Küssen ist die beste Medizin

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Willkommen in Fool’s Gold, wo am Ende des Regenbogens die große Liebe wartet!

Montana Hendrix hat eine Berufung: die Ausbildung von Therapiehunden. Denn was könnte besser sein, wenn man traurig oder krank ist, als mit einem Hund zu kuscheln? Leider sehen das nicht alle so. Als Montana in einer Klinik auf den Chirurgen Simon Bradley trifft, fliegen die Fetzen - und die Funken. So wütend Simon auch ist: Er erkennt, wie glücklich der Hundebesuch seine kleine Patientin macht, und bittet Montana, regelmäßig vorbeizukommen. Und wie das mit Frauen immer so ist - reicht man ihnen den kleinen Finger, nehmen sie gleich die ganze Hand. Und das Herz. Und die Seele. Und eh man sich versieht, ist man Hals über Kopf verliebt. Ein Zustand, für den es nur zwei Lösungen gibt: Weglaufen - oder bis ans Lebensende glücklich werden.


  • Erscheinungstag 10.08.2013
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783862787937
  • Seitenanzahl 352
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der absolut perfekte Vormittag war für Montana gelaufen, als eine Bratwurst, ein vierjähriger Junge und ein Mischlingshund namens Fluffy aufeinandertrafen. Eigentlich hatte alles recht gut angefangen. Montana hatte sich in den Kopf gesetzt, die fast einjährige Fluffy – eine Kreuzung aus Golden Retriever und Labrador – in ein Ausbildungsprogramm für Therapiehunde aufzunehmen. Sicher, Fluffy war quirlig und tollpatschig, hatte obendrein die Angewohnheit, alles zu fressen, was nicht niet- und nagelfest war, und war schlicht und ergreifend viel zu fröhlich. Aber sie besaß ein großes Herz. Selbst wenn Fluffy also – um es klar zu sagen – eine Niete sein mochte, Montana weigerte sich, ihr das vorzuwerfen. Schließlich wusste sie aus eigener Erfahrung, was es hieß, sein Potenzial nie ganz ausschöpfen zu können und ständig das Gefühl zu haben, nicht gut genug zu sein. Darin war sie Expertin, und Fluffy sollte nicht leiden wie sie. Falls das ein bisschen viel auf ein unschuldiges Tier projiziert sein mochte – na und? So etwas kann vorkommen.

Also führte Montana an einem schönen Sommermorgen Fluffy in Fool’s Gold aus … oder besser gesagt, sie wurde von Fluffy ausgeführt.

„Denk an etwas Beruhigendes“, beschwor Montana den Hund und hielt die Leine fest in der Hand. „Therapiehunde sind ruhig. Therapiehunde wissen, was Zurückhaltung bedeutet.“

Fluffy schenkte ihr ein Hundelächeln und hätte mit ihrem ständig wedelnden Schwanz fast eine Mülltonne umgeworfen. Zurückhaltung gehörte nicht zu Fluffys Vokabular, und wirklich ruhig war sie selbst dann nicht, wenn sie schlief.

Später warf Montana sich vor, sie hätte es kommen sehen müssen. Dieser spezielle Vormittag läutete das erste Wochenende der Sommerferien ein. Obendrein fand ein Stadtfest statt, weshalb die Straßenverkäufer schon seit Tagen damit beschäftigt waren, ihre Stände aufzubauen. Obgleich es noch früh war, lag bereits der Duft von Bratwürstchen und Barbecues in der Luft. Die Bürgersteige waren voller Menschen, und Fluffy zog ständig an der Leine hin zu den Kindern, die im Park spielten. Ihre Signale waren eindeutig, auch sie wollte spielen.

Etwas weiter vorn kaufte eine Mutter eine Bratwurst, die sie ihrem kleinen Sohn reichte, der ungeduldig danach griff. Bevor er jedoch dazu kam, hineinzubeißen, hatte er Fluffy entdeckt und hielt ihr lächelnd sein Essen entgegen. Ausgerechnet in diesem Augenblick war Montana durch die neue Schaufensterauslage der Buchhandlung Morgan’s Books abgelenkt und lockerte versehentlich ihren Griff an der Leine. Fluffy machte einen Satz nach vorn, die Leine rutschte Montana aus der Hand, und damit brach das Chaos aus.

Aus sicherer Entfernung mochte der kleine Junge es für eine gute Idee gehalten haben, sein Würstchen anzubieten, als aber der vierzig Kilo schwere Hund auf ihn zugestürmt kam, ließ er es schreiend fallen und versteckte sich schnell hinter seiner Mutter. Die arme Frau hatte den Anfang der Begegnung verpasst. Alles, was sie sah, war ein offenbar durchgeknallter Hund, der direkt auf sie und ihren Sohn zugeschossen kam. Sie kreischte.

Montana lief hinter Fluffy her und befahl ihr, stehen zu bleiben, was genauso erfolgreich war, wie der Erde zu befehlen, sich langsamer zu drehen.

Die Mutter hob ihren kleinen Jungen auf und ging hinter einem Limonaden-Stand in Deckung. Ohne aus dem Tritt zu geraten, schnappte Fluffy sich die Wurst, verschlang sie in einem Rutsch und lief weiter, offenbar dem Ruf der Freiheit folgend.

Montana eilte ihr nach, wobei ihr die neuen Sommersandalen, die sie eine Woche zuvor gekauft hatte, in die Füße schnitten. Sie wusste, sie musste Fluffy einfangen. Der Hund war süß, aber nicht besonders gut ausgebildet. Montanas Chef Max Thurman hatte klar und deutlich gesagt, dass Fluffy als Therapiehund nicht zu gebrauchen war. Sollte er von dem heutigen Desaster Wind bekommen, würde er darauf bestehen, den Hund aus dem Programm auszuschließen.

Fluffy war sehr viel schneller als Montana und bald schon außer Sichtweite. Auf dem Weg durch die Straßen der Stadt folgte sie der Spur aus Kreischen und Schreien, wich einem Erdnussverkäufer mit seinem rollenden Stand aus und konnte nur knapp einen Zusammenstoß mit zwei Männern auf Fahrrädern verhindern. Als sie um eine Ecke bog, sah sie gerade noch einen Schwanz durch die automatische Eingangstür eines hohen Gebäudes entschwinden.

„Oh nein!“, hauchte Montana und blickte zu dem Krankenhaus hinauf. „Nicht das. Alles, nur nicht das!“

Sie rannte weiter, wobei ihr bei dem Gedanken schauderte, was Fluffy in einem solchen Gebäude alles anstellen konnte. Große Hundepfoten und glatte Fußböden waren keine glückliche Kombination. Sie hechtete die sechs Stufen zum Eingang hinauf und stürzte hinein, um sogleich die Spur der Verwüstung zu sehen, die Fluffy hinter sich hergezogen hatte.

Ein Wäschewagen war vor die Wand geknallt, davor lag Bettwäsche auf dem Fußboden. Grinsend deutete ein kleines Mädchen im Rollstuhl den Flur hinunter.

Als Montana zu den Aufzügen kam, stieß sie gleich auf mehrere Leute, die sie bereitwillig darüber informierten, dass dort tatsächlich ein Hund hineingelaufen war. Sie beobachtete die Anzeige, stellte fest, dass ein Aufzug im vierten Stock angehalten hatte, sprang in den nächsten und fuhr nach oben.

Sowie die Tür aufging, hörte sie auch schon das Geschrei. Ein umgestoßener Stuhl lag neben weiterem Bettzeug und mehreren Krankenakten auf dem Boden. Weiter vorn befand sich eine Doppeltür – der Eingang zur Station für Verbrennungsopfer. Auf mehreren Anzeigetafeln wurde detailliert erklärt, wer und was Zuritt zu diesem Bereich der Klinik hatte und wer und was nicht. Ein freudiges Bellen sagte ihr, dass Fluffy sämtliche dort angeschlagenen Regeln verletzt hatte.

Da ihr nichts Besseres einfiel, folgte Montana dem Laut und stieß die Tür auf. Ein Stück weiter versuchten mehrere Krankenschwestern, den fröhlich über den Flur tobenden Hund einzufangen, während Fluffy ihr Bestes gab, sie alle gleichzeitig abzulecken. Als Montana sie rief, drehte sie sich um und schoss auf sie zu, während im selben Moment ein Arzt aus einem der Zimmer trat.

Fluffy gab sich wirklich alle Mühe, stehen zu bleiben. Montana konnte sehen, wie die Hundepfoten kämpften, jedoch auf dem glatten Fußboden keinen Halt fanden. Fluffy geriet ins Rutschen, senkte den Hintern, stemmte die Vorderpfoten auf den Boden und rutschte so im Sitzen weiter. Dabei pflügte sie den Arzt um, der stolpernd gegen Montana stieß.

Besagter Arzt war mindestens fünfzehn Zentimeter größer und sehr viel schwerer als Montana. Seine Schulter krachte ihr so vor die Brust, dass es ihr den Atem verschlug. Beide gingen sie zu Boden, das heißt, sie flogen ein Stück, bevor sie auf dem sehr harten Boden landeten und sein Körper auf ihrem aufschlug.

Benommen blieb Montana liegen. Sie bekam keine Luft. Alles, was sie noch fühlen konnte, war ein schweres Gewicht auf ihr und eine warme Zunge, die ihr freiliegendes Fußgelenk abschleckte.

Der Mann rollte sich von ihr herunter und kniete sich neben sie.

„Sind Sie verletzt?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. Schließlich gelang es ihr wieder, Luft zu holen. Fluffy rückte näher und setzte sich. Auf einmal wirkte sie völlig ruhig und wohlerzogen, ein Trick, auf den Montana nicht hereinzufallen gedachte.

Der Mann beugte sich vor und strich mit seinen großen Händen und langen Fingern einmal von oben nach unten über Arme und Beine und tastete dann ihren Hinterkopf ab. Seine Berührung war unpersönlich, dennoch war das mehr Zärtlichkeit, als Montana seit Monaten erlebt hatte. Bevor sie herausfinden konnte, ob es ihr gefiel, schaute sie ihm ins Gesicht.

Er war der schönste Mann, den sie je gesehen hatte. Rauchgrüne Augen, umrahmt von dunklen Wimpern. Ein perfekt geschnittener Mund, dazu ein kräftiges Kinn. Seine Wangenknochen …

„Nichts verletzt“, stellte er fest und wandte sich ab, um mit jemandem zu sprechen, der hinter ihm stand.

Bei dieser Bewegung konnte sie die andere Hälfte seines Gesichts sehen, wo dicke rote Narben aus seinem Hemdkragen herauswuchsen und sich über die linke Seite seines Halses, den linken Kiefer und die Wange ausbreiteten. Sie schraubten sich spiralförmig nach oben und bildeten ein wildes Muster, das seine Haut auf eine Art verzog, die schmerzhaft aussah.

Montana hatte das Gefühl, dass ihr der Schock anzusehen war, aber der Arzt schien nichts davon zu bemerken. Stattdessen griff er nach ihrer Hand und zog sie auf die Beine.

„Schwindlig?“, fragte er sie kurz angebunden.

„Nein“, brachte sie jetzt, da sie wieder atmen konnte, heraus.

„Gut.“ Er trat einen Schritt auf sie zu. „Was zum Teufel ist in Sie gefahren? Was sind Sie für eine unverantwortliche Idiotin, die zulässt, dass so etwas passiert? Man müsste Sie verhaften und wegen versuchten Mordes anklagen. Haben Sie eigentlich eine Ahnung, welche Krankheitserreger dieser Hund mit sich herumschleppt? Welche Sie an sich tragen? Das hier ist die Isolierstation für Verbrennungsopfer. Diese Patienten sind sehr anfällig für Infektionen und leiden Schmerzen, die Sie sich nicht einmal ansatzweise vorstellen können.“

Sie trat einen Schritt zurück. „Es tut mir leid“, setzte sie an.

„Glauben Sie etwa, dass hier irgendwer auch nur im Geringsten daran interessiert ist, ob es Ihnen leidtut? Ihre Gedankenlosigkeit ist kriminell.“

Montana konnte den Zorn in jedem einzelnen seiner Worte spüren. Noch beängstigender als das, was er sagte, war jedoch die Art, wie er es sagte. Er sprach nicht laut und kraftvoll, sondern mit einer Kälte, die bewirkte, dass sie sich klein und dumm vorkam.

„Ich hatte nicht …“

„Gedacht“, unterbrach er sie. „Ja, das liegt auf der Hand. Ich möchte bezweifeln, dass Sie überhaupt einmal über irgendetwas groß nachdenken. So, und jetzt verschwinden Sie.“

Plötzlich war es Montana überaus peinlich. Ihr war bewusst, dass weitere Angehörige des Krankenhauspersonals sich in der Nähe herumtrieben und zuhörten.

Sie wusste, es war schlimm, dass Fluffy so durchs Krankenhaus getobt war, aber schließlich war es auch wieder nicht so, als hätte sie das geplant.

„Es war ein Unfall“, erklärte sie und reckte das Kinn.

„Das ist keine Entschuldigung.“

„Ich nehme an, Sie machen nie einen Fehler.“

In seinen graugrünen Augen blitzte es höhnisch. „Haben Sie sich schon einmal verbrannt? Haben Sie mal eine heiße Pfanne berührt oder den Brenner am Herd? Wissen Sie noch, wie sich das anfühlt? Dann stellen Sie sich das auf einer großen Fläche Ihres Körpers vor. Der Heilungsprozess dauert lange, und auch das, was wir hier tun, um ihn zu unterstützen, ist schmerzhaft. Auf dieser Station kann eine Infektion tödliche Folgen haben. Daher ist es bei dieser Auseinandersetzung völlig irrelevant, ob auch ich einmal Fehler mache.“

Es wäre sinnlos, ihm zu sagen, dass ihre Arbeit gleichfalls von Bedeutung war. Montana kam häufig mit ihren Therapiehunden ins Krankenhaus. Diese Therapiehunde halfen den Patienten, gesund zu werden. Vor allem Kindern. Aber Montana hatte den Verdacht, dass speziell diesem Mann das herzlich egal sein dürfte.

„Sie haben recht“, sagte sie langsam. „Es gibt keine Entschuldigung für das, was heute hier vorgefallen ist. Es tut mir leid.“ Er verzog den Mund. „Raus hier.“

Seine totale Ablehnung verblüffte sie. „Wie bitte?“

„Sind Sie taub? Raus hier. Verschwinden Sie. Nehmen Sie Ihren verdammten Hund mit und lassen Sie sich nie wieder hier blicken.“

Montana war bereit, zuzugeben, dass sie einen Fehler gemacht hatte, und die Schuld auf sich zu nehmen. Aber ihre Entschuldigung derart zu ignorieren war schlicht ungehobelt. Selbst wenn sie Mist gebaut hatte, hieß das noch längst nicht, dass sie auch ein schlechter Mensch war.

„Sind Sie Arzt?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort auf diese Frage längst kannte.

Die Augen des Mannes verengten sich zu Schlitzen. „Ja.“ „Vielleicht sollten Sie mal daran denken, den Stock aus Ihrem Arsch zu entfernen. Dann wird es Ihnen leichter fallen, so zu tun, als wären Sie auch ein Mensch, was Ihren Patienten höchstwahrscheinlich bei der Genesung helfen könnte.“

Damit hob sie Fluffys Leine auf, übersah die Tatsache, dass der Hund dem Arzt die Hand leckte, und stolzierte hoch erhobenen Hauptes aus der Station.

Auf dem Weg zurück zum Hundezwinger hielt sie die Leine in der Hand. Aber so gut sie Fluffy jetzt auch festhielt, es änderte nichts an der Tatsache, dass sie beide gewaltig Mist gebaut hatten. Montana liebte ihre Arbeit. Sie hatte lange gebraucht, um herauszufinden, was sie mit ihrem Leben anstellen wollte. Es machte ihr großen Spaß, die Hunde auszubilden und im Krankenhaus mit Kindern oder im Altersheim mit Senioren zu arbeiten. Obendrein hatte sie an allen fünf Grundschulen in der Stadt ein Leseprogramm initiiert.

All das könnte sie nach dem Vorfall von heute verlieren. Wenn die Leiterin der Krankenhausverwaltung bei Max anrief und Montana Hausverbot im Krankenhaus erteilte, würde ihr Chef sie feuern, denn ein großer Teil ihrer therapeutischen Arbeit fand dort statt. Wenn sie nicht mehr ins Krankenhaus gehen konnte, war sie für ihn kaum noch von Nutzen. Und was dann?

Sie wusste, dass sie allein dafür verantwortlich war. Max hatte klargestellt, dass Fluffy für das Programm nicht taugte, aber Montana hatte dem Hund noch eine Chance geben wollen.

Schon ihr ganzes Leben war Montana anders gewesen als andere. An ihren guten Tagen sagte sie sich, sie sei halt ein wenig schusselig. An ihren schlechten Tagen … nun ja, die Worte, die sie dann benutzte, waren sehr viel schlimmer als das.

Letztendlich aber spielte es keine Rolle, wie sie es nannte, anscheinend hatte sich bis heute nicht viel daran geändert. Nach wie vor war sie nicht in der Lage, einmal etwas wirklich richtig zu machen.

Binnen weniger Minuten war auf der Intensivstation die Ordnung wiederhergestellt. Simon Bradley verbannte die Eindringlinge aus seinem Kopf und setzte seine Visite fort. Die letzte Patientin an diesem Morgen war die, um die er sich die größten Sorgen machte. Die neunjährige Kalinda Riley war zwei Tage zuvor eingeliefert worden, nachdem der Gasgrill der Familie explodiert war. Kalinda war die Einzige, die dabei verletzt worden war.

Sie hatte Verbrennungen erlitten, die mehr als vierzig Prozent ihres Körpers bedeckten. Gestern hatte er sie operiert. Falls sie überlebte, wäre das nur die erste von vielen Operationen, und für den Rest ihres Lebens würde ihre Existenz durch die Verbrennungen geprägt. Er musste es schließlich wissen.

Ihre Eltern waren am Boden zerstört und hatten Angst. Sie wollten Antworten von ihm, die er ihnen nicht geben konnte. Erst in den nächsten Wochen würde sich zeigen, ob das kleine Mädchen überleben oder sterben würde. Simon rätselte nicht gern herum oder stellte Vermutungen an, aber dem Druck, der auf seiner Brust lastete, konnte er sich nicht entziehen.

„Dr. Bradley.“

Er lächelte Kalindas Mutter an. Mrs Riley war noch keine dreißig und wahrscheinlich hübsch, wenn sie nicht ganz blass vor lauter Angst und Sorgen war. Kalinda war ihr einziges Kind.

„Sie war ganz still“, fuhr die Mutter fort.

„Wir stellen sie ruhig, während sie heilt.“

„Eben war ein Hund hier.“

Simon verspannte sich. „Das wird nicht wieder vorkommen.“

Mrs Riley legte ihm eine Hand auf den Arm. „Sie hat die Augen aufgeschlagen, als sie den Tumult hörte. Dann wollte sie das Hündchen sehen.“

Simon wandte sich Kalindas Zimmer zu. Das Kind sollte nicht so wach sein. Er wollte sie untersuchen und ihre Medikation überprüfen.

„Hat sie etwas davon gesagt, dass sie Schmerzen hat?“, fragte er.

Später würde man ihr beibringen, mit ihren Beschwerden umzugehen. Das war das Wort dafür. Beschwerden. Nicht Qualen, Tortur oder Leiden, was passendere Bezeichnungen für eine schwere Verbrennung waren. Später würde sie bestimmte Atemtechniken, Meditationen und Visualisierungen erlernen. Vorläufig jedoch mussten Medikamente sie über Wasser halten. „Sie hat gesagt, sie würde das Hündchen gern im Arm halten.“

Er holte tief Luft. „Das war ein achtzig Pfund schwerer Köter, der in einem Krankenhaus nichts zu suchen hat.“

„Oh.“ Mrs Riley stiegen die Tränen in die Augen. „Wir hatten einen Hund. Einen kleinen Yorkie. Sie ist vor ein paar Monaten gestorben. Ich weiß, dass Kalinda sie schrecklich vermisst. Dabei fällt mir ein, dass ich mal etwas über Therapiehunde gelesen habe. Glauben Sie, das könnte helfen?“

Sie war eine Mutter, die ihr Kind liebte und alles tun würde, um ihm zu helfen und zu verhindern, dass es litt. Simon hatte das schon hundert Mal erlebt. Die große Liebe, die Eltern für ihre Kinder aufbrachten, erstaunte ihn immer wieder aufs Neue. Vielleicht, weil er sie selbst nie erfahren hatte.

Simon würde lieber Glas schlucken als ein schmutziges Tier auf seiner Station für Brandverletzte dulden, aber er wusste auch, dass die Heilkräfte des menschlichen Körpers sich oft aus unerwarteten Quellen speisten. Wenn Kalinda überleben sollte, bedurfte es schon eines mittelgroßen Wunders.

„Ich will sehen, was ich herausfinden kann“, versprach er und ging zum Zimmer seiner Patientin.

„Ich danke Ihnen.“ Tapfer lächelte Mrs Riley ihn durch die Tränen hindurch an. „Sie sind großartig.“

Er hatte sehr wenig getan. Die Chirurgie war ein erlerntes Handwerk, und die Gabe, die er diesen Fertigkeiten hinzufügte, war mit einem Preis verbunden, aber es war ein Preis, den er gerne zahlte. Er lebte für seine Patienten, um sie so weit wie menschenmöglich zu heilen. Anschließend zog er weiter. Zu der nächsten Tragödie. Dem nächsten Kind, dessen Leben durch das Zündeln einer Flamme in einem einzigen Lichtblitz auf den Kopf gestellt worden war.

„Du wirst deswegen nicht ins Gefängnis kommen“, stellte Max Thurman nachdrücklich fest.

„Sollte ich aber. Er hat recht. Was da passiert ist, war kriminell.“

Montana hatte fast eine Stunde lang Zeit gehabt, sich selbst zu geißeln, und jede Sekunde davon hatte sie genutzt. Ihr Wagemut angesichts des aufgebrachten Arztes war verflogen und ihr war kaum mehr geblieben als das Gefühl, alles vermasselt zu haben, und zwar so schlimm vermasselt wie überhaupt irgend möglich.

„Ganz schön dramatisch, was?“, fragte Max mit einem amüsierten Funkeln in den dunklen Augen. „Du nimmst das alles viel zu ernst.“

„Fluffy ist durch ein Krankenhaus gepest. Sie ist darin herumgerast, hat ein paar Rollwagen umgestoßen und ist schließlich auf der Verbrennungsstation gelandet.“

„Ich will damit nicht sagen, dass wir wild gewordene Tiere durch eine sterile Einrichtung rennen sehen wollen, aber es war ein Unfall, und der Verwaltungsleiterin zufolge ist kein Schaden entstanden. Du musst das alles ein wenig in die richtige Perspektive rücken.“

Sie saßen im Büro, einem hellen Raum an der Rückseite des Hauses, das Max gehörte. Auch die Gehege und Trainingseinrichtungen befanden sich auf seinem Grundstück. Montana war nicht besonders gut darin, beurteilen zu können, wie viel Land genau ein Hektar ausmachte, aber sie würde schätzen, dass Max mehr als ein paar davon besaß. Fest stand, sie brauchte gut drei Minuten mit dem Wagen von der Straße bis zu seinem Haus, was im Winter eine Herausforderung sein konnte.

„Du hättest diesen Arzt mal sehen müssen …“, murmelte sie und dachte dabei vor allem an seine Kälte. „Der war mehr als wütend.“

„Dann entschuldige dich doch.“

„Bei ihm?“ Den Kerl wollte sie nie wiedersehen. Das wäre jedenfalls das Beste für alle Beteiligten. „Aber du könntest doch die Verwalterin noch mal anrufen und ihr sagen, dass es mir wahnsinnig leidtut.“

Um seine Augen bildeten sich Lachfältchen. „Das nenne ich mal ein sehr reifes Verhalten.“

„Du kennst sie doch.“

„Du genauso.“

„Sie steht auf dich.“ Bei allen Besprechungen, die sie miteinander hatten, konnte die Verwalterin gar nicht aufhören, Max anzustarren.

Montana fand, dass er ziemlich gut aussah, wenn auch – na ja – ein wenig alt. Er hatte stahlgraue Haare, markante Gesichtszüge und stechend blaue Augen. Groß und langgliedrig sah er aus wie ein Mann, der mit allem fertig wurde, und auch wenn er schon fast sechzig war, wirkte Max nicht nur jünger, sondern verhielt sich auch so.

„Wenn es dir so wichtig ist, musst du sie selbst anrufen“, erklärte er Montana. „Sie weiß, dass es ein Unfall war.“

„Dr. Stock-im-Arsch nicht“, murrte sie, allerdings ohne allzu viel Energie. Max hatte recht. Sie sollte schon selbst anrufen. „Ich werde mal ein bisschen mit den Hunden arbeiten und dabei versuchen, meinen Mut zusammenzunehmen“, sagte sie und verließ das Büro.

Draußen ging sie einfach quer über die große grüne Rasenfläche. Im Osten konnte sie die Berge sehen, die hoch in den blauen Himmel hinaufragten.

Max’ Anwesen lag am Stadtrand von Fool’s Gold, das in die Ausläufer der Sierra Nevada eingebettet war. Südlich von Reno und östlich von Sacramento gelegen war es eine schöne Landschaft mit mehreren Weingütern. Mitten im Stadtzentrum befand sich ein großer See, und nur wenige Meilen weiter die Straße hinauf konnte man im Winter Ski fahren.

Montana liebte ihre Stadt und sie liebte ihren Job. Sie wollte weder das eine noch das andere verlieren. Nicht, dass ihr jemand die Stadt nehmen könnte, aber trotzdem … Sie fühlte sich leicht angreifbar, denn trotz der Unterstützung, die sie von Max erfuhr, bedrückte sie, was Fluffy angestellt hatte. Besser gesagt, wovon sie Fluffy nicht hatte abhalten können.

Sie erreichte das große Freigehege, wo die Therapiehunde tagsüber frei herumlaufen, spielen oder auch nur in der Sonne dösen konnten. Als sie das Tor aufmachte, kamen sofort ein paar von ihnen angelaufen, um sie zu begrüßen, und sie verteilte kleine Streicheleinheiten und Umarmungen. Schließlich schaute sie Fluffy tief in die glücklichen braunen Augen.

„Max hat recht“, informierte sie den Hund. „Du bist als Therapiehund nicht zu gebrauchen.“

Fluffy wedelte mit dem Schwanz.

„Wir werden ein schönes Heim mit Kindern für dich finden. Mit Kindern wirst du dich gut verstehen. Die haben genauso viel Energie wie du.“

Sie wollte noch mehr sagen und hätte dem Hund gern erklärt, dass es nicht seine Schuld war; dass man manchmal etwas ausprobieren musste, um überhaupt herausfinden zu können, dass es einem nicht besonders gut lag. Aber bevor sie dazu kam, hörte sie einen Wagen vorfahren. Sie durchquerte das Freigehege und war überrascht, die Bürgermeisterin der Stadt aus dem Wagen steigen zu sehen.

Marsha Tilson war schon Bürgermeisterin in Fool’s Gold gewesen, da war Montana noch gar nicht geboren. Sie war eine warmherzige, fürsorgliche Person, die in ihrem Leben auf vieles verzichtet hatte, um dem Ort zu dienen.

„Ich hatte gehofft, dich hier zu finden“, rief sie, als sie Montana entdeckte. „Hast du einen Augenblick Zeit?“

„Natürlich.“

Montana verließ das Gehege und ging zu ihr. Die ältere Frau trug ein elegantes Kostüm und Perlen. Trotz der leichten Brise saß ihr weißes Haar perfekt. Im Unterschied dazu kam Montana sich ein bisschen schlampig vor, denn ihr Sommerkleid war letztes Jahr schon außer Mode gewesen und die Sandalen hatte sie vorhin im Auto sofort ausgezogen. Ihre Füße waren von den neuen Sandalen gezeichnet, und ein paar rot geschwollene Stellen versprachen, sich später in Blasen zu verwandeln.

„Hier im Zwinger haben wir ein Besprechungszimmer“, fuhr sie fort. „Reicht das? Oder sollen wir lieber zu Max ins Haus hochgehen?“

„Das Besprechungszimmer reicht völlig.“

Marsha folgte ihr über den Weg in das große Gebäude, das mit einem Büro, einem kleinen Badezimmer, einem Besprechungsraum, einer Kochnische und am Ende des Flurs mit großen Türen ausgestattet war, die zu den Gehegen führten.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte Montana, nachdem sie das Besprechungszimmer betreten hatten. An dem ovalen Tisch hatten zwölf Personen Platz, obwohl sich nur selten einmal so viele Leute zu einer Konferenz einfanden. „Wir haben Mineralwasser, aber ich kann auch einen Kaffee machen.“

„Nein danke, ich möchte nichts.“

Marsha wartete, bis Montana einen Stuhl herausgezogen hatte, bevor sie sich ihr gegenübersetzte.

„Du wirst dich wahrscheinlich fragen, weshalb ich hier bin“, begann die ältere Frau.

„Um mir Lotterielose zu verkaufen?“

Marsha lächelte. „Ich brauche deine Hilfe bei einem besonderen Projekt.“

Montanas erste spontane Reaktion waren Fluchtgedanken. Ein paar Monate zuvor hatte die Bürgermeisterin ihre Schwester Dakota gebeten, ihr bei einem besonderen Projekt behilflich zu sein. Das lief darauf hinaus, dass Dakota bei einer Realityshow als Vermittlerin zwischen der Stadt und dem Produzenten arbeiten musste. Dabei hatte Dakota die Liebe ihres Lebens getroffen, hatte ein Kind adoptiert, war schwanger geworden, hatte sich verliebt und inzwischen auch verlobt. Alles in allem eine sehr aufregende Zeit. Doch so viel Aufregung wollte Montana gar nicht in ihrem Leben haben.

Aber auch wenn es sie nervös machte, sich ein weiteres besonderes Projekt vorzustellen – davonlaufen kam überhaupt nicht infrage. Montana war eine Hendrix und gehörte somit zu den Gründerfamilien der Stadt. So etwas verpflichtete.

„Wie kann ich helfen?“, fragte Montana, wohl wissend, dass ihre Mutter stolz auf sie wäre.

Marsha beugte sich zu ihr vor. „Es gibt da einen Arzt, der für eine Weile unsere Stadt besucht. Ein begabter Chirurg. Er ist brillant, ein wenig schwierig, aber was er für die Menschen tun kann … Simon Bradley hat sich auf Patienten spezialisiert, die Verbrennungen erlitten haben. Darüber hinaus arbeitet er auch in der normalen plastischen Chirurgie. Wir werden ihn fast drei Monate lang hier haben. So macht er das … er reist von einem Ort zum anderen, vollbringt Wunder und zieht dann weiter. Ich will, dass er bleibt. Er wäre ein großer Gewinn für die Stadt.“ Montana runzelte die Stirn. „Hört sich wunderbar an, aber was kann ich dazu beitragen?“ Sie nahm an, dass Marsha wohl kaum von ihr erwartete, sich selbst Verbrennungen zuzufügen, um dem guten Doktor näherzukommen. Zweifellos war er der Typ, der …

Spontan fuhr sie hoch und wollte aufspringen, zwang sich aber, sitzen zu bleiben. Plötzlich empfand sie die Luft im Raum als leicht stickig. Gern hätte sie sich gesagt, dass das unmöglich sein konnte. Kein Mensch konnte so viel Pech haben. Aber sie wusste es besser.

„Du, ähm, hast gesagt, er ist neu in der Stadt?“, fragte sie.

„Ja. Er ist jetzt etwa eine Woche hier.“

Montana schluckte. „Hast du ihn schon kennengelernt?“

„Ja. Wie gesagt, er ist nicht gerade besonders redselig, aber er hat eine Begabung.“

„Hat er auch eine Narbe im Gesicht? Nur auf einer Seite?“

„Oh. Du kennst ihn.“

„Nicht wirklich. Aber ich hatte heute Morgen einen Zusammenstoß mit ihm. Buchstäblich.“

Montana erklärte, was geschehen war. Anstatt jedoch schockiert zu sein, musste Bürgermeisterin Marsha lachen.

„Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen“, gestand sie kichernd. „Ich nicht, allenfalls, wenn du an meiner Stelle gewesen wärst.“ Montana seufzte. „So gern ich auch helfen würde, du siehst, warum ich die falsche Person bin.“

Marsha wurde wieder ernst. „Nicht wirklich.“ Sie beugte sich vor. „Du bist absolut die beste Person, die mir dazu einfällt.“

Montana wäre fast vom Stuhl gefallen. „Wieso das?“

„Das ist so ein Bauchgefühl. Besser kann ich es nicht erklären. Ich habe Dr. Bradley kennengelernt, und er hat etwas.“

„Ja, einen Stock im Arsch“, murmelte Montana leise. „Er ist jetzt schon wütend auf mich. Wäre dir nicht jemand ohne so eine unglückliche Vorgeschichte lieber?“

„Ich will dich. Sei einfach so normal und charmant wie immer. Freunde dich mit ihm an. Zeig ihm die Stadt, nimm ihn vielleicht mal mit nach Hause, damit er deine Familie kennenlernt. Hilf ihm zu erkennen, dass Fool’s Gold ein wundervoller Ort ist, in dem man gut leben kann.“

Die Bürgermeisterin richtete sich auf. „Ich brauche dich, Montana, und dasselbe gilt für die Stadt.“

Montana hätte gern noch weitere Gründe ins Feld geführt, um klarzustellen, warum das ein Fehler war, aber die Bürgermeisterin hatte die magischen Worte bereits gesprochen. In Fool’s Gold gehörte es zum guten Ton, der Stadt und seinen Bewohnern etwas zurückzugeben. Wenn man um etwas gebeten wurde, sagte der gute Bürger Ja. Selbst dann, wenn er es in Wirklichkeit absolut nicht wollte.

„Ich werde mit ihm reden“, versprach sie daher. „Aber wenn er mich dann immer noch nicht ausstehen kann, wirst du dir jemand anderen suchen müssen.“

Beim besten Willen konnte sie sich nicht vorstellen, unter welchen Umständen Dr. Simon Bradley sich wünschen könnte, Zeit mit ihr zu verbringen. Von daher hatte ihr Versprechen auch nicht ganz so viel Gewicht.

„Einverstanden“, sagte die Bürgermeisterin und stand auf. „Wenn der gute Doktor nichts mit dir zu tun haben will, werde ich jemand anderen suchen.“

Auch Montana stand auf und gemeinsam gingen sie zur Tür.

„Ich freue mich, dass du dir die Haare wachsen lässt“, sagte Marsha. „Das macht es so viel leichter, zu erkennen, welcher Drilling wer ist. Ich selbst habe zwar nicht das geringste Problem, euch drei auseinanderzuhalten, aber ich habe Klagen gehört.“

Lachend fasste Montana an ihre Haare, die schon halb den Rücken hinunterreichten. „Im Ernst? Die Leute haben sich beklagt?“

„Du hast ja keine Ahnung, womit ich mich tagtäglich herumschlagen muss.“

Montana begleitete sie hinaus. „Letztes Jahr waren meine Haare dunkel. Das hätte doch helfen müssen.“

„Hat es auch, aber mir gefällt dein natürlicher blonder Farbton besser.“ Während sie sprach, musterte die Bürgermeisterin ihr Gegenüber nachdenklich. „Ich frage mich, ob Simon wohl auf Blondinen steht.“

Abwehrend hob Montana die Hände. „Wie weit genau soll ich eigentlich gehen, um ihn davon zu überzeugen, in der Stadt zu bleiben?“

Wieder lachte Bürgermeisterin. „Deine Tugend musst du nicht opfern, falls es das ist, was du wissen willst.“

Tugend wie in … Tugend? Na, der Zug war bereits vor einigen Jahren abgefahren, aber Montana hatte nicht vor, das mit einer Frau zu diskutieren, die alt genug war, um ihre Großmutter zu sein.

„Ich werde mein Bestes geben“, sagte sie stattdessen.

„Das ist alles, worum ich dich bitte.“

Nachdem die Bürgermeisterin gefahren war, kehrte Montana ins Freigehege zurück und arbeitete mit den Hunden. Max war ein großer Anhänger von regelmäßiger Bestärkung. Von Therapiehunden wurde erwartet, dass sie sich gut zu benehmen wussten und gut ausgebildet waren. Daher arbeitete Montana zweimal am Tag mit den Hunden, die sich noch in der Ausbildung befanden, und die erfahreneren Mitglieder des Teams ließ sie ein paar Mal in der Woche eine Abfolge unterschiedlicher Übungen durchlaufen.

Aber die Arbeit mit den Hunden bedeutete auch, dass sie über die ungewöhnliche Bitte der Bürgermeisterin nicht nachdenken musste. Montana wusste, sie würde ihr Bestes geben müssen, hatte jedoch buchstäblich keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte. Wahrscheinlich wäre es ein guter Anfang, bei besagtem Mann Abbitte zu leisten.

Gegen Mittag ging sie ins Haus, um Max Bescheid zu sagen, dass sie zum Lunch in die Stadt fuhr und in einer Stunde wieder zurück wäre. Als ihr Boss sie sah, grinste er.

„Rate mal, wer angerufen hat.“

„Die Lottozentrale? Ich habe zwanzig Millionen Dollar gewonnen?“

Max lachte. „Nicht ganz. Dr. Simon Bradley hat mir gesagt, er würde gern heute Nachmittag vorbeikommen.“

Schlagartig war Montana der Appetit vergangen, und sie musste sich sehr anstrengen, um nicht vernehmbar zu wimmern. „Warum?“

„Er will mit dir reden.

„Mit mir reden oder mich steinigen?“

„Er hat gesagt, reden. Vielleicht war er gar nicht so sauer, wie du geglaubt hast.“

Oh, der war mehr als sauer, dachte Montana auf dem Weg zum Auto. Die Frage war nur, was er sich als Bestrafung für sie ausgedacht hatte.

2. KAPITEL

Die nächsten Stunden gab Montana sich die größte Mühe, nicht durchzudrehen. Obwohl Dr. Bradley angedroht hatte, vorbeizukommen, hatte er nicht erwähnt, wann. Folglich blieb ihr gar nichts anderes übrig, als ständig die lange Zufahrt, die zu Haus und Zwinger führte, im Auge zu halten. Da sie wusste, dass sie während dieser Warterei nicht in bester geistiger Verfassung war, beschloss sie, die Außenzwinger zu reinigen.

Im Inneren des Gebäudes befanden sich geräumige individuelle Zwinger mit erhöhten Plattformen und Betten, die den einzelnen Hundegrößen angepasst waren. Der Raum wurde im Winter beheizt und im Sommer kühl gehalten. Dachluken und Fenster füllten den höhlenartigen Raum mit Licht. Obwohl einige Hunde gelernt hatten, den einfachen Riegel an ihrem Zwinger zu öffnen, blieben sie, wo sie sein sollten. Jeder Hund hatte sein eigenes Spielzeug, Wasser und eine Tür, durch die er in einen Außenbereich gelangen konnte.

Dieser bestand aus Betonplatten, die von einem Maschendrahtzaun eingefasst waren. Da die Hunde tagsüber entweder arbeiteten oder sich in einem Gemeinschaftsbereich aufhielten, wurden die Betonplatten kaum benutzt. Dennoch wurden sie staubig, und letzte Nacht hatte ein kurzer Regenschauer sie ziemlich verschlammt.

Montana streifte sich die Sandalen von den Füßen, trat in Gummistiefel, packte sich den Wasserschlauch und begann, den Zement abzuspritzen. Während der Arbeit hielt sie sich vor Augen, dass ihr Gespräch mit Dr. Bradley eine wunderbare Gelegenheit wäre, etwas zu lernen. Sie neigte leider zu ständigen Schuldgefühlen und ließ sich oft wie ein Fußabtreter behandeln, was sie nicht mehr zulassen wollte. Diesmal würde sie stark sein.

Ja, es war bedauernswert, dass Fluffy sich losgerissen hatte und ins Krankenhaus geflitzt war. Das war ein Fehler. Aber weder Montana noch der Hund waren gemein oder böse. Soweit sie informiert war, war kein nachhaltiger Schaden entstanden, also konnte Dr. Stock-im-Arsch das einfach mal vergessen. Wenn er glaubte, herkommen und sie einschüchtern zu können, hatte er sich geirrt. Also … weitgehend geirrt.

Gegen drei war sie mit den Außenzwingern fertig und hatte es geschafft, sich in die Höhen rechtschaffener Empörung aufzuschwingen. Nur weil jemand Arzt war, hatte er noch lange nicht das Recht, andere so weit zu bringen, dass sie schlecht von sich selbst dachten. Das würde sie nicht dulden, und sobald er hier eintraf, wollte sie ihm das sagen.

Sie stapfte zum Haupthahn und drehte das Wasser ab. In den Gummistiefeln waren ihre Füße heiß geworden, aber bevor sie sie ausziehen konnte, musste sie noch den Schlauch aufrollen. Das würde ein paar Minuten dauern, dann konnte sie sich etwas sauber machen, und dann …

„Max hat mir gesagt, dass ich Sie hier draußen finde.“

Die tiefe maskuline Stimme erklang aus dem Nichts. Montana drehte sich danach um, wobei sie fast aus den Stiefeln gekippt und ihr der Schlauch aus den Händen gerutscht wäre. Nur gut, dass ich das Wasser schon abgestellt habe, dachte sie und schaffte es, dem Eindringling einigermaßen aufrecht stehend entgegenzutreten.

Er war noch erstaunlicher, als sie ihn in Erinnerung hatte, und das lag nicht nur an seiner Größe und den breiten Schultern. Nein, was ihn unvergesslich machte, war sein Gesicht. Es war die schiere Perfektion der Form, der volle Mund, die ungewöhnliche Farbe seiner Augen. Selbst das Sonnenlicht schien um ihn herum zu schimmern, als wäre es gleichfalls zutiefst beeindruckt.

Seinen weißen Arztkittel hatte er gegen ein weißes langärmliges Button-down-Hemd mit grauen Nadelstreifen eingetauscht. Die Krawatte hing locker um seinen Hals, und das hätte bei jedem anderen sexy ausgesehen. Er jedoch wirkte viel zu steif, viel zu kontrolliert, so wie er dort stand. Fast schon, als wäre es ihm unangenehm, so sterblich zu sein wie jeder andere.

„Sie kennen Max?“, fragte sie, denn etwas anderes fiel ihr partout nicht ein. Ebenso wenig war sie fähig, den Blick von ihm loszureißen. „Sie scheinen mir eher der Typ zu sein, der von ‚Mr Thurman‘ spricht.“

Er runzelte die Stirn. „Ist das sein Familienname? Er hat sich mir als Max vorgestellt.“

Was ihrem Boss nur ähnlich sah. Sie sollte nicht überrascht sein.

Nun verlagerte ihr Besucher sein Gewicht, wobei er den Kopf leicht drehte und sie einen kurzen Blick auf die Narben werfen konnte. Wieder fiel ihr das sternförmige Muster auf, in dem sie ihm übers Gesicht schossen. Eigentlich sollten diese Narben ihr Mitgefühl wecken und ihn menschlicher erscheinen lassen.

„Es war ein Unfall“, erklärte sie und schlurfte schwerfällig in ihren viel zu großen Gummistiefeln auf ihn zu.

Als sie nur wenige Schritte von ihm entfernt war, blieb sie stehen und stemmte die Hände in die Hüften. „Sie wissen, dass es Unfälle gibt. Bei dem, was Sie tun, um Ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wäre das doch wohl ausreichend bewiesen. Kein Mensch würde ein Kind absichtlich verletzen. Okay, ein paar Fälle mag es geben, aber ich nehme an, dass die Kinder, die Sie normalerweise behandeln, verletzt wurden, weil irgendetwas Unerwartetes geschehen ist. Und genauso war es heute.“

Sie wusste nicht, was er von ihr wollte, vermutete jedoch, dass er vorhatte, ihr zu drohen oder Schlimmeres.

„Offensichtlich erfüllt Fluffy die Voraussetzungen nicht, um ein Therapiehund zu sein“, fuhr sie schnell fort, damit er gar nicht erst zu Wort kam. „Max hatte mich gewarnt, aber ich habe nicht auf ihn gehört. Ich wollte, dass sie es schafft, denn sie hat so ein gutes Herz. Sie liebt jeden. Und auch wenn sie nicht sonderlich beherrscht oder gehorsam sein mag, ist da immer noch diese Liebe, und das kann ja wohl nicht verkehrt sein. Ich wollte ihr die Möglichkeit geben, sich zu beweisen. Ich weiß, das verstehen Sie nicht, aber ich schwöre Ihnen, wenn Sie mir jetzt sagen, dass sie doch nur ein Hund ist, greife ich Sie mit diesem Schlauch an und sorge dafür, dass Sie kreischen wie ein Mädchen.“

Sie hielt die Luft an und wartete darauf, dass er lachte oder lächelte oder anfing, sie anzuschreien. Stattdessen stand er nur reglos da wie ein Stein und starrte sie an.

Also atmete sie wieder aus. Er war Mediziner. Hatte er etwa vor, ihr zu sagen, dass mit ihr ernsthaft etwas nicht stimmte? Und wenn ja, würde sie auf ihn hören müssen?

Montana stieg aus ihren Gummistiefeln. Wenn sie gleich mit Pauken und Trompeten aus ihrem Traumberuf katapultiert wurde, hatte sie nicht vor, das mit Schweißfüßen zu ertragen.

„Sagen Sie was“, herrschte sie ihn an. „Oder sind Sie den ganzen Weg hergekommen, um mich mit Ihrem Laserblick zu attackieren?“

„Was machen Sie hier?“

Sie runzelte die Stirn. „Wie bitte?“

Er wies auf den Zwinger hinter ihr. „Erzählen Sie mir von der Arbeit, die Sie hier machen.“

Vielleicht war sie ja leicht begriffsstutzig, aber war nicht er derjenige mit der fortgeschrittenen medizinischen Ausbildung?

„Ich arbeite mit Therapiehunden.“

Seine Augen verengten sich ein wenig, während sein Mund sich verspannte.

Das passt, dachte sie. Endlich hatte sie ihn so weit, dass er mal ein wenig Gefühl zeigte, und dann stellte sich heraus, dass es Verdruss war. Überleg dir gut, was du dir wünschst und überhaupt …

„Therapiehunde werden für unterschiedliche Zwecke eingesetzt. Sie sind von Assistenzhunden zu unterscheiden, die darauf trainiert sind, Menschen mit bestimmten Problemen zu helfen. Wie zum Beispiel Blindenführhunde.“

Er nickte. „Gut.“

„Okay.“ Sie legte eine Pause ein, denn sie war nicht sicher, was er wissen wollte. „Unsere Hunde werden gebraucht, um Wohlbefinden und Kameradschaft zu vermitteln. Wir besuchen Altenheime und Krankenhäuser. Seniorenzentren. Ein paar der Hunde verbringen Nachmittage in einer Wohngemeinschaft für geistig behinderte Erwachsene. Kindern mit einer Leseschwäche fällt es oft leichter, einem Hund vorzulesen als einem Menschen.“

Sie erklärte ihm kurz das Programm und erzählte, dass sie es nun, nachdem die Schulferien gerade begonnen hatten, mit dem Lesetraining in der Stadtbibliothek versuchen durften.

„Sie haben Krankenhäuser erwähnt, was wohl bedeutet, dass Sie Hunde in Krankenhäuser bringen.“ Es war eine Feststellung, keine Frage.

„Ja, und gewöhnlich verlaufen die Besuche besser als heute.“

„Das sollte man meinen.“

Montana reagierte gereizt. „Sie hätten ruhig etwas netter sein können, wissen Sie. Wie ich nun mehrfach erklärt habe, war es ein Unfall.“

„Es ist nicht meine Aufgabe, nett zu sein. Meine Aufgabe ist es, den Patienten dabei zu helfen, gesund zu werden.“

Sie hatte den Mund schon geöffnet, um mit einer spitzen Bemerkung zu kontern, als ihr einfiel, dass Bürgermeisterin Marsha von ihr erwartete, charmant zu sein und ihn dazu zu überreden, in der Stadt zu bleiben.

Ich bin wirklich die Falsche für diesen Job, dachte Montana und ließ die Arme sinken.

„Wenn Fluffy wüsste, was sie angestellt hat, würde ihr das sehr leidtun.“

Der Mann starrte sie weiter an, ohne ein Wort zu sagen.

Wahrscheinlich ist es gut, dass er eine so beknackte Persönlichkeit hat, dachte sie und wünschte, er würde endlich auf den Punkt kommen und wieder verschwinden. Wäre er charmant und attraktiv, hätten die Frauen in ganz Amerika nicht die geringste Chance.

„Ich brauche einen Therapiehund für eine meiner Patientinnen.“

Montana hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Sie hätte schwören können, ihn nicht richtig verstanden zu haben, und musste mehrmals blinzeln. „Sie wollen einen Therapiehund haben?“

„Ja.“

„Im Krankenhaus?“

„Ja.“

Was war denn mit den Krankheitserregern? Was war mit Infektionen und allem anderen, weshalb er sie heute Morgen so angebrüllt hatte?

Sie beschloss, ihn lieber nicht danach zu fragen.

„Verstehe ich richtig, Sie sprechen von einem lebenden Hund?“

Er seufzte schwer. „Ein lebender Hund wäre das Beste. Meine Patientin ist ein neunjähriges Mädchen namens Kalinda. Sie hat schwere Verbrennungen erlitten, als vor ein paar Tagen der Gartengrill der Familie explodierte. Eine Operation hat sie bereits hinter sich und Dutzende noch vor sich. Ihre Eltern kämpfen darum, das zu verkraften. Kalinda hat große Schmerzen und steht unter Schock.“ An seinem Kiefer zuckte ein Muskel. „Ich habe die Erlaubnis der Mutter, Ihnen das zu sagen.“

„Okay.“

Sie wusste nicht recht, weshalb er das so betonte, dann fiel ihr ein, dass es ja so etwas gab wie die ärztliche Schweigepflicht. Zweifellos wollte er sie davon in Kenntnis setzen, dass er keine Regeln verletzte.

„Sie liegt im Bett, richtig? Dieses Mädchen. Kalinda, so heißt sie doch? Sie kann nicht herumlaufen?“

„Nein.“

Montana ging im Kopf die Hunde durch, die sie zur Verfügung hatten. Das Beste wäre ein kleiner. Und falls Kalinda Probleme mit der Lunge hatte, sollten Fellschuppen nach Möglichkeit vermieden werden.

„Ich habe genau den richtigen Hund für sie“, sagte sie und lächelte ihn an. „Kommen Sie mit. Ich werde Ihnen Cece vorstellen.“

Die Frau drehte sich um und schien zu erwarten, dass er ihr folgte. Simon wollte mit dieser Person, dieser Hundetrainerin, nirgendwo hingehen, aber er hatte eine Mission zu erfüllen. Alles für seine Patienten! Daran hatte er immer geglaubt. Er würde tun, was immer er tun musste, damit sie heilen konnten. Und wenn er sich dabei mit Leuten wie dieser Frau abgeben musste, bedeutete das für ihn nur eine weitere Herausforderung.

Als sie sich nach ihm umschaute, fingen ihre langen blonden Haare das Sonnenlicht ein. Bewusst nahm er die Farben wahr, die vielen Schattierungen von Licht und dunklem Gold, die leichten Wellen. Sie hatte dunkelbraune Augen, in denen es amüsiert blitzte. Er war überzeugt davon, dass sie über ihn lachte.

Simon fühlte sich nicht wohl, aber das war nichts Neues. Es gab keinen Platz, an dem er sich wohl fühlte, außer im Krankenhaus. In dem vertrauten Territorium, das sein Reich war, fühlte er sich zu Hause.

Diese Frau – ihm fiel ein, dass ihr Boss sie Montana nannte – führte ihn zu einer eingezäunten Grasfläche. Er hörte mehrere Hunde bellen und jaulen. Sie klangen fröhlich. Der Nachmittag war warm, die Sonne strahlte am wolkenlosen Himmel.

Montana bewegte sich mit natürlicher Anmut. Ihre Füße waren nackt, und die Zehen mit den rosa lackierten Nägeln bildeten einen Kontrast zu dem dunkelgrünen Gras, wurden aber versteckt, als sie in ein Paar Clogs schlüpfte. Dann betrat sie ein Gebäude, von dem er annahm, dass sich darin die Zwinger befanden.

Der Raum war sauberer, als er erwartet hätte. Unangenehme Gerüche konnte er nicht feststellen, und die Hundekäfige waren überaus geräumig. Er sah große Betten aus Schottenstoff und sehr viel Spielzeug. Die Beleuchtung war gut. Offensichtlich hatte jemand sehr viel Zeit und Geld in die Einrichtung investiert.

„Hier wohnen die Hunde“, sagte Montana und sah ihn an. „Hunde sind Rudeltiere, deshalb fühlen sie sich in einer Gruppe wohler als in isolierter Haltung. Fast ständig ist jemand bei ihnen. Wir beschäftigen College-Kids, die hier übernachten, nur um sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist. Manchmal bringen sie ihre Lebensabschnittspartner mit und dann wird’s interessant.“

Sie lächelte, als sie das sagte, und er brauchte einen Augenblick, bis er merkte, dass sie von den Studenten sprach und nicht von den Hunden. Natürlich nicht von den Hunden! Hunde hatten schließlich keine Lebensabschnittspartner.

„Max könnte Ihnen viele Geschichten erzählen, aber deshalb sind Sie nicht hier“, fuhr sie fort.

„Nein.“

Er wusste, dass er irgendwie Small Talk machen sollte. Das gab den Menschen ein besseres Gefühl. Er selbst hatte das nie verstanden, aber schließlich war es so, dass er die meisten der gebräuchlichen Rituale nicht verstand. Jemandem einen schönen Tag zu wünschen war ja wohl mehr als lächerlich. Als ob irgendwer die Macht besäße, das geschehen zu lassen.

Sie ging zu einer Tür, die ins Freie führte. Als sie sie aufstieß und den Fuß auf den Rasen setzte, kamen mindestens ein halbes Dutzend Hunde auf sie zugelaufen. Neugierig geworden, folgte er ihr. Mit Hunden hatte er noch nie viel zu tun gehabt, denn im Alter von elf Jahren war er ins Krankenhaus gekommen, und dort war er geblieben, bis er mit sechzehn zum College ging. Und im Krankenhaus waren keine Hunde erlaubt.

Große und kleine Hunde eilten mit derselben Begeisterung herbei. Simon erkannte den katastrophalen Köter vom Vormittag wieder und tat, was er konnte, um dessen freudigen Begrüßungssprüngen auszuweichen. Montana tätschelte sie alle, rief einigen etwas zu und hatte die Ordnung schneller wiederhergestellt, als Simon es für möglich gehalten hätte.

„Cece, komm her, Schätzchen!“, rief sie und schaute Simon an. „Ich denke, sie ist der richtige Hund für Sie. Ruhig, gut erzogen und, das Beste von allem, sauber.“

Ein kleiner Pudel mit aprikosenfarbenem Fell lief auf Montana zu. Der Hund maß bis zum Oberkopf vielleicht dreißig Zentimeter; er hatte lange Beine und einen schlanken Körper. Montana sagte: „Auf!“, und der Hund drehte sich so, dass er leicht auf die Arme genommen werden konnte.

„Cece würde sich sehr gern neben Kalinda zusammenrollen, solange es ihrer Patientin gefällt“, erklärte Montana. „Im Umgang mit Kindern ist sie fantastisch. Sie hat ein sanftes Temperament, und weil sie eher Haare als Fell hat, haart sie nicht und ist außerdem antiallergen. Wir werden sie wirklich sauber halten können, was, wie ich weiß, sehr wichtig ist.“

Während Montana redete, starrte Cece ihn an. Ihre Augen, dunkler als Montanas, ließen seine nicht los. Dabei bebte ihre Nase, und plötzlich begann ihr ganzer Körper zu zittern.

„Ist sie krank?“ Simon fragte sich, ob er befürchten musste, bei seiner Rückkehr ins Krankenhaus Bakterien zu seinen Patienten zu transportieren.

Montana lachte. „Nicht so, wie Sie meinen.“ Sie flüsterte dem Hund etwas zu, der ihr dabei mit der Zunge übers Kinn fuhr. Dann richtete sie die Aufmerksamkeit wieder auf ihn. „Cece hat sich in Sie verknallt.“

„Wie bitte?“

Da hielt sie ihm den Hund entgegen, und instinktiv griff er danach.

Cece war leichter, als er erwartet hätte, mit Knochen, die sich sehr zerbrechlich anfühlten. Sie hatte weiches Fell und einen warmen Körper. Obwohl er nicht wusste, wie er sie halten sollte, schmiegte sie sich an ihn und war vollkommen zufrieden damit, ihm nahe zu sein.

„Stützen Sie ihren Hintern ab“, wies Montana ihn an.

Er veränderte seine Haltung ein wenig. Cece kuschelte sich an seine Brust und sah ihn an, als wäre sie in der Lage, tief in seine Seele zu blicken. Simon fragte sich, ob sie all die Fehler sah, die sich dort versteckten.

„Sie mag Sie.“

Montana sprach in einem Tonfall, der ihm verriet, was sie in Wirklichkeit dachte: Über Geschmack lässt sich nicht streiten.

„Sie scheint ja ganz niedlich zu sein“, sagte er und strich dem Tier vorsichtig mit den Fingern über den Rücken. „Solange Kalinda sicher vor ihr ist.“

„Da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Cece hat ein sanftes Temperament, und ich werde die ganze Zeit dabei sein.“

Er hatte zwar seine Zweifel, wie ausgerechnet sie eine Hilfe sein könnte, aber wenn Kalinda sich einen Hund wünschte, bei Gott, dann würde er ihr einen besorgen.

Er reichte Cece zurück, und sie vereinbarten, dass sie am nächsten Tag ins Krankenhaus gebracht werden sollte.

„Zu einer Proberunde“, sagte er. „Wenn es Kalinda hilft, werden wir die Besuche fortsetzen.“

„Natürlich.“

Er drehte sich um und wollte gehen.

Montana, die den Hund noch auf dem Arm hielt, begleitete ihn. An der Tür zögerten sie beide, wie um dem anderen den Vortritt zu lassen. Dann setzten sie sich gleichzeitig wieder in Bewegung.

Und stießen aneinander. So etwas geschah jeden Tag. Simon war an zufällige Berührungen aller Art gewöhnt. Er berührte seine Patienten und reichte während einer Operation Instrumente weiter. Hin und wieder genoss er sogar für ein paar Stunden die Gesellschaft einer Frau. Er hatte also keinerlei Grund zu der Annahme, dass er es auch nur bemerken würde, wenn ihr Arm seinen kurz streifte.

Das aber tat er. In dem Moment, als Montana ihn berührte, in der Sekunde, in der er die Wärme ihres Körpers spürte, erwachte etwas Großes, etwas Unkontrollierbares in ihm zum Leben. Er war dermaßen überrascht, dass er abrupt stehen blieb. Und da sie dasselbe tat, stießen sie gleich noch einmal zusammen, ein Grund für sie, ihn anzulächeln.

„Okay. Sie zuerst.“

Die Worte gingen ihr leicht über die Lippen und ihr Lächeln wirkte ungezwungen und freundlich. Ganz so, als würde sie das rasende Verlangen, das explosionsartig in ihm aufbrach, nicht fühlen.

So etwas hatte er noch nie erlebt. Er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte, und war sich keineswegs sicher, ob er noch fähig war, sich davon abzuhalten, sie einfach zu packen und zu küssen. Denn das war es, was er brauchte: Er wollte sie nicht nur besitzen, er wollte, dass auch sie ihn begehrte.

„Alles in Ordnung mit Ihnen?“

Simon zwang sich in die Gegenwart zurück, klammerte sich an die zerfetzten Überreste seiner Höflichkeit und nickte.

„Ja. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.“

Zweifelnd sah sie ihn mit leicht hochgezogenen Augenbrauen an. Er hatte den Verdacht, dass sie an ihre Bemerkung vom Vormittag dachte, als sie ihm vorgeworfen hatte, einen Stock im Arsch zu haben. Lieber das als die Wahrheit, sagte er sich. Das war besser für sie beide.

Er floh, so schnell er konnte. Als er wieder im Auto saß, stellte er angewidert fest, dass seine Hände zitterten und seine Gedanken an Sex eine vorhersehbare Manifestation produziert hatten. Gebe Gott, dass sie das nicht bemerkt hat, dachte er grimmig und warf den Motor an.

Auf dem Weg ins Krankenhaus versuchte er zu erfassen, was da geschehen war. Er hatte nie den Eindruck gehabt, übermäßig sexuell getrieben zu sein. Alle paar Monate, wenn das Bedürfnis ihn abzulenken drohte, suchte er sich eine Frau, die wollte, was er wollte – körperliche Entspannung und wenig mehr. Diese Ereignisse waren jedes Mal wirklich erfreulich, hatten aber mehr mit Biologie als mit irgendetwas anderem zu tun. Noch nie hatte er so etwas wie einen Zwang empfunden. Oder sich gar getrieben gefühlt.

Das ist reine Chemie, sagte er sich, als er auf die Hauptstraße einbog und nach Fool’s Gold zurückfuhr. Eine Marotte der DNA. Faszinierend, schlussendlich jedoch bedeutungslos. Na gut, dann hatte er Montana halt kurzfristig begehrt. Bei ihrer nächsten Begegnung würde alles wieder in bester Ordnung sein. Er hatte seine Arbeit. Nichts anderes war von Bedeutung. Seine Arbeit und seine Patienten, mehr brauchte er nicht.

3. KAPITEL

Jo’s Bar gehörte zu Montanas Lieblingslokalen in der Stadt. Anders als in den meisten Bars war hier alles auf Frauen ausgerichtet – freundliche feminine Farben, die großen Fernseher waren auf Realityshows und Shoppingsender eingestellt. Die Drinks waren köstlich und in der Speisekarte stand neben jedem Gericht die genaue Kalorienangabe. Was die Männer anging – nun, für sie gab es ein Hinterzimmer mit einem Billardtisch und reichlich Sportsendungen. Aber bei Jo regierten die Frauen.

Gleich beim Eintreten entdeckte Montana ihre Schwestern in einer Nische.

Theoretisch war Nevada die Älteste, Dakota war die Zweitgeborene und Montana die Jüngste. Ganze vierzehn Minuten trennten sie jeweils voneinander. Als sie noch klein waren, hatten sie wirklich gleich ausgesehen und selbst Familienmitgliedern war es unmöglich gewesen, sie auseinanderzuhalten. Inzwischen hatten jedoch ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten ihr Aussehen als Erwachsene beeinflusst.

Nevada war die vernünftigste der Schwestern. Als Bauingenieurin bevorzugte sie einen Kurzhaarschnitt, Jeans, Hemden und Stiefel, die auf den Baustellen praktisch waren. Dakota war ebenso klug wie Nevada, aber etwas fürsorglicher. Von Beruf war sie Kinderpsychologin mit einem Doktortitel in ihrem Fachgebiet. Sie hatte ein kleines Mädchen aus Kasachstan adoptiert, sich verliebt, war schwanger geworden und hatte sich schließlich verlobt. Das alles während der letzten drei Monate.

Montana liebte ihre Schwestern, aber es gab Zeiten, da fühlte sie sich wie die Versagerin der Familie. Erst im letzten Jahr hatte sie entdeckt, was sie mit ihrem Leben wirklich anfangen wollte. Die Arbeit mit den Therapiehunden bedeutete ihr alles. Mit der Tatsache, dass ihr Liebesleben praktisch nicht existierte, konnte sie sich später immer noch befassen.

„Wie geht’s euch?“, fragte sie, als sie an den Tisch trat. „Super.“ Dakota rutschte ein Stück, um ihr Platz machen. „Kann ich dich vielleicht dazu überreden, heute Abend mal einen Lemon Drop zu bestellen?“

Montana begrüßte Nevada und fragte zurück: „Wieso?“

„Ich will nur mal daran riechen.“

Weil man nicht trinken darf, wenn man schwanger ist, dachte Montana und sah Nevada über den Tisch hinweg fragend an. „Und du wolltest ihr das nicht gönnen?“

Nevada deutete auf ihren Wodka Tonic. „Ich habe ihr angeboten, daran zu riechen.“

Dakota schüttelte sich. „Nein danke. Tonic? Nee, ich glaube nicht.“

„Dann will ich mich mal um deinen Riechanfall kümmern“, versprach Montana, als die Barkeeperin Jo zu ihnen kam. „Einen Lemon Drop.“

Dakota grinste. „Weil sie mich lieb hat.“

„Ich könnte dir einen jungfräulichen Lemon Drop machen“, schlug Jo vor.

„Ist das nicht bloß frisch gepresster Zitronensaft und einfacher Zucker?“

„Hm-hm.“

„Ich hatte auf mehr gehofft.“

„Wir brauchen alle ein Ziel“, murmelte Jo und verzog sich.

Montana sah ihr nach. Jo war vor ein paar Jahren nach Fool’s Gold gekommen und hatte diese Bar gekauft, die kurz vor der Pleite stand. Sie besaß das Geld, um sie komplett zu renovieren, hatte aber nie ein Wort darüber verloren, woher diese Mittel stammten. Tatsächlich hatte Jo kaum einmal etwas aus ihrer Vergangenheit erzählt. Die wildesten Gerüchte waren im Umlauf, angefangen damit, dass sie einem Schlägertyp von Ehemann entflohen war, bis hin zu der Mafiaprinzessin, die sich vor ihrer Familie versteckte. Niemand kannte die Wahrheit, und Jo gehörte nicht zu den Frauen, die sich gern ausfragen ließ.

„Finn bleibt heute Abend bei Hannah?“, erkundigte sich Nevada.

Dakota nickte. „Sie sehen sich ‚Dornröschen‘ an. Er würde es niemals zugeben, aber ich schwöre euch, ihm gefällt der Film so gut wie ihr.“

„Eine Neuigkeit, die du wohl kaum verbreiten möchtest“, hielt Nevada ihr vor.

Dakota lachte. „Ich zerbreche mir nicht den Kopf darüber, was die Leute dazu sagen könnten. Sollen sie sich doch ihren eigenen Mann suchen.“

„Schön wär’s“, sagte Montana sehnsüchtig, weigerte sich jedoch, nachzurechnen, wie lang genau ihr letztes Date nun her war. Mit Sicherheit zu lange. Bald, versprach sie sich. Und diesmal würde es besser laufen, denn jetzt würde sie keine Minderwertigkeitskomplexe mehr haben.

„Wir leben in einem Ort, in dem Männermangel herrscht, vergiss das nicht“, sagte Nevada.

„Aber es ziehen doch Männer hierher. Letztes Jahr kamen ganze Busladungen.“

„Oh, sicher.“ Nevada hob ihr Glas. „Ich verzehre mich nach einem Mann, der es fertig bringt, sein Leben hinter sich zu lassen und mit einem Bus an einen ihm völlig fremden Ort zu fahren, nur weil er gehört hat, dass es dort verzweifelte Frauen gibt.“

Dakota rümpfte die Nase. „Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass dein Sarkasmus ein Grund sein könnte, weshalb du noch allein bist?“

„Nein, Sarkasmus ist meine Version von Charme.“

„Und? Wie läuft’s damit?“

„Echt gut.“ Nevada machte ein mürrisches Gesicht. „Ich will nicht darüber reden.“ Sie wandte sich an Montana und fügte hinzu: „Lenk sie bitte ab!“

Und Montana wusste genau, was sie sagen sollte: „Marsha hat mich heute besucht.“

Dakota stöhnte. „Das kann nichts Gutes bedeuten. Was wollte sie von dir?“

„Es gibt einen neuen Arzt in der Stadt. Ein plastischer Chirurg, der sich auf Kinder mit schweren Verbrennungen spezialisiert hat. Er zieht von Ort zu Ort und bleibt immer nur ein paar Monate. Jetzt soll ich ihn dazu bewegen, dauerhaft in Fool’s Gold Wurzeln zu schlagen.“

Als sie ausgeredet hatte, spannte sie sich unwillkürlich an und wartete darauf, dass ihre Schwestern über sie lachten. Wie sollte auch jemand auf den Gedanken kommen, sie könnte in der Lage sein, Dr. Simon Bradley von irgendetwas zu überzeugen? Aber sie lachten nicht.

Dakota zuckte mit den Schultern. „Für mich hört sich das vernünftig an.“

„Wieso? Sie meinte, ich soll meinen Charme spielen lassen. Aber ich bin nicht charmant. Ich habe überhaupt keine Ahnung, was ich tun oder sagen soll.“

Ihre Schwestern tauschten einen Blick. „Sei einfach du selbst“, riet Nevada. „Das ist Charme genug für jeden Mann. Vertrau mir, er wird nicht wissen, was ihn getroffen hat.“

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