thomas Jefferson gehört hatte. Oder auch nicht. Harry konnte ziemlich überzeugend lügen.

Sie hatte ihren Vater recht lange nicht mehr gesehen. Beim letzten Mal hatte er hier im Keller ein Dinner mit Weinprobe veranstaltet. Als Gäste kamen Schleimer von der Wall Street, sein allgegenwärtiger Anwalt und jemand aus dem Kennedy-Clan, der sich gerade zur Wiederwahl stellte. Sie sollte Nicky kurz in den Weinkeller bringen, um ihn vorzustellen, und anschließend wieder mit ihm nach oben gehen, so lautete der Befehl. Und vor allem bei ihm oben bleiben. Sie wäre natürlich auch nicht unten geblieben, wenn er sie darum gebeten hätte.

Na ja. Hier war der gute 1994er Domaine de la Romanée-Conti, mit dem Harry so geprahlt hatte. Achttausend pro Flasche, viel weniger als für den 1996er-Jahrgang. Bestimmt hätte Harry nichts dagegen, wenn sein einziges Kind und dessen beste Freundin sich ein Fläschchen genehmigten, oder? Er besaß immerhin eine ganze Kiste davon. Allerdings würde sie Lucy nicht verraten, was der Spaß kostete. Lucy hatte etwas Angst vor Harry – so wie die meisten Menschen.

Parker eilte wieder hinauf, entkorkte den Wein und ließ ihn atmen. In der Zwischenzeit stellte sie Ziegenkäse, Trauben und ein paar von diesen krümeligen Crackern auf ein Tablett. Klasse, dass Lucy den Abend mit ihr verbringen wollte. Vielleicht zu klasse. Du musst deine leeren Stunden irgendwie ausfüllen, meinte Spike.

„Still“, rief Parker. „Für mich seid ihr tot. Geh weg. Flieg in den Himmel.“ Sie schenkte zwei Gläser Wein ein.

Sechs Jahre zuvor hatte sie im Büro ihres ehemaligen Harvard-Kollegen gesessen und sich zum siebenundfünfzigsten Mal angehört, dass ihre Kindergeschichte Mickey, das Feuerwehrauto einfach nicht gut genug war.

„Es tut mir leid, Parker“, sagte George. „Das kommt mir ein bisschen banal vor.“

Banal? Mickey war einfach fantastisch! Und wirklich, was, zum Teufel, sollte das? Sie hatte zwei Harvard-Abschlüsse in Literatur und Ethik. Die Hälfte ihres Abschlussjahrgangs schien Romane zu schreiben – Parker konnte bisher nur sechsundfünfzig Absagen vorweisen. Oder jetzt siebenundfünfzig. Mickey war aufrichtig und vermittelte wichtige Botschaften – persönliche Ziele, Engagement, zweite Chancen. Bei dem ganzen Schund auf dem Markt war es nicht leicht, da keine Verbitterung zu verspüren.

„Hast du vielleicht noch was anderes?“, fragte George, der bereits auf seine Uhr schaute.

„Ja, habe ich“, sagte Parker. „Wie wäre es damit? Eine Bande Kinderengel wird auf die Erde geschickt, um Kindern etwas über Gott beizubringen. Verstehst du? Noch haben sie sich ihre Flügel nicht verdient, deswegen brausen sie auf Rollerskates durch die Gegend. Sie heißen die Holy Rollers. Gefällt dir das? Sie essen ausschließlich Engel-Schokoladentorte, sie leben in einem Baumhaus namens Eden, und immer wenn ein Kind auf der Erde vor einem moralischen Dilemma steht, kommen die Holy Rollers angeschossen, und die Predigt kann losgehen.“ Sie verdrehte die Augen. „Eine Mischung aus Das verkrüppelte Lamm und Die kleinen Strolche.“ Seufzend stand sie auf. „Okay, danke, dass du dir die Zeit genommen hast, George. Es war schön, dich wiederzusehen.“

„Warte“, sagte er.

Eine Woche später hatte sie ein Angebot und einen Vertrag vorliegen. Sie und Suze, ihre ehemalige Mitbewohnerin im renommierten Internat Miss Porter’s School, fuhren nach Grayhurst, um zu feiern, zu futtern, was immer Harrys Chefkoch ihnen vorsetzte, im hauseigenen Hallenbad zu schwimmen und über die Ironie des Schicksals zu lachen. Am zweiten Abend gingen sie ins Lenny’s, eine Kneipe im Ort, und dort war dann Ethan Mirabelli, der mit ihnen beiden gleichermaßen flirtete, obwohl Suze lesbisch und wie eine Berufscatcherin gebaut war. Als er Parker um ihre Telefonnummer bat, boxte Suze ihr heftig den Ellbogen in die Seite – ihre Art und Weise, ihre Zustimmung zu signalisieren. Alles Weitere war, wie man so schön sagte, Geschichte.

Parker und Lucy brachten ihre Leckereien in das vordere Zimmer. Dort lachten sie eine Weile über das Talent von Lucys Schwiegereltern, immer in sehr speziellen Situationen unangekündigt bei ihr und Ethan aufzutauchen. „Es ist fast so, als ob sie es riechen könnten“, meinte Lucy. „Wirklich. Manchmal glaube ich schon, dass sie unsere Wohnung verwanzt haben.“

„Könnte gut sein“, stimmte Parker zu. Ihr Telefon klingelte, und sie sah auf das Display. „Oh, wo wir gerade von schwierigen Eltern sprechen, das ist meine Mutter. Ich könnte wetten, sie hat einen Ehemann für mich gefunden.“

„Super! Mach den Lautsprecher an, damit ich mithören kann!“ Lucy klatschte wie ein Kind in die Hände.

Parker nahm ab. „Hi, Mom.“

„Liebling, ich habe jemanden für dich!“, tirilierte Althea Harrington Welles usw., usw. los.

Parker schnitt eine Grimasse. „Hurra! Und keine Sorge – wir müssen uns nicht vorher kennenlernen. Leg einfach schon mal mit den Hochzeitsvorbereitungen los.“

„Sarkasmus ist die niedrigste Form von Humor, weißt du das nicht? Wie auch immer, sein Name ist … na ja, ich erinnere mich nicht. Aber sein Nachname ist Gorman wie Senator Gorman aus Virginia. Das ist sein Vater. Übrigens wurde die Anklage fallen gelassen. Ist das nicht aufregend, Liebling? Ich könnte mir gut den Caucus Room für eure Verlobungsfeier vorstellen, die National Cathedral für die Hochzeit, und der Empfang findet dann im Haus des Senators in Chesapeake statt. Das Haus ist einfach atemberaubend schön. Ich habe es mir auf Google Earth angesehen.“

„Sag mir einfach, wann genau ich in meinem Hochzeitskleid erscheinen soll.“

„Kann ich Trauzeugin sein?“, flüsterte Lucy.

„Auf jeden Fall. Mom, Lucy ist hier.“

„Lucy?“

„Meine beste Freundin?“

„Das ist mir bekannt, Liebes. Hallo, Schätzchen.“

„Hi, Mrs … ähm … Althea“, murmelte Lucy.

„Lucy, vielleicht kannst du sie dazu bringen, die Sache ernst zu nehmen. So wie sie von ihrem Kind besessen ist, merkt sie gar nicht, dass sie alt wird! Im Ernst, meine eigene Tochter … nie verheiratet.“

„Das ist schrecklich“, stimmte Lucy ihr grinsend zu. „Ich habe schon versucht, sie mit meinem stummen Mitarbeiter in der Bäckerei zu verkuppeln, aber da hat sie auch abgelehnt.“

„Da treffe ich mich noch lieber mit Jorge als mit dem Senator-Söhnchen“, erklärte Parker. „Jorges Tätowierungen sind einfach unglaublich. Vor allem das von der Kreuzigung, das wirkt so lebensecht.“

„Schön. Macht euch nur über mich lustig, Mädchen. Oh, habt ihr gesehen, was ich auf Facebook gepostet habe? Ich mache bei einem Casting für Real Housewives mit. Maury hält das für eine fantastische Idee.“

Parker imitierte einen lautlosen Schrei, dann sagte sie: „Das ist toll, Mom. Also, kommst du nächste Woche zu Besuch?“

„Ich bin noch nicht sicher. Maury hat da diese Sache. Wie geht’s Nicky?“

„Er vermisst dich“, appellierte Parker an Altheas Schuldgefühle.

„Dann gib dem süßen Jungen einen Kuss von mir, ja? Und ernsthaft, Liebling, denk mal über den Gorman-Erben nach. Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass du da in diesem scheußlichen alten Haus allein mit einem Baby wohnst.“

„Er ist fünfeinhalb, Mom.“

„Oh. Nun, ab wann ist ein Kind kein Baby mehr? Wie auch immer, darum geht es nicht. Es geht darum – huch! Maury ruft an. Küss meinen Enkel! War schön, deine Stimme zu hören, Lisa. Wiederhören, Parker! Bis bald!“

„Tschüss, Mom.“ Parker seufzte. „Noch Wein, Lisa?“

Lucy lachte. „Ich mag deine Mom.“

„Ich würde sie auf jeden Fall gern öfter zu Gesicht bekommen“, erwiderte Parker kopfschüttelnd.

Gerade als sie ihr erstes Glas Wein geleert hatten und darüber diskutierten, ob sie lieber den Old-Spice-Mann oder Ryan Gosling googeln sollten, hörten sie das Knirschen von Reifen in der Kiesauffahrt. „Meinst du, Nicky hat was vergessen?“, fragte Lucy, ging zum Fenster und schob die Seidenvorhänge zur Seite. „Oh, oh! Das sind dein Vater … und sein Gefolge.“

„Verdammt, verdammt. Haben wir noch Zeit, uns zu verstecken?“

„Ich schon“, meinte Lucy. „Aber du musst wahrscheinlich Hallo sagen.“

„Wage es bloß nicht, dich zu verdrücken“, rief Parker.

Leichte Nervosität erfasste sie – ihre übliche Reaktion auf ihren Vater. Automatisch fuhr sie sich mit einer Hand übers Haar und schaute an sich hinab. Für die Lesung in Nickys Kindergarten hatte sie sich herausgeputzt – beigefarbene Seidenbluse, cremeweißer Bleistiftrock, die fantastischen Leopardenmuster-Pumps. Gut. Eine Art Rüstung.

Sie stellte sich neben Lucy ans Fenster und sah hinaus. Der Fahrer öffnete die Hintertür der Limousine, und Harry Welles trat in den Sonnenschein, dicht gefolgt von Dings eins und Dings zwei, seinen Lakaien.

Technisch gesehen war Grayhurst Harry Welles’ Haus, obwohl er in einem sterilen Zweifamilienhaus auf der Upper East Side in Manhattan wohnte. Er kam nur nach Rhode Island, wenn er Klienten beeindrucken wollte oder sich einer Familienfeier einmal nicht entziehen konnte. Er war in der dritten Generation der Chef von Welles Financial, einem ehemals konservativen Finanzdienstleistungsunternehmen, das er in eine Art Wall-Street-Eldorado verwandelt hatte, gegen das immer wieder Studenten und Gewerkschaften demonstrierten. Er reiste niemals allein – Lakaien wie Dings eins und Dings zwei gehörten einfach zu seinem äußeren Erscheinungsbild.

Die drei Männer gingen den Fußweg hinauf zum Haus, Dings eins und Dings zwei in ehrfürchtigem Abstand wie kastrierte Wächter eines Harems.

Ihr Vater betrachtete sie ernst.

„Hallo, Harry“, begrüßte sie ihn freundlich. „Wie geht es dir?“

„Parker. Ich bin froh, dass du da bist.“ Ihr Vater warf Lucy einen Blick zu. „Lucy.“

„Hallo, Mr Welles. Schön, Sie wiederzusehen.“

Harry atmete tief durch. Missbilligend – oder zumindest wirkte es so. „Ich habe etwas mit dir zu bereden, Parker. Ist Nicky da?“

„Er ist dieses Wochenende bei seinem Vater. Aber ich kann ihn holen.“ Da war schon wieder dieser nervtötende, hoffnungsvolle Ton in ihrer Stimme. Wenn du mich schon nicht magst, dann mag wenigstens meinen Sohn, Dad.

„Nein, ist schon gut. Wir müssen eine Familienangelegenheit besprechen.“ Er sah Lucy bedeutungsvoll an, die nett zurücklächelte und sich – zum Glück – nicht von der Stelle rührte. Erneut richtete Harry den Blick auf Parker. „Wie geht es Apollo?“

„Er lebt noch.“

„Gut.“ Nachdem offenbar genug Nettigkeiten ausgetauscht worden waren, durchquerte ihr Vater die Eingangshalle. „Komm in mein Büro, bitte“, sagte er, ohne über die Schulter zu blicken.

„Miss Welles, Ihr Vater wünscht, dass Sie sich mit ihm ins Büro begeben“, erklärte Dings zwei unnötigerweise. Dieser Mann besaß einen langen und unbedeutenden Titel bei Welles Financial, doch soweit Parker wusste, bestand sein Job ausschließlich darin, die Worte ihres Vaters zu wiederholen und ihm ab und zu bewundernd auf die Schulter zu hauen. Er folgte Harry mit ein paar Schritten Abstand.

„Parker. Immer schön, dich zu sehen.“

Und das war Dings eins.

So begrüßte er sie jedes Mal, üblicherweise mit einer erhobenen Augenbraue und einem selbstgefälligen Grinsen, das sie nicht ausstehen konnte. Ja, Dings eins war attraktiv – Harry würde niemals einen hässlichen Menschen anstellen. Das ganze Drum und Dran von wegen gemeißelten Wangenknochen, perfektem Haarschnitt und einer Aura von Langeweile …. okay, okay, er war heiß. Aber das wusste er auch, was seine Attraktivität mächtig schmälerte, und dieser Satz … Parker, immer schön, dich zu sehen … igitt! Die Tatsache, dass er außerdem auf dem Weg war, in Harrys Fußstapfen zu treten, ließ seine Anziehungskraft gegen null tendieren.

Dings eins arbeitete nicht für Welles Financial. Er war Harrys persönlicher Anwalt, der das originale Dings eins ein paar Jahre zuvor ersetzt hatte – aber wozu sollte man einen perfekten Spitznamen ändern? Er lebte irgendwo hier in Rhode Island und machte Sachen wie … na ja, Parker wusste es eigentlich nicht so genau. Manchmal musste sie irgendwelche Papiere unterschreiben, die er vorbeibrachte. Ansonsten erschien er ihr ziemlich nutzlos, aalglatt und blasiert. Er kroch ihrem Vater immer derart tief in den Hintern, dass sie sich fragte, ob er jemals Tageslicht zu sehen bekam.

„Dings eins“, murmelte sie und nickte hoheitsvoll. Schließlich war sie nicht umsonst auf Miss Porter’s Internat gegangen.

„Mein Name ist James, wie du offenbar vergessen hast. Ich höre aber auch auf Mr Cahill.“

„Dings eins passt so viel besser zu dir.“

Er warf ihr einen süffisanten Blick zu und wandte sich dann an ihre Freundin. „Hallo, Lucy“, sagte er. Er hatte sie ein paar Mal bei Veranstaltungen, die Nicky betrafen, getroffen – Gott bewahre, dass Harry jemals irgendwo allein auftauchte. „Ich gratuliere zur Hochzeit.“

„Oh, vielen Dank.“ Lucy schien überrascht, dass er davon wusste. Parker war es nicht. Harry war zwar kein hingebungsvoller Großvater, doch hatte er ein wachsames Auge auf Nickys Leben. Oder ließ seine Leute ein Auge darauf haben, wenn es zweckmäßiger war.

Während sie durch die Eingangshalle gingen, rieb Parker sich das Ohr. Etwas juckte dort. Ein Stressekzem vermutlich, ausgelöst durch ihren guten alten Dad.

Harry arbeitete so gut wie nie in seinem Büro. Soweit Parker wusste, benutzte er es nur, um seine Mitarbeiter zu beeindrucken und einzuschüchtern. Der Raum war wunderschön – Tiffanyfenster, ein todschicker Humidor, Regale voller Erstausgaben und ein Schreibtisch von der Größe eines Billardtischs. Harry saß in seinem Ledersessel, das graue Haar perfekt geschnitten, Anzug von Armani, kühler Blick. Um seinen Arm hatte sich Apollo, sein Python, geschlungen.

Was für ein Haustierchen. Apollo war vielleicht einen Meter zwanzig lang – Parker sah ihn selten an, weil sie dann immer eine Gänsehaut bekam. Nicky hingegen … für den Fall, dass es nicht cool genug war, in einer Riesenvilla zu leben, beeindruckte er seine Freunde auch gern mit dieser Schlange, deren Terrarium wohlgemerkt immer fest verschlossen war. Wer wollte schon einen Python im Haus herumkriechen haben? Wirklich nicht. Es war die Aufgabe des Gärtners, Apollo zu füttern und das Terrarium zu reinigen.

„Er sieht aus wie Dr. Evil“, raunte Lucy, während sie Parkers Hand sanft drückte. Dann ging sie zu einem Stuhl in der Nähe des Fensters und setzte sich – in der Nähe, aber doch weit genug entfernt.

„Also, Harry“, sagte Parker, und wieder fühlte sie diese Nervosität in sich aufsteigen. Sie wählte einen der drei Ledersessel vor dem Schreibtisch. Dings eins und Dings zwei stellten sich an die Seite wie Soldaten bei einer Beerdigung. „Wie läuft es so? Bist du fürs Wochenende gekommen?“

„Nein. Und es lief schon mal besser. Hat mein Enkel bald Ferien?“

„Ja. Dann fährt er mit seinem Dad und Lucy nach Kalifornien.“

Harry warf Lucy einen Blick zu. „Schön zu hören.“

„Schön zu hören“, wiederholte Dings zwei und kratzte sich den Bauch. Parker wartete darauf, dass Dings eins sich ebenfalls zu Wort meldete, doch der blieb stumm, die Arme vor der Brust verschränkt.

Harry betrachtete sein Schoßtierchen, dann küsste er den Schlangenkopf. Parker versuchte, nicht zusammenzuzucken. Aus der Schlange könnte man vielleicht ein hübsches Paar Schuhe machen. Davon abgesehen war sie einfach nur ihre Rivalin um Harrys Aufmerksamkeit. Nun, eher keine Rivalin. Apollo war ihr meilenweit voraus. Ihr Vater sah seine Lakaien an. „Gentlemen, setzen Sie sich.“

Dings eins und Dings zwei gehorchten und nahmen links und rechts von ihr Platz. Sie sah Lucy an, die ihr ein nervös solidarisches Lächeln zuwarf. Irgendetwas lag in der Luft, Parker fühlte sich, als stünde sie kurz davor, hingerichtet zu werden.

So falsch war ihr Gefühl gar nicht.

„Nun, es gibt keinen guten Weg, das jetzt zu sagen.“ Ihr Vater streichelte die Schlange.

„Keinen guten Weg“, echote Dings zwei.

Harry sah nicht auf. „Wir sind pleite. Du musst ausziehen.“

2. KAPITEL

James Cahill, auch bekannt unter dem Namen Dings eins, schloss die Augen. Sicher, er war nicht gerade ein Fan von Parker Welles, aber trotzdem … Zu hören, wie gefühllos Harry ihr gesagt hatte, dass sie bankrott waren, wie … kalt. Ihre Freundin hatte leise aufgeschrien. Davon abgesehen herrschte Schweigen.

Er betrachtete Parker, die Prinzessin. Sie rührte sich einen Moment lang nicht, dann strich sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, das an der Spitze leicht rot zu werden schien. Das Profil ihm zugewandt, saß sie reglos da. Einen Augenblick später schlug sie die Beine übereinander. Besagte Beine waren perfekt – lang, schlank, wohlgeformt. Nicht, dass er überhaupt hinsehen sollte – sie hatte ihn schon einige Zeit zuvor ziemlich eindeutig in seine Schranken gewiesen, und außerdem erfuhr sie gerade von ihrem finanziellen Ruin. Aber Mann, diese Beine waren einfach unglaublich.

„Pleite?“, fragte sie und räusperte sich dann.

„Das ist richtig.“ Harry tätschelte die Schlange. „Du hast das Wort schon einmal gehört, vermute ich?“

James wurde klar, dass Apollo eine Art tröstendes Schmusetier für Harry war. Und dem fiel es offenbar leichter, seiner Tochter die Neuigkeiten zu überbringen, wenn er gleichzeitig etwas anderes ansehen konnte. Die Atmosphäre zwischen den beiden war immer furchtbar angespannt. James hasste es, Familienfeiern der Welles’ besuchen zu müssen, aber wenn Harry ihn einlud, blieb ihm nun einmal nichts anderes übrig. Das war das Mindeste, was er machen konnte, bei allem, was Harry für ihn getan hatte. Angenehm war es deswegen aber noch lange nicht.

Parker holte tief Luft, ihre Brüste hoben sich unter der Seidenbluse. Sehr hübsch. Konzentrier dich, du Idiot! Aber das war nun mal das Problem, wenn ein heterosexueller Mann mit einer schönen Frau in einem Raum saß. Selbst mit einer, die ihn ständig herunterputzte.

„Was ist passiert, Dad?“, fragte sie, ihre Stimme sanfter, als er sie je zuvor gehört hatte. Außerdem glaubte er nicht, dass sie ihren Vater in den vergangenen sechs Jahren jemals „Dad“ genannt hatte.

Harry schob Apollo auf seinen anderen Arm. „Nur ein kleiner Stolperstein auf unserem Weg. Aber im Augenblick haben wir kein Geld mehr.“

„Kein Geld mehr …“

„James, klären Sie sie auf.“

„James, warum klären Sie sie nicht auf?“, echote Vernon wie ein Papagei.

Richtig. Es war Zeit, sich sein Geld zu verdienen. „Okay, na ja, es ist ein wenig kompliziert“, begann er.

Sie warf ihm einen rasiermesserscharfen Blick zu. „Versuch es. Ich habe einen Harvardabschluss.“

So viel zum Thema harte Schale, weicher Kern. Gott bewahre, dass er diese Elite-Uni auch nur eine Sekunde lang nicht zu würdigen wusste. James selbst war auf die Boston University gegangen. Einmal hatte er mit einer Harvardstudentin geflirtet und ihr gesagt, dass er auf der BU wäre. „Wo ist denn das?“, hatte die gefragt. Denn wer in Harvard war, für den existierten andere Hochschulen nicht.

Aber sie war trotzdem mit ihm nach Hause gegangen.

„Magna cum laude“, fügte Parker hinzu.

„Sollte ich mich vielleicht hinknien?“, fragte er sarkastisch. Harry stieß einen verächtlichen Laut aus, und Parkers Lippen wurden ganz schmal. Gar nicht cool. James wollte nicht, dass es zu einer offenen Konfrontation kam. Dafür war jetzt wirklich nicht der richtige Augenblick.

Parkers Freundin räusperte sich. „Ähm, Parks, soll ich vielleicht schon mal, ähm, mit dem Abendessen anfangen?“

„Mir wäre es lieber, wenn du bleibst“, gab Parker entschieden zurück, und ihr Tonfall duldete keinen Widerspruch. „Bitte fahr fort, Dings eins.“

Ja, Majestät. „Wie es scheint, ist Harry ein zu großes geschäftliches Risiko eingegangen.“

Parker sah zu ihrem Vater, der nach wie vor seine Schlange streichelte. „Ach Harry.“

„Lass ihn ausreden“, sagte Harry, ohne den Blick von Apollo zu wenden.

James verlagerte das Gewicht. „Harry hat eine beträchtliche Investition bei einem Unternehmen getätigt, über das er Insider-Informationen hatte …“

„Ich weiß, was Insider-Geschäfte sind“, sagte sie.

„… und das war nicht in Ordnung, aber eher in der Hinsicht, dass die Ergebnisse nicht so waren wie erwartet.“ Okay, jetzt kam der schwierige Teil. „Um die Verluste der Investoren zu decken, musste dein Vater, na ja, bestimmte Aktivposten liquidieren.“

Sie blinzelte, und James verspürte einen Hauch von Mitgefühl, als sie zu begreifen begann. „Welche Aktivposten, Harry?“, fragte sie gefährlich ruhig.

Harry schaute auf den Python. „Deinen Treuhandfonds.“

Mit zusammengekniffenen Lippen betrachtete sie ihre Hände. „Den hat Opa für mich eingerichtet.“

„Ja, und ich habe ihn verwaltet“, entgegnete er bissig. Eine Pause entstand, die Standuhr in der Ecke tickte bedrohlich laut. „Nickys ebenfalls“, fügte Harry etwas sanfter hinzu.

James konnte nicht verhindern, dass er zusammenzuckte. Es musste wehtun, zu hören, dass der eigene Vater einen verraten und verkauft hatte. Und sein Enkelkind noch dazu.

„Du hast deinem Enkel das Treuhandvermögen gestohlen, Harry?“ Ihre Stimme klang jetzt etwas schriller.

Harry presste die Lippen aufeinander. „Ich bin der Vermögensverwalter der Welles-Familie, Parker, wie du sehr gut weißt. Ich habe das Vermögen nur kurzfristig liquidiert.“

„Kurzfristig liquidiert“, wiederholte Vernon und grinste dabei wie ein Idiot. James hatte beinahe vergessen, dass der andere Mann anwesend war.

Wie kurzfristig?“

„Yo!“, erklang eine Stimme. Ein Typ in Overall und mit struppigem Haar stand in der Tür. „Hallo, Leute, sorry. Ist das hier das Welles-Anwesen?“

„Ist es“, antwortete Harry.

„Ist ja der Hammer, Mann! Wirklich nett! Also, wir sind sozusagen die Möbelpacker. Ich fang mal im Spielzimmer an, okay?“

„Billardraum“, murmelte Harry.

Der Möbelpacker lachte. „Klar, total! Colonel Mustard im Billardraum mit dem Kerzenständer wie bei Cluedo! Hey, Kumpel, ist das eine Schlange? Nett! Okay, ich geh mal besser. Das Haus ist verdammt riesig! Bis später!“

Mit offenem Mund starrte Parker ihm hinterher. „Die holen schon die Sachen ab? Ich … wow, Harry. Du fackelst wirklich nicht lange.“

Ihr Gesicht war kreideweiß geworden, und James wünschte, er könnte es für sie irgendwie – nun – leichter machen. „Parker, alles, was du für dich oder Nicky oder dieses Haus gekauft hast, gehört dir. Alles andere fällt, wie ich fürchte, unter Harrys Güter, die das FBI beschlagnahmt hat. Der Investor weiß, dass ihr hier wohnt, und gibt dir etwas Zeit, um zu … äh … packen.“

„Mein Gott.“ Sie massierte ihren kleinen Finger und sah ihre Freundin an, die zu Eis erstarrt schien.

„Es wird alles gut“, murmelte Lucy automatisch.

Harry räusperte sich. „Wie du dir denken kannst, gefällt es mir auch nicht gerade, dass diese Geier über mein Hab und Gut herfallen. Ich werde mir alles zurückholen.“

„Wirklich“, sagte sie schwach.

„Irgendwann. Meine Handlungsfähigkeit ist ein wenig … eingeschränkt in der nächsten Zukunft.“

„Ein wenig eingeschränkt, in der Tat“, wiederholte Vernon.

So konnte man es auch ausdrücken. James rieb sich die Stirn. Da brauten sich böse Kopfschmerzen zusammen.

„Also.“ Parker schüttelte den Kopf. „Was mein und Nickys Treuhandvermögen anbelangt, brauchst du da nicht meine Unterschrift, um es … einfach aufzulösen? Es muss doch noch etwas übrig sein.“

Nein. Da war nichts mehr, und Harry hatte nur James gebraucht, um die entsprechenden Papiere aufzusetzen. Ziemlich blauäugig von Parker, so viel stand fest. Seit ihrem achtzehnten Geburtstag hätte sie jederzeit die volle Kontrolle über ihr Geld haben können. Und als ihr Sohn geboren wurde ebenfalls.

Doch sie hatte nie etwas in dieser Richtung unternommen.

„Deine Unterschrift wurde nicht benötigt“, sagte Harry. „Genauso wenig deine Zustimmung.“

„Ihre Zustimmung wurde nicht benötigt“, sagte Vernon und nickte fröhlich. Irgendwo im Haus hörte man einen lauten Schlag und ein Fluchen.

Parker holte tief Luft. „Wow, Harry. Also ist alles weg? Das war eine Menge Geld.“

„Ja, Parker!“, blaffte Harry sie an. „Ich sage es nur ungern, aber du wirst eine Zeit lang selbst zurechtkommen müssen. Bis ich einige der Verluste wieder hereingeholt habe.“

„Und was denkst du, wie lange das dauern wird?“

Wieder sah Harry den Anwalt an.

„Das ist im Moment noch nicht klar“, erklärte James. „Dein Vater wird am Montag verurteilt.“

Entsetzt schlug Parker sich die Hand vor den Mund. „Oh, Dad. Kann ich irgendwas tun?“

„Was denn zum Beispiel, Parker?“, fragte er.

„Ich … ich weiß nicht.“

„Ich komme zurecht. Ich habe eine großartige Mannschaft.“

„Eine großartige Mannschaft!“, stimmte Vernon ihm zu.

Lucy erhob sich von ihrem Stuhl am Fenster, um sich neben Parker zu stellen, und nahm ihre Hand. Gutes Mädchen, dachte James. Parker würde ihre Freunde brauchen, und soweit er das beurteilen konnte, standen Lucy und diese Ausgeburt an Perfektion namens Ethan Mirabelli ihr am nächsten. Zumindest war es ihm bei diesen gefürchteten Familienfeiern immer so vorgekommen.

„Ach, das ist wirklich nichts Großes“, sagte Harry. „Ich bin nicht mal sicher, dass ich wirklich ins Gefängnis muss.“

James war davon allerdings felsenfest überzeugt. Oh ja. Harry musste mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen. Sein Fall war nicht ganz so schlimm wie einige andere Wall-Street-Desaster in der letzten Zeit, aber die Sache war eindeutig. Und nach Bernie Madoff und der Occupy-Bewegung war kein Richter mehr dumm genug, einen Fall wie diesen mit Nachsicht zu behandeln.

„Wie ich schon sagte, du musst ausziehen“, fügte Harry hinzu. „Ich hoffe, du nimmst Apollo mit.“

Manchmal fragte James sich wirklich, was, zum Teufel, eigentlich mit Harry los war. Er mochte diesen Typen, ja. Aber in Gegenwart seiner Tochter führte er sich immer wie ein Riesenidiot auf. So wie jetzt.

Parkers Stimme klang hart. „Ich soll Apollo mitnehmen? Du machst dir Sorgen um deine Schlange, Harry? Was ist mit deinem Enkel? Dem Enkel, den du bestohlen hast? Wo soll ich deinen Enkel unterbringen, Harry?“

„Sein Vater würde ihn sicher nehmen.“

„Ich werde mich nicht von meinem Sohn trennen!“, rief sie aus. Ihre Ohren waren inzwischen feuerrot.

„Ihr könnt beide bei uns wohnen, Parker“, sagte Lucy. „Wir bekommen das schon hin.“

„Nein! Danke, Lucy, aber nein. Harry, Ethan und Lucy haben gerade erst geheiratet. Ich werde nicht bei ihnen einziehen! Was ist mit deinem Apartment? Du könntest es verkaufen und …“

„Parker“, sagte James, so sanft er konnte. „Die Börsenaufsichtsbehörde hat das komplette Vermögen deines Vaters konfisziert. Das Apartment, dieses Haus, das Haus in Vermont … alles.“

Sie sah aus dem Fenster. „Das war’s dann mit dem Steinway. Heilige Scheiße.“ Sie schluckte, dann sah sie James ausdruckslos an. „Wann muss ich ausziehen?“

„Eure Privatzimmer kommen zum Schluss dran“, sagte er. „Du hast Zeit bis Ende des Monats.“

„Dieses Monats?“

„Dieses Monats“, bestätigte Vernon.

Wieder knetete sie ihren kleinen Finger. „Okay. Na ja, das ist … ich hatte sowieso darüber nachgedacht, in eine kleinere Wohnung zu ziehen.“

„Kleinere Wohnung. Keine schlechte Idee“, murmelte Vernon, und James hätte ihm am liebsten den Mund zugeklebt.

„Ich ruf mal eben Ethan an, okay, Parker?“, fragte Lucy.

„Okay“, antwortete Parker leise.

„Hör mal“, meinte Lucy jetzt etwas entschlossener. „Du musst da nicht allein durch. Okay? Ich hab etwas Geld auf die Seite gelegt, und du würdest dasselbe für mich tun. Wir sind eine Familie.“

Harry stieß einen verächtlichen Laut aus.

„Halten Sie die Klappe, Harry“, zischte Lucy. „Sie sollten dankbar sein, dass Parker Freunde hat, nachdem ihr eigener Vater ihr so etwas antut.“

Eins zu null für Team Lucy.

„Danke, Luce“, sagte Parker. „Ist schon gut. Ich krieg das hin. Aber klar, ruf Ethan an. Sag ihm Bescheid.“

Woraufhin der Tugendbold wahrscheinlich auf seinem weißen Hengst die Auffahrt hinaufgaloppieren und die Mutter seines Kindes retten würde. Was Parker wiederum zweifellos toll finden würde. James seufzte.

Harry starrte den Python an, und James dachte nicht zum ersten Mal, um wie viel angenehmer es in der Welles-Familie zugehen würde, wenn Harry seiner Tochter nur ein Mal dieselbe Aufmerksamkeit schenken würde wie dieser Schlange.

„Mein Treuhandvermögen ist also weg“, sagte sie. „Aber am Aktienmarkt sieht es momentan gar nicht so schlecht aus. Wie steht’s um mein Portfolio?“

Harry sah sie nach wie vor nicht an. „Dein gesamter Besitz bei Welles Financial ist im Augenblick nicht verfügbar.“

„Nicht verfügbar?“

„Ich hole es mir zurück, Parker“, stieß Harry wütend hervor. „Im Moment hast du noch dein Bankkonto. Irgendwelche sonstigen Ersparnisse?“

„Nein! Du hast mir doch gesagt, dass an der Börse spekulieren besser ist als … ach, was rede ich da? Du bist ein Verbrecher. Ich habe auf den Rat eines Verbrechers gehört. Guter Gott. Hätte ich mal besser Bargeld unter die Matratze gestopft.“ Parker lachte verzweifelt auf.

Offensichtlich wurde ihr so langsam die ganze Tragweite bewusst. Sie fuhr sich mit einer Hand durch das lange Haar.

„Ich kann mir ja noch vorstellen, dass du mein Geld genommen hast“, sagte sie. „Aber Nicky zu bestehlen! Das ist wirklich unterste Schublade, Harry. Selbst für dich.“

„Es war nötig“, fuhr er sie an.

„Wofür? Um deinen Hintern zu retten?“

James hob die Hände. „Okay, okay, lass uns einfach … wir sollten uns alle erst mal beruhigen. Das war jetzt ganz schön viel auf einmal. Dein Vater hat einen Fehler gemacht …“

„Wie viel hat er verloren, Dings eins?“, fragte sie unvermittelt.

James zögerte.

„Oh, verstehe.“ Wenn Blicke töten könnten, würde James jetzt in einer Blutlache auf dem Boden liegen. „Du wusstest es die ganze Zeit. Nun. Ich höre.“

„Du hast sechstausend Dollar auf deinem Girokonto. Und da es auf deinen Namen läuft, kannst du frei darüber verfügen.“

„Ich muss mal telefonieren“, sagte Harry, nahm die Schlange vom Arm und legte sie zurück ins Terrarium. „Vernon, bitte kommen Sie mit. Ich brauche die Informationen über den Kurs des Arzneimittelunternehmens. James, bitte klär Parker über den Rest auf.“

„Da gibt es noch mehr? Willst du mich jetzt vielleicht mit einem Gummischlauch verprügeln, Dings eins? Kann’s kaum erwarten.“

Die Bürotür wurde geschlossen, und nun war James allein mit Parker. Und Apollo.

Nein, nicht allein. Der Möbelpacker kam zurück. „Ist es okay, wenn wir mit dem Esszimmer beginnen? Das ganze Porzellan einzupacken wird eine Weile dauern. Es ist wirklich hübsch! Teuer, würde ich wetten.“

„Ja, machen Sie nur“, sagte Parker. Als er wieder gegangen war, sah sie James an. „Wandert Harry wirklich ins Gefängnis?“

James musste gestehen, dass er mit dieser Frage nicht gerechnet hatte.

„Ja. Er war heute Morgen beim Staatsanwalt und hat ein Geständnis abgelegt, deswegen ist es bisher auch noch nicht in den Nachrichten gekommen. Montagmorgen jedoch …“

Sie warf ihm einen merkwürdigen Blick zu. „Er hat gestanden? Das klingt gar nicht nach ihm.“

James betrachtete seine Hände. „Ja.“ Wieder hörte er die Uhr ticken.

Parker seufzte. „Also, all das Zeug … Opas Boot und die Gemälde und Omas Porzellan … gehört uns denn gar nichts mehr?“

Er drehte sich zu ihr. „Alles in diesem Haus, was du selbst gekauft hast, gehört weiterhin dir. Deine Kleider, Bilder, dein Auto und alles, was du für deinen Sohn gekauft hast. Doch mit dem Rest werden die Verluste von Harrys Investoren gedeckt.“

„Also auf den Punkt gebracht: Ich habe keine Ersparnisse, kein Portfolio, kein Treuhandvermögen, und wir müssen ausziehen.“

„Harry konnte weitere fünftausend Dollar für dich zurückbehalten.“ James öffnete seine Aktentasche – ein Geschenk von Harry – und reichte ihr einen Umschlag, den sie automatisch entgegennahm. „Du hast auch etwas eigenen Schmuck, richtig?“

„Ich schätze schon“, murmelte sie. James wusste ganz genau, was sie besaß, denn alles war ordentlich für die Versicherungen aufgelistet. Nichts Spektakuläres – ein paar alte Perlenketten, ein paar Anstecknadeln von ihrer Großmutter. Alles in allem waren die Stücke vielleicht noch ein paar Tausend Dollar wert. Parker war nicht der Typ, der sich mit Diamanten behängte oder teure Möbel oder einen Sportwagen kaufte – sie fuhr einen Volvo Cross Country, der bereits fünf oder sechs Jahre alt war. Auch reiste sie nicht viel. Sie kam da mehr nach den ehemaligen Welles-Generationen, die ihr Vermögen still und ohne viel Aufheben genossen hatten.

Harry war ganz anders – er wollte die Welt wissen lassen, wie viel er besaß, indem er jeden Cent ausgab.

Und obwohl sie ihm vor Jahren einmal sozusagen seine Eier auf einem Silbertablett serviert hatte, tat sie ihm wirklich leid. „Ich weiß, das alles ist ein bisschen viel auf einmal“, sagte er sanft, doch sie brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen.

„Und ich schätze, du hättest mich nicht vorwarnen können, Dings eins.“

„Nein. Tut mir leid. Anwaltliche Schweigepflicht.“

„Hoffe, dass du nachts gut schlafen kannst.“

„Fahren wir fort“, sagte James. „Dir gehört das Haus in Maine.“

„Welches Haus in Maine?“

Diese Reichen, also ehrlich. „Deine Großtante Julia Harrington hat dir vor sechs Jahren ein Haus hinterlassen. Klingelt’s jetzt?“

Sie runzelte die Stirn. „Ach du liebe Zeit, richtig. Ich war gerade mit Nicky schwanger, als sie starb. Wo ist es? Ich habe es nie geschafft, einmal hinzufahren.“

James setzte ein neutrales Gesicht auf. Wie konnte man vergessen, ein Haus geerbt zu haben? „Das Haus liegt in Gideon’s Cove.“ Er reichte Parker den Aktenordner. „Nördlich von Bar Harbor.“ Er kannte die Stadt … oder hatte sie einmal gekannt. Sein alleinstehender Onkel besaß dort eine Bar, und James hatte als Jugendlicher ab und zu die Sommerferien bei ihm verbracht.

„Das könnte ich also verkaufen, richtig?“ Parkers Gesicht hellte sich ein wenig auf. „Ich könnte es verkaufen und mir dadurch ein finanzielles Polster schaffen?“

„Ja, das könntest du“, antwortete James. Er wusste nicht, welches Haus ihr gehörte, obwohl er eine Kopie der Besitzurkunde hatte. Wenn er sich richtig erinnerte, gab es auf dem Shoreline Drive ein paar ganz nette Häuser.

„Gut.“ Sie schwieg einen Moment. „Dann sehe ich es mir an, wenn Ethan und Lucy mit Nicky in Urlaub fahren. Bisschen frische Farbe drauf, und dann kann ein Immobilienmakler es anbieten.“

„Klingt nach einem Plan.“ Aus eigener Erfahrung wusste er, dass das Leben selten so einfach verlief, aber er wünschte es ihr.

„Du hast sie an das Haus erinnert?“, fragte Harry, als er ins Büro zurückgeschlendert kam.

„Ja, Sir“, bestätigte er.

„Gut. Parker, James kennt die Gegend. Er wird mit dir fahren und sich das Grundstück ansehen.“ Bitte nicht, dachte James. Und sie wird auch nicht scharf darauf sein.

„Nein, wird er nicht“, gab Parker zurück. „Aber trotzdem danke, Dings eins.“

„Sei nicht albern“, zischte Harry. „Du brauchst Hilfe.“

Parker wandte sich an James, ihr Blick in etwa so freundlich wie der von Apollo. „Dings eins, es ist unglaublich freundlich von meinem Vater, mir deine Hilfe anzubieten, aber danke, nein.“

„Schön“, sagte Harry. „Mach, was du willst. Das machst du ja immer. Wir hören voneinander.“

„Harry“, begann sie, stand auf und knetete erneut ihren kleinen Finger. „Bist du sicher, dass ich nichts für dich tun kann?“

„Ich komme schon klar.“ Er warf ihr ein breites Grinsen zu, das so unecht wirkte, dass James innerlich zusammenzuckte. Dann spazierte Harry wieder aus dem Büro und wirkte dabei wie der Herrscher über die Wall Street, der er einmal gewesen war. Vernon klebte an seinen Fersen.

Und von James wurde erwartet, dass er ihnen folgte. Daher stand er auf und sah Parker an, die gerade die Schlange anstarrte. „Das alles tut mir wirklich leid, Parker“, sagte er. „Ich werde dir helfen, so gut ich kann.“

Sie schenkte ihm einen Blick, den sie in ihrem todschicken Internat gelernt haben musste. Tut mir leid, wer waren Sie noch mal …? „Spar dir das Geschleime für meinen Vater, Dings eins.“

Manche Menschen änderten sich einfach nie. „Ich habe es ernst gemeint.“

„Ich auch.“

Okay, genug von diesem Prinzessinen-Theater! „In manchen Dingen bin ich wirklich gut“, sagte er. „Wie du dich vielleicht erinnerst. Bauarbeiten gehören auch dazu.“

„Wirklich. Wie faszinierend. Auf Wiedersehen, Dings eins. Und sag meinem Vater, dass ich die Schlange nicht mitnehmen werde.“

James verharrte noch einen Moment, hin- und hergerissen zwischen Schuldgefühlen – sein liebster Zeitvertreib – und dem Wunsch, ihr irgendwie zu helfen. Ganz davon abgesehen, dass er aus diesem Winkel einen recht guten Blick auf ihren Ausschnitt hatte. Eine fantastische Aussicht.

Für dich ist alles nur ein Spiel, oder?, hörte er die Stimme seines Vaters fragen.

Das war schwer zu leugnen. „Übrigens, mir gefällt dein letztes Holy-Rollers-Buch“, fügte er hinzu.

„Dann ist dein IQ sogar noch niedriger, als ich dachte.“

Er musste lächeln. Parker sah weg. „Ruf mich am Montag an, und sag mir, was mit ihm geschieht.“

„Mach ich.“ Er nahm seine Aktentasche. „Wir sehen uns in Maine.“

Sie warf ihm einen eisigen Blick zu. „Nicht wenn ich dich zuerst sehe. Das Waffenrecht ist ziemlich eindeutig in Bezug auf Eindringlinge auf privaten Grundstücken.“ Dazu sagte er nichts. „Geh, Dings eins. Dein Herr und Meister wartet.“

James gehorchte. Etwas anderes konnte er auch gar nicht tun.

Zumindest im Moment nicht.

3. KAPITEL

In den folgenden zwei Wochen hatte Parker sich, wie sie fand, ziemlich gut gehalten. Sie war immerhin Mutter … und da lief man nicht fluchend und heulend durch die Gegend. Außerdem war Lucy an diesem ersten Wochenende einfach unglaublich gewesen, hatte ihr über den ersten Schock hinweggeholfen und war mit ihr durchs Haus gelaufen, um festzulegen, was genau ihr eigentlich gehörte. Alles andere schafften die Möbelpacker weg.

Viel blieb ihr nicht. Ihr Mac natürlich. Ein paar Möbelstücke, einige Bilder und ansonsten – eine Vase, einige Kissen, nichts besonders Wertvolles.

„Du weißt, dass ich dir mit Geld aushelfen kann“, meinte Lucy mindestens zum fünfzehnten Mal. „Da ist Jimmys Lebensversicherung und …“

„Vielen Dank, wirklich“, sagte Parker. „Aber weißt du was? Es ist schon okay. Schockierend zwar, aber Ethan hat ja ziemlich viel Geld für Nickys College zur Seite gelegt, und ich werde das Haus in Maine renovieren. Dann habe ich etwas Geld und kann neue Bücher schreiben. Oder mir irgendeinen Job besorgen.“

Sie lächelte entschlossen und versuchte nicht daran zu denken, dass sie a) den Rat ihres Vaters, Wirtschaft zu studieren, ignoriert und stattdessen zwei lächerliche und auf dem Arbeitsmarkt unbrauchbare Abschlüsse gemacht hatte – Literatur war schon schlimm genug, aber Ethik? Ethik? – und dass sie b) seit den Holy Rollers überhaupt keine Idee für eine neue Buchserie gehabt hatte. Sie hatte wirklich den schlechtesten Zeitpunkt gewählt, um den kleinen Mistkröten ihre Flügel und Heiligenscheine zu verpassen. Stattdessen hätte sie die Kleinen noch unendlich lange melken können.

Aber ganz ehrlich, nach dem ersten Schock war sie einfach nicht in der Lage, sich zu beklagen. Fünfunddreißig Jahre lang hatte sie mehr Privilegien und Reichtum genossen als achtundneunzig Prozent der Menschheit. Wenn sie Berichte über die Occupy-Bewegung im Fernsehen sah, fand sie, dass die Leute irgendwie recht hatten.

Und nun war es eben an der Zeit, das Leben einmal von einer weniger rosigen Seite kennenzulernen. Jetzt ging es ihr wie jedem normalen Mensch auch. Laut Lucy sogar besser, denn sie hatte etwas mehr als elftausend Dollar auf dem Bankkonto, keine Schulden und ein Haus an der Küste von Maine. Wenn man die Maßstäbe von Paris Hilton anlegte, dann war sie bettelarm. In Wahrheit aber ging es ihr recht gut.

„Ich werde es vermissen, dich hier zu besuchen“, sagte Lucy, die gerade einen Pulli zusammenlegte. „Schätze, ich muss mir jetzt eine andere Freundin mit Villa suchen.“

Parker lächelte, dankbar für Lucys Versuche, die ganze Sache nicht zu ernst werden zu lassen, ganz zu schweigen davon, dass sie ihr beim Packen half. Lucy war sehr ordentlich. „Viel Glück dabei.“

„Wie kommt Nicky damit zurecht?“

„Na ja, du weißt ja, wie er ist. In der einen Minute findet er es toll, dass wir umziehen, und am nächsten Tag weiß er schon nicht mehr, warum wir packen. Ich glaube nicht, dass er wirklich verstanden hat, dass wir nicht mehr zurückkommen. Aber ich hatte mir sowieso schon überlegt, auszuziehen. Jedenfalls kann ich ihm das leichter erklären als die Tatsache, dass mein Vater ins Gefängnis muss.“

„Zu Ethan hat er gesagt, dass sein Opa sich eine Auszeit nimmt.“

„Ja, so habe ich es ihm erklärt. Dass er verreist, um darüber nachzudenken, dass man nach den Regeln spielen muss und nicht habgierig sein darf.“ Sie erschauderte. „Nicky hat es trotzdem ziemlich schwer genommen. Aber Harry wird bestimmt wegen guter Führung oder so was in ein paar Jahren wieder draußen sein.“ In ein paar Jahren. Oh, Mann.

„Und wie geht es dir damit, Parker? Ich weiß zwar, dass du mit deinem Vater nicht wirklich gut auskommst, aber trotzdem.“

„Ja. Aber trotzdem.“ Sie warf Lucy einen schnellen Blick zu. „Ich weiß nicht. Auf der einen Seite tut er mir leid. Andererseits hat er es wirklich verdient. Und außerdem habe ich mein Leben lang vom Familienvermögen gelebt und nie wirklich darauf geachtet, wo es eigentlich herstammt. Wie auch immer, jetzt ist alles weg.“

„Das muss ziemlich hart sein.“

Parker schluckte. Es war tatsächlich hart. Die Leute von der Börsenaufsicht waren in der vergangenen Woche gekommen und hatten ihr zugestanden, ein paar persönliche Dinge zu behalten – die Ente, die ihr Großvater geschnitzt hatte, die kleine weiße Vase ihrer Großmutter, für die sie früher immer im Garten Blumen gepflückt hatte. „Ich habe ein paar Weinflaschen aus dem Keller geklaut.“

„Man muss Prioritäten setzen.“

„Ganz genau. Und sie waren nicht wirklich teuer.“

„Also, erzähl mir von diesem Haus in Maine. Ich stelle es mir so ein bisschen vor wie das Sommerhaus von Präsident Bush im Süden. Also ein wenig wie dieses Grundstück hier nur mit grauen Schindeln?“

Parker stieß einen unwilligen Laut aus. „Ich weiß es nicht. Ich habe meine Großtante nur ein paar Mal getroffen. Du weißt ja, dass meine Mutter mich ständig zu einem neuen Stiefvater gezerrt hat. Wenn wir mal ein Familienfest hatten, bekam immer irgendjemand einen Nervenzusammenbruch. Es gab keine Picknicks, keine Lagerfeuer, keine Onkel, die sich als Weihnachtsmann verkleidet haben. Eine meiner wenigen Erinnerungen an Tante Julia ist, wie sie mich aufforderte, zu rauchen, damit ich nicht fett werde. Zu der Zeit war ich ungefähr dreizehn.“ Sie lächelte Lucy kläglich an.

„Himmel, Parks! Wie kommt es, dass du so normal bist?“

„Bin ich wahrscheinlich nicht“, gestand sie und warf ein Paar Strümpfe in den Koffer.

„Du triffst deine Verwandten also fast nie, erbst aber ihre Sommerhäuser.“

„Ja. Das ist unsere Art, mit Schuldgefühlen und Familienverpflichtungen umzugehen. Sozusagen als Ausgleich für generationenlangen Streit, Alkoholismus und Vernachlässigung.“

„Warst du nie neugierig auf das Haus?“

Parker zuckte die Achseln. „Na ja, als Julia starb, war ich im neunten Monat schwanger. Und dann diese Koliken – erinnerst du dich? Ich konnte ein halbes Jahr lang praktisch nicht mal meinen eigenen Namen aussprechen. Also, die Wahrheit ist, dass ich das Haus sozusagen vergessen hatte.“ Parker zog den Reißverschluss des Koffers zu. „Ich habe bei Google nach der Adresse gesucht, aber nicht viel mehr als einen Fleck auf der Landkarte gefunden. Es sind keine Satellitenfotos verfügbar. Offenbar habe ich dort noch Cousinen und Cousins dritten Grades, das meinte jedenfalls meine Mom. Ich habe ihnen eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen.“

„Es ist doch großartig, dass du da jemanden in der Nähe hast.“

„Ich weiß. Ich habe Bilder von der Stadt gesehen, die ist wirklich hübsch, Lucy. Wie auf einer Postkarte. Und ich weiß, dass das Haus Meerblick hat, also kann es so schlimm ja nicht sein.“

„Richtig. Es ist bestimmt wunderschön.“

„Also fahre ich da mal schnell hin, gebe etwas Geld für die Renovierung aus, komme wieder zurück, suche uns eine Wohnung, und dann sollte alles erledigt sein, bevor Nicky in die Schule kommt.“ Sie legte einen Kaschmirpulli zusammen. „Das wird witzig. Und es wird mir bestimmt guttun.“

„Und was ist mit deiner neuen Buchserie? Meinst du, du kommst dort zum Schreiben?“

Die Eine-Million-Dollar-Frage. „Das hoffe ich. Ich dachte, der Prozess meines Vaters würde den Verkäufen schaden. Aber nein. Ganz im Gegenteil, und jetzt ist mein Verleger ganz wild darauf, dass ich schnell mit einer Idee komme, bevor unsere traurige Berühmtheit wieder verblasst. Kannst du dir das vorstellen?“

„Na ja, das ist doch gut, schätze ich. Dass du gefragt bist.“

„Ja.“ Das war gut. Aber schade, dass sie über eine weitere kitschig-süße Serie nachdenken musste, statt ein außergewöhnliches, großartiges und berührendes Wilbur-und-Charlotte-artiges Meisterstück zu verfassen. Auf die richtige Einstellung kommt es an, schimpften die Holy Rollers. „Ich freue mich darauf, endlich wieder loszulegen.“

Schon besser!, jubelten die Holy Rollers. Dieser Tage waren sie ungefähr zwölf Jahre alt und kicherten ziemlich viel.

„Also, ich habe darüber nachgedacht.“ Lucy warf ihr ein Lächeln zu. „Drei Wochen lang kinderlos … du solltest dir eine kleine Affäre gönnen.“

Parker winkte ab.

„Nein, nein! Das wäre doch toll! Eine Sommerromanze mit irgendeinem heißen Segler oder einem Fischer. Ich denke da an George Clooney in Der Sturm …“

„Der stirbt am Ende.“

„Du könntest schwimmen, Hummer essen und tun, was man halt in Maine so tut. Aber gönn dir mal was, Parker. Such dir einen heißen Sommerflirt, Mädchen! Was sagst du?“

„Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet du so was vorschlägst.“

„Hör mal, du hast doch selbst zugegeben, acht Mal Neil Patrick Harris’ Rede bei den Emmy Awards angeschaut zu haben.“

„Inzwischen schon elf Mal, um genau zu sein. Und ich bin sicher, er würde meinetwegen heterosexuell werden.“

„Ja, okay, wir alle haben unsere Träume. Aber eine Affäre wäre wirklich toll. Parks! Jetzt komm schon. Wer war der letzte Typ, mit dem du geschlafen hast, Parker?“

„Kein Kommentar.“

„Ach, verdammt. Etwa Ethan?“

Parker zuckte zusammen. „Nein. Nicht Ethan.“

„Doch, es war Ethan. Oh, mein Gott. Ethan, der jetzt mit deiner besten Freundin verheiratet ist.“ Lucy schnappte sich einen anderen Pulli und legte ihn zusammen. „Das ist gleichzeitig krank und sehr traurig.“

„Bitte hör auf, mich verkuppeln zu wollen. Das passt gar nicht zu dir.“

„Richtig. Erinnerst du dich noch an diese komische Single-Veranstaltung, zu der ich letztes Jahr mit dir gehen musste? Wer hat da wen verkuppeln wollen?“

„Was bedeutet verkuppeln?“, wollte Nicky wissen, der gerade ins Zimmer stürzte.

„Ja, meine Damen, was bedeutet das?“, fragte Ethan mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Das ist so eine Erwachsenensache“, antwortete Parker. „Hat auch etwas damit zu tun … ähm … Babys zu machen.“

„Krass“, sagte Nicky.

„Ganz genau.“ Lächelnd sah Parker Lucy an.

Affäre, formte Lucy mit den Lippen.

„Daddy hat mich nicht gefunden“, verkündete Nicky, sprang aufs Bett und wälzte sich auf Parkers Kleidern wie ein kleines Hündchen. „Ich war in der Speisekammer, und er hat mich nicht gefunden.“

„Ich wusste überhaupt nicht, dass wir spielen, Nicky“, meinte Ethan. „Du solltest mir eigentlich antworten, wenn ich dich rufe.“

„Okay. Tut mir leid.“ Ihr Sohn begann jetzt wie auf einem Trampolin zu hüpfen. „Rate mal, Mom?“ Hüpf. „Daddy sagt …“ Hüpf. „Unser Flugzeug startet …“ Hüpf. „… in vier …“ Hüpf „… Stunden!“ Er sprang vom Bett und landete mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden. „Ich bekomme vielleicht Erdnüsse von der Kellnerin.“

Parker spürte einen Kloß im Hals und strich Nicky durchs Haar, das noch immer babyweich war. Verändere dich nicht zu sehr, während du weg bist. „Du wirst unglaublich viel Spaß haben, Schätzchen.“

„Ich weiß. Du sollst auch mitkommen.“

„Na ja, ich fahre nach Maine, das ist auch Urlaub. Und Daddy wird dich dort hinbringen, wenn ihr zurück seid. Es ist wirklich schön da. Wir können Hummer essen. Und vielleicht segeln gehen.“

„Okay. Gib Elefant einen Kuss.“ Er hielt ihr das Stofftier unter die Nase. Parker gehorchte, dann zog sie ihren Sohn in die Arme und atmete seinen Kleinjungenduft ein.

„Ich hab dich lieb, Nicky“, wisperte sie.

„Ich dich auch, Mommy“, sagte er, wand sich aus ihrer Umarmung und schien zum ersten Mal ihren Koffer wahrzunehmen. „Werden wir nie mehr hier wohnen?“, fragte er, und seine Stimme zitterte.

„Nein, Schatz, tut mir leid.“

„Aber dann will ich genau so ein Haus.“

„Wir werden in ein etwas kleineres Haus haben.“

„Ich will aber das Haus hier! Ich will hierher zurück!“

„Nicky, Kumpel“, mischte Ethan sich ein. „Dieses Haus ist wirklich groß. Hier sollten ganz, ganz viele Menschen wohnen. Aber euer neues Haus wird nur dir und Mommy gehören. Und du kannst beim Aussuchen helfen, nicht wahr, Parker?“

„Auf jeden Fall.“ Sie warf Ethan einen dankbaren Blick zu.

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