Leinen los - Ein Jahr voller Hundeglück

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Cat hätte sich vorher denken können, dass ein neugieriger Hundewelpe in einem Kindergarten nur Chaos bedeuten kann. Trotzdem, mit einer Kündigung hat sie nicht gerechnet. Wild entschlossen sich nicht unterkriegen zu lassen, macht sie sich als Hundesitterin selbstständig. Und plötzlich hat Cat alle Hände voll zu tun, mit den Hunden, aber auch mit den Träumen und Problemen ihrer Besitzer. Zum Glück ist da Joe, der ihr bei all dem zur Seite steht …

Herzerwärmend und wundervoll ... überschäumend mit Charakteren, die Sie lieben werden.' Miranda Dickinson


  • Erscheinungstag 06.02.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783956499395
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Danksagung

Ein herzlicher Dank an meine fantastische Verlegerin, Kate Bradley, die mit mir zusammen das Risiko auf sich nahm und mich ganz wunderbar unterstützt hat und die mir von Anfang an eine Hilfe und Freundin gewesen ist.

Ein Dankeschön an Mary Chamberlain und Juliet Von Oss, meine Lektorinnen, die mit Geduld und Präzision dafür gesorgt haben, dass meine Worte Sinn ergeben.

Dank an das ganze HarperCollins-Team: an Charlotte Brabbin, Amy Winchester, Kim Young, Katie Moss, Martha Ashby, Ann Bissell und Charlotte Ledger.

Mein Dank geht auch an Alexandra Allden, die Gestalterin des wunderbaren Einbands.

Für das, was gemeinhin als ein einsames Unterfangen angesehen wird, hatte ich während der Arbeit eine Fülle von Ratschlägen, Ermutigung und so manche brillante Idee von zahlreichen Autorinnen und Autoren. Erwähnen muss ich Alexandra Brown, Lucy Robinson, Miranda Dickinson, Holly Martin, Lisa Dickenson, Belinda Jones, Hannah Beckerman, Sarah Perry, Ali McNamara, RJ Ellory und Edith Griffiths. Ich bewundere euch alle.

Dank an das Team Novelicious – ich bin ziemlich sicher, dass ich ohne euch heute nicht hier wäre. Besonders Kirsty Greenwood und Cesca Major, die auch in dem vorhergehenden Absatz hätten Erwähnung finden sollen und bessere Cheerleader waren als Kirsten Dunst.

Dank an alle Blogger, mit denen ich über Bücher geplaudert und gepiepst und getwittert habe, danke dafür, dass Ihr über mein Buch geplaudert und getwittert habt.

Bedanken möchte ich mich bei Katy Jones, die die Weichen für mich gestellt hat.

Ein herzliches Dankeschön an meine Familie und meine Freunde – an Emily und Joe für ihre guten Ratschläge, an Tina, Debbie, Judy und Cousine Rachel, die meine Geschichte mit Begeisterung begleitet haben, und an Tom, Sandra, Jon, Lisa, Tim und Suzanne. An Lynsey, die mich als großartige Freundin sehr unterstützt hat! An Kate und Tim für all die Gründe zum Lachen, für Kreta und den Hibiskus. An Kate Gaustad, meine beste Freundin seit über zwanzig Jahren.

Dank an die besten Teamkameraden – Chris „The Rottweiler“ Williams, Well Done Ben Dunne und Anne Tansley Thomas – die sich alle täglich abfinden mussten mit meinen im Werden begriffenen Geschichten und nun zurechtkommen müssen mit den jetzt veröffentlichten. Das ist einfach VERRÜCKT.

Dank an Katy Chilvers, die vielleicht aufgeregter als ich war und die mir bei der romantischen Heldensuche geholfen hat. Aramis muss für vieles geradestehen.

Ich bedanke mich bei allen, die mein Buch lesen – ihr helft, dass mein Traum wahr wird. Danke, und ich hoffe, ihr habt Freude daran!

Dank an Lucy, meine Schwester, die (mit zwölf) die beste Detektivgeschichte geschrieben und mich damit angespornt hat. Mein Dank geht auch an Mama und Papa für eure beständige Unterstützung und Inspiration; dafür, dass ihr alles gelesen habt und mir euer unparteiisches, konstruktives Feedback sowie eure ganz parteiische Ermutigung habt zuteilwerden lassen. Ich habe wirklich Glück, dass ich eure Tochter bin.

Dank gebührt David, der vom ersten Wort an mich geglaubt hat – durch all die schwierigen Perioden, die lustigen Perioden und die mit Champagner – und der der großartigste Mensch ist, den ich je kennengelernt habe. Ohne dich hätte ich diese Danksagung überhaupt nicht schreiben können.

Zu guter Letzt bedanke ich mich bei den Hunden, die ich kenne und liebe: bei Max und Timmy, die mich in ihr Körbchen ließen; bei Huey und Ella und Humph; bei dem schönen, durchtriebenen Wags und auch bei Pete (dem schlimmsten Hund), der so viel Angst vor dem hölzernen Nilpferd hat. Natürlich könnt ihr das hier nicht lesen, aber irgendwo spielt ihr alle in der Geschichte mit.

GUMMISTIEFEL UND WESTIES

TEIL 1

1. Kapitel

„Bleib einfach in der Tasche, bis ich es sage, okay? Du hast zwei Möglichkeiten, und das ist die eine.“

Cat drückte den wuscheligen Kopf des Tieres zurück in ihre geräumige türkisfarbene Handtasche und hievte sie dann über die Schulter. Dabei strich sie sich eine Strähne ihres kurz geschnittenen kastanienbraunen Haares aus der Stirn. Die Sonne kam nur zögerlich hervor, und der Frühmärztag war zu kalt, als dass man ihn hätte mild nennen können, aber immerhin strengte er sich an. Und der Gedanke, nun endlich den Winter hinter sich zu haben, beflügelte ihre Schritte. Sie ging auf die Eingangstür des Fairway-Kindergartens zu, während sie den Eltern lächelnd zunickte, die ihre Kinder an diesem Morgen brachten. Die meisten schoben die Kleinen im Buggy, manche begleitet von älteren Kindern, die auf dem Weg in die Grundschule waren. Cat hoffte, dass niemand die ungewöhnliche Wölbung ihrer Handtasche bemerken würde. Alison war schon im Büro und gerade damit beschäftigt, die Liste mit dem Tagesprogramm auszudrucken; dabei hörte sie aufmerksam die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter ab. Einige Eltern hatten angerufen, um ihre Kinder wegen Krankheit zu entschuldigen, andere, um sich nach den Öffnungszeiten über Ostern zu erkundigen.

Cat nahm die Tasche von der Schulter und stellte sie vorsichtig auf den Stuhl an der Garderobe. Die Tasche bewegte sich ein bisschen, und die Schlüssel darin klimperten vernehmlich. Alison warf ihr einen fragenden Blick zu, wobei sich ihre feinen dunklen Augenbrauen unter dem matt glänzenden Pony zusammenzogen. Betont gelassen legte Cat Schal und Mantel ab, hängte beides an den Haken und setzte den Wasserkessel auf.

„Guten Morgen“, sagte Alison, als sie die Nachrichten zu Ende abgehört hatte. „Hattest du ein schönes Wochenende?“

„Ja, danke. Ich war spazieren, habe ausgeschlafen und bin mit einer Freundin essen gegangen.“

„Mit Polly?“

„Ja.“

„Die, mit der du zusammenwohnst?“

„Ja, und mit ihrem Bruder.“ Cat goss Milch in ihren Tee und tat ein Stück Würfelzucker in Alisons Kaffee. „Ich kenne sie seit Jahren, und als ich dieses Jobangebot bekam …“, sie geriet ein wenig ins Stottern, „sie hatten Platz, und so …“ Ihre Worte verloren sich, und sie fragte sich, wie ihre Chefin – sie war ein paar Jahre älter und knapp zehn Zentimeter kleiner als sie – es anstellte, dass Cat ständig das Gefühl hatte, ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Vielleicht war es heute aber auch besonders stark; denn während sie zu Alison hinüberblickte und auf die gedämpften Geräusche lauschte, die aus ihrer Handtasche drangen, wurde Cat klar, dass sie die schlechteste Entscheidung seit ihrem Umzug nach Fairview getroffen hatte.

Sie pustete in ihren Tee und versuchte, entspannt zu wirken. „Und wie war dein Wochenende so?“

„Gut.“ Dabei nickte Alison einmal kurz. „Kannst du mir helfen, den Kindern die Jacken auszuziehen? Ich will die Kleinen gleich hereinlassen.“

Cat verdrehte die Augen. Wieder einmal war es ihr nicht gelungen, auch nur den kleinsten Einblick in das Privatleben ihrer Chefin zu bekommen, irgendeine Information, die Cat hätte verraten können, warum eine Frau Anfang dreißig so völlig ohne Wärme war und trotzdem einen Kindergarten leitete. Cat war schon immer stolz auf ihre Fähigkeit gewesen, Leute richtig einzuschätzen, aber an Alison biss sie sich die Zähne aus.

Sie folgte ihr in den Gruppenraum. Kleine Stühle und Tische standen vor einer Tafel, und auf einem weichen roten Teppich lagen Sitzkissen für die Märchenstunde. In der gegenüberliegenden Ecke war der Bastelbereich mit einem Spülbecken, Farbtuben und einem Haufen grellbunter Schürzen.

„Wir nehmen die Liste mit auf den Teppich, dann beginnen wir mit dem ersten Programmpunkt und stellen verschiedene Geräusche vor.“

„Machen wir.“ Cat wusste das alles längst. Alison bereitete ihren Unterricht immer bis ins kleinste Detail vor und besprach mit Cat jeden Freitagnachmittag den Plan für die folgende Woche. Dabei stellte sie sicher, dass es keinen Spielraum für Abweichungen oder spontane Änderungen gab. Cat hätte gern noch mehr gesagt, aber da sie den Job als Assistentin erst seit zwei Monaten hatte, hatte sie sich das immer verkniffen und sich stattdessen bemüht, Alisons Vorgaben genau zu folgen. Jedenfalls bis zu diesem Tag.

Draußen vor der Tür standen Peter und Tom und drückten ihre Nasen an der Glasscheibe platt. Cat winkte ihnen zu, und sie winkten zurück mit ihren kleinen Händen, die in wollenen Fäustlingen steckten. Hinter ihnen wartete Emma, die für ihre vier Jahre schon recht erwachsen war, während ihre Mutter den Kinderwagen des kleinen Bruders hin- und herschob. Emma hielt Olaf an der Leine, einen Cockerspanielwelpen, der an allen Schuhen herumschnupperte und mit dem Schwanz wedelte.

„Ich lasse sie jetzt herein“, sagte Alison.

Cats Winken erstarrte plötzlich, und ihr drehte sich der Magen um. Der kleine Hund hatte ihre Gedanken zurück zu ihrer Handtasche und deren Inhalt gelenkt.

„Bin gleich zurück“, rief sie, als sie aus dem Raum eilte. Alison seufzte vernehmlich und stieß die Doppeltür auf.

Cats Handtasche war auf den Fußboden bis zur Mitte des Büros gerobbt und bewegte sich auf die Tür zu.

Was, wenn Alison das gesehen hätte? Hätte sie die Polizei gerufen? Hätte sie die Tasche hinausgeworfen? Cat begann zu ahnen, dass ihr Plan nicht einfach dumm war, sondern vollkommen irre. Sie nahm die Tasche hoch, öffnete den Reißverschluss weiter und sah eine schwarze Knopfnase, die an der Öffnung schnüffelte, gefolgt von flauschigem grauem Fell. Schließlich schauten zwei dunkle Augen zu ihr auf. Cats Herz setzte einen Schlag aus und schmolz gleichzeitig dahin, wie immer, wenn sie Disco sah, den kleinen Schnauzerwelpen ihrer Nachbarin Elsie.

„Psst, Disco“, flüsterte sie. „Wir gehen nun in das andere Zimmer. Du musst jetzt also wirklich ganz still sein.“ Cat verlieh dieser Anweisung mit einem Leckerchen aus ihrer Tasche Nachdruck, doch natürlich war ihr trotzdem klar, wie nutzlos sie war. Man musste kein Hundeexperte sein, um zu wissen, dass „ganz still sein“ nichts war, was man einem Welpen verordnen konnte. Sie hängte sich die Handtasche über die Schulter und ging möglichst gelassen zurück in den Gruppenraum. Alison war unterdessen dabei, die Jacken und Mützen der Kinder wegzuhängen. Die Eltern halfen ihr, auch wenn ihnen anzumerken war, dass sie ihre Kleinen nur widerstrebend gehen ließen, selbst für wenige Stunden. Alison warf Cat einen vielsagenden Blick zu. Cat stellte ihre Tasche so weit wie möglich vom Teppich entfernt im hinteren Bastelbereich ab. Aus der Tasche kam ein schwaches Jaulen, und Cat griff mit der Hand hinein, kraulte Discos dickes warmes Fell und zog den Reißverschluss dann etwas weiter zu.

„Cat?“, rief Alison mit hoher und gepresster Stimme. „Könntest du mir wohl helfen?“

Cat eilte zur Tür, begrüßte die nächsten Kinder und ließ sie herein. Sie nahm ihnen die Jacken ab und half ihnen, sie an die bunten Garderobenhaken zu hängen. Emma beugte sich zu Olaf herunter, um sich von ihm zu verabschieden. Alison erschien neben ihr, und trotz ihrer zierlichen Gestalt bot sie einer Vierjährigen einen recht imposanten Anblick.

„Komm jetzt, Emma“, sagte sie, „lass den Hund in Ruhe. Es ist Zeit, hineinzugehen.“

Emmas Mutter legte ihre Hand auf die Schulter ihrer Tochter. „Er heißt Olaf.“

„Ah ja“, antwortete Alison, „wir können aber keine Hunde mit reinnehmen. Einige Kinder sind allergisch dagegen.“

„Du meinst wohl eher, du bist allergisch gegen ein bisschen Spaß“, murmelte Cat leise. Hinter ihr prustete der dreijährige Peter vor Lachen, und seine Augen blitzten schelmisch auf.

„Psst“, sagte sie, „verrat mich nicht.“ Augenzwinkernd lächelte sie Peter zu und schickte ihn dann auf den flauschigen Teppich. Emma zog ihre Jacke aus, und Cat sah, dass das Mädchen wütend dreinblickte und die Tränen nur mit Mühe zurückhalten konnte. Gern hätte sie sie in den Arm genommen, aber sie wusste, dass Emma das nicht recht gewesen wäre. Noch viel lieber hätte Cat zur Freude aller Kinder Disco aus der Tasche gelassen und Alison damit in einen Nervenzusammenbruch getrieben. Sie sah, wie die Leiterin des Kindergartens die letzten der ihr anvertrauten Kleinen hereinließ, die Tür schloss und sich mit ihren schlanken Händen über das Haar und den Rock strich, ehe sie sich den Kindern zuwandte und in die Hände klatschte.

Alle versammelten sich auf dem Teppich, Alison vorn auf einem der Sitzkissen, Cat mit übereinandergeschlagenen Beinen in der Mitte, die Kinder um sie herum. Sie trug ein Kleid mit rot-weißem Blumenmuster, dazu Leggings und Stiefel. Ihre Fingernägel hatte sie bunt wie Smarties lackiert, weil sie wusste, dass das den Kindern gefiel. Bestimmt griffen sie bald nach ihren Händen, um die glatten farbenfrohen Nägel zu berühren.

Alison nahm die Liste und erklärte den ersten Programmpunkt, der da hieß: „Was für ein Geräusch ist das?“ Sie schüttelte zwei rosafarbene Plastikrasseln. Die Kinder quiekten und kicherten und langten nach der Kiste mit den Instrumenten.

„Nein, Kinder“, wehrte Alison ab und hielt einen Finger hoch. „Ich gebe nachher jedem von euch ein Instrument, aber zuerst müsst ihr mir sagen, was für ein Geräusch es macht.“ Sie schüttelte die Rassel erneut. „Was ist das?“

„Schlangen!“, rief Andrew.

„Es klingt etwas wie das Klappern einer Schlange, nicht wahr? Ausgezeichnet.“

Einige Kinder machten das Geräusch nach: „Wwwhhssssshhhhh.“

„Gut.“ Sie verteilte Rasseln an einige der Kinder.

„Es hört sich an wie Sand“, sagte Emma.

„Ausgezeichnet, Emma“, lobte Alison. „Und was hat noch etwas größere Körner als Sand?“

Emma dachte einen Moment nach. „Steine?“

Alison nickte. „Kleine Steinchen oder Samen von Pflanzen.“ Sie gab Emma eine Rassel. „Gut gemacht. Die Rasseln sind mit Samen gefüllt, manchmal auch mit kleinen Steinchen. Wenn man sie schüttelt, machen sie so ein Geräusch. Jetzt alle, was ist das?“

Die Kinder riefen wie im Chor „Trommeln!“, als Alison eine kleine Bongotrommel herauszog und darauf zu klopfen anfing. „Und was macht man mit einer Trommel?“

„Man schlägt sie! Man haut drauf!“

Es war Cat, als hörte sie ein leises Jaulen vom anderen Ende des Raums, aber ein kurzer Blick sagte ihr, dass ihre Handtasche sich eigentlich nicht bewegt haben konnte. Sie entspannte sich wieder und beteiligte sich am Trommeln und dem Austeilen der Instrumente.

Alison zog das nächste Objekt aus ihrer Kiste, und Cat erstarrte.

„Weiß jemand, was das ist?“, fragte Alison. Sie hielt einen kleinen Metallgegenstand hoch.

Die Kinder sahen etwas verdutzt aus. Dann nahm Emma einen tiefen Atemzug, und ihr Finger schnellte in die Höhe, als ob sie die Decke berühren wollte.

„Ja, Emma?“

„Eine Pfeife?“

Alison lächelte. „Das stimmt, es ist eine Pfeife. Und was für ein Geräusch macht sie?“

Emma spitzte die Lippen zu einem gespannten „O“, drauf und dran, einen Ton von sich zu geben, da sprang Cat vom Teppich auf und hüpfte geschickt zwischen den Kindern hindurch, um zu ihrer Handtasche zu gelangen.

„Cat? Wo gehst du hin?“ Alisons Ton war freundlich, aber Cat hörte dennoch die Schärfe darin.

„Ich – ich muss nur eben …“ Sie stahl sich weg in Richtung ihrer Handtasche.

„Bitte setz dich wieder hin“, sagte Alison mit gespielter Herzlichkeit. „Wir haben doch so viel Spaß.“

Verzweifelt schielte Cat nach der Tasche, kam dann aber zurück und setzte sich langsam wieder auf den Teppich; dabei fragte sie sich, ob sie das Unvermeidliche irgendwie hinauszögern könnte. Sie zwang sich zu einem Lächeln.

Alison fuhr fort. „Welches Geräusch macht die Pfeife, Emma?“

Emma spitzte wieder die Lippen und blies, so stark sie konnte. Was dabei herauskam, war ein schwaches Prusten. Emma guckte überrascht. „Meine Mama kann das aber“, sagte sie.

Alison nickte. „Man braucht ein bisschen Übung, aber du bist nah dran. Das hier“, sie hielt die Pfeife hoch, „macht es für dich.“ Sie presste die Pfeife an ihre Lippen und blies.

Die Kinder kreischten, einige hielten sich die Ohren zu, und Tom rief: „Hund!“

Alison runzelte die Stirn und versuchte, die Kinder per Handzeichen zur Ruhe zu bringen. „Hund?“

Cat wagte einen kurzen Blick auf ihre Handtasche. Sie war noch immer an derselben Stelle.

„Hund!“, rief Tom wieder, wobei er mit dem Hintern auf dem Teppich auf und ab hüpfte. „Hund!“

„Nun ja“, sagte Alison langsam, „viele Leute benutzen das, um Hunde zu trainieren, aber …“ Plötzlich wurde sie durch ein zwar leises, aber entschlossenes Jaulen unterbrochen.

„Hund!“, kreischte Tom wieder, und die anderen Kinder machten mit. „Hund, Hund, Hund!“

Cat sank auf die Knie. Wenn sie schnell auf allen Vieren krabbelte, würde sie vielleicht noch rechtzeitig ankommen. Kinder waren fantasievoll; man könnte das Ganze als übermäßige Begeisterung abtun. Aber da kamen auch schon die kleine schwarze Nase, das graue Fell und schließlich der ganze flaumige Hundekopf zum Vorschein. Neugierig guckte Disco aus der Handtasche, machte mit Druck den Reißverschluss auf, und schwups war sie ganz draußen. Das kleine Tierchen rannte auf seinen kurzen Beinchen auf Cat zu, stieß dabei drei Farbeimerchen um und lief dann mitten unter die Kinder, die begeistert quiekten.

Disco sprang auf und ab, jaulte kurz, schnüffelte und erkundete die Geräusche, Gerüche und die warmen Körper um sich herum. Ihre kleinen Pfoten tapsten an Knien hoch, und die Kinder streckten ihre Patschehändchen aus, um das Tier zu streicheln und zu knuddeln. Cat versuchte, den Welpen zu sich zu ziehen, aber Disco und die Kinder hatten viel zu viel Spaß zusammen. Und so drehte Cat sich um, um die Reaktion ihrer Chefin zu prüfen. Dabei kam ihr kurz der Gedanke, ob Alison nicht vielleicht sogar davon angetan sein könnte, dass Cat den Kindern eine solche Freude bereitet hatte. Doch ein Blick in ihre Richtung genügte, um Cat schlagartig klarzumachen, dass sie verloren war. Alison stand mit verschränkten Armen da und starrte Cat wutentbrannt an. Sie machte nur eine Handbewegung in Richtung des Hundes – Worte waren nicht nötig.

Disco stand mit ihren Vorderpfoten auf Peters Knie, und Cat sah mit Schrecken, wie sich der Teppich um die Hinterbeine des Tieres mehr und mehr dunkel färbte.

„Pipi!“, quiekte Peter.

Cat nahm den Welpen hoch und drückte den zappelnden Körper eng an sich. Die Kinder streckten ihre Hände nach dem Tierchen aus, und als Cat den Teppich verließ, fiel ihr Blick auf Emma. Das kleine Mädchen grinste spitzbübisch mit unverhohlener Befriedigung.

„So, Kinder“, sagte Alison mit kalter Stimme, „das sind genug Geräusche für heute. Ihr setzt euch jetzt schön auf eure Stühle, und dann können wir bis zur Obstpause ein bisschen malen. Cat, du wartest im Büro auf mich.“

„Alison …“ Cat machte einen zaghaften Versuch. „Soll ich das nicht eben wegmachen?“

„Ich kümmere mich darum, sobald ich kann.“ Alison wandte sich wieder den Kindern zu. Peter zog an Cats Rock, er strahlte über das ganze Gesicht. „Ja“, sagte sie, „was ist, Peter?“

„Allergisch gegen Spaß“, sagte Peter und zeigte mit dem Finger auf Alison. „Hatschi!“

„Wie konntest du mir das nur antun, Catherine? Nach allem, was wir besprochen haben? Nach all den Regeln, die wir durchgegangen sind.“

„Es tut mir leid, ich habe nicht nachgedacht.“ Cat lehnte sich gegen den Tisch im Büro. Disco war an einer Bank draußen neben der Hintertür angebunden, weil Alison es keinen Moment länger aushalten konnte, „es“ anzugucken, nicht nach dem Unheil, das „es“ angerichtet hatte. Cat bezweifelte, dass es ihrer Sache mehr Gewicht verleihen würde, wenn sie Alison darauf hinwies, dass Disco eine „Sie“ und kein „Es“ war.

„Du denkst einfach nicht mit, schon gar nicht an die Sicherheit des Kindergartens. Du hast zwar Fantasie und gute Ideen, aber du machst dir nicht einen Moment Gedanken über deren Folgen.“ Alison lief in dem winzigen fensterlosen Raum auf und ab, wobei ihr langer Zopf hin und her wippte und ihre Arme und Beine vor Wut ganz angespannt waren. „Wie konntest du nur glauben, dass ein Hund in meinem Kindergarten irgendjemandem guttun würde? Die Kinder hätten verletzt werden können, sich anstecken – irgendwas!“

„Ich habe nur einer Freundin helfen wollen“, sagte Cat leise. „Aber jetzt weiß ich, dass ich das nicht hätte tun dürfen.“ Sie scharrte mit der Fußspitze über den Boden und sah zur Tür.

„Ach ja?“, schoss Alison zurück. „Wirklich? Ich denke nämlich, dass du genau dasselbe noch einmal tun würdest, wenn du die Gelegenheit dazu hättest. Du führst keine Sache richtig zu Ende, Cat. Und das täte die Assistentin, die ich brauche. Es klappt nicht mit uns beiden, aber das hast du dir wohl schon gedacht.“

Cat bekam ein flaues Gefühl in der Magengegend. „Wenn du mir noch eine Cha…“

„Nein!“ Alison schüttelte energisch den Kopf. „Die Chance hast du vertan. Ich bin überrascht, dass du dich auf deiner letzten Stelle so lange halten konntest. Man kann sich nicht auf dich verlassen, du bist keine Hilfe, ehrlich gesagt störst du nur den Betrieb. Deine Zeit hier im Fairway-Kindergarten ist vorbei, und wenn ich nicht so wütend auf dich wäre, würde ich dich regelrecht bedauern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du mit diesem Verhalten irgendwo anders Erfolg haben wirst. Geh jetzt zur Hintertür raus, und nimm das Ding mit.“

„Darf ich mich denn wenigstens verabschieden?“

„Nein. Du bekommst in einem Schreiben meine Entscheidung noch einmal offiziell mitgeteilt, und dein restliches Gehalt wird dir überwiesen.“

Cat starrte auf den Fußboden, unfähig zu irgendeiner Reaktion, während Alison den Raum verließ und die Tür hinter sich zuschlug. Dann stieß sie sich vom Tisch ab, unterdrückte das Schluchzen, das in ihrer Kehle hochstieg, und nahm ihren Mantel vom Haken. Draußen hatte Disco die Leine ganz um ein Bein der Bank gewickelt und saß da, die Nase an das Holz gepresst, als ob sie zur Strafe in der Ecke stehen müsste. Genau so fühlte sich Cat.

Als Cat den Kindergarten verließ, schien die Sonne vom klaren Himmel und ließ den Raureif zu kristallenen Tropfen schmelzen. Cat würde nicht wiederkommen, es sei denn, Alison bekäme mithilfe einer Transplantation etwas Sinn für Humor eingepflanzt. Sie war hier nicht mehr willkommen – das hieß auch, sie hatte keinen Job mehr.

„Na gut“, sagte sie zu der kleinen Hündin, die zu Cats Füßen den Bürgersteig entlangsprang, an den Grasrändern schnüffelte und kräftig an ihrer kurzen Leine zog. „Zumindest sind wir mit dem Leben davongekommen. Zwischenzeitlich war ich mir da nicht so sicher, du?“

Als Antwort ließ Disco ein leises Jaulen vernehmen, und Cat schlug eine andere Richtung ein, ging am Rand des Fairview- Parks entlang und ließ die Hände über das schwarze Geländer eines Zauns gleiten. Von der Idylle ihrer neuen Heimat war sie immer noch begeistert. Hier gab es den Strand, den Park und breite ruhige Straßen, die eher zum Schlendern einluden, als zur Eile anzutreiben. Fairview war nicht groß. Der Ort lag an der Seeseite der Südküstenstadt Fairhaven, und Cat hatte schon einige besonders reizvolle Stellen der Gegend kennengelernt. Im Fairview-Park war es schön und friedlich, dort fühlte sie sich besonders wohl. Die weiten Grasflächen wurden von kleinen Wegen durchzogen; der ovale Teich und der Pavillon mit dem Café lagen etwas zurück hinter hohen immergrünen Gehölzen, die den Park von den umliegenden georgianischen Reihenhäusern trennten; auch das Rauschen des Meeres, nur zwei Straßen weiter, wurde durch die Hecken und Büsche gedämpft.

Zu dieser frühen Stunde war der Park voller Leben: Hundebesitzer führten ihre Lieblinge aus, und Paare gingen in der Frühlingssonne spazieren. Disco war noch nicht alt genug für lange Spaziergänge; ihre kurzen Beinchen wurden schnell müde, obwohl sie ansonsten über eine grenzenlose Energie zu verfügen schien. Die kleine Hündin blieb stehen und schnüffelte begeistert an einem der Geländerstäbe; Cat wartete ab und ließ sie gewähren – sie musste ja nirgendwohin.

Einige der regelmäßigen Besucher des Parks kannte Cat bereits. So sah sie etwa Mr. Jasper in der Nähe einer Baumgruppe hin und her laufen; er hatte den Kopf gesenkt, als hätte er soeben wieder eines seiner Protestschilder aufgestellt und wollte von keinem der Hundebesitzer, die er allesamt verachtete, erkannt werden. Cat spürte plötzlich eine Anspannung in den Schultern; an diesem Tag hatte sie wirklich die Nase voll von Hundehassern. Alison mochte ja noch das Recht haben, gegen Hunde in ihrem Kindergarten zu sein, doch Cat war es ein Rätsel, wie Mr. Jasper glauben konnte, dass die Möglichkeit bestand, sämtliche Hunde aus dem Park zu verbannen.

Ein Tennisball landete mit Wucht diesseits des Zaunes, und Disco jaulte laut auf, als ein Bordercollie mit glattem Fell heranraste und nach dem Ball suchte. Der große Hund steckte seine glänzende Nase durch die Gitterstäbe, um Disco zu begrüßen. Cat kauerte sich hin und streichelte die Schnauze des Hundes. Als sie wieder aufblickte, sah sie, dass jemand sie beobachtete. Der Mann war groß und breitschultrig; ein wilder Schopf von dichtem dunkelbraunem Haar umrahmte sein Gesicht, das scharf geschnittene attraktive Züge hatte. Selbst aus der Entfernung spürte Cat die starke Wirkung seines Blickes. Der Mann hatte beide Hände tief in die Taschen seiner Lederjacke geschoben und den Kragen gegen die Kälte hochgeschlagen.

Immer noch sah der Fremde unverwandt herüber. Kein Zweifel, sein Blick galt nicht dem Hund, von dem Cat annahm, dass er ihm gehörte. Cat wurde plötzlich bewusst, dass sie den Atem anhielt.

Dann bellte Disco, biss in den Ärmel ihrer purpurfarbenen Jacke und zog daran. „Tut mir leid, Disco“, flüsterte sie. Vorsichtig zog sie den Kiefer des Tieres auseinander. Als sie wieder aufsah, war der Mann im Begriff, sich mit langen Schritten zu entfernen. Er pfiff kurz, der Collie nahm den Tennisball ins Maul und rannte ihm hinterher. Cat sah ihm nach. „War das wirklich seltsam, Kleines, oder habe ich mir das bloß eingebildet?“ Disco wedelte mit dem Schwanz. „Genau das habe ich mir gedacht.“

Als sie in ihre Straße einbogen, dachte Cat noch immer über das seltsame Beinahe-Zusammentreffen nach.

Primrose Terrace war eine elegante halbmondförmige Straße mit hohen, herrschaftlich wirkenden Stadthäusern. Einige waren in einem besseren Zustand als andere, doch alle besaßen ihren eigenen Charme. Jedes der Häuser war in einem anderen Pastellton gestrichen, zu den hohen Eingangstüren führten vom Bürgersteig aus jeweils drei breite Stufen. Die Rasenstreifen davor waren im Frühling gesprenkelt mit Primeln, und die auf alt gemachten Straßenlaternen gaben Cat das Gefühl, dass sie in die Zeit von Charles Dickens gereist war, wann immer auch nur der leiseste Nebelschwaden aufstieg.

Kurz nach Weihnachten war sie von dem nicht weit entfernten Brighton hierhergezogen, um in der Nähe ihrer Freundin Polly und weiter weg von ihren wohlmeinenden, aber neugierigen Eltern zu sein, und außerdem, um als Assistentin in dem Kindergarten anzufangen. Das war zugegebenermaßen ein recht kurzes Vergnügen gewesen – wobei der Ausdruck Vergnügen hier wohl nicht ganz passte. Nun war Cat plötzlich arbeitslos und hatte keinen blassen Schimmer, wie es für sie weitergehen sollte. Doch so verzweifelt sie auch war, sie wollte Joe so kurz nach ihrem Einzug nicht um eine Stundung der Miete bitten. Daher versuchte sie, keine Panik in sich aufsteigen zu lassen. Sie wohnte mit Polly und Joe in Nr. 9, Elsie Willows, Chalky und Disco in Nr. 10. Die Hausnummern waren aufsteigend auf einer Seite angeordnet und nicht nach gerade und ungerade getrennt. Obwohl Primrose Terrace Nr. 10 kleiner war als viele der anderen Häuser, galt das Haus als eines der schönsten. Es war in zartem Blau gestrichen mit glänzend weißen Fensterrahmen, die die großen Sprossenfenster besonders betonten. Die Eingangstür war so rot wie die Briefkästen, und neben die Stufen hatte Elsie Töpfe mit knospenden Hortensien gestellt.

Cat ließ Disco vor sich herspringen und klingelte. Es dauerte ziemlich lange, bis die Tür geöffnet wurde und Elsie im Eingang erschien, auf eine Krücke gestützt. Mit dem kurz geschnittenen weißen Pagenkopf, der Strickjacke und dem langen Rock sah sie so nett und adrett aus wie ihr Haus, und Cat fühlte, dass sie rot wurde.

„Es ging dann doch wohl nicht so gut, wie du gehofft hattest?“, fragte Elsie mit Blick auf Cats Gesicht, ehe sie die Tür weit öffnete und diese hereinbat. Dann humpelte sie hinter ihr her in das gut gelüftete Wohnzimmer.

Cat ließ Disco von der Leine, und der Welpe sprang zu dem Körbchen unter dem Fenster, wo Chalky, Elsies älterer Zwergschnauzer, sein Vormittagsschläfchen hielt. Disco rieb ihre Nase an Chalkys Gesicht, jaulte, nahm dann ein angeknabbertes Knuddelschweinchen ins Maul und baute sich erwartungsvoll vor dem älteren Hund auf.

„Nein“, seufzte Cat, und das Lächeln wich aus ihrem Gesicht. „Es war noch schlimmer als alle meine Worst-Case-Szenarien.“

„Ich habe dir ja gesagt, dass Alison nicht damit einverstanden sein würde.“

„Ich hatte gehofft, sie würde ihre Meinung ändern.“

„Das, Catherine, ist ein Triumph des Optimismus über den gesunden Menschenverstand, und das ist noch freundlich ausgedrückt.“

Cat streichelte Chalky und kraulte Discos Fell. Elsie ließ sich langsam in einen Sessel sinken.

„Ich wollte Disco nicht allein zu Hause lassen, während du bei deiner Untersuchung warst“, sagte Cat. „Welpen fühlen sich schnell einsam und machen dann irgendeinen Unsinn.“ Genau wie ich, dachte sie. „Mein Plan war, erst herauszufinden, in welcher Stimmung Alison ist, und Disco dann in der Pause hervorzuholen und zu den Kindern zu bringen.“

„Aber so weit ist es wohl nicht gekommen?“

Cat schüttelte den Kopf.

„Du weißt doch, wie Alison ist“, sagte Elsie, „und dass sie Hunde hasst. Sie hat sich vermutlich noch mehr darüber geärgert, dass du dich nicht an ihre Prinzipien gehalten hast, als über den Unsinn, den du – oder eben auch mein Hund – hättest anrichten können. Aber es tut mir wirklich leid, weil du mir damit einen Gefallen tun wolltest.“

„Wie war die Untersuchung überhaupt? Ich bin überrascht, dass du schon zurück bist.“

„Oh, alles in Ordnung.“ Elsie machte eine abfällige Handbewegung. „Das Knie heilt, aber recht langsam. Ich soll es möglichst noch ein paar Wochen schonen. Das wusste ich aber sowieso. Und, welche Nachteile hast du jetzt von der Episode? Suspendiert? Gehaltskürzung?“

„Gefeuert“, erwiderte Cat. „Keine zweite Chance, kein Verhandlungsspielraum. Möchtest du eine Tasse Tee?“

Elsie starrte sie fassungslos an, doch Cat stand auf und ging in die Küche, um Tee zu kochen und nach Schokoladenplätzchen zu suchen. Sie spürte immer noch ein leichtes Gefühl von Panik, aber jetzt, wo sie Elsie alles erzählt hatte, ging es ihr langsam besser. Als sie in die Primrose Terrace gezogen war, hatte sie nur vier Tage gebraucht, um sich mit ihren Nachbarn anzufreunden. Und was Elsie nicht über Fairview wusste, brauchte man auch nicht zu wissen. Die ältere Frau hatte gerade eine Knieoperation hinter sich, auf die sie lange gewartet hatte, und Cat half ihr und ging mit Disco und Chalky raus, wann immer sie konnte; manchmal kochte sie auch für Elsie oder leistete ihr einfach nur Gesellschaft.

„Es tut mir so leid“, sagte Elsie, als Cat mit dem Tablett zurückkam. „Ich hätte nicht gedacht, dass sie so weit gehen würde.“

Disco wuselte auf dem Sofa herum und suchte nach irgendwelchen Schätzen, die zwischen den Kissen verborgen zu sein schienen. Cat schenkte Tee ein und nahm den Welpen auf den Schoß. Disco zappelte, leckte Cats Hand und legte sich dann ruhig hin: eine atmende warme Kuscheldecke.

„Sie war unheimlich wütend“, antwortete Cat. „Es war eine verrückte Idee, das weiß ich. Aber ich habe wohl gedacht, dass sie begreifen würde, wie wunderbar Hunde sein können, wenn sie Disco erst einmal gesehen hätte. Ich meine, wie kann sich denn irgendjemand über so ein niedliches Tier ärgern?“

„Nicht jeder hat Hunde gern, und manche Menschen mögen sie eben gar nicht. Sie stinken manchmal, sind oft schmutzig und womöglich auch noch schlecht erzogen.“

„Ja, aber sieh doch bloß!“ Disco atmete ruhig, ihre kleinen Ohren bedeckten ihre Augen, und ihr Köpfchen ruhte auf den Vorderpfoten.

„Mir brauchst du das nicht zu sagen“, sagte Elsie voller Wärme, „aber ich glaube nicht, dass du Alison wirst überzeugen können. Ärgere dich nicht mehr über sie – was geschehen ist, ist geschehen. Du musst jetzt an dich denken und an das, was du tun willst.“

Cat blickte starr aus dem Fenster und sah einen Mann vorbeigehen, der einige Häuser weiter wohnte. Er hatte einen Neoprenanzug an und hielt ein Surfbrett unter dem Arm. Cat dachte, dass es heute trotz der Sonne recht kalt im Wasser sein musste. Sie rührte ihren Tee um.

„Cat?“, Elsie schaute sie erwartungsvoll an.

„Entschuldige, was?“

„Was willst du jetzt machen, wo du keinen Job mehr hast?“

Cat sah die Aufforderung in den Augen der älteren Frau und wusste, dass sie mit Selbstmitleid nicht davonkommen würde. „Ich habe keine Ahnung“, antwortete sie. Sie starrte auf ihre Hände und bemerkte, dass sich der Lack an einem ihrer Nägel zu lösen begann – auf dem, der orange wie eine Mandarine war.

„Wie wäre es mit deinem früheren Kindergarten? Würden die dich zurückhaben wollen?“ Elsie ließ nicht locker; das war eine ihrer hervorstechenden Eigenschaften. Man musste – in diesem Fall noch vor Sonnenuntergang – Lösungen finden und sich auf sie einigen.

Cat dachte an den kleinen Kindergarten auf einer Anhöhe nahe der Strandpromenade in Brighton. Dort war es sehr lebhaft und spontan zugegangen, ihr Exfreund Daniel, ein Lehrer, hatte sie ihrer Kreativität wegen den Leitern der Einrichtung empfohlen. Alles war hier so, wie es bei Alison nicht war, und mit seiner Hippie-Einstellung fiel der Kindergarten in Brighton wohl in keine der üblichen Kategorien. Aber Cat wollte trotzdem nicht dorthin zurück.

„Ja, das würden sie schon“, antwortete sie, „aber ich bin hierhergezogen, weil ich eine neue Sicht auf das Leben, eine neue Umgebung und neue Menschen kennenlernen wollte. Mir gefällt Primrose Terrace, und ich wohne gern mit Polly zusammen. Ich muss hier etwas finden.“

„Verstehe.“ Elsie streichelte Discos Fell. Die kleine Hündin war von Cat auf Elsies Schoß gesprungen und dann eingeschlummert. „Du bist begeisterungsfähig und mutig“, antwortete Elsie, „du könntest selbst etwas auf die Beine stellen. Vielleicht ist diese Idee verlockender, als dir jetzt schnell einen Job als Verkäuferin oder Kellnerin zu suchen.“

Cat strich sich mit der Hand über ihr kurzes Haar. „Fürs Kellnern habe ich eh nicht die nötige Geduld. Und ich habe nicht das künstlerische Talent meiner Mutter, um zum Beispiel Grußkarten zu gestalten, zu stricken oder Hüte zu entwerfen.“

„Was kannst du denn?“ Elsie machte eine wegwerfende Handbewegung, als Cat ihr einen scharfen Blick zuwarf. „So meine ich das nicht – ich weiß, dass du einen Schauspielabschluss hast und als Kindergartenassistentin qualifiziert bist, aber was kannst du machen? Was machst du gern? Wie wäre es mit dem Theater in Fairhaven? Die suchen bestimmt Freiwillige, und wenn es auch nur vor der Bühne ist.“

Cat drückte ihre Hand gegen das Sofa. „Aber ich muss Miete zahlen, und das Problem mit Theatern ist, dass sie nie Geld haben. Ich könnte mich bewerben, aber es würde Jahre – wenn nicht Jahrzehnte – dauern, bis ich eine bezahlte Arbeit bekäme.“

„Was machst du denn noch gern?“

„Lange baden, kochen – aber nur manchmal –, an der frischen Luft sein, am Strand spazieren gehen. Mich interessieren Menschen.“

Während sie sprach, schwand ihre Begeisterung dahin. Der anfängliche Schock war inzwischen abgeklungen; jetzt wollte sie nur noch ein ausgedehntes Bad nehmen und sich vor ihrer eigenen Dummheit verstecken.

„Das hört sich an wie ein Profil für Onlinedating, und zwar nicht gerade ein originelles.“

„Ich kann nichts dafür, dass ich so langweilige Interessen habe“, antwortete Cat. „In den meisten Dingen bin ich okay, nirgendwo außergewöhnlich, gut im ‚so tun als ob‘, gut auch mit Kindern und Tieren – außer dass Tiere Pollys Domäne sind.“

„Nur weil Polly eine Ausbildung zur Tierarzthelferin macht, heißt das noch lange nicht, dass du nicht auch mit Tieren kannst. Kein Selbstmitleid, junge Dame. Und du hast auch keine langweiligen Interessen. Ja, es stimmt, du hast heute ganz schön was abgekriegt – und daran bist du zum großen Teil selbst schuld –, doch du bist intelligent und begeisterungsfähig und könntest fast alles tun, was du anpackst. Was möchtest du aus deinem Leben machen, Cat Palmer? Betrachte die Situation doch als eine Chance.“

Elsie lehnte sich nach vorn und schenkte noch mal Tee nach. In diesem Augenblick richtete Disco sich auf – ihre Augen waren ganz wach –, sprang auf die Füße und stieß dabei an Elsies Arm. Elsie konnte nicht verhindern, dass sie den Tee über den Rest der Plätzchen schüttete.

„Du Racker“, schalt Elsie sie sanft.

„Aber immer noch ganz allerliebst“, sagte Cat mit Wärme. „Lieber als alles andere würde ich Zeit mit Disco verbringen. Ich würde meinen Kopf in ihr gesprenkeltes Fell drücken, würde sie ausführen und mit ihr auf dem Schoß fernsehen. Das kann ich doch hoffentlich die nächsten paar Tage tun, oder?“

„Du weißt, dass du dir Disco jederzeit ausleihen kannst. Aber ich dachte immer, dass Joe keinen Hund im Haus erlaubt?“ Dabei runzelte Elsie die Stirn.

„Stimmt“, erwiderte Cat leise, und eine nicht zu unterdrückende Gefühlsaufwallung schnürte ihr fast die Kehle zu. „Das würde er nicht erlauben. Er hat eine Katze, also sind Hunde anscheinend nicht gestattet. Wenn wir allerdings den richtigen Hund fänden, dann kämen die beiden bestimmt gut miteinander aus. Aber er ist da unerbittlich.“

„Er schien mir immer ein sehr angenehmer junger Mann zu sein, und ich weiß auch, dass Leute sehr sensibel in Bezug auf ihre Haustiere sein können – oft auch zu Recht –, aber ich bin überrascht, dass er dir nicht erlaubt, einen Hund zu halten.“

„Manchmal ist er ja ganz nett, doch die meiste Zeit ist er ein knurriger Miesepeter. Aber mit Polly wohne ich gern zusammen, ich bin gern hier in Primrose Terrace und möchte auch hier bleiben.“

„Oh, Kopf hoch! Fang nicht an zu weinen.“

„Das tue ich auch nicht.“ Cat schluckte und blinzelte. „Es ist nur, wenn eine Sache schiefgeht, dann scheint das alle anderen kleinen ärgerlichen Dinge in riesige Hindernisse zu verwandeln.“ Ihre Stimme zitterte leicht.

„Deswegen musst du jetzt selbst die Initiative ergreifen und nach vorn schauen. Geh weiter vorwärts. Und nimm dir noch einen Keks.“

Cat blickte auf den Teller, wo die Plätzchen im Tee schwammen. Sie zuckte die Achseln und steckte sich ein Plätzchen in den Mund, ehe die Schokolade ihr die Hand verschmieren konnte. „Ich kann Disco und Chalky wenigstens sehen, und ich werde beide zweimal täglich ausführen, bis du wieder auf den Beinen bist.“

„Ja, das hört sich doch schon viel besser an!“

„Viel Frühlingssonne und deine beiden allerliebsten Hunde, das ist genau das, was ich brauche, während ich einen Plan ausarbeite.“ Cat schnippte mit den Fingern, und Disco sprang quer über den Teppich und begann, ihr Handgelenk zu lecken. Cat lachte, als die Schnurrhaare des Tieres ihre Hand kitzelten.

„Damit könntest du recht haben.“ Elsie trommelte mit den Fingern gegen ihre Lippen, und ihr Blick ruhte auf dem dichten Rasenstreifen vor dem Fenster, wo die Primeln gerade anfingen, durch die Erde zu stoßen. „Ich glaube, Cat, dass du vielleicht gerade deine eigene perfekte Lösung gefunden hast.“

2. Kapitel

„Hunde ausführen? Als Job?“

„Ja, Polly. Mit den Hunden anderer Menschen spazieren gehen. Der Markt boomt –, Leute, die den ganzen Tag arbeiten, vielbeschäftigte Familien, Menschen wie Elsie, die zeitweilig nicht in der Lage sind, mit ihren Tieren selbst rauszugehen. Ich möchte wetten, dass es eine ganze Menge von Hundebesitzern gibt, die nicht einmal ahnen, dass es diese Möglichkeit gibt. Jetzt werden sie es erfahren – durch mich.“

Sie saßen auf den weichen hellblauen Sofas im Wohnzimmer der Primrose Terrace Nr. 9 und hatten eine Flasche Wein vor sich. Polly war spät zurückgekommen aus der Tierarztpraxis in Fairview, wo sie ein Praktikum für ihren Abschluss als Tierarzthelferin machte. Sie trug einen blauen Baumwollpyjama und hatte die bloßen Füße auf dem Kaffeetisch ausgestreckt.

„Und du bist sicher, dass Alison dich nicht im Kindergarten zurücknehmen würde, selbst wenn du zu Kreuze kriechst?“

„Ich würde nicht einmal zurückgehen, wenn sie zu Kreuze kriechen würde. Ich glaube auch nicht, dass das der richtige Job für mich ist, jedenfalls nicht in einem konventionellen Kindergarten. Elsie hat recht: Was ich vorhabe, ist einfach perfekt. Die Gegend zwischen Strand und Park ist eine ganz hervorragende Hundegegend, und ich würde nichts lieber tun, als mit den Hunden anderer Leute dort spazieren zu gehen.“

Polly sah sie mit ihren großen blauen Augen prüfend an. „Ich bin sicher, dass du das schaffen kannst“, sagte sie langsam und bedächtig, „aber man muss eine ganze Menge Sachen bedenken. Eine ganze Menge. Wie viel wirst du dafür nehmen? Wie viele Hunde kannst du gleichzeitig ausführen? Geben die Besitzer ihren Tieren Leckerchen? Wenn ja, welche und wie oft? Wirst du sie alle von zu Hause abholen? Werden die Tiere sich untereinander vertragen? Und denk auch mal daran, wie viele Kackhaufen du entsorgen musst. Das wird kein Spaziergang, sage ich dir.“

„Oh, sehr witzig!“

Polly grinste schelmisch. „Ist aber wahr. Ich weiß ja, dass du alles durchdenkst, aber du bist oft …“

„Impulsiv, spontan?“

„Leicht erregbar, ein bisschen wie ein Hund.“

Cat warf ein Kissen nach ihr. „Ich weiß, dass ich das alles wie ein Geschäft sehen muss, aber ich bin so aufgeregt, Pol. Ich bin so aufgeregt wie vor dem Umzug hierher. Es ist toll, hier bei dir zu wohnen. Und ich glaube, ich kann das schaffen. Zumindest kann ich es ausprobieren und gucken, ob irgendjemand außer Elsie hier an jemandem interessiert ist, der Hunde ausführt.“

„Du berechnest ihr doch nichts, oder?“

„Ich habe ihr gesagt, dass ich ihr nichts berechnen würde, aber sie besteht darauf. Sie wird meine erste Kundin sein. Natürlich werde ich ihr einen besonderen Rentnerrabatt machen.“ Cat nippte an ihrem Weinglas und strahlte. Sie hatte das erhebende Gefühl, etwas erreicht zu haben, obwohl sie ja streng genommen erst einmal nur über ihre Idee gesprochen hatten.

„Zumindest ist das Ganze ziemlich originell“, sagte Polly, „geradezu inspirierend.“

„Wirklich?“

„Ja. Du hattest vielleicht nicht vor, deinen Job heute aufzugeben.“

„Rausschmiss, meinst du?“

„Aber“, fuhr Polly fort und hob den Zeigefinger, „vielleicht war es sogar besser so. Und du hast eine fast fertige Tierarzthelferin zur Hand, wenn etwas schrecklich schiefgehen sollte.“

„Was soll schrecklich schiefgehen?“ Joe schlurfte ins Zimmer, setzte sich neben Polly und goss sich ein Glas Rotwein ein. Er trug seine übliche Arbeitskleidung, Jeans und Kapuzenpullover, einen von denen, die jetzt modern waren, marineblau mit einem Goldfisch vorne drauf. Sein kurzes Haar stand in wilden Büscheln hoch, als ob er sich den ganzen Tag am Kopf gekratzt hätte.

„Ein Tsunami rast auf den Strand von Fairview zu. Stell dir das Massensterben vor, das er anrichten wird!“

Joe richtete sich blitzartig auf und verschüttete fast seinen Wein. „Was? Wer hat etwas von einem Tsunami gesagt?“

„Komm wieder runter“, sagte Polly und gab ihm einen sanften Rippenstoß. „Cat wollte dich nur veräppeln. Kein Tsunami.“

„Verstehe.“ Joe blitzte Cat an, und sie grinste schelmisch. Joe und Polly hätten fast Zwillinge sein können. Beide waren blond und hatten blaue Augen. Polly hatte einen fast so schlanken Körperbau wie ein Junge, nur Joes blondes Haar ging eher ins Rot- als ins Aschblond. Cat war nie von ihm genervt, nur seine permanente schlechte Laune störte sie manchmal. „Also, was soll dann schiefgehen?“, fragte er.

„Cats neue Geschäftsidee – wenn die Sache schiefgeht, dann bin ich zur Hand.“

„Mit moralischer Unterstützung?“ Jetzt bemerkte Joe Pollys Füße auf dem Kaffeetisch und schob sie sanft auf den Fußboden.

„Um medizinische Hilfe zu leisten.“

„Sind wir jetzt wieder beim Tsunami? Oder warum sollte sie sonst medizinische Hilfe brauchen? Wirken deine Methoden denn jetzt auch bei Menschen?“ Joe fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

„Nicht bei Menschen, du Dummkopf“, antwortete Polly, „bei Hunden.“

„Hunde?“ Joe richtete sich wieder auf, und dieses Mal passte er genau auf seinen Wein auf. „Was für Hunde?“ Da war eine Spur von Panik in seiner Stimme, was Cat unter anderen Umständen amüsant hätte finden können, aber es war ja gerade Joes Abneigung gegenüber Hunden, die Cat daran hinderte, einen eigenen Hund in der Primrose Terrace zu halten.

„Alle Hunde.“ Cat reckte die Hände über den Kopf in die Höhe. „Ich will die Hunde von Fairview ausführen. Ich kümmere mich um alle, von Chihuahuas bis zu Dänischen Doggen. Ich sorge dafür, dass sie Auslauf bekommen und die Liebe und Freiheit, die sie verdient haben, und ich bekomme Geld dafür!“

Joe trank bedächtig einen weiteren Schluck Wein. In den zwei Monaten, in denen sie hier wohnte, hatte Cat herausgefunden, dass diese Bewegungen bedeuteten, dass Joe ein Argument formulieren wollte. Doch bevor er es äußerte, prüfte er es genau. Spontaneität war nicht sein Ding. Cat erwartete eine sorgfältig durchdachte Attacke auf alles, was mit Hunden zu tun hatte. Doch sie kam nicht.

„Deine Zeit im Kindergarten“, begann er leise, „ist also jetzt … zu Ende?“

„Woher weißt du das?“

„Ich wusste es nicht. Aber … es schien mir unvermeidlich zu sein.“

„Warum?“

Joe lächelte. „Jedes Mal, wenn ich dich fragte, wie dein Tag war, hast du mir detailliert beschrieben, was du alles gern mit den Kindern gemacht hättest – für einiges davon wärest du nebenbei gesagt verklagt worden –, weil die wirkliche Antwort zu uninteressant war, als dass man darüber reden hätte wollen. Es war nicht schwer, zu erraten, dass du dort nicht glücklich warst. Entschuldige, wenn ich damit etwas Falsches gesagt habe.“

„Nein, nein, du hast sicher recht, ich habe mich im Kindergarten nicht wohlgefühlt.“

Seit sie bei den beiden wohnte, hatte sich ein Abendritual entwickelt. Cat erzählte Joe immer, was sie mit den Kindern gemacht hätte, wenn es nach ihren Wünschen gegangen wäre. Und Joe, ein freischaffender Illustrator, ließ sich in ironischem Ton darüber aus, wie wunderbar kooperativ seine Kunden doch waren. Einen halben Tag saß er an einem Porträt für einen Kunden, mit dem ernüchternden Ergebnis, dass dieser dann meinte, er sehe auf der Zeichnung viel zu verärgert aus oder zu geistlos oder zu fein. Joe gestaltete auch Websites und machte das Marketing für kleine Firmen. Im Augenblick arbeitete er für eine lokale Zeitschrift – ein Job, der aber auch zum Haareraufen war, wie man an seinem zerzausten Schopf sehen konnte.

„Wessen Entscheidung war es?“

„Was?“

„Bist du gesprungen – oder wurdest du gestoßen?“

Es wurde still im Zimmer. Cat überlegte, wie sie am besten erklären sollte, was geschehen war. Doch die Mühe war nicht nötig.

„Cat hat Disco in ihrer Handtasche mit in den Kindergarten genommen, und Disco ist während der Musikstunde rausgeklettert. Das war für die Kinder zu aufregend, als dass ‚Madame Steifes Korsett‘ damit hätte umgehen können.“ Polly schenkte allen noch mehr Wein ein und legte die Füße wieder auf den Tisch. Angesichts von Joes vorwurfsvollem Blick nahm sie sie aber sofort wieder herunter.

„Du hast einen Welpen in einer Handtasche mit in den Kindergarten geschmuggelt?“ Joes Augen verengten sich zu Schlitzen.

Cat nickte.

„Und du hast wirklich geglaubt, dass die Katastrophe nicht über dich hereinbrechen würde?“

„Ich habe es gehofft.“

„Da hast du dir aber kräftig was vorgemacht. Kein Wunder, dass sie dich gefeuert hat.“

Cat presste die Lippen zusammen und nickte fast unmerklich. „Kann sein. Aber guck, wohin mich das gebracht hat.“

„Wohin denn? Zu einer Flasche Wein und zu der Luftschloss-Idee, du könntest der örtliche Dr. Dolittle werden?“

„Hey!“

„Joe“, wies Polly ihn zurecht, „das ist nicht fair. Ich bin sicher, wenn Cat sich etwas vorgenommen hat, wird sie es auch durchziehen.“

„Na, ich freue mich schon darauf, zu erleben, was daraus wird.“ Er hob sein Glas, und Polly und Cat taten es auch, obwohl Cat sah, dass hinter Joes ernstem Ausdruck eine gewisse Belustigung aufflackerte. Shed, sein großer rötlich-brauner Kater, ergriff die Gelegenheit, um ins Zimmer zu stolzieren. Dabei schüttelte er abwechselnd seine Hinterläufe, als ob er unangenehmes Schuhwerk loswerden wollte, und setzte sich auf dem Kaffeetisch in Positur. Er kam mit dem Schwanz leicht an die Weinflasche, die ziemlich nah am Rand stand.

„Wieso darf Shed auf den Tisch und meine Füße nicht?“, fragte Polly. Der Streit war nicht neu, und Shed guckte sie an mit einem Blick, der genau das ausdrückte: Ich darf das und du nicht. Finde dich damit ab.

Joe zuckte die Schultern. „Es ist schwerer, ihm Benehmen beizubringen als dir.“

„Deine Kämpfe beruhen also auf der Anstrengung, die benötigt wird, um die gewünschten Resultate zu erreichen? Das ist eine hoffnungslose Art, sein Leben zu leben, Joey.“

„Meinetwegen. Ich bin aber älter als du.“

„Aber nicht weiser.“

„Ich bin der Mieter, also entscheide ich.“

„Ich zahle aber die gleiche Miete.“

„Musst du eigentlich immer streiten?“

„Nur wenn ich für mein Recht eintrete“, erwiderte Polly und verschränkte die Arme.

„Dein Recht, die Füße auf den Tisch zu legen?“

„Ich habe geduscht, als ich nach Hause kam, die Füße sind also vollkommen sauber, sauberer jedenfalls als die von Shed. Und er hat seinen Hintern auf dem Tisch.“

Joe warf einen Seitenblick auf seine Schwester. „Eins zu null für dich. Komm da runter, Shed.“

Er schob Shed von hinten; der Kater blickte ihn an, sprang auf seine Oberschenkel und drückte seine Tatzen abwechselnd in Joes Jeans.

„Aaaaahhh, nicht da, Shed!“ Joe wollte den Kater woanders hinsetzen, aber er rührte sich nicht von der Stelle. Cat verbarg ein Lachen hinter ihrem Glas. Sie machte den Fehler, Polly anzugucken, und beide kicherten unhörbar in sich hinein, während Joe seine Genitalien zu schützen suchte. So eine harmlose Rache war doch etwas Schönes, gerade wenn sie von so unerwarteter Seite kam.

Die Weinflasche war inzwischen leer. Cat blinzelte schläfrig, und Joe war schon lange wieder hinter der Tür zu seinem Büro verschwunden, um weiterzuarbeiten oder eine zu rauchen. Polly schaltete das Fernsehgerät aus und trommelte mit den Fingern auf den Tisch.

Cat richtete sich auf. „Was ist los?“

„Er war nicht immer so, weißt du.“

„Wer, Shed?“ Der Kater schlief da, wo Joe gesessen hatte; eine große orangefarbene Flaumkugel, das Gesicht unter dem Schwanz verborgen. Cat stellte sich vor, dass der Kater sich heimlich Methoden ausdachte, um sie in Schwierigkeiten zu bringen: zum Beispiel, indem er das perfekte Haustier spielte, im Gegensatz zu ihrer Rolle als nervende neue Mitbewohnerin.

„Joe“, sagte Polly, „du erlebst ihn gerade mit extrem schlechter Laune.“

„Eine schlechte Laune, die zwei Monate andauert?“ Cat hob eine Augenbraue und grinste schelmisch, als sie die Verärgerung im Gesicht ihrer Freundin sah. „Tut mir leid, ich weiß wohl, dass alles nicht so toll für ihn war, ehe ich einzog, aber ich – ich meine, ich kenne nicht die ganze Geschichte.“ Sie sprach sanft und freundlich und dachte an die vielen Male, in denen sie versucht hatte, die Wahrheit aus Polly herauszubekommen. Sie wusste, dass es sich nicht gehörte, wenn sie so neugierig in Bezug auf ihren neuen Vermieter war, aber sie konnte nichts daran ändern.

„Es ist wohl an der Zeit, dass ich es dir sage. Rosalin hat ihn sehr verletzt. Manchmal ist es leicht, Joe für einen mürrischen, gefühllosen Kotzbrocken zu halten, aber das ist er nicht. Sein Herz ist gebrochen.“

„Sie hat ihn verlassen?“

Polly nickte, zögerte einen Moment und seufzte dann. „Für seinen Geschäftspartner“, fügte sie hinzu. Ihrem Ton konnte man entnehmen, dass sie es immer noch nicht fassen konnte, und Cat konnte das gut verstehen.

„Mit Alex gab es den ersten Bruch. Sie hatten zusammen fünf Jahre lang Magic Mouse Illustrations geführt. Und dann teilte er Joe mit, dass er von einer Firma in London abgeworben worden sei. Es war ein weltweit operierendes Unternehmen, das ihm ein Spitzengehalt und viele Extras versprochen hatte, und er wollte das Angebot annehmen. Das war hart, nicht nur, weil Alex ihn verließ, sondern auch, weil Joe glaubte, dass er ohne Alex das Geschäft nicht allein führen könnte. Alex war stets besser in der grafischen Gestaltung, während Joes Spezialität eher die reine Illustration ist, von der er befürchtet, dass sie eine aussterbende Kunst ist. Der Umstand, dass Alex sich hat abwerben lassen, hat sein Vertrauen untergraben. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass Alex Joe gar nicht die ganze Wahrheit gesagt hat.“

„Was meinst du damit?“ Es war kühler im Zimmer geworden, und Cat legte sich ein Kissen auf die Füße. Sie war zu tief in das Sofa eingesunken, um sich wärmere Kleidung zu holen.

„Ich vermute, Alex wollte einfach aussteigen – schließlich war er dabei, Joe die Freundin auszuspannen –, und so bewarb er sich um den Job und bekam ihn. Bestimmt hat es gar keine Abwerbung gegeben. Wie auch immer, ein paar Tage später eröffnete Rosalin Joe, dass sie ihn verlassen und mit Alex Duhamel, einem höflichen und weltgewandten Franzosen, nach London ziehen würde. Vom einen auf den anderen Tag war sie nicht mehr Joes Freundin. Das hat ihm alles Französische für immer verleidet, Brie, Paris, Frauen und … manches andere.“

„Das ist ja schrecklich!“ Cat hatte sofort Schuldgefühle und schämte sich für ihre Neugier.

„Er hatte innerhalb von ein paar Tagen alles verloren“, fuhr Polly fort. „Er hat Magic Mouse zwar weitergeführt, aber er kommt nicht so gut damit zurecht, wie er uns glauben machen möchte. Es tut mir leid, dass ich dir das nicht früher gesagt habe, aber ich stelle ihn nicht gern als ‚meinen Bruder mit gebrochenem Herzen‘ vor. Menschen sollten nicht nach ihrer Vorgeschichte beurteilt werden, deshalb habe ich die Leerstellen nicht ausgefüllt.“ Polly hatte sich nach vorn gebeugt, die Ellbogen auf die Knie gestützt. „Dazu kommt, dass ich nicht wollte, dass du dir Gedanken machst. Es war hier früher immer so: Joe, Rosalin und ich. Für Joe war es in Ordnung, dass du hier einzogst – zumindest hat er das gesagt –, aber du hast in diesem Hause sozusagen Rosalin ersetzt. Deshalb war er womöglich unfreundlicher zu dir, als das sonst der Fall gewesen wäre.“

„Er ist nicht wirklich gemein zu mir.“

„Aber er ist unglücklich, sarkastisch und pessimistisch. Ich dachte, dass es jetzt wirklich an der Zeit wäre, dir alles zu erklären. Ich möchte nicht, dass du denkst, ich hätte dir die Primrose-Erfahrung in böser Absicht angedreht.“

Cat lachte. „Das hast du nicht, und ich fühle mich hier wirklich wohl, das kannst du mir glauben. Wenn das nicht so wäre, dann wäre ich in Brighton und würde versuchen, meinen alten Job wiederzukriegen. Nein, ich werde das mit dem Hundeausführen wirklich probieren. Ich weiß gar nicht, warum ich nicht schon vorher daran gedacht habe – der Job ist einfach perfekt für mich! Und auch wenn dein Bruder gerade sehr niedergeschlagen ist, macht er manchmal doch den Versuch, nett zu mir zu sein; und er ist definitiv zu etwas zu gebrauchen.“

„Zu was? Um halb leere Weinflaschen auszutrinken? Leichtgläubig zu sein in Bezug auf Naturkatastrophen?“

„Ja, das auch“, erwiderte Cat. In ihrem Kopf arbeitete es. Das hatte nicht aufgehört, seit Elsie vorgeschlagen hatte, dass sie von sich aus etwas auf die Beine stellen sollte, etwas, woran sie wirklich glaubte. „Mir ist auch zu Ohren gekommen, dass er ganz gut Websites gestalten kann.“

„Ah.“ Ein Zucken lag um Pollys perlmuttfarbene Lippen. „Ja, das kann er, so verunsichert er auch sonst sein mag. Er stürzt sich voll in seine Arbeit, um sich von allem abzulenken.“

„Sein Kummer könnte sich also zu meinem Vorteil auswirken?“

„Das wäre möglich. Aber an deiner Stelle würde ich damit nicht in die Verhandlung einsteigen: ‚Hi, Joe, da du ja keine Freundin mehr hast, mit der du Zeit verbringst, könntest du …‘ Besser wäre es, sein Talent als Designer zu betonen, seinen visionären Geist und seinen Intellekt.“

„Ein guter Plan.“ Cat beugte sich nach vorn und boxte Polly in die Seite. „Wir beide könnten dieses Hundeausführen wirklich hinkriegen!“

„Wir beide?“

„Natürlich. Wenn du mitmachen willst?“

Cat und Polly hatten vor zehn Jahren schon einmal zusammengewohnt, als sie beide auf der Universität York studierten, und die Entdeckung, dass sie nur ein paar Kilometer voneinander entfernt aufgewachsen waren, hatte ihre Freundschaft noch stärker werden lassen. Nach ihrem Uniabschluss kam für jede von ihnen das eigene Leben dazwischen, aber sie blieben eng befreundet und trafen sich regelmäßig. Cat hatte die Gelegenheit ergriffen, von Brighton nach Fairview – die Entfernung war nicht groß – umzuziehen, um bei Polly zu wohnen. Sie in ihre Geschäftsidee einzubinden, war nur der logische nächste Schritt. Polly war ein ruhiger, gelassener und systematischer Typ. Daher war Cat davon überzeugt, dass sie ideal zueinanderpassten.

Polly kaute an ihrer Unterlippe. „Ich – ich würde gern, aber im Augenblick habe ich so wenig Zeit. Die Ausbildung, das Praktikum. Ich stehe jetzt so nah vor dem Abschluss und will ihn mir nicht vermasseln.“

„Komm einfach dazu, wann du kannst. Es geht auch nicht nur um das Gassigehen; es gibt ja auch administrative Sachen wie Marketing oder die Buchhaltung. Viele Dinge sind zu beachten – es ist nun mal kein Spaziergang.“ Cat blickte belustigt an die Decke. „Welche kluge Person hat mir das noch gleich gesagt?“

„In Ordnung“, antwortete Polly lachend, „du hast mich überzeugt. Ich beteilige mich. Nun müssen wir als Erstes die wichtigste Entscheidung für jedes neue Geschäft fällen.“

„Und die wäre?“

„Wir brauchen einen Namen. Wie soll dein Hundeausführunternehmen heißen?“

‚@Leinen los. Ob groß oder klein – wir kümmern uns um das Ausführen Ihrer Hunde in der Fairway-Gegend von Fairhaven.‘ Was denkst du?“

„Entschuldigung?“ Joe blätterte eine Seite der Zeitung um. Er hatte sich so darüber gebeugt, als wolle er den Rest der Welt draußen lassen. Er saß am Esstisch, der zusammen mit den Sofas in dem riesigen Wohnraum des Hauses stand. Cat vermutete, dass es ursprünglich zwei Zimmer gewesen waren. Vielleicht hatte der Vorbesitzer oder der Mann, von dem Joe das Haus gemietet hatte, einen Durchbruch gemacht.

„Mein Text für ‚Leinen los‘. Ich möchte dafür Facebook- und Twitter-Accounts einrichten.“

Joe überlegte eine Weile – Cat vermutete, er zählte im Stillen bis drei –, bevor er sie ansah. Sie saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Sofa und balancierte ihren Laptop auf den Knien. „Lies noch mal vor“, sagte er.

Sie tat es. „Was denkst du also?“

Er nickte, die Lippen aufeinandergepresst. „Ich bin beeindruckt. Keine Flapsigkeit dabei, etwas Humor, die richtige Balance zwischen freundlich und nüchtern.“

Cat grinste schelmisch. „Danke.“

„Abgesehen von dem Namen natürlich; der könnte noch verbessert werden.“

„Aber deine Vorschläge waren schlechter als unsere!“, rief Cat aus. „Dieser Name fühlt sich gut an.“

Eine Woche war vergangen, seit die Idee „Leinen los“ entstanden war. Es vergingen aber noch weitere vier Tage, bis der Name amtlich war. Von ihrem Arbeitsplatz aus hatte Polly ihre Vorschläge per SMS beigesteuert: „Hundetagesbetreuung, Wunderbare Spaziergänge, Vergünstigung für Welpen“. Sie hatten dafür sogar ihre heiß geliebten Fernsehserien verpasst, und Cat war mitten in der Nacht aufgewacht, wenn ihr eine neue Idee kam. Selbst Joe hatte sich daran beteiligt, aber Cat war nicht sicher, ob die Notiz, die er für sie hinterlassen hatte, als er zum Joggen rausgegangen war, ein ernst gemeinter Vorschlag war. Er lautete Tolle Tölenspaziergänge; daneben prangte ein großartiger Cartoon, auf dem ein Hund zu sehen war, der seine Leine in der Schnauze hatte und sehr zufrieden dreinblickte. Cat hatte den Zettel an die Wand über ihrer Frisierkommode geheftet.

Schließlich war Polly mit dem Vorschlag „Leinen los“ gekommen, während sie sich einen Historienschinken ansahen, in dessen Verlauf die Hauptpersonen mit Sonnenschirmen in den Anlagen eines prächtigen Herrenhauses flanierten.

„Hat Magic Mouse einen Twitter-Account?“, fragte Cat Joe.

„Ja“, antwortete er knapp.

„So hast du wohl eine ganze Reihe von Followern?“

Die Antwort fiel ebenso knapp aus. Er blickte ein wenig nach unten, die Finger um die Kaffeetasse geschlossen. Cat verdrehte die Augen und sah ihn genervt an, ehe sie begann, Magic Mouse im Internet zu suchen.

„Ich hab das gesehen“, meinte Joe.

„Gut so“, murmelte Cat, bis ihre Aufmerksamkeit von den etwa 2.500 Followern, die Joe hatte, in Beschlag genommen wurde. „Wow!“ Sie scrollte die Namen durch und klickte „follow“ auf die, die offensichtlich in Fairview oder Fairhaven zu Hause waren. Dabei erkannte sie einige Namen, meistens Geschäfte: das Spatz-Restaurant, die Bücherei am Ort, Capellos Eisdiele – nicht nur für Eisbecher. Sie fand den Kindergarten, zögerte erst beim „Follow“-Button, klickte dann aber darauf. Sollte Alison ruhig sehen, wie aktiv sie gerade war.

Dann scrollte sie weiter durch virtuelle Figuren und einige Cartoons. Magic Mouse Illustrations wurde durch einen einfachen Maus-Cartoon repräsentiert – eine Maus, die am PC arbeitet und Käse isst. Wann immer ihr Blick darauf fiel, musste sie lächeln, und sie fragte sich, ob sie Joe dazu bringen könnte, etwas für „Leinen los“ zu zeichnen. Ihr Geschäft wäre viel besser zu erkennen, wenn sie einen Cartoon mit einem niedlichen Hund als Logo hätte.

„Du kannst Leuten nicht einfach folgen“, sagte Joe, „du musst auch etwas Sinnvolles sagen.“

„Ja, das werde ich auch tun, aber es hat keinen Zweck, etwas zu sagen, wenn niemand zuhört.“

„Sehr philosophisch.“

Cat wollte gerade eine witzige Antwort geben, als ihr Blick auf einen vertrauten Namen fiel: Jessica Heybourne. Woher kannte sie diesen Namen bloß? Sie klickte auf Jessicas Website und fand dort ein Foto von einer schicken Blondine, die vermutlich ein paar Jahre älter als Cat war, freundlich in die Linse lächelte und dabei ein Selbstvertrauen an den Tag legte, das nur den häufig Fotografierten vorbehalten ist. Ihre Haut war blass, die Augen waren stark geschminkt, und ihr blondes, hochtoupiertes Haar schmiegte sich wie eine Wolke aus Zuckerwatte um ihr Gesicht. Sie hatte 22.000 Follower, und in ihrer Biografie hieß es: Bestsellerautorin von Kochbüchern, absolute Feinschmeckerin, liebt ihre West Highland Terrier und wohnt am Meer. DAS HERZSTÜCK DER ERNÄHRUNG ist jetzt im Buchhandel erhältlich.

Das war es! West Highland Terrier.

Elsie hatte Cat gesagt, dass Jessica Heybourne oben auf ihrer Liste potenzieller Kunden stehen solle. Sie war eine bekannte Autorin, im Ort und darüber hinaus beliebt. Sie hatte drei West Highland Terrier, und es war sehr wahrscheinlich, dass sie Cat mit intensiver Mundpropaganda mehr helfen könnte als die Fairhaven Press. Und wie Elsie ihr fröhlich berichtet hatte, wohnte sie in der Primrose Terrace Nr. 1.

Cat war schon oft an dem Haus vorbeigegangen und hatte den eleganten Anstrich wahrgenommen, die große Veranda und auch den glänzenden Glasanbau, der von einer Seite des Hauses zu sehen war. Cat lehnte sich zurück, nippte an ihrem Tee und überlegte, wie sie sich der Frau nähern konnte. Jessica würde nie einen allgemein gehaltenen Tweet beachten, sie hatte vermutlich nicht viel Zeit, um sich auf Twitter zu tummeln, sondern nutzte das Netzwerk hauptsächlich, um ihre Bücher bekannt zu machen und ihr Publikum an den Haken zu kriegen. Cat müsste ihr also einen persönlichen Tweet schicken. Danach könnte sie sie auch persönlich besuchen.

Sie legte ihren Laptop zur Seite und ging zum Fenster. Es regnete ziemlich heftig, und hinter den Regentropfen, die an der Scheibe zerliefen, war die Häuserreihe gegenüber kaum zu erkennen. Es war ein typischer Märztag. Cat machte das nichts aus – sie würde das Wetter nehmen müssen, wie es war, wenn sie eine erfolgreiche Hundeausführerin werden wollte. Aber sie würde keinen guten Eindruck machen, wenn sie an die Tür von Jessica klopfte und wie eine tropfnasse Dänische Dogge aussah.

Sie ging zu ihrem Computer zurück, „folgte“ Jessica und fing an, ihren Tweet zu verfassen. Eine halbe Stunde und zwei abgekaute Fingernägel später klickte sie den Tweet-Button, lehnte sich zurück und wartete.

„Warum guckst du denn so nervös?“, fragte Joe und räumte ihre leere Tasse weg.

Cat zuckte mit den Achseln. „Nichts. Ich … ich suche nur ein paar Kunden.“

„In deinem Computer?“

„Ja, da findet man die heutzutage“, erwiderte Cat frischfröhlich. Im selben Moment erinnerte sie sich an Joes Unsicherheit in Bezug auf herkömmliche Illustrationen, die zunehmend vom digitalen Design verdrängt wurden. Er verschwand in der Küche, und Cat hörte, wie die Tassen am Boden des Spülbeckens klapperten. „Scheiße“, flüsterte sie und rief dann: „Aber wie machst du das denn? Du hast so viele Follower.“

Joe erschien und lehnte am Türrahmen. Er zuckte die Achseln und sah Cat mit seinen blauen Augen an. „Ich stelle immer etwas rein – zum Beispiel, woran ich gerade arbeite, Links zu Websites von Kunden und was ich für Kunden gemacht habe; ich chatte mit Leuten, wenn sie Fragen stellen. Du musst einfach offen, freundlich und professionell sein, manchmal auch lustig. Rede über interessante Dinge, erwähne Fairview oft und auch die Hundespaziergänge. Nach und nach werden die Leute darauf aufmerksam und kriegen durchs Suchen oder Antworten auf Tweets immer mehr über dich raus.“

„Oh“, sagte Cat, überrascht von Joes Offenheit und dem Fehlen von jeglichem Sarkasmus. „Vielen Dank, das ist eine große Hilfe. Lustig?“

„Lustig ist immer gut. Was Lustiges wird eher bemerkt als ein ernsthafter Tweet. Und ich weiß, dass du lustig sein kannst.“

„Nun ja … vielleicht kommt das nur dir so vor. Das bin ich ja nicht mit Absicht.“

„Ich glaube, du vertraust viel zu wenig auf das, was du kannst. Versuch es einfach, und guck, was passiert. Ich muss wieder an meine Arbeit.“

Cat hörte, wie er langsam die Stufen hinauftappte. Sein Büro ging nach vorn hinaus, es lag über dem Wohnzimmer. Der Raum hatte die größten Fenster, die Joe genügend Tageslicht zum Arbeiten gaben.

Nachdem er gegangen war, empfand Cat die Stille als belastend. Sie war nicht daran gewöhnt, während des Vormittags zu Hause zu sein. Und Joe glaubte tatsächlich, sie sei lustig? Sie rieb sich die Stirn, langte nach ihrer Tasse, die nicht mehr da war, und klickte den Button „neue Tweets laden“.

Jessica Heybourne war ihr „gefolgt“ – und hatte geantwortet! Cat nagte an ihrer Unterlippe. @Leinen los: Jemand, der in Fairview Hunde ausführt? Sind Sie neu? Ich muss mehr wissen! Senden Sie mir eine Nachricht. Cats begeistertes Quieken erfüllte den Raum und wurde als Echo von der Decke zurückgeworfen. Ihr war, als würde sich die Tür zu Joes Büro öffnen. Sie wartete einen Augenblick, dann hörte sie sie wieder zugehen.

Zwanzig Minuten später – der Himmel hatte sich weiter zugezogen, und es regnete noch stärker – klingelte es. Es war ein hohes, optimistisches Trillern. Cat ging rasch zur Tür. In einer Reihe von Nachrichten hatte Jessicas Enthusiasmus für Cats neues Unternehmen ihre eigene Begeisterung fast noch übertroffen, und die berühmte Autorin hatte darauf bestanden, sie sofort persönlich kennenzulernen. Cat hatte ihren Morgenmantel gegen eine cremefarbene Bluse mit Rüschenkragen und elegante Jeans getauscht, war sich kurz mit der Bürste durchs Haar gefahren und hatte ihre großen dunklen Augen mit Wimperntusche betont.

Als sie Jessica die Tür öffnete, war diese sogar noch attraktiver als auf dem Foto. Sie hatte die Kapuze ihres Trenchcoats hochgeklappt und lächelte. Zu Jessicas Füßen drängten sich drei triefnasse flauschige Wesen mit weißem Pelz.

Cat warf kurz einen Blick über die Schulter, lauschte einen Moment lang und begrüßte den Besuch dann locker: „Hi, Jessica, vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Ich bin Cat.“

„Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen.“ Jessica schlug ihre Kapuze zurück, und das blonde Haar fiel ihr wallend über den Rücken. „Das sind Valentino, Coco und Dior.“ Sie deutete der Reihe nach auf die West Highland Terrier, die an Cats bloßen Füßen schnüffelten, mit ihrer feuchten Nase ihre Haut kitzelten und enthusiastisch das neue Umfeld erkundeten. Einer der Hunde knöpfte sich gleich Joes Joggingschuh vor. Cat entfernte ihn sachte aus der Schnauze des Hundes, guckte, ob die Zähne Spuren hinterlassen hatten, und legte den Schuh auf die Treppe. Sie betete, dass Shed nicht auftauchte oder Joe auf den Gedanken kam, sich eine Tasse Kaffee zu machen. Wenn er merkte, dass sie drei Hunde ins Haus gelassen hatte … Cat verdrängte den Gedanken und streichelte abwechselnd die drei Kleinen. Sie waren sehr zutraulich und ganz versessen auf die Extra-Zuwendung.

Die Hunde trugen verschiedenfarbige Samt-Halsbänder, die mit glitzernden Steinen besetzt waren – vermutlich nicht aus Glas. Einer der Hunde – war es Coco? – hatte sein rechtes Ohr ein bisschen vorgeklappt, vielleicht war das eine kleine Schwachstelle von ihm. Cat streichelte das Ohr. Das Fell war unglaublich seidig. Alle drei waren liebenswerte weiße Bündel, und Cat fühlte, wie ihr Herz ihnen zuflog.

„Sie sind wunderschön. Wie oft gehen Sie mit ihnen raus?“ Cat hatte sich wieder aufgerichtet und war auf Augenhöhe mit Jessica.

„Nun, wenigstens einmal am Tag. Es ist auch praktisch, dass der Primrose-Park ganz in der Nähe ist, aber manchmal läuft mir die Zeit davon, und dann denke ich, dass die Hunde doch mehr Auslauf bräuchten.“ Die Stimme der Autorin war leise und etwas atemlos, obwohl Jessica nur ein paar Hundert Meter zu Fuß gegangen war. Cat fragte sich, ob die Frau absichtlich so sprach und ob auch die leichte Verwirrtheit Teil ihrer Marketingstrategie war. Schließlich wohnte sie lange genug in der Gegend, um zu wissen, dass der Park nicht Primrose-Park hieß. „Ich lebe allein, wissen Sie“, fügte Jessica hinzu, „und manchmal ist es recht schwer.“

Cat nickte. „Ich weiß, wie das ist. Ist es erst … seit Kurzem so?“ Sie hielt den Atem an und überlegte, ob sie zu weit gegangen war.

Jessica sah ihre Hunde einen Augenblick lang prüfend an. „Ja, seit Kurzem. Ich … ich hatte eine etwas schwierige Zeit, aber langsam tauche ich wieder auf. Jetzt sieht alles viel positiver aus, fast aufregend. Aber ohne meine Hunde hätte ich es nicht geschafft. Sie haben mich geistig gesund gehalten, sie verdienen nur das Beste.“

„Nun, dabei kann ich definitiv helfen“, sagte Cat sanft. „Ich werde sie behandeln, als wären es meine eigenen. Ich … ich bedaure, dass ich Sie nicht richtig hereinbitten kann. Mein Mitbewohner arbeitet.“ Sie deutete mit der Hand auf das Wohnzimmer.

„Oh nein, natürlich nicht. Ich kann sowieso nicht lange bleiben, aber ich wollte Sie unbedingt kennenlernen. Und ich wollte, dass Sie meine Jungs kennenlernen.“ Sie machte eine ausladende Handbewegung und schenkte Cat ein freundliches Lächeln.

„Die drei sind ganz entzückend. Wirklich entzückend. Ich würde mich sehr freuen, mit ihnen spazieren gehen zu können, so oft, wie Sie es brauchen – erst einmal auf Probe und dann regelmäßig, wenn alles gut geht. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, warum es nicht gut gehen sollte, aber eine Probezeit sorgt dafür, dass wir alle zufrieden sind, Sie, ich und Ihre Westies.“

„Welche anderen Hunde haben Sie noch?“

„Im Augenblick zwei Zwergschnauzer, aber ich habe gerade erst …“ Sie hielt inne und dachte daran, dass Joe betont hatte, sie müsse professionell wirken. „Wir sind ein ganz neues Unternehmen, daher sind wir noch mit dem Aufbau unseres Kundenstamms beschäftigt.“

„Hört sich perfekt an! Ich liebe Zwergschnauzer.“

„Sie gehören Elsie, die nebenan wohnt.“

„Oh, ich glaube, ich habe sie schon gesehen. Einer ist noch ein Welpe.“

„Das ist Disco“, erläuterte Cat. „Sie ist nur eine Handvoll Hund, aber sie ist jede Mühe wert.“

„Ja, das sind sie alle.“ Auf Jessicas hübschem Gesicht zeigte sich ein schelmisches Lächeln, und Cat fand sie immer sympathischer. „Wie wäre es dann morgen?“

„Morgen?“

„Ich muss nach London, und diese armen Schätzchen wären ganz allein. Ihr Tweet ist gerade zur rechten Zeit gekommen! Könnten Sie die drei etwa um elf abholen? Ich habe einen Zweitschlüssel für Sie.“ Sie nahm einen Schlüssel aus der Tasche und ließ ihn an ihren eleganten Fingern baumeln.

„Selbstverständlich.“ Cat nahm den Schlüssel und war überrascht, dass Jessica sofort so vertrauensvoll war. „Sind Leckerchen in Ordnung?“

„Sie werden überschüttet mit Leckerchen“, bekräftigte Jessica. „Sie wären sehr böse, wenn Sie ihnen keine geben würden. Nicht wahr, ihr Süßen?“

Valentino blickte zu seiner Besitzerin auf, wackelte mit den Hinterläufen und ließ ein kurzes, lautes Jaulen hören.

„Fantastisch!“ Cat quiekte vor Begeisterung und blickte hinter sich. Jessica trat einen Schritt zurück. „Das ist hervorragend. Vielen, vielen Dank, Jessica, dass Sie gekommen sind. Ich hole Valentino, Coco und Dior morgen ab.“ Sie lächelte und hoffte, dass ihre Worte den gewünschten Erfolg haben würden. „Die Bezahlung und weitere Planung können wir später regeln.“

„Perfekt“, sagte Jessica leise. „Es war schön, Sie kennenzulernen, Cat.“

„Und euch alle kennenzulernen.“ Cat beugte sich herab, kraulte jeden Westie hinter den Ohren und spürte dann, dass ihre Schultern sich entspannten, als Jessica ihre Kapuze wieder hochzog und sich zum Gehen wandte. Die Hunde trotteten zufrieden hinaus in den Regen, und Jessica drehte sich noch einmal um und hauchte der verblüfften Cat einen nach schwerem Parfum duftenden Kuss auf die Wange. Sie trat hinaus auf die kleine Veranda und hinterließ eine Duftwolke von Coco Mademoiselle. Vorsichtig stöckelte sie die Eingangsstufen hinunter, und Cat bemerkte, dass die Stiefel der Autorin zehn Zentimeter hohe Absätze hatten. Cat winkte ihr noch mal zu, schloss leise die Tür und lehnte sich mit geschlossenen Augen dagegen. Sie atmete hörbar aus, doch dann stockte ihr der Atem, als die Holzdielen auf dem Treppenabsatz knarrten.

Sie öffnete die Augen.

„Joe.“

Er stand mit verschränkten Armen da, die Stirn gerunzelt. „Waren das Hunde? Hier drin?“

„Joe, es tut mir …“

„Du weißt doch, wie ich dazu stehe, Cat. Und was, glaubst du, wäre geschehen, wenn Shed reingekommen wäre? Um Gottes willen, denkst du eigentlich gar nicht nach? Wie viele waren es? Dem Geschnüffel und dem Geruch nach zu urteilen, mehr als einer.“ Er kam langsam die Treppe herunter, und Cat spürte fast körperlich, wie wütend er war.

„Drei“, sagte sie. „Sie gehören Jessica Heybourne, und sie will, dass … ich die Hunde ausführe. Es tut mir leid, dass sie reinkommen mussten, aber es regnete, und es war doch nur für ein paar Minuten. Sie ist meine erste richtige Kundin.“

Er stand eine Stufe über ihr und blickte auf sie herab, und Cat sah, dass in seinem Gesichtsausdruck mehr als nur Verärgerung lag. Sie spürte, wie ihre Hochstimmung in sich zusammenfiel, dass Joes Enttäuschung sie mehr niederdrückte, als sie es für möglich gehalten hätte. Er nickte, und einen Augenblick lang dachte Cat, dass er einlenken, Verständnis haben und sie zu ihrer neuen Kundin beglückwünschen würde.

„Bring keine Hunde hier rein“, sagte er stattdessen. „Ich verlange damit nicht zu viel – ich denke, dass ich recht vernünftig bin –, aber bitte, bitte, bring keine Hunde in dieses Haus. Wenn du glaubst, dass das schwierig werden könnte wegen ‚Leinen los‘, nun dann …“ Er schaute zur Seite, sah Cat dann wieder an und ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer, wobei seine Schulter die ihre berührte.

Cat blieb stehen, wo sie war. Sie fühlte sich verletzt, war empört und hatte das Gefühl, ihr sei unrecht getan worden. Außerdem glaubte sie zu wissen, was Joes nicht beendeter Satz gemeint hatte: Such nach einer Möglichkeit, „Leinen los“ zum Laufen zu bringen, ohne dass du Hunde hierher bringst, oder suche dir eine andere Wohnung.

3. Kapitel

Cat wagte sich in ein Wetter hinaus, das wie geschaffen war, um ihre Entschlossenheit auf die Probe zu stellen. Sie trug ein schwarzes doppelreihiges Jackett und hautenge Jeans. Beide Kleidungsstücke waren nicht wirklich wasserdicht. Doch nicht einmal der Regen vermochte ihre Hochstimmung zu dämpfen. Sie hatte es geschafft. Außer Elsie hatte sie noch zwei Kunden bekommen, und es war nun „amtlich“, dass sie Hunde ausführte. Das war der erste Schritt, aber, wie sie hoffte, der erste von vielen mit ihren vierbeinigen Freunden.

Als sie Disco und Chalky abholte, hatte Elsie ihr einen bedeutungsvollen Blick zugeworfen und ihr eine Hand auf die Schulter gelegt, so als ob Cat in den Kampf ziehen würde. Dann war sie zu den drei Westies rübergegangen. Jessica hatte die Tür geöffnet. Sie trug einen korallfarbigen Morgenmantel, war aber viel weniger mitteilsam als beim ersten Mal. Cat vermutete, dass sie sich gedanklich auf irgendetwas vorbereitete oder vielleicht mit den neuesten Anmerkungen ihres Lektors befasst war. Cat malte sich aus, wie Jessica sich oben auf eine Marmoranrichte lehnte, alle Zutaten vor sich ausgebreitet hatte und etwas in ein schlankes MacBook Air tippte, während sie – die Hunde zu ihren Füßen – ein schmackhaftes, erlesenes Gericht zubereitete. Es war ein bis ins Detail ausgemalter Tagtraum, in den Jessica perfekt hineinpasste; und Cat dachte lieber daran als an die Traurigkeit, die sie in den Augen der Autorin gesehen hatte, als sie etwas über ihre weniger glückliche Vergangenheit angedeutet hatte.

Cat zog den Kopf ein und schlug den Kragen hoch, als sie an einer Frau mit einem Kinderwagen vorbeiging, die das Verdeck ganz heruntergezogen hatte, um das Baby vor dem Regen zu schützen.

Cats zweiter Kunde war ein Mann namens Terry, der in einem der großen Häuser an der Uferpromenade wohnte und einen Rhodesian Ridgeback namens Bertha hatte. Er würde wohl kein regelmäßiger Kunde werden, aber solange seine Mutter im Krankenhaus lag, musste er viel Zeit in Dorset verbringen. Außerdem konnte er nicht einfach nur kurz mit Bertha hin und her laufen, um die Hündin dann doch nur unglücklich und allein draußen vor dem Krankenhaus zu lassen. Cat wusste wohl, dass es ein Risiko war, einen so großen und starken Hund zusammen mit fünf kleineren auszuführen, aber sie hatte den Auftrag keinesfalls ablehnen wollen. Wenn sie erst einmal ein paar mehr Hunde hatte, würde sie ihre Spaziergänge staffeln; sie könnte dann die Tiere wie bei einer Partnervermittlungsagentur aufeinander abstimmen – welcher Hund passte zu welchem am besten?

Mit allen sechs Hunden an der Leine wandte sie sich ab von dem aufgewühlten, schäumenden Meer – der Parkplatz am Strand war fast völlig verlassen – und ging in Richtung des Fairview-Parks. Die Westies benahmen sich vorbildlich und kamen nur selten einem vorübergehenden Passanten in die Quere. Bertha lief hinten, sie glitt auf ihren langen Läufen elegant dahin, während Chalky an Cats Seite trabte. Die meiste Mühe machte Cat Disco, weil die Gesellschaft der fünf anderen Hunde sie so in Aufregung versetzte, dass sie dauernd hin und her sprang. Sie kläffte die ganze Zeit und lief immer in eine andere Richtung, wobei sie Valentino anrempelte und Cat ständig vor die Füße kam. Die Westies waren gutmütig, aber Cat glaubte nicht, dass sie Disco für immer ignorieren würden.

Der Himmel war bedeckt, und die Frühlingsfarben wirkten gedämpft, als Cat in den Park einbog. Nach wenigen Augenblicken wurde ihr klar, dass sie die Hunde nur kurze Zeit unter Kontrolle haben würde. Alle sechs erkannten nämlich, dass hier ihr Tummelplatz war, und Cat wusste, dass Bertha und Chalky in dem Park oft von der Leine gelassen wurden. Heute aber nicht. Cat hoffte inständig – bei ihrem ersten Spaziergang wenigstens –, dass sie mit derselben Anzahl von Hunden zurückkommen würde, mit der sie losgegangen war.

Plötzlich setzte sich Bertha an die Spitze der Meute, und die anderen Hunde jagten hinterher. Nur Chalky blieb bei Cat, und als sie nach unten sah, schaute er mit seinen dunklen traurigen Augen zu ihr auf. „Guck mich nicht so an“, flüsterte sie und lief jetzt schneller, um mit der Meute mitzuhalten. „Es wird alles gut. Ihr Lieben“, rief sie, „hey, ihr Hunde! Langsamer!“

Die Tiere ignorierten sie.

Cat trabte weiter, vorbei an einer jungen Familie, deren ältester Junge auf einem Fahrrad mit Stützrädern fuhr. Ein älteres Ehepaar ging Hand in Hand, beide trugen die gleichen Wollmützen. Cat sah zwei rotbraune Setter in einiger Entfernung. Das seidig glänzende Fell der Tiere hob sich ab von der trüben Umgebung. Ein munterer Collie jagte einem Tennisball auf dem Rasen hinterher.

Cat holte tief Atem und zog an den Leinen. „Bertha, Valentino, Coco, Dior! Langsam, sage ich!“

Und dann, in der Hoffnung auf etwas Loyalität von dem Hund, den sie am besten kannte: „Disco, Leckerchen!“ Disco änderte ihre Richtung, und plötzlich waren ihre kleinen Pfoten an Cats Schienbeinen, während die Kleine mit dem Schwanz wedelte. Cat kam zum Stehen, lächelte den Welpen liebevoll an und merkte, dass ihr Atem ruhiger wurde. Die anderen Hunde wurden ebenfalls langsamer und blieben stehen, und plötzlich waren sechs Augenpaare auf Cat gerichtet.

„Brav – brav seid ihr“, lobte sie, immer noch etwas außer Atem. „Liebe Hunde. Puuh, Gott sei Dank.“ Sie langte in ihre Tasche und gab jedem Hund ein Leckerchen. Sie schluckten sie runter und sahen Cat dann erwartungsvoll an.

„Alles ein bisschen anstrengend, nicht wahr?“ Cat erstarrte fast bei dieser vermeintlich freundlichen Frage, die in einem so gar nicht freundlichen Ton geäußert worden war.

„Es ist alles in Ordnung, Mr. Jasper.“ Er stand einige Schritte entfernt und hatte die Arme über seinem kleinen, rundlichen Körper verschränkt. Er lächelte, und nur seine dunklen Augen und seine Stimme verrieten, was er von ihr und ihren Hunden hielt.

„Wussten Sie, dass über hundert Leute jährlich durch Unfälle verletzt werden, die direkt von Hunden verursacht werden, und das allein in Fairhaven?“

Cat biss die Zähne zusammen. Die Hunde zogen an den Leinen, und Dior wimmerte leise. „Das wusste ich nicht, aber ich habe wirklich keine Zeit.“

„Leute, die Hunde ausführen, sind eine Bedrohung“, flüsterte Mr. Jasper und beugte sich ein wenig vor; seine Gesichtszüge waren entstellt wie die Fratze eines Wasserspeiers. „Sie beherrschen diese vielen Hunde nicht. Sie werden sich losmachen und Leute terrorisieren. Sie sind eine Bedrohung, und ich werde dafür sorgen, dass das aufhört.“

„Dass was aufhört? Dass Leute sich ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie Hunden Auslauf verschaffen?“

Mr. Jasper kehrte ihr den Rücken zu und schritt schnell davon. Sie rief ihm nach: „Wollen Sie vielleicht die Menschen ganz daran hindern, den Park zu benutzen? Wollen Sie ihn in eine Art Naturreservat verwandeln?“ Statt sich umzudrehen, beschleunigte er seine Schritte.

„Okay“, sagte sie zu ihrer Meute, „beachtet ihn einfach nicht. Versuchen wir es noch einmal. Aber ich möchte, dass ihr für einen Moment darüber nachdenkt, wie schwierig das für mich ist und dass ich durchaus zugebe, dass ich mich überschätzt habe. Ihr könnt mich nun entweder behindern oder mir helfen. Und wir wollen Mr. Jasper doch keine Angriffsfläche mehr bieten, oder?“ Die Tiere blieben stehen, wo sie waren. „Das wär’s für den Augenblick. Ein Leckerchen jetzt und eins am Ende. So sind die Regeln. Also …“ Sie wartete. Die Hunde standen weiterhin still, außer Disco, die dabei war, Cats linken Stiefel anzuknabbern. „Also … LOS!“

In dem Augenblick, als sie das sagte, wurde ihr klar, dass sie einen Fehler gemacht hatte.

Denn nun ging sie nicht einfach spazieren, sie lief nicht einmal im Trab, sondern sie rannte, um mit den Hunden Schritt zu halten. Die Leinen scheuerten an ihren Handflächen, die ganz wund wurden. Chalky, der seines Alters wegen nicht mehr an das schnelle Laufen gewöhnt war, fing an, leise zu wimmern. Die Westies zu ihren Füßen sahen aus wie Sommerwolken, Bertha glich einem kleinen Pony, das kräftig nach vorn strebte, und Disco konnte sie überhaupt nicht sehen. Und dann änderten die Tiere wie ein Vogelschwarm plötzlich ihre Richtung, und ihr Bellen wurde immer lauter. Die Hunde zogen Cat am Pavillon-Café vorbei, und es war ihr, als ob George – in einer Hand ein Trockentuch – sie anstarrte. Aber sie war nicht sicher, weil sie sich darauf konzentrieren musste, nicht wie eine Blechdose an einem Hochzeitsauto hinterhergezogen zu werden.

Die Hunde zerrten Cat in Richtung einer Baumgruppe am Rande des Parks, und nun sah sie auch den Grund dafür. War es wirklich möglich, dass einem das Herz in die Hose rutscht und gleichzeitig gegen die Rippen hämmert? Cat hielt es für möglich, denn nun sah sie das graue, pelzige Ziel über den Rasen springen wie ein Slinky-Spielzeug. Der Schwanz des Tieres glich einer riesigen Löwenzahn-Pusteblume.

Ein Eichhörnchen.

Von all dem Pech, das es auf der Welt gab, musste sie bei ihrem ersten Ausflug als professionelle Hundeausführerin ausgerechnet einem Eichhörnchen begegnen. „Stopp! Halt!“ Mit den Absätzen stemmte sie sich fest ins Gras, rutschte aber auf dem matschigen Untergrund aus und konnte gerade noch vermeiden, auf dem Hintern zu landen. „Nun kommt endlich, ihr Süßen, bitte!“

Sie hatten die Baumgruppe erreicht. Das Eichhörnchen war am Stamm einer hohen Eiche hochgeflitzt, so konnte Cat wenigstens versuchen, wieder zu Atem zu kommen, während alle Hunde – auch Bertha – versuchten, dem Eichhörnchen nachzuklettern. Cat spürte die missbilligenden Blicke der anderen Parkbesucher in ihrem Rücken, ihr war, als würden diese Leute sie mit ihren Blicken regelrecht durchbohren.

„Bitte“, versuchte sie mit schmeichelnder Stimme, „bitte hört auf. Das Eichhörnchen wird nicht runterkommen, solange ihr hier seid, und ihr könnt nicht rauf. Ich verspreche euch – ich verspreche euch …“ Sie hielt die Leinen in der linken Hand und spürte, wie sehr ihre Arme schmerzten. Nun endlich gelang es ihr, den Beutel mit den Leckerchen aus der Tasche zu holen. „Ich verspreche euch, Eichhörnchen schmeckt längst nicht so gut wie dies hier.“ Dabei schüttelte sie den Beutel. Aber die Hunde nahmen keine Notiz davon.

Cat schluckte ein Aufwallen von Verzweiflung herunter.

„Guck mal, Disco! Chalky! Valentino, Bertha! Eichhörnchenfleisch ist zäh. Es besteht nur aus Knorpeln und hat überhaupt keinen Geschmack. Leckerchen sind viel besser als Eichhörnchen.“

„Sprechen Sie aus Erfahrung?“, fragte eine Stimme. „Ich wüsste ja zu gern, wann Sie mal Eichhörnchen gegessen haben.“

Einen Augenblick lang dachte Cat, Mr. Jasper wäre ihr gefolgt, aber diese Stimme klang anders. Die Anspannung in ihrem Arm verschwand, als eine Hand die Leinen ergriff. Mit einem Mal war der ganze Druck weg. Sie wagte es, den Kopf zu drehen, und stellte fest, dass sie in die Augen eines Mannes starrte, der ihr wie aus dem Nichts zu Hilfe gekommen war. Cat durchfuhr es freudig, als sie ihn wiedererkannte. Sie hatte ihn schon einmal gesehen, zusammen mit seinem Hund, der seine Schnauze durch die Gitterstäbe im Park gesteckt hatte. Ja, das war der Mann, dem sie an jenem Tag begegnet war, als sie ihren Job verloren hatte.

„Haben Sie vielleicht eine andere Idee, wie ich sie davon abhalten kann, auf den Baum klettern zu wollen?“ Eigentlich sollte sie ihm dankbar sein, aber da sie so nervös geworden war, trieb seine Flapsigkeit sie sofort in die Defensive.

„Glauben Sie denn, dass die Tiere auf Ihre kulinarischen Ratschläge hören?“

Er ging zurück und zwang sie damit, ihm zu folgen. Die Leinen waren immer noch um ihre Hand gewickelt, und die Hunde, die sich anfangs widersetzt hatten, merkten nun, dass das Spielchen zu Ende war, und ließen von ihrem Eroberungsversuch ab. Disco sprang an Cats Retter hoch und krallte ihre Pfoten in seine Jeans. Er ließ die Leinen los und nahm Disco auf den Arm, gerade als sein Collie mit heraushängender Zunge herantrabte und sich ihm zu Füßen setzte.

Cat spürte Verärgerung in sich aufsteigen. Sein Hund versuchte gar nicht, Bertha oder die Westies gegen sich aufzubringen. Und ihre Hunde, erschöpft von der Raserei, schnüffelten nur oberflächlich an dem neuen Hund und legten sich dann ins Gras. Hier waren sie durch die Bäume vor dem Regen geschützt, der immer noch außerhalb ihrer natürlichen Überdachung herabfiel.

„Was sind Sie?“, fragte Cat. „So eine Art Hundeflüsterer?“

Er lachte, und während Disco in seinen Armen zappelte, konnte Cat ihn ausgiebiger mustern. Sein schwarzbraunes Haar war zerzaust und lud förmlich dazu ein, es weiter zu verwuscheln. Seine Lederjacke – die, die er schon beim letzten Mal getragen hatte – war an den Ellbogen abgewetzt. Ein Bartschatten deutete sich auf seinen Wangen an, und in seinen Augen lag ein Anflug von Spott. Machte er sich über sie lustig? Sie war sicher, dass er sie schon eine Weile beobachtet hatte, und hier war er wieder und griff ein, um ihr zu helfen.

Ihr Unmut wich rasch aufkeimender Neugier.

„Ich bin Cat“, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen. „Vielen Dank für … für das da hinten. Das mit dem Eichhörnchen.“

„Gern geschehen.“ Er lächelte und nahm ihre Hand. „Ich bin Mark. Und das“, er nickte zu dem Collie hin, „ist Chips. Wir sind neu hier.“

„Chips?“

„Genannt nach Chips in Morgendämmerung der Toten. Die Neuverfilmung natürlich.“

„Sie haben Ihren Hund nach einem Zombie benannt? Das ist aber nicht sehr nett. Wie lange sind Sie schon in Fairview?“

Mark blinzelte sie an und fuhr sich mit der Hand über das markante Kinn. Es lief ein wenig spitz zu und strahlte Entschlossenheit aus, fand Cat – wenn Kinnpartien überhaupt entschlossen wirken können. „Einige Wochen. Sie haben den Film Morgendämmerung der Toten also nicht gesehen?“

Cat schüttelte den Kopf.

„Chips ist – wenig überraschend – der Hund und nicht der Zombie. Sie ist eine Heldin, weil sie die Hauptfiguren vor dem sicheren Tod bewahrt. Ich teile meine Zeit zwischen hier und London auf. Es ist sehr schön hier, sehr … friedlich.“

„Bilden Sie Ihre Hündin so aus, dass sie eine Zombie-Apokalypse überlebt? Was passiert mit ihr, wenn Sie in London sind?“

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