Lebkuchenmänner und andere Versuchungen

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Sechs quirlige Welpen in einer Badewanne und Willa muss sie bändigen um sie sauber zu bekommen. Kein Wunder, dass sie inzwischen selbst aussieht, als hätte sie im Schlamm gewühlt. In diesem Moment steht ausgerechnet Keane Winters in ihrer Tierpension, der Mann, der ihr einst das Herz brach. Jetzt erkennt er sie nicht einmal wieder! Keinesfalls wird sie Keane den Gefallen tun und sich um seine Katze kümmern. Und doch verliert sie sich sofort wieder in seinen unwiderstehlichen Augen …

"In Jill Shalvis muss man sich verlieben!” Susan Mallery, New York Times-Bestsellerautorin

"Heiß, süß, witzig und romantisch! Einfach ein Genuss!” Robyn Carr, New York Times-Bestsellerautorin

"Jill Shalvis bringt einen zum Lachen und dazu, sich zu verlieben.” Rachel Gibson, New York Times-Bestsellerautorin

"Mit dem zweiten Teil dieser Serie übertrifft Jill Shalvis alles, wofür sie bisher stand … ein sexy Lesevergnügen, das Shalvis Fans einfach nur lieben können.” Kirkus Review


  • Erscheinungstag 11.09.2017
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783955767198
  • Seitenanzahl 352
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für meine Älteste, die gar nicht so alt ist – und vergessen wir mal nicht, dass ich sie mit zwölf bekam, somit bin ich ebenfalls nicht so alt: dafür, dass sie mich unermüdlich durch San Francisco begleitet hat, jedes Mal, wenn ich etwas für dieses Buch recherchieren wollte. Ich bin so stolz auf dich.

1. Kapitel

#TheTroubleWithMistletoe

Obwohl die Sonne gerade erst aufgegangen war, steckte Willa Davis bereits bis zu den Ellbogen in einem Knäuel dreckverschmierter Hundewelpen – ein ganz normaler Tag für sie. Als Besitzerin des Hundesalons South Bark Mutt Shop verbrachte sie sehr viel Zeit damit zu säuseln, zu schrubben und zu stylen, Tiere hochzuhieven – und noch mehr zu säuseln. Selbst für Bestechungen war sie sich nicht zu schade.

Dass sie ständig Hundekuchen in ihren Taschen hatte, machte sie für sämtliche vierbeinigen Wesen in ihrem Geruchsfeld unwiderstehlich. Blöd nur, dass es keine Hundekuchen für zweibeinige männliche Wesen gab. Das wäre mal praktisch gewesen.

Andererseits hatte sie sich in Bezug auf Männer eine Auszeit verordnet und somit sowieso keine Verwendung dafür.

„Wuff!“

Das kam von einem der Welpen, die sie gerade badete. Der kleine Kerl wackelte auf sie zu und leckte ihr übers Kinn.

„Damit kannst du mich nicht erweichen“, log sie. Unfähig, seinem niedlichen Gesicht zu widerstehen, gab sie ihm einen Kuss auf die kleine Schnauze.

Eine von Willas Stammkundinnen hatte die acht Wochen alten Rabauken – ähm, Golden-Retriever-Welpen – zu ihr gebracht.

Sechs Stück, um genau zu sein.

Zwar öffnete sie erst in über einer Stunde, nämlich um neun Uhr, doch diese Hundebabys hatten sich in Pferdemist gewälzt, wie ihr die panische Kundin am Telefon mitgeteilt hatte. Da musste man sich fragen, wo es im Cow Hollow District von San Francisco eigentlich Pferdemist gab. Vielleicht hatte ein Polizeipferd irgendwo seine Pferdeäpfel fallen lassen, jedenfalls waren die Kleinen vollkommen eingesaut.

Und Willa auch.

Zwei, drei Welpen konnte einer allein eventuell im Zaum halten, sechs auf einen Schlag grenzten an Irrsinn.

„Okay, hört mal her“, sagte sie zu den wuselnden, fröhlich hechelnden Hundebabys in der großen Badewanne des Stylingraums. „Alle machen jetzt mal Sitz.“

Nummer eins und zwei setzten sich. Nummer drei kletterte auf die beiden hinauf, schüttelte seinen pummeligen kleinen Körper und spritzte Willa klitschnass.

In der Zwischenzeit versuchten Nummer vier, fünf und sechs sich auf zappelnden Pfötchen aus dem Staub zu machen. Um der Wanne zu entkommen, kraxelten sie übereinander wie Zirkusartisten. Dabei fielen ihnen die Ohren über die Augen und die Schwänzchen zuckten wild.

„Rory?“, rief Willa. „Ich könnte hier hinten zwei helfende Hände gebrauchen. Oder drei …“

Keine Antwort. Entweder hatte ihre dreiundzwanzigjährige Angestellte die Musik, die aus ihren Kopfhörern dröhnte, auf Ich-will-taub-werden-Lautstärke gestellt, oder sie postete gerade etwas auf Instagram.

„Rory!“

Endlich streckte Rory, das Handy mit leuchtendem Display in der Hand, den Kopf zur Tür herein.

Jep. Instagram.

„Ach du heilige Scheiße“, sagte Rory mit aufgerissenen Augen. „Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.“

Willa sah an sich herab. Es stimmte, ihre Schürze und ihre Kleider waren mit Schaum und Wasser und einigen fragwürdigen Flecken bedeckt, die vielleicht oder vielleicht auch nicht mit Pferdemist zu tun hatten.

Höchstwahrscheinlich sah ihr stufig geschnittenes rotblondes Haar aus wie nach der Explosion in einer Kopfkissenfabrik. Wenigstens hatte sie nach dem frühen Notruf auf Make-up verzichtet und konnte also davon ausgehen, dass keine Wimperntusche verschmiert war.

„Hilfe.“

Rory, die nie davor zurückschreckte, sich nass oder schmutzig zu machen, stürzte sich fröhlich in die Arbeit. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen innerhalb von zwanzig Minuten, alle Welpen aus der Wanne zu holen, zu trocknen und zurück in die Welpenbox zu stecken. Nummer eins bis fünf fielen umgehend in einen so tiefen Schlaf, wie nur Babys und Betrunkene es können. Aber Nummer sechs, wild entschlossen, zurück auf Willas Arm zu gelangen, kletterte über seine Geschwister hinweg.

Lachend hob sie den kleinen Kerl hoch. Seine Beine strampelten in der Luft, sein Schwanz wedelte in Lichtgeschwindigkeit und ließ sein komplettes Hinterteil wackeln.

„Nicht müde, hm?“, fragte Willa.

Er reckte sich, um ihr übers Gesicht zu lecken.

„Oh nein, das wirst du nicht tun. Ich weiß, wo deine Zunge war.“ Sie klemmte sich den Hund unter den Arm und beförderte ihn in den Verkaufsraum ihres Ladens, wo sie ihn mit ein paar Spielsachen in eine andere Welpenbox setzte. Eine, die man durchs Schaufenster sehen konnte. „Du bleibst jetzt hier, siehst niedlich aus und lockst ein paar Kunden in den Laden, einverstanden?“

Vor Begeisterung japsend stürzte sich der Hund auf sein Spielzeug. Als Willa die Lichter im Verkaufsraum anknipste, erwachte der ganze Laden zum Leben – vor allem dank der völlig übertriebenen Weihnachtsdekoration, die sie letzte Woche angebracht hatte. Und wegen des zwei Meter zehn hohen – bis zur letzten Tannennadel mit Lichtern bestückten – Weihnachtsbaumes in der Ecke.

„Es ist gerade mal der erste Dezember, und hier sieht es schon aus, als ob sich Weihnachten mal so richtig ausgetobt hätte“, sagte Rory, die in der Tür erschien.

Willa sah sich in ihrem Traumladen um, der inzwischen sogar schwarze Zahlen schrieb. Nun, zumindest meistens. „Aber auf elegante Art und Weise, oder?“

Rory betrachtete die Hunderte Kilometer Lichterketten und die Stechpalmenzweige, die es in dieser Fülle nicht mal am Nordpol geben dürfte. „Ähm … klar.“

Willa ignorierte ihren Spott. Erstens war Rory in keinem stabilen Elternhaus aufgewachsen und Willa zweitens auch nicht. Für sie beide war Weihnachten immer ein Luxus gewesen, genauso wie eine warme Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf. Eine Tatsache, mit der die beiden allerdings sehr unterschiedlich umgingen.

Rory war weder auf die Feiertage selbst noch auf das ganze Theater drum herum scharf. Willa schon, und zwar sehr. Also gut, sie war siebenundzwanzig Jahre alt und übertrieb es noch immer mit ihrem Weihnachtsfimmel, na und?

„Oh mein Gott.“ Rory starrte auf die neueste Dekoration an der Kasse. „Sind das etwa Stirnbänder mit Penissen dran?“

„Nein!“ Willa lachte. „Das sind Rentiergeweihe für Hunde.“

Rory sah sie an.

Willa schnitt eine Grimasse. „Okay, vielleicht habe ich da ein bisschen dick aufgetragen …“

„Ein bisschen?“

„Haha.“ Willa nahm eines der Rentiergeweihe. Für sie sah das nicht wie ein Penis aus. Andererseits war es schon eine Weile her, dass sie einen persönlich und aus der Nähe gesehen hatte. „Die werden weggehen wie warme Semmeln.“

„Oh mein Gott – nicht aufsetzen!“, rief Rory mit blankem Entsetzen in der Stimme, als Willa genau das tat.

„Das nennt man Marketing.“ Willa rollte die Augen nach oben, um das Geweih über ihrem Kopf betrachten zu können. „Verdammter Mist!“

Grinsend deutete Rory auf das Glas, in das jeder, der fluchte, Geld werfen musste. Willa hatte es aufgestellt, um die Flucherei in Grenzen zu halten, überwiegend ihre eigene, um ehrlich zu sein. Von dem Geld kauften sie Muffins und Kaffee. Willa steckte einen Dollar hinein.

„Ich fürchte, die Geweihe sehen tatsächlich ein bisschen wie Penisse aus“, gab sie zu. „Oder sagt man Peni? Wie ist der Plural von Penis?“

„Pene?“, schlug Rory vor, und sie brachen in lautes Gelächter aus.

Willa beruhigte sich wieder. „Ich brauche jetzt eine Dosis von Tinas Koffein, und zwar dringend.“

„Ich gehe schon“, sagte Rory. „Ich hab gesehen, wie sie bei Tagesanbruch durch den Hof gelaufen ist. Turnschuhe mit fünfzehn Zentimeter hohen Absätzen, und die Haare bis zum Himmel aufgetürmt. Sie sah aus, als wäre sie zwei Meter fünfzig groß.“

Tina war einmal Tim gewesen, und jeder in dem fünfstöckigen historischen Pacific-Heights-Gebäude hatte Tim gemocht – aber Tina, die liebten sie. Tina war klasse.

„Was möchtest du?“, fragte Rory.

Tinas Kaffeespezialitäten hatten besondere Namen, und Willa wusste ganz genau, was sie für den heutigen Tag brauchte. „Ich nehme einen von ihren Es-ist-viel-zu-früh-für-Stress.“ Als sie Geld aus der Tasche fischte, fielen ein paar Hundekuchen heraus und rollten über den ganzen Boden.

„Unbegreiflich, dass du keinen Freund findest“, sagte Rory trocken.

„Ich könnte“, erklärte Willa. „Will aber nicht. Ich suche mir sowieso immer die falschen Männer aus, womit ich ja nicht allein dastehe …“

Rory stieß einen Seufzer aus. Als Willas Magen laut zu knurren begann, hob sie die Augenbrauen.

„Okay, bring mir auch einen Muffin mit.“ Tina machte die besten Muffins der Welt. „Halt, zwei. Oder besser noch drei. Nein, warte.“ Sie hatte ihre Jeans heute Morgen nur mit Mühe zuknöpfen können. „Mist, drei Muffins haben so viele Kalorien, wie ich pro Tag zu mir nehmen darf. Einen“, sagte sie fest. „Einen Muffin für mich, und zwar Blaubeere, das zählt dann als meine Tagesration Obst.“

„Alles klar“, sagte Rory. „Kaffee, Blaubeermuffin und dazu eine Zwangsjacke.“

„Haha. Jetzt raus hier, bevor ich meine Bestellung noch mal ändere.“

South Bark hatte zwei Türen: Eine führte zur Straße und die andere zum Innenhof mit dem wunderschönen Kopfsteinpflaster und einem historischen Springbrunnen, in den Willa jedes Mal eine Münze warf und sich etwas wünschte. Wahre Liebe nämlich.

Rory nahm die Hintertür.

„Hey“, rief Willa ihr hinterher. „Wenn du Kleingeld zurückbekommst, wirfst du dann bitte für mich eine Münze in den Brunnen?“

„Du hast eine Männerauszeit, wünschst dir aber die wahre Liebe?“

„Ja, bitte.“

Rory schüttelte den Kopf. „Ist ja dein Geld.“ Sie war kein Fan von Wünschen und noch weniger davon, auch nur einen Vierteldollar zu verschwenden, machte sich aber gehorsam auf den Weg.

Als sie gegangen war, verschwand Willas Lächeln. Ihre drei Teilzeitkräfte waren jung und hatten alle etwas gemeinsam.

Sie waren in Heimen und Pflegefamilien aufgewachsen und eines Tages einfach ins Leben hinausgeschickt worden, allein und ohne Hilfe.

Willa, die selbst einmal so ein verlorenes Mädchen gewesen war, hatte sie eingesammelt und ihnen Arbeit und gute Ratschläge gegeben, auf die sie immerhin zur Hälfte hörten.

Fünfzig Prozent waren besser als null Prozent.

Ihr jüngster Zuwachs hieß Lyndie, war neunzehn Jahre alt und noch immer etwas ungehobelt. Dann gab es Cara, die wirklich Schlimmes durchgemacht hatte, und zu guter Letzt Rory. Sie war am längsten bei ihr. Das Mädchen tat nach außen sehr stark, hatte aber noch immer schwer zu kämpfen. Bester Beweis dafür war der Bluterguss auf ihrem Kinn. Ihr Exfreund hatte sie gegen einen Türrahmen gestoßen.

Allein bei der Vorstellung ballte Willa die Fäuste. Nachts träumte sie manchmal davon, was sie am liebsten mit diesem Typen anstellen würde. Ganz oben auf der Liste stand, mit einem stumpfen Messer sein bestes Stück abzuschneiden. Aber sie hatte nun mal eine Abneigung gegen Gefängnisse.

Rory verdiente etwas Besseres. Äußerlich knallhart, hatte sie ein Herz so weich wie ein Marshmallow. Für Willa hätte sie wirklich alles getan. Das war süß, bedeutete aber auch eine riesige Verantwortung. Willa war nun ihr Vorbild.

Was im besten Falle eine erschreckende Vorstellung war.

Willa sah nach Welpe Nummer sechs und stellte fest, dass der kleine Hund auf dem Rücken eingeschlafen war. Mit weit von sich gestreckten Beinen präsentierte er der Welt seinen stolzesten Besitz.

Typisch Mann.

Anschließend schaute sie nach seinen Geschwistern. Ebenfalls eingeschlafen. Mit dem Gefühl, Mutter von Sechslingen zu sein, schlich sie auf Zehenspitzen zurück in den vorderen Teil des Ladens und klappte den Laptop auf, um die Lieferung Tierfutter zu erfassen, die gestern spätabends angekommen war.

Sie hockte gerade zwischen vier verschiedenen 10-Kilo-Säcken Vogelfutter – sie konnte noch immer nicht glauben, wie viele Leute in San Francisco Vögel besaßen –, als jemand an die Glastür klopfte.

Verdammt. Es war erst Viertel nach acht, doch es widerstrebte ihr, einen zahlenden Kunden abzuweisen. Sie richtete sich auf, wischte sich die Hände an der Schürze ab und sah hoch.

Ein Typ mit grimmig zusammengepressten Lippen stand vor der Tür, ein großer, dunkler und wütender Mann. Zudem war er noch etwas, nämlich unglaublich attraktiv und begehrenswert und … Moment mal. Irgendwas an ihm kam ihr bekannt vor. So bekannt, dass ihre Beine wie von allein ein paar Schritte auf ihn zumachten. Als sie auf halbem Weg jedoch begriff, um wen es sich handelte, erstarrte sie, und ihr Herzschlag setzte einen Moment aus.

„Keane Winters“, murmelte sie. Ihre Lippen verzogen sich, als hätte sie den Mund voll Lakritze. Sie hasste Lakritze. Vor ihr stand der einzige Mann auf der Welt, bei dessen Anblick sie sich zugleich gut und schlecht fühlte. Gut, weil er ihren Entschluss, auf Männer zu verzichten, als richtig bestätigte.

Wenn sie ihn nur schon früher durchschaut hätte, beispielsweise damals beim Sadie-Hawkins-Ball im ersten Highschooljahr, als er sie versetzt hatte, dann wäre ihr in den folgenden Jahren viel Herzschmerz erspart geblieben.

Vor der Glastür schob Keane sich die verspiegelte Sonnenbrille ins Haar und enthüllte Augen wie dunkle Schokolade. Sie wusste, dass sie zu schmelzen schienen, wenn er etwas lustig fand oder flirten wollte. Oder an Eis erinnerten, wenn ihm etwas nicht passte.

Jetzt waren sie eisig.

Er fing ihren Blick auf und hielt einen Katzenkorb in die Höhe. Einen über und über mit Strass und Glitzer besetzten hellrosa Katzenkorb.

Er hatte eine Katze.

Ihr Innerstes wollte weich werden, denn das bedeutete doch, dass er zumindest in gewisser Weise ein guter Kerl war, oder?

Gott sei Dank schaltete sich ihr Hirn schnell wieder ein und erinnerte sie an alles, an jedes einzelne Detail dieses Abends vor so vielen Jahren: wie sie sich ein Kleid von einer Klassenkameradin ausleihen musste, die es ihr nur mit ziemlicher Arroganz überließ. Wie sie ihre Pflegemutter anbettelte, sie gehen zu lassen. Wie sie eine Tüte Fertigsuppe aus der Speisekammer klaute und trocken herunterwürgte, damit er sie nicht zum Dinner einladen musste – wie eigentlich beim Sadie-Hawkins-Ball üblich.

„Wir haben noch geschlossen“, sagte sie durch die Glastür.

Kein Wort kam über seine Lippen. Er hob lediglich den Katzenkorb an, als wäre er ein Geschenk Gottes.

Und das war er tatsächlich einmal gewesen. Zumindest in der Highschool.

Hätte sie doch wenigstens schon eine Ladung Kaffee intus. Sie seufzte und trat einen Schritt näher, genervt von ihren eigenen Augen, die die ganze Zeit in seine schauten, während sie die Tür aufschloss und öffnete. Er ist nur ein weiterer Kunde, redete sie sich ein. Einer, der ihr das Leben ruiniert und es nicht mal für nötig befunden hatte, sich dafür zu entschuldigen … „Guten Morgen“, sagte sie, wild entschlossen, höflich zu bleiben.

Es gab nicht das geringste Anzeichen dafür, dass er sie erkannte, was sie noch unfassbarer fand, als diesen Mann überhaupt vor ihrer Tür stehen zu sehen.

War sie so unscheinbar, dass er sich nicht einmal mehr an sie erinnern konnte?

„Wir öffnen erst um neun“, sagte sie mit ihrer freundlichsten Stimme, auch wenn möglicherweise eine Spur von Du-kannst-mich-mal im Ton mitschwang.

„Um neun muss ich bereits bei der Arbeit sein“, sagte er. „Ich möchte für heute eine Katze abgeben.“

Keane war immer schon groß und einschüchternd gewesen. Ein hervorragender Sportler. Football, Basketball und Baseball, überall war er der Beste gewesen. Der perfekte Hattrick, das Rundumpaket.

Jedes Mädchen der Schule – und nicht gerade wenige Lehrerinnen – hatten unanständig viel Zeit damit verbracht, dieses Rundumpaket anzustarren.

Doch genauso wie Willa den Männern entsagt hatte, hatte sie vor noch längerer Zeit aufgehört, an diese Geschichten aus den schlimmsten Jahren ihres Lebens zu denken. Während Keane Rekorde und Herzen gebrochen hatte, war sie unter der Belastung, Schule und Arbeit unter einen Hut zu bringen und irgendwie zu überleben, fast zusammengebrochen.

Natürlich konnte er nichts dafür, dass ihre Erinnerungen an diese Zeit so schrecklich waren. Genauso wenig war es sein Fehler, dass allein sein Anblick sie nun wieder aufleben ließ. Aber Gefühle folgten eben keiner Logik. „Es tut mir leid“, sagte sie. „Aber ich bin heute ausgebucht.“

„Ich zahle das Doppelte.“

Seine Stimme klang herb wie feiner Whiskey. Nicht dass sie überhaupt je feinen Whiskey trank. Selbst den billigen Fusel gönnte sie sich nur in Ausnahmefällen. Und vielleicht bildete sie es sich ja ein, doch es war kaum zu übersehen, dass er einerseits derselbe war, sich andererseits aber verändert hatte. Er war immer noch groß und verdammt sexy gebaut, verflucht. Breite Schultern, schmale Hüften, und da er den Korb weiterhin hochhielt, war auch sein Bizeps deutlich zu erkennen.

Er trug zerrissene Jeans und abgewetzte Stiefel. Das einzige Zugeständnis an den kalifornischen Winter war ein dünnes Sweatshirt, das all seine Muskeln betonte. Auf der Brust waren die Worte BEISS MICH in Großbuchstaben aufgedruckt und luden einen genau dazu ein.

Sie brauchte sich nichts vorzumachen, dieser Einladung wäre sie gern gefolgt. Sehr gern.

Er strahlte rohe, sexuelle Kraft und Energie aus – nicht dass ihr das aufgefallen wäre. Sie achtete auch nicht auf seinen Gesichtsausdruck, der darauf hindeutete, dass er schon jetzt einen ziemlich miesen Tag hinter sich hatte.

Willkommen im Club.

In Gedanken schlug sie sich an die Stirn. Nein! Hier würde überhaupt niemand einem Club beitreten. Sie hatte Grenzen gesetzt. Sie war die Schweiz. Neutral. Kein Import und kein Export, erotisch glühende Blicke und heiße Körperteile eingeschlossen, nichts.

Schluss, aus.

Ganz besonders nicht mit Keane Winters, besten Dank. Und außerdem führte sie kein Katzenhotel. Okay, manchmal nahm sie für gute Kunden ein Tier in Pflege, ein Service, den sie „Fellnasen-Babysitting“ nannte. Um offiziell Tiere zu betreuen, fehlte ihr der Platz. Wenn sie dennoch einmal einsprang, musste sie die Tiere über Nacht mit zu sich nach Hause nehmen und war deswegen überaus wählerisch.

Ein gut aussehender Mann, der einmal ein schrecklich fieser Junge gewesen war, der wiederum ein entsetzlich schüchternes Mädchen versetzt hatte, nachdem dieses seinen ganzen Mut zusammengenommen hatte, um ihn zum Ball einzuladen, passte nicht in diese Kategorie. „Ich nehme keine …“, begann sie und wurde von einem unheilvollen Schrei aus dem rosa Katzenkorb unterbrochen.

Automatisch streckte sie die Hand danach aus, woraufhin Keane den Griff sofort erleichtert losließ.

Willa drehte ihm den Rücken zu, um den Korb zum Ladentisch zu tragen, spürte aber ganz genau, wie Keane ihr – mit für so einen großen Mann ungewöhnlicher Geschmeidigkeit – durch den Laden folgte.

Die Katze schrie jetzt ununterbrochen. Und da sie wegen des unglückseligen Geschreis fürchten musste, dass das Tier dem Tod nahe war, öffnete sie hastig den Korb.

Der ohrenbetäubende Lärm erstarb umgehend, und eine riesengroße siamesische Katze mit lebhaften blauen Augen blinzelte sie an. Sie hatte helles cremefarbenes Fell. Die dunklere Färbung im Gesicht wirkte wie eine Maske, die zu ihren schwarzen Ohren und Pfoten passte.

„Na, wenn du mal keine Schönheit bist“, sagte Willa sanft und schob die Hand in den Korb.

Die Katze ließ sich widerstandslos hochheben und drückte den Kopf an Willas Hals.

„Ah“, sagte Willa leise. „Ist ja gut, ich habe dich. Du hasst diesen Korb, nicht wahr?“

„Was, zum Teufel …“ Keane stemmte die Hände in die Hüften und starrte die Katze an. „Willst du mich verarschen?“

„Wie bitte?“

Er schaute finster. „Meine Großtante ist krank und braucht Hilfe. Sie hat gestern Abend die Katze bei mir abgesetzt.“

Ach, verdammt. Es war ziemlich nett von ihm, sich um die Katze seiner kranken Tante zu kümmern.

„Kaum war Sally weg“, fuhr Keane fort, „ist dieses Tier durchgedreht.“

Willa blickte auf die Katze, die zurückschaute, ruhig, heiter, geradezu engelsgleich. „Was hat sie getan?“

Keane schnaubte. „Die Frage ist wohl eher, was sie nicht getan hat. Sie hat sich unter meinem Bett versteckt und die Matratze aufgerissen. Dann ist sie auf Regale und Tische gesprungen und hat alles auf den Boden geworfen. Meinen Laptop, mein Tablet und mein Handy hat sie mit einem einzigen Wisch zerstört. Und dann hat sie …“ Er brach ab und begann, mit den Backenzähnen zu mahlen.

„Was?“

„Einen Haufen in meine Lieblingsjoggingschuhe gesetzt.“

Willa musste sich schwer zusammenreißen, um nicht laut loszulachen und „gut gemacht“ zu rufen. „Vielleicht ist sie einfach nur verstört, weil sie nicht in ihrem Revier ist und Ihre Tante vermisst. Katzen sind Gewohnheitstiere. Sie mögen keine Veränderungen.“ Sie sprach mit Keane, ohne den Blick von der Katze zu wenden. Sie wollte nicht in seine dunklen, hypnotisierenden Augen sehen, die sie nicht erkannt hatten. Und weil sie sonst vielleicht eines der Hundekrönchen vom Regal genommen und es Keane übergezogen hätte.

„Wie heißt sie?“, fragte sie.

„Petunia, aber ich nenne sie Pita. Die Kurzform für pain in the ass.“

Willa streichelte der Katze über den Rücken, und Petunia presste sich bettelnd gegen ihre Handfläche. Sie schloss genüsslich die Augen und ein leises, rasselndes Schnurren erfüllte den Raum.

Keane seufzte laut, als Willa sie weiterstreichelte. „Unglaublich“, sagte er. „Sie tragen Katzenminze als Parfüm, richtig?“

Willa hob eine Augenbraue. „Sie glauben, das wäre der einzige Grund, warum sie mich mag?“

„Ja.“

Also gut: Willa öffnete den Mund, um dieses Spielchen zu beenden und ihm zu sagen, dass sie ihm nicht weiterhelfen konnte. Doch dann sah sie wieder in Petunias meerwasserblaue Augen und spürte, wie ihr Herz weich wurde. Mist. „Schön“, hörte sie sich sagen. „Wenn Sie belegen können, dass sie gegen Tollwut, Katzenseuche und Katzenschnupfen geimpft ist, kann ich sie heute hierbehalten.“

„Danke!“, sagte er mit solch aufrichtiger Erleichterung, dass sie ihn nun doch ansah.

Ein Fehler.

Seine dunklen Augen waren warm geworden und erinnerten an geschmolzene dunkle Schokolade. „Eine Frage.“

„Welche?“, fragte sie vorsichtig.

„Tragen Sie immer nicht jugendfreie Stirnbänder?“

Sie fasste sich hastig an den Kopf. Diesen Penis-Haarreif hatte sie vollkommen vergessen. „Sprechen Sie von meinem Rentiergeweih?“

„Rentiergeweih“, wiederholte er.

„Sehr richtig.“

„Wenn Sie meinen.“ Er lächelte jetzt, und natürlich hatte dieser Schweinehund ein verflucht schönes Lächeln. Unglaublicherweise blieb das von ihren besten Körperteilen nicht unbemerkt. Ihr Körper hatte offensichtlich immer noch nicht kapiert, dass sie der Männerwelt abgeschworen hatte. Vor allem diesem Mann.

„Ich heiße übrigens Keane“, sagte er. „Keane Winters.“

Er wartete, dass sie ihren Namen nannte, doch das war ja das Dilemma. Wenn sie verriet, wer sie war, und er sich plötzlich erinnerte, würde er auch sofort wissen, wie bedauernswert sie damals gewesen war. Und wenn er sich nicht erinnerte, dann war sie sogar noch unscheinbarer gewesen als befürchtet, und dann müsste sie ihm doch noch den Penis-Haarreif an den Kopf werfen.

„Und Sie sind …“ Seine Stimme klang amüsiert.

Nun, zur Hölle. Jetzt oder nie: „Willa Davis.“ Sie hielt die Luft an.

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht im Geringsten. Sehr unscheinbar also. Sie presste ihre Zähne fest zusammen.

„Ich bin Ihnen wirklich dankbar für Ihre Hilfe, Willa“, sagte er.

Mit Gewalt musste sie die Zähne wieder voneinander lösen. „Ich tue das nicht für Sie, sondern für Petunia“, sagte sie, um diese Tatsache vollkommen klarzustellen. „Und Sie müssen sie abholen, bevor ich heute Abend schließe.“

„Abgemacht.“

„Ich habe noch ein paar Fragen. Ich brauche eine Telefonnummer für den Notfall, außerdem Ihren Ausweis und …“ Grundgütiger, wahrscheinlich kam sie für die nächste Frage in die Hölle, aber sie konnte einfach nicht anders, sie wollte irgendwie seine Erinnerungen anstoßen. „… auf welche Highschool Sie gegangen sind.“

Er hob eine Augenbraue. „Auf welche Highschool?“

„Ja, man weiß nie, welche Information letztendlich wichtig ist.“

Er schien belustigt. „Solange ich keinen Haarreif mit Schwänzen aufsetzen muss, können Sie von mir jede Info bekommen, die Sie brauchen.“

Fünf ungeheuer lange Minuten später hatte er den Antrag ausgefüllt und ihr nach einem kurzen Anruf bei seiner Tante alle nötigen Informationen gegeben – und all das half seinem Erinnerungsvermögen nicht auf die Sprünge. Dann, mit einem letzten amüsierten Blick auf ihr Rentier- oder Penisgeweih, verließ er den Laden.

Willa sah ihm noch nach, als Rory zurückkam. Sie nippte an ihrem Kaffee und reichte Willa den anderen Becher.

„Schauen wir uns seinen Hintern an?“, wollte Rory wissen.

Ja, und zu Willas größtem Verdruss handelte es sich um den schönsten Hintern, den sie je gesehen hatte. Das war so was von unfair. Er hätte über die Jahre wenigstens etwas Fett ansetzen können. „Überhaupt nicht.“

„Tja, dann verpassen wir was. Weil … wow!“

Willa sah sie an. „Er ist zu alt für dich.“

„Er ist dreißig. Was ist?“, fragte sie, als Willa eine Augenbraue hob. „Die Kopie seines Führerscheins liegt direkt vor dir auf der Theke. Ich habe einfach nachgerechnet, das ist doch kein Verbrechen. Und du hast außerdem recht, er ist alt. Richtig alt.“

„Dir ist schon klar, dass ich nur ein paar Jahre jünger bin.“

„Du bist auch alt“, sagte Rory und stupste Willa mit der Schulter an.

Was bei ihr einer langen, innigen Umarmung gleichkam.

„Und damit das klar ist“, fuhr das Mädchen fort. „Ich habe seinen Hintern für dich angeschaut.“

„Ha“, sagte Willa. „Der Teufel höchstpersönlich würde es nicht schaffen, mich zu einer Verabredung mit ihm zu schleifen. Auch wenn der Typ scharf wie Chili ist. Ich habe den Männern abgeschworen, schon vergessen? So eine Frau bin ich nämlich inzwischen, eine Frau, die keinen Mann braucht.“

„Was du bist, ist eine dickköpfige, verbissene Frau, die jede Menge Liebe zu geben, aber viel zu viel Angst hat. Aber, hey, wenn du zulassen willst, dass deine früheren schlechten Entscheidungen dein heutiges Leben bestimmen, und wenn du wie eine Nonne leben willst, dann mach nur so weiter.“

„Danke, Mann“, sagte Willa trocken.

„Gern geschehen. Aber ich nehme mir das Recht heraus, deine Intelligenz anzuzweifeln. Wie man hört, verringert sich mit dem Alter der Intelligenzquotient.“ Sie lächelte süß. „Vielleicht solltest du diese Vitamine für 50+, oder wie die heißen, nehmen. Soll ich dir welche besorgen?“

Willa warf den Penis-Haarreif nach ihr, aber Rory, jung wie sie war, konnte rechtzeitig ausweichen.

2. Kapitel

#OpenMouthInsertFoot

Zwei Tage später klingelte Willas Wecker in aller Herrgottsfrühe. Einen Moment blieb sie liegen, ließ sich treiben, träumte … dachte nach. Als Keane Petunia wieder abgeholt hatte, war sie mit einem Kunden beschäftigt gewesen und hatte sich nicht um ihn kümmern können.

Aus den Augen gelassen hatte sie ihn jedoch auch nicht.

Und das nervte sie. Wieso genoss sie es nur so, ihn anzusehen? Vielleicht weil er so wahnsinnig männlich und stark wirkte, als wäre er direkt dem Titelbild des Magazins Alpha Male entstiegen, falls es das tatsächlich gab.

Dabei hatte es sie überhaupt nicht zu interessieren, wie er aussah oder wie sexy seine tiefe Stimme war oder dass er sich um die Katze seiner Tante kümmerte, obwohl er besagte Katze nicht mochte.

Schließlich – hallo – hatte er sie beim Highschoolball versetzt.

„Oje“, sagte sie in ihr Schlafzimmer hinein, drehte sich um und drückte sich das Kissen aufs Gesicht.

Sie hatte sowieso keine Zeit für einen Mann. Egal für welchen. Sie hatte ihre Arbeit, und zwar genug davon. Weil sie früher keinen Cent besessen hatte, war es ihr heute enorm wichtig, genügend Geld auf dem Konto zu haben.

Sie war stolz darauf, wie weit sie es gebracht hatte. Stolz, dass sie anderen Jugendlichen helfen konnte, die in derselben Situation waren wie sie einmal.

Als der Wecker erneut klingelte, wurde sie allmählich munter und ließ sich, wenn auch stöhnend, aus dem Bett rollen und sah mit trüben Augen auf die Uhr.

Vier Uhr.

Grundsätzlich hasste sie es, um vier Uhr aufzustehen, doch sie musste zum Blumenmarkt und zudem noch einiges für die Veranstaltung am Abend besorgen. Ganz zu schweigen von dem bevorstehenden jährlichen Santa-Extravaganza-Tier-Fotoshooting, bei dem Kunden ihre Haustiere zusammen mit dem Weihnachtsmann fotografieren lassen konnten. Das war immer ein riesiger Erfolg. Die Hälfte des Gewinns ging an die Tierheimorganisation von San Francisco.

Rory war schlecht gelaunt, Willa musste sie praktisch hinter sich herschleifen, als sie für die Veranstaltung am Abend und den Fotostand einkaufte und zusätzlich noch Weihnachtsdekoration einpackte.

„Wofür ist der ganze Kram?“, fragte Rory.

„Für mehr Weihnachtsstimmung.“

Rory schüttelte den Kopf. „Du hast ein ernsthaftes Problem.“

„Erzähl mir mal was Neues.“

Um halb sieben kamen sie in den Laden zurück. Willa setzte sich mit einem Skizzenblock bewaffnet im Schneidersitz auf die Ladentheke, um die Abendveranstaltung vorzubereiten – eine Hochzeit, für die sie gleichzeitig als Hochzeitsplanerin, Designerin und Zeremonienmeisterin fungierte.

Für zwei riesengroße Königspudel.

Punkt sieben Uhr kreuzten ihre Freundinnen Pru, Elle und Haley mit dem Frühstück auf. Sie machten das mehrmals pro Woche, schließlich wohnten und arbeiteten sie alle im selben Gebäude. Momentan waren sie dabei, Tinas Muffins aufzufuttern, bevor sie sich auf den Weg zur Arbeit machten. Haley war Praktikantin bei dem Optiker ein Stockwerk höher. Sie trug zwar noch nicht ihren Laborkittel, dafür aber eine niedliche knallrote Brille auf der Nase. Pru hatte ihre Kapitänsuniform an, um später eine Bootstour vom Pier 39 aus zu leiten. Elle war die Managerin des Gebäudes und sah in ihrem kobaltblauen Kostüm und den schwarzweißen hochhackigen Pumps auch so aus.

Willa war ebenfalls passend für ihren Job gekleidet. Sie trug Jeans und ein enges Top, obwohl Winter war. Der Laden war stets gut geheizt, schließlich mochten es die Tiere gern warm, und wenn sie selbst sie badete und schor, waren die nackten Arme einfach praktischer.

Sie diskutierten über Männer und deren Vor- und Nachteile. Pru hatte einen Mann. Sie war mit Finn verlobt, dem der Irish Pub auf der anderen Seite des Innenhofs gehörte. Er war ein wirklich netter Kerl und zudem einer von Willas besten Freunden. Überflüssig zu erwähnen, dass Pru ganz klar pro Männer war. „Es ist doch so“, begann sie ihre Verteidigungsrede. „Nehmen wir an, euch wurde vom Arzt ein Orgasmus verschrieben, okay? Wenn dein Mann dich liebt, dann wird er dich mit dem Mund verwöhnen und dafür keine Gegenleistung erwarten, weil er weiß, dass du dasselbe für ihn tun würdest. Liebe ist geduldig, Liebe ist zärtlich.“ Sie lächelte. „Liebe bedeutet Oralsex ohne den Druck, ihn sofort erwidern zu müssen.“

„Liebe bedeutet, immer frische Batterien für deinen Vibrator zu haben“, verkündete Elle, und die anderen nickten lachend. Ihnen allen fielen eine Menge Nachteile in Bezug auf Männer ein. Nun, von Haley abgesehen, die auf Frauen stand – wenn sie zufällig mal Lust hatte, mit jemandem zusammen zu sein.

Willa gefiel allerdings die Vorstellung, einen Orgasmus per Rezept verordnet zu bekommen.

„Ja, aber wie steht es mit Spinnen?“, fragte Pru. „Ein Mann fängt immerhin die Spinnen im Haus.“

Schweigen herrschte, weil alle über diesen unerwarteten Vorteil einer Beziehung nachdachten.

„Ich habe gelernt, wie man sie fängt und unverletzt wieder in der freien Natur aussetzt“, meinte Haley schließlich. „Von Leeza.“

Leeza, Haleys Exfreundin, war eine ernsthafte Umweltaktivistin gewesen. Und eine notorische Fremdgängerin, wie sich herausgestellt hatte.

„Ich brauche dafür nur den Schlauch meines Staubsaugers“, sagte Elle süffisant. „Dann gibt es am nächsten Morgen auch kein peinliches Gespräch.“

„Jetzt geht es um Willa, also fangen wir gar nicht erst von dir an“, meinte Pru. „Wenn du mit Archer im gleichen Raum bist, fackelt ihr beide ihn praktisch ab, so wie es zwischen euch knistert. Erinnert mich daran, dass ich auf dieses Thema noch zurückkomme.“

Elle zuckte mit den Schultern. „Hast du schon mal davon gehört, dass Gegensätze sich anziehen? Nun, Archer und ich, wir sind das klassische Beispiel dafür, dass Gegensätze sich abstoßen. Weil wir uns nicht mögen.“

Die anderen brachen in Lachen aus, hörten aber sofort auf, als Elle ihnen eisige Blicke zuwarf.

Jeder wusste, dass Elle in Archer verknallt war – außer Elle selbst, wie es schien.

Und Archer …

Willa war jedenfalls froh, nicht länger im Mittelpunkt zu stehen, wobei sie gern mehr über das faszinierende Thema „der Morgen danach“ erfahren hätte. Denn dieser Morgen lief bei ihr grundsätzlich seltsam ab. Von ihrem schlechten Männergeschmack abgesehen, verschärfte sie die Situation meistens noch dadurch, dass sie zu lange blieb, anstatt schnell abzuhauen. Vielleicht war das überhaupt jedes Mal ihr Fehler gewesen. Und vielleicht würde sie es beim nächsten Mal, falls sie dumm genug war, irgendwann wieder mal einem Mann eine Chance zu geben, einfach bei einer Nacht bewenden lassen. Und sich danach wie ein geölter Blitz davonmachen.

„Sagt mir die Wahrheit“, meinte Pru. „Wenn ich von Finn und mir schwärme, wie sehr nerve ich euch auf einer Skala von eins bis zehn? Zehn wäre die Freundin, die gerade ein Kind bekommen hat und einem stundenlang Fotos von ihm zeigt.“

Willa fing Elles und Haleys amüsierte Blicke auf, und sie alle murmelten so etwas wie: „Also so schlimm nicht.“

Pru seufzte. „Mist. Ich bin also die frischgebackene Mutter mit den Babyfotos.“

„Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung“, sagte Elle, und da sie eine Meisterin darin war, Gespräche zu manipulieren, sah sie Willa an. „Erzähl uns mehr von diesem Typen mit der Katze.“

„Ich kann euch verraten, dass er ein scharfer Typ ist“, sagte Rory, die mit einer Kiste Hamsterfutter hereinkam. „Also richtig scharf. Und dass Willa ihn aus ihrer Schulzeit kennt. Er hat sie bei irgendeinem Ball versetzt, aber er erinnert sich nicht daran und auch nicht an sie.“

„Also, wie unhöflich.“ Haley war sofort auf ihrer Seite, was Willa wirklich zu schätzen wusste.

„Ich glaube nicht, dass er unhöflich war“, meinte Rory. „Willa hatte gerade Hundebabys gebadet und sah furchtbar aus, ganz ehrlich, voll mit Seifenschaum und Hundesabber. Selbst ihr hättet sie nicht erkannt.“

„Ich habe wie immer ausgesehen“, verteidigte Willa sich. „Und diese Geschichte aus der Highschool habe ich dir im Vertrauen erzählt.“

„Ups, tut mir leid.“ Rory wirkte kein bisschen zerknirscht. „Ich bin dann mal hinten, Thor baden.“

Thor war Prus Hund, der sich am liebsten in Sachen wälzte, in denen er sich nicht wälzen sollte, je ekeliger, desto besser. Pru blies Rory dankbar ein Handküsschen zu und wandte sich an Willa. „Also, zurück zu dem höllisch scharfen Typen. Mehr Details bitte.“

Willa seufzte. „Was soll ich sagen? Wir sind zusammen zur Schule gegangen, und er hat mich damals schon immer übersehen. Ich hätte es also besser wissen müssen.“

„Wie gut hast du ihn gekannt?“ Elle sah sie scharf an. Sie war die logisch Denkende in dieser Runde und konnte mit Leichtigkeit jedes Chaos entwirren.

„Offensichtlich nicht besonders gut.“ Willa beugte sich über ihren Skizzenblock.

„Hmm“, machte Elle.

„Ich habe keine Zeit, dein hmm zu entschlüsseln“, sagte Willa.

„Weißt du noch, als Archer und Spence gedroht haben, deinen Ex zu kastrieren?“

Spence und Archer waren die anderen Mitglieder ihrer fest verschworenen Clique. Spence war IT-Genie, Archer ehemaliger Polizist. Beide zusammen verfügten über einige sehr spezielle Fähigkeiten. Und ja, sie waren da gewesen, als Willa sie gebraucht hatte. „Das war etwas anderes“, sagte sie. „Ethan war ein Arschloch, daran besteht kein Zweifel. Keane hingegen wird niemals mein Ex sein, Arschloch hin oder her, weil zwischen uns nie was laufen wird. Wenn wir dann bitte aufhören könnten, mein Leben zu analysieren. Ich habe noch jede Menge für die Hochzeit heute Abend vorzubereiten.“

Sie hatte bis spät in die Nacht gearbeitet und Smokings genäht, die die Pudel auf Wunsch der Kunden tragen sollten. Ja, Smokings. Auch wenn sie sich gern darüber lustig machte, dass sie mit Krönchen und Hochzeiten und Spielzeug mehr Geld verdiente als mit der eigentlichen Arbeit als Hundefriseurin, so nahm sie die Wünsche ihrer Kunden trotzdem ernst.

Und, hey, falls sie eines Tages selbst Haustiere besitzen und mehr Geld verdienen sollte, als sie ausgeben konnte, dann würde sie sich für ihre Hunde vielleicht auch eine Hochzeit wünschen. Obwohl sie das ernsthaft bezweifelte. In ihrer Welt war Liebe schon immer flüchtig und vergänglich gewesen – also das genaue Gegenteil dessen, wofür eine pompöse Hochzeit stand.

Weil sie aber durchaus bereit war zu glauben, dass ewige Liebe zumindest für andere existierte, zog sie sich den Königspudel-Pseudosmoking über den Kopf und sah in den Spiegel. „Was denken wir?“

„Sehr niedlich“, sagte Pru. „Jetzt hüpf auf und ab, und mach das, was ein Hund eben so macht, um zu testen, ob der Smoking auch hält.“

Willa sprang also auf und ab wie bei einer Hundeshow. Die Arme ausgestreckt und die Handgelenke abgeknickt, hoppelte sie herum, um die Elastizität des Smokings zu testen. Sie alle lachten noch, als es an der Tür klopfte.

Wieder einmal war es zehn vor neun. Mit dem Gefühl, ein Déjà-vu zu haben, hielt sie mitten in ihrem nächsten Tanzschritt inne. Die Gesichter ihrer Freundinnen bestätigten, was sie wissen musste. Trotzdem hoffte sie sich zu irren, als sie sich langsam zur Tür umdrehte.

Nein.

Kein Irrtum.

Keane Winters stand vor der Tür und beobachtete sie.

„Perfekt“, sagte sie, jeglicher Würde beraubt. „Was hat er gesehen?“

„Alles“, antwortete Elle.

„Du solltest die Tür aufmachen“, meinte Pru. „Er ist tatsächlich so scharf, wie Rory gesagt hat. Aber er sieht auch so aus, als ob er es ziemlich eilig hätte.“

„Ich mache die Tür nicht auf“, zischte Willa und riss den Smoking herunter. „Nicht bevor ihr gegangen seid. Los, zur Hintertür raus, und zwar schnell!“

Niemand machte schnell. Niemand rührte auch nur einen Muskel, um genau zu sein.

Keane klopfte ein zweites Mal, und als Willa sich wieder zu ihm umdrehte, hob er die Augenbrauen, ein Bild von einem ungeduldigen Mann.

„Also ehrlich“, sagte Pru. „Lernen Männer diesen Blick schon bei der Geburt?“

„Ja, allerdings“, meinte Elle nachdenklich. „Willa, Schätzchen, wag es ja nicht, schnell zur Tür zu gehen. Du lässt dir schön viel Zeit. Wisch dir diesen panischen Ausdruck aus dem Gesicht, und versuch es mit einem Lächeln. Zeig ihm nicht, dass er dich so aufwühlt.“

„Seht ihr“, sagte Willa zu Haley und Pru. „Wenigstens lässt sich eine von euch nicht von dunklen Augen und einem wahnsinnigen Lächeln beeindrucken. Geschweige denn von Oh-mein-Gott-so-was-von-heißen-Jeans.“

„So was habe ich wirklich nicht gesagt“, meine Elle. „Und ich bin weniger beeindruckt als höllisch neugierig. Mach diese Tür auf, Willa. Damit wir sehen, was für ein Typ er ist.“

„Er hat gesehen, wie ich einen Pudeltanz veranstaltet habe.“

„Genau! Und er ist noch da. Er muss also ziemlich hart im Nehmen sein.“

Seufzend steuerte Willa auf die Tür zu.

Wieder trug Keane den rosa Katzenkorb in der Hand, was eigentlich albern hätte aussehen müssen. Aber es ließ ihn sogar noch männlicher wirken. Er sah ihr ernst entgegen, doch als sie näher kam, wurde sein Blick freundlich und warm, was ihr Innerstes zum Schmelzen brachte. Sie blieb mit den Händen in den Hüften vor der Glastür stehen und hoffte, verärgert zu wirken.

Sein Blick wanderte von ihrem Gesicht über ihren Körper, was einen weiteren unerwünschten Hitzeschauer nach sich zog. Verflucht. Jetzt war sie verärgert und erregt – keine gute Kombination.

Er grinste, als er den Spruch auf ihrer Schürze las: LIEBER WEIHNACHTSMANN, ICH KANN ES ERKLÄREN.

Sie atmete tief durch und öffnete die Tür. „Sie bringen Petunia wieder vorbei. Hoffentlich bedeutet das nicht, dass Ihre Großtante Sally noch immer krank ist.“

Er schien überrascht, dass sie sich an den Namen erinnern konnte. „Ich weiß nicht“, sagte er etwas verdrossen. „Sie hat mir nur eine Nachricht hinterlassen, dass ich mich bis zum Ende der Woche um die Katze kümmern soll. Aber Pita hat in den letzten beiden Tagen munter auf meinen Baustellen randaliert. Ich appelliere an Ihre Barmherzigkeit. Können Sie mir helfen?“

Wow. Er musste wirklich verzweifelt sein – er hatte tatsächlich eine Bitte formuliert und keine Forderung. Und weil Petunia ein echtes Goldstück war, würde sie ihm natürlich helfen.

Keane richtete seine Aufmerksamkeit auf etwas über Willas Kopf. Sie folgte seinem Blick und entdeckte einen Mistelzweig, der an dem Wandregal mit den kleinen tragbaren Hundeschwimmbecken hing. Mistelzweig? Wie, zum Teufel …? Sie blickte hinter sich und sah, wie Rory und Cara hin und her liefen und sehr beschäftigt wirkten. „Seit wann hängt da ein Mistelzweig?“, fragte sie. „Und warum?“

„FOMO“, verkündete Cara.

„Fear of missing out“, erläuterte Rory. „Die Angst, etwas zu verpassen. Sie hofft, dass irgendwann ein scharfer Typ vorbeikommt und der Mistelzweig ihr einen guten Vorwand liefert.“

Willa kniff die Augen zusammen, und ihre beiden schon bald gefeuerten Angestellten verkrümelten sich.

„Interessant.“ Keane wirkte amüsiert.

„Ich werde Sie nicht küssen.“

Seine Mundwinkel wanderten nach oben. „Wenn Sie Pita für heute übernehmen, dann küsse ich Sie.“

„Nicht nötig.“ Zum Glück konnte niemand sehen, wie ihr Herz einen Steppschritt machte. „Ich übernehme Petunia für heute. Ein Kuss ist weder vonnöten noch erwünscht.“

Lügnerin, Lügnerin …

Keane kam herein. Und weil sie nicht schnell genug nach hinten auswich, berührten sie sich beinahe. Sein Haar war noch etwas feucht, wie sie feststellte, vielleicht hatte er gerade erst geduscht. Er roch nach sexy Männerseife, also schlicht unglaublich. Er trug ausgewaschene Jeans mit einem Riss in einem Bein und ein langärmliges T-Shirt mit den Worten SF Builders über den Brustmuskeln. Also stimmte ihre Vermutung, dass er in der Baubranche tätig war.

Außerdem war er mit Katzenhaaren übersät.

Direkt hinter Keane tauchte eine ihrer Stammkundinnen auf. Janie Sharp war Mitte dreißig, hatte fünf Kinder unter zehn Jahren, arbeitete als Lehrerin und war immerzu in Eile, verspätet, erschöpft und verzweifelt.

Heute rannten ihre drei Jüngsten in vollem Tempo und kreischend um sie herum. Janie hielt ein Goldfischglas in der Hand und tat ihr Bestes, das Wasser nicht zu verschütten. „Ich weiß!“, schrie sie Willa an. „Ich bin zu früh. Aber wenn Sie mir heute nicht helfen, muss ich mich wohl umbringen.“

Das sagte Janie regelmäßig. „Solange Sie Ihre Kinder nicht hierlassen“, entgegnete Willa. Ebenfalls ein oft wiederholter kleiner Scherz. Als Keane ein merkwürdiges Geräusch machte, sah sie zu ihm. „Das mit dem Umbringen ist nur ein Witz“, erläuterte sie. „Aber was die Kinder betrifft, das meine ich ernst.“

Janie nickte. „Sie sind Ausgeburten des Teufels.“

„Namen?“, fragte Keane.

Janie blinzelte ihn an, als würde sie ihn jetzt erst richtig wahrnehmen. Ihre Augen wurden glasig, womöglich sabberte sie auch ganz leicht. „Dustin, Tanner und Lizzie“, sagte sie schwach.

Keane schnippte mit den Fingern, und die Kinder hörten auf, Janie zu umkreisen. Sie hörten auch auf, Lärm zu machen. Sie hörten auf zu atmen.

Keane deutete auf das erste Kind. „Dustin oder Tanner?“

„Tanner“, sagte der kleine Junge und steckte den Daumen in den Mund.

Keane sah zu den beiden anderen, die gleichzeitig zu sprechen begannen. Er hob einen Finger und deutete auf das kleine Mädchen.

„Ich bin ein Engel …“, hauchte sie atemlos. „… sagt mein Daddy.“

„Wusstest du, dass Engel auf die Menschen aufpassen, die ihnen wichtig sind?“, fragte Keane. „Sie sind der Boss.“

Das kleine Mädchen sah auf einmal ziemlich selbstzufrieden drein. „Also bin ich der Boss von Tan und Dust?“

„Du passt auf sie auf.“ Jetzt sah er zu den Jungen. „Und im Gegenzug passt ihr auf eure Schwester auf. Damit ihr nie etwas passiert. Versteht ihr?“

Die Jungen nickten eifrig.

Janie starrte schockiert auf ihre drei zahmen, respektvollen Kinder: „Das ist ein verfrühtes Weihnachtswunder“, flüsterte sie ehrfurchtsvoll und sah Keane an. „Arbeiten Sie als Babysitter?“

Keane lächelte nur, und einen Moment lang erstarrten alle im Raum. Er hatte ein unglaubliches Lächeln. Eines, das einen an lange, leidenschaftliche, heiße, betäubende Küsse denken ließ.

Und mehr.

So viel mehr. „Nein“, antwortete Willa und nahm Janie das Goldfischglas ab. „Man überlässt seine Kinder keinem vollkommen Fremden.“

„Zumindest mit vollkommen liegen Sie richtig“, murmelte Janie, dann schüttelte sie sich leicht. „Okay, wir fahren für eine Nacht nach Napa. Kann ich Fric und Frac hierlassen?“

„Ja, und Sie wissen, dass ich mich sehr gut um sie kümmern werde.“ Willa nahm Janie in den Arm. „Ruhen Sie sich etwas aus.“

Als Janie gegangen war, sah Keane sie mit erhobenen Brauen an. „Fisch? Sie lassen auch Fische hier übernachten?“

„Ich passe auf sie auf“, korrigierte sie ihn. „Verurteilen Sie mich deswegen etwa?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe Ihnen gerade eine Katze aus der Hölle vorbeigebracht, ich kann mir kein Urteil erlauben.“

Sie stieß ein raues Lachen aus, woraufhin er den Blick auf ihren Mund heftete, was ihr wiederum einen Schauer durch den Körper jagte.

„Danke“, sagte er. „Dass Sie Pita heute nehmen, bedeutet mir viel.“

Hinter der Theke erklang ein dunkles „Ah“ und dann ein „Psst!“. Willa warf ihren Freundinnen einen mahnenden Blick zu.

Keane drehte sich zu ihnen, doch sofort beugten sich Elle, Pru und Haley über ihre Handys.

Rory kam mit einer weiteren Kiste Tierfutter zurück und bemerkte offenbar, wie nahe Willa und Keane beieinanderstanden. „Hübsch“, sagte sie. „Ich bin froh, dass du endlich vernünftig geworden bist und deine Männerdiät beendest.“

Willa kniff die Augen zusammen.

„Ja, richtig.“ Rory schlug sich an die Stirn. „Behalte das für dich, Rory. Hätte ich fast vergessen.“

Keane warf Willa einen vergnügten Blick zu. „Männerdiät?“

„Unwichtig.“ Sie stellte das Goldfischglas auf die Theke und streckte die Hand nach Petunia aus. „Sie kennen ja die Bedingungen.“

„Sie meinen, dass ich doppelt so viel bezahle, weil ich so ein Idiot bin, und Sie so tun, als ob Sie mich nicht leiden könnten?“ Er warf ihr ein Killerlächeln zu. „Ja, die Bedingungen kenne ich.“

„Ich meine, dass Sie die Katze vor Geschäftsschluss abholen müssen.“ Sie seufzte. „Und ich werde Ihnen nicht doppelt so viel berechnen.“

Aus seinem Lächeln wurde ein Grinsen. „Na also! Sie mögen mich.“

Und dann war er weg.

Willa wandte sich zu ihren Freundinnen und Mitarbeiterinnen um, die ihm allesamt hinterhersahen.

„Das ist wirklich mal ein toller Hintern“, sagte Pru.

„Finde ich auch“, meinte Haley. „Und ich mag Männer nicht mal.“

Willa zuckte mit den Schultern. „Ist mir nicht aufgefallen. Und ich mag ihn nicht.“

Alle brachen in Lachen aus.

„Wir würden das ja richtigstellen“, sagte Elle noch immer lächelnd, „aber selbst an deinem besten Tag bist du zu stur, um etwas einzusehen. Und heute ist offensichtlich nicht dein bester Tag …“

Ja, ja … Willa kniff die Augen noch fester zusammen, weil ihre Freundinnen weiterlachten. Offenbar waren sie davon überzeugt, dass sie sich in Bezug auf Keane nur etwas vormachte.

Das Schlimmste daran war, dass es stimmte.

3. Kapitel

#BahHumbug

Keane Winters war an lange und harte Arbeitstage gewöhnt. Heute war es allerdings besonders schlimm. Die Dienstleister lieferten nicht, was sie sollten, und das Wetter spielte verrückt – ein heftiges Gewitter hatte einen Stromausfall verursacht. Ganz zu schweigen davon, wie viel Zeit und Geld es ihn gekostet hatte, wegen dieser Katze ein neues Handy und einen neuen Laptop zu kaufen. Nun, sie sah wie eine Katze aus, aber in Wahrheit war sie ein Monster.

Sein Telefon summte. Er legte sein Werkzeug zur Seite, um das Handy aus der Hosentasche zu fischen. Einer seiner Kumpels hatte ihm einen Link vom San Francisco Chronicle geschickt.

Keane Winters, aufstrebender Selfmade-Bauunternehmer aus San Francisco. Diesen Namen muss man sich merken!

Selfmade stimmte ziemlich genau. Inzwischen hatte er so viel Zeit investiert, dass er in der North Bay Area drei Projekte gleichzeitig laufen hatte und so viel zu tun war, dass seine Mitarbeiter langsam an ihre Grenzen kamen. Sie alle brauchten dringend ein paar freie Tage, aber das war in nächster Zeit einfach nicht drin.

Winters hat sich darauf spezialisiert, abbruchreife Gebäude in erstklassigen Lagen zu kaufen und sie in atemberaubende Must-have-Immobilien zu verwandeln.

Ebenfalls richtig. Finanziell lohnte es sich nicht, diese Immobilien zu behalten. Es war noch nicht lange her, da war ihm nichts anderes übriggeblieben, als sofort nach Fertigstellung zu verkaufen, um nicht pleitezugehen. Und ja, vielleicht war es bei seinem ersten Projekt einfach nur Glück gewesen, doch seitdem hatte sein Erfolg mit Glück definitiv nichts mehr zu tun gehabt. Er ging jedes Mal ein hohes Risiko ein, und das machte sich bezahlt. Als Folge hatte er jegliche sentimentale Regung tief in sich vergraben – nicht nur was seine Immobilien betraf, sondern auch sein Privatleben.

So war er beispielsweise monatelang jeden Morgen, nachdem er sich Kaffee geholt hatte, am South Bark vorbeigekommen, ohne den Laden auch nur ein einziges Mal zu betreten. Seit Blue hatte er keinen Hund mehr besessen, und der war gestorben, ein Jahr bevor Keane aus seinem Elternhaus ausgezogen war. Er war nicht scharf darauf, so einen schrecklichen Verlust in naher Zukunft noch einmal zu erleben.

Oder überhaupt jemals wieder.

Doch dann hatte seine Großtante Sally diese Katze bei ihm vorbeigebracht, und er hatte die aufregende Besitzerin des South Bark kennengelernt. Keane begriff nicht, warum Willa sich jedes Mal allein schon bei seinem Anblick ärgerte. Er wusste aber, dass ihr Anblick ihn in keiner Weise ärgerte. Vielleicht lag es an ihren Augen. Noch nie hatte er so leuchtend grüne Augen gesehen. Und dann ihr Temperament, das ziemlich gut zu ihrem rotblonden Haar passte, das eher rot als blond war.

Er spazierte durch den obersten Stock seines Lieblingsobjekts in der Vallejo Street. Für die anderen beiden Immobilien – North Beach und Mission Street – hatte er sich aus rein strategischen Gründen entschieden. Sobald sie fertiggestellt waren, würde er sie zum Verkauf anbieten.

Billig kaufen, klug renovieren, teuer verkaufen. Das war von Anfang an seine Devise gewesen.

Aber die Immobilie in der Vallejo Street … Für dieses viktorianische Haus aus den 1940er-Jahren hatte er vor fünf Jahren aus einer Laune heraus viel zu viel Geld bezahlt. Das war ihm noch nie zuvor passiert und auch danach nicht wieder. Allerdings hatte er das Potenzial der drei Stockwerke mit ihren insgesamt 450 Quadratmetern auf den ersten Blick erkannt, auch wenn das Gebäude praktisch schon auseinanderfiel.

Seitdem hatte er sich noch mehr auf andere Projekte konzentrieren müssen, um das verlorene Kapital wettzumachen. Hier in der Vallejo Street arbeitete er nur, wenn es seine Zeit erlaubte.

Deswegen dauerte der Umbau auch so lange. Seit einem Jahr diente ihm das Erdgeschoss als Büro und als Wohnung. Das würde sich ändern, sobald er verkaufte. Und das musste er, weil er Kapital für neue Projekte brauchte.

Er ging zu einem der bodentiefen Fenster und sah hinaus. Es war schon fast dunkel. Die Stadt mit der Golden Gate Bridge und der weiten Bucht erwachte erneut zum Leben.

„Kumpel!“ Das kam von Mason, seiner rechten Hand, der in der Tür erschien. „Wir müssen die Arbeiter diese Woche hierherbestellen, weil du hier mit deiner Höhenangst nicht arbeiten kannst … Hörst du mir zu?“

„Klar“, sagte Keane in Richtung Fenster. Er konnte das Pacific-Heights-Gebäude sehen und stellte sich Willa vor. Sie trug bestimmt wieder eine Schürze mit irgendeinem schlauen Spruch darauf und werkelte mit ihrem dazu passenden Charme in ihrem Laden herum.

Jemand schnaubte. Sass. Seine Bürochefin hatte ebenfalls den Raum betreten, und niemand kam schneller zum Punkt als sie.

„Er hört mir nicht zu“, beschwerte sich Mason.

„Kein bisschen“, stimmte Sass ihm zu.

Der Wecker, den Keane sich auf seinem Handy gestellt hatte, klingelte. „Ich muss gehen“, sagte er. „Ich habe noch zehn Minuten Zeit, Pita abzuholen, bevor das South Bark schließt.“

„Ich könnte sie für dich abholen“, bot Sass an. „Was ist?“, fragte sie, als Mason der Mund aufklappte. „Ich bin immer so nett.“

„Du bist nie nett“, sagte Mason.

„Immerzu.“

„Ach ja? Nenn mir nur ein Beispiel“, forderte Mason sie heraus.

„Nun, ich wollte dir eigentlich den ganzen Tag schon eine Kopfnuss verpassen“, sagte sie. „Und habe es nicht getan. Siehst du? Das war außerordentlich nett.“

Keane verzog sich, während die beiden noch diskutierten. Zu Fuß brauchte er weniger als fünf Minuten zum South Bark. Aber Pita würde der Rückweg durch die kühle Abendluft nicht gefallen, deswegen nahm er das Auto.

Einen Parkplatz zu finden war wie immer eine Katastrophe. Erst nach zwanzig Minuten hatte er Erfolg.

Er ging durch den Innenhof, bewunderte einen Moment lang die wunderschöne Architektur des alten Gebäudes, das Kraggewölbe und die freiliegenden eisernen Fachwerkträger, die Panoramafenster, das Kopfsteinpflaster unter seinen Füßen und den riesigen Springbrunnen in der Mitte, in den irgendwelche Idioten Münzen warfen und sich die große Liebe herbeiwünschten.

Alles war weihnachtlich geschmückt. Tannenzweige mit blinkenden Lichterketten hingen über jeder Tür und in jedem Fenster, und zur Straße hin entdeckte er einen gigantischen Weihnachtsbaum.

Aber nicht aus diesem Grund blieb er abrupt stehen. Sondern wegen der Hochzeitsvorbereitungen, die hier gerade stattfanden. Zumindest vermutete er, dass es sich um eine Hochzeit handelte. Weiße Blumen und Lichter und Kerzen, mit Nelken gespickte Orangen und jede Menge Stechpalmenzweige, die einen ziemlich stark gebogenen Torbogen schmückten …

Er zuckte zusammen, als der Bogen scheppernd umfiel.

„Mist!“

Das hatte eine Frau mit rotblondem, eigentlich eher rotem Haar ausgestoßen.

Willa hockte tief gebeugt neben dem umgefallenen Torbogen und versuchte … weiß Gott was. „Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße“, schimpfte sie, während sie wie verrückt eine Nagelpistole schüttelte. „Warum tust du mir das an?“

Autor

Jill Shalvis

New York Times-Bestsellerautorin Jill Shalvis lebt in einer Kleinstadt in Sierras, voller verschrobener Mitmenschen. Jegliche Ähnlichkeit mit den Quirky Charakters in ihren Büchern ist, naja, meistens zufällig. Besuchen Sie sie auf ihrer Website www.jillshalvis.com, um mehr über Jills Bücher und ihre Abenteuer als Berge erklimmendes Stadtkinde zu lesen.

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