Verwöhne mich die ganze Nacht

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Bei seinen Blicken wird Kate ganz schwach. Und sie kann sich nichts Schöneres vorstellen, als endlich in Seans Armen zu liegen. Aber Sean ist kein Unbekannter für sie. Schon vor Jahren war Kate heftig in ihn verliebt, während er damals nur Augen für ihre Schwester hatte. Darf Kate es jetzt wagen, sich auf diesen aufregenden Mann einzulassen? Werden sich ihre Träume von einer gemeinsamen Zukunft endlich erfüllen?


  • Erscheinungstag 10.07.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783955764524
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Lael Miller:

Verwöhne mich die ganze Nacht

Aus dem Amerikanischen von Claudia Ell

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Just Kate

Copyright © 1989 by Linda Lael Miller

erschienen bei Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.ár.l

Konzeption: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildungen: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Redaktion: Mareike Müller

ISBN eBook 978-3-95576-452-4

www.mira-taschenbuch.de

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Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

eBook-Herstellung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Das Tauschgeschäft verlief so auffällig und dreist, dass Kate Blake kaum ihren Augen trauen wollte. Im Foyer war es überfüllt, und die Menschen um sie herum lachten und plauderten, während sie auf die Fortsetzung der Oper warteten. Kate stand fröstelnd in der Menge und umklammerte ein Glas Orangensaft. Ihre tiefblauen Augen waren vor Schreck weit aufgerissen.

Sie konnte es nicht glauben: Brad hatte einem Mann ein Päckchen mit weißem Pulver ausgehändigt und dafür Geld genommen. Und diese Szene hatte sich inmitten einer Menschenmenge in der Oper von Seattle abgespielt.

Vielleicht, dachte Kate verzweifelt, ist alles nur ein Missverständnis. Vielleicht hatte sie sich nur eingebildet, dass das Päckchen Kokain enthielt, und dass Brad, der Mann, den sie in weniger als einem Monat heiraten wollte, dieses Geschäft abgewickelt hatte. Im nächsten Moment drehte Brad sich um und steckte eine zusammengefaltete Banknote in die Jacketttasche. Sein Blick fiel auf Kate und zeigte deutlich, dass ihm bewusst wurde, sie hatte alles mit angesehen. Doch seine Miene drückte keine Entschuldigung aus, sondern wirkte eher herausfordernd. Dann wandte er sich wieder seinem Begleiter zu, als würde Kate überhaupt nicht existieren.

Diese fühlte sich wie betäubt und verspürte das dringende Bedürfnis nach frischer Luft. Sie stellte das Glas ab und eilte zum Ausgang.

Draußen hielt sich Kate mit beiden Händen am Treppengeländer fest und atmete tief ein, bis es ihr besser ging. Mit einem Blick über die Schulter stellte sie fest, Brad war ihr nicht gefolgt. Wahrscheinlich hatte er nicht gemerkt, dass sie weggegangen war.

Sie sah nach oben, doch weil ihr Tränen in die Augen traten, nahm sie den dunklen Sternenhimmel von Seattle nur ganz verschwommen wahr. Kate fühlte sich hin und her gerissen. Zum einen wollte sie wieder hineingehen, Brad beiseite nehmen und von ihm eine Erklärung für sein übles Verhalten fordern. Zum anderen versuchte sie sich einzureden, nichts hatte sich geändert.

Langsam stieg sie die Treppe hinunter, während sie sich noch immer mit beiden Händen am Geländer festhielt. Sie hatte vorgehabt, Brad zu heiraten. Er organisierte die Wahlkampagne für ihren Vater, und nun hatte sie, Kate, ihn gerade dabei beobachtet, wie er auf schamloseste Weise das Gesetz verletzte.

Tausend Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf. Dieses Verhalten war für Brad anscheinend nicht ungewöhnlich. Wieso war ihr das bis jetzt nie aufgefallen? Sie war mit ihm verlobt und hatte nicht einmal gemerkt, was für eine Art Mensch er war! Wie hatte es denn überhaupt so weit kommen können?

Vor dem Gebäude stand kein einziges Taxi, weil die Oper noch mindestens eine Stunde dauern würde. Kate überlegte, dass es am besten wäre, zurück ins Foyer zu gehen, sich ein Taxi rufen zu lassen und dort zu warten, bis es käme. Doch sie spürte einen Drang nach Bewegung und wollte eine Weile gehen, um die angenehm frische Nachtluft zu genießen. Sie hängte sich das Messingabendtäschchen ihrer Großmutter über die Schulter, das schon fast eine Antiquität war, und schlug mit trotzig erhobenem Kinn die ungefähre Richtung zu ihrer Eigentumswohnung in der Innenstadt ein.

Einige auf der Straße herumlungernde Gestalten sahen Kate nach, aber niemand bettelte sie an, wie das sonst in dieser Gegend üblich war. Wahrscheinlich wirke ich in meiner momentanen Stimmung nicht gerade zugänglich, vermutete Kate.

Kurz darauf kam sie an einem bekannten Kaufhaus vorbei und verlangsamte den Schritt. Ihre hohe schlanke Gestalt in dem eleganten, sündhaft teuren Modellkleid spiegelte sich in der Schaufensterscheibe wider. Unglücklich betrachtete Kate ihr Spiegelbild.

„Also, wer wollte Bradley Wilshire denn überhaupt heiraten?“, fragte sie laut. Doch als sie weiterging, vermied sie sorgfältig ihr Abbild auf der Glasscheibe anzusehen, als könnte es tatsächlich antworten: „Du wolltest.“

Kate zog den gemusterten Seidenschal fester um die bloßen Schultern. In wenigen Minuten würde sie zu Hause sein, in ihrer kleinen, luxuriösen Eigentumswohnung mit Blick auf den Hafen. Sie würde klassische Musik hören, sich ein Glas Wein einschenken und ein ausgiebiges Schaumbad nehmen.

War es möglich, dass Brad mit Rauschgift handelte?

Es war zwecklos, das Geschehene vergessen zu wollen. Allerdings waren die Folgen, die sich daraus ergaben, zu weitreichend, um sie alle sofort überblicken zu können.

Als Kate vor einem Bankgebäude anlangte, bemerkte sie zwei Männer vor dem Geldautomaten. Sie überlegte, ob sie auf die andere Straßenseite wechseln sollte. Aber die beiden schienen in ein Gespräch vertieft zu sein und würden sie wahrscheinlich gar nicht bemerken.

Der Mann, der Kate zugewandt stand, war groß, gut gebaut und kam ihr merkwürdig bekannt vor. In der schwachen Beleuchtung des Geldautomaten erkannte sie, dass er einen Smoking trug, und ein leichtes Lächeln um seine Mundwinkel spielte. Er musste sich ihrer Anwesenheit bewusst sein, obwohl er das mit keiner Miene verriet.

„Nehmen Sie es leicht, Kamerad“, sagte er mit stark australischem Akzent. „Falls Sie Geld wollen, werden Sie es bekommen. Doch diese Summe kann ich erst nach einer Zeitspanne von vierundzwanzig Stunden von dem Automat abheben.“

Kate wurde es plötzlich ganz heiß vor Aufregung. Diese Stimme, dieser Akzent – das war doch unmöglich!

In diesem Moment entdeckte Kate in der Hand des zweiten Mannes ein Schnappmesser, und Wut stieg in ihr auf. Dank Brad hatte sie für heute wirklich genügend Kriminalität erleben müssen. Ohne nachzudenken, griff sie nach dem massiven Täschchen ihrer Großmutter und wirbelte es an der langen Kette herum. Als sie den Straßenräuber damit am Kopf traf, ließ er das Messer fallen. Dann gaben seine Knie nach, und er sank auf den Gehweg.

Der große Mann hob das Messer auf, ließ mit beunruhigender Übung die Klinge zurückschnappen und steckte es in die Tasche. „Gut gemacht, Katie“, lobte er, während er eine goldene Kreditkarte aus dem Automatenschlitz herausholte. „Aber das hätte leicht ins Auge gehen können, wenn sich der Gauner umgedreht hätte.“

Kates Knie gaben nach, und sie sank gegen die Hauswand des Bankgebäudes. „Sean“, meinte sie ungläubig.

Seine weißen Zähne blitzen, als er lächelte. Der Straßenräuber wollte sich gerade erheben, doch sein ehemaliges Opfer drückte ihn mit einer leichten Bewegung des Fußes nieder.

Kate konnte nicht fassen, wer da vor ihr stand und hob die Hand zum Mund.

„Überrascht mich zu sehen?“, fragte Sean.

Sie ließ die Hand sinken, straffte sich und wollte sich abwenden. „Ich werde die Polizei rufen“, erwiderte sie steif.

Sean griff nach ihrem Ellbogen und hielt sie zurück. „Nicht nötig, meine Liebe“, sagte er mit seiner dunklen Stimme, die Kate süße kleine Schauer über den Rücken jagte. „Sie ist schon da.“

Kate blickte auf. Ein Polizeifahrzeug hielt gerade am Straßenrand, und zwei Beamte stiegen aus. „Was geht hier vor?“, erkundigte sich der ältere von den beiden.

Sean erklärte den Vorfall, und der protestierende Straßenräuber wurde unsanft auf die Füße gestellt. Betäubt hörte Kate, wie man ihm seine Rechte vorlas. Sie biss sich auf die Unterlippe. Sean hielt sie noch immer am Ellbogen fest.

„Sie und die Dame müssen mit zum Revier kommen, um eine Anzeige zu machen“, erläuterte ihnen der jüngere Polizist.

„Und falls wir das nicht tun?“, fragte Sean mit erhobenen Augenbrauen.

„Dann werden sie den Mann wieder laufen lassen müssen“, antwortete Kate.

„Das kommt nicht infrage“, entgegnete Sean. „Mein Auto steht ein Stück weiter die Straße hinauf – wir werden Ihnen nachfahren.“

Beide Polizisten hoben respektvoll die Hand an den Rand ihrer Mütze, bevor sie den Gefangenen auf den Rücksitz ihres Fahrzeuges stießen.

Sean hob Kate förmlich auf den Beifahrersitz seines Sportwagens, den er einen halben Block entfernt geparkt hatte.

„Großartig, dass ich dich hier getroffen habe, Katie“, verkündete er, während sie dem Polizeiauto folgten.

Kate verschränkte die Arme. Zuerst Brads Drogengeschäft, dann ein Überfall und nun auch noch dies. Ihr Horoskop von heute Morgen hatte ganz schön daneben getroffen. „Meine Eltern wären sicher dankbar für einen Anruf von dir gewesen“, sagte sie trocken und bemühte sich, ihren früheren Schwager nicht anzusehen. „Wie du dir denken kannst, machen sie sich Sorgen wegen Gil.“

Die Anspielung auf seinen kleinen Sohn ließ Sean sichtlich kalt. Zumindest bemerkte Kate keine Reaktion, während sie ihn aus den Augenwinkeln beobachtete.

„Sie wissen, wo wir leben“, erwiderte er kühl.

Kate versuchte sich zu entspannen. Sie empfand es als unbeschreibliches Pech, dass sie von allen Leuten, auf die sie hätte treffen können, ausgerechnet Sean über den Weg gelaufen war. Sie hatte ihn seit Abbys Beerdigung nicht mehr gesehen und eigentlich gehofft, dass er ihr nie wieder unter die Augen käme.

Kate holte tief Luft, bevor sie fragte: „Hast du Gil mitgebracht?“

„Nein, weshalb sollte ich den Dreikäsehoch ohne Grund von einer Seite der Halbkugel auf die andere schleppen?“

Kate unterdrückte den Wunsch, ihr Abendtäschchen noch einmal kreisen zu lassen, um diesmal damit Sean zu treffen. „Vielleicht, weil seine Großeltern ihn gern sehen würden“, äußerte sie stattdessen.

„Weil sie ihn mir gern wegnehmen würden, meinst du wohl, um ihn in einen tüchtigen kleinen Amerikaner zu verwandeln.“

„Er ist zur Hälfte Amerikaner“, betonte Kate, während sie sich mutig so auf dem Wagensitz drehte, dass sie direkt auf Seans markantes Profil sah. „Was ist daran schlecht?“

In diesem Augenblick erreichten sie das Polizeirevier, und Sean blieb ihr die Antwort schuldig.

Die nächste Stunde verging damit, dass ein Protokoll und eine Anzeige gegen den Straßenräuber aufgenommen wurden. Kate dachte ernsthaft daran, Brad bei dieser Gelegenheit gleich wegen des Drogengeschäfts zu belasten. Doch sie konnte das schlecht tun, ohne vorher mit ihrem Vater zu sprechen. Ein unvorhergesehener Skandal konnte dessen Chancen verringern, erneut in den Senat gewählt zu werden. Kate musste ihm zumindest Zeit geben, sich darauf vorzubereiten.

Nachdem sie ihre Aussage gemacht hatte, ging sie zu einem Telefon und rief bei ihren Eltern an.

Ihre Mutter ging an den Apparat, da um diese Zeit das Personal schon freihatte. „Blake.“

„Mutter, hier spricht Kate. Ich bin auf einem Polizeirevier und …“

„Auf einem Polizeirevier!“, wiederholte Irene Blake mit unverkennbarem Schrecken. „Du meine Güte, was ist denn passiert? Sie ist bei der Polizei, Lieber!“

In diesem Augenblick kam der Senator persönlich ans Telefon. Kate konnte förmlich die Szene vor sich sehen, wie er ihrer Mutter den Hörer aus der Hand nahm. „Was hast du mit der Polizei zu schaffen? Falls du verhaftet wurdest, Katherine, werde ich dich auf der Stelle entlassen.“

Kate bemühte sich, die Fassung zu bewahren. „Natürlich wurde ich nicht verhaftet, Daddy“, erwiderte sie peinlich berührt. „Es ergab sich lediglich, dass ich Zeuge eines Überfalls wurde. Das ist alles.“

„Ist dir auch nichts geschehen?“, dröhnte die Stimme des Senators aus dem Telefonhörer. Da er nun sicher wusste, dass seine Karriere nicht gefährdet war, konnte er sich um seine Tochter sorgen. Kate hatte sich nie Illusionen über sein Hauptinteresse gemacht.

„Mir geht es gut“, antwortete sie. „Daddy, der Grund weshalb ich anrufe ist – nun – ich habe Sean getroffen.“

„Welchen Sean?“, wollte der Senator wissen.

Unvermutet lief Kate ein erregender Schauer über den Rücken. Als sie zur Seite sah, entdeckte sie den gut aussehenden Australier dicht neben sich stehen. Schnell rief sie sich in Erinnerung, dass er Abbys Ehemann gewesen war und außerdem ein Lügner und Schürzenjäger war. Doch trotzdem blieb die Anziehungskraft unvermindert stark, die von ihm ausging. „Sean Harris“, sprach sie endlich ins Telefon.

Ein belustigter Ausdruck erschien in Seans grünen Augen, als er sah, wie Kate plötzlich errötete. Offenbar hatte er die Frage ihres Vaters gehört, denn jetzt nahm er Kate den Hörer aus der Hand.

„Du weißt doch, Senator. Dieser australische Taugenichts. Derjenige, der deine älteste Tochter geheiratet hat“, äußerte er mit kühlem, leicht respektlosem Ton.

Kate schloss die Augen, als sie ihren Vater am anderen Ende der Leitung in Flüche ausbrechen hörte. Dann wand sie Sean den Hörer aus der Hand und meinte schnell: „Daddy, denk an dein Herz!“

Doch der Senator achtete nicht auf sie und fuhr fort zu schimpfen. Seine letzten Worte, bevor er den Hörer auf die Gabel warf, lauteten allerdings: „… bring diesen Kerl unter allen Umständen hierher!“

Sean hatte das ebenfalls gehört. „Das klang ja nicht sonderlich freundlich“, meinte er unbekümmert.

Kate hatte Kopfschmerzen. Sie seufzte und öffnete ihre Handtasche. Aber leider konnte sie die kleine Pillendose mit Schmerztabletten nicht finden, die sie sonst immer dabei hatte. Sie entdeckte nur ihre Schlüssel und eine Kreditkarte. „Er will mit dir lediglich über Gil sprechen“, erklärte sie müde. „Das ist alles.“

Sean sah nicht sehr überzeugt aus, als er Kate den Arm bot und den Kopf zur Seite neigte. „In Ordnung, Katie“, meinte er dann jedoch, „ich begebe mich in die Höhle des Löwen. Aber das tue ich nur deinetwegen.“

Kate musterte den Mann, der ihrer Familie so viele Sorgen bereitet hatte, und schüttelte den Kopf. Er schien überhaupt keine Gewissensbisse zu haben.

„Tausend Dank“, erwiderte sie spöttisch.

Im Rückspiegel von Seans Wagen wurden die Lichter von Seattle reflektiert, als Sean und Kate zur Villa der Blakes fuhren. Trotz der Dunkelheit, konnte Kate erkennen, dass Sean nicht länger erheitert war. Um seinen Mund lag ein ernster Zug.

Das Zusammentreffen zwischen Sean und dem Senator würde für keinen von beiden erfreulich werden. Plötzlich griff Sean nach Kates linker Hand und hielt sie fest, während er mit dem Daumen gegen den großen Diamanten von Brads Verlobungsring drückte. „Wer ist der Glückliche?“, fragte er etwas schroff.

Kate fiel wieder die Szene im Foyer der Oper ein. Sie nahm den Ring vom Finger, öffnete die Handtasche und warf ihn hinein. „Niemand“, erwiderte sie traurig. Bald würde sie dreißig werden, und sie hatte das Gefühl, langsam lief ihr die Zeit davon, die sie noch hatte, um einen Mann zu finden, den sie heiraten und mit dem sie Kinder haben wollte.

Ihr war unbehaglich zumute, als sie merkte, dass Sean in ihre Richtung sah. „Seltsam. Abby meinte immer, du wärst die Geeignetere, um dich niederzulassen und eine Familie zu gründen.“

Er konnte doch wohl nicht wissen, welch schmerzliche Erinnerung diese Bemerkung in ihr wachriefen, oder doch? Kate kannte Sean Harris nicht sehr gut. Es war nur zehn Jahre her, seit er ihre Schwester geheiratet hatte, und fünf Jahre, seit Abby ihren Sportwagen über die Klippen nördlich von Sydney gelenkt hatte. Kates Mutter war überzeugt davon, dass Abby aus Verzweiflung Selbstmord begangen hatte, weil sie an Seans Seite so unglücklich gewesen war, dass sie nicht mehr leben wollte. Dagegen wusste Kate überhaupt nicht, was sie glauben sollte.

Sie hatte ihre Schwester mehrmals in Australien besucht. Das letzte Mal vor sieben Jahren, nach der Geburt von Gil. Obwohl sie Sean damals sorgfältig beobachtet hatte, hatte sie nichts von den psychischen Grausamkeiten bemerkt, von denen Abby in ihren Briefen nach Hause berichtet hatte. Sean war lediglich ein wenig distanziert gewesen, was Abby betraf. Aber er war verrückt nach seinem kleinen Sohn. Das hätte jeder sehen können.

„Kate?“

Der Klang von Seans Stimme brachte sie sofort wieder in die Gegenwart zurück. Sie wies in eine Richtung. „Bieg rechts in die nächste Straße ein.“

Sean griff noch einmal nach Kates Hand. „Ich weiß“, sagte er. „Katie, was ist passiert?“

Sie senkte den Blick. „Ich dachte, ich wäre verliebt“, gestand sie. „Doch heute Abend habe ich beobachtet, wie Brad etwas Schreckliches tat.“

Sean drückte ihre Hand. „Es ist besser, wenn du Schluss machst, solange du irgendwelche Zweifel hegst.“

In Wahrheit hegte Kate überhaupt keine Zweifel. Doch trotzdem hätte sie gerne die Zeit zurückgedreht und mit einem Zauberstab den Vorfall abgewendet, wenn das möglich gewesen wäre. Dann hätte Brad lediglich eine Zwanzigdollarnote gewechselt oder jemandem seine Visitenkarte ausgehändigt.

Als Sean und Kate das von einer Mauer umgebene Grundstück der Blakes erreichten, öffnete sich sofort das Tor. Natürlich hatte der Senator im Inneren des Hauses auf ihre Ankunft gewartet.

„Ich weiß gar nicht, weshalb ich mich darauf einließ, hierherzukommen“, sagte Sean leise.

Kate seufzte. „Und in meinem Horoskop stand, ich hätte heute einen besonders guten Tag.“

„Du glaubst doch nicht etwa diesen Unsinn, oder?“, fragte Sean gereizt.

Man kann es ihm nicht verübeln, dass er wegen des Zusammentreffens mit Daddy nervös ist, überlegte Kate. Sie freute sich auch nicht gerade darauf. „Jetzt nicht mehr“, beantwortete sie dann seine Frage.

Die Hände in den Taschen seines Bademantels aus dickem Velours vergraben, stand der Senator auf der vorderen Veranda, als sie vor dem Haus ankamen. Sogar im Pyjama und mit Hausschuhen sah er erstaunlich gebieterisch aus: jeder Zentimeter ein einflussreicher Politiker. Und er war wirklich einflussreich. Von seiner Entscheidung hingen Beginn und Ende ganzer Karrieren ab.

Sean stellte Licht und Motor ab und stieg aus. Dann ging er um den Wagen herum, um Kate behilflich zu sein. Aber diese öffnete die Tür, noch bevor er sie erreichte.

„Wo ist der Junge?“, verlangte der Senator Auskunft. Keine Begrüßung, keine Frage, was Sean nach Amerika führte. Dadurch wurde deutlich, dass Sean nicht um seiner selbst willen willkommen war.

„Er ist in der Schule in Sydney, wo er hingehört“, antwortete Sean. Er hatte sich noch nie in irgendeiner Weise von dem Senator einschüchtern lassen, und Kate vermutete, das war mit ein Grund, weshalb ihr Vater ihn so stark ablehnte.

Der Senator schlug mit der geballten Faust auf seine Handinnenfläche. „Verdammt noch mal, Harris, das Kind gehört zu seiner Familie!“

„Ich bin seine Familie“, äußerte Sean ruhig, und Kate bewunderte seine Gelassenheit, obwohl sie sich natürlich ebenso sehr wie ihre Eltern wünschte, dass der Sohn ihrer Schwester regelmäßig zu Besuch nach Amerika käme.

Kates Mutter Irene erschien hinter dem Senator. „Lasst uns hineingehen. Wir wollen hier kein Schauspiel bieten“, bat sie. „Möglicherweise lauern Reporter von diesen fürchterlichen Sensationsblättern im Gebüsch.“

Über diese Bemerkung musste Kate nun doch lächeln. Die Boulevardpresse kümmerte sich in der Regel nicht um solch solide Persönlichkeiten wie ihren Vater. Sie lebte von Skandalen.

Sobald Kate aber durch die Tür getreten war und im Flur ihres Elternhauses stand, wurde sie wieder ernst. Falls nur ein einziges Wort über Brads kleines Nebengeschäft bekannt wurde, gibt es jede Menge Skandal, ging es ihr durch den Kopf.

„Was tust du hier?“, fragte der Senator Sean, nachdem alle hinter geschlossenen Türen in seinem Arbeitszimmer versammelt waren. Er sagte das in einem Ton, als wäre er überzeugt, Sean bräuchte eigentlich seine Erlaubnis, um das Land betreten zu dürfen.

„Ich habe nur eine Woche lang beruflich in Seattle zu tun, falls dich das überhaupt etwas angeht. Meine Firma plant ein Geschäft mit Simmons Aircraft abzuschließen.“

Der Senator horchte auf. Simmons Aircraft war einer der wichtigsten Arbeitgeber in den Staaten, und dieses Unternehmen gehörte zu den Konzernen, die die Politik des Senators unterstützten. „Dann bist du also noch immer in der Flugzeugbranche?“

„Könnte man sagen“, erwiderte Sean. In der Bar standen zahlreiche Glaskaraffen, und er schenkte sich selbst einen Brandy ein. Mit Blick auf den Senator hob er kurz sein Glas, bevor er einen Schluck trank. „Aber du wolltest doch sicher nicht, dass mich deine Tochter hierherschleppt, um mit mir über die australische Flugzeugbranche zu reden, oder?“

Er spricht ja so, als würde ich mir von meinem Vater jeden Schritt vorschreiben lassen, ärgerte sich Kate.

„Nein“, meinte der Senator. „Es geht um mein Enkelkind.“

Sean stellte sein Cognacglas beiseite und holte ein dünnes Lederetui aus der Innenseite seines Smokings. Nachdem er es geöffnet hatte, reichte er es seinem ehemaligen Schwiegervater.

Kate erhaschte einen flüchtigen Blick auf die Fotografie eines hübschen blonden Jungen, der lächelte.

Es war kein Geheimnis gewesen, dass Gil seiner Mutter ähnlich sah. Trotzdem erschien jetzt auf dem Gesicht des Senators ein überraschter und gleichzeitig schmerzlicher Ausdruck. „Er ist ein prächtiger Bursche“, sagte der alte Mann, und seine Stimme klang dabei sonderbar gerührt. „Kommt er gut in der Schule mit?“

„Meistens“, erzählte Sean. „Er ist ein bisschen schwach in Rechtschreibung.“

Mrs Blake stand dicht hinter dem Senator und blickte eifrig über dessen Schulter auf das Bild ihres Enkels. „Abby war genauso“, versicherte sie.

Plötzlich schien die Luft in dem großen, geschmackvoll eingerichteten Raum knapp zu werden. Kate ging zu dem Fenster hinter dem Schreibtisch ihres Vaters und öffnete einen Flügel.

„Der Junge hat ein Recht darauf, die Familie seiner Mutter kennenzulernen“, äußerte sich der Senator.

„Vor wenigen Jahren hätte ich mich damit sicher einverstanden erklärt“, entgegnete Sean, während er die Fotografie aus dem Etui nahm und sie Mrs Blake reichte.

„Was hat deine Meinung geändert?“, wollte der Senator wissen. Es kam Kate vor, als würde ihr Vater Seans Blick ausweichen. Aber das konnte natürlich nicht sein. Ihr Vater hatte doch vor nichts und niemandem Angst.

„Wenn einem beinahe der Sohn entführt wird“, erläuterte Sean, „ist es wohl naheliegend, dass man in einigen Dingen seine Meinung ändert.“ Er steckte das Lederetui zurück in die Tasche und warf Kate einen Blick zu, bevor er an seine früheren Schwiegereltern gewandt fortfuhr: „Ihr seid jederzeit willkommen, wenn ihr Gil besuchen wollt, aber ich schicke ihn nicht her. Nicht, bevor er alt genug ist, um auf sich selbst aufzupassen.“

Kate sah Sean verblüfft an, weil sie kaum glauben konnte, was sie eben gehört hatte. Gil war beinahe entführt worden? Abgesehen davon, dass dies neu für sie war, hatte sich Sean tatsächlich einen Moment lang so angehört, als würde er annehmen, der Senator könnte hinter diesem Attentat gesteckt haben.

Sean verließ das Arbeitszimmer, und Kate ging ihm nach. Zum einen hatte sie keine Lust, eine weitere Tirade ihres Vaters über sich ergehen zu lassen, und zum anderen wollte sie Sean zur Rede stellen. Schließlich konnte er doch nicht einfach anständige Leute eines Verbrechens beschuldigen und sich dann umdrehen und weggehen!

Kate verabschiedete sich hastig von ihren Eltern und folgte Sean nach draußen.

„Ich vermute, du möchtest nach Hause gebracht werden“, sagte Sean, während er die Fahrertür seines Autos öffnete. Das war der erste Hinweis, seit sie das Haus ihrer Eltern betreten hatten, dass er sich Kates Anwesenheit überhaupt bewusst war.

Sie stieg in den Wagen. „Was hast du dir bei dieser Andeutung gedacht, mein Vater würde ein Kind entführen?“, verlangte sie eine Erklärung, sobald Sean hinter dem Steuer saß.

Er drehte den Zündschlüssel um und startete den Motor. „Das würde er natürlich nie selbst versuchen“, behauptete Sean gereizt. „Er hat jemand dafür bezahlt, meinen Sohn vom Spielplatz wegzuholen.“

„Das ist eine Lüge!“

Sean trat unvermittelt auf die Bremse und sah Kate an. „Tatsächlich?“ Der Mann, den die Polizei aufgegriffen hat, hat zufällig alles gestanden. Er erzählte, er hätte im Auftrag eines einflussreichen Politikers gehandelt, und den Rest habe ich erraten.“ Kate wurde blass.

„Nein“, sagte sie leise. Ihr Vater würde doch nie so etwas tun. Er war rechtschaffen und gut. „Ich glaube dir nicht.“

„Glaub, was du willst, meine Liebe“, seufzte Sean. „Das kümmert mich eigentlich nicht.“

Kate versteifte sich. „Falls mein Vater schuldig war“, meinte sie herausfordernd, „weshalb hast du dann den Fall nicht an die Presse weitergegeben? Das hätte seine Karriere ruiniert.“

Sean sah sie nicht mehr an. Er gab sich den Anschein, völlig auf die Straße konzentriert zu sein. Doch seine Hände verkrampften sich um das Lenkrad. „Ich konnte nicht“, erklärte er mit dunkler Stimme. „Ich habe einmal eine seiner Töchter geliebt, weißt du.“ Kate lehnte sich zurück. Dieser ganze Tag war einfach fürchterlich. „Also wirst du nach Hause zurückfliegen und vergessen, dass Gil eine Familie hier in den Staaten hat?“

Gerade hatten sie das Ende der Auffahrt erreicht. „Ja“, erwiderte er. „Wenn du ihn sehen willst, musst du schon in das Land des Zauberers Oz kommen.“

Kate erinnerte sich, dass sie diesen Kosenamen Australiens aus einem der frühen Briefe ihrer Schwester kannte. Die späteren Briefe hatten dann nur noch Zorn, Angst und schreckliche Verzweiflung ausgedrückt. „Das könnte ich eigentlich tun“, überlegte sie laut. Dadurch würde sie Abstand zu Brad gewinnen, und außerdem wäre sie weit weg vom Wahlkampf ihres Vaters.

Sean warf ihr einen lebhaften Blick zu. „Wirklich?“

„Ich brauche erst ein Visum“, erklärte Kate. „Aber durch die Beziehungen meines Vaters dürfte das nicht lange dauern.“

Sie war sich nicht darüber im Klaren, ob Sean nun erfreut über die Aussicht auf den Besuch seiner ehemaligen Schwägerin war oder nicht. Im Auto war es zu dunkel, um Seans Gesichtsausdruck zu erkennen, und aus seinem Tonfall oder seinen Worten war auch nichts zu schließen.

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