Herzkonfetti und Popcornküsse

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Kenzi schwärmt für romantische Komödien und träumt von filmreifer Liebe. Die glaubt sie, bei Bradley gefunden zu haben. Doch dann taucht ihr untreuer Ex Shane auf - mit einer charmanten Herausforderung: Sie soll mit ihm zehn berühmte RomCom-Momente nachspielen. Kenzis Gefühle schlagen Purzelbaum, denn sie spürt: Im Grunde ist Shane doch nur ein Junge, der vor einem Mädchen steht und es bittet, ihm wieder zu vertrauen. Aber hat er sich wirklich geändert? Und was ist mit Bradley?

"Applaus und Standing Ovations!"

ChickLit Pad

"Eine vollkommene Romanze, die einem ein Lächeln ins Gesicht zaubert und das Herz zu einer Pfütze schmelzen lässt."

TotallyBooked Blog

"RomCom-Fans werden lieben, wie die Film-Zitate sich zu einer originellen, herzerwärmenden Love-Story verbinden."

Kirkus Reviews

"Eine Romanze, so warm wie eine vertraute Umarmung und doch voller realistischer Figuren und Situationen."

Bestsellerautorin Nicole Knepper


  • Erscheinungstag 10.07.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783955766436
  • Seitenanzahl 336
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für meinen Mann M., auf ewig der Hauptdarsteller in meinem Leben, und unsere beiden großartigen Söhne Kirklen und Garrett – eure unerschütterliche Ermutigung und Unterstützung ist einfach umwerfend.

Für AJ, eine Frau, die ein erfülltes Leben führt, und dadurch jeden dazu bringt, das Beste aus sich zu machen. Du bist der Hollywood-Glamour in meinem Alltag, was mich auf ewig beeindruckt. Du bist mein Star!

1. Kapitel

Fast dreißig, sexy und erfolglos

Als ich neun war, habe ich meine Mom gefeuert. Dafür schrieb ich einfach mit leuchtend rotem Filzstift: „Du bist gefeuert.“ Außerdem zeichnete ich ein lächelndes Gänseblümchen und einen Frosch.

Okay, eigentlich feuerte die Blume den Frosch, und die Worte standen in einer Sprechblase über ihrem Kopf. Aber wenn man sehr, sehr genau hinsah, konnte man erkennen, dass der Frosch Moms Lieblingskette um den Hals trug.

Das war mein satirisches Debüt.

Leider beachtete sie es nicht weiter. Das Bild landete in der Küchenschublade, wie all meine anderen Werke. Der Pinguin, den ich von einem Foto abgemalt hatte, die Katze, an der ich tagelang gefeilt hatte, sogar der Schmetterling mit der handschriftlichen Bemerkung meiner Kunstlehrerin: „Wundervoll, sie ist so talentiert!“

Heute muss ich ausnahmsweise nicht darum zittern, ob Mom Notiz von mir nimmt. Das garantiert mir der funkelnde Diamant an meinem linken Ringfinger. Bradley ist ein echter Hauptgewinn! Blond, muskulös, kultiviert – und er will mich heiraten. Ich werde Mrs. Kensington Connors sein. Ich brauche nur daran zu denken, und schon regen sich die Schmetterlinge in meinem Bauch.

Warum bin ich dann bloß so nervös? Bradley ertappt mich dabei, wie ich meinen Ring bewundere, lächelt mir beruhigend zu und nimmt meine Hand, während er mit der anderen die Haustür aufstößt. Er weiß, wie angespannt ich in Gegenwart meiner Familie immer bin und dass ich es gleichzeitig kaum erwarten kann, ihnen endlich den Ring zu zeigen und mit den Hochzeitsvorbereitungen zu beginnen.

In der Küche wirbeln Mom und Ren am Herd. Der Duft von zuckersüßem Gebäck steigt mir in die Nase. Ich versuche, den vertrauten Druck im Magen zu ignorieren. Mit einem Schlag bin ich keine selbstbewusste Neunundzwanzigjährige mehr, sondern wieder dreizehn und verzweifelt darum bemüht, ihre Anerkennung zu gewinnen.

„Hi“, grüße ich und lächele nervös. Bradley küsst Mom auf die Wange und winkt Ren freundlich zu. Dann zwinkert er mir aufmunternd zu und trollt sich Richtung Wohnzimmer, wo Dad und mein Bruder Grayson so laut über das Gesundheitswesen diskutieren, dass ich Teile ihrer Unterhaltung bis hierher mitkriege.

Mom stellt die Rührschüssel ab und wischt sich die Hände an ihrer Schürze trocken. „Da ist sie ja! Wir sehen sie hier kaum noch, stimmt’s, Ren?“ Sie sagt das so, als wäre ich eine Besucherin, nicht die Tochter, die hier aufgewachsen ist. Dann breitet sie die Arme aus.

„Hallo, Mom.“ Es ist eine flüchtige Umarmung. Ich sehe, dass sie eins ihrer lässig-eleganten Jackie-Kennedy-Etuikleider trägt, dazu eine Schürze im Shabby Chic-Style, und Ren … wow, Ren hat praktisch das gleiche an. Die beiden sehen aus wie Mutter-Tochter-Zwillinge. Plötzlich eifersüchtig würde ich am liebsten brüllen: Such dir gefälligst deine eigene Mom! Aber ich weiß, dass sie ihre schon sehr früh verloren hat und ich Verständnis haben sollte.

„Hi, Kensington, du siehst gut aus.“ Ren lächelt mich sparsam an. Keine Umarmung. Sie beäugt meine brandneue Coach-Tasche. Für die ich lange gespart habe. „Wusstest du, dass die Dinger ausverkauft sind? Kein Wunder, es läuft ja wirklich jeder damit herum. Ich bin ganz scharf auf die neue Schultertasche von Burberry.“

Ich lächele und nicke, zur Bestätigung, dass sie, selbstverständlich, noch immer die absolute Herrscherin ist.

„Jetzt spann uns nicht auf die Folter. Los, zeig her.“ Mom deutet auf meine Hand.

Ich fühle, wie meine Brust siegestrunken anschwillt; ein kleiner Triumph in Sicht für das Team Kenzi. Ja, ich zähle tatsächlich mit, traurig, aber wahr. Bislang hatte ich allerdings noch nie die Nase vorn. Der Allzeit-Spielstand sieht ungefähr so aus:

Team Ren: zweihundertfünfundsiebzig

Team Mom und Dad: längst den Überblick verloren

Team Grayson: genau fünfundvierzig. Aber seit ich mit Bradley zusammen bin, mischt er sich eigentlich nicht mehr ein.

Team Kenzi: vier. Und da ist heute schon mitgerechnet.

Vier einsame grüne Häkchen in einem Leben als Zweitbeste. Ich war in der Auswahl zur Homecoming-Queen, bin es aber knapp nicht geworden. Gehörte zu den zehn Besten der Abschlussklasse, war aber kein Klassenprimus wie Grayson. Ich bin Creative Director einer bedeutenden Werbeagentur, doch das scheint kein so ernstzunehmender Job zu sein wie Arzt. Mein Dad, Grayson und Ren sind allesamt Ärzte.

Meinen ersten echten Volltreffer habe ich gelandet, indem ich Bradley mit nach Hause gebracht habe. Sie beten ihn förmlich an. Ehrlich gesagt passt er auch viel besser als ich in diese Familie von Pseudo-Kennedys. Das zweite grüne Häkchen gab’s, als unsere Beziehung die Ein-Jahres-Marke erreichte. Das dritte, als wir uns vergangene Woche verlobten. Und jetzt ist dieser Mega-Ring ein todsicherer Kandidat, Sieg Nummer vier einzufahren.

Ich halte die Hand so, dass der Stein das Licht einfängt, das durchs Küchenfenster fällt. Das Funkeln ist an Perfektion nicht mehr zu überbieten.

Ren packt meine Hand, um besser sehen zu können. „Oh! Er ist umwerfend, Kensington. Bradley ist zu gut zu dir.“

In Wahrheit meint sie natürlich, Bradley ist zu gut für mich. In exakt diesem Moment bin ich richtig stolz auf ihn, weil er sich so ein edles Teil leisten kann und so einen exquisiten Geschmack hat. Es spielt keine Rolle, dass seine Wahl nicht meinen persönlichen Geschmack trifft. Der Ring ist von Tiffany’s, er ist groß, und er hat alles, was er braucht, um gut anzukommen.

Ren zuckt zusammen. „Oh, aber du solltest dir wirklich die Nägel machen lassen. Jetzt, wo jeder auf deine Hand starrt, willst du den Effekt doch sicher nicht durch ungepflegte Nagelhäute ruinieren? Das ist das Mindeste, was du für Bradley tun kannst.“

Dingdong. Team Ren: zweihundertsechsundsiebzig Punkte.

Sie kramt in ihrer Handtasche, holt eine Visitenkarte heraus und reicht sie mir. „Hier, ruf da an und frag nach Cindy. Die ist großartig.“

„Ja, wir waren gerade erst da, für einen Mädelsnachmittag.“ Mom wedelt mir mit ihren pink lackierten Fingerspitzen vor dem Gesicht rum. Mir fällt auf, dass Rens Nägel in derselben blasspinken Nuance glänzen.

Mädelsnachmittag. Ohne mich.

Ich bewundere die Maniküre und lächele. „Sieht toll aus. Ich rufe da bestimmt an. Also, was sagst du, Mom? Hat Bradley doch gut ausgesucht, oder?“, frage ich, in der Hoffnung, doch noch ein grünes Häkchen klarmachen zu können. Ja, ich weiß, dass das jämmerlich ist.

„Oh, ja, Schatz. Das hat Bradley ganz großartig gemacht.“ Lächelnd bedeutet Mom Ren, die Blaubeeren aus dem Kühlschrank zu holen, und widmet sich wieder der Rührschüssel.

„Kann ich irgendwas helfen?“ Ich fühle mich ein bisschen fehl am Platze. „Vielleicht den Tisch decken oder schon ein paar Sachen auftragen?“

„Nein, nein, wir haben alles im Griff, nicht wahr, Mutter Shaw?“ Ren grinst meiner Mom verschwörerisch zu.

Einen Augenblick lang stehe ich einfach nur da und drehe nervös an meinem Ring. Das war’s dann wohl, schätze ich. Die erste Runde des Shaw Sonntagsbrunchs ist offiziell beendet. Über meine Hochzeitspläne reden wir dann wohl beim Mittagessen. Selbstverständlich werden wir das tun. Auf keinen Fall lasse ich zu, dass das unter den Teppich gekehrt wird.

Warum habe ich mir bloß nicht die Nägel machen lassen?

Ich gehe die Treppe hoch und steuere mein altes Zimmer an, das komplett renoviert und zu Moms Hobbyraum umgewidmet wurde. Sie klebt leidenschaftlich gern Scrapbooks, Fotoalben mit allerlei kunstvollem Drumherum. Ihre Projekte gestaltet sie an einem riesigen quadratischen Arbeitstisch mit zahllosen Schublädchen und Regälchen voller Klebebuchstaben, Borten, Blümchen und sonstigem schmückenden Beiwerk. Das bisschen, was von mir übriggeblieben ist, steckt in einem Karton, auf dem „Kensington“ steht, ganz hinten im obersten Regal des Kleiderschranks.

Seufzend ziehe ich mein Handy aus der Tasche und gehe auf Facebook. Das mache ich ständig. Ich linse dauernd auf mein Smartphone, um zu sehen, was andere Leute so treiben. Dann vergleiche ich es mit dem, was ich gerade mache – oder nicht mache – und überlege, was ich alles tun könnte. Die Sache ist bloß … Am Ende mache ich dann genau das Gleiche wie vorher. Ich verschwende nur Stunden meines Lebens damit, ständig aufs Smartphone zu glotzen.

Bislang haben wir ausschließlich unseren Familien von der Verlobung erzählt, und zwar ganz klassisch am Telefon. Ich werde noch bis heute Abend warten, um das Ereignis im Netz zu verkünden. Die Ungeduld bringt mich schier um.

Zwei neue Freundschaftsanfragen. Ich klicke auf das Symbol, um die erste Anfrage anzusehen, sie stammt von einem Mädchen, das ich aus dem Fitnessstudio kenne. Als ich die zweite näher in Augenschein nehme, erstarre ich. Das gibt’s doch gar nicht! Ich halte mir das Handy näher vors Gesicht und starre auf das winzige Foto. In meiner Brust zieht sich irgendetwas zusammen. Das kann nicht sein. Oh mein Gott. Es ist wahr.

Es ist Shane.

Shane Bennett.

Ausgerechnet Shane Bennett, der mir nach vier gemeinsamen Jahren das Herz in tausend Stücke gebrochen hat. Und plötzlich will er sich auf Facebook mit mir befreunden?

Im Ernst jetzt?

Die Gefühle übermannen mich. Aber keine Tränen. Ich habe seinetwegen schon alle Tränen geweint, die ich in mir hatte, Hunderte, vielleicht sogar Tausende. Was ich im Moment fühle, sind nur Nachbeben des Schmerzes, die immer auftreten, wenn ich über eine Erinnerung an ihn stolpere. Kleine Erschütterungen, die auf das verweisen, was einmal war.

Er war aus England zu seinen Großeltern in den Mittleren Westen gezogen, um hier die Highschool zu besuchen, und ist dann geblieben und aufs College gegangen. Dort lernten wir uns kennen. Ich weiß nicht mehr, worum es ging, aber wir fingen an zu reden und hörten nicht mehr auf. Von da an waren wir ständig zusammen. Er bestand nur aus Widerspruch und Wuschelhaaren. Ich liebte sein Haar.

Er war meine erste wahre Liebe. Mein erster wirklicher Herzschmerz. Mein erstes echtes Ein und Alles.

Ich schaue auf meinen „Kensington“-Karton im Kleiderschrank. Eigentlich müsste da „Kensington und Shane“ draufstehen. Jedes Kärtchen, das wir uns geschrieben haben, und alle kleinen Erinnerungsstücke sind sicher darin verstaut. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und taste nach der Kiste, bis ich sie zu fassen kriege und zu mir herunterziehen kann. Es gibt da ein ganz bestimmtes Foto, das ich auf einmal unbedingt sehen will. Es stand früher gerahmt neben meinem Bett und zeigt ihn so, wie ich ihn in Erinnerung habe.

Ich stelle die Kiste auf den Tisch und öffne sie so vorsichtig, als könnten die Erinnerungen, die ich hier eingesperrt habe, irgendwie entkommen.

Dann wühle ich mich durch den locker gestapelten Inhalt, suche nach dem Bild.

Da ist es! Mein Mund zieht sich zu einem harten Strich zusammen, während ich es betrachte. Shane lehnt entspannt an der Wand, den Kragen lässig aufgestellt, das Notebook locker in der Hand. Das ist das Gesicht, dem ich jeden Abend eine gute Nacht wünschte, das mich jeden Morgen begrüßte, das ich so lange vermisst habe.

Ich lasse meinen Blick zwischen dem alten Foto und seinem Facebook-Profilbild hin und her wandern, vergleiche die beiden. Dasselbe dunkle, wellige Haar. Dieselben honigbraunen Augen. Derselbe Shane.

Ein bisschen älter. Aber er ist es definitiv.

Ich gestatte mir einen tiefen Seufzer. Warum hat er damals nicht einfach alles abgestritten? Ich hätte ihm geglaubt. Ich wollte, dass die Dinge so blieben, wie sie waren. Ich wollte ihn. Aber er sagte nichts, nur, dass es ihm leidtäte. Und dass er es nicht erklären könne, weil…

„Kenzi?“ Tante Greta.

Ich rufe: „Hier“, werfe hastig das Foto in die Kiste und die Kiste zurück in den Schrank.

„Ich dachte mir, dass du hier oben bist. Essen ist fertig.“

Tante Greta trägt dunkle Jeans und eine weite, flatternde Tunika. Eine Halskette aus Türkis-Schmucksteinen betont ihre blauen Augen und bildet einen knalligen Kontrast zu ihrer neuerdings leuchtend roten Mähne.

„Tolle Farbe“, kommentiere ich lächelnd und schließe die Nachrichten.

Sie wirft ihre schulterlangen Locken zurück. „Deine Mom findet es schrecklich. Sie sagt, es erregt zu viel Aufmerksamkeit.“

Ich hebe eine Braue. „Ist das nicht Sinn der Sache?“

Ihr Lachen ist warm und herzlich. „Es ist ein Extra-Bonus.“

Ich bin mir nicht sicher, ob sie die gesteigerte Aufmerksamkeit meint oder die Tatsache, dass meine Mutter sich darüber ärgert. Vermutlich beides. Tante Greta gilt als schwarzes Schaf der Familie, sie ist „die Unkonventionelle“, weil sie sich nicht im Geringsten darum schert, was die Leute denken. Damit steht sie in der Shaw’schen Hackordnung noch eine Stufe unter meiner Position als Mädchen-das-nichts-auf-die-Reihe-kriegt-sich-aber-zumindest-bemüht.

Sie ergreift meine Hand, um den Ring zu bewundern, und pfeift anerkennend. „Wow. Der hat eine ganz schöne Stange Geld gekostet. Was haben Renson dazu gesagt?“

Tante Greta ist die Einzige, die meinen Spitznamen für das Superduo Ren und Grayson kennt. Ich unterdrücke ein Lachen.

Sie lächelt. „Nächstes Mal, wenn du sie siehst, hat sie ein paar neue Steine in ihrem Ehering, da gehe ich jede Wette ein.“ Sie lässt meine Hand los und deutet mit dem Kopf zur Tür. „Na los, bringen wir’s hinter uns.“

Während ich ihr nach unten folge, hole ich noch mal das Handy aus der Tasche. Warum will mich Shane plötzlich nach all den Jahren kontaktieren? Moment mal. Die Freundschaftsanfrage ist verschwunden.

Wo ist die Freundschaftsanfrage?

In meinem Magen bildet sich ein schmerzhafter Knoten. Ich klicke die App an, um meine Pinnwand aufzurufen. Und lese: „Kenzi Shaw ist jetzt mit Shane Bennett und einer weiteren Person befreundet.“ Was?

Tante Gretas aktueller Toy Boy heißt Finley. Er scheint ganz nett zu sein, aber ich mache mir gar nicht erst die Mühe, ihn näher kennenzulernen, weil er bei der nächsten Brunchrunde vermutlich schon nicht mehr dabei sein wird. Er zeigt viel zu viel Interesse an Ren, die ihn jedoch höflich ignoriert.

„Wie läuft’s im Krankenhaus, Grayson? Konntest du schon mal das 3-D-Video bei der Thorakoskopie einsetzen?“, erkundigt sich Dad, während er scharfe Soße auf sein Rührei träufelt.

Grayson hält mitten in der Bewegung inne, ein leeres Glas in der Hand. „Ja, vorige Woche habe ich es eingeweiht. Ein sehr effizientes Gerät. Ich werde der Klinikleitung vorschlagen, dass wir uns selbst eins anschaffen.“

„Sehr gut.“ Dad reicht eine Platte mit gefüllten Pfannkuchen an Ren weiter.

„Irgendwas Aufregendes auf der Kinderstation passiert?“, fragt er, während sie sich bedient.

„Na ja, irgendwas ist immer los, wenn man mit Kindern arbeitet“, erwidert Ren lächelnd.

Dad nickt, isst ein paar Bissen und wendet sich dann an Finley. „Und was machen Sie so, Finley?“

Bradley lädt sich zwei Würstchen auf den Teller und winkt dankend ab, als Mom versucht, ihm Pfannkuchen unterzujubeln.

„Bradley verzichtet auf Kohlenhydrate, Mom“, rufe ich ihr in Erinnerung.

Finley strafft den Rücken und räuspert sich. „Vertrieb. Momentan Telefone. Ich war eigentlich immer im Handel tätig.“

„Sehr gut“, sagt Dad. „Bradley ist Vertriebsleiter bei Safia, der größten Werbeagentur in Indianapolis. Kümmert sich um meine Werbeplanung.“ Dad betreibt hier im Ort eine Schönheitsklinik. Man kann sich dort die Falten mit Botox lahmlegen und die Lippen aufspritzen lassen oder die Dienste eines Schönheitschirurgen in Anspruch nehmen, alles unter einem Dach. Dass er und Mom so stolz auf Bradleys Status sind, aber meinen Job nicht ernst nehmen, ergibt für mich absolut keinen Sinn. Schließlich sind wir beide in derselben Agentur tätig, und zwar beide in einer Führungsposition.

Bradley nickt und gestikuliert mit seiner Gabel, um anzukündigen, dass er etwas sagen will. „Apropos, ich habe mal ein paar Zahlen für den TV-Spot im Nachmittagsprogramm von Channel Six durchgerechnet, über den wir neulich gesprochen haben.“

Ich warte, bis er mit seinen Ausführungen zu den Fernsehgewohnheiten von Hausfrauen mit 2 Komma 3 Kindern an Privatschulen und sechsstelligem verfügbaren Einkommen fertig wird. Äußerlich nicke und lächele ich, aber mein Inneres brodelt vor ungeduldiger Aufregung. Ich kann es kaum erwarten, unsere Hochzeitspläne ins Gespräch zu bringen.

Tante Greta zwinkert mir zu und unterbricht Bradleys langatmiges Geschwafel. „Kensington, habt ihr zwei eigentlich schon ein Datum festgelegt?“

Jetzt ruhen aller Augen auf mir. Ich strahle wie ein Honigkuchenpferd. Aber gerne doch! Jetzt geht’s los. Mein Magen schlägt Purzelbäume.

Bradley packt meine Hand und lässt ein warmes Lächeln aufblitzen. „Noch keine festen Pläne, aber vielleicht im nächsten Frühjahr? Was meinst du?“

„Gute Idee“, erwidere ich glücklich. „Eine Hochzeit im Frühling, das klingt wirklich hübsch …“

„Oh, ich halte es nicht länger aus. Wisst ihr, was noch im nächsten Frühling passiert?“, platzt Ren heraus. In ihrer Stimme schwingt ein untypisch hoher Anteil überschäumender Fröhlichkeit mit. „Ein Baby! Wir sind schwanger!“

„Oh! Oh mein Gott!“, quiekt Mom, springt auf, rennt um den Tisch herum und wirft je einen Arm um Rens und Graysons Schultern. „Sie ist schwanger! Ich werde Großmutter!“

Alle schreien und applaudieren. Es ist wie in Las Vegas, wenn jemand beim Spielautomaten den Hauptgewinn abräumt.

Dingdong. Dingdong. Dingdong. Dingdong. Team Ren: zweihundertsiebenundsiebzig. Nein, dreihundert! Fünfhundert! So viel, dass man mit dem Zählen gar nicht mehr nachkommt. Sie hat den verdammten Jackpot geknackt!

Mein Dad kriegt sich gar nicht wieder ein, dass er nun bald Grandpa genannt wird. Grayson erklärt, dass sie das mit dem Kinderkriegen nicht ewig aufschieben konnten, da Ren doch immerhin schon neunundzwanzig sei. Man stelle sich vor, sie ist fast dreißig. Sogar Finley schüttelt meinem Vater die Hand. Mom ruft mir zu, dass ich auch keine Zeit zu verlieren hätte und Bradley und ich bloß möglichst schnell heiraten sollen, um die Dinge entsprechend ins Rollen zu bringen.

Tante Greta wirft mir einen mitfühlenden Blick zu. Ich ringe mir ein halbherziges Lächeln ab, um ihr zu zeigen, dass es mir nichts ausmacht. Ich meine, natürlich freue ich mich für die beiden.

Ein Baby.

Das ist der Jackpot.

Noch bin ich nicht dreißig, also habe ich noch Zeit.

Ich schaue auf meinen Verlobungsring und male mir in Gedanken ein neues „Du bist gefeuert“-Schild in knallrotem Filzstift aus. Diesmal für meine Schwägerin. Für sie gibt’s keine Blumen oder Frösche.

Sie hat schließlich schon ein Baby.

Wir haben kein bisschen über die Hochzeit geredet.

Ich werfe meine Tasche auf den Küchentresen, ziehe den Mantel aus und gehe zum Kühlschrank, um nach einer Flasche Wein zu fahnden. Es war ein langer Tag. Statt glücklich und aufgeregt, fühle ich mich total erledigt. Gedanken an den heutigen Familienbrunch, Shanes plötzliches Wiederauftauchen und Rens große Verkündung schwirren mir durch den Kopf und machen mich schwindelig.

Der Weißwein ist geöffnet und gekühlt, also schenke ich mir ein Glas ein. Bradley trinkt zwar lieber edlere Tropfen, stattet mein Apartment aber stets mit dem günstigeren lieblichen Wein aus, weil er weiß, dass ich den mag. Ich lehne mich gegen den Tresen und nehme einen Schluck. Der fruchtige Verschnitt spült den Kloß weg, der seit ein paar Stunden in meiner Kehle feststeckt.

Ein Baby ist eine tolle Neuigkeit. Es ist das erste Enkelkind. Ich bin sicher, dass Mom, sobald sie die frohe Botschaft erst mal verdaut hat, meine Hochzeit mit mir planen und mir bei allen Details helfen will. Natürlich wird sie das tun. Ich bin ihre einzige Tochter, und es gibt so viel zu tun: das Brautkleid aussuchen, den richtigen Veranstaltungsort finden – wir haben ja noch nicht mal ein Datum.

Der Ring hat ihr gefallen.

Ich hebe meine Hand, um ihn zu bewundern. Tatsächlich gibt es nichts daran auszusetzen. Der Stein funkelt nach den vier Regeln der Juwelierskunst: Farbe, Reinheit, Schliff, Karat, alles stimmt. Vielleicht sollte ich noch ein fünftes Kriterium hinzufügen: Komischer Geschmack. Weil er mir nicht gefällt.

Nein, das stimmt nicht, ich mag ihn schon – es ist nur nicht der Ring, den ich mir ausgesucht hätte. Zu klassisch und sehr groß. Womöglich ein bisschen zu groß. Ich spüre, wie ein Lächeln an meinen Mundwinkeln zupft, denn Bradley sagt, dass ich es wert bin.

Was soll’s, so eine große Rolle spielt der Ring jetzt auch wieder nicht, er ist schön, und ich bin glücklich. Ich werde heiraten und bin der Gründung einer eigenen Familie damit einen Schritt näher. Bradley will viele Kinder, am liebsten eine ganze Footballmannschaft. Ich wäre schon mit einem zufrieden. Vielleicht zwei.

Mindestens ein Mädchen.

Während ich leer vor mich hinstarre, stelle ich mir Ballettstunden und Tanzaufführungen vor. Ich könnte mich an der Schule engagieren und mit den Kostümen helfen. Ich habe für meine Puppe mal ein Tutu aus dem Unterrock eines meiner Kleider genäht. Mom hat mich damals furchtbar angeschrien, weil das Kleid von irgendeinem superteuren Designer stammte. Ob meine Tochter wohl mit Haaren zur Welt kommt? Bradley war ganz kahl, und ich hatte nicht mal genug Flaum auf dem Kopf, um eine Schleife festzustecken. Mom musste sie ankleben.

Ren kriegt bestimmt ein Mädchen.

Kein Problem. Ich bin als Nächste dran. Ich habe noch Zeit.

Ich trinke aus und schenke mir sofort das nächste Glas ein. Das mache ich nach jedem Brunch im Kreise der Shaws so, während ich mich damit martere, auf meiner mentalen Liste abzuhaken, wie ich im Vergleich zu Renson abgeschnitten habe. Ich gewinne nie. Ich weiß nicht, warum ich dachte, dass das heute anders sein würde.

Noch ein tiefer Schluck, um mich innerlich zu stärken, dann setze ich mich an meinen Schreibtisch, schalte den Computer an und logge mich bei Facebook ein.

Immerhin habe ich es geschafft, mich volle fünfzehn Minuten lang zurückzuhalten.

Mein Herz klopft ein bisschen schneller, als ich „Shane Bennett“ ins Suchfeld eintippe. Kleine Funken der Aufregung fliegen durch mein Inneres, als sein Gesicht unter denen meiner Freunde auftaucht. Wie erwachsen er aussieht. Aber ist er wirklich erwachsen geworden? Shane hatte immer große Ideen, aber nie die Disziplin, sie auch durchzuziehen. Er schaffte es kaum bis in die Seminare. Viele seiner Hausarbeiten habe in Wahrheit ich geschrieben.

Ich nehme noch einen Schluck und begutachte sein Foto. Sein Haar ist immer noch wellig und ein wenig zerzaust, aber kürzer als früher. Auf seinen Wangen ist ein Anflug von Bartstoppeln zu sehen und um seinen Mund die Andeutung eines Lächelns.

Gott, er ist immer noch umwerfend. Was ich verdammt ärgerlich finde.

Der dämonische Plan, den ich in der Zwischenzeit ausgeheckt habe, sieht folgendermaßen aus: Ich poste diverse Fotos meines Superrings, außerdem wie zufällig gestreute Nachrichten darüber, wie wahnsinnig glücklich und sensationell erfolgreich ich bin, und dann, nach ein paar Tagen – damit er auch genug Zeit hatte, das alles zu sehen – werde ich Shane löschen.

Schon wieder.

Für immer.

Auf Nimmerwiedersehen.

Ich puste mir eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht. Unsere gemeinsame Freundin Tonya, mit der ich heute zusammenarbeite, fand damals heraus, dass er mich betrog. Ich wollte ihr nicht glauben, aber als ich ihn zur Rede stellte, machte er dieses Gesicht, bei dem Miene und Worte nicht ganz zusammenpassten, und ich wusste Bescheid. Ich konnte es fühlen.

Er versuchte, es mir zu erklären, aber ich hörte nicht zu. Dann ging er nach England, um für seinen Dad zu arbeiten, und ich blieb allein zurück. Und damit war es vorbei.

Erledigt.

Ich seufze. Ich bin erledigt. Ich logge mich aus und mache mich bettfertig.

Mein Kopf schwirrt vor Gedanken an Babys und Shane Bennett. Ich muss zur Ruhe kommen. Morgen steht in der Agentur eine große Präsentation an. Bradley will, dass wir gut ausgeschlafen und zu allem bereit sind. Aber ich kann nicht schlafen, weder gut noch schlecht.

Ich vergrabe das Gesicht im Kissen und ziehe mir die Decke über die Ohren. Wenn Bradley hier wäre, hätte ich es wenigstens warm. Er ist so was wie meine persönliche Heizdecke, und meine Füße sind kalt. Ich hätte ihn hier übernachten lassen sollen, habe ihm aber gesagt, dass ich mich nicht wohlfühle. Und das stimmt auch. Ich bin völlig am Ende.

In „30 über Nacht“ wünscht Jennifer Garners Figur Jenna sich an ihrem dreizehnten Geburtstag, sie wäre schon dreißig und könnte die Jahre bis dahin einfach überspringen. Dank des Wunschpulvers, das sie dabei benutzt, wacht sie am nächsten Morgen tatsächlich als Dreißigjährige auf, und ihr Leben ist auf den ersten Blick genauso toll wie erhofft. Bei näherem Hinsehen muss sie jedoch feststellen, dass alles seinen Preis hatte. Aber sie kriegt eine zweite Chance.

Wo ist meine zweite Chance?

Ich bin fast dreißig, und mein Leben ist … was? Alles ist so, wie es sein sollte, und doch ist es nicht gut genug. Ich bin nicht gut genug. Mit den Tränen kämpfend starre ich an die Decke. Heute hätte ich einen dieser besonderen Momente erleben sollen, an die man sich auf ewig erinnert. Eine dieser hochemotionalen Glücksszenen, wie man sie aus Filmen kennt. Wenn Dad gar nicht fassen kann, dass sein kleines Mädchen wirklich heiratet, und Mom Tränen des Glücks vergießt.

Stattdessen bin ich die Einzige, die hier Tränen vergießt, und mein großer Moment wurde aus dem Film rausgeschnitten.

2. Kapitel

Kein Chef, ein Kunde zum Verlieben

Auf dem Parkplatz der Agentur checke ich noch rasch meinen Newsfeed bei Facebook. Shane hat nichts aktualisiert. Da wir jetzt befreundet sind, ist stalken erlaubt. Mom und Ren haben beide einen neuen Status. Bei Ren steht Baby an Bord, gefolgt von jeder Menge Gratulationen und Likes. Mom hat geschrieben: Hier ist Patrice Shaw. Ich kann gar nicht erwarten, Großmutter zu werden!

Meine Verlobung erwähnt sie mit keinem Wort. Okay, ich habe sie auch noch nicht verkündet, aber trotzdem.

Ich hole tief Luft, um ein Gefühl zurückzudrängen, das viel zu dicht unter der Oberfläche lauert, und tippe: Glückwunsch, Ren und Grayson. Das zeigt, dass ich mich für sie freue und dazugehöre. Und auch wenn ich in Wahrheit nicht dazugehöre … ich freue mich wirklich für sie.

Ich schalte den Monitor aus, werfe das Handy in meine Tasche und gehe rein, um mich auf meinen Pitch vorzubereiten. Gleich haben wir ein großes Meeting zum Thema Carriage House, einem angesagten Restaurant, das verstärkt Gäste aus der Zielgruppe „Romantisches Dinner zu zweit“ anlocken und so das Wochenendgeschäft ankurbeln möchte. Der Laden gehört zu einem größeren Unternehmen, das unser Geschäftsführer Clive als Gesamtkunde an Land ziehen will.

Er hat mir einen Bonus versprochen, wenn ich das Ding eintüte. Das Extrageld könnte ich gut für die Hochzeit gebrauchen, da Bradley wild entschlossen ist, fast alles aus eigener Tasche zu bestreiten. Er kommt aus relativ bescheidenen Verhältnissen, daher ist es ihm sehr wichtig, für sich selbst aufzukommen. Er will nicht mal zulassen, dass meine Eltern uns etwas zuschießen, wie sie das bei Grayson und Ren getan haben. Dieser Stolz zählt zwar zu den Dingen, die ich an ihm liebe, bedeutet leider aber auch eine kleinere Hochzeit mit ziemlich viel Rechnerei.

Ich brauche also diesen Bonus, daher muss ich eine Frau verkörpern, die andere überzeugen kann, jemanden wie … Lucy Kelson, gespielt von Sandra Bullock in „Ein Chef zum Verlieben“. Die ist klug, einflussreich und kommt auf die Idee, bei zwei scheinbar identischen Briefumschlag-Modellen den Geschmack zum entscheidenden Auswahlkriterium zu machen. Extrem cleveres Mädchen. Sie würde den Bonus kriegen.

Ich hake im Geiste eine Liste ab, während ich den Flur entlanglaufe. Das Outfit stimmt schon mal: geschäftsmäßiger Bleistiftrock, weiße Bluse, glatt geföhntes Haar. Ich weiß auch, was ich zu tun habe: drei Varianten für eine effiziente Markeneinführung präsentieren. Jetzt muss ich den Kunden noch durch überzeugendes Auftreten gewinnen: schnell, smart, selbstbewusst.

Als ich die Tür öffne, steht Clive schon neben meinem Platz. Ich arbeite in einem offenen Großraumbüro, zusammen mit den anderen Designern, damit ich nahe bei meinem Team bin.

„Guten Morgen.“ Ich setze mich auf meinen Stuhl und schalte den Computer an.

Clive beäugt das Durcheinander von Papieren auf meinem Schreibtisch und zieht frustriert seine dichten Brauen zusammen. Dabei hat mein Chaos Methode. Das müsste er doch langsam kapieren.

„Morgen. Könnte ich noch rasch in die Präsentation reinschauen?“ Seine rechte Hand trommelt gegen sein rechtes Bein. „Ich will sichergehen, dass das Konzept hieb- und stichfest ist.“ Er trägt seinen blauen Anzug, dazu ein weißes Hemd und den ziegelroten Schlips. Seine Standardkombination für jedes wichtige Meeting. Er sagt, sie bringt ihm Glück. Hoffentlich stimmt das. Ich will diesen Bonus.

„Ich habe gestern Abend alles fertig gemacht“, antworte ich betont enthusiastisch. „Das Konzept steht, alles ist schon im Konferenzraum startklar.“ Ich hasse diese „Schulterblicke“ in letzter Minute. Es ist ohnehin zu spät, noch irgendwas zu ändern. Lucy Kelsons Chef hat ihre Entscheidungen nie infrage gestellt. Okay, ihr Chef war auch Hugh Grant. Clive ist eher wie Howard, Hughs Filmbruder, nur mit Haaren.

„Dreißig Minuten.“ Er schaut auf die Uhr und hastet los. Irgendwie ist Clive wegen dieser Sache besonders nervös.

Und das macht mich nervös.

Sobald der Computer an ist, öffne ich Facebook, nur um zu sehen, ob vielleicht jemand in den vergangenen fünf Minuten meine Verlobung verkündet hat. Mein Chatfenster öffnet sich mit dem vertrauten Ton. Vermutlich ist Ellie online. Ich schaue nach unten.

Mein Herz setzt einen Schlag aus. Nicht Ellie.

Shane Bennett: Hi, Kensington.

Es war nie Kenz oder Kenzi. Immer Kensington, und ich liebte, wie mein Name aus seinem Mund klang. Völlig versteinert starre ich mit leerem Blick auf seinen Namen und das Foto. Es ist Jahre her und doch …

Ich kann ihn durch den Computer hindurch spüren.

Ich spüre ihn.

Okay, atme. Alles ist gut. Mach’s einfach kurz und sag, dass du keine Zeit hast. Ich setzte mich etwas aufrechter hin, stelle beide Füße auf den Boden, entschlossen, selbstsicher und lässig zu wirken. Ich tippe zwei Buchstaben, so übertrieben präzise, als würde ich gerade ein literarisches Meisterwerk verfassen, und drücke dann Enter.

Kenzi Shaw: Hi.

Shane Bennett: Du siehst klasse aus.

Ich sehe klasse aus? Ich antworte nicht. Stattdessen starre ich dümmlich auf die Worte. Meine Augen sind geweitet, mein Kiefer ist verkrampft.

Shane Bennett: Das Business-Porträt ist nett, aber das mit der Farbe im Haar gefällt mir besser.

Er hat sich meine Fotoalben angesehen?

Ich scrolle rasch durch meine Bilder, bis zu den Business-Porträts, die durch und durch professionell und perfekt sind. Bradley liebt sie, er sagt, ich sehe darauf aus wie eine Million Dollar. Ich scrolle weiter und finde schließlich das Foto, das Shane erwähnt hat. Darauf sitze ich vor einer Leinwand, Pinsel in der Hand, Farbe im Gesicht, blaue und gelbe Spritzer in meinen hoch ansetzenden Zöpfen und offenbar allerbester Laune.

Ich sollte mein Profilbild durch eine der Aufnahmen ersetzen, die mich und Bradley auf der Sommerparty am Pool meiner Eltern zeigen. Wir lachen beide und sind total albern. Außerdem hat er auf den meisten kein Hemd an und man sieht seine tollen Muskeln.

Shane Bennett: Bist du noch da?

Kenzi Shaw: Bei der Arbeit. Habe gleich eine große Präsentation.

Ich schreibe, als ob wir ständig miteinander reden und nie irgendwas zwischen uns war. Aber meine Emotionen blubbern so wild, als ob sie Kohlensäure enthalten und jemand die Flasche geschüttelt hätte. Wir haben seit Jahren keinen Kontakt. Was will er bloß? Warum schreibt er mir ausgerechnet jetzt? Ich kauere auf der Stuhlkante und glotze ungläubig auf den Monitor. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Das ist doch total verrückt.

Shane Bennett: Ich bin vor sechs Monaten in die Staaten zurückgekommen.

Ich schlage mir beide Hände vor den Mund. Er ist hier? Ich antworte nicht. Stattdessen blinzele ich ein paarmal und warte, wobei ich durch die Nase tief ein- und ausatme.

Shane Bennett: Neulich gab’s wieder mal „Pretty Woman“ im Fernsehen. Erinnerst du dich daran?

Ich kann jede Dialogzeile mitsprechen. Unwillkürlich muss ich lächeln. Es ist einer meiner Lieblingsfilme. Na schön, einer von vielen. Romantische Komödien haben etwas so Süßes und Unschuldiges an sich. Das wahre Leben ergibt nicht immer Sinn, aber in einer guten romantischen Komödie kriege ich garantiert mein Happy End. Die Heldin bekommt am Schluss immer den richtigen Mann, nämlich den, der sie wirklich in der Tiefe ihrer Seele versteht.

In „Pretty Woman“ sieht Edward in Vivian eine kluge, wundervolle, ganz besondere Frau. Etwas, was sie so verzweifelt von sich selbst glauben möchte.

Plötzlich bricht sich in meiner Brust ein kleiner Quell der Freude Bahn. Shane und ich haben „Pretty Woman“ mindestens fünfzig Mal zusammen geguckt. Spät abends, aneinandergekuschelt auf dem Sofa. Lachend haben wir die Dialoge mitgesprochen. Und wenn gerade keiner etwas sagte, dann küssten wir uns.

Ich spüre ein vertrautes Ziehen im Herzen, gefolgt von einem Anflug von Schuldgefühlen. Mein Lächeln erstirbt. Ich sollte nicht an so was denken.

Ich bin glücklich verlobt.

Ich beuge mich vor und tippe hastig.

Kenzi Shaw: Ich muss wirklich arbeiten. Tut mir leid.

Oh mein Gott. Ich klicke Facebook weg und starre weiter auf den Bildschirm. Dann schnappe ich kurz nach Luft, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen, und lehne mich zurück. Was bitte war das gerade?

Ich muss meinen Fokus dringend wieder aufs Wesentliche lenken. Ich habe eine Präsentation. Und einen Verlobten.

Ich muss Bradley sehen.

Ich wirbele mit meinem Stuhl herum, springe auf und mache mich auf den Weg zu seinem Büro. Als ich an Tonyas Zimmer vorbeikomme, spähe ich kurz hinein. Sie hat einen potenziellen Kunden bei sich und ist extrem gelangweilt. Das erkenne ich an ihrem glasigen Blick und dem wie aufgemalt wirkenden Lächeln. Wenn sie ein Geschäft nicht binnen dreißig Minuten in trockenen Tüchern hat, tritt sie die Leute ohne viel Federlesens raus. „Zeit ist Geld, Schätzchen“, pflegt sie immer zu sagen.

Tonya war auf demselben College wie Shane und ich. Wir standen uns mal recht nahe. Sie war es, die mir später gesteckt hat, dass hier die Stelle des Creative Directors frei würde, auch wenn sie ziemlich überrascht wirkte, als ich den Job tatsächlich bekam. Weiß Tonya, dass Shane wieder da ist?

„Hi.“ Ich lächele Bradley an und setze mich in einen der Klubsessel ihm gegenüber. Ein Hauch seines Aftershaves steigt mir in die Nase. Es duftet nach Wald, holzig und frisch.

Er schaut auf und erwidert mein Lächeln, doch dann trübt sich seine Miene. „Alles klar?“

Ich werfe den Kopf in den Nacken. „Warum sollte nicht alles klar sein? Alles bestens. Mir geht’s super.“ Tut es nicht. Ich bin ein Nervenbündel. Ist das so offensichtlich?

Bradleys breite Schultern sinken ein Stück in sich zusammen. „Du bist immer noch sauer wegen gestern, stimmt’s?“

Ich zucke wegwerfend mit den Schultern. „Ja, schon.“ In Wahrheit habe ich seit mindestens fünfzehn Minuten nicht mehr daran gedacht. Aber davor, ja, da war ich definitiv verärgert. „Es ist nur … na ja, das Timing von Rens Verkündung.“ Er hasst dieses ganze Ding mit Ren, Mom und mir. Ich bin nicht sicher, dass er es wirklich versteht.

„Kenz, alle freuen sich einfach nur. Es ist das erste Enkelkind.“

Ich verschränke die Arme abwehrend vor der Brust und runzle die Stirn. „Das kapiere ich schon, glaub mir. Ein Baby ist aufregend. Aber eine Hochzeit auch. Unsere Hochzeit. Hätte sie nicht eine Woche warten und mir diesen einen Tag gönnen können?“ Ich höre selbst, wie spitz meine Stimme klingt, rufe mich innerlich zur Ordnung und lasse meine Arme wieder locker fallen. Nur um im nächsten Moment an meinen unmanikürten Nägeln zu zupfen. „Es ist nur … Ich wollte anfangen, mit den anderen die Hochzeit zu planen.“

„Ich weiß. Und das wirst du auch. Sobald die Wogen sich ein bisschen geglättet haben, wirst du dir wünschen, dass deine Mom dich in Ruhe lässt.“ Bradley löst gern Probleme. Wenn es nach ihm ginge, dann würden wir drei, also Mom, er und ich, uns zusammensetzen, wie Erwachsene über alles reden und die Angelegenheit ein für alle Mal in Ordnung bringen. Aber wie kann man ein ganzes Leben voller Verletzungen in Ordnung bringen, wenn nur eine Seite sie zu spüren gekriegt hat?

Ich stehe auf und gehe zur Tür, nicht ohne mir ein Lächeln abzuringen. „Ist schon gut.“

„Hey … es ist wirklich gut.“

Man sollte ja annehmen, dass Männer inzwischen dazu imstande wären, das Wort „gut“ zu decodieren. Es bedeutet nicht, dass alles okay ist. Nein, es bedeutet, dass da noch mehr zu sagen ist, viel mehr. Und dass es auch gesagt werden wird, nur nicht gerade jetzt. Aber ganz bestimmt später. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Ich gestikuliere Richtung Flur. „Ich hole mir noch schnell ein Wasser, bevor es losgeht. Willst du auch eins?“

„Nein danke. Hör mal …“ Bradleys Miene wirkt jetzt angespannt, als er sich ein Stück über den Schreibtisch beugt. „Ich wollte schon länger etwas mit dir besprechen, dich aber nicht beunruhigen.“

„Was denn besprechen?“ Ich bleibe wie erstarrt in der Tür stehen, schon jetzt alarmiert.

Er senkt die Stimme. „Die Agentur steckt in Schwierigkeiten. Finanziell.“

Überrascht mache ich einen Schritt auf ihn zu. „Was? Wie schlimm ist es denn?“

„So schlimm, dass wir auf diesen Kunden angewiesen sind, um durchs nächste Quartal zu kommen.“

„Moment mal, wie bitte?“ Ich bleibe vor ihm stehen, die Hände in die Hüften gestemmt. Er hat jetzt meine volle Aufmerksamkeit. Wie kann das sein? Wir hatten immer gut zu tun.

„Clive muss sparen. Ein paar Stellen streichen.“

Ausgeschlossen. Ich starre ihn fassungslos an.

„Ja, und, äh …“ Sein Blick wird weich. „Dazu gehört auch die Position des Creative Directors, Kenz.“

„Was? Meine Position … oder ich?“

„Beides. Tut mir leid.“

Mir zittern die Knie. Ich lehne mich an seinen Schreibtisch, um mich abzustützen.

Bradley redet schnell weiter. „Wenn Clive dein Gehalt einspart und nur ein paar Designer beschäftigt, kann er uns durchziehen. So hat er die Agentur ganz am Anfang geführt. Heute nach dem Meeting will er mit dir reden.“

„Und deshalb erzählst du es mir jetzt? Zehn Minuten vor der Präsentation?“ Ich stoße mich vom Tisch ab und schlucke schwer. Ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll. Hab ich das gerade richtig verstanden? Vielleicht habe ich mich mit Sandras Figur in „Ein Chef zum Verlieben“ ja überidentifiziert. Ich brauche diesen Job.

Er reibt sich frustriert übers Kinn. „Wollte ich gar nicht. Du glaubst nicht, wie ich mit Clive herumgestritten und versucht habe, ihn von anderen Optionen zu überzeugen. Aber heute Morgen hat er mir gesagt, dass er nachher mit dir reden wird, und ich wollte nicht, dass du es von ihm hörst … Tut mir leid.“ Er richtet sich auf. „Schlimmstenfalls verschieben wir eben die Hochzeit ein bisschen.“

Die Hochzeit verschieben.

Verschieben kommt gar nicht infrage. Verschieben bedeutet, erst später anzufangen, eine Familie zu gründen. Ren ist schon schwanger, und sie ist fast dreißig! Ich bin fast dreißig.

Ich spüre, wie sich auf meinen unteren Lidern Tränen sammeln und drohen, mein Make-up zu ruinieren. Mist.

Bradley legt den Kopf schräg. „Kenz, Schatz, alles wird gut.“ Er steht auf, geht um den Schreibtisch herum, bis er direkt vor mir steht, und legt eine Hand unter mein Kinn, um es anzuheben. „Ich bin sicher, dass du den Kunden an Land ziehst, das schaffst du immer. Und egal, was passiert, mit uns ist alles okay.“ Seine Stimme klingt beruhigend, aber ich kann ihm von den Augen ablesen, dass er immer noch besorgt ist.

„Ja, klar, sicher. Wird schon alles gut.“ Nur, dass „gut“ dieses Mal „größter unerwarteter Tiefschlag“ bedeutet. Ich zwinge mir ein winziges Lächeln ab. „Ich, äh … brauche eine Minute. Bis gleich.“

Wie kann es sein, dass wir so viel zu tun haben und gleichzeitig in finanziellen Schwierigkeiten stecken? Das passt doch nicht zusammen. Und ausgerechnet mein Job steht auf der Kippe?

„Wollen wir heute Abend einen trinken gehen?“, ruft Tonya, als ich an ihrem Büro vorbeikomme.

Ich bleibe stehen, gehe einen Schritt zurück und stecke den Kopf durch die Tür. Ellie sitzt mit einer Tasse Kaffee in der Hand im Besuchersessel. Tonya wird ihren Job behalten. Sie arbeitet im Verkauf, auf Provisionsbasis. Aber bei Ellie bin ich nicht so sicher, sie ist Programmiererin.

Ich lächele den beiden verhalten zu und lehne mich gegen den Türrahmen. Ein Feierabenddrink mit den Mädels wäre schön. „Ja, ich bin dabei.“

„Hat deine Familie sich eigentlich gestern vor Hochzeitsplänen überschlagen?“ Mit ihrer nett gemeinten Frage streut Ellie unabsichtlich Salz in meine Wunde.

„Äh … wir sind gar nicht richtig dazu gekommen. Renson sind schwanger.“

„Ach du meine Güte, echt?“ Ellies blaue Augen glitzern vor Spott. „Ich kann mir lebhaft vorstellen, was für einen Mist sie anschaffen wird. Lauter Designerscheiß, alles vom Feinsten. Das reinste Schwangermonster.“

Schwangermonster, das gefällt mir.

Tonya hebt eine Augenbraue. „Na und, das musste ja irgendwann passieren. Dazu heiraten Leute doch schließlich, oder? Um Babys zu kriegen. Kenzi ist als Nächste dran.“

„Klar, das ist der Plan. Sobald wir mit dem Hochzeitsstress durch sind, fangen wir an, daran zu arbeiten.“ Allerdings müssen wir es erst mal bis zur Hochzeit schaffen. Der Gedanke versetzt mir einen Stich. Ich will nicht warten. Ich will die Hochzeit planen und eine Familie gründen. Ich will das Schwangermonster sein. Na ja, ohne den Monsterteil.

Tonya schraubt ihre Wasserflasche zu und rümpft die Nase. „Schätzchen, warte nicht zu lange, dann klappt es womöglich nicht mehr. Und was deine tollen Hochzeitspläne betrifft? Tja, dumm gelaufen, die spielen neben Rensons Mini me ab sofort nur noch die zweite Geige. Sobald man bei ihr was sieht, wird die gesamte Familie in schnappatmenden Baby-Modus schalten.“

„Biest!“ Ellie funkelt Tonya aus schmalen Augen an.

„Okay, den Schuh muss ich mir wohl anziehen.“ Sie reckt das Kinn und schaut mir direkt ins Gesicht. „Aber Kenz weiß, dass ich recht habe, stimmt’s, Süße?“

„Womit? Mit meiner Familie oder damit, dass du ein Biest bist?“

„Mit beidem!“ Ellie lacht.

Tonya ist zwar in absolut jeder Hinsicht rechthaberisch und besserwisserisch, aber zumindest weiß sie das auch. Das ist der Hauptgrund, warum ich mit ihr klarkomme. Wobei ich zugeben muss, dass sie schon immer irgendwo zwischen die Kategorien „Freundin“ und „Lieblingsfeindin“ fiel. Ich trommele mit den Fingern auf den Türrahmen. „In fünf Minuten fängt die Konferenz an. Bis gleich.“

Carriage House ist zwar theoretisch Tonyas Kunde, aber wie immer, wenn viel Geld im Spiel ist, übernehmen Bradley und Clive. Zwei Programmierer sitzen ihr am Konferenztisch gegenüber und diskutieren über die Funktionalität der Website, die wir gleich präsentieren. Ihre Jobs werden vermutlich auch eingespart. Mein Magen macht sich säuerlich bemerkbar.

„Hi.“ Ich nicke, lege meine Sachen ab und vergewissere mich, dass meine drei Präsentationstafeln vorne liegen. Dann setze ich mich hin und lege die Stirn in die Hände. Ich muss mich dringend abregen.

Die Hochzeit verschieben. Bradleys Worte gehen mir nicht aus dem Kopf. Wir haben noch nicht mal Pläne festgezurrt, und schon gleitet mir alles aus den Händen. Und jetzt auch noch mein Job? Vom Bonus ganz zu schweigen?

„Alles okay?“ Tonya stößt mich leicht mit dem Ellbogen an.

„Kommt drauf an, was du unter okay verstehst“, murmele ich. In dem Moment piepst mein Handy. Es ist Ellie. Ich muss noch stummschalten. Dabei fällt mein Blick zufällig auf Shanes Nachrichten von vorhin. Ich klicke sie an und drehe mein Handy so, dass Tonya sie sehen kann. Wetten, dass sie gleich ausflippt? Und tatsächlich: Sie starrt auf den Bildschirm und reißt die Augen weit auf. „Oh mein Gott! Das ist Shane!“ Sie dreht sich aufgeregt zu mir herum. „Du hast wieder Kontakt mit ihm?“

„Psst. Nein. Nein.“ Ich schaue verstohlen über meine Schulter, um sicherzugehen, dass Bradley nicht doch wider Erwarten im Flur herumhängt. Eigentlich müssten er und Clive jetzt im Eingangsbereich Stellung beziehen, um den Kunden in Empfang zu nehmen und in den Konferenzraum zu führen. „Er hat mir eine Freundschaftsanfrage geschickt. Ich bemerke, dass die Programmierer uns interessiert lauschen. „Nichts weiter“, wiegele ich hastig ab. „Nur ein alter Collegefreund von Tonya und mir.“

Tonya atmet hörbar aus und zieht meine Hand näher zu sich, um die Nachrichten besser in Augenschein nehmen zu können. „‚Pretty Woman‘?“

„Du sollst das nicht lesen.“ Ich entreiße ihr meinen Arm. Ich wollte ihr nur das Foto zeigen.

Plötzlich sind von draußen Schritte und Stimmen zu hören. Clive geleitet das Team von Carriage House ins Meeting. Wir erheben uns, und Clive stellt uns einander vor. Hände werden über Kreuz geschüttelt, Namen ausgetauscht, aber ich kann mir nicht alle merken, da ich bis zu diesem Moment nur mit unserem eigenen Team gearbeitet habe. Außerdem wabern immer noch ein paar Nebelschwaden durch mein Hirn. Wo bleibt Bradley? Langsam kommt die Truppe zur Ruhe, die Leute nehmen ihre Plätze ein. Es geht los. Ich bin als Erste dran. Ich sortiere meine Unterlagen, nehme noch rasch einen Schluck Wasser und gehe dann nach vorn, um den Stein ins Rollen zu bringen.

Clive hebt die Hand. „Einen Moment, Kenzi. Wir warten noch auf den Inhaber von Carriage House …“ Er dreht den Kopf mit einem Ruck zur Tür. „Oh, da ist er ja schon.“

Ich wirbele herum und sehe Bradley und …

„Meine Lieben, darf ich euch Mr. Shane Bennett vorstellen?“

Ich verschlucke mich an meinem Wasser.

Ich ersticke. Würge. Das Zeug steckt in meiner Kehle fest. Oh mein Gott. Ich huste mir die Seele aus dem Leib. Alle starren mich an, während ich mich über dem Tisch in Krämpfen winde. Ich hebe einen Finger, um etwas Zeit herauszuschinden. Ich kann einfach nicht aufhören zu keuchen und zu würgen.

Hastig drehe ich mich zur Tür. Mist. Er ist es wirklich … Es ist Shane. Er sieht mich an. Ich lege eine Hand vor den Mund und wedele entschuldigend mit der anderen, schiebe mich hustend an ihm vorbei Richtung Toilette.

Shane Bennett ist hier.

Beziehungsweise dort. Im Konferenzraum. Ich hingegen bin auf der Toilette. Ich räuspere mich ausgiebig, um meine Kehle freizukriegen und benetze meinen Nacken mit kaltem Wasser. Das kann kein Zufall sein. Er muss gewusst haben, wo ich arbeite. Er wusste es die ganze Zeit, während wir gechattet haben.

Oh. Mein. Gott.

Ich habe ihm von meiner großen Präsentation erzählt. In Gedanken rase ich noch einmal durch die gesamte Konversation. Er ist der Kunde. Er ist der Inhaber? Warum hat er mir das nicht gesagt? Warum ist er hier?

Die Toilettentür wird aufgerissen. Es ist Tonya. Sie schüttelt fassungslos den Kopf. „Oh mein Gott, das gibt es doch gar nicht, oder? Shane Bennett! Wahnsinn. Ziemlich eindrucksvoller Abgang übrigens, die Klienten erst voll anspucken und dann mit einem wilden Hustenanfall rausrennen.“ Sie lacht und überprüft ihren Lippenstift im Spiegel.

„Du hättest mich vorwarnen können.“ Noch immer schlägt mir das Herz bis zum Hals.

Tonyas Spiegelbild fixiert mich. „Hätte ich getan, wenn ich’s gewusst hätte. Clive und Bradley sind zu den Meetings gegangen; ich hatte nur mit dem großen Typ vom Marketing zu tun.“ Sie wirbelt zu mir herum. „Hör zu, der Boss hat mich losgeschickt, um deine sterblichen Überreste zurückzuzerren. Also atme tief durch und reiß dich zusammen. Du packst das, oder?“

„Klar.“ Nein. „Sag Clive, dass ich, äh, gleich da bin.“ Ich gucke in den Spiegel, zupfe an meinem Blusenkragen herum und fange ihren skeptischen Blick auf.

„Keine Sorge, mir geht’s gut. Auf geht’s. Ich folge dir unauffällig.“ Ich kämme mir mit den Fingern durchs Haar, bis sie geht.

Sobald die Tür hinter ihr ins Schloss fällt, sinke ich zu einem Häuflein Elend zusammen, nur eine stützende Hand am Waschbecken hält mich halbwegs aufrecht. Weiß Bradley, wer er ist? Nein, unmöglich. Nicht mal Tonya wusste Bescheid, also konnte es ihm niemand erzählen. Was zum Teufel macht er hier? Mein Hirn mutiert zu einer undefinierbaren Masse. Shane Bennett ist der wichtige Kunde. Die Firma, die ich an Land ziehen muss, um meinen Job, meinen Bonus und meine Hochzeit zu retten.

Ich richte mich auf und schüttele den Kopf, um meine Gedanken zu klären. Ich muss mich dringend wieder einkriegen. Auch wenn ich mich eben bei seinem Anblick wie Bridget Jones aufgeführt habe. Hier geht’s schließlich um alles. Ums ganz große Brimborium. Was ist das eigentlich, ein Brimborium? Keine Ahnung, aber auf jeden Fall das, was ich will. Also zeig’s ihnen!

Zeig’s ihm.

Ich mache ein paar energische Schritte auf den Konferenzraum zu und schwinge entschlossen die Arme, aber vor der Tür muss ich doch innehalten, um mein wild rasendes Herz zu beruhigen. Ich atme tief ein … und gaanz langsam wieder aus. Ein … und laaangsam wieder aus … ein … und laaangsam wieder aus. Nach ein paar ächzenden Sekunden muss ich einräumen, dass ich klinge wie ein geistesgestörter Darth Vader. „Ich bin dein Vater“, sage ich und muss beinahe lachen. Schließlich bleibt mir nichts anderes übrig – entweder lachen oder weinen.

„Heißt das, dass du inzwischen keine Frauenschnulzen mehr guckst, sondern Star Wars?“

Okay, weinen.

Wie erstarrt schließe ich die Augen. Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich drehe mich um. Vor mir steht der erwachsene Shane, mit einem Kaffee in der Hand und irritierter Miene.

„Hallo Kensington.“

Der Klang meines Namens aus seinem Mund löst ein Gefühl der Benommenheit aus.

„Ich wusste nicht, wie lange du brauchst, darum …“ Er hebt seinen Becher und sieht mich dabei unverwandt an.

Ich lächele gezwungen. Wie gekünstelt sich das anfühlt, fast wie im Film. Er hat sich verändert, wie ich nicht umhinkomme zu bemerken. Er ist älter, wirkt muskulöser.

Ein Mann.

Der Oberkörper unter dem eng anliegenden schwarzen Pullover lässt darauf schließen, dass er noch immer boxt oder sonst irgendwas trainiert. Ich beiße mir auf die Unterlippe und versuche, irgendetwas Belangloses, aber Treffendes zu sagen.

Die Tür zum Konferenzraum öffnet sich mit einem deutlichen Klick. „Oh, gut, sie ist wieder da. Dann können wir ja noch einmal anfangen.“ In Clives Ton schwingt mehr als nur ein bisschen Verärgerung mit. Er lässt die Tür weiter zurückschwingen und macht eine auffordernde Geste. „Kensington, wenn du dann so weit bist …“ Er deutet ans Kopfende des Tischs.

„Ja, klar.“ Mein Magen schlägt Purzelbäume.

Bradley nickt mir ermutigend zu. Tonya schiebt grinsend meine Wasserflasche zur Seite, als ich an ihr vorbeikomme. Ich blitze sie böse an.

„Also“, beginne ich und werfe einen raschen Blick auf Shane, der in der letzten Reihe neben Clive Platz genommen hat. Ich wende mich meinen Präsentationstafeln zu, ziehe die Abdeckung hinunter und lehne sie gegen die Wand.

Ich kann das. Ich bin Lucy Kelson, gespielt von Sandra Bullock, cool und überzeugend. „Die Agentur Safia hat drei komplette, auf die speziellen Bedürfnisse Ihres Unternehmens zugeschnittene Marketingkonzepte entwickelt.“ Ich hole die Worte aus den Tiefen meines Gedächtnisses.

Kurz begegnet mein Blick Shanes, und mein Herz macht einen Sprung.

„Die Konzepte versuchen auf unterschiedlichen Wegen dasselbe Ziel zu erreichen.“ Meine Hände zittern, als ich die Varianten so nebeneinander platziere, dass alle drei sichtbar sind. Ich sehe jeden im Raum an. Außer Shane. „Unser erstes Konzept fußt auf …“

„Könnten Sie bitte kurz einen Schritt zur Seite machen?“ Shane beugt sich vor, um besser an mir vorbeischauen zu können.

„Entschuldigung?“ Ich gucke erst ihn, dann Clive verwirrt an.

Clive wedelt mit einer Hand, um anzudeuten, dass ich mich bewegen soll, also bewege ich mich. Shane studiert eine Tafel nach der anderen, legt eine Hand unters Kinn, während er die Konzepte begutachtet. Es ist mucksmäuschenstill im Raum. Alle Augen sind auf Shane gerichtet. Das ist total verrückt. So läuft das nicht. So was würde Lucy Kelson nie passieren.

Ich trete einen Schritt nach vorn. „Ich wollte gerade im Einzelnen erklären …“

„Ja, schon klar. Ich hab es verstanden. Jedes Konzept folgt einem eigenen Plan.“ Er presst seine Lippen zu einer harten Linie zusammen. „Aber wie es aussieht, hat niemand Ihnen mitgeteilt, welcher Plan mir vorschwebt.“

„Bitte?“

Shane steht auf und nimmt die erste Tafel näher unter die Lupe. Ich bin wie vor den Kopf gestoßen. So etwas ist mir noch nie passiert. Üblicherweise läuft es so, dass ich rede, der Kunde zuhört und dann einen meiner Vorschläge auswählt. Eventuell gibt es noch ein paar Nachbesserungen, aber das war’s dann. Warum ist er überhaupt hier? Ich werfe Clive einen fragenden Blick zu, aber er zuckt nur mit den Schultern.

„Ich fürchte, Ihnen fehlen ein paar Informationen“, sagt Shane.

Wovon zum Teufel spricht er?

Er lächelt. Es ist sein Ich-bin-nur-höflich-Lächeln. Ich habe es Hunderte Male gesehen, nur dass es jetzt ein paar leichte Kerben an den Mundwinkeln hat. Was hat all das zu bedeuten? Clive trommelt mit dem Kugelschreiber auf die Tischplatte.

„Das Kino“, fährt Shane fort. „Es ist Restaurant und Kino in einem. Vielleicht kam die Sache mit dem Kino bei den Vorgesprächen nicht so richtig rüber, Clive, aber wenn das Konzept aufgeht, planen wir Neueröffnungen an mehreren Standorten.“

„Ein Kino? Im Restaurant?“, frage ich ungläubig. Es rutscht mir einfach so raus.

„Nicht das, was man erwarten würde, stimmt’s?“ Shane schaut mich forschend an.

„Ich möchte, dass der Fokus auf den Filmen liegt, nicht nur auf dem Essen.“ Er nickt Clive zu und wendet sich dann an die Gruppe. „Wir wollen ein Erlebnis-Gesamtpaket bieten: Großartiges Essen, dazu die schönsten romantischen Komödien. Mit anderen Worten: das perfekte Rendezvous.“

Autor

Victoria Van Tiem
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