Was die Nacht verspricht

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Vor dreizehn Jahren hat Nadine ihre Jugendliebe Hayden Monroe zum letzten Mal gesehen. Jetzt ist er nach Gold Creek zurückgekehrt und erneut flammt zwischen ihr und Hayden die Leidenschaft auf. Doch solange die Intrigen der Vergangenheit immer noch zwischen ihnen stehen, scheint ein neues Glück für die Single-Mom und den reichen Sohn der Stadt unmöglich. Zu spät erkennt Nadine, dass Hayden es tatsächlich ernst mit ihr meint …


  • Erscheinungstag 01.10.2015
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783956494833
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lisa Jackson

Was die Nacht verspricht

Aus dem Amerikanischen von Barbara Alberter

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

He’s The Rich Boy

Copyright © 1993 by Susan Crose

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Autorenfoto: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-483-3

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

PROLOG

Whitefire Lake, Kalifornien

Gegenwart

Nadine Warne knetete ihre verspannten Nackenmuskeln und dachte an ein heißes Schaumbad, das ihre steifen Gelenke lockern würde. Wie lange war es jetzt her, dass sie sich den Luxus gegönnt hatte, in der Badewanne zu entspannen?

Jahre.

Sie hatte einfach nicht die Zeit dazu. Bei ihrer anstrengenden Arbeit, die Häuser anderer Leute zu putzen, und einem kleineren Geschäft, das sie sich nebenbei aufbauen wollte, schien es für die alleinerziehende Mutter von zwei ungestümen Jungen in der Vorpubertät nicht eine freie Minute zu geben, die sie für sich beanspruchen konnte.

„So ist das Leben”, sagte sie sich pragmatisch.

Sie trug ihre Putzlappen nebst Eimern, Wachsbehältern und Reinigungsmitteln ins Haus und verstaute sie im Schrank neben der Hintertür. Das kleine Holzhaus war nicht viel, aber es war bezahlt, und das Land, auf dem es stand, lag am Südufer des Sees und würde eines Tages viel wert sein. Darauf verließ sie sich. Dieses kleine Stück Land war ihre Investition in die Zukunft – die Ausbildung ihrer Jungs. Und nichts, weder Himmel noch Hölle, würde ihr das nehmen. Sie selbst war um die Ausbildung gebracht worden, die ihr versprochen worden war, und damals hatte sie sich geschworen, dass ihre Kinder dieses spezielle Opfer nicht würden bringen müssen.

So dumm wie ihr Vater, der an den Traum eines reichen Mannes geglaubt hatte, würde sie nicht sein. Sie presste die Lippen zusammen und weigerte sich, an den wohlhabenden Mistkerl zu denken, der ihren Vater betrogen hatte.

Auf dieser kleinen Immobilie ruhte ihre ganze Hoffnung und all ihre Träume. Denn obwohl die besten Grundstücke am Nordufer des Whitefire Lake lagen, würde es dort kein freies Plätzchen mehr geben, auf dem die Reichen ihre Luxusvillen bauen könnten. Und dann würden sie woanders nach einem geeigneten Stück Land suchen müssen, höchstwahrscheinlich auf der Südseite des Sees.

Nadine war fest davon überzeugt, dass der Moment kommen würde, wenn sämtliche am Wasser gelegenen Grundstücke einen ganz ansehnlichen Wert haben würden. Jedenfalls hoffte sie das. Das war auch der Grund, weshalb sie bei der Scheidung von Sam, ihrem Ex, wie eine Löwin darum gekämpft hatte, dieses alte Cottage behalten zu können.

Lächelnd wärmte sie den Kaffee in der Kanne auf und blickte sich in der Küche um. Sie war groß genug für einen an die Wand gerückten Tisch. Ansonsten war der gemütliche Raum mit ein paar Kiefernschränken eingerichtet. Außerdem gab es noch einen kleinen Holztresen und ein Fenster mit roten Baumwollvorhängen, die zu den Platzsets passten, die übereinander gestapelt unter dem Serviettenständer mit Salz- und Pfefferstreuer auf dem Tisch lagen. Es war nicht viel, mehr allerdings konnte sie sich nicht leisten.

Neben der Küche gab es noch ein Wohnzimmer, ein Bad, ein Schlafzimmer, eine große Vorratskammer, die sie in ihr Nähzimmer und „Büro” verwandelt hatte, dazu einen Dachboden, in dem das Etagenbett ihrer Jungs stand. Es war nicht gerade das Ritz, aber gemütlich, und was John und Bobby an häuslichen Annehmlichkeiten fehlen mochte, wurde mehr als ausgeglichen durch die Tatsache, dass das Seeufer keine zwanzig Meter von der Haustür entfernt war. Sie lebten praktisch in der Natur.

Hier gab es Frösche, Hirsche, Kaninchen, Eichhörnchen, Waschbären und Vögel zuhauf. Ob sie es wussten oder nicht, ihre Kinder waren weit davon entfernt, benachteiligt zu sein.

Sie müssten bald zu Hause sein, dachte sie und blickte zur Straße. Jeden Tag fuhren die beiden mit den Fahrrädern zu einer Nachbarin, wo sie bleiben konnten, bis Nadine heimkam. John war alt genug, um sich darüber zu beschweren, weil er der Meinung war, dass er keinen Babysitter brauchte. Aber beide waren zu jung, um allein zurechtzukommen, und sei es auch nur für ein paar Stunden.

Während sie den Kaffee in einen Becher goss, stellte sie sich vor, wie ihre Situation jetzt aussehen würde, wenn Turner Brooks – ein Rancher, für den sie gearbeitet hatte – einen Funken Interesse an ihr gezeigt hätte, so wie sie es sich damals erhofft hatte. Jahrelang hatte sie sich zu ihm hingezogen gefühlt und sogar davon fantasiert, dass er sie eines Tages mit anderen Augen sehen würde und er sich in sie verlieben würde. Aber das war nicht geschehen. Stattdessen hatte er seine wahre Liebe in Heather Leonetti gefunden, einer schönen Frau aus seiner Vergangenheit, und Nadine hatte sich selbst damit überrascht, wie leicht sie ihren eigenen Traum hatte loslassen können. Vielleicht hatte sie ihn am Ende gar nicht wirklich geliebt. Turner, ein nüchterner Cowboy, der Klartext redete und ihr nicht den Himmel auf Erden versprochen hatte, war ihr nach der schmerzlichen Scheidung vielleicht einfach sicher erschienen.

Anders als die anderen Männer in ihrem Leben.

Ihr Exmann Sam war ein Träumer, der zu viele Stunden mit Trinken verschwendet hatte, um irgendeinen seiner Pläne wirklich in die Tat umzusetzen, und der andere Mann – der Mann, dem sie vor sehr vielen Jahren ihr Herz geschenkt hatte – war heute nur noch ein verbotener, bitterer Gedanke.

Hayden Garreth Monroe IV. Schon sein Name klang nach Wohlstand. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da war Hayden der reichste Junge im Ort gewesen, und nur seine Cousins, die Söhne der Fitzpatricks, hätten ihm diesen Titel streitig machen können. Und für eine kurze Zeit war sie so dumm gewesen zu glauben, dass ihm etwas an ihr lag.

Dummes, dummes Mädchen. Aber das war mittlerweile Gott sei Dank alles sehr lange her.

Als sie den Kies auf der Einfahrt knirschen hörte, wusste sie, dass ihre Jungs mit den Fahrrädern eingetroffen waren. Hershel, die Promenadenmischung, die sie adoptiert hatten, nachdem ihn jemand als halb ausgewachsenen Welpen ausgesetzt hatte, jaulte aufgeregt an der Hintertür. Sie hörte das Trampeln schneller Schritte, ein paar wechselseitige Beleidigungen, und schon stürmten die Jungs ins Haus, während Hershel ihnen um die Füße sprang.

„Schuhe ausziehen!”, rief Nadine.

„Och, Mom!”, beklagte sich John, schnitt eine Grimasse und kickte seine Turnschuhe von den Füßen.

Der siebenjährige Bobby tat es ihm nach. Ein paar schwarze Sneaker flogen an die Wand, danach lief er auf Strümpfen schnurstracks auf das Glas mit den Plätzchen zu.

„Hey, Moment mal!”, verlangte John besorgt, weil er befürchtete, nicht genauso viele Plätzchen abzubekommen wie sein jüngerer Bruder.

„Ihr wartet beide mal einen Augenblick”, schaltete Nadine sich ein und hielt John an den dünnen Schultern zurück, um ihn zu umarmen. „Ihr könntet mir zumindest erst mal Hallo sagen und erzählen, wie’s in der Schule war.”

„Hallo”, rief Bobby fröhlich und schnappte sich zwei Erdnussbutterplätzchen, bevor John ihm das Glas entriss. „Ich habe eine Zwei im Buchstabiertest.”

„Das ist ja toll.”

„Tja, und ich war heute der Blödmann der Klasse”, erwiderte John leicht trotzig, während er sich ebenfalls ein paar Kekse nahm.

„Was ist passiert?”

„Er musste in der Pause an der Wand stehen”, erklärte Bobby eifrig. „Dazu hat ihn die Aufsicht verdonnert.”

„Warum?”

„Weil sie meinte, ich hätte ein schlimmes Wort gesagt. Aber ehrlich, Mom, das war ich nicht. Das war Katie Osgood. Sie hat Sch....”

„Ich glaube, das reicht. Aber ich will nicht, dass du irgendetwas von dir gibt, das auch nur annäherend als Schimpfwort gelten könnte. Verstanden?”

„Ja, klar”, erwiderte John mürrisch und sah zu Boden. „Ähm, Mrs Zalinski wird dich anrufen.”

Nadine hielt die Luft an, als John den Namen seiner Lehrerin nannte. „Warum?”

„Weil sie glaubt, dass ich bei einem Test gemogelt hab, und das habe ich nicht, Mom, wirklich. Katie Osgood wollte einen Stift von mir haben, und ich habe zu ihr gemeint, dass sie mich in Ruhe lassen soll und …”

„Halt dich von Katie Osgood fern”, unterbrach ihn Nadine, und John murmelte etwas davon, dass Katie eine Streberin sei, und folgte Bobby ins Wohnzimmer. Die Kekse in ihren Händen nicht aus den Augen lassend, raste Hershel den Jungs hinterher, während er wild mit dem schwarz-weißen Schwanz wedelte.

Das Telefon klingelte und angesichts der bevorstehenden Konfrontation mit der Lehrerin schickte Nadine ein stilles Gebet zum Himmel. John hatte ständig Ärger in der Schule. Seit der Scheidung vor zwei Jahren war er aufmüpfig und zeigte seinen Groll deutlicher als Bobby.

„Hallo?”, meldete sie sich, während aus dem Wohnzimmer die Titelmusik der Lieblings-Zeichentricksendung ihrer Söhne zu ihr herüberklang.

„Mrs Warne?” Die Stimme klang kühl und männlich. Direktor Strand! Nadine machte sich auf einiges gefasst.

„Ja.”

„Hier ist William Bradworth aus der Kanzlei ‚Smythe, Mills und Bradworth’ in San Francisco. Ich vertrete den Nachlass von Hayden Garreth Monroe III ...”

Nadines Herz setzte einen Schlag aus, und ihr Magen zog sich zusammen. Hayden Garreth Monroe III war derjenige gewesen, der das langsame Auseinanderbrechen ihrer Familie eingeleitet hatte. Sie war ihm nur einmal begegnet, vor Jahren, aber der Mann war eiskalt. Ein gnadenloser Geschäftsmann, der alles und jeden niedermachte – einschließlich ihres Vaters –, um zu bekommen, was er wollte. In Nadines Augen war Monroe ein Krimineller, und sein Tod löste wenig Bedauern bei ihr aus.

„Was wollen Sie, Mr Bradworth?”

„Velma Swaggart hat mir Sie empfohlen. Ich bin auf der Suche nach einer Reinigungskraft.” In diesem Moment hätte Nadine ihre Tante Velma am liebsten erwürgt. Allein der Name Monroe hätte ihr reichen sollen, um einen anderen Reinigungsservice zu empfehlen. „Ich bin bereit, Ihnen den üblichen Lohn zu zahlen, wenn Sie das Haus Nr. 1451 am Lakeshore Drive sauber machen”, fuhr Bradworth fort, und Nadine verkniff sich eine scharfe Antwort.

Stattdessen trat sie vors Fenster, um über den See blicken zu können. Umringt von Mammutbäumen und Kiefern stand in weiter Ferne am Nordufer das Sommerhaus der Monroes auf einem erstklassigen Seegrundstück.

„Der Auftrag umfasst eine gründliche Reinigung, und ich benötige außerdem eine Liste aller erforderlichen Reparaturen. Falls Sie jemanden in der Gegend finden könnten, der die Instandsetzung übernimmt, möchte ich Sie bitten, mir den Namen ...”

„Ich muss darüber nachdenken, Mr Bradworth.” Sie beschloss, den Mann nicht allzu schnell abzuwürgen, obwohl sie ihm am liebsten gesagt hätte, wohin er sich sein Angebot stecken könnte. Aber das Geld war knapp bei ihnen. Sehr knapp. Tante Velma wusste, dass es harte Zeiten für sie waren, und hatte vermutlich selbst ihren Stolz hinunterschlucken müssen, als sie Nadine empfohlen hatte.

Am anderen Ende der Leitung entstand eine lange Pause. Offenbar war Mr Bradworth es nicht gewöhnt, dass man ihn hinhielt. „Bis morgen Nachmittag brauche ich eine Antwort”, meinte er schroff.

„Die werden Sie bekommen”, erwiderte sie und verfluchte sich im Stillen, weil sie einem geschenkten Gaul ins Maul geschaut hatte. Wen interessierte es schon, woher das Geld kam? Sie brauchte es, um ihren Wagen reparieren zu lassen, und Weihnachten rückte näher ... Wie sollte sie all die Sachen für die Jungs finanzieren? Doch Geld anzunehmen, das aus dem Nachlass des alten Monroe stammte? Sie zitterte, als sie auflegte.

Tränen verschleierten ihren Blick, während sie durch die Hintertür trat und über den Pfad ging, der ums Haus herum zur Anlegestelle führte. Der kühle Novemberwind hatte sich gedreht und ließ auf der normalerweise ruhigen Seeoberfläche Wellen mit Schaumkronen entstehen. Die alte Legende vom See fiel ihr ein, wonach der Sonnengott einen segnete, wenn man vom Wasser des Sees trank, bevor die Morgensonne den Nebel über dem See vertrieb. Die Legende stammte von den Ureinwohnern Amerikas, wurde jedoch von den ersten weißen Siedlern verbreitet. Von einer Generation war die Geschichte an die nächste weitererzählt worden, und Nadine fragte sich, wie viel von dem alten Mythos wahr sein mochte.

Während sie sich die Arme rieb, starrte sie auf das grau werdende Wasser hinaus, ohne zu bemerken, dass es anfing zu regnen. Das Anwesen der Monroes. Seit beinahe dreizehn Jahren stand es nun leer. Es war ein prunkvolles Sommerhaus. Nadine hatte nie die Ehre gehabt, es einmal betreten zu dürfen. Aber nachdem sich herausgestellt hatte, dass Jackson Moore und Rachelle Tremont in der Todesnacht von Roy Fitzpatrick gemeinsam dort gewesen waren, hatte es traurige Berühmtheit erlangt.Jackson war der Hauptverdächtige gewesen, und Rachelle hatte ihm ein Alibi gegeben. Sie hatte ihren guten Ruf ruiniert, indem sie gestand, die ganze Nacht mit ihm zusammen gewesen zu sein.

Seitdem hatten nur wenige das Gebäude noch einmal betreten, jedenfalls wenn man der Gerüchteküche von Gold Creek Glauben schenken durfte. Nadine hätte unmöglich wissen können, ob es der Wahrheit entsprach.

Einen quälenden Augenblick lang dachte sie an Hayden, den Sohn des alten Mannes. Benannt nach seinem Vater, geboren und aufgewachsen mit einem goldenen Löffel im Mund, war Hayden Garreth Monroe IV mehr gewesen als ein reicher Junge. Zumindest für Nadine. Wenn auch nur für kurze Zeit. Solange, bis er sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Bis er bewiesen hatte, dass er nicht anders war als sein Vater.

Nadine biss sich auf die Unterlippe. Sie war eine solche Idiotin gewesen! Eine naive Idiotin, die ihn angehimmelt hatte!

Ihre Sneaker knirschten auf den alten Planken des Docks, und der Wind blies ihr die Haare aus dem Gesicht. Fröstelnd rieb sie sich die Arme und starrte über den See zu den Häusern der Wohlhabenden, die den Lakeshore Drive am Nordufer säumten.

Richtung Westen war das Haus der Fitzpatricks durch das Dickicht der Bäume zu erkennen, und weiter östlich lugte der Dachfirst des Sommerdomizils der Monroes aus den Kiefern- und Zedernzweigen hervor.

„Verdammt noch mal”, flüsterte sie, noch immer den Tag verfluchend, an dem sie Hayden kennengelernt hatte.

Damals schien alles so richtig ... ihn kennenzulernen ... in seinem Boot mitzufahren ... zu glauben, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Heute wusste sie, dass ihre Vernarrtheit in Hayden ein Fehler gewesen war, der sie für den Rest ihres Lebens begleiten würde. Mit einer kristallenen Klarheit, die ihr Angst einjagte, konnte sie sich an die kurze Zeit ihres Zusammenseins erinnern.

Während ein Nieselregen vom Himmel fiel, wanderte sie in Gedanken in die Zeit zurück, an die zu denken sie sich verboten hatte – die Zeit, als sie – jung und naiv – auf ein Abenteuer gewartet hatte, und Hayden Garreth Monroe IV in ihr Leben getreten war und es auf den Kopf gestellt hatte ...

1. KAPITEL

Gold Creek, Kalifornien

Die Vergangenheit

„Vergiss nicht, mich rechtzeitig zum Feierabend abzuholen”, sagte Nadines Vater, während sein Wagen über das Schottergelände der „Monroe Sawmill” holperte, wo er arbeitete. Er parkte im Schatten eines Schuppens, drehte den Schlüssel um und zog ihn aus dem Zündschloss seines alten Ford Pick-up. Er reichte seiner Tochter den Schlüssel.

„Ich werde nicht zu spät kommen”, versprach Nadine.

Ihr Vater zwinkerte ihr zu. „Das ist mein Mädchen.”

Nadine hielt Bonanza, den Hund ihres Vaters, am Halsband fest, als er jaulend zur Tür stürzte, während George Powell aus dem Auto stieg und zum Büro marschierte, um sich einzustechen, bevor er seine Schicht begann. „Immer schön mit der Ruhe”, erklärte sie dem aufgeregten Schäferhund. „Wir sind ja gleich zu Hause.”

Bei dem Gedanken an das Haus, das die Familie Powell bewohnte, zog sich ihr der Magen zusammen. Ihr Zuhause war nicht mehr der Zufluchtsort, der es einmal gewesen war, und die Anzeichen von Unzufriedenheit in der Ehe ihrer Eltern waren in den letzten Monaten mehr geworden. Manchmal hatte Nadine das Gefühl, auf einem Schlachtfeld festzusitzen, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden könnte. Jedes Mal, wenn sie den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, war es, als beträte sie ein verbales und emotionales Minenfeld.

Während sie durch die staubige Windschutzscheibe spähte, versuchte sie, nicht an das Leben in dem Haus am Fluss zu denken, sondern konzentrierte sich stattdessen auf das Geschehen im Hof der Sägemühle. Durch riesige Tore aus Maschendraht rollten Lastwagen mit Anhängern herein und brachten eine Ladung astfreier Tannenbäume nach der anderen an, die von einem gewaltigen Kran aufgehoben und auf die bereits gigantischen Holzhalden umgeladen wurden. Mit anderen Kränen wurden Holzstämme aus dem Fluss gefischt und zum Trocknen übereinander gestapelt.

Männer mit Schutzhelmen dirigierten jede Ladung mit lauten Rufen an ihren Platz. Stück für Stück wurden die Stämme sortiert und entrindet, bevor man sie schließlich grob zu Balken schnitt, die nach Qualität und Größe gestapelt wurden. Ihr Vater war praktisch schon sein ganzes Leben mit dem Sägewerk verbunden, und schon oft hatte er ihr den Prozess erklärt, wie ein Baum aus dem Wald geholt und in Nutzholz, Sperrholz, Pressholz, Mulch und manchmal auch Papier verwandelt wurde. George Powell war stolz darauf, einer Familie von Holzarbeitern zu entstammen, und in dieser Sägemühle hatten sowohl sein Vater als auch sein Großvater gearbeitet. Seitdem die „Monroe Sawmill Company” in Gold Creek existierte, hatte immer ein Powell auf der Lohnliste des Unternehmens gestanden.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Nadine, wie ein Auto auf das Gelände fuhr – ein schnittiges, marineblaues Cabriolet. Es glänzte so stark, dass der Lack im Licht der Sonne wie feucht schimmerte. In der Ansammlung alter Pick-ups und staubiger Wagen wirkte der Mercedes wie ein Vollblüter unter lauter Ackergäulen deutlich fehl am Platz.

Nadine rutschte auf die Fahrerseite des Autos und streichelte Bonanza, während sie den Fahrer musterte, der jetzt dem ledergepolsterten Innenraum entstieg. Er war groß, aber jung, wahrscheinlich noch keine zwanzig, mit dichten kaffeeschwarzen Haaren, die vom Wind zerzaust waren. Seine Augen waren hinter einer Sonnenbrille mit Spiegelglas verborgen, und er warf sich eine Lederjacke über die Schulter.

Nadine biss sich auf die Lippe. Sie musste nicht raten, sondern wusste, wer er war. Hayden Garreth Monroe IV, Sohn des Besitzers der Sägemühle. Vor Jahren, als er noch die Grundschule von Gold Creek besuchte, hatte sie ihn einmal gesehen. Für kurze Zeit hatte er, das einzige Kind reicher Eltern, hier gelebt. Seine Cousins ersten Grades waren die Söhne der Fitzpatricks, denen das Abholzungsunternehmen gehörte, das dem Sägewerk den größten Teil der Stämme lieferte.

„Die Monroes und die Fitzpatricks – sie halten zusammen wie Pech und Schwefel”, hatte ihre Mutter oft gesagt, und zusammen gehörte den beiden Familien fast alles in Gold Creek.

Nadine erinnerte sich an Hayden als zwölfjährigen Jungen, nicht als wütenden jungen Mann. Doch jetzt schien er stinksauer zu sein. Den Unterkiefer vorgeschoben und den Mund entschlossen zu einer Linie zusammengepresst, bewegte er sich mit großen, steifen Schritten. Ohne nach rechts oder links zu schauen, hielt er den zornigen Blick geradeaus gerichtet und nahm die zwei Stufen zum Büro des Sägewerks auf einmal. Dann stürmte er in das kleine Büro der Firma und knallte die Tür hinter sich zu.

Nadine hielt die Luft an. Wem auch immer sein offensichtlicher Zorn gelten mochte, er tat ihr leid, denn Hayden strahlte einen unbändigen Zorn aus.

Plötzlich wünschte sie, sie wüsste mehr über ihn, aber ihre Erinnerungen an die Monroes und ihren einzigen Sohn – „der Prinz”, wie ihr Bruder Ben ihn nannte – waren vage.

Sie war sich ziemlich sicher, dass die Monroes etwa zu der Zeit, als Hayden auf die Highschool kommen sollte, nach San Francisco gezogen waren. Seitdem kamen sie nur noch zurück, um die Sommermonate in ihrem Haus am See zu verbringen. Und obwohl Haydens Vater nach wie vor der Besitzer der Sägemühle war, besaß er auch noch ein paar andere Unternehmen, weshalb er nur ein- oder zweimal in der Woche Gold Creek einen Besuch abstattete.

Ihr Vater hatte es einmal beim Abendessen angesprochen: „Das ist ein Job, den Monroe da hat, was?” George Powells Stimme war eine Mischung aus Ehrfurcht und Neid anzuhören. „Garreth steigt auf dem Dach seines Bürogebäudes in einen Firmenhubschrauber, schwirrt hierher, kommt gegen neun ins Büro geschlendert, wo er einen Blick in die Bücher wirft und ein paar Schecks unterschreibt, und für sein Golfspiel am Nachmittag ist er dann rechtzeitig zurück in der Stadt. Ein hartes Leben.”

Nadine hatte sich nie groß Gedanken über die Monroes gemacht. Sie waren reich, so wie auch die Fitzpatricks. Die übrigen Ortsbewohner waren das nicht. So war es immer gewesen, und vermutlich würde es auch immer so bleiben.

Langsam lockerte sie den Griff um Bonanzas Halsband. Der Hund leckte ihr übers Gesicht, allerdings nahm sie das kaum wahr. Sie entdeckte ihren Vater, als er das Büro verließ und zum Haupttor des Arbeitsgeländes marschierte. Er winkte ihr zu, dann verschwand er in einem der Gebäude. legte den Rückwärtsgang ein, setzte zurück und schaltete in den ersten Gang. Der Wagen machte einen Satz nach vorn und begann zur Straße zu rollen.

„Hey!”, drang die Stimme eines Mannes durch die offenen Fenster.

Nadine blickte in den Rückspiegel und trat auf die Bremse. Sie spürte ein dummes Flattern im Bauch, kaum dass sie sah, wie Hayden, der Prinz höchstpersönlich, in einen Laufschritt fiel, um sie einzuholen ... wahrscheinlich, weil er ihr mitteilen wollte, dass die Heckklappe mal wieder offen stand.

In einer Staubwolke, die einem das Atmen erschwerte, riss er die Tür an der Beifahrerseite des Fords auf, und Bonanza knurrte. „Können Sie mich mit...?” Abrupt brach er ab, und Nadine begriff, dass er geglaubt haben musste, es mit einem Arbeiter aus dem Sägewerk zu tun zu haben. Offensichtlich hatte er nicht mit einem Mädchen am Steuer eines verbeulten alten Pick-ups gerechnet.

Sie warf einen Blick auf den Mercedes. „Ist das nicht Ihr Auto?”

Finster kniff er die Augenbrauen zusammen. „Hören Sie, ich brauche nur eine Mitfahrgelegenheit. Ich bin Hayden Monroe.” Er schob die Sonnenbrille hoch und reichte ihr die Hand.

„Nadine Powell.” Verlegen streckte sie an Bonanza vorbei den Arm aus und ergriff seine Hand. Seine Finger umschlossen ihre Hand mit festem Griff, der ein leichtes Herzklopfen bei ihr auslöste.

„Ben und Kevins kleine Schwester”, stellte er fest, nachdem er ihre Hand wieder losgelassen hatte.

Es gefiel ihr aus irgendeinem Grund gar nicht, dass er sie als Kind betrachtete. „Richtig.”

„Fährst du in den Ort?”

Das hatte sie zwar eigentlich nicht vor, aber irgendetwas in ihr hielt sie davon ab, das zuzugeben, denn sie wusste, wenn sie ihm die Wahrheit sagte, würde er die Tür des Pick-ups auf der Stelle zuschmeißen. Sie zog die Schultern hoch. „Äh ... natürlich, steig ein. Ich, äh, muss nur zu Hause vorbeischauen ... das liegt auf dem Weg ... und meiner Mutter sagen, wo ich bin.”

„Wenn es Umstände macht ...”

„Nein! Steig ein”, wiederholte sie sie lächelnd. Schuldbewusst warf sie einen Blick durch die schmutzige Heckscheibe und betete im Stillen darum, dass ihr Vater nicht sah, wie Hayden in die Fahrerkabine stieg. Als die Tür zufiel, knurrte Bonanza zwar noch einmal, machte dann allerdings widerstrebend den Platz frei und rutschte näher an ihre Seite. Nadine nahm den Fuß von der Kupplung. Mit einem magenerschütternden Satz begannen sie, vom Gelände zu holpern. Sie konnte nur hoffen, dass ihre Mutter Verständnis haben und ihr erlauben würde, Hayden nach Gold Creek zu bringen. Neuerdings war ihre Mutter nicht sehr verständnisvoll ... manchmal nicht einmal vernünftig. Und auch wenn ihr Dad die Launenhaftigkeit seiner Frau und ihrem „monatlichen Fluch” zuschrieb oder dem Stress, der von der Erziehung drei eigenwilligen Teenagern herrührte, zuschrieb, wusste Nadine es besser. Sie hatte genug von den Auseinandersetzungen ihrer Eltern mitbekommen, um zu erkennen, dass die Probleme in ihrer Familie viel tiefer lagen und nichts mit dem Monatszyklus ihrer Mutter zu tun hatten.

Wie also würde Donna auf die Bitte ihrer einzigen Tochter reagieren? Plötzlich hatte Nadine ganz feuchte Hände. Sie könnte Hayden einfach im Ort absetzten, zu spät nach Hause kommen und mit den Konsequenzen leben, aber sie wollte nicht noch mehr Ärger heraufbeschwören.

„Ich muss nur den Hund nach Hause bringen”, erklärte sie und schaute ihn kurz an.

„Ich hab’s nicht eilig.” Aber seine angespannte Körperhaltung sagte etwas anderes. Von dem Moment an, als er mit kreischenden Bremsen auf dem Hof der Sägemühle gehalten hatte, war er ihr vorgekommen wie ein sprungbereiter Tiger hinter Gittern. Seine Muskeln traten hervor und seine Mine war genauso angespannt. Er stülpte sich die Sonnenbrille wieder auf die Nase.

„Ärger mit dem Auto?”, fragte sie.

„So kann man es auch nennen.” Er starrte aus dem Fenster und presste die Lippen zusammen, während Nadine auf die Hauptstraße einbog, die in den Ort führte.

„Es ist ... es ist ein schönes Wagen.”

Durch die Sonnenbrille warf er ihr einen Blick zu, der nicht zu deuten war. „Ich habe meinem alten Herrn erklärt, er soll es verkaufen.”

„Aber ... das Auto scheint ganz neu zu sein.” Der Mercedes hatte noch nicht einmal Nummernschilder.

„Ist es auch.”

„Ich würde für einen solchen Wagen morden”, meinte sie, um die Spannung zu lockern, die sich zwischen ihnen aufzubauen schien.

Um seinen Mund zuckte es leicht. „Ach, wirklich?” Schnell drehte er den Kopf und richtete seine Aufmerksamkeit auf sie. Ihre Haare. Ihr Hals. Nichts schien seinem prüfenden Blick zu entgehen, und plötzlich war sie verlegen wegen ihrer abgeschnittenen Jeans und der ebenso alten Bluse. Stolz reckte sie das Kinn, spürte jedoch, wie ihr der Schweiß über den Rücken rann. Während er sie mit einer Eindringlichkeit musterte, unter der sie sich am liebsten gewunden hätte, begann ihr Puls heftig zu pochen.

„Ich ... Du weißt schon, was ich meine.”

„Nun, mein Alter hat zwar nicht von mir verlangt, dafür zu töten , aber es kommt dem ziemlich nahe ...” Er rieb sich die verspannten Muskeln an einer Schulter.

„Was meinst du damit?”

„Hast du den Dritten schon mal kennengelernt?”

„Wie bitte?”

„Hayden Garreth Monroe, ‚Der Dritte’.”

Sie schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Doch ich habe ihn ein paarmal gesehen. Bei Firmenpicknicks.”

„Oh, stimmt.” Er nickte und starrte wieder aus der verstaubten Windschutzscheibe. „Da war ich auch schon ein paarmal. Vor langer Zeit. Jedenfalls weißt du dann ja, wie mein Vater sein kann. Sagen wir einfach, er ist ‚überzeugend’. Ein besseres Wort fällt mir nicht ein. Was immer ‚Der Dritte’ haben will, in der Regel kriegt er es. Auf die ein oder andere Weise.”

„Was hat das mit deinem Auto zu tun?”

„Er hat einen Preis ... nicht in Dollars oder Cents, aber dennoch ist es ein Preis, den ich nicht zu zahlen bereit bin.”

„Oh.” Sie hätte gern weiter gefragt, weil sie herausfinden wollte, was Hayden wirklich dachte, doch dieser schwieg erneut. An seiner verschlossenen Miene erkannte sie, dass das Thema für ihn erledigt war.

Sie fuhren an trockenen Stoppelfeldern vorbei, in denen Gras und Wildblumen wuchsen, und Nadine bog auf eine Landstraße ab, die sich durch die Hügel zu dem kleinen Haus am Fluss wand. Noch nie war es ihr peinlich gewesen, wo sie wohnte, aber mit diesem reichen Jungen im Pick-up fühlte sie sich plötzlich verlegen. Es war schon schlimm genug, dass er den ramponierten Sitz eines verbeulten zwanzig Jahre alten Wagens mit einem übel riechenden Hund teilen musste, nachdem er gerade die gepflegte Lederinnenausstattungen eines neues Sportautos genossen hatte, doch jetzt würde Hayden auch noch die windschiefe Eingangsveranda, die rostigen Dachrinnen und den Garten sehen, der im Unkraut erstickte.

Sie hielt im Carport. „Es dauert nur eine Minute ...”, meinte sie. Dann erinnerte sie sich an ihre guten Manieren und fügte hinzu: „Möchtest du mit reinkommen und meine Mom kennenlernen?”

Er zögerte, doch dann schien seine gute Erziehung die Oberhand zu gewinnen. „Gerne.”

Während Bonanza durch das trockene Gras flitzte und die Rotkehlchen in den Büschen aufschreckte, stieg Nadine vor Hayden die Treppe zur hinteren Veranda hinauf und öffnete die Fliegengittertür. „Mom?”, rief sie, während sie die Küche betraten.

Auf dem Herd kühlte ein Apfelkuchen ab, und der kleine Raum war erfüllt vom Duft gebackener Äpfel und Zimt. Hayden nahm seine Sonnenbrille ab, und Nadine blickte in intensiv blaue Augen von der Schattierung des Himmels kurz vor der Dämmerung. Beinahe stockte ihr das Herz, und ihre Stimme klang etwas schwach und atemlos, als sie den Blick von ihm losriss und noch einmal ihre Mutter rief. „Bist du zu Hause?”

„Bin gleich unten”, meinte Donna vom oberen Ende der Treppe, und schon hörte man sie über die bloßen Holzdielen eilen. „Weshalb hast du so lange gebraucht? Ben hat den Wagen. Ich muss ein paar Sachen einkaufen, und ...” Den Wäschekorb auf der Hüfte, ohne eine Spur ihres üblichen Make-ups und die Haare nachlässig zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, kam Donna um die Ecke und blieb abrupt stehen. Überrascht schaute sie ihre Tochter und den Jungen an.

Nadine reagierte schnell. „Ich hole dir alles, was du brauchst. Ich muss ohnehin in die Stadt, ich habe es Hayden versprochen.” Sie wies auf ihn. „Das ist ...”

„Hayden Monroe?”, vermutete ihre Mutter und reichte ihm ihre freie Hand, wobei sie es schaffte, ihre Wäsche weiter festzuhalten. Sie rang sich ein künstliche wirkendes Lächeln ab.

„Richtig.” Er schüttelte ihr kräftig die Hand.

„Und das ist meine Mutter, Donna Powell.”

„Freut mich, Sie kennenzulernen”, erwiderte er.

„Gleichfalls.”

Nadine war erstaunt und geschämt zugleich. Normalerweise war ihre Mutter warmherzig und freute sich, jeden ihrer Freunde kennenzulernen, aber ihrem Lächeln zum Trotz verströmte Donna Powell eine Frostigkeit, die sie gewöhnlich für ihren Mann reservierte.

„Du solltest deinem Freund etwas zu trinken anbieten”, tadelte sie ihre Tochter und bedachte sie mit einem eiskalten Blick. „Und ja, du kannst die Lebensmittel besorgen. Die Liste hängt an der Pinnwand, und in meinem Portemonnaie steckt ein Zwanziger ...” Sie sah Hayden erneut an und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich dann allerdings anders. „Aber trödel nicht. Ich brauche die Eier für den Hackbraten.” Sie stellte die Wäsche auf dem Tisch ab und strich sich eine verirrte Locke hinters Ohr, bevor sie entschlossen zum Küchenschrank schritt, in dem sie ihre Handtasche aufbewahrte. Sie holte den Zwanzig-Dollar-Schein aus ihrer Geldbörse und reichte ihn ihrer Tochter.

„Ich bleibe nicht lange weg!” Nadine war froh, dass sie verschwinden konnte. Sie nahm sich zwei Cola-Dosen aus dem Kühlschrank und schnappte sich auf dem Weg nach draußen die Einkaufsliste. Hayden verabschiedete sich noch von ihrer Mutter und blieb im Garten stehen, um Bonanza hinter den Ohren zu kraulen. Schließlich riss er die Tür auf der Beifahrerseite des Wagens auf und machte es sich auf dem Sitz bequem.

Nadine war so nervös, dass sie es kaum schaffte, den Motor zu starten. „Du musst meine Mutter entschuldigen. Normalerweise ist sie viel freundlicher ... aber wir, ähm, haben sie überrascht, und ...”

„Sie war doch nett.” Wieder starrte er sie mit seinen blauen Augen an, und diesmal schien sein Blick – ohne Sonnenbrille – direkt in ihre Seele zu dringen. Sie fragte sich, was er von ihrem winzigen Haus am Fluss halten mochte. Lachte er innerlich über das Cottage, das ihm wie ein Symbol jämmerlicher Armut erscheinen musste? In dem Wagen schien er sich durchaus wohl zu fühlen, und doch hatte sie den Verdacht, dass er daran gewöhnt war, in BMWs, Ferraris und Limousinen zu fahren.

„Halt mal fest.” Sie reichte ihm die beiden Cola-Dosen, wendete den Pick-up und brauste los in Richtung Stadt. Nadine wusste, dass sie nicht danach fragen sollte, aber sie sprach immer aus, was ihr gerade durch den Kopf ging. Ihr Bruder Ben hatte ich schon oft vorgeworfen, dass sie erst redete und dann nachdachte.

„Was hast du damit gemeint, als du von dem Preis gesprochen hast, den du nicht zahlen willst ... für den Mercedes?”

Er öffnete beide Dosen und gab ihr eine. Danach starrte er erneut vor sich hin nach draußen – trockene windgepeitschte Felder. Lässig lehnte er den Ellbogen raus und sagte: „Mein Vater will meine Freiheit kaufen.”

„Wie das?”

Er lächelte kühl und setzte die Brille wieder auf. „Auf viele Arten.” Langsam trank er einen großen Schluck. Nadine wartete, doch Hayden sprach nicht weiter. Ohne seine kryptische Bemerkung zu erklären blickte er durch die Windschutzscheibe. Sie bemerkte, wie er ungeduldig mit den Fingern auf sein Knie trommelte. Es schien ganz so, als existierte sie überhaupt nicht. Sie sorgte lediglich für den Transport, und was ihn betraf, hätte das wohl ebenso gut ein grauhaariger Mann von achtzig Jahren erledigen können. Empört über den Gedanken, jonglierte sie mit ihrer Cola-Dose, während sie das Lenkrad umklammerte, die Gänge einlegte und über die vertrauten Straßen der Stadt fuhr, in der sie aufgewachsen war.

„Wohin soll ich dich bringen?”, fragte sie, nachdem sie die Unterführungen, die unter den Bahnschienen hindurchführte, erreicht hatten. Sie befanden sich jetzt im Randbezirk von Gold Creek, und die Hauptstraße war von Häusern gesäumt, die scheinbar alle nach denselben drei bis vier Bauplänen Ende der vierziger Jahre entstanden waren.

„Wohin?”, wiederholte er wie gedankenverloren. „Wie wär’s mit Anchorage?”

„Alaska?”

„Oder Mexico City.”

Sie lachte, denn sie hielt es für einen Scherz, aber er lächelte nicht einmal. „So viel Sprit habe ich nicht”, witzelte sie.

„Den würde ich bezahlen.” Er sagte es, als wäre jedes Wort sein voller Ernst. Doch er meinte es nicht ernst. Das war unmöglich. Mit einer Hand strich er über das alte Armaturenbrett, in dem das Heizgebläse klapperte. „Was glaubst du, wie weit würde uns dieser Pick-up bringen?”

„Uns?”, fragte sie, wobei sie sich bemühte, lässig zu klingen.

„Hmmm.”

„Vielleicht bis nach San José. Oder Monterey, wenn wir Glück haben”, erwiderte sie nervös. Er machte Witze, oder? Das musste es sein.

„Das ist nicht weit genug.”

Er schaute sie an, und durch die verspiegelten Gläser hindurch hielten ihre Blicke einander eine Sekunde lang fest. Danach streckte er den Arm aus, packte das Lenkrad und half ihr auf der Straße zu bleiben. „Ich schätze, wenn wir weiter weg wollten, hätten wir doch besser einfach den verdammten Mercedes nehmen sollen.”

Mit zitternden Händen umfasste die das Lenkrad. Obwohl er so verrückte Sachen von sich gab, mochte sie ihn. Seine rebellische Art faszinierte sie und nahm sie für ihn ein.

Er ließ sich in den Sitz zurückfallen und schob sich die dunklen Haare aus dem Gesicht. Sie fuhren am Park vorbei und kamen an eine rote Ampel.

Als der Pick-up stand, warf Nadine ihrem Beifahrer einen Blick zu. „Da wir den Mercedes nicht haben und dieser Wagen es nicht über die Stadtgrenze hinaus schaffen wird, schätze ich, dass du mir sagen musst, wohin du willst.”

„Wohin ich will”, meinte er und schüttelte den Kopf. „Lass mich einfach am Busbahnhof raus.”

„Am Busbahnhof?” Fast hätte sie gelacht. Der Junge, der die Schlüssel für einen Mercedes abgegeben hatte, wollte eine Fahrkarte für einen Bus kaufen?

„Damit komme ich hin, wohin ich will.”

Es wurde grün, und sie bog links ab. „Und wo ist das?”

„Überall und nirgends.” Wieder versank er in tiefem Schweigen. Der Busbahnhof tauchte vor ihnen auf, und sie bog auf den Parkplatz ein. Dort hielt sie an, ließ jedoch den Motor laufen. Hayden stürzte die Cola herunter, legte die leere Dose auf den Sitz, griff nach seiner Jacke und holte seinen Geldbeutel aus der Tasche. „Ich möchte dich für deine Mühe bezahlen …”

„Das war keine Mühe”, entgegnete sie schnell.

„Doch für den Sprit und deine Zeit und …”

„Ich habe dich nur mitgenommen. Keine große Sache.” Sie versuchte ihm in die Augen schauen, sah jedoch nur sich selbst in seinen verspiegelten Gläsern.

„Ich will aber.” Er zog einen Zehner heraus und hielt ihn ihr hin. „Kauf dir irgendwas.”

„Ich soll mir was kaufen?”, wiederholte sie, und fühlte sich plötzlich extrem gedemütigt. Auf einmal war ihr wieder bewusst, dass sie eine ausgebleichte abgeschnittene Jeans trug und dazu eine Baumwollbluse nebst geerbten Sneakers.

„Ja, irgendetwas Schönes.”

Er hatte Mitleid mit ihr! Der Schein war direkt vor ihrer Nase, aber sie ignorierte ihn. „Ich lasse mich auch nicht kaufen”, stieß sie hervor und legte den Gang ein. „Es war eine Gefälligkeit. Weiter nichts.”

„Aber ich fände es schön, wenn du …”

Ich fände es schön, wenn du aussteigen würdest. Jetzt.”

Offensichtlich überrascht von ihrem Stimmungswandel, zögerte er. „Wenn du sicher bist …”

„Ich bin mir absolut sicher.”

Finster dreinschauend stopfte er den Schein wieder in seinen Geldbeutel. „Ich schätze, ich bin dir was schuldig.” Auf seiner Stirn bildeten sich Falten. „Ich mag es nicht, wenn ich jemandem etwas schulde.”

„Mach dir deswegen keine Gedanken! Du schuldest mir nichts”, versicherte sie ihm, und allmählich regte sich Wut in ihr. Bei seinem ganzen Gerede davon, aus Gold Creek abzuhauen, hatte sie einen Moment geglaubt, dass er Interesse an ihr zeigte. Doch da hatte sie sich geirrt. Die Demütigung trieb ihr die Hitze in die Wangen. Wie dumm von ihr!

„Danke, dass du mich mitgenommen hast.” Er öffnete die Tür und sprang auf den staubigen Asphalt.

„Kein Problem, Prinz.” Bevor er überhaupt eine Chance hatte, die Tür zu schließen, trat sie aufs Gas. Es war ihr egal. Sie musste einfach weg von ihm. Die Reifen des alten Pick-ups quietschten. Beschämt beugte sie sich über den Sitz und riss die Beifahrertür zu, dann blinzelte sie frustriert gegen die Tränen an. Was hatte sie sich denn gedacht? Dass ein Junge wie er – ein reicher Junge – sie attraktiv finden würde?

„Dumme Kuh!”, schimpfte sie sich selbst, und hasste die Tränen in ihren Augen und die roten Flecken auf ihren Wangen. Ein wenig zu schnell fuhr sie um eine Ecke, und der Pick-up geriet leicht ins Schlingern, bevor die abgenutzten Reifen wieder griffen. „Vergiss ihn”, wies sie sich an, aber tief innen wusste sie, dass Hayden Monroe nicht zu den Jungs gehörte, die man leicht vergessen konnte.

2. KAPITEL

Nadines Mutter erwartete sie in der Küche. Gerade rieb sie mit einem fleckigen Tuch über die zerkratzten Schranktüren, als Nadine die Tür öffnete. Donna warf ihr einen Blick über die Schulter zu und wischte sich die Hände ab, während Nadine den Beutel mit den Lebensmitteln auf den Tresen stellte. Schwer lag der Duft von Möbelpolitur in der Luft, sodass man kaum noch atmen konnte.

„Du bist jetzt also mit einer ziemlich reichen Clique unterwegs?”

„Ich bin mit gar keiner Clique unterwegs.” Nadine schob die Hand in die Tasche ihrer abgeschnittenen Jeans, holte das Wechselgeld für ihre Mutter heraus und legte vier Dollar und zweiunddreißig Cent neben den Beutel.

„Und wie ist Hayden Monroe dann in unserem Wagen gelandet?”

„Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort”, räumte Nadine ein.

„Ich dachte, du hättest deinen Vater zur Mühle gefahren.”

„Genau.” Während sie anfing, die Lebensmittel auszupacken, erklärte sie ihrer Mutter in groben Zügen, wie sie Hayden begegnet war. Donna sagte kein Wort, hörte nur zu, faltete ihr Staubtuch und hing es innen an die Schanktür unter der Spüle.

„Und er hat einen nagelneuen Mercedes einfach auf dem Parkplatz der Mühle stehen lassen?” Sie drehte den Wasserhahn auf und wusch sich die Hände mit dem flüssigen Spülmittel.

„Japp.”

Während sie sich das Wasser von den Fingern schüttelte, sagte sie: „Weißt du, am besten gibt man sich gar nicht erst mit den Reichen ab. Das gilt vor allem für die Monroes.”

„Ich dachte, es wären die Fitzpatricks, von denen man sich fernhalten sollte.”

„Von denen auch. Sie sind alle miteinander verwandt, weißt du. Haydens Mutter, Sylvia Monroe, ist die Schwester von Thomas Fitzpatrick. Sie hatten ihr ganzes Leben lang Geld, und zwar reichlich. Sie wissen gar nicht, wie andere Leute leben. Und ich würde einiges wetten, dass dein Freund Hayden genauso ist.”

Nadine dachte an den Zehn-Dollar-Schein, den Hayden ihr hatte geben wollen, und plötzlich fühlte ihr Gesicht sich ganz heiß an. Aber ihre Mutter schien ihre Verlegenheit nicht zu bemerken, denn sie war bereits damit beschäftigt, Eier in eine Schüssel mit Hackfleisch, Brötchen und Zwiebeln zu schlagen.

„Wie Pech und Schwefel, wenn du mich fragst.”

„Du kennst ihn nicht. Er ist nicht ...” Ein kurzer Blick ihrer Mutter setzte Nadines Rechtfertigung ein Ende, und rasch biss sie sich auf die Zunge. Was wusste sie schon von Hayden? Und warum hatte sie das Gefühl, einen Jungen verteidigen zu müssen, der sie gedemütigt hatte? Sie erinnerte sich an seinen Gesichtsausdruck, als er versucht hatte, sie für ihre Freundlichkeit zu bezahlen. Er war definitiv überrascht gewesen, als sie sein Geld nicht annehmen wollte. Ihre Mutter hatte recht. Hayden hatte nichts anderes gelernt, als dass jeder, der ihm einen Gefallen tat, im Gegenzug Geld von ihm erwartete. Menschen waren für ihn Waren, die man kaufen konnte ... wenn der Preis stimmte. „So ist er nicht”, sagte sie lahm.

„Eins ist er mit Sicherheit ‘nicht’; er ist nicht so wie wir. Es hat Gerüchte über ihn gegeben, Nadine, und auch wenn ich nicht jeden Klatsch glaube, der hier im Ort umgeht, weiß ich doch, dass da, wo Rauch ist, auch ein Feuer sein muss.”

„Was für Gerüchte?”, hakte Nadine nach.

„Vergiss es ...”

„Du hast davon angefangen.”

„Also gut.” Ihre Mutter trocknete sich die Hände an der Schürze und drehte sich zu ihrer Tochter um.

Nadine spürte, wie ihr Herz anfing wild zu klopfen, und sie wünschte, sie hätte lieber nicht nachgefragt.

„Genau wie seinerzeit sein Vater und davor sein Großvater hat auch Hayden Monroe einen Ruf.”

„Einen Ruf?”

„In Bezug auf Frauen”, erklärte ihre Mutter und wurde leicht rot. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Schüssel. „Ich habe in Verbindung mit mehreren Mädchen von ihm reden hören ... vor allem eine ...”

„Wer?”, drängte Nadine, aber ihre Mutter schüttelte den Kopf und würzte das Fleisch mit einer Prise Salz. „Wer?”, wiederholte Nadine.

„Ich glaube nicht, dass ich Klatsch verbreiten sollte.”

„Dann wirf ihm auch nicht vor, dass er irgendetwas Falsches getan hat!”, erwiderte Nadine heftiger als beabsichtigt.

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Es war dasselbe ohrenbetäubende Schweigen, das jedes Mal eintrat, wenn ihre Eltern miteinander stritten. Donna spitzte die Lippen und fettete eine Kastenform ein, in der sie anschließend ihre Mischung an den Boden drückte. „Ich dachte, du würdest mit Sam ausgehen.”

Nadine hätte gern mehr über Hayden und seinen Ruf erfahren, wusste jedoch, dass ihre Mutter kaum umzustimmen war, wenn sie einmal beschlossen hatte, dass ein Thema erledigt war. Bei der Erwähnung von Sam Warne hob sie nur die Schultern. Sie hatte sich ein paar Mal mit ihm verabredet, und es machte Spaß, etwas mit ihm zu unternehmen. Aber für sie war es nichts Ernstes. „Vielleicht fahren wir am Freitagabend nach Coleville und gehen ins Kino.”

Auf den Lippen ihrer Mutter erschien der Hauch eines Lächelns. Mit Sam war sie einverstanden. Er war ein netter Junge, der aus einer guten Familie im Ort stammte. Sein Vater arbeitete bei „Fitzpatrick Logging”, und seine Mutter kam häufig in die Bücherei, wo Donna an ein paar Nachmittagen in der Woche arbeitete. Soweit es Donna betraf, erfüllte Sam Warne alle Kriterien eines zukünftigen Schwiegersohns. Sam sah gut aus. Sam gehörte zur Mittelklasse. Sam war nur ein Jahr älter als Nadine. Sam war sicher. Wahrscheinlich würde Sam eines Tages einen guten Ehemann abgeben; aber Nadine hatte noch lange nicht vor zu heiraten. Sie musste die Highschool abschließen und das College ... wenn schon nicht für ganze vier Jahre, dann doch wenigstens das zweijährige Junior College.

Obwohl sie nicht aufhören konnte, an Hayden zu denken, hielt Nadine lieber den Mund. Sie beschloss, ihre Neugier auszublenden, während sie die nächsten Stunden damit zubrachte staubzusaugen und ihrer Mutter beim Unkrautjäten im Garten zu helfen, wo Erdbeeren, Himbeeren, Bohnen und Mais in Reihen nebeneinander wuchsen.

Eine Stunde vor dem Schichtende ihres Vaters sprang Nadine rasch unter die Dusche und kämmte anschließend ihre roten Haare so lange, bis sie ihr in glänzenden Wellen über den Rücken fielen. Sie schlüpfte in ein Sommerkleid und legte Lipgloss auf, weil sie glaubte, Hayden vielleicht noch einmal zu sehen. Ihr dummes Herz raste, als sie zum Pick-up lief und Bonanza hinter ihr her sprang. Schuldbewusst ließ sie den Hund zurück, denn sie konnte es nicht riskieren, dass er in seiner Begeisterung fürs Autofahren ihr Kleid verschmutzte oder gar zerriss.

Ein paar Minuten vor Feierabend fuhr Nadine mit dem alten Wagen auf den Parkplatz der Mühle. Andere Arbeiter trafen für die nächste Schicht ein, und die Männer versammelten sich mit ihren Schutzhelmen vor den Toren, wo sie lachten, rauchten oder Tabak kauten, sich miteinander unterhielten oder zwischen zwei Schichten ein paar Minuten entspannten.

Aus der Kabine des Fords suchte Nadine jeden Meter des Parkplatzes ab, musste jedoch feststellen, dass der Mercedes nicht mehr da war. Ihr Herz machte einen Sturzflug. Noch einmal sah sich um, in der Hoffnung, ein Zeichen von dem Wagen oder Hayden zu entdecken, wurde jedoch enttäuscht. Sie runzelte die Stirn und kam sich in ihrem Kleid plötzlich albern vor.

„Na, du siehst aber hübsch aus!” Ihr Vater öffnete die Tür auf der Beifahrerseite. Der Geruch von Sägemehl und Schweiß drang herein, als er seine San-Francisco-Giants-Kappe ausschüttelte, sie wieder auf seinen Kopf setzte und in die warme Kabine stieg. „Gehst du aus?”

„Nee.” Sie trat aufs Gaspedal. „Ich wollte nur sauber sein.”

Er lächelte sie an, und sie kam sich lächerlich vor. „Ich dachte, dass du mit Sam vielleicht irgendwo hinfahren wolltest.”

„Heute Abend nicht”, antwortete sie gereizt, weil er Sam erwähnte. Ja, sie ging mit ihm aus, aber das war auch alles. Jeder glaubte, sie würden miteinander gehen, selbst ihre Familie.

„Mensch, bin ich froh, dass Feierabend ist”, sagte er und knetete seine verspannten Muskeln im Nacken. „Heute hatte ich kaum Zeit fürs Mittagessen.” Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und schloss die Augen, während Nadine ihn nach Hause fuhr.

Es war erst später, während des Abendessens, als Haydens Name fiel. Die Familie Powell saß – mit Ausnahme von Kevin, der die Nachtschicht in der Mühle machte – an dem kleinen Esstisch. Über dem Geräusch von Gabeln, die auf den Tellern kratzten, klang die Stimme des lokalen Nachrichtensprechers aus dem Wohnzimmer herüber. Von seinem Stuhl am Kopfende des Tisches aus hatte George einen Blick auf den Fernseher, und trotz der ständigen Einwände seiner Frau, sah er sich die Nachrichten an. „Es ist das gute Recht eines Mannes”, hatte er mehr als einmal gesagt, „zu erfahren, was in der Welt los ist, nachdem er acht Stunden lang Baumstämme sortiert hat.”

Donna hatte immer dagegen argumentiert, letztendlich aber den Mund gehalten und schweigend während des Essens weitergegrollt, während ihr Mann es entweder nicht bemerkt oder beschlossen hatte, die leise köchelnde Wut seiner Frau nicht zu beachten.

An diesem Abend jedoch hatte George kaum einen Blick für den Fernseher übrig. „Ihr hättet sehen sollen, wie heute Nachmittag die Fetzen in der Mühle geflogen sind”, berichtete er seiner Frau und den Kindern. Während er den Hackbraten und die Kartoffeln auf seinem Teller in Soße ertränkte, fuhr er fort: „Ich hatte gerade eingestochen, als der Junge vom Boss auftauchte.” Er schob sich einen Bissen in den Mund und schluckte ihn schnell hinunter. „Der Junge war wütender als ein Bär in der Falle, das kann ich euch sagen. Sein Gesicht war knallrot, und er bestand mit geballten Fäusten darauf, seinen Vater zu sprechen. Dora, die Sekretärin, drehte fast durch und wollte ihn nicht ins Büro lassen. Aber der Alte hörte den Tumult und kam in den Empfangsbereich gestürmt. Kaum hatte er einen Blick auf Hayden geworfen, wirft der seinem Vater auch schon einen Schlüsselbund hin, knallt ihm ein paar sehr spezielle Worte an den Kopf, die ich an diesem Tisch lieber nicht wiederholen möchte, macht auf dem Absatz kehrt und marschiert wieder raus. Aber verdammt, war der wütend.”

„Worum ging es denn?”, fragte Ben, der sich Butter auf eine Scheibe Brot schmierte und wenig interessiert schien.

„Ich bin nicht lange genug geblieben, um das herauszufinden. Aber der Kleine wollte sein Auto nicht ... eine Wahnsinnsmaschine ... ich glaube, ein Mercedes-Cabriolet.”

„Warum nicht?”, fragte Ben, plötzlich aufhorchend.

„Hayden meinte, er wäre alt genug, um sich zu treffen, mit wem er will, und zu tun, was und wann und mit wem er will ... ihr wisst schon, derselbe Bockmist, den wir hier zu hören bekommen. Wie auch immer, im Prinzip ging es darum, dass er sich von Garreth nicht sagen lassen wollte, was er zu tun hatte. Er meinte, er hätte nicht vor ... wie hat er es ausgedrückt?” Ihr Vater dachte einen Augenblick nach, während er langsam kaute. „Irgendwas in dem Sinne, dass er sich nicht kaufen und verkaufen ließe wie Garreths Rennpferde. Dann ist er einfach abgedampft. Dora und ich konnten ihm nur mit offenem Mund nachblicken, während der alte Garreth so wütend war, dass seine Halsvenen dick wie Regenwürmer hervortraten.”

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