Ein Kowalski für gewisse Stunden

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Heiß aber herzlich: Der sechste Band von Shannon Staceys erfolgreicher Kowalski-Serie!

"Wenn du Josh rumkriegen willst, dann überrasch ihn in einem Nichts aus schwarzer Spitze und zieh ihn in eine dunkle Ecke."Katie hat sich die Szene schon oft vorgestellt. Mit einem winzigen Unterschied:"Warum nicht in weißer Baumwollunterwäsche?"Die burschikose Katie ist wie eine Schwester unter den Kowalski-Brüdern aufgewachsen. Doch insgeheim sind ihre Gefühle für Josh ganz und gar unschwesterlich. Und nach einer heißen nächtlichen Begegnung in der Küche ist endlich klar, dass auch Josh sie begehrt. Zu spät? Katie weiß genau, dass er davon träumt, so bald wie möglich die Stadt zu verlassen. Da wäre es doch komplett verrückt, gerade jetzt mit ihm eine leidenschaftliche Affäre anzufangen … oder?


  • Erscheinungstag 01.10.2015
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783956494802
  • Seitenanzahl 304
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Shannon Stacey

Ein Kowalski für gewisse Stunden

Roman

Aus dem Amerikanischen von Thomas Hase

MIRA® TASCHENBUCH

25866

1. Auflage: Oktober 2015

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

All He Ever Dreamed

Copyright © 2013 by Shannon Stacey

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz / C L Joseph of NH Photographic Creations

ISBN eBook 978-3-95649-480-2

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Josh Kowalski konnte sein bisheriges Leben in wenigen Worten zusammenfassen: dreißig Jahre voller Entsagungen. Entsagungen, so lästig, wie Mückenstiche an Stellen, an denen man sich nicht kratzen konnte.

Zum Beispiel hätte es Josh in den Fingern gejuckt, eines Tages seine Heimatstadt Whitford im Staat Maine hinter sich zu lassen. Ebenso gern hätte er der Northern Star Lodge Ade gesagt. Es hätte ihn auch gejuckt, das Abenteuer zu suchen. Oder einen Job nach eigenem Geschmack, anstatt auf diesem einen festgenagelt zu sein, der ihm offenbar schon vor seiner Geburt bestimmt war. Es juckte ihn, eine Frau zu finden, die ihn bis ans Ende seiner Tage alle anderen Frauen der Welt vergessen ließ. Aber all diese „Stiche“ hörten nicht auf ihn zu plagen, und dagegen schien es weder Pillen noch Pulver zu geben. So blieb ihm nichts anderes übrig, als auf bessere Zeiten zu warten, während ihn sein Leben mit jedem Jahr, das verstrich, mehr bedrückte.

Dieses Jahr allerdings war Besserung in Sicht. Josh griff sich ein Sixpack aus dem Kühlschrank und schlug die Tür mit dem Hintern zu, denn er hatte die Hände voll mit dem Bier und einer Tüte stibitztem Gebäck. Sein gebrochenes Bein im letzten Juli hatte unglaublich genervt, gleichzeitig hatte es ihm eine Art Atempause verschafft, da seine Brüder ihm zu Hilfe gekommen waren. Das wiederum hatte Josh ermöglicht, ihnen gegenüber seinem Herzen Luft zu machen und deutlich auszusprechen, wie sehr er es hasste, die Lodge zu führen, und das nur, weil er der Jüngste war. Ganz nach dem Motto „den Letzten beißen die Hunde“.

„Willst du weg?“

Josh hätte vor Schreck beinahe das Bier fallen gelassen. In ihren mit Schaffell gefütterten Hausschuhen, die sie im Winter trug, bewegte sich Rose nahezu lautlos, wenn sie durchs Haus streifte. „Ja. In einer halben Stunde fängt das Spiel an.“

Rose Davis war die Haushälterin der Northern Star Lodge, und das schon, solange Josh denken konnte. Aber nicht nur das. Als Josh fünf Jahre alt war und seine Mutter starb, schlüpfte Rose gewissermaßen in die Rolle der Ersatzmutter. Das bedeutete, dass sich Josh schließlich in der Situation eines Mannes wiederfand, der mit dreißig noch bei seiner Mom lebte. So war es denn auch kein Wunder, dass der Wunsch, die richtige Frau zu finden, zu den „Stichen“ gehörte, die am meisten juckten.

„Wenn du …“, wollte Rose gerade ansetzen, wurde allerdings von einem heftigen Hustenanfall unterbrochen. Josh runzelte die Stirn. Seit einer Weile ging ein Erkältungsvirus in Whitford um, und der hatte Rose schon mit einer Lungenentzündung niedergestreckt. Obwohl Rose sich davon hatte nicht unterkriegen lassen, gefiel Josh dieser hartnäckige Husten gar nicht. „Wenn du Katie siehst“, brachte Rose dann doch ihren Satz zu Ende, „grüß sie lieb von mir.“

„Vielleicht sollte ich lieber hierbleiben.“

Energisch winkte sie ab. „Ich mach es mir mit meinem Strickzeug vor dem Fernseher gemütlich und schau mir ein paar Folgen Criminal Minds an. Dich nebenan herumschreien und fluchen zu hören, während du dir das Spiel ansiehst, kann ich gar nicht gebrauchen.“

„Du hattest eine Lungenentzündung, Rosie. Wenn du nicht auf dich aufpasst, landest du wieder im Bett.“

„Ist das mein Bananenbrot da in deiner Tüte?“

„Du versuchst abzulenken.“

„Du versuchst, mein Bananenbrot zu stehlen.“

„Hast du mir nicht erzählt, du wolltest ein paar Pfunde abnehmen? Ich tue dir also nur einen Gefallen.“ Rose zog die Augenbrauen hoch, und Josh merkte, dass er ins Fettnäpfchen getreten war. Also fügte er schnell hinzu: „Nicht, dass du nicht perfekt wärst, so, wie du bist. Ich will nur, dass du glücklich und zufrieden bist. Dieses Bananenbrot wird dich nicht glücklich machen. Meine Freunde – und deine Tochter eingeschlossen – macht es aber sehr, sehr glücklich.“

Rose musste lachen und bekam erneut einen Hustenanfall. Wieder schaute Josh sie besorgt an, und erneut beruhigte Rose ihn mit einer beschwichtigenden Geste. „Du hältst dich wohl für einen großen Charmeur, Joshua Kowalski. Doch ich kenne alle deine Flausen schon, seitdem du vier Jahre alt warst. Damals hast du mir auftischen wollen, du hättest mir zuliebe danebengepinkelt, damit ich immer etwas zu putzen hatte und deine Eltern mich nicht wegen Arbeitsmangel entlassen.“

„Siehst du. Schon von klein auf war ich um dich besorgt, Rose.“

Sie schüttelte den Kopf und scheuchte ihn mit der Hand weg. „Verschwinde. Nimm das Bananenbrot und geh. Ich wette, du hast auch in die Keksdose gelangt.“

Man konnte Rose einfach nicht hinters Licht führen. Natürlich hatte Josh das Bananenbrot noch um ein Dutzend Haferflocken-Rosinen-Kekse ergänzt. Es war eigentlich nicht üblich, Kuchen und Kekse mitzubringen, wenn man sich mit den Kumpels traf, um zusammen Football zu schauen. Aber was Rose in ihrem Backofen zauberte, war so lecker, dass niemand in Whitford dem widerstehen konnte. Joshs Lieblingskekse waren die Schoko-Cookies. Wenn er jedoch für Katie in die Keksdose griff, hielt er sich an die Haferflocken-Rosinen-Plätzchen, denn die mochte Roses Tochter am liebsten.

„Hast du dein Handy dabei?“

Rose nickte und klopfte auf die Tasche ihrer dicken Strickjacke. „Ich ruf dich an, wenn ich dich brauche.“

„Versprochen?“

„Es ist alles gut, Josh.“ Sie bedachte ihn mit einem Blick voller Zärtlichkeit, und Josh wurde ganz beklommen zumute, da er sich daran erinnerte, wie schlecht es ihr noch im November gegangen war. Die Sorge um sie hatte ihn damals fast gekillt, und er wollte das so bald nicht noch einmal erleben. Zu Thanksgiving war Rose wieder so weit auf dem Damm, dass sie im neuen Zuhause von Joshs Bruder Mitch und seiner Frau mit allen zusammen feiern konnte. Doch auch dort hatte Josh ständig befürchtet, dass sie sich zu wenig schonte. Das war jetzt zehn Tage her, also rund einen Monat, nachdem sie krank geworden war. Immer noch war Josh alarmiert, wenn er Rose husten hörte.

„Du rufst an, wenn du überhaupt irgendetwas benötigst, okay?“

„Ist versprochen. So, und jetzt sieh zu, dass du wegkommst, damit ich mir einen Tee kochen und meine Sendung weitergucken kann.“

Josh machte sich auf den Weg. Je eher er verschwand, umso früher konnte sie gemütlich mit ihrem Strickzeug vor dem Fernseher sitzen. Als er schließlich in seinem Pick-up saß und den Motor anließ, schoss ihm die Frage durch den Kopf, wie es werden sollte, wenn in zwei Wochen die Saison anfing und die Lodge voller Feriengäste wäre. Wenn Rose bis dahin noch nicht wieder fit war, hatte er ein ernstes Problem.

Die einfachste Lösung war die, eines der jungen Mädchen aus Whitford vorübergehend als Aushilfe zu engagieren, wie sie es in der Vergangenheit schon gelegentlich getan hatten. Doch in den letzten Jahren hatte er es nicht geschafft, dafür Geld zurückzulegen. Dabei hatten die Buchungen für die kommende Saison schon einen Rekordstand erreicht. Das war der Mitarbeiterin zu verdanken, die in Mitchs Firma für das Online-Geschäft zuständig war und die Website der Lodge auf Vordermann gebracht und sie mit Facebook verlinkt hatte – und was sonst nicht noch alles. Aber obwohl die Aussichten sich verbessert hatten, tat Josh jeder Dollar leid, die er für eine Hilfskraft verwenden musste. Denn der fehlte auf der Einnahmenseite, und jeder Gewinn, den die Lodge erwirtschaftete, brachte Josh der Freiheit einen Schritt näher, weshalb er es, wenn es sein musste, auch auf sich nahm, eigenhändig Betten zu machen, die Bettwäsche zu waschen und die Toiletten zu schrubben.

Das sollte ihn an diesem Tag allerdings nicht kümmern. An Arbeit konnte er wochentags denken. Dieser Abend gehörte dem Football, seinen Freunden und den Snacks zur Übertragung. Manchmal, wenn er darüber nachgrübelte, kam er zu dem Schluss, dass diese wenigen Stunden, in denen er sich von dem Familienbetrieb davonstehlen konnte, ihn davon abgehalten hatten, alles hinzuwerfen und dem Northern Star den Rücken zu kehren, wo die Arbeit ihn auffraß. Dabei passierte es sogar manchmal, dass er sich in der Hochsaison, wenn die Schneeverhältnisse gut waren, nicht einmal diese kleine Auszeit nehmen konnte.

Aber davon war an diesem Sonntagabend nicht die Rede. Es gab Bier, Bananenbrot und eine spannende Football-Übertragung, bei der man sich wunderbar aufregen konnte. Katie würde ihm wieder zusetzen, und am Ende würden sie wieder eine ihrer albernen Wetten abschließen. Blieb zu hoffen, dass die Patriots gewannen, sodass er ein bisschen von der Euphorie in den Montag hinüberretten konnte.

Als Josh seinen Pick-up auf dem Hof bei den wenigen anderen Wagen abstellte, die bereits dort parkten, bemerkte er, dass Katies Jeep fehlte. Das war seltsam. Sie ließ sich ein Sonntagsspiel bei Max niemals entgehen. Josh warf einen Blick auf seine Uhr. Die Patriots mussten zum früheren Spiel antreten, und es war beinahe schon Anstoßzeit.

Bei den Unmengen von Bazillen, die seit zwei Monaten in der Stadt unterwegs waren, bestand allerdings die Möglichkeit, dass sie krank geworden war. Der Gedanke dämpfte Joshs Vorfreude. Er hatte Katies Gesellschaft gern und riskierte deshalb auch, sich den Zorn ihrer Mom zuzuziehen, wenn er für Katie Plätzchen klaute.

Josh nahm sich vor, Katie nach dem ersten Viertel anzurufen oder ihr eine SMS zu schicken, wenn sie nicht auftauchte. Er musste wissen, ob sie nicht doch krank war. Auf jeden Fall machte Football ohne sie nur halb so viel Spaß.

Katie Davis klemmte ihren alten, aber heiß geliebten Jeep zwischen zwei Pick-ups und griff sich die Einkaufstasche mit dem Knabberkram vom Beifahrersitz. Sie war zu spät, doch bei Max zum Football mit leeren Händen aufzutauchen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Also war sie noch rasch beim Supermarkt vorbeigefahren. Leider war Fran an der Kasse wie üblich zum Plaudern aufgelegt, und so brauchte Katie eine geschlagene Viertelstunde, um zwei Tüten Chips und drei Gläser Dip zu bezahlen.

Der Pick-up mit dem Logo der Northern Star Lodge war nicht zu übersehen. Also war Josh schon da. Das war normal, denn für gewöhnlich versäumte Josh kein Spiel bei Max, allerdings wäre Katie für die Vorwarnung dankbar gewesen. Sie hatte im Laufe der Zeit gelernt, sich zu verstellen, um ihre wahren Gefühle für ihren besten Kumpel zu verbergen. Da war es gut, wenn man ein paar Sekunden Zeit hatte durchzuatmen, bevor man seinen großen Auftritt hatte.

Die Bühne war in diesem Fall das Wohnzimmer von Max Crawford. Max lebte allein und konnte sich mit Ausnahme von Golf und Tennis für jede Art von Sport begeistern. Darüber hinaus besaß er den größten Fernseher in Whitford. Niemand wusste so genau, womit Max eigentlich sein Geld verdiente. Möglicherweise hing es mit der Hightech-Alarmanlage zusammen, mit der er den Keller seines Heims gesichert hatte. Rose war sowieso davon überzeugt, dass Max eines Tages den Stoff für eine neue Folge ihrer geliebten TV-Serie Criminal Minds liefern würde. Aber egal – solange Max Sport in HD lieferte und drei große Ledersofas hatte, stellte niemand überflüssige Fragen.

Max stand in der Küche, während Katie durch die Seitentür das Haus betrat. Er war groß, blond, gut gebaut, sportlich – das, was man einen heißen Typen nennen konnte. Doch auf Katie machte er nicht den geringsten Eindruck. Dabei hatte sie es sogar ausprobiert. Sie konnte ihm aber noch so oft in sein wirklich gut aussehendes Gesicht blicken und sich im Geiste alle seine Vorzüge aufzählen, seine Wirkung auf sie war absolut gleich null, keine Regung, nichts.

„Hi, Katie. Ich dachte schon, du tauchst gar nicht mehr auf.“

„Ach, Fran hatte mal wieder ein großes Mitteilungsbedürfnis.“

Max nahm ihr die Tasche ab und schaute hinein. „Ah, sehr gut. Keiner hat an Dip gedacht. Du hast unsere Chips gerettet.“

Katie verdrehte die Augen. Dann ging sie an den gigantischen Kühlschrank, um sich eine Limonade zu holen. „Ich wette, es hat sich schon jemand in meiner Ecke breitgemacht.“

Katies Lieblingsplatz war die Ecke eines der gemütlichen Ledersofas, wo auf der Rücklehne immer eine Wolldecke mit dem Emblem des Eishockeyteams der Boston Bruins lag, in die sie sich reinkuscheln konnte. Normalerweise hatte jeder seinen festen Platz, wenn sie sich zum Spiel bei Max trafen, aber Katie traute es dem einen oder anderen durchaus zu, ihr Zuspätkommen auszunutzen und ihr das Eckchen auf der Couch streitig zu machen, das sie für sich zu beanspruchen pflegte.

„Du denkst doch nicht, dass Josh irgendjemanden auf deinen Platz lässt?!“

Katie stutzte, während sie den Verschluss der Getränkedose aufknackte. Was hatte dieser Satz zu bedeuten? Aus der Dose zischte es, und sie trank einen Schluck, bevor sie bemerkte: „Dem ist doch egal, wer wo sitzt, solange er freie Sicht auf den Fernseher hat.“

„Ganz so egal wohl doch nicht. Ihm kommt es schon darauf an, wo du sitzt.“

Katie schnaubte nur verächtlich, um deutlich zu zeigen, dass sie selten etwas Alberneres gehört hatte. Zwar würde sie Max glauben, aber sie hatte auch keine Lust dazu, bei den Leuten hier ins Gerede zu kommen.

„Wahrscheinlich ist es ihm gar nicht bewusst“, fuhr Max fort, „aber er strahlt so etwas aus.“

„Was strahlt er aus?“

„So eine ‚Ich-möchte-dass-Katie-neben-mir-sitzt-Ausstrahlung‘.“

„Keine Ahnung, was du geraucht hast, aber du solltest vielleicht besser die Finger davon lassen.“ Fast ihr ganzes Leben schon hatte Katie darauf gewartet, so eine Ausstrahlung bei Josh zu entdecken, und das waren etliche Jahre, denn jüngst hatte sie ihren dreiunddreißigsten Geburtstag still und heimlich verstreichen lassen. Daher war es äußerst unwahrscheinlich, dass sie eine solche Ausstrahlung nicht bemerkt hätte.

Nun war es gewiss nicht so, dass sie sich in ihr stilles Kämmerlein eingeschlossen hätte, um in Erwartung ihres Prinzen, der sich nicht blicken ließ, dahinzuwelken. Sie hatte sich mit Männern getroffen. Es waren sogar einige wenige ernsthafte Beziehungen dabei gewesen. Aber schließlich und endlich fehlte ihnen allen vor allem eines: Sie waren nicht Josh. Nein, wenn er etwas signalisiert hätte, wäre es ihr ganz sicher aufgefallen.

„Das weiß doch nun jeder in der Stadt, dass du das Mädchen für ihn bist. Jeder außer ihm selbst.“ Max schien gar nicht zu merken, dass Katie die Röte in die Wangen gestiegen war. „Vielleicht solltest du … hm, keine Ahnung, Lippenstift oder Make-up tragen oder so etwas.“

„Make-up? Ganz bestimmt nicht.“

„Männer achten auf so was.“

„Ich hab auch schon Make-up benutzt, glaub mir.“ Das war zu besonderen Gelegenheiten gewesen, zu Hochzeiten oder Beerdigungen. „Glaub nicht, dass er deshalb gleich ausgetickt oder gegen einen Laternenpfahl gelaufen wäre wie im Comic.“

„Vielleicht war es zu dezent.“

„Ich male mich nicht an wie ein Clown, damit ich seine Aufmerksamkeit bekomme, Max. Ich bin ich, und wenn ihm das nicht ausreicht, dann eben nicht.“

„Vielleicht benötigt er nur ein paar leichte Schläge auf den Hinterkopf?“

„Ich kenne ihn von klein auf. Schläge auf den Hinterkopf zeigen bei ihm nur Wirkung, wenn sie von einem Baseballschläger kommen.“

„Aber trotzdem hat deine einfühlsame Art bei ihm nichts bewirkt? Wirklich erschütternd.“ Max kippte die ganze Ladung Chips in eine billige, große Plastikschüssel.

„Du kannst mich mal, Max.“ Katie nahm die Schüssel und den Dip und lief damit ins Wohnzimmer. Der Raum war riesig. Als Max hierher nach Whitford gezogen war, hatte er dieses Haus gekauft und als erstes ein paar Wände einreißen lassen. Unter anderem hatte er auf diese Weise das ehemalige Esszimmer einem doppelt so großen Wohnzimmer geopfert.

Katie spähte nach ihrem Plätzchen in der Sofaecke, und wie Max es vorausgesagt hatte, war es noch frei. Josh lächelte ihr zu, während sie näher kam, um sich zu setzen. Sie stellte die Schüssel mit den Chips und den Dip auf den Couchtisch. Josh mit seinem verdammten Lächeln machte sie jedes Mal ganz konfus, und sie fühlte sich wie ein albernes Schulmädchen. Zum Glück hatte sie jahrelange Übung darin, das alberne Schulmädchen vor den anderen verborgen zu halten.

„Ich dachte schon, deine Schrottkarre wäre endgültig verreckt“, stichelte Josh, während sie es sich auf ihrem Platz gemütlich machte.

„Lass meinen Jeep in Ruhe, Kowalski. Er hat immerhin drei deiner Pick-ups überlebt.“

„Ja, weil ich weiß, wann es Zeit wird, meine Autos in den Ruhestand zu schicken.“ Er beugte sich vor, und sie beobachtete, wie er sich vom Tisch ein Stück Gebäck schnappte, das verdächtig nach dem Bananenbrot ihrer Mutter aussah. Danach verfolgte er weiter das Geschehen im Fernsehen, wo gerade die Interviews und Vorberichte zum Spiel liefen.

„Hi, Leute“, grüßte Katie in die Runde und erhielt aus den verschiedenen Ecken ein „Hallo“ und „Hi, Katie“ zurück. Gavin Crenshaw, der Jungkoch aus dem Trailside Diner, war mit seinem Vater Mike gekommen. Butch Benoit, dessen Frau Fran Katie so lange im Supermarkt aufgehalten hatte, lümmelte im Fernsehsessel. Er war der Älteste hier, und deshalb gebührte ihm der komfortable Ehrenplatz. Die Reihen waren etwas gelichtet. Normalerweise tauchten mehr auf, um bei Max ein Spiel zu schauen. Aber es war das erste Dezemberwochenende, und da war es für viele Whitforder wichtiger, ihr Haus weihnachtlich zu schmücken, als sich ein Footballspiel anzusehen.

Da Katie ein Stück hinter Josh saß, konnte sie ihn aus dem Augenwinkel beobachten. Sie war sich ziemlich sicher, dass Max mit seinem Gerede von der Ausstrahlung schief lag. Doch allein der Gedanke an diese Möglichkeit ließ ihr Herz ein bisschen schneller schlagen.

Josh sah besser aus, fand sie. In den vergangenen Monaten war einiges von der Anspannung von ihm abgefallen, die ihn sonst immer etwas verbittert hatten erscheinen lassen. Dafür blitzte häufiger wieder der ihm eigene Charme in seinen blauen Augen auf. Auch wenn ihre Mutter Rose kaum darüber sprach, kannte Katie Joshs Situation gut genug, um zu wissen, welcher Druck in den letzten Jahren auf ihm lag. Josh war unglücklich gewesen und hatte angefangen, in einem Ausmaß zu trinken, dass sie ihn schon das eine oder andere Mal halb im Scherz deswegen ausgeschimpft hatte. Schließlich hatte Josh sich das Bein gebrochen, und seine Brüder waren herbeigeeilt, damit sie ihm helfen konnten, und alle hatten daran mitgearbeitet, die Lodge wieder auf Vordermann zu bringen.

Katie sah das mit gemischten Gefühlen. Praktisch war sie selbst in der Northern Star Lodge aufgewachsen und wollte gewiss nicht, dass sie pleite ging. Dazu war die Lodge von dem Zeitpunkt an, da Katie aufs College kam, das Zuhause ihrer Mutter geworden. Es war klar, dass sich etwas ändern musste. Die Brüder arbeiteten daran, und das war auch gut so. Ob nun ein Geschäftsführer eingestellt oder die Lodge verkauft wurde, jedenfalls konnte sie sicher sein, dass für ihre Mutter gesorgt war.

Aber jede dieser Lösungen brachte es mit sich, dass Josh Whitford verlassen würde. Er war der Jüngste der Geschwister. Er hatte erlebt, wie all seine Brüder und seine Schwester auszogen und ihr eigenes Leben lebten. Doch als er dann endlich an der Reihe gewesen wäre, konnte er seinen Vater mit dem Familienbetrieb nicht allein lassen. Also blieb er, und nachdem Frank gestorben war, hatte jeder automatisch angenommen, dass Josh die Geschäfte des Northern Star weiterführen würde. Josh hingegen wollte nur noch weg von hier, und der Tag rückte näher, an dem sich sein Wunsch erfüllte. Katie mochte nicht daran denken.

Josh nahm sein Patriots-Cap ab, strich sich durch das dunkle Haar und setzte die Mütze wieder auf. Mit fachkundigem Blick konstatierte Katie, dass er demnächst einen Haarschnitt brauchte. Und auch das war so eine heikle Sache. Auf der einen Seite wusste sie genau, wie es sich anfühlte, ihm mit den Fingern durchs Haar zu fahren. Andererseits wüsste sie gern, wie sich das anfühlte, wenn sie mal nicht in der anderen Hand die Schere hätte. Allerdings hatte sie schon genug Qualen auszustehen, wenn sie ihm in ihrem kleinen Salon die Haare schnitt, besonders wenn er beim Waschen diese kleinen erregenden Laute von sich gab. Aber dieses harmlose Vergnügen wollte sie sich nicht auch noch versagen. Außerdem konnte sie es ihrem besten Kumpel nicht antun, ihn zur Konkurrenz in den Schönheitssalon zu schicken, der einzigen Alternative, die es in Whitford gab.

„Was zum Teufel tun die da?“, rief Josh aufgeregt und rutschte ganz nach vorn auf seinem Platz, als wollte er in das Geschehen, das sich auf dem Bildschirm abspielte, eingreifen. Auch andere Stimmen neben ihm wurden laut, und jetzt erst merkte Katie, dass sie, während sie traumverloren über Josh und seinen Kopf nachdachte, den Anstoß des Spiels verpasst hatte.

Sie griff sich eine Handvoll Chips und versuchte sich zu konzentrieren, damit sie wenigstens die Wiederholung der Szene mitkriegte. Wenn sie in dieser Runde weiter Josh so anhimmelte, würde sie sich die nächste Zeit Sprüche dazu ohne Ende anhören müssen.

Nachdem sie beim ersten Kickoff-Return bedenkliche Unsicherheiten gezeigt hatten, bekamen die Patriots dann doch die Kurve, und Josh lehnte sich entspannt in die Kissen zurück. Solche Möbel wie hier müsste man sich für die Lodge leisten können, dachte er. Eines Tages würde er eine klare Antwort darauf bekommen, womit dieser Kerl ein solches Geld verdiente. In Whitford ein persönliches Geheimnis zu wahren, war nahezu unmöglich, aber Max Crawford war es irgendwie gelungen.

Wenn jemand darüber etwas wusste, konnte es nur Fran sein. Und wenn Fran es wusste, wusste es auch Rose, was bedeutete, dass vielleicht auch Katie eine Ahnung hatte.

Als Max zu Anfang der Halbzeit in die Küche ging, stieß Josh Katie am Knie an. „Hey, hör mal“, sagte er mit unterdrückter Stimme, sodass Katie sich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen, „weiß Rose etwas darüber, was Max macht, dass er sich diese Inneneinrichtung und diesen Mordsfernseher leisten kann?“

„Das weiß kein Mensch“, antwortete sie ihm genauso leise. „Es ist allerdings auch kein Geheimnis, dass er offenbar nirgendwohin regelmäßig zur Arbeit geht. Ich vermute, dass er hier im Keller irgendetwas macht.“

„Du musst dir allein mal die Kellertür ansehen.“ Sie hatte eine elektronische Sicherung mit einer Code-Tastatur und allem Schnickschnack.

„Bestimmt, damit keiner die Leichen im Keller findet.“

Josh schüttelte den Kopf. „Ist es nicht merkwürdig, dass er seit – wie lange? Fünf Jahren? – hier lebt, und keiner weiß, was er eigentlich tut?“

Katie hörte schon eine ganze Menge. Für gewöhnlich bezog sie ihre Informationen über Fran und ihre Mutter, aber auch weil sie in ihrem Salon die Ohren aufsperrte und den Mund hielt, wenn die alten Whitforder sich bei ihr im Laden unterhielten. Josh hingegen kam nicht so viel herum, und von Fran hatte er auch nicht so viel zu erwarten, weil die sich mit ihrem Klatsch auf die weibliche Kundschaft beschränkte. „Hat ihn eigentlich schon einmal jemand direkt darauf angesprochen?“, fragte Katie. „Also ich nicht.“

„Ich habe ihn einmal gefragt“, erklärte Josh. „Aber da hat er sofort das Thema gewechselt und nicht einmal versucht, sich rauszureden.“

„Wetten, dass ich das vor dir herausbekomme?“

Josh war sofort dabei. Er drehte sich ganz zu ihr um, schaute ihr ins Gesicht und fragte herausfordernd: „Was ist dein Einsatz, Davis?“

„Wenn du das vor mir herausfindest, schneid ich dir ein halbes Jahr umsonst die Haare.“

Er winkte müde lächelnd ab. „Das ist ja lahm. Der Verlierer muss ein Jahr lang einmal im Monat den Wagen des anderen waschen.“

Katie zögerte, aber damit hatte er gerechnet. Zur Waschstraße war eine halbstündige Autofahrt, und Wäsche kostete zwölf Dollar. Aber einem Wettangebot von Josh konnte sie einfach nicht widerstehen. „Waschstraße, solange es kalt ist, und Handwäsche von Mai bis August. Mit Einwachsen.“

„Abgemacht.“ Er streckte ihr die Hand aus, zog sie aber schnell zurück, bevor sie einschlagen konnte. „Moment. Eine Bedingung noch.“

„Aha, die ersten Rückzieher.“

„Sehr lustig, du Schlauberger. Die Bedingung ist, dass du nicht die Waffen einer Frau einsetzen darfst.“

Sie musste lachen. Die anderen Gespräche um sie herum verstummten für einen Moment, und alle im Raum drehten sich nach ihnen um. Katies Lache war einmalig. „Die Waffen einer Frau?“, fuhr sie dann leise fort. „Wie alt bist du? Achtzig?“

„Nenn es, wie du willst. Aber flirten, schöne Augen machen oder in den Ausschnitt gucken lassen, um an die Information zu kommen, gilt nicht.“

„Wie stellst du dir das denn vor? ‚Hey, Max, wenn du mir verrätst, was du beruflich machst, zeig ich dir meine Möpse‘? Du bist doch nicht dicht.“

„Egal. Das ist die Bedingung.“

„Von mir aus.“ Sie schlugen ein.

Josh liebte solche Herausforderungen. Er sammelte die leeren Schüsseln und Pappteller vom Tisch und ging damit zur Küche, um für Nachschub zu sorgen.

Dort lehnte Max am Küchentresen und hatte sein Handy am Ohr. Was in seinen Händen Abfall war, ließ Josh in den Mülleimer gleiten, so leise es ging, dann sah er im Kühlschrank nach, ob es noch Mineralwasser gab.

„Ich habe zugesagt, dass das noch vor Weihnachten ankommt, und das wird es auch“, erklärte Max gerade seinem Gesprächspartner am Telefon. „Ich schick eine E-Mail rüber, sobald es rausgegangen ist.“

Max beendete das Gespräch und Josh machte sich gar nicht erst die Mühe, taktvoll so zu tun, als habe er weggehört. Da die beiden allein in der Küche waren, wäre es ohnehin unmöglich gewesen, diesen Teil des Gesprächs nicht mitzubekommen. „Na, Weihnachtsgeschenke?“, fragte er jovial.

„Yup.“ Max steckte das Handy weg.

„Familie?“

„Nö.“

„Was mit der Arbeit?“ Josh fand, dass das eine elegante Überleitung in ein harmloses Gespräch war, um zu hören, was er hören wollte.

„Wann fangt ihr endlich mal was miteinander an, Katie und du?“

Josh fuhr mit dem Kopf herum. Das war nicht das, was er hören wollte. „Was zum Teufel redest du da? Warum sollte ich etwas mit Katie anfangen? Sie ist … Katie.“

Max zuckte die Achseln. „Es sieht halt so aus, als würdet ihr gut zueinander passen.“

„Wir passen auch gut zueinander. Deshalb ist sie auch meine beste Freundin. Wir sind praktisch wie Geschwister aufgewachsen, da wäre es doch schon seltsam, wenn …“

Wieder hob Max die Schultern. Dann nahm er sich eine Dose Limonade vom Tresen. „Zu schade. Ihr beide würdet ein großartiges Paar abgeben.“ Damit war er an Josh vorbei aus der Küche verschwunden, noch bevor der eine Antwort parat hatte.

Und was hätte er auch sagen sollen? Katie war eine von seinen Leuten, und sie kannten sich schon ein ganzes Leben lang. Wenn sie ein großartiges Paar wären, hätte sich das wohl schon früher ergeben.

Erst als er zurück ins Wohnzimmer ging, dämmerte ihm, dass Max die Antwort auf seine Frage elegant umgangen hatte, indem er Josh mit seiner Bemerkung über Katie aus dem Konzept gebracht hatte. Nicht ungeschickt, der Crawford. Das musste Josh zugeben.

Während einer ziemlich flauen Phase im dritten Viertel holte Josh sein Handy heraus, um sich zu vergewissern, dass er keine Anrufe verpasst hatte. Die Gelegenheit war günstig, denn der allgemeine Geräuschpegel war für einige Momente angestiegen, da sich Butch und Mike über eine fragwürdige Schiedsrichterentscheidung aufregten. Auf der Anrufliste stand nichts, also konnte Josh davon ausgehen, dass Rose noch immer vor dem Fernseher saß. Es lag zwar nahe, anzurufen, aber das würde bei ihr nicht so gut ankommen. Erst recht nicht, wenn sie schon eingenickt war und er sie dann weckte.

„Was ist? Wartest du auf einen Rückruf von der Loser-Hotline?“, fragte Katie, die ihn mit dem großen Zeh angestoßen hatte.

„Genau. Ich hab denen gesagt, dass ich mir Sorgen deinetwegen mache.“ Er steckte das Handy zurück in die Tasche. „Hast du mal kürzlich mit deiner Mutter gesprochen?“

Sie runzelte die Stirn. „Ja, vor zwei Tagen. Warum? Stimmt was nicht?“

„Nein, wahrscheinlich ist nichts. Aber hat mal jemand gesagt, wie lange so ein Husten nach einer Lungenentzündung anhält?“

„Eine ganze Weile, denke ich. Aber in der Zwischenzeit müsste schon eine Besserung eingetreten sein. Ist es schlimm?“

Josh wiegte den Kopf und zuckte abermals die Achseln. „Ich weiß nicht. Sie hustet immer noch und nicht zu knapp. Aber sie meint, es ginge ihr gut.“

„Das hat sie das letzte Mal auch gesagt, kurz, bevor sie ohnmächtig wurde. Das würde sie auch noch sagen, kurz, bevor sie auf dem Boden aufschlägt.“

„Wenn das schlimmer wird oder sich nicht bessert, solltest du sie von einem Arztbesuch überzeugen.“ Als Josh sah, wie sich Katies Stirn in sorgenvolle Falten legte, bekam er ein schlechtes Gewissen. Rose hatte doch gesagt, dass es ihr gut gehe. Vielleicht hätte er das nicht sagen sollen. Schließlich war er kein Arzt. „Ich werde sie weiter im Auge behalten. Wahrscheinlich sind es doch nur die Folgen der Lungenentzündung.“

„Aber du rufst mich sofort an, wenn du glaubst, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmt, okay?“

„Natürlich. Es sei denn ich telefoniere gerade mit der Loser-Hotline, weil es wirklich wichtig ist, dass du Hilfe bekommst.“

Sie lachte und gab ihm einen sanften Tritt gegen die Hüfte, bevor sie den Fuß rasch unter die Wolldecke zurückzog. Bei den anderen brach Jubel aus, und Josh wollte sich wieder dem Spielgeschehen zuwenden, fing aber einen Blick von Max auf, der mit einer Kopfbewegung zu Katie albern mit den Augenbrauen wackelte wie Groucho Marx. Josh begegnete dem nur mit einem mitleidigen Lächeln und kümmerte sich nun endgültig nur noch um das Footballspiel.

Der Typ spinnt doch, dachte Josh. Warum sollte er eine lebenslange Freundschaft aufs Spiel setzen, um Katie an die Wäsche zu gehen? Selbst wenn sie das gerne hätte. Aber sie hatte ihm bisher nie so etwas signalisiert. Max Crawford war einfach auf dem falschen Dampfer.

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen, als der Arbeitsalltag sie wieder eingeholt hatte, schnippelte Katie an den kümmerlichen Überresten herum, die von Dozer Dozynskis Haupthaar verblieben waren, und dachte dabei angestrengt darüber nach, wie sie Max Crawford das Geheimnis entlocken konnte, womit er sein Geld verdiente. Mal vorausgesetzt, dass er kein Auftragskiller war, was zum Teufel trieb er da in seinem hermetisch abgeschirmten Hobbykeller? Was könnte so geheimnisumwittert sein und gleichzeitig eine Menge Kohle einbringen? CIA? Computer Hacking?

Sie war mit Dozer allein in ihrem Salon, und ihr wurde plötzlich klar, dass ihr langes Schweigen als Unhöflichkeit ankommen könnte. Deshalb fragte sie ihn: „Wie hast du es geschafft, dich an einem Montagmorgen aus deinem Geschäft fortzustehlen?“

„Lauren und meine Frau sind gekommen, um sich ungefähr eine Million Farbmuster anzusehen und haben mich fast wahnsinnig damit gemacht. Deshalb hab ich ihnen gesagt, sie sollen auf den Laden aufpassen, und habe mich schleunigst aus dem Staub gemacht.“

Katie musste lachen. Lauren war Dozers Tochter. Sie hatte sich kürzlich mit Ryan Kowalski verlobt. Sie und ihr halbwüchsiger Sohn Nick wollten demnächst zu Ryan nach Brookline in Massachusetts ziehen. Genau dabei spielten die Farbmuster eine tragende Rolle, denn Ryans Haus war von der Architektur her wunderschön, die Raumaufteilung war perfekt und der Wiederverkaufswert hoch, es war halt nur ein bisschen … farblos. Lauren hatte deshalb verkündet, dass sie als frisch gebackene Mrs Kowalski das Haus als Allererstes von dem hässlichen Beige befreien wolle.

„Ich habe vor ein paar Tagen bei Lauren mal vorbeigeschaut“, erzählte Katie. „Es sieht ja so aus, als wären sie beinahe umzugsfertig.“

Dozer nickte, und da Katie das als erfahrene Friseurin geahnt hatte, hielt sie einen Moment lang mit ihrer Schere inne, bis Dozer den Kopf wieder still hielt. „Ja, bald ist es so weit. Nick wird die Schule hier in ein paar Wochen abschließen. Sie rechnen mit einer Woche für den Umzug. Vielleicht hat sich Nick in dieser Zeit schon ein wenig an seine neue Umgebung gewöhnt. Weihnachten wollen sie herkommen. Nick hätte dann Zeit mit seinem Vater und seinen Stiefgeschwistern, während Ryan und Lauren ihr Haus fertig herrichten und dann verkaufen könnten.“

Katie, die mit einer Seite fertig war, ging um Dozers Stuhl herum und machte auf der anderen Seite weiter. „Das ist ja sinnvoll, damit Nick das neue Jahr gleich in der neuen Schule beginnen kann. Dann fällt für ihn auch kein Unterricht aus. Aber wie kommt Mrs Dozynski denn damit zurecht?“

„Sie freut sich natürlich für unsere Tochter. Aber es wird ihr noch schwerfallen, zumal Lauren ihr ja auch in verschiedener Hinsicht viel geholfen hat. Wahrscheinlich wird sie mir jetzt noch mehr in den Ohren liegen, dass ich mich zur Ruhe setzen soll.“

Katie hoffte im Stillen, dass das so bald nicht passieren werde. Dozers Eisenwarengeschäft kam mit Ach und Krach über die Runden. Er stellte deshalb schon gar keine Aushilfen mehr ein. Wenn er sich zur Ruhe setzte, müsste er das Geschäft verkaufen oder es ganz aufgeben. Beides wäre ein herber Verlust, denn in einer Kleinstadt wie Whitford würde sich ein Einzelhandel wie dieser kaum halten können, wo ringsumher die Baumärkte wie Pilze aus dem Boden schossen.

Aber bevor sie etwas sagen konnte, meldete sich ihr schwarzes Wandtelefon mit einem durchdringenden Klingeln. Der Apparat war das Relikt einer früheren Technikepoche, aber Katie brachte es einfach nicht über Herz, es durch ein neueres, weniger lärmendes, vielleicht sogar schnurloses Telefon zu ersetzen. Schon als kleines Mädchen war sie zu diesem Apparat gelaufen, wenn sie ihren Vater im Geschäft besuchte.

„Einen kleinen Augenblick bitte, Dozer. Nicht bewegen.“

Das Telefon klingelte nur sehr selten. Da die Öffnungszeiten sich in den letzten dreißig Jahren nicht geändert hatten und Katie direkt über dem Geschäft wohnte, also selbst durch einen Schneesturm nicht daran gehindert war, ihre Zeiten einzuhalten, gab es kaum einen Grund für ihre Kunden anzurufen.

„Barbershop“, meldete Katie sich. Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Jeder wusste, mit wem er verbunden war. Es hatte immer nur einen Friseur in Whitford gegeben. Erst ihren Vater, dann, nach seinem Tod, dieser Idiot, der das Geschäft für ihre Mutter „geführt“ hatte, und dann, nachdem sie ihre Ausbildung abgeschlossen hatte, Katie selbst.

„Hi, hier ist Josh.“

Auch jetzt gab es dieses verräterische kleine „Ping“ in ihr, das sie jedes Mal spürte, wenn sie Joshs Stimme hörte – jedes Mal jedenfalls, seitdem sie ein gewisses Alter erreicht hatte. Aber das „Ping“ wurde sogleich durch das laute Schrillen von Alarmglocken übertönt. Josh hatte sie noch nie im Geschäft angerufen. Panik stieg in ihr auf.

„Was gibt’s?“

„Kein Grund zur Aufregung. Es ist kein Notfall, aber ich fahre deine Mutter jetzt ins Krankenhaus.“

Die Panik tobte. „Was ist passiert?“

„Es ist dasselbe wie immer – mehr oder weniger. Seit gestern ist Roses Husten schlimmer geworden, und sie hat Fieber bekommen. Sie weigert sich zwar zu messen, aber es ist ziemlich eindeutig.“

„Ist es so schlimm, dass man den Notarzt holen muss?“

„Nein. Sie streitet mit mir herum, will sich eigentlich nur einen Erkältungstee machen und sich ein wenig hinlegen. Aber wenn man sie sich ansieht, ist es so, wie es war, als wir sie das letzte Mal ins Krankenhaus gefahren haben.“

Katies Knöchel wurden weiß, so fest umklammerte sie in ihrer Angst den altmodischen Hörer. „Meinst du, sie hat wieder eine Lungenentzündung?“

„Ich bin kein Arzt. Aber wie gesagt, die Symptome sind so wie die vor einem Monat.“

„Könntest du auf mich warten? Ich brauche hier noch – sagen wir mal – fünf Minuten. Dann hänge ich das Schild in die Tür und mach den Laden zu.“

„Alles klar. Sie versucht mich sowieso noch immer davon zu überzeugen, dass das alles gar nicht so schlimm ist. Die Debatte wird sich ohnehin noch etwas hinziehen.“

„Ich bin da, so schnell ich kann.“

Sie legte den Hörer auf und ging zurück zu Dozer, ließ sich allerdings ein paar Sekunden Zeit, um sich zu beruhigen. Die erste Lungenentzündung war beängstigend genug gewesen. Aber ihre Mutter war eine robuste Frau, die in ihrem Leben kaum krank gewesen war. Wenn sie jetzt einen Rückfall hatte, konnte es schlimmer kommen. Ihr Immunsystem war noch geschwächt, und auch im Ganzen war sie noch nicht wieder hergestellt.

„Ist Rose wieder krank?“, fragte Dozer.

Katie riss sich zusammen und sah zu, dass ihr die Hand nicht zitterte, als sie zur Schere griff. „Kann sein. Josh findet, dass sich ihr Husten böse anhört, und er meint, dass sie Fieber hat. Deshalb fahren wir sie ins Krankenhaus, um das abzuklären.“

„Ich kann Pat bitten, den Rest zu schneiden, wenn du los willst.“

„Das ist nett, aber ich bin fast fertig.“ Sie hatte schon einmal gesehen, was Pat Dozynski auf dem Kopf ihres Mannes angerichtet hatte, als Dozer einmal keine Zeit gefunden hatte, während der Öffnungszeiten zum Haareschneiden zu kommen.

Zehn Minuten später schloss sie hinter Dozer ihren Laden ab und schrieb mit einem Filzstift, den man wegwischen konnte, „Bin zum Angeln“ unter ihr Closed-Schild, das sie dann in die Tür hängte. Das war weniger verfänglich, als „Aus familiären Gründen“ zu schreiben, denn wenn sie das tat, würde es sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Stadt verbreiten, und besorgte Nachbarn würden in Scharen über sie herfallen.

Als sie in der Lodge ankam, debattierte ihre Mutter im Wohnzimmer noch immer mit Josh.

„Mir geht es gut“, sagte sie, als sie Katie hereinkommen sah, und hatte im nächsten Augenblick einen Hustenanfall, der ihr fast die Luft wegnahm.

„Wenn es dir wirklich gut geht, wird uns das der Doktor sagen und schickt uns nach Hause“, erklärte Katie. „Bitte, Mom, wenn Josh meint, du musst dich untersuchen lassen, dann tu es. Mir zuliebe.“

Rose warf theatralisch die Arme in die Höhe. „Na gut, wenn ihr meint. Aber vorher muss ich mich erst einmal umziehen.“

Josh wartete, bis sie die Treppe hinaufgegangen war, dann sagte er zu Katie: „Ich glaube nicht, dass ich übervorsichtig bin. Ich konnte sie die ganze Nacht über husten und keuchen hören, und sie sieht leichenblass aus. Dazu hat sie diese hektischen Flecken im Gesicht und am Hals.“

„Sie ist wirklich krank. Ich hoffe nur, dass es nicht wieder eine Lungenentzündung ist.“

„Wie wollen wir fahren? In einem Wagen oder in zwei?“

„Du musst nicht mitkommen, wirklich nicht. Ich kann sie hinfahren.“

„Ich komme mit. Ein Wagen oder zwei?“

„Auch wenn es mir schwerfällt. Ich glaube, sie ist in deinem Pick-up besser aufgehoben.“ Katie überging sein selbstgefälliges Grinsen. „Und es wäre Verschwendung, mit zwei Wagen zu fahren. Ich komme mit euch, es sei denn, du willst im Krankenhaus nicht so lange warten.“

„Du weißt genau, dass ich warten werde.“

Katie nickte. Alle Kowalski-Kinder sahen in Rose so etwas wie ihre eigene Mutter, und sie liebten sie ebenso wie Rose „ihre“ Kinder liebte. Auf keinen Fall würde Josh wegfahren, bevor er nicht wusste, was mit Rose los war.

Rose ließ sich mit dem Umziehen reichlich Zeit, und als sie dann oben auf der Treppe erschien, schleppte sie eine große Tragetasche. Josh eilte zu ihr und nahm ihr die Tasche ab. „Meine Güte, Rose, willst du ausziehen?“

„Du weißt, wie diese Wartezimmer sind. Ich habe mir nur mein Buch, mein Strickzeug und noch ein paar andere Kleinigkeiten eingepackt.“

Katie wurde das Herz schwer, als sie die voll gestopfte Tasche sah, die sicherlich mehr enthielt als Strickzeug, Wolle, ein Buch und „ein paar Kleinigkeiten“. Offensichtlich rechnete Rose nicht damit, nach der Untersuchung im Krankenhaus wieder nach Hause entlassen zu werden, und hatte vorgesorgt.

„Ich bring die Sachen schon mal zum Wagen und schmeiß den Motor an“, sagte Josh, griff sich sein Schlüsselbund vom Beistelltisch neben der Haustür und ging hinaus.

„Ich fühle mich furchtbar“, gestand Rose.

„Deshalb bringen wir dich jetzt ja auch ins Krankenhaus.“

„Ach. Was bist du doch für eine kleine Miss Naseweis. Ich fühle mich furchtbar, weil ich euch Kindern zur Last falle. Allein die Fahrt dauert doch mindestens eine Stunde.“

„Dann ist es eben eine Stunde zu fahren. Als du letzten Monat ohnmächtig geworden bist, hat mich das zwei Jahre meines Lebens gekostet.“

„Lass mich noch mal nachsehen, ob ich in der Küche alles ausgedreht habe.“

Katie holte ihrer Mutter den Mantel von der Garderobe und sah Rose hinterher, die in die Küche ging, obwohl sie noch nie das Feuer im Backofen oder auf dem Herd hatte brennen lassen. Sie wirkte deutlich geschwächt. Katie wusste nicht, ob sie es sich bloß einbildete, aber sie fand, dass ihre Mutter von Minute zu Minute schlechter aussah.

Es gab in der Nachbarstadt zwar eine Ambulanz, aber der Doktor dort war mehr ein Arzt für Fälle von harmloseren häuslichen Unfällen, Mittelohrentzündung oder allgemeinärztlichen Untersuchungen. Da Rose ziemlich sicher geröntgt werden, vielleicht sogar an den Tropf musste, würde sie dieser Doktor dort doch nur ins Krankenhaus überweisen, ihr aber trotzdem für den Besuch eine saftige Rechnung schreiben.

Josh steckte den Kopf durch die Hintertür. „Sind die Damen soweit?“

Kurz darauf schaute Katie zu, wie Josh Rose auf den Beifahrersitz des Pick-ups half, bevor sie sich selbst neben Roses gepackter Tasche auf die schmale Rückbank quetschte. Es wäre zwar verlockend gewesen, auf die Unkosten zu pfeifen und bequem in ihrem Jeep hinterherzufahren. Aber sie wollte bei ihrer Mutter sein und sie im Auge behalten.

Sie waren noch nicht lange unterwegs, da war Rose schon eingeschlafen. Ihr Gesicht war gerötet, und ihr Atem ging rasselnd. Im Rückspiegel konnte Katie sehen, dass Josh dasselbe besorgte Gesicht machte wie sie.

Es war tatsächlich wieder eine Lungenentzündung, und man behielt Rose gleich da. Josh saß im Wartezimmer und drehte unschlüssig sein Handy in der Hand, während er überlegte, wen er als Erstes anrufen sollte. Viel konnten die anderen nicht tun, aber immerhin mussten sie Bescheid wissen, dass Rose ins Krankenhaus gekommen war.

Mitch, der frisch vermählt war mit seiner Paige, war vermutlich beruflich unterwegs. Er führte ein großes Abbruchunternehmen und musste deshalb viel geschäftlich reisen. Die Jobs waren hart umkämpft. Ryan ging seiner Arbeit in Brookline nach. Er pendelte zwischen dort und Whitford, solange Lauren und Nick noch nicht zu ihm gezogen waren. Sein anderer Bruder Sean lebte in New Hampshire und Liz, das einzige Mädchen unter den Geschwistern, lebte noch weiter weg in New Mexico.

Josh beschloss, Paige anzurufen. Dann wusste binnen Kurzem nicht nur die Familie, sondern gleich die ganze Stadt Bescheid. Aber sie verstand es, die Nachricht zu verbreiten, ohne ein Drama daraus zu machen. Da sie vermutlich noch arbeitete, suchte Josh die Nummer vom Diner in seinen Kontakten auf dem Handy und rief dort an.

„Trailside Diner“, meldete sie sich ein wenig atemlos nach dem vierten Klingeln.

„Hallo, hier ist Josh. Tut mir leid, wenn ich dich bei der Arbeit störe.“

Einen Augenblick herrschte Stille am anderen Ende, dann fragte sie: „Was ist los? Ist etwas passiert?“

„Katie und ich haben Rose heute ins Krankenhaus gebracht. Es ist wieder die Lungenentzündung, und sie werden sie hierbehalten.“

„Oh Gott. Kann ich etwas tun? Soll ich die anderen anrufen oder ihr Sachen aus der Lodge bringen?“

Es war einer der Gründe, aus denen Josh sie bewunderte. Paige zögerte nicht, wenn es galt, in der Familie zu helfen, und wenn es sie eine Rundreise von zwei Stunden kostete. „Ich denke, sie hat alles, was sie braucht. Aber ich hatte gehofft, du könntest vielleicht den anderen Bescheid geben. Wenn du mit deiner Schicht fertig bist, natürlich.“

„Selbstverständlich. Was soll ich ihnen sagen? Ich meine … wird es nötig sein, dass sie herkommen?“

„Nein“, versicherte er. „So schlimm ist es nicht. Sie ist hier versorgt und bekommt Antibiotika und all diesen Mist. Sie wird schon wieder. Nein, es braucht niemand zu kommen. Ich wollte nur nicht, dass ihr es nachträglich erfahrt.“

„Ich kümmere mich darum. Bist du jetzt im Krankenhaus?“

„Ja. Katie ist bei ihr und hilft ihr, sich einzurichten. Wenn sie ihr hübsches Krankenhausnachthemd anhat und eingepackt in ihrem Bett liegt, gehe ich noch einmal zu ihr. Sie hat auch ihr Handy dabei. Nur werden sie heute noch alles Mögliche mit ihr anstellen, sodass es, glaube ich, besser ist, wenn man sie morgen anruft.“

Nachdem er das Gespräch mit Paige beendet hatte, lehnte er sich auf dem Stuhl mit dem Kopf an der Wand zurück, streckte die Beine aus und schloss die Augen. Er hätte mehr auf sein Gefühl als auf Rose hören und sie früher zum Arzt schicken sollen. Vielleicht hätte ihr das den Krankenhausaufenthalt erspart, der wer weiß wie lange dauern konnte.

Vor allem hatte er keine Ahnung, wie er sie nach ihrer Entlassung im Zaum halten sollte. Es waren weniger als zwei Wochen, bis die ersten Saisongäste eintrafen, und die To-do-Liste war irrsinnig lang. Eine ganze Reihe von Aufgaben fiel normalerweise Rose zu. Sie war stur wie ein Maulesel, andererseits sah er keine Möglichkeit, alles allein zu machen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sie im Bett blieb. Er brauchte ihr doch nur den Rücken zuzudrehen, schon hatte sie einen Staubsauger in der Hand oder schleppte Wäsche in die Waschküche.

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