Wie angelt man sich einen Vampir?

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Ausgerechnet beim Biss in eine Gummipuppe bricht dem Vampir Roman Draganesti einer seiner Fangzähne ab. In den Schwarzen Seiten findet er keinen Vampirzahnarzt, seine letzte Hoffnung ist ein normalsterblicher Arzt - vielmehr eine Ärztin! Doch ehe die hinreißende Dr. Shanna Whelan sich um seinen Zahn kümmern kann, muss er sie plötzlich vor einem gefährlichen Auftragskiller retten. Als wäre das nicht schon Aufregung genug für einen Ruhe liebenden Untoten wie Roman, verwirren ihn seine Gefühle für Shanna von Tag zu Tag mehr: Hat er sich am Ende etwa verliebt - in eine Sterbliche, die zu allem Überfluss auch noch kein Blut sehen kann?


  • Erscheinungstag 09.07.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783955769345
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Roman Draganesti spürte, dass jemand leise sein Arbeitszimmer betreten hatte. Entweder ein Feind oder ein guter Freund. Ein Freund, entschied er. Ein Feind wäre nie an den Wachen vorbeigekommen, die an jedem Eingang seines Stadthauses in der Upper East Side von Manhattan standen. Oder an den Wachen, die auf jedem der fünf Stockwerke postiert waren.

Mit seiner ausgezeichneten Nachtsicht vermutete Roman, sich um einiges besser orientieren zu können als sein ungeladener Gast. Sein Verdacht bestätigte sich, als die dunkle Silhouette gegen eine Louis-XVI-Kommode stieß und leise fluchte.

Gregori Holstein. Ein Freund, aber ein anstrengender. Der Vizepräsident der Marketingabteilung von Romatech Industries ging jedes neue Problem mit unerschütterlichem Enthusiasmus an. Das reichte Roman, um sich alt zu fühlen. Richtig alt. “Was willst Du, Gregori?”

Sein Gast wirbelte herum und blinzelte in Romans Richtung. “Warum sitzt du da ganz allein im Dunkeln rum?”

“Hmmm. Schwer zu sagen. Ich glaube, ich wollte allein sein. Im Dunkeln. Das solltest du auch öfter versuchen. Deine Nachtsicht ist nicht so gut, wie sie sein müsste.”

“Warum sollte ich mir die Mühe machen, meine Nachtsicht zu trainieren, wenn die Stadt sowieso die ganze Nacht hell erleuchtet ist?” Gregori tastete sich an der Wand entlang bis zu einem Lichtschalter. Die Lampen flackerten mit einem gedämpften goldenen Schein auf. “Na also, so ist es besser.”

Roman lehnte sich in das kühle Leder des Ohrensessels zurück und nahm einen Schluck aus seinem Weinglas. Die Flüssigkeit brannte in seinem Hals. Widerwärtiges Zeug. “Gibt es einen Grund für deinen Besuch?”

“Natürlich. Du bist von der Arbeit zu früh nach Hause gegangen, und wir haben dir noch etwas Wichtiges zu zeigen. Es wird dir gefallen.”

Roman stellte sein Glas auf den Mahagonischreibtisch vor sich. “Ich habe gelernt, dass wir eine Menge Zeit haben.”

Gregori schnaubte. “Versuch, ein bisschen Begeisterung zu zeigen. Wir haben im Labor etwas Unglaubliches entwickelt.” Er bemerkte Romans halbleeres Glas. “Mir ist nach Feiern zumute. Was trinkst du?”

“Du wirst es nicht mögen.”

Gregori stolzierte auf die Bar zu. “Warum nicht? Ist dein Geschmack zu fein für mich?” Er griff sich eine Karaffe und schüttete etwas rote Flüssigkeit in ein Weinglas. “Schöne Farbe.”

“Ich rate dir, nimm eine neue Flasche aus dem Kühlschrank.”

“Ha! Wenn du es trinken kannst, kann ich das auch.” Gregori kippte einen großen Schluck hinunter, ehe er das Glas auf die Theke knallte und Roman triumphierend angrinste. Dann weiteten sich seine Augen. Sein normalerweise blasses Gesicht lief tiefrot an. In seiner Kehle vibrierte ein gurgelndes Geräusch, und dann begann er zu würgen. Er hustete, es folgten erstickte Flüche, dann hustete er noch mehr. Schließlich presste er seine Handflächen gegen die Theke und lehnte sich, nach Luft ringend, vor.

Wirklich widerliches Zeug, dachte Roman bei sich. “Geht es dir wieder gut?”

Gregori nahm einen tiefen, zitternden Atemzug. “Was war da drin?”

“Zehn Prozent Knoblauchsaft.”

“Was zum Teufel?” Gregori richtete sich mit einem Schlag auf. “Bist du verrückt geworden? Willst du dich vergiften?”

“Ich wollte ausprobieren, ob die alten Legenden wahr sind.” Romans Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln. “Offensichtlich sind einige von uns empfindlicher als andere.”

“Offensichtlich leben einige von uns verdammt gern gefährlich!”

Romans Versuch eines Lächelns verflüchtigte sich. “Deine Beobachtung wäre von größerem Nutzen, wenn wir nicht bereits tot wären.”

Gregori stakste langsam auf ihn zu. “Du fängst jetzt nicht diese ‘weh mir, ich bin ein verfluchter Dämon aus der Hölle’-Leier an, oder?”

“Sieh den Tatsachen ins Auge, Gregori. Jahrhundertelang haben wir nur dadurch überlebt, dass wir Leben genommen haben. In Gottes Augen sind wir eine Abscheulichkeit.”

“Du wirst das nicht trinken.” Gregori wand das Glas aus Romans Hand und stellte es außerhalb seiner Reichweite ab. “Hör mir zu. Kein Vampir hat je mehr als du getan, um die Lebenden zu schützen und unsere Gier zu zähmen.”

“Und jetzt sind wir die wohlerzogenste Horde dämonischer Kreaturen, die auf Erden wandelt. Bravo. Ruf den Papst an. Ich bin bereit für meine Heiligsprechung.”

Gregoris ungeduldiger Blick wandelte sich in neugierige Erwartung. “Dann stimmt es, was sie sagen? Du warst früher ein Mönch?”

“Ich ziehe es vor, nicht in der Vergangenheit zu leben.”

“Davon bin ich nicht überzeugt.”

Roman ballte seine Hände zu Fäusten. Seine Vergangenheit war etwas, über dass er bestimmt mit niemandem sprechen würde. “Ich glaube, du hast eben etwas von einer Entwicklung im Labor gesagt?”

“Oh, ja. Mist, ich hab Laszlo auf dem Flur warten lassen. Ich wollte sozusagen die optimalen Vorraussetzungen schaffen.”

Roman atmete tief ein und zwang sich, seine Hände zu entspannen. “Dann schlage ich vor, ihr fangt an. Die Nacht hat nur eine begrenzte Anzahl Stunden.”

“Richtig. Und ich will später noch Party machen. Simone ist gerade aus Paris hergeflogen und, mein lieber Mann …”

“… sind ihre Flügel lahm. Der hatte schon vor einem Jahrhundert einen Bart.” Roman ballte seine Hände erneut. “Bleib beim Thema, Gregori, oder ich muss dich für eine Auszeit in deinen Sarg schicken.”

Gregori sah ihn entnervt an. “Ich habe es nur erwähnt, falls du dich uns anschließen willst. Es scheint mir doch eine ganze Menge mehr Spaß zu versprechen, als hier herumzusitzen und Gift in dich reinzuschütten.” Er rückte seine schwarze Seidenkrawatte zurecht. “Weißt du, Simone ist schon immer scharf auf dich gewesen. Genau genommen hätte jede der Damen unten Lust, dich aufzuheitern.”

“Ich finde sie nicht besonders erheiternd. Das letzte Mal, als ich nachgesehen habe, waren sie alle tot.”

“Na ja, wenn du so wählerisch bist, dann solltest du es vielleicht mit einer Lebenden versuchen.”

“Nein.” Roman sprang auf, griff nach seinem Weinglas und sauste mit Vampirgeschwindigkeit in nur einer Sekunde zu seiner Bar. “Keine Sterbliche. Nie wieder.”

“Alter, das hat ‘nen Nerv getroffen.”

“Ende der Diskussion.” Roman schüttete die Mischung aus Blut und Knoblauch in den Ausguss, dann goss er den Rest des giftigen Gebräus aus der Karaffe hinterher. Er hatte seine Lektion vor langer Zeit gelernt. Eine Beziehung mit einer Sterblichen konnte nur mit einem gebrochenen Herzen enden. Wortwörtlich. Und er konnte darauf verzichten, einen Pflock in sein Herz zu bekommen. Was für eine großartige Auswahl er doch hatte, wenn es um Gesellschaft ging – ein toter weiblicher Vamp oder eine lebende Frau, die ihn tot sehen wollte. Und es war keine Änderung in Sicht. Diese lieblose Existenz würde sich immer weiter durch die Jahrhunderte ziehen. Kein Wunder, dass er deprimiert war.

Als Wissenschaftler gelang es ihm normalerweise, etwas Spannendes zu finden, mit dem er seinen Verstand beschäftigen konnte. Aber manchmal, wie heute Nacht, war das nicht genug. Was bedeutete es schon, dass er kurz davor stand, eine Rezeptur zu entwickeln, die es Vampiren ermöglichen würde, am Tag wach zu bleiben? Was wollte er mit den Extrastunden anfangen? Mehr Arbeit? Er hatte noch Jahrhunderte vor sich, um zu arbeiten.

Heute Nacht war ihm die Wahrheit bewusst geworden. Wenn er den Tag über wach blieb, hätte er niemanden, mit dem er auch nur sprechen konnte. Er würde seinem so genannten Leben nur mehr Stunden der Einsamkeit hinzufügen. Und da hatte er aufgegeben und war nach Hause gegangen. Um allein in der Dunkelheit zu sein, und dem monotonen Schlag seines kalten, einsamen Herzens zuzuhören. Die Morgendämmerung würde Erlösung bringen, wenn die aufgehende Sonne sein Herz anhielt und er wieder einmal den Tag über tot war. Leider begann er, sich immer wie tot zu fühlen.

“Alles in Ordnung mit dir, Roman?” Gregori betrachtete ihn argwöhnisch. “Ich habe gehört, dass die richtig Alten, so wie du, manchmal ganz schön durchhängen.”

“Danke, dass du mich daran erinnerst. Und da ich nicht jünger werde, könntest du vielleicht Laszlo hereinrufen?”

“Klar. Sorry.” Gregori zog an den Manschetten seines schneeweißen Hemdes. “Okay, ich wollte die richtigen Voraussetzungen schaffen. Erinnerst du dich an die Firmenphilosophie von Romatech Industries? Die Welt zu einem sicheren Ort für Vampire und Sterbliche gleichermaßen zu machen.”

“Ich erinnere mich dunkel. Ich glaube, ich habe sie geschrieben.”

“Ja, aber die größte Bedrohung des Friedens sind die Armen und die Malcontents.”

“Ja, ich weiß.” Nicht alle modernen Vampire waren so unglaublich reich wie Roman, und auch wenn seine Firma synthetisches Blut erschwinglich und zugänglich machte, würden diejenigen, denen es finanziell schlecht ging, immer versucht sein, sich umsonst an einem Sterblichen zu bedienen. Roman hatte versucht, sie davon zu überzeugen, dass es so etwas wie kostenloses Mittagessen nicht gab. Die sterblichen Opfer waren normalerweise nicht einverstanden. Dann engagierten sie ein paar Möchtegern-Buffys, und diese hinterhältigen kleinen Mörder brachten jeden Vampir um, der ihnen über den Weg lief, sogar die friedlichen, gesetzestreuen Vamps, die nicht mal einem Floh das Blut abjagen würden. Die traurige Wahrheit war, dass kein Vampir auf Erden sicher war, solange noch ein einziger Vampir darauf bestand, Sterbliche anzugreifen.

Roman schlenderte zu seinem Schreibtisch zurück. “Ich glaube, ich hatte dich mit dem Armenproblem beauftragt.”

“Ich arbeite daran. In ein paar Tagen habe ich die Präsentation fertig. In der Zwischenzeit hatte Laszlo eine brillante Idee, was die Malcontents angeht.”

Roman ließ sich schwer in seinen Stuhl fallen. Die Malcontents waren die gefährlichste Gruppierung der Vampire. Die Geheimgesellschaft nannte sich selbst die Wahren und verachtete die fortgeschrittenen Empfindlichkeiten der modernen Vamps. Die Malcontents konnten es sich leisten, das reichhaltigste Blut zu kaufen, das Romatech Industries herstellte. Sie konnten sich die exotischsten Gourmetspeisen aus Romans beliebter Vampire Fusion Cuisine leisten. Sie konnten es sich sogar leisten, es aus feinstem Kristallglas zu trinken. Sie wollten es einfach nicht.

Für sie lag der Genuss des Bluttrinkens nicht in dem Blut selbst. Diese Kreaturen lebten für den Biss. Sie glaubten, dass nichts den intensiven Genuss ersetzen konnte, den ihnen das Versinken ihrer Fangzähne in die weiche, warme Haut eines Sterblichen bereitete.

Im letzten Jahr hatte sich die Kommunikation zwischen den Malcontents und den modernen Vamps derart verschlechtert, dass es einem drohenden Krieg gleichkam. Einem Krieg, der viele Tote bedeuten konnte – Sterbliche wie Vampire.

“Hol Laszlo rein.”

“Wird auch Zeit”, sagte Laszlo und klang verärgert. “Die Wache hier draußen war kurz davor, bei unserem Ehrengast eine Zahninspektion durchzuführen.”

“Och, ‘n hübsches Mädel hast du da”, murmelte der Wachposten mit schottischem Akzent.

“Lass sie in Ruhe!” Laszlo marschierte in Romans Arbeitszimmer und hatte dabei eine Frau im Arm. Er hielt sie, als tanzten sie einen Tango. Sie war nicht nur größer als der kleine Chemiker, sie war auch auffällig nackt.

Roman sprang auf. “Ihr habt eine Sterbliche hergebracht?” Eine nackte Sterbliche?

“Ruhig Blut, Roman, sie ist nicht echt.” Gregori neigte sich zu Laszlo. “Der Boss ist ein wenig nervös, was weibliche Sterbliche angeht.”

“Ich bin nicht nervös, Gregori. Jeder Nerv in mir ist vor über fünfhundert Jahren gestorben.” Roman konnte nur den Rücken der falschen Frau sehen, aber ihr langes blondes Haar und ihr runder Hintern sahen auf jeden Fall echt aus.

Laszlo setzte die Frau in einen Ohrensessel. Ihre Beine standen gerade ab, also beugte er sich über sie, um sie anzuwinkeln. Mit jeder Veränderung gaben die Knie ein leises Plopp von sich.

Gregori ging neben ihr in die Hocke. “Sie ist sehr lebensecht, findest du nicht?”

“Sehr.” Roman betrachtete das krause Haar zwischen den Beinen der falschen Frau, das zu einem schmalen Streifen gestutzt war, wie ihn Stripperinnen bevorzugten. “Anscheinend ist sie eine gefärbte Blondine.”

“Sieh nur.” Mit einem Grinsen zog er ihre Beine auseinander. “Sie ist voll ausgestattet. Klasse, oder?”

Roman schluckte. “Ist das …” Er räusperte sich und versuchte es noch einmal. “Ist das so etwas wie ein Sexspielzeug der Sterblichen?”

“Ja, Sir, das ist sie.” Laszlo öffnete ihr vorsichtig den Mund. “Sehen Sie. Sie hat sogar eine Zunge. Die Textur ist erstaunlich lebensecht.” Er führte seinen kurzen Stummelfinger ein. “Und das Vakuum erzeugt ein sehr echtes Sauggefühl.”

Roman sah zu Gregori hinunter, der zwischen den Beinen der Frau kniete und den Ausblick genoss, dann zu Laszlo, der seinen Finger immer wieder in den Mund der Puppe stieß. Oh, Blut Gottes. Wenn er in der Lage wäre, Kopfschmerzen zu bekommen, dann hätte er jetzt eine Migräne. “Soll ich euch drei alleine lassen?”

“Nein, Sir.” Der kleine Chemiker bemühte sich, seinen Finger aus dem gierigen Mund der Puppe zu befreien. Wir wollten Ihnen nur zeigen, wie echt sie ist.” Sein Finger befreite sich mit einem leisen Plopp, und der Mund der Puppe verwandelte sich wieder in ein gefrorenes Lächeln, das zu zeigen schien, dass sie ihren Spaß hatte.

“Sie ist unglaublich.” Gregori fuhr ihr bewundernd mit der Hand über das Bein. “Laszlo hat sie per Post bestellt.”

“Es war dein Katalog.” Laszlo sah verlegen aus. “Ich habe normalerweise keinen sterblichen Sex. Zu schmutzig.”

Und zu gefährlich. Roman zwang sich, seinen Blick von den wunderschön geformten Brüsten der Puppe zu lösen. Vielleicht hatte Gregori recht, und er sollte sich mit einem der Ladyvamps vergnügen. Wenn Sterbliche so tun konnten, als sei diese Puppe echt, vielleicht gelang ihm dann das Gleiche mit einem Vampir. Aber wie sollte eine tote Frau seine Seele wärmen?

Gregori hob einen der Füße der Puppe an, um ihn näher zu betrachten. “Die Kleine ist schon verlockend.”

Roman seufzte. Dieses Sexspielzeug der Sterblichen sollte ihre Probleme mit den Malcontents lösen? Sie verschwendeten nur seine Zeit, ganz zu schweigen davon, dass dieses Ding ihn scharf machte und gleichzeitig an seine verdammte Einsamkeit erinnerte. “Alle Vampire, die ich kenne, bevorzugen Gedankensex. Ich gehe davon aus, dass das auch für die Malcontents gilt.”

“Das geht mit der hier nicht, fürchte ich.” Laszlo klopfte gegen den Kopf der Puppe, worauf das dumpfe Geräusch einer reifen Melone erfolgte.

Roman bemerkte, dass die Puppe immer noch lächelte, auch wenn ihre blauen Glasaugen mit leerem Blick in die Ferne sahen. “Sie hat also in etwa den gleichen IQ wie Simone.”

“Hey.” Gregori verzog den Mund, während er den Fuß der Puppe an seine Brust presste. “Das war nicht sehr nett.”

“Meine Zeit zu verschwenden auch nicht.” Roman durchbohrte ihn mit einem wütenden Blick. “Dieses Spielzeug kann doch unmöglich das Problem der Malcontents aus der Welt schaffen.”

“Aber sie ist viel mehr als ein Spielzeug, Sir.” Laszlo fummelte an den Knöpfen seines weißen Laborkittels. “Wir haben sie verändert.”

“In VANNA.” Gregori zog verspielt am kleinen Zeh der Puppe. “Süße kleine VANNA. Komm zu Papa.”

Roman knirschte mit den Zähnen und dachte gerade noch daran, erst zu prüfen, ob seine Fangzähne eingezogen waren. Ein Vampir konnte nur zu leicht seine eigene Unterlippe durchstechen. “Klär mich bitte auf, ehe ich Gewalt anwenden muss.”

Gregori lachte. Scheinbar machte ihm die Wut seines Vorgesetzten wenig aus. “VANNA ist ein Vampir-Apparat-zur-Neuartigen-Nahrungs-Aufnahme.”

Laszlo zwirbelte an einem der lockeren Knöpfe seines Laborkittels. Seine Augenbrauen waren besorgt zusammengezogen. Offensichtlich nahm er die Laune seines Chefs ein wenig ernster. “Sie ist die perfekte Lösung für einen Vampir, der immer noch das Bedürfnis hat, zu beißen. Und wir werden sie ganz nach Wunsch in jeder Rasse und in jedem Geschlecht herstellen.”

“Also auch eine männliche Variante?”, fragte Roman.

“Ja, irgendwann schon.” Der lose Knopf fiel auf den Boden. Laszlo hob ihn auf und steckte ihn in seine Tasche. “Gregori dachte an Werbung im Digital Vampire Network. Man hätte eine Auswahl zwischen VANNA Braun, VANNA Schwarz …”

“Und das hier wäre dann VANNA Weiß?” Roman verzog das Gesicht. “Die Rechtsabteilung wird begeistert sein.”

“Wir könnten Werbefotos von ihr in einem schicken Abendkleid machen.” Gregori streichelte den Spann ihres Fußes. “Und mit einem Paar sexy hochhackiger Sandaletten.”

Roman sah den Vizepräsidenten seiner Marketingabteilung besorgt an und wandte sich dann an Laszlo. “Soll das heißen, dass diese Puppe zur Nahrungsaufnahme verwendet werden kann?”

“Ja!” Laszlo nickte enthusiastisch. “Genau wie eine weibliche Sterbliche kann sie auch Multitasking, also gleichzeitig zwei körperliche Bedürfnisse stillen: Sex und Nahrung. Hier. Ich zeige es Ihnen.” Er lehnte die Puppe nach vorn und strich ihr Haar zur Seite. “Ich habe die Arbeit hier hinten ausgeführt, wo sie nicht so auffällt.”

Roman betrachtete den kleinen Schalter und den u-förmigen Schnitt. Am unteren Ende des U trat ein kleiner Schlauch vor, der mit einer Klemme verschlossen war. “Sie haben ihr einen Schlauch eingesetzt?”

“Ja. Er wurde extra angefertigt, um einer echten Arterie besonders ähnlich zu sehen. Wir haben in ihr einen Kreislauf angelegt.” Laszlo fuhr mit einem Finger über ihren Körper, um zu zeigen, wo sich die künstliche Arterie befand. “Sie führt durch die Brusthöhle, dann eine Seite des Halses hinauf und die andere hinunter, und dann wieder in die Brust zurück.”

“Und man füllt sie mit Blut?”

“Ja, Sir. Wir statten sie mit einem Gratistrichter aus. Blut und Batterien sind nicht inbegriffen.”

“Das sind sie nie”, bemerkte Roman trocken.

“Sie ist sehr leicht zu benutzen.” Laszlo deutete auf den Hals der Puppe. “Man entfernt die Klemme, führt den Trichter in den Schlauch ein, wählt zwei Liter seines Lieblingsblutes von Romatech Industries, und füllt sie damit auf.”

“Ich verstehe. Blinkt ein kleines Licht, wenn ihr der Stoff ausgeht?”

Laszlo runzelte die Stirn. “Ich denke, man könnte eine kleine Indikatorlampe …”

“Das war ein Scherz.” Roman seufzte. “Bitte fahren Sie fort.”

“Ja, Sir.” Laszlo räusperte sich. “Der Schalter hier wirft eine kleine Pumpe in ihrer Brusthöhle an. Ein künstliches Herz, wenn man so will. Das Blut wird durch die Arterie gepumpt, und so etwas wie ein echter Puls wird simuliert.”

Roman nickte. “Und dafür braucht man die Batterien.”

“Mmmh.” Gregoris Stimme klang gedämpft. “Sie läuft und läuft.”

Roman sah zu seinem Vizepräsidenten und ertappte ihn dabei, wie er mit seinen Zähnen über VANNAs großen Zeh fuhr. Das rote Glühen in seinen Augen war auch eine Art Indikatorlampe. “Gregori! Aus!”

Mit einem tiefen Knurren ließ Gregori den Fuß der Puppe fallen. “Du verstehst überhaupt keinen Spaß mehr.”

Roman atmete tief ein und wünschte, er könnte um Geduld beten. Aber kein Gott mit ein wenig Würde wollte sich das Flehen eines Dämons mit einem Sexspielzeug der Sterblichen anhören. “Ist sie schon getestet worden?”

“Nein, Sir.” Laszlo legte VANNAs Schalter um. “Wir dachten, Sie sollten die Ehre haben, ihr Erster zu sein.”

Erster. Roman ließ seinen Blick über den perfekten Körper der Puppe schweifen. Ein Körper, in dem jetzt Leben spendendes Blut pulsierte. “Also kann ein Vampir endlich auf zwei Hochzeiten tanzen und die Braut auch noch beißen.”

Gregori lächelte, als er sein schwarzes Dinnerjackett glatt strich. “Und jetzt der Geschmackstest. Guten Appetit.”

Roman sah seinen Vizepräsidenten mit einer gehobenen Augenbraue an. Zweifelsohne war dieser Geschmackstest Gregoris Idee. Er glaubte wahrscheinlich, dass sein Chef ein wenig Aufregung brauchte, um sich lebendig zu fühlen. Unglücklicherweise hatte er damit recht.

Roman streckte eine Hand aus, um VANNAs Hals zu berühren. Die Haut war kälter als die eines echten Menschen, aber trotzdem sehr weich. Unter seinen Fingerspitzen klopfte ihre Arterie kräftig und anhaltend. Zunächst spürte er den Puls nur in seinen Fingern, aber dann kroch das Klopfen seinen Arm hinauf bis in die Schulter. Er zwang sich zu schlucken. Wie lange war es her? Zwölf Jahre?

Der Puls breitete sich in ihm aus, füllte sein leeres Herz und alle seine Sinne. Seine Nasenlöcher blähten sich. Er konnte das Blut jetzt riechen. Blutgruppe A Positiv. Seine Lieblingssorte. Sein ganzer Körper pulste im Takt mit der Frau. Sein logischer Verstand verabschiedete sich und wurde von einem Trieb verdrängt, den er schon seit Jahren nicht mehr gespürt hatte. Blutdurst.

Ein Knurren vibrierte tief in seinem Hals. Er wurde hart. Langsam schloss er seine Finger um den Hals der Puppe und zog sie zu sich.

“Ich nehme sie.” Schnell wie ein Blitz warf er sie auf eine samtbezogene Chaiselongue. Sie lag unbeweglich da, ihre angewinkelten Knie fielen jetzt auseinander. Der erotische Anblick war fast zu viel für ihn. Das kleine bisschen Blut in seinen Adern schrie nach mehr. Mehr Frau. Mehr Blut.

Er setzte sich neben sie und strich die blonden Haare, die den Hals verdeckten, zur Seite. Ihr dümmliches Grinsen war etwas störend, aber er konnte leicht darüber hinwegsehen. Als er sich über sie beugte, fiel sein Blick auf das Spiegelbild in ihren leeren Glasaugen. Er sah nicht sich selbst, denn kein Spiegel konnte ihn einfangen. Alles was er sehen konnte, waren die rot glühenden Lichter seiner eigenen Augen. VANNA machte ihn scharf. Er drehte ihr Gesicht zur Seite, um besser an ihren Hals zu kommen. Die pulsierende Arterie dort schien zu singen: Nimm mich. Nimm mich.

Mit einem leisen Knurren presste er sich an ihren Körper. Seine Fangzähne sprangen vor, und eine Welle der Lust durchdrang seinen Körper. Der Geruch des Blutes berauschte ihn, nahm ihm den letzten Rest seiner Selbstkontrolle. Das Biest in ihm war befreit.

Er biss zu. Zu spät registrierte sein rasender Verstand eine ungewöhnliche Tatsache: An der Oberfläche fühlte sich ihre Haut vielleicht weich an wie die eines Menschen, aber die darunter liegende Textur war vollkommen anders. Zähes, dickes, gummiartiges Plastik. Auch wenn es von Bedeutung war, drang es nicht zu ihm durch, denn der Duft des Blutes zerstreute seine Gedanken. Seine Instinkte rissen die Macht an sich, heulten in seinem Kopf wie ein verhungerndes Tier. Tiefer und immer tiefer versenkte er seine Zähne, bis er endlich das süße, knackende Gefühl spürte, als er durch die Wand der Arterie brach. Himmlisch. Er schwamm in Blut.

Mit einem langen Saugen ergoss sich das Blut in seine Fangzähne und füllte seinen Mund. Er schluckte es schnell herunter und trank gierig mehr. Sie war köstlich. Sie war sein.

Er strich mit einer Hand hinunter zu ihrer Brust und drückte zu. Was für ein Dummkopf war er gewesen, dass er sich damit zufriedengegeben hatte, Blut aus einem Glas zu trinken. Wie konnte so etwas den heißen Strahl des Blutes durch seine Fangzähne ersetzen? Teufel auch, er hatte vergessen, wie himmlisch es war. Es war eine Erfahrung, die den ganzen Körper vereinnahmte. Er war hart wie Stahl. Alle seine Sinne brannten. Nie wieder würde er aus einem Glas trinken.

Noch einmal saugte er an ihrem Hals und bemerkte, dass er sie leer getrunken hatte. Bis auf den letzten Tropfen war es ein Genuss gewesen. Aber dann durchbrach ein Hauch von Klarheit den Nebel um seine Sinne. Zur Hölle noch mal, er hatte die Kontrolle verloren. Wäre sie eine Sterbliche gewesen, dann wäre sie jetzt tot. Und er hätte noch ein Kind Gottes ermordet.

Wie konnte dieses Ding dazu beitragen, Vampiren zivilisiertes Verhalten zu vermitteln? Diese Puppe würde jeden Vampir daran erinnern, wie unglaublich atemberaubend es war, zu beißen. Kein Vampir, nicht einmal der am weitesten entwickelte moderne Vamp, konnte an dieser Erfahrung teilhaben, ohne danach nach einem wirklichen Menschen zu verlangen. Alles, woran er denken konnte, war, die erste Frau zu beißen, die ihm über den Weg kam. VANNA war keine Hilfe für die Erhaltung der Menschheit.

Sie war die Totenglocke ihrer Existenz.

Mit einem Stöhnen riss Roman seinen Mund von ihrem Hals los. Blut tropfte auf die weiße Haut der Puppe, und zunächst glaubte er, sie habe ein Loch. Aber nein, er war sich sicher, dass er sie leer gesaugt hatte. Verdammt, das Blut kam von ihm selbst. “Was zum Teufel?”

“Oh mein Gott”, flüsterte Laszlo.

“Was?” Roman sah ihren Hals an, und dort, fest eingeschlossen in dem zähen Plastik, steckte einer seiner Fangzähne.

“Du liebe Zeit!” Gregori kam näher, um besser sehen zu können. “Wie ist das passiert?”

“Das Plastik … Mehr Blut tropfte aus Romans Mund. Verdammt, er verlor sein ganzes Mittagessen. “Das Plastik ist zu zäh und gummiartig unter der Oberfläche. Gar nicht wie menschliche Haut.”

“Oh je.” Laszlo bearbeitete einen weiteren Knopf mit seinen nervösen Fingern. “Das ist ja furchtbar. Die Textur war von außen so echt. Mir ist nicht aufgefallen … es tut mir so leid, Sir.”

“Das ist das geringste unserer Probleme.” Roman befreite seinen Zahn aus dem Hals des Mädchens. Er würde ihnen seine wenig erfreulichen Schlussfolgerungen später darlegen. Jetzt musste erst einmal sein Zahn repariert werden.

“Du blutest immer noch.” Gregori reichte ihm ein weißes Taschentuch.

“Die Zufütterungsader, die mit dem Fangzahn verbunden ist, ist offen.” Roman presste das Taschentuch gegen das klaffende Loch, das an der Stelle war, wo sein Fangzahn hätte sein sollen. “Mift.”

“Sie könnten Ihre Heilungskräfte benutzen, um die Ader zu versiegeln”, schlug Laszlo vor.

“Dann wäre fie für immer verschloffen. Ich wäre für immer ein einfeitiger Effer.” Roman nahm das blutige Taschentuch aus dem Mund und steckte den Zahn zurück in sein Loch.

Gregori lehnte sich vor, um genau hinsehen zu können. “Ich glaube, du hast es.”

Roman ließ den Zahn los und versuchte, seine Fangzähne wieder einzuziehen. Der linke tat, was er sollte, aber der rechte fiel ihm aus dem Mund und landete auf VANNAs Bauch. Noch mehr Blut ergoss sich aus der Wunde. “Mist.” Roman stopfte das Taschentuch zurück in den Mund.

“Sir, ich schlage vor, Sie gehen zu einem Zahnarzt.” Laszlo hob den Zahn auf und reichte ihn Roman. “Ich habe gehört, die können einen verlorenen Zahn wieder einsetzen.”

“Oh, klar.” Gregori schnaubte. “Was soll er machen, in eine Zahnarztpraxis hineinspazieren und sagen ‘Entschuldigung, ich bin ein Vampir und habe einen Fangzahn im Hals eines Sexspielzeugs verloren’? Sie werden sich nicht gerade darum reißen, ihm zu helfen.”

“Ich brauche einen Vampirfahnarft”, verkündete Roman. “Feht in den Schwarfen Feiten nach.”

“Die Schwarzen Seiten?” Gregori schnellte zu Romans Schreibtisch und begann, die Schubladen zu öffnen. “Weißt du, du lispelst ganz schön.”

“Ich habe einen blutigen Fetfen im Mund, verdammt! Fieh in die untere Schublade.”

Gregori fand das schwarze Telefonverzeichnis für Geschäfte, die von Vampiren geführt wurden, und öffnete es. Die Seiten waren weiß. “Okay.” Er fuhr mit dem Finger über die Einträge. “Begräbnisstätten … Gruftwächter-Service … Reparaturarbeiten für Särge … Ruhestätten nach Ihren Vorstellungen, jetzt zum halben Preis – sehr interessant”, las er vor, während er das Telefonbuch durchblätterte.

“Gregori”, knurrte Roman warnend.

“Oh, ja richtig”, er blätterte ganz nach hinten. “Okay. Wohnsärge – für den modernen Vampir auf Achse. Zierbeschläge für den geschmackvoll gestalteten Sarg.”

Roman stöhnte auf. “Ich stecke tief in der Scheife.” Er schluckte krampfhaft und verzog das Gesicht bei dem Geschmack nach abgestandenem Blut. Die Mahlzeit hatte beim ersten Mal viel besser geschmeckt. Gregori blätterte weiter. “Zugbrücken – für das gemütliche Heim, Zylinderhüte – handgefertigt in allen Größen.” Er seufzte. “Das war’s. Keine Zahnärzte.”

Roman ließ sich in einen der Ohrensessel fallen. “Ich muss wohl zu einem Sterblichen.” Verdammt. Er würde Gedankenkontrolle benutzen müssen und danach das Gedächtnis des Zahnarztes löschen. Auf andere Weise wäre kein Sterblicher bereit, ihm zu helfen.

“Es könnte schwierig werden, einen sterblichen Zahnarzt zu finden, der mitten in der Nacht erreichbar ist.” Laszlo eilte zur Bar und griff nach einer Rolle Küchenpapier. Dann begann er, das Blut von VANNA wegzuwischen. Er sah Roman besorgt an. “Sir, es ist vielleicht am besten, wenn Sie den Zahn im Mund behalten.”

Am Schreibtisch blätterte Gregori durch die Schwarzen Seiten. “Meine Güte, es gibt eine Unmenge Zahnärzte.” Er richtete sich ruckartig auf und grinste. “Gefunden! SoHo SoBright Zahnklinik – 24 Stunden geöffnet, für die Stadt, die niemals schläft. Bingo.”

Laszlo atmete tief aus. “Was für eine Erleichterung. Ich bin mir nicht sicher, weil ich von so einem Vorfall noch nie gehört habe, aber ich fürchte, wenn der Zahn nicht heute Nacht eingesetzt wird, dann wird er für immer verloren sein.”

Roman setzte sich auf. “Wie meinen Sie das?”

Laszlo warf die blutigen Papiertücher in den Mülleimer neben dem Schreibtisch. “Unsere Verletzungen werden auf natürliche Weise geheilt, während wir schlafen. Wenn der Sonnenaufgang kommt, und Sie einschlafen, während der Fangzahn immer noch fehlt, wird Ihr Körper die Zufütterungsader schließen und mit ihr die Wunde, für immer.”

Mist. Roman stand auf. “Dann muff ef heute Nacht geschehen.”

“Ja, Sir.” Laszlo bearbeitete einen Knopf an seinem Laborkittel. “Mit ein wenig Glück sind Sie zur Jahreskonferenz wieder in Topform.”

Oh, Blut Gottes! Roman schluckte. Wie hatte er die jährliche Frühlingskonferenz vergessen können? Die Eröffnungsgala war in zwei Nächten. Alle wichtigen Zirkelmeister aus der ganzen Welt würden dort sein. Als Meister des größten Zirkels in Amerika war Roman Gastgeber dieser großen Veranstaltung. Wenn er dort mit einem fehlenden Fangzahn auftauchte, gäbe er für die nächsten Jahrhunderte eine Witzfigur ab.

Gregori griff nach einem Stück Papier und kritzelte die Adresse darauf. “Hier bitteschön. Sollen wir mitkommen?”

Roman entfernte Taschentuch und Zahn aus seinem Mund, damit seine Anweisungen deutlich klangen. “Laszlo wird mich fahren. Wir nehmen VANNA mit, damit alle vermuten, dass wir sie ins Labor zurückbringen. Du, Gregori, wirst mit Simone ausgehen, wie geplant. Nichts soll ungewöhnlich erscheinen.”

“In Ordnung.” Gregori schnellte neben seinen Boss und gab ihm die Adresse der Zahnklinik. “Viel Glück. Wenn du Hilfe brauchst, ruf einfach an.”

“Ich werde es schon schaffen.” Roman sah seine zwei Angestellten streng an. “Über diesen Vorfall wird nie wieder ein Wort verloren, zu niemandem. Ist das klar?”

“Ja, Sir.” Laszlo hob VANNA hoch.

Roman beobachtete, wie sich die Hand des Chemikers um den festen Hintern der Puppe schloss. Du liebes Blut, nach allem was geschehen war, war er immer noch hart. Sein Körper summte vor Begierde, vor Verlangen nach mehr Blut und dem Fleisch einer Frau. Hoffentlich war der Zahnarzt ein Mann. Gott helfe jeder sterblichen Frau, die jetzt seinen Weg kreuzte.

Er hatte noch immer einen Fangzahn, und er fürchtete, dass er ihn benutzen würde.

2. KAPITEL

Eine weitere nicht enden wollende langweilige Nacht in der Zahnklinik. Shanna Whelan lehnte sich in ihren quietschenden Bürostuhl zurück und betrachtete die weißen Deckenfliesen. Der Wasserfleck war immer noch da. Was für eine Überraschung. Drei Nächte hatte sie gebraucht, um zu beschließen, dass der Fleck die Form eines Dackels hatte. So war ihr Leben.

Mit einem weiteren lauten Quietschen richtete sie sich in ihrem Stuhl auf und warf einen Blick auf den Radiowecker. Halb drei Uhr morgens. Noch sechs Stunden übrig von ihrer Schicht. Sie stellte das Radio an. Fahrstuhlmusik ertönte und füllte das Sprechzimmer, eine uninspirierte Instrumentalversion von “Strangers in the Night.” Klar, als würde sie einen großen, dunkelhaarigen, gut aussehenden Fremden treffen und sich in ihn verlieben. Nicht in ihrem langweiligen Leben. Der Höhepunkt der letzten Nacht hatte darin bestanden, herauszufinden, wie sie mit dem Stuhl im Takt zur Musik quietschen konnte.

Mit einem Stöhnen faltete sie die Arme auf dem Tisch und legte ihren Kopf darauf. Wie ging der Spruch? Pass auf, was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen? Na ja, sie hatte um “langweilig” gebeten und, Junge, das hatte sie auch bekommen. In den sechs Wochen, die sie jetzt in der Klinik arbeitete, hatte sie genau einen Patienten gehabt. Einen kleinen Jungen mit Zahnspangen. Mitten in der Nacht hatte sich ein Draht in seinem Mund gelöst. Seine Eltern, außer sich vor Sorge, hatten ihn in die Klinik gebracht, damit sie den Draht wieder anbringen konnte. Ansonsten hätte das spitze Ende den Jungen ins Zahnfleisch stechen können und dann … Blut.

Shanna zuckte zusammen. Allein der Gedanke an Blut machte sie benommen. Erinnerungen an den Vorfall stiegen aus den dunkelsten Winkeln ihres Gedächtnisses auf, grauenvolle, blutige Bilder, die sie verfolgten, die drohten an die Oberfläche zu kommen. Nein, sie würde sich von ihnen nicht den Tag ruinieren lassen. Oder ihr neues Leben. Sie gehörten in ein anderes Leben, zu einem anderen Menschen. Sie gehörten dem mutigen und fröhlichen Mädchen, das sie in den ersten siebenundzwanzig Jahren ihres Lebens gewesen war, bevor sich die Hölle aufgetan hatte. Jetzt, dank des Zeugenschutzprogramms, war sie die langweilige Jane Wilson, die in einem langweiligen Loft in einer langweiligen Nachbarschaft lebte und jede Nacht bei ihrem langweiligen Job verbrachte.

Langweilig war gut. Langweilig war sicher. Jane Wilson musste unsichtbar bleiben und in einem Ozean aus unzähligen Gesichtern in Manhattan verschwinden, nur um am Leben zu bleiben. Unglücklicherweise schien es, als könne sogar Langeweile Stress bedeuten. Es gab zu viel Zeit zum Nachdenken. Zeit, sich zu erinnern.

Sie stellte die Musik aus und ging im leeren Wartezimmer auf und ab. Achtzehn Stühle, abwechselnd in staubblau und staubgrün gepolstert, standen an den blassblauen Wänden aufgereiht. Ein gerahmter Druck von Monets Seerosen hing an der Wand, ein Versuch, den nervösen Patienten ruhige Gelassenheit zu vermitteln. Shanna zweifelte an seiner Wirkung. Sie war genauso gereizt wie immer.

Tagsüber war die Klinik normalerweise ein geschäftiger Ort, aber in der Nacht vollkommen einsam. Auch gut. Shanna war sich nicht sicher, ob sie sich um einen wirklichen Notfall würde kümmern können. Sie war eine gute Zahnärztin gewesen vor dem … Vorfall. Denk nicht darüber nach. Aber was sollte sie tun, wenn wirklich jemand mit einem Notfall in die Klinik kam? Gerade letzte Woche hatte sie sich aus Versehen geschnitten, als sie sich die Beine rasiert hatte. Ein kleiner Tropfen Blut, und ihre Beine hatten so schlimm gezittert, dass sie sich hatte hinlegen müssen.

Vielleicht sollte sie die Zahnmedizin aufgeben. Was machte es schon, wenn sie ihren Beruf aufgab? Sie hatte auch alles andere verloren, sogar ihre Familie. Das hatte das Justizministerium deutlich gemacht. Unter keinen Umständen durfte sie mit Mitgliedern ihrer Familie in Kontakt treten noch mit alten Freunden. Das brächte nicht nur ihr eigenes Leben in Gefahr, sondern auch das der Menschen, die sie liebte.

Die langweilige Jane Wilson hatte keine Familie und keine Freunde. Sie hatte nur einen ihr zugewiesenen U.S. Marshal, mit dem sie reden konnte. Kein Wunder, dass sie in den letzten zwei Monaten gute fünf Kilo zugenommen hatte. Essen war die einzige Unterhaltung, die ihr geblieben war. Das, und die Gespräche mit dem gut aussehenden Pizzalieferanten. Sie beschleunigte ihr Tempo beim Durchschreiten des Wartezimmers. Wenn sie weiter jede Nacht Pizza aß, würde sie fett wie ein Walfisch, und dann erkannten die Bösen sie vielleicht nie wieder. Sie könnte für den Rest ihres Lebens fett und in Sicherheit sein. Shanna stöhnte dumpf auf. Sicher, fett, gelangweilt und einsam.

Ein Klopfen an der Eingangstür ließ sie innehalten. Wahrscheinlich der Pizzalieferant, aber trotzdem begann ihr Herz für einige Sekunden laut zu klopfen. Sie atmete tief durch und wagte sich an die vordere Fensterfront. Sie lugte durch die weißen Jalousien, die sie nachts immer geschlossen hielt, damit niemand hineinsehen konnte.

“Ich bin’s, Dr. Wilson”, rief Tommy. “Ich hab Ihre Pizza.”

“In Ordnung.” Sie schloss die Tür auf. Die Klinik war zwar die ganze Nacht geöffnet, aber sie traf lieber ihre Sicherheitsvorkehrungen. Sie schloss nur für Patienten auf. Und Pizza.

“Hey, Doc.” Tommy schlenderte mit einem Grinsen durch die Tür. Die letzten zwei Wochen hatte der Teenager jede Nacht eine Lieferung bei ihr vorbeigebracht, und Shanna genoss die unreifen Flirtversuche des Jungen genauso sehr wie die Pizza. Im Grunde genommen war er der Höhepunkt ihres Tages. Du liebe Zeit, sie war auf dem besten Weg, echt erbärmlich zu werden.

“Hi, Tommy. Wie geht’s?” Sie ging an den Empfangstresen, um ihre Handtasche zu holen.

“Ich hab Ihre Riesenpeperoni hier.” Tommy zog am Bund seiner lockeren Jeans und ließ ihn dann wieder los. Die Jeans rutschten an seinen schmalen Hüften leicht herunter und gaben den Blick auf ein Stück seidene, mit Scooby-Doo-Motiven bedruckte Boxershorts frei.

“Ich habe aber eine kleine bestellt.”

“Ich hab auch nicht von der Pizza geredet, Doc.” Tommy blinzelte ihr übertrieben langsam zu und stellte den Pizzakarton auf den Tresen.

“Ach so. Das ist mir ein wenig zu geschmacklos. Und ich meine damit auch nicht die Pizza.”

“Entschuldigung.” Seine Wangen liefen rot an, und er lächelte betreten. “Man muss es eben einfach versuchen, wissen Sie.”

“Wahrscheinlich.” Sie bezahlte ihre Pizza.

“Danke.” Tommy steckte das Geld in die Tasche. “Wissen Sie, wir machen ungefähr eine Batzillion verschiedene Pizzen. Sie sollten mal eine andere versuchen.”

“Vielleicht mache ich das. Morgen.”

Er rollte mit den Augen. “Das haben Sie doch letzte Woche auch schon gesagt.”

Das Telefon klingelte und zerriss die Luft mit seinem schrillen Geräusch. Shanna zuckte zusammen.

“Mensch, Doc. Vielleicht sollten Sie auf entkoffeinierten umsteigen.”

“Ich glaube, das Klingeln habe ich nicht gehört, seit ich angefangen habe, hier zu arbeiten.” Wieder schrillte das Telefon. Wow, ein Pizzalieferant und ein klingelndes Telefon zur gleichen Zeit. Das war mehr Aufregung als sie seit Wochen erlebt hatte.

“Ich lasse Sie dann mal Ihre Arbeit machen. Bis Morgen, Dr. Wilson.” Tommy winkte zum Abschied und schlenderte aus der Tür.

“Bye.” Shanna bewunderte seine tief sitzenden Hosen von hinten. Sie würde auf jeden Fall eine Diät anfangen. Nach der Pizza. Wieder klingelte das Telefon, und sie hob den Hörer ab. “Soho SoBright Zahnklinik. Kann ich Ihnen helfen?”

“Ja, kannst du.” Die raue Stimme des Mannes war gefolgt von einem schweren Atemzug. Dann noch einem.

Oh, klasse. Ein Perverser, um ihren Abend aufzulockern. “Ich glaube, Sie haben die falsche Nummer.” Sie ließ den Hörer sinken, da hörte sie seine Stimme erneut.

“Ich glaube, du hast den falschen Namen, Shanna.”

Sie atmete scharf ein. Es musste ein Fehler sein. Klar, und Shanna ist ja auch so ein alltäglicher Name. Die Leute riefen ständig überall an und fragten nach einer Shanna. Wem machte sie etwas vor? Sollte sie auflegen? Nein, sie wussten bereits, wer sie war.

Und wo sie war. Eiskalter Schrecken durchfuhr sie. Oh mein Gott, sie kamen, um sie zu erledigen.

Beruhige dich! Sie musste ruhig bleiben. “Ich fürchte, Sie haben die falsche Nummer. Hier spricht Dr. Jane Wilson aus der SoHo SoBright Zahn …”

“Hör auf mit dem Scheiß! Wir wissen wo du bist, Shanna. Zeit, abzurechnen.” Klick. Der Anruf war beendet, und der Albtraum wieder da.

“Oh nein, oh nein, oh nein.” Sie legte den Hörer auf und bemerkte, dass sie immer lauter und lauter murmelte, bis sie sich zu einem richtigen Schrei hochgearbeitet hatte. Reiß dich zusammen! Sie gab sich eine mentale Ohrfeige und wählte hastig die 911.

“Hier ist Dr. Jane Wilson in der SoHo SoBright Zahnklinik. Ich … wir werden angegriffen!” Sie gab ihnen ihre Adresse, und die Stimme am anderen Ende versicherte ihr, dass ein Wagen auf dem Weg war. Super. Mit einer geschätzten Ankunftszeit von zehn Minuten, nachdem sie ermordet worden war, ganz ohne Zweifel.

Mit Schrecken fiel ihr ein, dass sie die Vordertür nicht wieder abgeschlossen hatte. Sie rannte zur Tür und drehte den Schlüssel. Als sie durch die Klinik zur Hintertür eilte, griff sie sich ihr Handy aus der Tasche ihres Arztkittels und wählte die Nummer des ihr zugeteilten U.S. Marshals.

Erster Ton. “Komm schon, Bob. Nimm ab.” Sie erreichte die Hintertür. Alle Riegel waren gesichert. Zweiter Ton.

Oh nein! Was für eine dämliche Zeitverschwendung. Die gesamte Vorderseite der Klinik war aus Glas. Eine verschlossene Tür würde niemanden aufhalten. Sie würden einfach durch das Glas schießen. Dann würden sie sie erschießen. Sie musste ihre Gedanken sortieren. Und sie musste um jeden Preis hier weg.

Der dritte Ton wurde von einem Klicken gefolgt. “Bob, ich brauche Hilfe!”

Sie wurde von einer gelangweilten Stimme unterbrochen. “Ich bin gerade nicht an meinem Schreibtisch, aber wenn Sie Ihren Namen und Ihre Telefonnummer hinterlassen, melde ich mich so schnell wie möglich bei Ihnen.”

Piep. “Das ist doch das Letzte, Bob!” Sie rannte zurück in das Behandlungszimmer, um ihre Handtasche zu holen. “Du hast gesagt, du bist immer da. Sie wissen, wo ich bin, und sie kommen her.” Sie beendete die Verbindung und ließ das Telefon zurück in ihre Tasche fallen. Dieser verdammte Bob! So viel zu dem zuckersüßen Versprechen, dass die Regierung sie beschützen könne. Sie würde es ihr zeigen. Ja, sie würde … sie würde aufhören, ihre Steuern zu zahlen. Natürlich würde sie das sowieso tun, wenn sie erst einmal ermordet worden war.

Konzentrier dich! fuhr sie sich selbst an. Diese verworrenen Gedankengänge würden sie noch umbringen. Sie kam vor ihrem Schreibtisch abrupt zum Stehen und griff nach ihrer Handtasche. Sie würde durch die Hintertür entkommen und rennen, bis sie ein Taxi gefunden hatte. Dann würde sie … wohin fahren? Wenn sie wussten, wo sie arbeitete, dann wussten sie wahrscheinlich auch, wo sie wohnte. Oh Mann, sie war so am Ende.

“Guten Abend”, grollte eine tiefe Stimme durch den Raum.

Mit einem Schrei zuckte Shanna zusammen. Ein umwerfend gut aussehender Mann stand neben der Eingangstür. Umwerfend? Sie drehte wirklich durch, wenn sie sich jetzt schon für einen Auftragskiller interessierte. Er drückte etwas Weißes gegen seinen Mund, aber es fiel ihr kaum auf, denn seine Augen verlangten ihre volle Aufmerksamkeit und ließen sie nicht los. Sein Blick umfasste sie vollkommen, seine Augen leuchteten in einem goldenen Braun und flackerten vor Begehren.

Eine Brise eiskalter Luft wehte ihr um die Stirn, so plötzlich und so intensiv, dass sie eine Hand gegen ihre Schläfe presste. “Wie …wie sind Sie hereingekommen?”

Er starrte sie weiterhin an, aber mit einer leichten Handbewegung deutete er zur Tür.

“Das ist unmöglich”, flüsterte sie. Die verschlossene Tür und die Fenster waren noch heil. Hatte er sich bereits früher hineingeschlichen? Nein, dieser Mann wäre ihr aufgefallen. Jede Zelle in ihrem Körper war sich seiner bewusst. Bildete sie es sich ein, oder wurden seine Augen auf einmal noch goldener, sein Blick noch intensiver?

Sein schulterlanges schwarzes Haar wellte sich leicht an den Spitzen. Ein schwarzer Pullover betonte seine breiten Schultern, und die schwarzen Jeans saßen eng an seinen Hüften und langen Beinen. Er war ein großer, dunkler, gut aussehender … Auftragskiller. Mein Gott. Wahrscheinlich konnte er eine Frau nur dadurch umbringen, dass er ihr wildes, unregelmäßiges Herzklopfen verursachte. Wahrscheinlich tat er das wirklich. Er hatte schließlich keine Waffe. Natürlich, mit so großen Händen …

Wieder durchstach kalter Schmerz ihren Kopf, erinnerte sie an die Zeiten, in denen sie einen Milchshake zu schnell hinuntergestürzt hatte.

“Ich bin nicht hier, um Sie zu verletzen.” Seine Stimme war tief und fast hypnotisch.

Das war es. Er lockte seine Opfer mit seinen goldenen Augen und seiner honigsüßen Stimme in eine Trance, und dann, ehe man es sich versah – sie schüttelte den Kopf. Nein, sie konnte dagegen ankämpfen. Sie würde nicht nachgeben.

Er runzelte die Stirn, seine dunklen Augenbrauen zogen sich eng zusammen. “Sie machen Schwierigkeiten.”

“Glaub lieber dran.” Sie kramte in ihrer Handtasche und zog ihre 32-Kaliber Beretta Tomcat heraus. “Überraschung, Trottel.”

Kein Schreck und keine Angst zeigten sich auf seinem rauen Gesicht, nur ein wenig Verärgerung. “Madam, eine Waffe ist kaum vonnöten.”

Oh, er versuchte, sie in Sicherheit zu wiegen. Mit zitternden Fingern entsicherte sie die Pistole und richtete sie dann auf seine breite Brust. Hoffentlich hatte er nicht bemerkt, dass sie kein Profi in solchen Dingen war. Sie stellte ihre Füße weiter auseinander und benutzte beide Hände, wie sie es bei Polizisten im Fernsehen gesehen hatte. “Ich habe ein volles Magazin mit deinem Namen drauf, Drecksack. Das war’s dann!”

Irgendetwas in seinen Augen leuchtete auf. Es hätte Angst sein sollen, aber sie hätte schwören können, dass es Belustigung war. Er trat auf sie zu. “Bitte, lassen Sie das mit der Waffe. Und das Drama auch.”

“Nein!” Sie warf ihm ihren zornigsten und gemeinsten Blick zu. “Ich schieße. Ich bringe Sie um.”

“Leichter gesagt als getan.” Er trat noch einen Schritt auf sie zu.

Sie hob die Waffe noch höher. “Ich meine es ernst. Es ist mir egal, wie umwerfend Sie aussehen. Ich verteile Sie im ganzen Raum.”

Seine dunklen Brauen hoben sich. Jetzt sah er überrascht aus. Langsam betrachtete er sie noch einmal, und seine Augen verdunkelten sich zu der Farbe von heißem, geschmolzenem Gold.

“Hören Sie auf, mich derart anzusehen.” Ihre Hände zitterten.

Er trat wieder auf sie zu. “Ich werde Ihnen nichts tun. Ich brauche Ihre Hilfe.” Er nahm das Taschentuch von seinem Mund. Rote Flecken beschmutzten die weiße Baumwolle. Blut.

Shanna keuchte. Sie senkte ihre Hände. Ihr Magen drehte sich um. “Sie … bluten.”

“Legen Sie Ihre Waffe weg, ehe Sie sich in den Fuß schießen.”

“Nein.” Sie hob die Beretta wieder und versuchte, nicht an Blut zu denken. Schließlich würde es noch viel mehr davon geben, wenn sie ihn erschoss.

“Ich brauche Ihre Hilfe. Ich habe einen Zahn verloren.”

“Sie … Sie sind ein Patient?”

“Ja. Können Sie mir helfen?”

“Oh, Mist.” Sie ließ die Waffe in ihre Handtasche fallen. “Es tut mir so leid.”

“Normalerweise begrüßen Sie Ihre Patienten nicht mit gezogener Waffe?” Seine Augen funkelten noch belustigter als zuvor.

Oh Gott, er war hinreißend. Typisch für sie, dass der perfekte Mann genau zwei Minuten, ehe sie sterben musste, in ihr Leben trat. “Hören Sie, die werden jede Sekunde hier sein. Sie müssen hier raus, schnell.”

Er kniff die Augen zusammen. “Sind Sie in Schwierigkeiten?”

“Ja. Und wenn die Typen Sie hier treffen, dann werden die auch Sie umbringen. Kommen Sie.” Sie klemmte sich ihre Handtasche unter den Arm. “Wir gehen durch die Hintertür.”

“Sie sorgen sich um mich?”

Sie sah zu ihm zurück. Er stand immer noch neben ihrem Schreibtisch und wirkte bedrohlich. “Natürlich. Ich könnte es nicht ertragen, zuzusehen, wie ein unschuldiger Mensch getötet wird.”

“Ich bin nicht gerade das, was man als unschuldig bezeichnet.”

Sie schnaubte. “Sind Sie gekommen, um mich umzubringen?”

“Nein.”

“Das ist mir unschuldig genug. Kommen Sie schon.” Sie durchquerte das Untersuchungszimmer.

“Gibt es eine andere Klinik, in der Sie mir mit meinem Zahn helfen können?”

Sie drehte sich zu ihm um und hielt erstaunt die Luft an. Er stand direkt hinter ihr, obwohl sie nicht gehört hatte, wie er sich bewegte. “Wie sind Sie …”

Er öffnete seine Hand mit der Handfläche nach oben. “Hier ist mein Zahn.”

Sie zuckte zusammen. Einige Tropfen Blut hatten in seiner Handfläche eine Lache gebildet, aber mit einiger Anstrengung schaffte sie es, sich auf den Zahn zu konzentrieren. “Was? Soll das irgendein kranker Scherz sein? Das ist kein menschlicher Zahn.”

Sein Mund wurde schmal. “Es ist mein Zahn. Sie müssen ihn mir wieder einsetzen.”

“Auf keinen Fall implantiere ich Ihnen einen Tierzahn. Das ist einfach krank. Das … das Ding ist von einem Hund. Oder einem Wolf.”

Seine Nasenlöcher blähten sich, und er schien ein ganzes Stück zu wachsen. Seine Finger schlossen sich um den Zahn und formten eine Faust. “Wie können Sie es wagen, Madam. Ich bin kein Werwolf.”

Sie blinzelte. Okay, er war merkwürdig. Ein wenig gestört, vielleicht. Es sei denn … “Oh, ich verstehe, Tommy hat Sie angestiftet.”

“Ich kenne keinen Tommy.”

“Wer hat dann …” Shanna wurde unterbrochen, als vor der Klinik Autos mit quietschenden Reifen zum Stehen kamen. War es die Polizei? Bitte, Gott, es musste einfach die Polizei sein. Sie schlich vorsichtig zur Tür ihres Arbeitszimmers und sah hinaus. Keine Sirene, keine Blaulichter. Schwere Schritte kamen vom Gehweg her.

Ihre Haut war von kaltem Schweiß ganz klebrig. Sie presste ihre Handtasche gegen ihre Brust. “Sie sind da.”

Der gestörte Patient wickelte seinen Wolfszahn in das weiße Taschentuch und steckte es in eine Tasche. “Wer sind ‘sie’?”

“Leute, die mich umbringen wollen.” Sie rannte durch das Untersuchungszimmer zur Hintertür.

“Sind Sie eine so schlechte Zahnärztin?”

“Nein.” Sie entriegelte die Türschlösser mit zitternden Fingern.

“Haben Sie etwas falsch gemacht?”

“Nein, ich habe etwas gesehen, was ich nicht hätte sehen sollen. Und das werden Sie auch, wenn Sie nicht schnell verschwinden.” Sie griff nach seinem Arm, um ihn durch die Hintertür zu ziehen. Ein Blutstropfen quoll aus seinem Mundwinkel. Er wischte ihn schnell mit der Hand weg, aber hinterließ einen roten Fleck an seinem kantigen Kiefer.

Es war so viel Blut gewesen. So viele leblose Gesichter, mit Blut überzogen. Und die arme Karen. Das Blut war in ihrem Mund zusammengeflossen und hatte ihre letzten Worte völlig erstickt.

“Oh Gott.” Shannas Knie gaben nach. Ihr wurde schwummrig vor Augen. Nicht jetzt. Nicht, wenn sie fortlaufen musste.

Der gestörte Patient griff nach ihr. “Geht es Ihnen nicht gut?”

Sie sah seine Hand an, die fest um ihren Oberarm geschlossen war. Ein roter Streifen zierte ihren weißen Arztkittel. Blut. Ihre Augen schlossen sich flatternd, als sie gegen ihn zusammensackte. Ihre Handtasche fiel auf den Boden.

Er hob sie mit beiden Armen hoch.

“Nein.” Sie verlor das Bewusstsein. Sie konnte das nicht zulassen. Sie versuchte ein letztes Mal, kraftlos ihre Augen zu öffnen.

Sein Gesicht war ihr nah. Die Welt verschwand um sie herum, und dennoch betrachtete er sie, und seine Augen begannen langsam zu glühen.

Seine Augen waren rot. Rot wie Blut.

Tot, sie würde bald tot sein. Wie Karen. “Retten Sie sich. Bitte”, flüsterte sie. Dann wurde alles um sie herum schwarz.

Unglaublich. Wenn Roman es nicht besser wüsste, hätte er geschworen, dass sie nicht sterblich war. In über fünfhundert Jahren hatte er noch keine Sterbliche getroffen, die sich seiner Gedankenkontrolle widersetzen konnte. Er hatte auch noch nie einen Sterblichen getroffen, der ihn retten wollte, statt ihn zu töten. Oh, Blut Gottes, sie glaubte sogar, dass er unschuldig war. Und unglaublich gut aussehend – das waren ihre Worte gewesen.

Aber sie war sterblich. Ihr Körper fühlte sich warm und weich in seinen Armen an. Er neigte seinen Kopf zu ihr und atmete tief durch die Nase ein. Das satte Aroma von frischem menschlichen Blut erfüllte seine Sinne. Blutgruppe A Positiv. Seine Lieblingssorte. Sein Griff wurde fester. Er wurde langsam hart. Sie war so verletzlich in seinen Armen, wie ihr Kopf zurückfiel und ihren jungfräulich weißen Hals freigab. Und er sollte verdammt sein, wenn der Rest von ihr nicht genauso lecker aussah.

Doch so sehr er sich auch nach ihrem Körper verzehrte, ihr Verstand reizte ihn noch mehr. Wie zum Teufel hatte sie es geschafft, sich seiner Gedankenkontrolle zu widersetzen? Jedes Mal, wenn er es versucht hatte, hatte sie ihm ins Gesicht zurückgeschlagen. Der Kampf ihrer Gedanken hatte ihn aber nicht verärgert. Ganz im Gegenteil. Er hatte es trotzdem geschafft, einige ihrer Gedanken zu lesen. Anscheinend hatte sie Angst beim Anblick von Blut. Und ihr letzter Gedanke, ehe sie in Ohnmacht gefallen war, hatte dem Tod gegolten.

Aber sie war sehr lebendig. Sie glühte vor Hitze und Vitalität, strotzte vor pulsierendem Leben, und sogar in ihrer Bewusstlosigkeit verursachte sie bei ihm eine Riesenerektion. Oh, Blut Gottes. Was sollte er nur mit ihr machen?

Seine besonders empfindlichen Ohren nahmen das Geräusch von männlichen Stimmen auf dem Gehweg vor der Klinik war.

“Shanna! Mach es dir doch nicht so schwer. Lass uns rein.”

Shanna? Er betrachtete ihre blasse Haut, ihren rosigen Mund und die wenigen verstreuten Sommersprossen auf ihrer spitzen Nase. Der Name passte zu ihr. Ihr weiches, braunes Haar sah gefärbt aus. Interessant. Warum wollte so eine liebreizende junge Frau ihre wirkliche Haarfarbe verstecken? Eines war sicher. VANNA war nur ein armseliger Ersatz für eine echte Frau.

“Das war’s, Schlampe! Wir kommen rein.” Etwas flog durch die Frontscheibe der Klinik und zerbarst das Glas. Die Jalousien schepperten.

Oh, Blut Gottes. Diese Männer wollten ihr wirklich etwas antun. Was konnte sie getan haben? Er hatte ernste Zweifel daran, dass sie irgendeine Art Kriminelle war. Dazu war sie zu ungeschickt mit ihrer Pistole umgegangen. Und hatte ihm zu leicht vertraut. Im Grunde schien sie mehr um seine Sicherheit besorgt gewesen als um ihre eigene. Mit ihren letzten Worten hatte sie ihn gebeten, sich selbst zu retten. Nicht sie.

Die logischste Handlungsweise wäre es, sie fallen zu lassen und zu rennen. Schließlich gab es da draußen noch andere Zahnärzte, und er mischte sich nur sehr selten in die Welt der Sterblichen ein.

Er sah hinunter in ihr Gesicht. Retten Sie sich. Bitte.

Er konnte es nicht. Er konnte sie nicht hier lassen, wo sie sterben musste. Sie war … anders. Irgendetwas in seinen Eingeweiden, ein Instinkt, der seit Jahrhunderten geschwiegen hatte, flammte in ihm auf, und er wusste es. Er wiegte einen seltenen Schatz in seinen Armen.

Noch mehr Glas zersprang im vorderen Arbeitszimmer. Er musste sich schnell bewegen. Sein Glück, dass das für ihn kein Problem war. Er warf sich Shanna über eine Schulter und griff nach ihrer merkwürdigen Handtasche, die auf beiden Seiten mit einem Bild von Marilyn Monroe bedruckt war. Er machte die Tür einen Spaltbreit auf und sah vorsichtig hinaus.

Die Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen eng beisammen. An den Außenwänden führten im Zickzack metallene Feuertreppen nach oben. Die meisten Geschäfte hatten geschlossen. Nur in einem Restaurant an der Ecke brannte noch Licht. Auf der geschäftigeren Straße sausten die Autos vorbei, aber diese Seitenstraße war ruhig. Geparkte Autos standen an beiden Seiten. Seine außergewöhnlich scharfen Sinne entdeckten Leben. Zwei Männer hinter einem geparkten Auto auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er konnte sie nicht sehen, aber er spürte ihre Anwesenheit, roch das Blut, das durch ihre Adern pumpte.

Blitzartig stieß er die Tür auf und schnellte ans Ende des Häuserblocks. Während er um die Ecke eilte, sah er, dass die beiden Sterblichen reagierten. Sie rannten mit gezogenen Pistolen auf die offene Tür zu. Roman hatte sich so schnell bewegt, dass sie ihn nicht einmal gesehen hatten. Er umrundete eine weitere Ecke zur Straße vor der Klinik. Dort versteckte er sich hinter einem geparkten Lieferwagen und beobachtete das Schauspiel, das sich vor ihm entspann.

Drei schwarze Limousinen blockierten die Straße. Drei, nein, vier Männer standen dort – zwei fungierten als Wachposten, während die anderen beiden sich durch die Glasfront der Klinik arbeiteten. Zum Teufelsblut. Wer waren diese Männer, die Shanna nach dem Leben trachteten?

Er schloss seine Arme fester um sie. “Halt dich fest, meine Schöne. Wir machen einen kleinen Ausflug.” Er konzentrierte sich auf das Dach des zehnstöckigen Gebäudes hinter ihm. Eine Sekunde später waren sie dort, und er sah hinunter auf die Schlägertruppe.

Glasscherben bedeckten den Gehweg und knirschten unter den Schuhen von Shannas Möchtegern-Mördern. Nur gezackte Stalagmiten blieben von den Klinikfenstern übrig. Einer der Schläger fasste mit seiner behandschuhten Hand durch die Glastür und entriegelte sie. Die anderen zogen Waffen aus ihren Mänteln und drangen in die Klinik ein.

Die Tür schlug hinter ihnen zu und ließ einen Schauer aus Glassplittern auf den Gehweg rieseln. Die Jalousien schwangen mit einem metallischen Rascheln vor und zurück. Dann konnte man hören, wie Möbel verschoben und umgeworfen wurden.

“Wer sind diese Männer?”, flüsterte er, aber er bekam keine Antwort. Shanna lag ganz ruhig über seiner Schulter. Und er kam sich dumm vor, wie er dastand und eine Damenhandtasche hielt.

Auf dem Dach entdeckte er einige Gartenmöbel aus Plastik – zwei grüne Stühle, einen kleinen Tisch und eine Gartenliege, die jemand auseinandergeklappt zurückgelassen hatte. Während er die Zahnärztin auf die Liege gleiten ließ, fuhren seine Hände ihren Körper hinab, und er stieß auf etwas Hartes in ihrer Tasche. Fühlte sich an wie ein Handy.

Er stellte ihre Handtasche ab und zog das Telefon aus ihrer Tasche. Er würde Laszlo anrufen und ihn mit dem Wagen zurückbeordern. Es war möglich, andere Vampire mental zu erreichen, aber telepathische Kommunikation sicherte einem nicht immer absolute Privatsphäre. Roman war in einem Dilemma, von dem er nicht wollte, dass es von einem anderen Vampir aus Versehen belauscht wurde. Ihm fehlte ein Fangzahn, und er hatte gerade eine sterbliche Zahnärztin entführt, die in noch größeren Schwierigkeiten war als er.

Er schnellte an die Brüstung des Gebäudes und sah vorsichtig hinunter. Die Schläger verließen gerade die Klinik, nun zu sechst, da die vier von der Vorderseite von den beiden von der Rückseite Gesellschaft bekommen hatten. Sie gestikulierten wütend. Sie murmelten Flüche, die durch die Nachtluft an seine äußerst empfindlichen Ohren drangen.

Russisch. Und sie hatten die Statur von Preisboxern. Roman sah über seine Schulter zu Shanna. Sie würde es sehr schwer haben, zu überleben, wenn diese Gorillas ihr auf den Fersen waren.

Abrupt hielten die Männer inne. Ihre Stimmen wurden leiser. Aus dem Schatten trat eine Figur. Verdammt, das machte insgesamt sieben Schläger. Wie hatte er den einen verpassen können? Er konnte das Blut und den warmen Körper eines Sterblichen immer spüren, aber dieser hier war ihm komplett entgangen.

Die anderen Männer bewegten sich langsam aufeinander zu, als fühlten sie sich in der Gruppe sicherer. Sechs gegen einen. Wie konnten sechs breit gebaute Schläger vor einem einzigen Mann Angst haben? Die dunkle Figur bewegte sich auf die Klinikfront zu. Vereinzelte Lichtstrahlen fielen durch die zerstörten Jalousien und ließen sein Gesicht aufleuchten.

Zum Teufelsblut! Roman trat einen Schritt zurück. Kein Wunder, dass er den siebten Mann nicht gespürt hatte. Er war Ivan Petrovsky, Zirkelmeister der russischen Vampire. Und einer von Romans ältesten Feinden.

In den letzten fünfzig Jahren hatte Petrovsky seine Zeit zwischen Russland und New York aufgeteilt und die Vampire weltweit fest im Griff gehabt. Roman und seine Freunde hielten sich immer über ihren Feind informiert. Laut der letzten Berichte machte Petrovsky gutes Geld als Auftragskiller.

Sich selbst als Killer zu vermieten war eine uralte Tradition unter den gewaltbereiteren Vampiren. Sterbliche zu ermorden war leicht, sogar ein Spaß für sie, also warum sich nicht dafür bezahlen lassen, dass man auswärts aß? Die Logik gefiel Petrovsky offensichtlich, und er verdiente seinen Lebensunterhalt mit einem Job, der ihm richtig schmeckte. Und in dem er ohne jeden Zweifel ausgezeichnet war.

Roman hatte gehört, dass Petrovskys bevorzugter Arbeitgeber die russische Mafia war. Das würde auch die sechs russisch sprechenden, bewaffneten Sterblichen erklären, die er dabeihatte. Oh, Blut Gottes. Die russische Mafia wollte Shanna umbringen.

Wussten die Russen, dass Petrovsky ein Vampir war? Oder dachten sie nur, dass er ein Auftragskiller aus der alten Heimat war, der am liebsten nachts arbeitete? Auf jeden Fall hatten sie Angst vor ihm.

Und dazu hatten sie allen Grund. Kein Sterblicher hatte gegen ihn eine Chance. Nicht einmal eine aufmüpfige junge Frau, die eine Beretta in ihrer mit Pailletten besetzten Marilyn-Monroe-Handtasche versteckt hatte.

Ein Stöhnen lenkte seine Aufmerksamkeit auf die aufmüpfige junge Frau. Sie wachte auf. Oh, Blut Gottes, wenn die Russen Ivan Petrovsky angeheuert hatten, um Shanna umzubringen, dann würde sie die nächste Nacht nicht erleben.

Es sei denn … es sei denn, sie stand unter dem Schutz eines anderen Vampirs. Eines Vampirs mit genug Macht und Ressourcen, um es mit dem ganzen Zirkel russischer Vampire aufzunehmen. Ein Vampir, der seine Sicherheitskräfte bereits um sich geschart hatte. Ein Vampir, der bereits einmal gegen Petrovsky gekämpft und es überlebt hatte. Ein Vampir, der wirklich dringend einen Zahnarzt brauchte.

Roman trat leise neben sie. Stöhnend rieb sie sich die Stirn. Wahrscheinlich hatte sie Kopfschmerzen davon, sich gegen seine Gedankenkontrolle gewehrt zu haben. Trotzdem war allein die Tatsache, dass sie ihm widerstehen konnte, unglaublich. Und weil er sie nicht kontrollieren konnte, wusste er nicht, was er als Nächstes tun oder sagen sollte. Es machte sie zu einer Gefahrenquelle. Aber auch … faszinierend.

Ihr aufgeknöpfter Arztkittel stand offen, darunter verbarg sich ein zartrosa T-Shirt, das sich perfekt an ihre Brüste schmiegte. Mit jedem Atemzug weitete sich ihre Brust. Seine Jeans wurden enger. Ihr aufgeheiztes Blut pumpte durch ihre Adern und zog ihn mit jedem Pulsschlag mehr an. Sein Blick fiel auf ihre engen, schwarzen Hüfthosen. Sie war so wunderschön, und sie würde so köstlich sein. Auf mehr als nur eine Art.

Oh, Blut Gottes. Er wollte sie behalten. Sie hielt ihn für unschuldig. Sie glaubte, dass er es wert war, gerettet zu werden. Aber was, wenn sie die Wahrheit herausfand? Wenn sie entdeckte, dass er ein Dämon war, würde sie ihn umbringen wollen. Das hatte er von Eliza nur allzu gut gelernt.

Roman richtete sich auf. Er konnte sich nicht erlauben, noch einmal so verletzlich zu sein. Aber würde diese ihn auch betrügen? Sie schien auf irgendeine Art anders. Sie hatte ihn gebeten, sich selbst zu retten. Ihr Herz war rein.

Sie stöhnte erneut. Oh, Blut Gottes, sie war die Verletzliche hier. Wie konnte er sie diesem Monster Petrovsky überlassen? Roman war der Einzige in New York, der sie beschützen konnte. Sein Blick wanderte über ihren Körper und zurück in ihr hübsches Gesicht. Oh, er konnte sie schon beschützen. Aber solange sein Körper vor Hunger aufheulte und vor Verlangen pulsierte, konnte er nicht garantieren, dass sie sicher war.

Nicht vor ihm.

3. KAPITEL

Shanna rieb sich die Stirn. In der Ferne hörte sie Autohupen und das Jaulen einer Krankenwagensirene. So etwas brauchte man im Jenseits wohl eher nicht. Also war sie auf jeden Fall noch am Leben. Aber wo?

Sie öffnete ihre Augen und erblickte den Nachthimmel. Die Sterne waren teilweise von Dunst verdeckt. Eine Brise strich ihre Haare gegen ihre Wange. Sie sah nach rechts. Ein Hausdach? Sie lag auf Gartenmöbeln. Wie war sie hergekommen? Sie sah nach links.

Er. Der psychisch gestörte Patient mit dem Wolfszahn. Er musste sie hergebracht haben, und er kam gerade jetzt auf sie zu. Sie versuchte, möglichst schnell von der Gartenliege aufzustehen, und keuchte erschreckt auf, als das wackelige Möbelstück beinahe umkippte.

“Vorsicht.” Er war sofort an ihrer Seite, erschreckte sie, als er nach ihren Armen griff. Wie hatte er sie so schnell erreichen können?

Der Schmerz in ihrem Kopf wurde ein paar Grad kälter. Sein Griff war fest. Besitzergreifend. “Lassen Sie mich los.”

“Gut.” Er ließ sie los und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

Shanna schluckte. Ihr war nicht aufgefallen, dass er so groß war. Und breit.

“Sie können mir später dafür danken, dass ich Ihr Leben gerettet habe.”

Wieder diese Stimme. Tief und sexy. So verlockend, aber sie war gerade nicht in der Stimmung, irgendwem zu vertrauen. “Ich schick Ihnen ‘ne Postkarte.”

“Sie vertrauen mir nicht.”

Der Kerl merkte wohl alles. “Warum sollte ich? So wie ich es sehe, haben Sie mich entführt. Ohne meine Erlaubnis.”

Seine Mundwinkel zuckten nach oben. “Geben Sie normalerweise Ihre Erlaubnis?”

Sie starrte ihn wütend an. “Wohin haben Sie mich gebracht?”

“Wir sind gegenüber von Ihrer Zahnklinik.” Er schritt auf die Brüstung zu. “Da Sie mir nicht vertrauen, sehen Sie selbst.”

Klar, sie würde sich neben einen Psychopathen an den Rand des Daches stellen. Auf keinen Fall. Es war schon dumm genug gewesen, in der Klinik in Ohnmacht zu fallen, obwohl sie hätte weglaufen müssen. Sie konnte sich nicht noch mehr solche Momente der Schwäche leisten. Der gut aussehende Mann musste sie hinausgetragen haben. Er hatte ihr tatsächlich das Leben gerettet. Er war groß, dunkelhaarig, gut aussehend und ein Held. Vollkommen perfekt bis auf die Tatsache, dass er einen Wolfszahn in seinen Kiefer implantiert haben wollte. Hatte er die Wahnvorstellung, ein Wolfsmensch zu sein? Hatte ihre Waffe ihm deshalb keine Angst gemacht? Nur silberne Kugeln konnten ihn verletzen. Sie fragte sich, ob er den Mond anheulen würde.

Reiß dich zusammen. Sie rieb sich die schmerzende Stirn. Sie musste aufhören, sich Unsinn auszudenken und lieber überlegen, was als Nächstes zu tun war.

Ihre Handtasche stand neben ihren Füßen. Hallelujah! Sie nahm die Tasche auf den Schoß und sah hinein. Ja! Die Beretta war noch da. Sie konnte sich immer noch verteidigen.

Sogar gegen den gut aussehenden Wolfsmann, wenn sie musste.

“Die sind immer noch da unten, wenn Sie sie sehen wollen.” Er sah über die Schulter zu ihr zurück.

Sie schloss ihre Handtasche und sah ihn mit großen Rehaugen an. “Wer?”

Sein Blick wanderte auf ihre Handtasche, dann zurück in ihr Gesicht. “Die Männer, die Sie umbringen wollen.”

“Oh. Ich glaube, von denen habe ich heute genug gesehen. Also werde ich jetzt einfach gehen.” Sie richtete sich vorsichtig auf.

“Wenn Sie jetzt gehen, dann erwischen sie Sie.”

Das stimmte wahrscheinlich. Aber war sie auf einem Dach neben einem unglaublich attraktiven Entflohenen aus der Irrenanstalt besser aufgehoben? Sie presste die Handtasche gegen ihre Brust. “Okay, ich bleibe noch ein wenig.”

“Gut.” Seine Stimme wurde weicher. “Ich bleibe bei Ihnen.”

Sie trat ein paar Schritte zurück, damit die Gartenmöbel zwischen ihnen standen. “Warum haben Sie mich gerettet?”

Er lächelte langsam. “Ich brauche einen Zahnarzt.”

Nicht mit so einem Lächeln. Verdammt. Solch ein Lächeln konnte eine Frau zu einer Pfütze aus bibbernden Hormonen zusammenschmelzen. Ich schmelze. Ich schmelze. “Wie … wie haben Sie mich hier hinaufgebracht?”

Seine Augen funkelten in der Dunkelheit. “Ich habe Sie getragen.”

Sie schluckte. Die paar Pizzapfunde mehr hatten ihm anscheinend keine Schwierigkeiten bereitet. “Sie haben mich den ganzen Weg bis aufs Dach getragen?”

“Ich … habe den Aufzug benutzt.” Er zog ein Handy aus seiner hinteren Jeanstasche. “Ich rufe jemanden an, der uns abholt.”

Uns? Wem machte er etwas vor? Sie traute ihm gerade so weit, wie sie spucken konnte. Aber vor den Auftragskillern hatte er sie gerettet. Und bisher hatte er sich wie ein Gentleman verhalten. Sie ging langsam auf den Rand des Gebäudes zu, immer in sicherem Abstand zu ihrem geheimnisvollen Retter.

Sie blickte hinunter. Wow, er hatte die Wahrheit gesagt. Sie waren gegenüber der Klinik. Drei schwarze Limousinen waren in zweiter Reihe geparkt, und daneben stand eine Gruppe von Männern, die sich unterhielten. Die besprachen, wie man sie am besten umbrachte. Sie steckte ganz schön in der Klemme. Vielleicht konnte sie einen Verbündeten gebrauchen. Vielleicht sollte sie dem verrückten, aber so gut aussehenden Wolfsmann doch vertrauen.

“Radinka?” Er hielt das Handy an seine Wange. “Kannst du mir Laszlos Handynummer geben?”

Radinka? Laszlo? Waren das russische Namen? Sie bekam eine Gänsehaut. Oh Gott. So ein Riesenärger. Dieser Kerl tat wahrscheinlich so, als sei er ihr Freund, um sie dann aus der Stadt zu locken und …

“Danke, Radinka.” Er wählte eine neue Nummer.

Shanna sah sich um und fand den Eingang zum Treppenhaus. Jetzt musste sie sich nur noch in diese Richtung schleichen, ohne dass er es merkte.

“Laszlo.” Seine Stimme nahm einen befehlenden Ton an. “Bringen Sie sofort das Auto zurück. Es handelt sich um einen Notfall.”

Shanna bewegte sich langsam. Leise.

“Nein, Sie haben keine Zeit, erst ins Labor zu fahren. Drehen Sie sofort um.” Eine kurze Pause. “Nein, ich habe den Zahn noch nicht reparieren lassen. Aber ich habe eine Zahnärztin bei mir.” Er sah in ihre Richtung.

Sie erstarrte und versuchte, gelangweilt auszusehen. Vielleicht sollte sie eine Melodie summen, aber alles, was ihr einfiel, war die, die sie früher am Abend gehört hatte: “Strangers in the Night.” Wenigstens passte es.

“Haben Sie schon gewendet?” Wolfmann klang verärgert. “Gut. Jetzt hören Sie gut zu. Fahren Sie nicht, ich wiederhole, fahren Sie nicht an der Klinik vorbei. Halten Sie einen Block nördlich von der Klinik, und wir treffen uns dort. Verstanden?”

Noch eine Pause. Er sah über die Brüstung. Shanna versuchte weiter, möglichst unauffällig das Treppenhaus zu erreichen.

“Ich erkläre es Ihnen später. Folgen Sie einfach meinen Anweisungen, und wir werden sicher sein.”

Sie glitt an den Gartenmöbeln vorbei.

“Ich weiß, dass Sie nur ein Chemiker sind, aber ich habe volles Vertrauen in Ihre Fähigkeiten. Denken Sie daran, niemand sonst darf hiervon erfahren. Und da fällt mir ein, ist unser … Passagier noch bei Ihnen im Wagen?” Wolfmann ging in eine Ecke des Gebäudes, hielt ihr den Rücken zugewandt und sprach mit leiser Stimme.

Also wollte der Gauner nicht, dass sie mithörte. Kannst du mich jetzt hören? Der Satz trieb sie an. Nein, sie konnte nicht hören, verdammt. Auf Zehenspitzen schlich sie ihm schnell nach. Ihre alte Ballettlehrerin wäre von ihrem Tempo beeindruckt gewesen.

“Passen Sie auf, Laszlo. Ich habe die Zahnärztin bei mir, und ich will sie nicht noch mehr erschrecken als nötig. Also nehmen Sie Vanna vom Rücksitz und stecken Sie sie in den Kofferraum.”

Shanna hielt inne. Ihr Mund stand vor Erstaunen offen. Ihr Hals wurde enger, und sie konnte kaum noch atmen.

“Es ist mir egal, wie viel Müll Sie in ihrem Kofferraum haben. Wir fahren nicht mit einer nackten Frau im Auto herum.”

Oh nein! Sie schnappte nach Luft. Er war doch ein Auftragskiller.

Er drehte sich urplötzlich um und sah ihr ins Gesicht. Mit einem erstickten Schrei tat sie einen Sprung zurück.

“Shanna?” Er stellte das Telefon aus und hielt es ihr entgegen.

“Bleiben Sie weg von mir.” Sie trat weiter zurück, wühlte in ihrer Tasche.

Er runzelte die Stirn. “Wollen Sie Ihr Telefon nicht wiederhaben?”

Das war ihr Telefon? Er war ein Mörder und ein Dieb. Sie zog die Beretta mit einem Ruck hervor und zielte auf ihn. “Keine Bewegung.”

“Nicht das schon wieder. Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie immer gegen mich ankämpfen.”

“Klar, als wollten Sie mir wirklich helfen.” Sie ging langsam auf das Treppenhaus zu. “Ich habe gehört, was Sie mit Ihrem Freund besprochen hast. ‘Oh, Laszlo, wir haben Gesellschaft. Leg die Leiche in den Kofferraum’.”

“Es ist nicht so, wie Sie denken.”

“Ich bin nicht dumm, Wolfmann.” Sie bewegte sich weiter auf die Treppen zu. Wenigstens blieb er stehen, wo er war, und bewegte sich nicht. “Ich hätte Sie beim ersten Mal erschießen sollen.”

“Drücken Sie nicht ab. Die Männer unten würden es hören. Sie würden heraufkommen, und ich bin mir nicht sicher, ob ich es mit allen zusammen aufnehmen könnte.”

“Mit allen zusammen? Na, wir haben ja eine hohe Meinung von uns selbst.”

Seine Augen verdunkelten sich. “Ich habe einige besondere Talente.”

“Oh, darauf wette ich. Ich wette, das arme Mädchen in Ihrem Kofferraum könnte mir eine ganze Menge über diese besonderen Talente erzählen.”

“Sie kann nicht sprechen.”

“Natürlich nicht. Wenn man jemanden erst einmal umgebracht hat, kann man im allgemeinen gepflegte Konversation vergessen.”

Seine Mundwinkel zuckten.

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