Montana Dreams - So berauschend wie die Liebe

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Acht Sekunden! Nur diesen einen Ritt, den Ritt zum Weltmeister, will Rodeo-Star Dane Bowden noch bestehen. Danach wird er zurückkehren, auf die Familienranch in Montana. Doch dann passiert es: Dane wird schwer verletzt. Als er wieder zu sich kommt steht ausgerechnet Bell an seinem Bett, die Frau, nach der er sich seit über zehn Jahren sehnt - diesmal darf sie nicht wieder verschwinden. Dane muss verhindern, dass ausgerechnet seine Leidenschaft für das Rodeo sie ihm wieder entreißt.

"Sexy, ergreifend und absolut mitreißend - dieses Buch muss man einfach lesen!" Cynthia Eden

"Eine packende Handlung und zwei wunderbare Helden. Geistreiche Dialoge, Charmante Charaktere und eine einnehmende Geschichte werden den Leser von Anfang bis Ende in ihren Bann ziehen."
Publishers Weekly


  • Erscheinungstag 10.07.2017
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783955766320
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Manchmal braucht es nur eine Person,
die dich so sieht, wie du wirklich bist,
damit dir bewusst wird, dass du geliebt wirst.

Prolog

Familienranch der Bowdens, Montana
Elf Jahre zuvor

Dane flog.

In einem Augenblick ritt er noch über die endlosen Wiesen des Grundstücks, und im nächsten bäumte sein Pferd sich auf und riss die gewaltigen Vorderhufe in die Luft. Irgendetwas hatte es erschreckt. Unvermittelt ließ Dane die Zügel los und fiel. Noch während er stürzte, hoffte er, dass das majestätische Tier ihn nicht zertrampeln würde. Zuerst kam Danes linker Fuß auf dem Boden auf. Sein Knöchel verdrehte sich, als sein Körper auf den Boden knallte. Nur einen Wimpernschlag später prallte sein Kopf auf einen harten Stein.

Als er mühsam und benommen die Augen öffnete, sah er seinen Hengst Hombre davongaloppieren. Stille. Er war allein. Dane rollte sich ächzend auf den Rücken und starrte hinauf zu dem Baldachin aus Ästen und Blättern, durch den die Sonnenstrahlen in Streifen hindurchfielen. Das Rauschen des Flusses neben ihm hörte sich genauso an wie das Rauschen, das seine Ohren flutete. Er hörte das Pulsieren seines Herzschlags. In der Hoffnung, dass dadurch das Doppeltsehen verschwinden würde, rieb er sich die Augen. Dabei bemerkte er, dass seine linke Hand feucht und klebrig von dem Blut war, das aus der klaffenden Wunde an seinem Kopf quoll.

Er kniff die Augen zu, und seine Hände fielen schlaff auf seinen Bauch. Als er einen Moment später seine Lider wieder hob, sah er in ein Paar umwerfende blaue Augen. Sie gehörten zu einem Mädchen, dessen dunkles langes Haar den Großteil des blassen Gesichts verdeckte. Sie starrte ihn an. Zweifellos war sie das schönste Mädchen, das er jemals gesehen hatte.

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie. Ihre Stimme war so süß und weich. Wo kam dieses Mädchen her? Hier draußen lebte niemand. Dane mochte diese Abgeschiedenheit und die Ruhe. Die Einsamkeit.

„Bin ich im Himmel? Du musst ein Engel sein“, brachte er mit gepresster Stimme hervor.

Die Augen des Mädchens weiteten sich. „Glaub mir, ich bin kein Engel.“

Sie hockte sich vor ihm hin, öffnete ihre rechte Hand und legte ihm eine lange blaue Feder auf die Brust, bevor sie seinen Kopf berührte. Der stechende Schmerz ließ ihn heftig zusammenzucken. Scheinbar war er doch nicht tot. Das wiederum bedeutete, dass dieses Mädchen echt war. Obwohl er vor lauter Schmerzen kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde Dane eines unmissverständlich klar: Er wollte dieses Mädchen kennenlernen.

„Ich muss die Blutung stoppen“, sagte sie leise und mehr zu sich selbst als zu Dane.

Sie riss ein Stück seines T-Shirts ab, ging zum Fluss und tauchte den Stofffetzen in das eiskalte Wasser. Als sie das nasse, kalte Stück Stoff gegen seinen Kopf presste, schloss er die Augen und stöhnte auf.

„So, das wird schon wieder.“

Mit seinen fünfzehn Jahren war Dane immer darauf bedacht, möglichst cool zu wirken. Deshalb war das Letzte, das er wollte, um Hilfe zu bitten, aber ihm wurde schummrig, sein Knöchel pochte so heftig wie sein Herz, und in seinem Kopf hämmerte der Schmerz unerbittlich. Er würde es niemals allein nach Hause schaffen. „Mein Bein … Bitte, du musst meinen Vater holen. Oder einen von meinen Brüdern.“

Sie legte ihre Hand auf seine Brust, genau auf die Stelle über seinem Herzen. Doch sofort riss sie sie wieder zurück, so, als hätte sie sich an ihm verbrannt. Dane bedauerte das. Die flüchtige Berührung hatte ihm gutgetan.

Das Mädchen griff nach Danes linkem Fuß. Vorsichtig zog sie ihm den Stiefel aus. Dane versuchte, sich ein Stöhnen zu verkneifen, aber er konnte es nicht verhindern, als ihm ein stechender Schmerz durch das Bein fuhr. Es war nicht cool, vor einem hübschen Mädchen wie ein Waschlappen zu wirken, aber er war jetzt definitiv in einer schlechten Verfassung.

Sie riss noch ein Stück Stoff von seinem T-Shirt ab und wickelte ihm den langen Streifen um den Knöchel. Das fühlte sich tatsächlich besser an.

Das Mädchen saß neben ihm. Sie hatte die Hände in ihrem Schoß gefaltet. „Ich sollte nicht hier sein. Ich hätte dich nicht berühren sollen. Es tut mir leid.“

Dane verstand nicht, wieso sie so aufgewühlt war. Er versuchte sich aufzurichten, fiel aber wieder zu Boden, und seine Augen schlossen sich. Er wurde von Dunkelheit umhüllt.

Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter und schüttelte ihn. Verwirrt ächzte er und versuchte, seine Augen zu öffnen. Die Sonne blendete ihn, bis sein Vater sich über ihn beugte, das Sonnenlicht verdeckte und ihn anstarrte.

„Dad?“

„Geht’s dir gut, Junge? Hast du dir etwas gebrochen?“

„Mein Kopf tut weh. Mein Knöchel auch, aber ich glaube, ich hab mir nichts gebrochen, außer meinen Stolz. Ich bin von meinem verdammten Pferd gefallen.“

„Komm, ich bringe dich nach Hause. Kannst du aufstehen?“

„Ich denke schon.“ Dane stemmte seine Hände neben sich auf den Boden und setzte sich auf. Der nasse Stofffetzen rutschte von seinem Kopf und landete auf seinem Bauch. Die blaue Feder glitt auf seinen Schoß.

„Wo ist sie?“

„Wer?“

„Das Mädchen.“

„Dane, hier ist niemand.“

„Sie hat mir geholfen. Sie muss hier irgendwo sein.“

„Hier ist meilenweit kein Mensch.“

„Wie hast du mich gefunden?“

„Hombre ist ohne dich nach Hause gekommen. Ich weiß ja, dass du gern am Fluss entlangreitest, also bin ich den Hufabdrücken gefolgt.“ Danes Vater neigte seinen Kopf zur Seite und sah nachdenklich aus.

„Ich glaube, ich habe dich pfeifen gehört.“

„Ich war bewusstlos.“

„Dann muss es der Wind in den Bäumen gewesen sein.“

Das glaubte Dane nicht. Er nahm den Kiel der Feder zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtete das seltsame Geschenk des Mädchens. Mit seinem Blick suchte er das Flussufer bis hinauf zu den sanft geschwungenen Hügeln ab. Sie war nirgends zu sehen. Das beklemmende Gefühl, das ihm die Luft zum Atmen zu nehmen schien, und die Traurigkeit, die ihn überkam, konnte Dane nicht verstehen. Dafür allerdings sein Bedauern darüber, dass er sich nicht bei dem Mädchen hatte bedanken und verabschieden können. Nicht einmal ihren Namen hatte er erfahren.

Danes Vater hielt ihm seine rechte Hand hin. Dane ergriff sie. Sein Vater zog ihn hoch, und Dane stützte sich auf sein rechtes Bein. Er versuchte, seinen lädierten linken Knöchel zu belasten, aber schon bei dem leichten Druck schoss ihm der Schmerz das Bein hinauf.

„Siehst du doppelt?“, fragte sein Vater nach.

„Vorhin war das so, aber jetzt ist es schon besser.“

„Es war gut, dass du dein T-Shirt zerrissen hast, um deinen Knöchel zu verbinden und die Blutung am Kopf zu stillen.“

„Das hab ich nicht, das war sie.“

Sein Vater sah Dane argwöhnisch an und schüttelte den Kopf.

„Dane …“

„Wenn ich es dir sage, Dad, da war ein Mädchen. Sie hat mir geholfen.“

„Okay, mein Junge. Ich glaube dir, aber ich habe hier niemanden außer dir gesehen. Ich wüsste nicht, wo sie hingegangen sein könnte. Wir sind mitten im Nirgendwo.“

Das war genau der Grund, aus dem es Dane hier so gefiel. Dennoch, wo war sie hergekommen und wo war sie jetzt?

Dane hievte sich schwerfällig in den Sattel und ergriff die Zügel des Pferdes, das sein Vater für ihn mitgebracht hatte. Aufmerksam suchte er während des gesamten Heimwegs die Umgebung ab, aber er sah nichts und niemanden.

In der folgenden Zeit ging Dane immer wieder zurück zu der Stelle am Fluss und hielt Ausschau nach dem dunkelhaarigen, blauäugigen Mädchen. Er hatte sie niemals wiedergefunden, aber er hatte sie auch ebenso wenig vergessen können.

Kapitel 1

Las Vegas, Nevada
Weltmeisterschaft im Profi-Bullenreiten

Es war das erste Mal, dass Bell bei einem Rodeo zuschaute, und ihre Begeisterung schien keine Grenzen zu kennen: die Cowboys in ihren Jeans und Chaps, den Cowboy-typischen Beinkleidern aus Leder. Die wunderschönen Pferde. Die Furcht einflößenden Bullen. Die Aufregung, die mit jeder Sekunde des Ritts stieg. Die Lichter in der Arena und das Gebrüll des Publikums, wenn es den Wettkämpfern zujubelte. Sie hatte noch nie so ein Spektakel gesehen.

Das Gleiche hatte sie gedacht, als neulich dieses Flugzeug über den Las Vegas Strip flog, den berühmten Straßenabschnitt in Nevada, der von Nobelhotels und Casinos gesäumt wird.

Ihre Halbschwester Katherine packte Bells Arm, als der nächste Bulle aus der Box preschte. Das Jubeln des Publikums verwandelte sich in ein beunruhigtes „Oh“, als der Reiter von dem gewaltigen Tier heruntergeschleudert wurde, auf wackeligen Beinen landete und so schnell es ging zum Zaun rannte, weil der Bulle sich plötzlich umdrehte und in seine Richtung lief. Katherines Ehemann Tony und die anderen Rodeo-Clowns wedelten heftig mit den Armen, um das Biest davon abzuhalten, auf den fliehenden Reiter loszugehen.

„Er ist so sexy“, sagte Katherine und schaute zu Tony, als sie endlich ihren schmerzhaften Griff von Bells Arm löste.

Bell lächelte ihre Schwester an und fragte sich, wie zur Hölle sie hier gelandet waren. Bell hatte versucht, sich vor dem Trip nach Las Vegas und vor allem vor dem Finale der Weltmeisterschaft im Bullenreiten zu drücken. Sie stammte zwar aus Montana, aber sie war eben einfach kein Farmermädchen.

Vor zwei Jahren war Katherine nach Montana auf Tonys Ranch gezogen. Dort lebte auch ihre Großmutter. In deren Haus entdeckte sie schließlich das Familiengeheimnis. Katherine hatte eine Halbschwester, die aus einer Affäre ihres Vaters hervorgegangen war. Katherine war geschockt gewesen. Doch nach und nach hatte sie endlich angefangen zu verstehen. Hatte den Sinn hinter all den wütenden Gesprächsfetzen zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter erkannt. Mit einem Mal begriff sie, und sie war wütend, dass ihr niemand jemals etwas davon erzählt hatte. Sofort hatte sie ihren Vater in Kalifornien kontaktiert und gehofft, Antworten zu bekommen. Sie erhielt jedoch nur eine: Bell war vielleicht ihre Halbschwester, aber sie gehörte nicht zur Familie und so würde es auch bleiben. Verblüfft von der unmissverständlichen Antwort ihres Vaters, setzte Katherine sich erst recht über dessen Verbot hinweg und gewann ganz langsam Bells Vertrauen.

Während Katherine nichts von Bells Existenz gewusst hatte, war es ihrer Großmutter eine Freude gewesen, alle Details aus Katherines behütetem Leben mit Bell zu teilen und sie mit der Tatsache zu quälen, dass Bell nichts weiter als eine Last gewesen war. Katherine war die Prinzessin, Bell dagegen die Leiche im Familienkeller, die niemals ans Licht kommen sollte.

Nun saß Bell hier neben Katherine – der Frau, von deren Leben sie einst geträumt hatte. Katherine war in einem wunderschönen Zuhause aufgewachsen, behütet von liebenden Eltern. Sie war deren Ein und Alles und wurde von klein auf verwöhnt.

Bells Kindheit war alles andere als schön gewesen. Sie wurde von ihrer gesamten Familie gehasst, auch von ihrer Großmutter, die sie großgezogen hatte. Als religiöse Fanatikerin erzählte ihre Großmutter ihr täglich, dass sie nichts anderes als eine Schande war, eine Brut des Bösen, etwas, das vor zivilisierten, gottesfürchtigen Menschen versteckt werden musste. Sogar ihre eigenen Eltern hätten das Böse in ihr erkannt und sie verstoßen. Sie sollte dankbar sein, dass ihre Großmutter Mitleid mit ihr hatte, sie großzog und täglich zu Gott betete, dass er sie vor dem Bösen beschützen möge.

Das Leben mit ihrer strengen Großmutter, die ihr ständig Vorschriften machte und ihre bitterböse Zunge nicht im Zaum halten konnte, war die Hölle für Bell gewesen. Sie erinnerte sich wehmütig an die Zeit zurück, als sie außer Hass und Ablehnung auch Liebe und Freundlichkeit erfahren hatte.

Bevor Bells Großvater starb, hatte er sich darum bemüht, seiner Enkelin etwas beizubringen und sie für Gartenbau und Hühnerzucht zu begeistern. Bell würde nie den Tag vergessen, an dem er mit ihr zum neuen Hühnerstall ging und sie bat, ihre Hände auszustrecken und die Augen zu schließen. Sie tat es und empfand eine kribbelnde Vorfreude. Ihr Großvater legte ihr etwas Weiches in die Hände. Als sie ihre Augen öffnete, quietschte sie vor Freude über das hellgelbe Küken, das sie neugierig anschaute, und die zehn weiteren, die um ihre Füße hüpften.

Bell erinnerte sich an sein liebevolles Lächeln und daran, wie er ihr übers Haar strich, wenn sie etwas gut gemacht hatte. Sie wünschte sich, sie hätte mehr Erinnerungen an ihn. Für ihren Großvater hatte sie sich weiterhin um ihre Großmutter gekümmert. Eine gute Tat brachte eine andere hervor, war Bells Devise, obwohl ihre Großmutter es ihr bis heute extrem schwer machte.

Wieso zum Teufel hatte Bell bloß zugestimmt, hierherzukommen? Sie und Katherine hatten nichts gemeinsam; sie waren so verschieden wie Tag und Nacht. Katherines Optimismus widersprach Bells realistischer Sichtweise. Ihre zum Teil unangenehmen Gespräche und der seltsame Umgang miteinander waren der Beweis für die Kluft zwischen ihnen, die vielleicht niemals überbrückt werden konnte. Dennoch versuchte Katherine immer wieder, eine Beziehung zu Bell aufzubauen, was durch Bells Widerwillen, sich Katherine zu öffnen, kein leichtes Unterfangen war. Niemand in der Familie hatte jemals etwas mit Bell zu tun haben wollen, wenn man von ihrem Großvater absah. Sie verstand nicht, wieso Katherine sich für sie interessierte, doch sie blieb freundlich, aber dennoch distanziert – bis Katherine sie angefleht hatte, zusammen mit Tony und ihr diesen Trip zu unternehmen. Bell gab der nörgelnden Stimme in ihrem Herzen nach, die wollte, dass sie aufhörte, Katherine wegzustoßen, und sie stattdessen an sich heranlassen und versuchen sollte, eine Beziehung zu ihrer einzigen Schwester aufzubauen.

Sie war also gemeinsam mit Katherine nach Nevada geflogen. Mit Tony hatten sie sich im Hotel getroffen, nachdem er seine Bullen für die Meisterschaft den ganzen Weg von Montana hierhergefahren hatte. Bell nahm sich fest vor, Katherine besser kennenzulernen.

Das Publikum jubelte wieder, und Bell gestand sich im Stillen ein, dass sie noch einen anderen Grund gehabt hatte, hierherzukommen. Nämlich die Chance, ihn wiederzusehen.

„Unser letzter Reiter für heute“, donnerte die Stimme des Sprechers durch die Lautsprecher. „Ein Mann, den man nicht vorstellen muss: Dane Bowden!“

Das Publikum tobte, alle standen auf, streckten ihre Fäuste in die Luft und johlten: „Super-Dane! Super-Dane! Super-Dane!“

Bell saß auf der Kante ihres Sitzes, das Herz schlug ihr bis zum Hals, und ihr Blick war fest auf den Mann gerichtet, den sie seit dem Tag, an dem er von seinem Pferd gefallen war, nicht mehr gesehen hatte. Er kletterte auf das Tor zur Box, zog seinen schwarzen Cowboyhut vom Kopf und winkte dem Publikum damit zu. Auf seinem Gesicht lag das verschmitzte Grinsen, an das sie sich noch aus Kindheitstagen erinnerte. Alles in ihr wurde still, das Toben der Menge um sie herum verschwand, und alles, was sie noch wahrnahm, war der Mann, den sie niemals vergessen konnte.

Ausgerüstet mit Schutzweste, Chaps, Sporen und dem charakteristischen schwarzen Cowboyhut kletterte Dane über das Gatter in die Startbox, um seine Position auf dem Rücken des schwarzen Biestes einzunehmen, das den Namen Black Cloud trug. Unter sich spürte er den angespannten, tobenden Bullen, der stolze fünfhundert Kilo auf die Waage brachte. Dane schob seine rechte Hand unter die flache geflochtene Schnur, zog sie über seine Hand, packte zu und klammerte sich fest. In nur acht Sekunden würde sich entscheiden, wo er landen würde – Sieg oder Tod. Sein rechter Rehlederhandschuh hatte einen Riss am Daumen, aber er versuchte, sich davon nicht ablenken zu lassen. Irgendjemand musste sich in den letzten beiden Wochen an seiner Ausrüstung und an seinem Truck zu schaffen gemacht haben, doch Dane verdrängte die Gedanken daran rasch. Heute würde ihn nichts aufhalten. Er war schon immer in der Lage gewesen, alles um sich herum zu vergessen, sobald er auf dem Rücken eines Bullen saß, und sich nur auf den Nervenkitzel und den Sieg zu konzentrieren. Das hier war seine letzte Meisterschaft, und er hatte vor, sich als Sieger zu verabschieden. Seinen Eltern und seinen drei Brüdern hatte Dane versprochen, dass er danach nach Hause kommen und sein rastloses Leben aufgeben würde, um die Ranch der Familie zu führen. Es wäre der Eintritt in ein normales und langweiliges Leben für Dane, und es wartete direkt nach diesem Ritt auf ihn.

Er würde heute dieses schwarze Biest zähmen und sich um das andere, innere kümmern, wenn er zurück in Montana war. Heute ritt er im Scheinwerferlicht von Las Vegas.

Dane nickte, das Gatter der Box öffnete sich, und der Bulle bockte und bäumte sich auf. Einen Arm in die Luft gestreckt, klammerte sich Dane mit der anderen Hand am Halteseil fest, während der Bulle sich wand und das Publikum tobte. Er versenkte seine Sporen in der Seite des Bullen, hielt sich mit den Knien fest und bewegte sich zusammen mit Black Cloud. Der Bulle trat, bäumte sich auf und drehte sich. Nächste Runde. Dane hielt sich fest. Es war Zeit, den Ritt zu beenden, seinen Gewinn abzuholen und als die Nummer eins aufzuhören. Der Platz, um den er in den letzten Jahren gekämpft hatte, schien immer außerhalb seiner Reichweite gewesen zu sein. Mit drei großen Brüdern war der erste Platz immer aussichtslos gewesen. Dieses Jahr hatte er sich auf dem zweiten Platz behauptet. Er hätte genauso gut Letzter sein können. Heute würde er Erster werden. Ein Champion.

Das Signalhorn ertönte. Die acht Sekunden waren vorbei. Er hatte es geschafft und würde als Sieger heimkehren. Bei jedem Ritt gab es zwei große Athleten. Diese Runde ging an den zweibeinigen von ihnen. Dane lächelte, als das Publikum ihm frenetisch zujubelte.

In dem Moment, als Dane absteigen wollte, drehte sich der Bulle in letzter Sekunde und traf ihn in die Seite, bevor Danes Füße den Boden berührten. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Rodeo-Clowns heraneilten, aber sie kamen nicht rechtzeitig. Black Cloud drehte sich erneut um, rammte seinen Kopf gegen Danes Brust, und er wurde von den Beinen gerissen. Durch die Wucht des Aufpralls verlor er seinen Zahnschutz, biss sich auf die Unterlippe und schmeckte Blut. Er wirbelte durch die Luft. Sein linker Fuß kam zuerst auf dem Boden auf, danach krachte er mit seinem ganzen Körper zu Boden. Sein Kopf schlug auf der Erde auf, und seine Sicht verschwamm, nachdem er noch den massigen Körper des Bullen wahrnahm, der sich über ihm wie in Zeitlupe bewegte. Die gewaltigen Hufe stürzten auf Danes Bein hinab, und seine Knochen zerbrachen wie Zweige. Seine Haut riss ebenso auf wie seine Jeans. Ein brennender Schmerz schoss ihm blitzartig durch jeden Nerv seines Körpers. Danes Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb, und das Blut rauschte in seinen Ohren. Der Bulle rammte ihn erneut mit seinem riesigen Schädel, und Dane rutschte ein paar Meter über den Boden.

Scheiße. Das kann es doch nicht gewesen sein. So kann ich nicht aufhören.

Es gab noch so vieles, das er in seinem Leben erreichen wollte. Anstelle von Bildern aus seiner Vergangenheit zogen Bruchstücke von alldem, was er nie erleben würde, an ihm vorbei. Er würde niemals seine eigene Ranch führen. Niemals heiraten. Niemals Kinder haben. Niemals die Art von Liebe und Glück kennenlernen, die der Rest seiner Familie gefunden hatte.

Verdammt. Das Schicksal hatte sein Lasso ausgeworfen und würde ihn vom Sieg in den Tod ziehen.

Der Schmerz war überwältigend. Dane spürte seinen Körper nicht mehr. Das Publikum hielt die Luft an, und die Lichter in der Arena erloschen.

Als Dane auf dem Rücken von Black Cloud aus der Box geschossen kam, hatte Bells Herz begonnen, gegen ihren Brustkorb zu hämmern. Ihr Magen zog sich in einer Mischung aus Vorfreude und Angst zusammen. Sie betete, dass er gewann. Und sie betete, dass er sich nicht verletzen würde.

Oh Gott, er sah großartig aus. Sein muskulöser Körper hielt den Bewegungen des Bullen stand, während das Tier bockte und versuchte ihn abzuwerfen. Bell bewunderte seine Kraft und Entschlossenheit, die Konzentration, die man an seinem intensiven Blick erkannte. Als das Signalhorn ertönte, hatte er einen Arm in die Luft gereckt, um die Balance zu halten, und die Hand beim Sieg zur Faust geballt. Ein Strahlen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er hatte gewonnen.

Sie atmete erleichtert auf und lächelte in seine Richtung. Doch unvermittelt drehte der Bulle sich und erwischte den völlig überraschten Dane noch bevor er vollständig abgestiegen war. Ihr Mund formte sich zu einem stummen Schrei, und ihr Herz setzte aus. Dane wurde durch die Luft geschleudert. Der Bulle hatte ihn schwer erwischt und Danes Bein mit seinen Hufen zertrümmert. Blut sickerte neben ihm in den Boden. Bell hatte eine medizinische Ausbildung, deshalb zögerte sie nicht eine Sekunde; sie sprang auf und quetschte sich die Sitzreihe entlang, vorbei an den anderen geschockten Zuschauern. Sie rannte die Stufen hinunter, sprang über die kleine Tribünenmauer, hetzte auf den zwei Meter hohen Zaun zu und kletterte darüber. Sie blieb nicht stehen, als der Sicherheitsmann sie zurückrief oder als die beiden Rodeo-Clowns versuchten, sie aufzuhalten. Sie lief direkt auf den blutenden Dane am Boden zu. Stolpernd kam sie neben ihm zum Stehen und kniete sich hin. Sie schob seine Chaps über seinen Oberschenkel, riss die Jeans auf und legte die zersplitterten Schien- und Wadenbeinknochen frei, die aus der offenen Wunde ragten. Sie wollte ihm keine zusätzlichen Schmerzen bereiten, doch sie musste sein kaputtes Bein bewegen, um ihm das Leben zu retten. Mit einer Hand griff sie in seinen linken Cowboystiefel, packte den Knöchel, um ihn zu stabilisieren, und zog ihm mit der anderen Hand den Stiefel aus, um sich ein Bild vom ganzen Ausmaß seiner Verletzungen zu machen. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie den Bullen, der weiter mit den Hufen stampfte und sich angriffslustig drehte. Sie richtete Danes Bein, und ein Anflug von Panik überkam sie, als Dane vor Schmerz stöhnte, doch sie hörte nicht auf. Ihr Blick war nun auf die Arterie gerichtet, aus der das Blut spritzte. Sie drückte mit Daumen und Zeigefinger darauf, um die Blutung zu stoppen.

Ein gellender Schrei drang an ihre Ohren.

„Pass auf!“

Erschrocken sah Bell auf und registrierte, dass die Hinterbeine des Bullen sich ihrem Kopf bedrohlich näherten. Geistesgegenwärtig ließ sie sich auf den Rücken fallen. Trotz ihrer schnellen Reaktion erwischte sie einer der Hufe an der Stirn. Es war nur ein Kratzer, aber sie hatte Danes Bein und damit die Arterie, aus der das Blut ungehindert spritzte, loslassen müssen. Nur wenige Zentimeter von ihrem Körper entfernt kamen die Hufe des Bullen auf dem Boden auf. Ein Mann auf einem Pferd näherte sich und versuchte, das rasende Tier abzulenken. Bell kroch zu Dane hinüber und legte sich schützend über ihn, als der Bulle mit seinem gewaltigen Schädel voran erneut auf sie zurannte. Der Reiter rammte den Bullen zur Seite, doch zuvor erwischte das massige Tier Bell an der Schulter und schob sie und Dane ein Stück über den staubigen Boden. Erst dann gelang es den Rodeo-Clowns, die Aufmerksamkeit des Bullen auf sich zu lenken. Black Cloud rannte zum Ausgang, als wäre nichts passiert.

Bells Kopf dröhnte, und Blut lief ihre Wange hinab. Ihr Blick war verschwommen. Der heftige Schmerz in ihrer Schulter breitete sich bis in ihren Arm aus. Doch sie versuchte, all das so gut es ging zu ignorieren und konzentrierte sich stattdessen auf den schwerverletzten Dane.

Über und über mit Erde und Staub verschmiert, richtete sie sich wieder auf, legte ihre Finger auf die Arterie, aus der weiterhin das Blut schoss, und überprüfte Danes Bein. Wann würde sich die Arena leeren, und wann kamen die Sanitäter endlich?

Verdammt, er hatte schon eine ganze Menge Blut verloren.

So wie er von dem Bullen traktiert worden war, vermutete sie, dass er auch eine Gehirnerschütterung und vielleicht ein paar geprellte oder gebrochene Rippen hatte, eventuell sogar eine Verletzung an der Wirbelsäule.

„Dane, wie geht’s dir?“ Tony kniete sich neben Bell hin.

„Er ist bewusstlos.“

„Das war mein Bulle, auf dem er saß. Scheiße.“ Tonys Blick wanderte zu Bell. „Bell, dein Kopf blutet.“

„Geh aus dem Weg und lass die Sanitäter durch“, befahl sie, ohne auf seine Worte einzugehen. Sie hatte keine Zeit, sich Sorgen um sich selbst zu machen. Sie mussten Danes Leben retten.

„Wie zum Teufel bist du so schnell hier runtergekommen?“, fragte Tony.

Sie wusste es selbst nicht. Sie hatte den verwundeten Dane am Boden liegen sehen, und der Impuls, zu ihm zu gelangen, ihn zu retten, hatte sie übermannt und jeden anderen Gedanken, jede Vernunft verdrängt.

Der Bulle hätte sie töten können.

Als ihr das bewusst wurde, überkam sie ein Schwall nackter Angst, doch sie atmete tief durch und konzentrierte sich auf Dane und darauf, die Blutung an seinem Bein zu stillen.

„Wir übernehmen hier“, kam es von dem dunkelhaarigen Sanitäter, der seine Ausrüstung neben Dane auf dem Boden abstellte.

„Ich bin Dr. Bell, orthopädische Chirurgin aus Bozeman. Ich brauche eine Klemme, um die Arterie hier zu verschließen.“

Der Sanitäter nickte überrascht und reichte ihr das Instrument. Sie brachte die Klemme direkt über ihren Fingern an der Arterie an und ließ los. Sie wusste, dass Schnelligkeit entscheidend war. Noch ein wenig benommen von dem Tritt des Bullen gegen ihren Kopf, war sie nicht in der Lage, so schnell zu denken wie gewöhnlich, aber sie versuchte sich zu konzentrieren, sich auf ihre Erfahrung aus der Notaufnahme zu verlassen und Schritt für Schritt weiterzumachen.

„Wir müssen sein Bein stabilisieren. Außerdem benötigt er eine Halskrause. Überprüfen Sie seine Vitalfunktionen, und legen Sie einen Zugang.“

Die Sanitäter schnitten einen Ärmel von Danes Hemd bis zur Schulter auf. Auf der Innenseite seines Unterarms kam ein Tattoo zum Vorschein: eine blaue Feder mit einem Schriftzug darunter: Ein Engel wacht über mich. Erschrocken schnappte sie nach Luft.

„Der Zugang ist gelegt, Doktor. Wie sieht das Bein aus?“

Bell wandte sich wieder Danes kaputtem Bein zu. „Ich brauche eine Schere.“ Sie streckte ihre Hand aus und nahm das Instrument entgegen, das ihr gereicht wurde. Damit zerschnitt sie Danes Hosenbein bis zur Mitte seines Oberschenkels und zog anschließend seine Socke herunter. Bell schob den blutgetränkten Stoff der Jeans beiseite, um sich Danes Bein genau ansehen zu können. Ihr gefiel nicht, was sie sah. Sie kniff in seinen großen Zeh. Die Haut wurde weiß und erst nach einigen Sekunden wieder rosa, was auf eine schlechte Durchblutung schließen ließ.

„Wir müssen ihn sofort ins Krankenhaus bringen“, wies sie die Sanitäter an, die gerade dabei waren, Danes Kopf mit einer Halskrause zu stabilisieren. „Ich brauche eine Schiene, Verbandszeug, Mull. Kommt, Leute, bewegt euch.“

Sie hatte sechs Monate in der Notaufnahme gearbeitet und war kontrolliertes Chaos gewöhnt. Bei Trauma-Patienten zählte jede Sekunde.

„Wie sind seine Werte?“

„Seine Atmung ist flach, aber stabil. Freie Atemwege. Blutdruck hundertzwanzig zu siebenundsiebzig, Herzfrequenz neunundachtzig.“

„Dr. Bell, was zum Teufel machen Sie hier?“

Sie schaute hoch und sah Gabe und Blake Bowden, die hinter den Sanitätern standen. Sie waren aus Montana hergekommen, um ihrem Bruder beim Rodeo zuzuschauen. Hin und wieder hatten die beiden ihre Frauen zur Behandlung zu ihr in die Praxis gebracht. Ansonsten kannten sie Bell nicht. Nicht wirklich jedenfalls. Aber Bell wusste alles über die beiden, schließlich war sie direkt nebenan aufgewachsen, doch davon hatten die Bowden-Brüder nicht den Hauch einer Ahnung.

Sie hatte keine Zeit, auf die Frage einzugehen, sondern blieb bei der Sache. „Hat Dane irgendwelche Medikamentenallergien?“

„Nein“, sagte Gabe.

„Irgendwelche Operationen oder Krankheiten in der Vergangenheit?“

„Die Mandeln wurden ihm entfernt, als er noch klein war. Ein Bänderriss und ein Muskelriss in der Schulter wurden vor zwei Jahren behandelt. Eine OP am Knie vor drei Jahren“, fügte Gabe hinzu.

„Nimmt er irgendwelche Medikamente?“

„Nicht dass ich wüsste. Blake, weißt du das?“

„Ibuprofen vielleicht. Es waren ein paar harte Wettkampftage. Wahrscheinlich ist er gestern Abend auch was trinken gewesen, aber während eines Wettkampfs trinkt er normalerweise nicht mehr als zwei Bier.“

„Irgendwelche Drogen?“

„Nein“, sagten Gabe und Blake gleichzeitig.

„Sind Sie sicher? Ein bisschen Gras, vielleicht etwas Koks, wenn er auf Partys geht?“

„Nein“, knurrte Gabe, der seinen kleinen Bruder beschützen wollte.

„Wie lange ist seine letzte Tetanus-Impfung her?“

„Was weiß ich? Steht vielleicht in seiner Akte in der Klinik“, sagte Blake.

Bell säuberte die Wunde mit sterilen, mit Kochsalzlösung getränkten Mulltupfern, bevor sie sie verband. Mit der Hilfe eines Sanitäters legte sie Dane eine Schiene an und fixierte sie. Als das erledigt war, ergriff Bell Danes gesundes Bein. Einer der Sanitäter nahm Danes Kopf, der andere seine Schulter, und so rollten sie Dane auf die Seite und schoben die Trage unter ihn. Dann schnallte einer der Jungs ihn fest.

„Ich brauche eine Lampe.“ Bell nahm die Stablampe von einem der Sanitäter und prüfte Danes Pupillen. Alles war so weit in Ordnung. Sie löste Danes Brustschutz und entfernte ihn. Mit den Händen tastete sie seine Brust ab, um zu überprüfen, ob er sich womöglich dort etwas gebrochen hatte. Doch sie fühlte nichts. Bell erhöhte den Druck mit der Hand, um zu sehen, ob er darauf reagierte.

Bitte, du musst wieder gesund werden. Normalerweise kannte sie die Patienten, die sie behandelte, nicht, aber dieser Mann hatte einen besonderen Platz in ihrem Herzen. Auch wenn er das nicht wusste.

„Dane. Hey, Dane. Kannst du die Augen aufmachen und mich ansehen?“

Er stöhnte halbherzig und versuchte, seine Augen zu öffnen. Erleichterung durchströmte sie, und ihre angespannten Muskeln lockerten sich ein wenig.

„Gut so, Dane. Wir bringen dich jetzt ins Krankenhaus. Du wirst wieder gesund.“

Sie half den Sanitätern, die Trage zu transportieren. Bell übernahm das Fußende, während die Sanitäter je eine Seite vorn ergriffen. So gingen sie durch die Arena zum wartenden Krankenwagen. Erst jetzt bemerkte Bell die Menschenmenge um sie herum und auf der Tribüne. Die Welt in ihrer Umgebung erwachte langsam wieder, doch das Schweigen des Publikums blieb. Leider würde Dane nach dem, was er durchgemacht hatte, wohl kaum so schnell wieder fit werden. Seine Lage war stabil – im Moment. Sie hatte alles, was sie für sein Bein tun konnte, getan. Jetzt mussten sie ihn so schnell wie möglich operieren.

„Doktor, wie geht’s ihm? Wird er wieder gesund?“, fragte Gabe sie, der neben ihr herging. Seine Worte klangen zaghaft und waren voller Sorge und Angst.

„Er hat eine gerissene Arterie und einen komplizierten Bruch. Er muss operiert werden. Im Krankenhaus werden ein orthopädischer Chirurg und ein Gefäßchirurg übernehmen.“

„Wie schätzen Sie denn die Situation ein?“

Es missfiel ihr, die unbequeme Wahrheit auszusprechen, und sie zögerte eine Sekunde. „Er … es kann sein, dass er sein Bein verliert, aber ein guter Chirurg kann die Knochen stabilisieren, die umliegenden Muskeln und das Gewebe wieder in Ordnung bringen und ihm dadurch eine echte Chance geben, sein Bein zu behalten.“ Sie bemühte sich um Optimismus, obwohl sie wusste, dass Danes Chancen, wieder gesund zu werden, mehr und mehr schwanden, wenn er nicht sofort die bestmögliche Behandlung bekam. Doch obwohl Bell sich wünschte, sie könnte mehr für ihn tun, war sie im Moment an den Grenzen ihrer ärztlichen Möglichkeiten angelangt. „Er ist jung und fit. Seine Lage ist kritisch, aber stabil. Er hat gute Chancen.“

Sie schoben Dane auf der Trage in den Krankenwagen. Bell schlüpfte trotz der fragenden Blicke der Sanitäter mit hinein.

„Sie melden uns in der Klinik an. Ich kümmere mich darum, dass er stabil bleibt“, sagte sie vollkommen unbeeindruckt zu ihnen.

Einer der Sanitäter kontaktierte das Krankenhaus über Funk und gab Danes Werte und andere Informationen durch, damit das Notfallteam vorbereitet war, wenn sie ankamen.

Bevor sie die Tür zuzog, sah Bell Gabe an. „Fahren Sie zum Krankenhaus. Sie wollen sicher mitbestimmen, falls Entscheidungen getroffen werden müssen. Wenn wir dort ankommen, ist er nicht mehr mein Patient. Sie müssen mit dem Chirurgen reden, bevor er irgendetwas macht. Fragen Sie ihn nach den Einzelheiten.“

Die Tür schloss sich und hielt Bell so davon ab, noch etwas hinzuzufügen. Sie wollte es nicht aussprechen, aber Danes katastrophale Verletzung war vielleicht schon zu weit fortgeschritten, um sein Bein noch retten zu können. Dane brauchte jemanden, der die Ärzte dazu drängte, alles Menschenmögliche dafür zu tun, sein Bein zu erhalten – solange er stabil war.

Bell nahm Danes Hand und drückte sie. „Du hast eine langwierige Genesung vor dir, egal was passiert. Du musst jetzt kämpfen.“

Danes Lider hoben sich flatternd. Er flüsterte etwas in die Sauerstoffmaske. Bell zog die Maske beiseite.

Er starrte sie mit seinen dunkelbraunen Augen an. „Mein Bein … Bitte, du musst meinen Vater holen.“

Diese Worte hatte er auch damals zu ihr gesagt, unten am Fluss. Zu einer anderen Zeit. In einem anderen Staat. Sie war eine andere geworden. Sie war nicht mehr die Ausgestoßene.

„Dane, alles wird gut. Weißt du, welcher Tag heute ist?“

„Freitag? Nein, Samstag? Wo ist mein Vater? Hol einen von meinen Brüdern.“

„Gabe und Blake sind auf dem Weg zum Krankenhaus. Sie sind direkt hinter uns.“

„Bist du ein Engel? Du hast mir damals schon das Leben gerettet, aber dann warst du plötzlich verschwunden.“

Seine Frage brachte sie zum Lächeln. Sie stülpte ihm die Sauerstoffmaske wieder über Mund und Nase. Er schloss erneut seine Augen, aber ihre Hand hielt er weiter fest. Sein fester Händedruck nährte die Hoffnung in ihr, dass er durchkommen würde.

Mit dem Finger zeichnete sie sein Feder-Tattoo nach. Ein Engel? Wenn man irgendjemanden aus ihrer Familie danach fragen würde, würden die wahrscheinlich sagen, der Teufel habe sie geschickt. Ihre übereifrige, religiöse Großmutter hatte ihr das täglich zu verstehen gegeben.

Der Krankenwagen erreichte die Zufahrt zur Notaufnahme. Dane wurde sofort in einen der Behandlungsräume transportiert, wo bereits das Team mit einem orthopädischen Chirurgen wartete.

„Ich bin Dr. Patterson. Wie schätzen Sie die Situation ein?“

Bell erzählte dem Arzt alles, sie ließ kein Detail von Danes Verletzungen aus, während das Team der Notaufnahme Röntgenaufnahmen machte, um festzustellen, ob der Patient noch weitere Brüche hatte. Sie arbeiteten schnell und brachten ihn anschließend in den Operationssaal.

„Ich sehe es mir an, sobald er für die OP vorbereitet ist, aber es klingt ganz so, als gäbe es keine Rettung für sein Bein“, sagte Dr. Patterson so nüchtern, dass Bell wütend wurde.

„Man kann es ganz sicher retten. Es ist aufwendig, aber wenn ich es sage, kann man es retten.“

„Der Knochen ist in mehrere kleine Teile zersplittert. Wir reden hier über mehr als ein oder zwei Platten, die man einsetzen müsste. Es wäre ein Wunder, wenn es ganz heilt und er nicht sein Leben lang humpelt oder gar Schlimmeres.“

„Er ist Sportler, und er ist jung.“

„Er ist Rodeo-Reiter, kein olympischer Sprinter oder Skifahrer.“

Erneut kochte die Wut in ihr hoch. Ihr Herz schlug schneller, und sie ballte ihre Hände zu Fäusten, damit sie dem Arzt nicht dafür an die Gurgel ging, dass er Dane und sein Talent so einfach abtat. „Ich werde nicht über die Kraft und das Geschick diskutieren, das man braucht, um beim Rodeo auf einem Bullen oder einem Pferd zu reiten. Ich sage Ihnen, sein Bein ist noch zu retten. Sie können das schaffen.“

„Und ich sage Ihnen, dass das sehr unwahrscheinlich ist, wenn man die Verletzungen am Knochen, am Gewebe und an den Gefäßen betrachtet.“

„Retten Sie sein Bein!“ Gabe bahnte sich durch das hektische Treiben in der Notaufnahme einen Weg zu ihnen. „Wenn sie sagt, dass es machbar ist, dann machen Sie es lieber.“

Bell stellte die beiden einander vor. „Dr. Patterson, Gabe Bowden, Danes großer Bruder. Dort drüben stehen Blake, sein anderer Bruder, und Gabes Frau Ella.“

„Mr. Bowden, wie ich bereits mit meiner reizenden Kollegin hier besprochen habe, sind die Verletzungen am Bein ihres Bruders erheblich. Sein Zustand ist kritisch. Wir wissen noch nicht mal, ob man seine Arterie und die Gefäße noch retten kann.“

Gabe sah hinab zu Bell.

Sie deutete das Flehen in seinem Blick richtig und sagte ihre Meinung dazu. „Es ist möglich.“

„Das ist die optimistische Einschätzung einer Ärztin, die gerade erst mit dem Studium fertig ist.“ Dr. Pattersons abfälliger Kommentar machte ihr nichts aus. Sie hatte sich schon sehr viel Schlimmeres anhören müssen, wenn sie Kollegen korrigierte oder ausbildete, die ein ganzes Stück älter waren als sie mit ihren sechsundzwanzig Jahren.

Ella stellte sich vor Gabe und übernahm die Situation wie eine toughe Geschäftsfrau, die sie ja auch war. Bell bewunderte ihr Selbstbewusstsein. „Dr. Bell möchte Sie in Ihrer ignoranten Einschätzung vielleicht nicht korrigieren, aber ich schon. Sie hat das College mit achtzehn abgeschlossen, ihr Medizinstudium mit zweiundzwanzig beendet und ist im vierten Jahr als Assistenzärztin in orthopädischer Chirurgie im Krankenhaus und Operationszentrum von Bozeman tätig. Ich wette, sie hat einen besseren Abschluss als Sie und ist im OP auch geschickter, als Sie es sind. Also werden wir es so machen: Sie werden Ihren Chef holen und Dr. Bell erlauben, bei dieser Operation mitzuarbeiten. Falls nicht, werde ich dafür sorgen, dass dieses Krankenhaus von so vielen Anwälten überflutet wird, wie ich nur auftreiben kann. Unter keinen Umständen verlässt mein Schwager dieses Krankenhaus mit nur einem Bein. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

„Mrs. Bowden, sie hat kein Belegrecht in diesem Krankenhaus oder diesem Bundesstaat, unabhängig von ihrer Qualifikation.“

„Ich bin mir sicher, dass es Ausnahmen für Spezialisten gibt. Sie ist die Spezialistin, die Dane braucht. Ich sage es nicht noch einmal. Sorgen Sie dafür, oder ich werde es tun.“

Gabe und Blake hatten sich hinter Ella wie eine Mauer aufgebaut. Sie funkelten Dr. Patterson finster an, der nur einen Augenblick später hinüber zum Schwesterntresen ging und das Telefon in die Hand nahm. Er sah nicht glücklich aus. Seinem verkniffenen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, behagte ihm nicht, was er seinem Chef sagen musste.

„Sie sind voller Blut“, flüsterte Gabe Bell leise zu.

Zum ersten Mal warf Bell einen Blick auf ihre Hände. Sie starrte auf ihre blutverschmierten Finger. Ihre Jeans war feucht und klebrig von Danes Blut.

„Ich bin sicher, eine der Krankenschwestern kann mir passende OP-Kleidung besorgen.“ Im nächsten Augenblick kam einer der Sanitäter zusammen mit einer Krankenschwester, einem Wagen mit Verbandszeug und einem Rollstuhl auf sie zu.

„Setzen Sie sich, Doktor. Lassen Sie uns Ihre Kopfwunde versorgen“, sagte die Schwester.

„Mir geht’s gut.“

Gillian, Blakes Frau, legte ihr die Hand auf die Schulter. „Wenn der Adrenalinspiegel sinkt, wirst du merken, dass du eine zehn Zentimeter lange klaffende Wunde über der Stirn hast, die höllisch wehtun wird, und zwar schon eine Sekunde nachdem du dir erlaubst, den Schmerz zu spüren. Lass sie die Verletzung versorgen.“

Bell fasste sich an den Kopf. Ihre Finger waren hinterher tatsächlich noch stärker blutverschmiert – sowohl von ihrem eigenen Blut als auch von Danes. Schmerzerfüllt zuckte sie zusammen und atmete zischend aus. Die Wut, die sich während des Gesprächs mit Dr. Patterson in ihr aufgebaut hatte, ließ nach, und der Schmerz bahnte sich langsam seinen Weg in ihr Bewusstsein. Es war ein Pochen, das ihrem schnellen Herzschlag ähnelte. Sie musste ein paar Mal tief durchatmen und sich beruhigen, sonst konnte sie Dane bei der Operation keine Hilfe sein.

„Hey, ein Bulle hat dich am Kopf erwischt“, sagte Blake. „Nimm dir eine Minute und lass es die Schwester ansehen.“

„Du wärst fast gestorben, als du Dane das Leben gerettet hast“, fügte Gabe noch hinzu.

Bell ließ sich seufzend in den Rollstuhl fallen. Unbarmherzig prasselte die Realität auf sie ein. Ihre Gedanken wurden mit den Bildern der letzten halben Stunde geflutet: der Bulle, der versuchte, Dane erneut anzugreifen, ihre verzweifelten Versuche, ihn zu beschützen. Ja, sie hätte sterben können. Ihr wurde ganz übel bei dem Gedanken. Sie presste eine Hand gegen ihren Bauch und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was sie dazu gebracht hatte, sich so zu verhalten.

Wieder fasste sie sich an die Stirn. Kann ich in dieser Verfassung die Operation durchführen? Ja. Ihre Sicht war klar und ihre Gedanken waren es auch. Sie hatte bereits einen Plan vom Ablauf der OP im Kopf. Sie würde es schaffen. Für ihn.

„Kommen Sie, wir müssen uns beeilen. In zwei Minuten wird Mr. Bowden nach oben in den OP gebracht“, drängte die Krankenschwester.

„Tut uns leid, Doktor, wir haben keine Zeit für eine behutsame Behandlung“, sagte der Sanitäter. Er säuberte die Wunde zügig und effektiv, wenn auch nicht sanft, mit von Kochsalzlösung getränkten Wattepads. „Das muss genäht werden, aber wir schließen die Wunde vorübergehend mit ein paar Klammerpflastern.“

Verkehrte Welt, schoss es ihr durch den Kopf. Normalerweise nähte sie selbst Wunden zusammen – bei ihren Patienten.

Die Krankenschwester legte ihr ein Bündel mit OP-Kleidung in den Schoß. Der Sanitäter beeilte sich, ihr Gesicht zu reinigen, und ignorierte dabei das Wasser, das auf ihr ruiniertes Oberteil tropfte. Sie beachtete es genauso wenig und bereitete sich gedanklich auf die Operation vor. Falls sie sie Dane überhaupt operieren ließen. Doch auch wenn sie nur zuschauen durfte, würde sie genau auf die Chirurgen achten und sichergehen, dass Dane die Behandlung bekam, die er brauchte.

Sie wusste die Unterstützung seiner Familie zu schätzen. Sie erinnerte sich, wie Ella und Gillian von ihr in den letzten Monaten behandelt worden waren, aber deren Verletzungen waren nichts gegen die von Dane gewesen.

„Los geht’s. Die Krankenhausleitung hat der Operation durch Sie zugestimmt“, sagte die Krankenschwester. „Sie müssen verdammt gut sein, wenn sie sich so schnell entschieden haben“, fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu.

Bell stand auf und folgte der Krankenschwester, wobei ihr der böse Blick von Dr. Patterson nicht entging. Es war nicht das erste Mal, dass sie einem Mann auf den Schlips trat.

Gabe und Blake traten an sie heran. Auch wenn es keiner Worte bedurfte – denn sie konnte die Sorge und die Angst in ihren Augen lesen –, sprach Gabe für sich und Blake: „Bitte tu alles, was du für ihn tun kannst.“

Bell berührte Gabes Unterarm mit ihrer Hand. „Das werde ich, versprochen. Ich tue alles, um sein Bein zu retten. Trotzdem müsst ihr darauf vorbereitet sein, dass es vielleicht nicht möglich ist.“

„Ich weiß, dass du das schaffst“, sagte Gabe und klang überzeugt.

„Was schaffen?“, fragte Katherine, die jetzt neben die anderen trat. Sie und Tony mussten den Bowdens zum Krankenhaus gefolgt sein, um Bell abzuholen.

„Ich werde Dane operieren. Es wird ein paar Stunden dauern. Fahrt zurück zum Hotel, ich nehme dann ein Taxi, wenn ich hier fertig bin.“

„Eine Operation, Bell? Schau dich doch mal an. Dein Kopf!“

„Mir geht’s gut. Ich muss mich beeilen, es ist schon fast eine halbe Stunde vergangen.“

Bell rannte zur Krankenschwester, die am Aufzug auf sie wartete. Sie stieg ein und erhaschte noch einen letzten Blick auf die beiden Bowden-Brüder und ihre Frauen. Bell fragte sich insgeheim, ob irgendjemand ins Krankenhaus kommen und die beste Behandlung für sie einfordern würde, sollte ihr einmal etwas passieren.

Bevor die Türen des Aufzugs sich schlossen, starrte sie zu ihrer Schwester und Tony hinüber. Sie kannte diese Frau kaum. Sie spürte jedes Mal, wenn sie Katherine ansah, den Neid in ihrem Herzen. Katherine war die Tochter, die ihr Vater gewollt hatte, um die er sich gekümmert und die er geliebt hatte. Die, die er behalten hatte – und nicht der Fehltritt und die Schande, die er wegsperrt hatte.

Sie behielt das Bild von Danes Familie im Kopf. Sie schwor sich, dass sie tun würde, was sie konnte, um ihr Versprechen zu halten.

Kapitel 2

Langsam wachte Dane auf und bemerkte nach und nach die Schmerzen, die sich von seinen Zehen bis hin zu seinem dröhnenden Kopf durch den ganzen Körper zogen. In dem Zimmer, in dem er sich befand, war es dämmrig. Er erkannte Gabe, der neben ihm auf einem Stuhl schlief. Ella hatte sich auf seinen Schoß gesetzt und ihr Gesicht an seinem Hals vergraben. Dieser Anblick, der so viel Vertrautheit und Nähe ausstrahlte, entlockte Dane ein Lächeln, bevor er seinen Kopf vorsichtig drehte. Auf der anderen Seite des Bettes entdeckte er Blake, der mit über der Brust verschränkten Armen auf einem Besucherstuhl eingenickt war.

Dane sah an sich herab. Dabei fielen ihm die venösen Zugänge an beiden Armen auf. Seine Rippen schmerzten. Er drückte eine Hand gegen den Verband, der seine Brust umschloss, atmete flach ein und stieß die Luft mit einem leisen Seufzer aus.

„Sechs Rippen sind geprellt, eine hat einen Haarriss. Das wird in ein paar Wochen heilen“, flüsterte eine sanfte, beruhigende Stimme vom Fußende seines Bettes. Obwohl er die Person am Fußende seines Bettes nicht kannte, taten ihm die Worte und deren sanfter Klang gut.

Bei dem Versuch, sie zu erkennen, blieb sein Blick an seinem linken Bein hängen, das gestreckt in einer langen Schlinge hing. Er erinnerte sich. Der Bulle hatte ihn durch die Luft geschleudert wie eine Puppe, ihn in die Seite gerammt, woraufhin er hart auf dem Boden aufgeschlagen war. Der stechende, höllische Schmerz, der ihn durchfuhr, als das Tier mit seinem enormen Gewicht sein Bein brach, so wie Jungs in der Schule, die Bleistifte zerbrachen, um Mädchen zu beeindrucken. Das Blut. Und sie. Der dunkelhaarige Engel, der aus dem Nichts aufgetaucht war. Sein Blick wanderte zu dem Feder-Tattoo auf seinem Arm.

Eine Hand legte sich auf seinen rechten Fuß. Er spürte die Berührung mit jeder Faser seines Körpers und konzentrierte sich anstatt auf den Albtraum, der in seinem Kopf tobte, ganz darauf.

„Es ist alles in Ordnung, Dane.“

„Was ist mit meinem Bein?“

„Wir haben zwei Platten, neun Schrauben und ein innovatives Drahtgeflecht eingesetzt, um die kleineren Teile des Knochens zusammenzuhalten. Dr. Ford hat den erheblichen Gewebeschaden und die gerissene Arterie erfolgreich behandelt. Es wird ein paar Monate dauern, aber es wird heilen. Du wirst mehrere Wochen nicht gehen können, aber mit Krücken sollte es funktionieren. Du hast großes Glück, dass du noch am Leben bist.“

Danes ganze Aufmerksamkeit galt der Frau, die an seinem Bett stand. Inzwischen war es im Zimmer wieder heller geworden, und er erkannte, dass sie atemberaubend schön war. Langsam nahm sie ihre Hand von seinem Fuß, und schon fehlte ihm diese einfache Berührung, so wie ihm der Sommerregen fehlte. Sie hatte ihren Kopf leicht zur Seite geneigt. Der Blick aus ihren wunderschönen blauen Augen, der seinem begegnete, wurde weich, bevor sie wieder wegsah.

„Ich erinnere mich an dich. Kenn ich dich? Sind wir uns schon mal begegnet?“

Statt eine Antwort zu erhalten, nahm seine Schwägerin Ella sein Gesicht zwischen ihre Hände. Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. Sie verdeckte den Blick auf die Frau am Fußende des Bettes. „Du bist ja wach. Wie fühlst du dich?“, fragte Ella.

„Ich habe ziemlich starke Schmerzen.“

„Ich besorge dir ein Schmerzmittel und lasse dich dann mit deiner Familie allein.“

„Danke, Dr. Bell“, sagte Ella, als die Ärztin aus dem Zimmer ging.

Dane starrte Ella und Gabe an, dieser war ebenfalls aufgewacht und stand jetzt hinter seiner Frau. „Dr. Bell? Aus Montana?“

„Ja. Kennst du sie?“, fragte Gabe.

„Nein. Aber ich weiß, dass sie Ella und Gillian behandelt hat. Was macht sie hier?“

„Dich retten. Du wärst mitten in der Arena fast verblutet“, sagte Blake mit belegter Stimme, während er sich mit den Händen übers Gesicht fuhr und verschlafen seine Augen rieb.

„Will mir vielleicht jemand verraten, was zur Hölle passiert ist, nachdem ich auf den Hintern gefallen bin?“

„Dr. Bell war unter den Zuschauern. Sie war mit ihrer Schwester dort. Tony Cortez ist ihr Mann.“

„Dr. Bell ist mit Tony verheiratet?“ Warum ihn das störte, wusste er nicht, aber das tat es. Sehr sogar.

„Nein, er ist mit Dr. Bells Schwester verheiratet, mit Katherine.“

Erleichterung breitete sich in Dane aus. Aber wieso eigentlich? Er kannte die junge Ärztin nicht einmal. Verschwommene Erinnerungen zogen bruchstückhaft an ihm vorbei, aber sie nahmen keine Konturen an. Sie kam ihm irgendwie bekannt vor, doch woher bloß? War dieses Gefühl seiner Erinnerung von gestern Abend geschuldet, oder war er ihr vorher bereits begegnet? Nur wo? Plötzlich dämmerte es ihm. Konnte sie das Mädchen sein, das er am Fluss gesehen hatte? Er war sich nicht sicher. Vielleicht war das nur Wunschdenken im Rausch der Medikamente. Die Schmerzmittel und sein dröhnender Kopf bewirkten, dass ihm ganz schummrig wurde.

„Black Cloud gehört Tony.“ Dane konnte wenigstens dieses Puzzleteil beisteuern.

„Dr. Bell ist sofort von der Tribüne zu dir gerannt. Sie wusste, dass der Zeitfaktor ganz entscheidend war. Sie konnte die Blutung größtenteils stoppen und fuhr mit dir im Krankenwagen hierher in die Klinik“, erklärte Ella.

Blake ergänzte mit einem leichten Schmunzeln: „Und dann hat Ella dem hiesigen Chirurgen mit einer Armee von Anwälten gedroht, wenn er auch nur daran denken würde, dein Bein zu amputieren.“ Blake schüttelte den Kopf.

„Was? So schlimm war es?“

„Es sah nicht gut für dich aus, und die Verletzungen an deinem Bein waren erheblich, aber Dr. Bell versicherte uns, dass ein guter Chirurg dein Bein retten könnte“, antwortete Gabe. „Der Chirurg hier war nicht ihrer Meinung, also sorgte Ella dafür, dass das Krankenhaus Dr. Bell Sonderrechte einräumte und sie dich operieren durfte. Sie und der Gefäßchirurg haben dich neun Stunden lang operiert.“

„Und jetzt? Wird alles wieder gut?“

„Abgesehen von irgendwelchen möglichen Schwierigkeiten durch Infektionen, ja. Aber du darfst das Bein ein paar Wochen nicht belasten, danach brauchst du eine Reha und Physiotherapie, wenn alles verheilt ist. Du … du wirst vermutlich humpeln“, fügte Ella zögerlich hinzu, ihre Stimme und ihr Blick waren voller Sorge.

„Ein verdammtes Humpeln interessiert mich nicht. Ich habe mein Bein noch, das ist die Hauptsache.“

Gabe klopfte sachte gegen die Beutel, die von einem Infusionsständer neben Danes Bett herabhingen. „Sie pumpen dich mit Antibiotika voll. In ein paar Tagen können wir dich nach Hause bringen. Dann bekommst du statt der Infusionen Tabletten. Und bis dahin: Genieß die Schmerzmittel, Bruder. Wenn du Hunger hast, schmuggle ich einen Burger hier rein.“ Gabe drückte vorsichtig die Schulter seines jüngsten Bruders. Die Mischung aus Sorge und Erleichterung in Gabes Miene berührte Dane sehr.

„Habe ich sonst noch irgendwas verpasst, als ich weg war?“

„Du hast gewonnen“, verkündete Blake.

Auf Danes Gesicht breitete sich ein verhaltenes Lächeln aus. Das Geräusch des Signalhorns ertönte erneut in seinem Kopf, und er konnte das Adrenalin noch spüren, als er sich an den kurzen Moment des Sieges gestern Abend erinnerte. Er hatte die Meisterschaft im Profi-Bullenreiten gewonnen. Der Gedanke an die Siegprämie trat angesichts des Wissens, dass er sein Bein noch hatte, in den Hintergrund, machte ihn aber dennoch verdammt glücklich.

„Du hast es geschafft“, grinste Gabe. „Du bist jetzt drei Millionen Dollar schwer.“

Er hatte so viel Geld gewonnen, dass er sich aus dem Ring zurückziehen konnte. Er wollte mit diesem Geld nach Hause gehen und sich eine Ranch aufbauen – ganz nach seinen Vorstellungen. Ja, er wollte sich damit beweisen, so wie seine älteren Brüder es taten. Drei Millionen Dollar waren ein stattliches Startkapital. Außerdem könnte er noch einiges von dem Geld für schlechte Zeiten zur Seite legen.

Verdammte Scheiße, ich hab’s geschafft. Ich habe gewonnen. Ich habe überlebt. Die Erleichterung traf ihn wie eine Flutwelle.

Es klopfte an der Tür. Eine Krankenschwester kam mit einer Spritze ins Zimmer. „Können Sie mir bitte Ihren Namen sagen? Das gehört zur Routine.“

„Dane Bowden.“

Sie prüfte das Armband mit seinem Namen und injizierte den Inhalt der Spritze in den Zugang. Der Rausch überkam ihn schlagartig.

„Verdammt, was haben Sie mir gegeben?“

„Dilaudid. Das sollte gegen die Schmerzen helfen. Ich habe Ihnen die Hälfte der maximalen Dosis gegeben. Wenn sie trotzdem noch Schmerzen haben, sagen Sie Bescheid. Dann gebe ich Ihnen die restliche Hälfte der Dosis. Sie werden eventuell schläfrig. Brauchen Sie sonst irgendetwas?“

„Können Sie Dr. Bell holen? Ich muss mit ihr reden.“

„Tut mir leid, sie ist schon weg. Ich kann sie anrufen, wenn Sie möchten.“

„Kommt sie später wieder?“

„Sie wird heute Abend noch einmal in die Klinik kommen und nach Ihnen sehen, aber eine genaue Zeit hat sie nicht genannt. In Ihrer Akte steht, dass wir sie anrufen sollen, wenn sich Ihr Zustand verändert.“ Die Krankenschwester warf einen Blick auf sein Bein, das in der Schlaufe hing. „Können Sie die Zehen bewegen?“

Dane versuchte es, aber es tat höllisch weh. Er verzog vor lauter Schmerz das Gesicht, und Ella nahm seine Hand und drückte sie.

„Okay. Spüren Sie das?“ Die Krankenschwester pikste jede einzelne Zehe mit der Spitze ihres Kugelschreibers.

„Ja, das merke ich.“ Erleichterung überkam ihn. Bisher war ihm nur der Schmerz bewusst gewesen. Er wackelte noch einmal mit den Zehen. Der Schmerz ließ ihn seinen Fuß deutlicher spüren, doch damit einher ging die beruhigende Erkenntnis, dass er ihn noch hatte.

„Dr. Bell hat angeraten, die Muskeln jetzt nicht übermäßig zu beanspruchen. Sie müssen Ihr Bein und Ihren Fuß so still wie möglich halten. Die Gewebeverletzungen waren enorm. Sie will, dass Sie sich Zeit nehmen, alles abheilen zu lassen.“

„Wieso ist sie nicht hier, um mir das persönlich zu sagen?“ Die Schärfe in seiner Stimme führte dazu, dass die Krankenschwester erstaunt ihre Augenbrauen hob.

„Dane, sie war die ganze Nacht hier bei dir. Sie ist wahrscheinlich irgendwo und schläft“, sagte Gabe.

„Sie hat buchstäblich die ganze Nacht über dich gewacht, um sicherzugehen, dass die Arterie hält und die Durchblutung funktioniert“, fügte Ella hinzu.

„Wollen Sie, dass ich sie anrufe?“, fragte die Krankenschwester erneut.

„Nein. Nein, ich rede mit ihr, wenn sie wieder da ist.“

„Ruhen Sie sich aus. Ich werde bald noch mal nach Ihnen sehen. Wenn Sie sonst irgendetwas brauchen, drücken Sie einfach den Knopf neben Ihrem Bett.“

Die Medikamente breiteten sich in seinem Körper aus und entspannten ihn, während der Schmerz abflachte. Er schloss die Augen und sah die dunkelhaarige Ärztin vor sich, die mit vor dem Bauch gefalteten Händen am Fußende stand. Dieses Bild verwandelte sich in das eines jungen Mädchens, das neben ihm saß und ihre Hände im Schoß gefaltet hatte. Ihre unvergesslichen blauen Augen waren dieselben, in die er als Teenager geblickt hatte, damals, als er am Fluss vom Pferd gefallen war. Sie war das Mädchen, das in einem Moment noch da gewesen war und im nächsten schon verschwunden.

Er starrte wieder das Tattoo mit der blauen Feder an und erinnerte sich an alles. Damals und heute wachte ein Engel über ihn.

Er musste mit Dr. Bell reden – der Frau, die ihn gerettet hatte. Schon wieder.

Kapitel 3

Dane lag im Bett, hatte Schmerzen und langweilte sich zu Tode. Es war sein vierter Tag im Krankenhaus. Seine Gedanken wanderten zwei Tage zurück zu der Pressekonferenz, die in seinem Krankenzimmer abgehalten wurde. Reporter mit Notizblöcken, Aufnahmegeräten und Kameras hatten sich um sein Bett gedrängt, um für Beiträge in den Fernsehnachrichten zu filmen und auf der Website des Profi-Bullenreitens zu berichten. Weil Dane die Preisverleihung nach dem Wettkampf verpasst hatte, hielten die Vertreter des Profi-Bullenreitens ihm nachträglich einen riesigen Pokal über seinen Kopf. Als er seinen Gewinn, den Scheck über drei Millionen Dollar und den Siegergürtel, in die Kameras reckte und seine Brüder mit ihren Frauen aus einer Ecke des Zimmers zusahen, nahm er plötzlich den leeren Platz an seiner Seite wahr. Ein Anflug von Einsamkeit überkam ihn.

Nachdem die Pressekonferenz im Fernsehen ausgestrahlt worden war, besuchten ihn unzählige Bekannte aus dem Rodeosport im Krankenhaus – inklusive einiger Frauen. Die Tatsache, dass er die Meisterschaft gewonnen hatte und dadurch jetzt ein ziemlich reicher Mann war, lockte die Cowboy-Groupies, die hofften, ein Stück vom Kuchen abzubekommen, aus ihren Verstecken. Doch so weit würde es nicht kommen. In den letzten Monaten war Dane klar geworden, dass er mehr wollte als Spaß für eine Nacht oder zwei. Vorher war er immer davon überzeugt gewesen, dass er mit der Unbeschwertheit das Leben lebte, das zu ihm passte. Seine Brüder dagegen hatten etwas gefunden, von dem er niemals geglaubt hatte, dass er es wollte. Inzwischen dachte er mit jedem Tag mehr darüber nach, wie es wäre, eine Frau an seiner Seite zu haben, die er liebte und die ihn liebte – und zwar mit einer solchen Heftigkeit und Intensität, dass alle es sehen konnten.

Er dachte an all die Frauen, mit denen er sich in manchen Nächten vergnügt hatte, verglich sie mit seinen Schwägerinnen Summer, Ella und Gillian und fragte sich, ob er die Eine hatte entwischen lassen, weil er lieber einem Traum hinterherlief, als sich der Realität zu stellen.

Er starrte auf sein Bein. Die Zehen lugten unter dem Verband und der Schiene hervor, und Dane dankte Gott dafür, dass er noch am Leben und sein Körper vollständig war. Doch das hatte er nicht nur Gott, sondern auch seiner schwer erreichbaren Ärztin zu verdanken.

Die Krankenschwestern versicherten ihm, dass seine Wunden nach Dr. Bells Ansicht verheilten, und die immerwährende Wahrscheinlichkeit, dass seine Arterie wieder reißen könnte, mit jedem Tag geringer wurde. Dennoch wollte er es lieber von ihr hören. Er musste mit ihr über seine wiederkehrenden Träume reden. In diesen erschien ihm ein Mädchen mit blauen Augen, von dem alle überzeugt waren, dass es nicht existierte.

„Hey, Mann, jemand zu Hause?“, fragte Tony, der neben Danes Bett stand und ihn in das Hier und Jetzt zurückholte.

Ganz in seine Gedanken versunken, hatte Dane gar nicht bemerkt, dass Tony und seine Frau in sein Zimmer gekommen waren. In Katherines Augen standen Mitgefühl und Bedauern, als sie Dane von Kopf bis Fuß betrachtete.

„Tut mir leid, die Medikamente lassen mich wohl manchmal abwesend wirken. Was gibt’s?“

„Ich habe mit Gabe geredet. Er meinte, dass es dir heute besser geht und dass es vielleicht ein guter Zeitpunkt für einen Besuch wäre. Mann, es tut mir so leid, was passiert ist.“

„Liegt in der Natur der Sache. Es war weder deine Schuld noch die des Bullen. So was passiert nun mal.“

„Nein, so was darf nicht passieren. Du hättest sterben können und Bell auch.“

Dane neigte seinen Kopf und sah Tonys Frau interessiert an. „Katherine, oder?“ Sie nickte. „Gabe und Blake haben mir erzählt, dass deine Schwester im Publikum saß. Sie hat mir das Leben gerettet.“

„Das hat sie allerdings“, sagte Katherine. Eine ungleiche Mischung aus Stolz und Betroffenheit spiegelte sich in ihren haselnussbraunen Augen. Sie waren nicht blau wie die ihrer Schwester.

„Wie zum Teufel ist sie so schnell in die Arena gekommen?“

„Sie ist wie aus dem Nichts aufgetaucht“, sagte Tony. „Eben noch versuchten die anderen Jungs und ich den Bullen abzulenken und von dir fernzuhalten, im nächsten Moment rannte sie zu dir. Sie hat deine Arterie zugedrückt, selbst als der Bulle euch beide nochmals angegriffen hat.“

„Was?“

„Das Video ist der Knaller auf YouTube“, fügte Tony noch hinzu.

„Im Ernst?“ Das war das erste Mal, dass er davon hörte.

Tony zog sein Smartphone aus der Tasche, tippte auf dem Bildschirm herum und hielt es dann in Danes Richtung.

Dane fiel die Kinnlade herunter, als er zusah, wie Dr. Bell über den Zaun kletterte, an zwei Rodeo-Clowns vorbeirannte und sich neben ihn kniete. Das Blut schoss aus der Wunde an seinem Bein, doch sie vergeudete keine Sekunde, fand die Arterie und drückte sie zu. Als wäre das noch nicht genug gewesen, rannte der Bulle auf sie beide zu und stieß sie ein paar Meter weit über den Boden. Sie zuckte nicht einmal. Dafür zuckte Dane jetzt zusammen, und sein Magen krampfte beim Anblick dieser Bilder. Er wusste, wie das Ganze endete, aber ihm war trotzdem unwohl.

„Was zur Hölle hat sie sich dabei gedacht?“

„Gar nichts“, antwortete Katherine lapidar. „Hätte sie nachgedacht, hätte sie sich nicht dafür entschieden, ihr Leben zu riskieren.“

„Katherine!“, rief Tony verärgert. „Sie hat Dane gerettet. Wenn unser Bulle ihn getötet hätte, also, damit hätte ich nicht leben können.“

„Dennoch, sie hätte warten sollen, bis der Bulle weggebracht worden wäre. Endlich habe ich die Chance, sie richtig kennenzulernen, und dann macht sie so was Verrücktes.“

Merkwürdig. Wenn sie doch Schwestern waren, wieso musste Katherine sie dann jetzt erst kennenlernen?

Ohne auf Katherines Worte einzugehen, sagte Tony zu Dane: „Jetzt kommt das Beste. Die Frau hat Nerven wie Drahtseile.“ Sein Blick klebte immer noch an dem kleinen Bildschirm, auf dem sich das Drama vor der stillen Menge abspielte.

Der Bulle drehte sich direkt über ihm um. Dr. Bell presste sich mit angewinkelten Beinen rücklings auf den Boden. Ihre Geistesgegenwart war wirklich beeindruckend. Als sie sich wieder aufrichtete, blutete sie am Kopf.

„Warte. Geh noch mal zurück zu der Stelle, als der Bulle sie angreift.“

Tony wischte mit dem Finger über den Bildschirm. Dane sah sich die Szene noch einmal an und bemerkte, dass ein Huf des Bullen Dr. Bells Kopf streifte. „Er hat ihr beinahe den Kopf zertrümmert.“ Das Erstaunen in seiner Stimme war unüberhörbar. Er konnte es nicht fassen. Sie hatte ihm nicht einfach das Leben gerettet, nein, sie war dabei fast selbst umgekommen. Seinetwegen hatte sie sich in größte Gefahr begeben. Er verdankte ihr sein Leben. Als Dane sah, wie sie und die Sanitäter sich um ihn kümmerten, schwor er sich, sich bei ihr zu revanchieren, zumindest aber würde er es für den Rest seines Lebens versuchen. Sie hatte ihm quasi ein zweites Leben geschenkt. Bis zu diesem Moment, in dem er sah, was wirklich passiert war, dachte er, er hätte Glück gehabt, dass er dieses Drama überlebt hatte. Glück hatte ihn aber nicht gerettet. Sie war es gewesen. Wieder einmal.

Dane sah durch das Fenster neben der Tür auf den Gang. Dort stand sie. Dr. Bell hatte den Kopf gesenkt und las in einer Krankenakte, höchstwahrscheinlich in seiner. Sie leckte kurz einen Finger an und blätterte mit konzentriertem Blick eine der Seiten um. Dane betrachtete ihr dunkles, kurzes Haar. Es war fast schwarz und damit das komplette Gegenteil von Katherines goldblondem Schopf. Sonderbar, sie sahen sich überhaupt nicht ähnlich. Sie hatten nichts gemeinsam.

Katherine war mindestens einen Meter sechsundsiebzig groß. Ihre Haut war gebräunt, was hervorragend zu ihrer Haarfarbe passte. Sie war nicht mollig, aber eine Frau mit Kurven. Dr. Bell hingegen hatte einen Teint wie Porzellan, der einen starken Kontrast zu ihrem dunklen Haar bildete. Sie war außerdem nicht ganz so groß wie Katherine, wahrscheinlich ungefähr einen Meter siebzig, und hatte einen eher athletischen Körperbau. Dennoch füllte sie ein Paar Jeans hübsch aus, und unter dem V-Ausschnitt ihres T-Shirts war die Wölbung ihrer Brüste angedeutet. Als bemerkenswertestes Merkmal stachen allerdings ihre blauen Augen hervor.

Bell bemerkte, dass Dane sie anstarrte, und drehte ihren Kopf in seine Richtung. Ihr Blick traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sein Brustkorb schnürte sich zusammen. Für einen kurzen Augenblick hielt Dane die Luft an und versank förmlich in den Tiefen dieses blauen Meeres aus Sorge und einem anderen Gefühl, das er nicht deuten konnte.

Wie schafft sie es nur, mich so aus der Fassung zu bringen?

Wieso zum Teufel tut sie so, als würde sie mich nicht kennen?

Sie schloss die Akte und kam auf ihn zu. Er konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden. Ihr Gang war zielstrebig und entspannt zugleich.

Ohne seinen Blick von Bell abzuwenden, fragte Dane Tony: „Geht’s ihr nicht gut? Ist sie deswegen die letzten Tage nicht hergekommen? Ihr geht es nicht gut, oder?“

„Ihr geht’s gut“, versicherte Tony ihm. „Sie hatte nur noch ein paar Tage Urlaub übrig, also haben Katherine und sie ein bisschen Sightseeing gemacht, bevor wir wieder nach Hause fahren. Bell wird dich auf dem Rückflug begleiten, Dane.“

„Wird sie?“

„Ja, deine Brüder haben darauf bestanden. Deine Familie will nicht, dass irgendetwas passiert, wenn du verlegt wirst, also hat Bell zugestimmt, mit dir gemeinsam zurückzufliegen.“

Seine Familie und die Krankenschwestern hielten ihn immer auf dem Laufenden, was seinen Zustand anging, und betonten immer, dass er sich auf dem Weg der Besserung befand. Er müsse sich keine Sorgen machen. Jetzt war er sich da nicht mehr so sicher. Wenn ihn auf dem Flug nach Hause eine Ärztin begleitete, war er vielleicht doch noch nicht über den Berg.

„Wirklich, ich bin froh, dass es dir besser geht“, fügte Tony hinzu. „Ehe du dich’s versiehst, wirst du wieder auf Bullen reiten.“

Dane setzte zu einer Antwort an, doch Katherine kam ihm zuvor: „Dazu wird es nicht kommen. Bell hat gesagt, dass sein Bein diese Art von körperlicher Belastung nicht mehr mitmachen wird.“

Dane wandte seinen Blick von Bell ab, die auf seine Zimmertür zuging, und starrte Katherine ungläubig an.

„Ähm, tut mir leid, ich dachte, das wüsstest du.“

„Nein. Ich habe mit deiner Schwester noch nicht über meine Perspektive geredet. Sie ist schließlich nur schwer zu erreichen.“

„Oh, ich fürchte, das ist meine Schuld. Ich war es, die ihr geraten hat, nicht so viel Zeit hier im Krankenhaus zu verbringen. Sie arbeitet so viel. Wir wollten diese Zeit nutzen, um uns besser kennenzulernen.“ Katherines Blick glitt über Dane hinweg zu der Frau, die auf sie zukam. In Bells Augen schimmerten Traurigkeit und Bedauern, doch Dane hatte keine Ahnung, weshalb.

Tony legte den Arm um seine Frau. „Es ist okay. Du wirst eine andere Möglichkeit finden, Zeit mit ihr zu verbringen.“

„Sie ist so zurückhaltend. Es hat einen ganzen Monat gedauert, bis ich sie dazu überredet hatte, mit uns herzukommen.“

Dane blickte zum Fenster neben der Tür und runzelte angesichts des Bildes, das sich ihm auf dem Gang vor seinem Krankenzimmer bot, die Stirn. „Oh, Scheiße.“

Vier Frauen, die Stammgäste bei sämtlichen Rodeos waren und es auf ihn oder einen anderen Cowboy abgesehen hatten – je nachdem, wer gerade gewann – und ständig ein bisschen Spaß suchten, versperrten Dr. Bell den Weg zu seinem Zimmer. Gabe, Blake, Gillian und Ella zogen ihn gnadenlos auf wegen der Scharen an Frauen, die in den letzten Tagen Schlange vor seinem Zimmer standen. Für keine von ihnen hegte er Gefühle – weder jetzt noch früher. Für keine außer der einen. Sie hatte ihn gerettet.

Vielleicht hatte sie ihn auch davor gerettet, dieses Leben weiterzuführen, von dem er geglaubt hatte, dass er es liebte. Doch seit er im Krankenhaus lag, grübelte er, ob sich dieses unstete Dasein nicht eher als eine schlechte Angewohnheit entpuppte – im Gegensatz zu einem Leben, das es sich lohnte zu leben.

Oh Gott, er musste von diesen Schmerzmitteln runterkommen, wenn er schon so dachte. Aber vielleicht war dieser Gedanke gar nicht so verkehrt. Seine Brüder und seine Eltern drängten ihn schon seit Längerem dazu, dass er über sein Leben nachdachte und sich entschied, was er mit seiner Zukunft anfangen wollte. Bisher hatte er sich erfolgreich dagegen gewehrt, ihren Forderungen nachzugeben und nach Hause zu kommen, sesshaft zu werden und nicht mehr als unsteter Cowboy zu leben. Vielleicht sollte er aufhören zu denken, dass ein ganz normales Leben bedeuten würde, Abstriche zu machen, denn möglicherweise war es in Wirklichkeit genau das, was er wollte. Fast hätte er sein Leben gelassen. Er hätte beinahe keine Chance mehr dazu gehabt, seine Nichte Lily aufwachsen zu sehen oder der Onkel von Gillians und Blakes Kind zu werden. Er hätte fast versäumt, jemanden zu finden, mit dem er sein Leben teilen und eigene Kinder haben könnte.

Verdammt, er hätte beinahe den besten Teil seines Lebens verpasst!

Bis jetzt war er immer Träumen, Geld, Frauen und dem Rausch des Sieges beim Bullenreiten hinterhergejagt. Doch ihm wurde klar, dass das nichts war, verglichen mit dem, was seine Eltern und seine Brüder gefunden hatten – Liebe, Vertrauen und Zuneigung zu einem ganz besonderen Menschen, den sie für nichts auf der Welt hergeben würden. Die Verbundenheit, die er mit seiner Familie teilte, zu wissen, dass sie alles stehen und liegen ließen, um hier bei ihm zu sein, solch eine Liebe bedeutete unendlich viel. Und dennoch spürte er sie jetzt wieder, diese seltsame Einsamkeit und Leere.

Dass Dr. Bell ihr eigenes Leben riskiert hatte, um seines zu retten, war für ihn noch immer unbegreiflich. Für diese Aufopferung würde er sich auf jeden Fall bedanken. Dane nahm sich vor, herauszufinden, womit er ihr eine Freude machen könnte. Das war das Mindeste, das er für sie tun konnte, nach allem, was sie geleistet hatte.

Ein echter Mann zahlte seine Schulden, und er schuldete ihr eine Menge.

Doch zuerst musste er sie vor seinen übereifrigen Fans retten, die ihn geradezu vergötterten.

Autor

Jennifer Ryan

Jennifer Ryan lebt mit ihrer Familie in der San Francisco Bay Area. Wenn sie nicht gerade an einem ihrer Bücher schreibt, liest sie. Ihre Leidenschaft zu Büchern in jeglicher Form lässt sie manchmal alles um sie herum vergessen. Und wenn sie dann einmal ihre Fantasiewelten verlässt, findet man sie meist...

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