Yours - Atemlose Liebe

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Bennett Wade ist der arroganteste, mieseste Kerl, mit dem sie je zu tun hatte! Leider jedoch auch der einzige, der Taylors Coaching für Geschäftsführer in Anspruch nehmen will, weshalb sie ihm nicht einfach die Tür in sein viel zu hübsches Gesicht schlagen kann. Während Taylor noch überlegt, wie sie einen besseren Menschen aus ihm machen soll, erhascht sie einen Blick hinter die Fassade des kühlen CEOs, und muss sich eingestehen, dass Bennett mehr als nur heiße Wut in ihr weckt …

Gegensätze haben sich nie heißer angezogen!


  • Erscheinungstag 10.10.2016
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783956499463
  • Seitenanzahl 368
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Mimi Jean Pamfiloff

Yours – Atemlose Liebe

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Claudia Heuer und Sindy Ganas

IMIRA® TASCHENBUCH




MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

Tailored for Trouble

Copyright © 2016 by Mimi Jean Pamfiloff

erschienen bei: Ballantine Books, New York

Published by arrangement with

Ballantine Books, an imprint of Random House,

a division of Penguin Random House, LLC

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: büropecher, Köln

Redaktion: Laura Oehlke

Titelabbildung: Shutterstock / Sorali

ISBN eBook 978-3-956-49946-3

www.mira-taschenbuch.de


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1. KAPITEL

Als die achtundzwanzigjährige Taylor Reed aus einem Bürogebäude in der Innenstadt von Seattle kam, regnete es in Strömen. Sie hatte ihren Regenschirm vergessen, aber das kam ihr ganz gelegen, denn so konnte niemand sehen, dass ihr Tränen über das Gesicht liefen.

Ich bin am Ende. Ich bin total am Ende, dachte sie, und das war nicht einmal übertrieben. Taylor hatte in den letzten drei Monaten alle ihre Kreditkarten bis zum Limit ausgereizt, hatte sich von ihrem Rentensparplan so viel Geld geliehen, wie eben ging, und auch noch ihren Notgroschen aufgebraucht, alles um ihre eigene Firma zum Laufen zu bringen: hoch spezialisierte Weiterbildungen für Führungskräfte. Nach fünfzehn Kundenpräsentationen, die alle, genau wie heute, mit „Vielen Dank, aber wir haben leider keinen Bedarf“ geendet hatten, war sie mit ihrem Latein am Ende.

Das ist alles seine Schuld. Dafür war allein dieser selbstgefällige, kaltherzige Mistkerl verantwortlich, der dafür gesorgt hatte, dass sie ihre schöne Festanstellung verloren hatte. Okay, eigentlich hatte sie gekündigt, aber trotzdem. Nach dieser peinlichen Katastrophe hatte sie einfach keine andere Wahl gehabt. Nur weil er eben „der Kunde“ war, weil er Geld hatte und deswegen glaubte, dass er andere Leute wie Dreck behandeln konnte. Und alles nur weil … Mann. Halt jetzt die Klappe. Du bist doch selber schuld. Du hast dich von ihm aus dem Konzept bringen lassen.

Sie sah immer noch seine eiskalten blauen Augen vor sich. Die würde sie niemals vergessen. Genauso wenig wie das aalglatte Grinsen auf seinem unheimlich gut aussehenden Gesicht. Einem Gesicht, bei dessen Anblick man dachte, dass irgendwo tief drinnen auch noch etwas Menschliches sein musste.

Arschloch. Hoffentlich erstickt er an einer von seinen Designerkrawatten.

Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Taylor sah zum Himmel hinauf und ließ sich von den riesigen nassen Regentropfen das Gesicht kühlen. Sie musste sich einfach einen neuen Job suchen. Von vorn anfangen. Aber von vorn anzufangen bedeutete auch, dass sie zurück nach Phoenix fliegen musste, um ihre Sachen zu packen. Dann hieß es beten, dass einer ihrer großen Brüder, die in der Nähe von San Francisco wohnten, sie aufnahm, ohne ihr auch noch eine reinzuhauen – natürlich nur verbal. Außerdem musste sie mit ihrem Vater reden. Wenn es nach ihm ging, kamen die Menschen entweder selbst für ihren Lebensunterhalt auf, oder sie waren eine Verschwendung von guter, sauberer Atemluft.

O Gott. Die Erniedrigung. Taylor knöpfte ihren schwarzen Mantel zu und griff nach ihrem extragroßen schwarzen Laptop-Koffer, den sie hinter sich her rollte, während sie versuchte, ein Taxi anzuhalten. Bei dem Regen dauerte das bestimmt eine Weile, am Ende verpasste sie noch ihren Flug. Aber nach diesem beschissenen Tag war das eigentlich auch schon egal.

Taylor blieb an einer Straßenecke stehen und sah gerade noch, wie zwei leere Taxis an ihr vorbeifuhren. „Ach, kommt schon!“

Sie wühlte in ihrer Tasche nach ihrem Handy. Vielleicht war es besser, sich direkt ein Taxi zu rufen. Doch plötzlich klingelte das Gerät in ihrer Hand. Es war eine Nummer in San Francisco. Vielleicht hatte eine von den Firmen, die ihr Angebot zuerst abgelehnt hatten, ihre Meinung geändert?

„Hallo?“, sagte sie und gab sich Mühe, ihre Stimme nicht allzu hoffnungsvoll klingen zu lassen.

„Spreche ich mit Miss Reed?“, fragte eine muntere, freundliche Stimme.

„Ja, ich bin dran.“

„Einen Augenblick bitte, ich habe ein Gespräch für Sie.“

In diesem Moment kam gerade ein großer blau-weiß lackierter Bus angefahren und hielt mit dröhnendem Motor am Straßenrand. Verdammt noch mal.

„Könnten Sie bitte dranbleiben? Ich kann Sie kaum verstehen.“ Sie betrat den Eingang eines kleinen Cafés mit einer leuchtend roten Markise. Auf einem Schild im Schaufenster stand: Happy Pants. Jetzt auch hier!

Das ist ja seltsam.

„Tut mir leid. Schießen Sie los“, sagte sie und hielt sich das andere Ohr zu. Dabei betrachtete sie ihr trauriges Spiegelbild im Schaufenster. Mit ihrem klatschnassen, langen braunen Haar und der verschmierten Mascara sah sie aus, als hätte sie eine Rolle in The Walking Dead.

Grrr … fabelhaft.

„Miss Reed, hier ist Bennett Wade.“ Seine Stimme war tief, aber trotzdem weich, und sein Tonfall war absolut gelassen. Wenn sie ihm zuhörte, verspürte sie eine Spannung im ganzen Körper und gleichzeitig einen Adrenalinstoß. „Ich würde gerne mit Ihnen sprechen. Persönlich. Falls Sie Zeit haben.“

Woher, zur Hölle, hat der meine Handynummer?

„Und was wollen Sie von mir?“, grummelte sie.

Er gab einen Ton von sich, der ein verhaltenes Lachen, aber auch ein Räuspern sein konnte. „Mit Ihnen sprechen. Ich dachte, das hätte ich gerade eben gesagt.“

Dieses Arschloch denkt doch nicht ernsthaft, dass er mich einfach so anrufen kann? Nach allem, was der mir angetan hat? „Mr. Wade, es gibt überhaupt nichts, das ich von Ihnen … “

„Ich will Ihnen einen Job anbieten.“

Haha! Sehr witzig. „Bitte was? Reicht es Ihnen etwa nicht, dass Sie mich … “

„Miss Reed.“ Jetzt klang er doch ein wenig ungeduldig. „Ich habe viel zu tun, also – ich würde Ihnen gern ein Angebot machen, aber ich möchte nicht am Telefon darüber sprechen. Mir ist es lieber, wenn ich meinen Geschäftspartnern in die Augen sehen kann.“

Geschäftspartnern? Vielleicht leidet sein Gehirn unter den vielen Vitamintabletten, die er schluckt. Er hatte ausgesehen wie einer von diesen Typen, die auf ihre Gesundheit genauso achten wie auf ihre Anzüge: Die mussten nämlich so geschnitten sein, dass sie seine Figur zur Geltung brachten.

„Tut mir leid“, sagte sie so schnippisch, wie sie konnte, „aber mein Terminkalender ist voll, und ich bin gerade auf dem Weg zu einer Besprechung. Ich muss Sie in meinem nächsten Leben zurückrufen … “ Noch während sie sprach, wandte Taylor sich der Straße zu und bemerkte, dass eine große, glänzende Limousine am Straßenrand gegenüber parkte. Wegen der getönten Scheiben konnte sie nicht erkennen, wer darin saß, aber …

„Sie sind schon hier, oder?“, sagte sie ins Handy.

Das Fenster neben dem Rücksitz wurde heruntergelassen, und sie blickte direkt in diese hellblauen Augen mit ihren unverschämt dichten schwarzen Wimpern. Er sah sie ohne jede Wärme an, genau so, wie sie es in Erinnerung hatte. Aber obwohl sein Gesicht ansonsten gleich war wie immer – gut aussehend, markante Wangenknochen, Grübchen und ein energisches Kinn mit einem rabenschwarzen Bartschatten –, war doch etwas anders als sonst. Sein herablassendes Grinsen fehlte. Der Mann sah tatsächlich angepisst aus.

Vier Monate früher

Taylor fuhr mit ihrem Auto auf den voll besetzten Parkplatz von HRTech Solutions. Sie schwitzte wie ein Schwein und fluchte wie ein Kesselflicker – eigentlich hatte sie sich zu Silvester vorgenommen, das zu lassen, aber jetzt war das irgendwie nicht mehr so einfach.

Was soll denn das, verdammt noch mal? Sie war inzwischen dreißig – nö, eher einunddreißig – Minuten zu spät für die Präsentation, die sie vor dem Geschäftsführer von Wade Enterprises halten sollte. Und dem Mann eilte der Ruf voraus, dass er keinerlei Mitgefühl hatte und stattdessen die Welt als seinen eigenen riesigen Sandkasten betrachtete, den er wie ein Bulldozer platt walzen konnte. Erst in letzter Sekunde hatte er entschieden, dass er vom Hauptsitz der Firma in San Francisco zu diesem Meeting kommen würde, um sich anzuhören, was man tun konnte, um die Personalwerbung für seine Firma zu verbessern.

Zu behaupten, das sei seltsam, war noch untertrieben, denn normalerweise kamen sie und ihr Team zum Kunden und nicht umgekehrt. Außerdem versuchte Taylor seit Ewigkeiten, einen Termin bei Mr. Wade zu ergattern, seitdem der einige gute Geschäfte mit seinen Golfpartnern abgeschlossen hatte, die selbst alle CEOs anderer Firmen waren.

Plötzlich hatte der Fahrer des Prius vor ihr anscheinend eine Parklücke entdeckt. Scheiße. Verdammt. Nein! Sie trat auf die Bremse und sah dabei zu, wie er sich beim Einparken Zeit ließ, während sie ihre Fingernägel ins Lenkrad grub. Dann, als er fast drin war, entschied der Fahrer des Prius, dass er doch noch nicht richtig stand, und kam wieder aus der Lücke heraus.

Arschloch! Jetzt mach schon! Sie seufzte und konzentrierte sich stattdessen auf den Schalter der Klimaanlage an ihrem eigenen roten Audi TTS – sie schaltete sie zehnmal ein und wieder aus. Aber alles Ein- und Ausschalten half nichts: Der Prius bewegte sich kein bisschen schneller, genau wie es nichts an der Temperatur in ihrem Auto änderte.

Es war erst halb zehn an diesem Freitagmorgen, und draußen hatte es schon über vierzig verdammte Grad. In so einem Inferno hätte nicht mal der Teufel selbst noch Spaß.

Sie schaute sich ihr Make-up im Rückspiegel an und bemerkte dabei eine wahnsinnig attraktive Rotfärbung ihrer braunen Augen. Das kam davon, wenn man nur zweieinhalb Stunden Schlaf bekam.

Na toll. Ich sehe aus, als ob ich bekifft wäre. Auf dem Beifahrersitz vibrierte ihr Handy. Ihre Chefin hatte ihr schon wieder eine SMS geschickt.

Taylor konnte ihr Glück gar nicht fassen. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren.

„Lass dir ruhig Zeit, du Penner!“ Während der Fahrer des Prius noch einmal dazu ansetzte, neu einzuparken, klopfte sie auf das Lenkrad. Es ging millimeterweise voran. „Jetzt mach endlich!“ Sie hupte.

Der Fahrer trat auf die Bremse und zeigte ihr den Mittelfinger.

„Super. Ganz toll.“ Fick dich selber, ich werde gleich gefeuert.

Warum, warum bloß hatte sie diesen Job überhaupt angenommen? Sie war keine Verkäuferin, aber ihre Collegefreundin Rina, die auch bei HRTech arbeitete, hatte sie bequatscht, als Taylor vor fünf Jahren frisch von der Uni kam und dringend ein festes Einkommen brauchte. „Du bist wie dafür geboren, was mit Menschen zu machen, Taylor“, hatte sie gesagt. „Wenn du lächelst, geht die Sonne auf.“

Was für ein Witz.

Ja, natürlich machte ihr die Arbeit mit Menschen Spaß, und sie hatte immerhin einen Masterabschluss in Personalmanagement. Aber die meisten von den Bossen in den großen Konzernen, die Kunden von HRTech waren, hatten keine Ahnung davon, wie man die Menschen behandeln musste, die sie für viel Geld fanden und einstellten. Ihnen ging es nur um die Bilanzsumme und den Wert der Aktien – ein angenehmes Arbeitsklima zu schaffen, in dem die Leute morgens gerne ins Büro kamen, lag ihnen völlig fern. Hatte denen noch niemand gesagt, dass zufriedene Mitarbeiter produktive Mitarbeiter waren? Es machte sie wahnsinnig. Aber leider hatte Rina recht behalten: Schon bald nachdem sie bei HRTech angefangen hatte, hatte Taylor die ersten großen Kunden angeworben und gutes Geld verdient – das durfte sie nicht einfach so aufs Spiel setzen. Immerhin musste sie ihren Studienkredit abbezahlen.

Zumindest bin ich die Schulden inzwischen los. So bald wie möglich würde sie sich nach einem neuen Job umsehen. Irgendetwas, das sie mehr ausfüllte, vielleicht wieder in die Nähe von San Francisco ziehen. Es war eben nicht ihre Berufung, Leuten wie Bennett Wade in den Arsch zu kriechen. Sie hatte ihn noch nie getroffen, aber Leute wie ihn konnte sie grundsätzlich nicht leiden.

Endlich war der Prius aus dem Weg, und sie schoss an ihm vorbei, nahm die schmale Straße, die zur Rückseite des Bürogebäudes führte, und hatte Glück: Sie fand endlich eine Parklücke.

Jetzt waren es fünfunddreißig – nö, eher sechsunddreißig – Minuten, die sie zu spät dran war. In ihren schwarzen Pumps rannte Taylor los. Dabei klemmte sie sich ihren Laptop-Koffer unter einen Arm und ihre Tote Bag aus braunem Leder unter den anderen. Als sie in das Gebäude kam, das auf einer rechteckigen Glas- und Stahlkonstruktion basierte, lief Taylor sofort auf den Aufzug zu, doch dessen Türen schlossen sich direkt vor ihrer Nase.

„Arschloch!“ Sie haute auf den Aufzugknopf und sah auf ihre Armbanduhr. Dabei fiel ihr Blick plötzlich auf ein paar sehr merkwürdige Flecken auf dem Revers ihres dunkelblauen Blazers. O nein. Offensichtlich war in dem Putzmittel, mit dem sie gestern Abend vor dem Schlafengehen die Arbeitsplatte in der Küche sauber gemacht hatte, doch Chlor. Sie fand Saubermachen entspannend. Sie hatte dabei das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen, vor allem in Zeiten, in denen ihr stressiger Job ihr keine Zeit zum Nachdenken ließ. Aber sie musste ein paar Spritzer übersehen haben. Heute Morgen hatte sie ihren Blazer in der Küche auf die Arbeitsplatte gelegt, während sie ihre Schlüssel gesucht hatte. Und das Chlor hatte wohl die Farbe weggeätzt.

Noch während sie auf den Aufzug wartete, löste sie ihren Pferdeschwanz und kämmte ihre Haare mit den Fingern über ihre Schulter, sodass sie das Revers verdeckten. Die Aufzugglocke ertönte, und sie sprang hinein. Nur wenige Sekunden später war Taylor im obersten Stockwerk und rannte, so schnell sie konnte, zum Konferenzraum, wo Vera schon auf sie wartete, genau wie sechs Manager, die Taylor alle direkt unterstellt waren.

„Hallo allerseits. Tut mir leid, dass ich zu spät bin.“ Sie warf ihre Tasche auf den grauen Konferenztisch, der sich über die ganze Breite des Raumes erstreckte. „Aber ich hab im Stau gesteckt, und dann hat irgend so ein Trottel in einem Prius die ganze …“

„Ich kann Ihnen versichern“, sagte eine tiefe, eiskalte Stimme, „dass meine Fahrkünste vor allem deshalb eingeschränkt waren, weil ein Mann meiner Größe in einem Auto sitzen musste, das für diese mageren, baumumarmenden Vegetarier gemacht ist.“

Ach du Scheiße. Taylor ließ den Blick durch den Raum schweifen und bemerkte, dass am Kopf des Tisches ein Mann Anfang dreißig in einem schwarzen Anzug saß. Sein Gesichtsausdruck wirkte finster. Er hatte sein dickes, lockiges braunes Haar sorgfältig zurückgekämmt, und seine Augen leuchteten in einem erschreckend hellen Blau – die Farbe war beinahe zu hell, um noch als Blau durchzugehen.

Ihre Blicke trafen sich, und für einen Moment hielt Taylor buchstäblich den Atem an, während sie ein kalter Schauer überlief. Irgendetwas in seinem Blick verunsicherte sie. Nicht weil er sie angesehen hätte wie ein Verrückter, der einen ermorden will, aber die Präsenz dieses Mannes erfüllte den ganzen Raum und wirkte fast wie eine Drohung. Man wusste nicht so genau, ob man sich vor ihm verneigen oder lieber wegrennen sollte.

Ja, so sehr schüchterte sein Anblick sie ein.

„Das tut mir sch-schrecklich leid“, sagte Taylor und setzte sich, so anmutig wie sie konnte, auf ihren Platz, „aber Sie verstehen jetzt sicher, dass ich in Eile war, weil ich dringend zu diesem Meeting wollte …“

„Um Sie kennenzulernen natürlich“, sagte Vera, die Mr. Wade am nächsten saß. „Ich weiß, dass ich mich wiederhole, aber wir behandeln unsere Kunden normalerweise …“

Mr. Wade hob abwehrend die Hand, aber in dieser Geste lag keinerlei menschliche Wärme oder auch nur Höflichkeit. „Ich habe heute Morgen schon genug Zeit mit inkompetenten Idioten verschwendet. Ich lege keinerlei Wert auf eine Reihe von Ausreden von einer falschen Blondine, die sich zufällig stellvertretende Geschäftsführerin nennt, aber nicht einmal in der Lage ist, dafür zu sorgen, dass ihre Kunden einen ordentlichen Limousinenservice bekommen, der sie vom Flughafen hierherfährt.“

Als sie mit ansehen musste, wie Vera ganz rot im Gesicht wurde, blieb Taylors Mund vor Schreck offen stehen. Hatte dieser Kerl sie eben allen Ernstes eine Idiotin genannt und sich dann über ihr Aussehen lustig gemacht?

„Wie auch immer.“ Vera räusperte sich. „Ich entschuldige mich aufrichtig dafür, Mr. Wade, und ich verspreche Ihnen, dass ich so schnell wie möglich mit den zuständigen Personen sprechen werde. Es wird nicht wieder vorkommen.“

Taylor konnte es gar nicht fassen, dass Vera Mr. Wades Beleidigungen einfach so übergehen wollte. Sie wollte gerade den Mund aufmachen, als Vera sie ansah. „Taylor, bist du so weit?“ Es lag etwas in ihrem Tonfall, das dafür sorgte, dass Taylor ihre Bemerkung herunterschluckte.

„Natürlich. Einen Moment bitte, ich starte nur schnell die Präsentation.“ Sie öffnete den Laptop, auf dem ihr Desktop erschien, aber sie konnte die Verknüpfung mit der Präsentation nicht mehr finden.

Was? Wie ist das denn jetzt passiert? Sie hob den Blick und sah rund um den Tisch in lauter angespannte Gesichter. Okay. Beeil dich, beeil dich … Sie klickte auf den Tab mit den Dokumenten und fand die Datei, aber als sie versuchte, sie zu öffnen, passierte gar nichts, außer dass der kleine Kreis auf ihrem Bildschirm sich drehte wie ein boshafter Donut, der sie zur Verzweiflung treiben wollte. „Äh … “ Sie sah Mr. Wade an. „Mein Computer ist gerade ein bisschen langsam; die Datei ist ziemlich groß. Wahrscheinlich ist sie einfach zu groß. Ich war gestern die halbe Nacht lang auf, um sicherzugehen, dass …“

„Also, Bennett“, fiel ihr Vera ins Wort, „warum nutzen wir nicht die Zeit, bis Taylor ihre Präsentation zum Laufen gebracht hat, und Sie erzählen dem Team hier …“

„Haben wir gestern Nacht gefickt?“, unterbrach Bennett sie und wandte seinen eiskalten Blick dabei nicht von Vera ab.

Taylor erstarrte und sah ihn über den Tisch hinweg an. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte.

„Wie bitte?“ Veras Gesicht war jetzt nicht mehr rot, sondern kreidebleich.

Bennett Wade beugte sich auf seinem Stuhl vor. „Haben. Wir. Gestern. Nacht. Gefickt?

Die Spannung im Konferenzraum war beinahe mit Händen zu greifen, und Taylor war ganz sicher, dass alle sich gerade unter dem Tisch selbst in den Arm kneifen mussten. Hatte er das eben wirklich gesagt?

Vera schüttelte den Kopf. „Nein – nein, was soll denn das heißen?“

Während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte, durchbohrte er Vera mit seinem Blick. Dabei spannte sein schwarzer Anzug über seinen Schultern. „Nur meine Mutter und die Frauen, mit denen ich ficke, dürfen mich Bennett nennen. Wenn ich also gestern Abend nicht sturzbesoffen war, was notwendig wäre, damit ich eine Frau wie Sie überhaupt anfasse, dann sprechen Sie mich gefälligst mit Mr. Wade an.“

Was, zur Hölle? Empörung loderte in Taylor auf. „Wissen Sie was?“ Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, stand auf und zeigte dann auf die Tür. „Raus hier.“

Mr. Wade blinzelte mit seinen blauen Augen, so als wäre er sich nicht ganz sicher, ob er sie richtig verstanden hatte.

„Oder noch besser“, fügte sie hinzu, „Sie verschwinden von diesem Planeten. Leute wie Sie sorgen dafür, dass diese Welt so ein beschissener Ort für die meisten von uns ist, die wir nur versuchen, glücklich zu sein und über die Runden zu kommen.“

Vera sprang von ihrem Stuhl auf. „Taylor, hör auf.“

„O nein“, sagte Mr. Wade mit einem Lächeln, das nicht seine Augen erreichte, „fahren Sie bitte fort, Miss … “

„Reed. Und das wissen Sie genau, Sie … Schwein im Anzug.“

„Taylor! Raus hier. Sofort!“, brüllte Vera.

Aber Taylor hatte jetzt wirklich genug von Leuten wie ihm, die meinten, sie könnten sich alles erlauben, nur weil sie Geld hatten. Sie dachte daran, wie oft sie in den letzten Jahren Annäherungsversuche von ihrer männlichen Kundschaft hatte abwehren müssen. Sie betonten immer, dass man sich beim Abendessen mit ihnen über Geschäftliches unterhalten müsse. Gerade letzte Woche hatte eine reiche Arschgeige namens Chip, einer von Mr. Wades Golffreunden, der in Muttis Kosmetikfirma arbeitete, ihr doch tatsächlich vorgeschlagen, sie sollten sich am Wochenende in Vegas zu einem Geschäftsessen treffen. Wer machte denn so was heutzutage noch? Aber natürlich war es diesen aufgeblasenen Milliardären völlig egal, ob sie ihre Annäherungsversuche beleidigend fand. Je direkter sie Nein sagte, desto mehr Spaß schienen sie daran zu haben, ihr auf die Pelle zu rücken. Und was hatte Vera dazu gesagt? „Taylor, das sind erfolgreiche, professionelle Geschäftsleute, die so etwas nie tun würden. Denen ist doch völlig klar, welchen Schaden auch nur ein einziger Prozess ihren Firmen zufügen könnte. Bestimmt wollen sie nur nett sein – mehr steckt da nicht dahinter.“ Vera hatte eindeutig keine Ahnung, dass Frauen und Leute, die Minderheiten angehörten, es immer noch sehr, sehr schwer hatten, in der amerikanischen Arbeitswelt zurechtzukommen, auch wenn sich schon viel getan hatte. Man brauchte sich doch bloß den Jahresbericht irgendeines Großkonzerns anzusehen. Darin kamen kaum weibliche Namen vor, und normalerweise gab es in diesen Kreisen nur weiße Gesichter, die in heterosexuellen Welten lebten.

Taylor ließ Veras Predigt widerwillig über sich ergehen und sprach nicht mehr darüber. Und so machte sie das immer wieder.

Aber jetzt war endlich Schluss damit.

Mr. Wade lachte laut auf. „Schwein im Anzug? Der ist gut.“

„Finden Sie das etwa witzig?“, fragte Taylor scharf. „Sie kommen hierher und beleidigen diese Frau, weil Sie glauben, dass Sie sich alles erlauben können. Weil Sie sich irgendwie für allmächtig halten und denken, dass Sie das Recht haben, auf allen herumzutrampeln, von denen Sie meinen, dass sie unter Ihnen stehen. Aber wenn man Ihnen Ihr Vermögen wegnimmt und den Anzug“, sie gestikulierte wild mit der Hand, „und das gut aussehende Gesicht – dann sind Sie kein bisschen anders als wir anderen, Freundchen. Eines schönen Tages werden Sie sterben! Ja, genau. Sterben. Genau wie wir alle.“

Vera war neben sie getreten und versuchte, Taylor aus der Tür zu bugsieren, indem sie sie am Arm zog.

„Sie haben völlig recht, Miss Reed“, sagte Bennett langsam und in übertrieben herablassendem Ton. „Ich werde sterben. Genau wie Sie. Aber wenn ich gehen muss, dann hinterlasse ich die Ergebnisse meiner harten Arbeit. Leute wie Sie hingegen werden feststellen, dass sie sich ihr Leben lang immer nur durchgewurstelt haben, während sie sich gleichzeitig beschweren und mit dem Finger auf andere zeigen, um ihnen zu sagen, was sie alles falsch machen. Und dann werden Sie merken, dass Sie gar nichts anderes gemacht haben. Sie sind einer von diesen Hunden, die bellen, aber nicht beißen. Wenn Ihnen die Welt nicht gefällt, in der wir leben, dann steigen Sie doch von Ihrem hohen Ross herunter und tun Sie was dagegen.“ Mr. Wade erhob sich. Die Belustigung stand ihm unverhohlen in sein attraktives, herablassendes Gesicht geschrieben. „Also gut, wenn Sie mich bitte entschuldigen würden; ich muss jetzt Golf spielen. Ich bin ohnehin nur hier, weil ich die Reise von der Steuer absetzen kann. Ich verdiene mein Geld damit, Leute zu feuern und sie durch Maschinen zu ersetzen, nicht damit, sie einzustellen. Ich fürchte also, ich habe keine Verwendung für Ihre Dienste.“

Oh. Mein. Gott! Was für ein schrecklicher, widerlicher Kerl! Taylor sah Mr. Wade hinterher, der zur Tür hinausging, und überlegte, ob sie ihm nachlaufen und ihn vor dem Fahrstuhl abfangen sollte, um ihm seine strahlend weißen Zähne einzuschlagen.

„In mein Büro, Taylor. Sofort“, zischte Vera.

Taylor sah niemanden an, während Vera den Konferenzraum verließ. Ihr war sowieso klar, was ihre Chefin ihr zu sagen hatte: „Der Kunde hat immer recht, auch wenn er sich irrt.“ Für Vera bedeutete das, dass man es hinzunehmen hatte, wenn einen jemand wie Bennett Wade in aller Öffentlichkeit demütigte. Das war einfach nicht in Ordnung. Aber Vera war geschieden und musste ganz allein für ihre zwei Kinder aufkommen, die aufs College gingen. Natürlich sah sie die Sache anders als Taylor.

Taylors Team verließ schweigend den Konferenzraum. Sie blieb noch einen Moment stehen, stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch und ließ den Kopf hängen. Bennett Wades irritierende, schonungslose Rede hallte in ihrem Kopf wider. Scheiße. Scheiße! Eigentlich hat er recht. Es macht keinen Sinn, sich nur zu beschweren. Sie schlug mit einer Faust auf den Tisch. Dieser selbstgefällige Arsch hatte ihr eine Wahrheit an den Kopf geknallt, die höllisch schmerzte. Aber es war auch nicht klug, sie zu ignorieren, nur weil der Mensch, der ihr diese Botschaft überbracht hatte, ein unsensibler Mistkerl war.

Taylor ging nicht zu Vera ins Büro, sondern machte sich auf den Weg zum Fahrstuhl und dann in ihr eigenes Büro im zehnten Stock. Sie zerrte ihre Sporttasche aus der untersten Schreibtischschublade und steckte das gerahmte Foto hinein, das sie und ihre besten Freundinnen Holly und Sarah zeigte, wie sie in Vegas Cocktails tranken. Die beiden würden vollkommen ausflippen, wenn sie ihnen von diesem Arschloch von Kunden erzählte. Ganz sicher fanden sie es richtig, dass sie ihm die Stirn geboten hatte.

Dann griff Taylor nach dem anderen Foto, das ihre drei Brüder und ihren Vater am Fuß des Grand Canyon zeigte, und seufzte. Die vier würden ihr die Hölle heißmachen, weil sie einen festen, gut bezahlten Job aufgegeben hatte. Genau wie damals im College, als sie das Volleyballteam verlassen wollte, weil ihr die Zeit zum Lernen fehlte. Sie fanden damals, dass sie aufgegeben hätte. Sie fand, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Aber die Männer in ihrer Familie hielten sich streng an das Motto „Augen zu und durch“ und „‘ohne Fleiß kein Preis“. Deswegen waren sie zu ihr immer extrastreng – sie war der jüngste und schwächste „Bruder“. Nur dass sie ein Mädchen war und nicht andauernd nur mit sich selbst beschäftigt, sodass sie die Dinge ein winzig kleines bisschen anders sah.

Aber es ist mein Leben, nicht ihres, und man lebt nur ein Mal.

Sie stopfte das Foto in ihre Tasche, sah sich noch ein letztes Mal in ihrem großen Büro um und schloss die Tür hinter sich.

2. KAPITEL

Heute

Taylor stand im Regen und wusste nicht, ob sie lieber fauchen, schreien oder weinen sollte. Sie konnte einfach nicht glauben, dass ausgerechnet Bennett Wade dort drüben in einer Stretch-Limousine saß und sie mit seinen eiskalten hellblauen Augen anstarrte. Dieser Kerl – dieses Ungeheuer in Menschengestalt – war jetzt wirklich der Letzte, mit dem sie reden wollte. Es war so schon schlimm genug, dass sie gerade ganz unten angekommen war. Da konnte sie ihn nicht auch noch als Zuschauer dieser großen, hässlichen, zermürbenden Veranstaltung gebrauchen.

„Steigen Sie ein“, sagte er schließlich und brach damit das lange Schweigen.

„Was wollen Sie denn in Seattle?“, fragte sie wütend.

„Steigen. Sie. Ein“, knurrte er.

„Ich arbeite nicht für Sie und selbst wenn, dürften Sie trotzdem nicht so mit mir sprechen. Schönes Leben noch, Mr. Wade.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging, dem Verkehr entgegen, den Bürgersteig entlang. Ein paar Blocks weiter war ein Hotel. Dort würde sie vielleicht endlich ein Taxi …

„Miss Reed.“ Jemand hielt sie am Arm fest, und als sie sich umdrehte, sah sie zu Bennett Wade auf, der sie aus seinen fast durchscheinenden Augen mit einem merkwürdigen Blick ansah – Verachtung gepaart mit … sie war sich nicht sicher, aber sie hatte dabei ein flaues Gefühl im Magen.

„Was wollen Sie von mir?“, fauchte sie.

Verdammt, ist der groß – eins neunzig oder sogar noch größer? Sie war gerade mal eins siebzig. Wenn er sie einschüchtern wollte, war er also eindeutig im Vorteil.

„Es regnet“, sagte er. „Ich nehme Sie mit. Ich muss mit Ihnen reden.“ Für einen Augenblick sah er ihren Mund an, dann breitete sich ein einnehmendes Lächeln auf seinem Gesicht aus. Jedenfalls wäre es einnehmend gewesen, wenn es nicht so einstudiert gewirkt hätte – und sicherlich überhaupt nicht ernst gemeint war. Dennoch konnte sie nicht umhin zu bemerken, dass seine Lippen plötzlich sinnlicher wirkten, wenn er nicht gerade dabei war, verbal Amok zu laufen.

„Und worüber sollten Sie und ich bitte schön reden?“, fragte sie.

„Zum Beispiel über fünfzigtausend Dollar.“

Sie blinzelte verwirrt.

„Das dürfte das Doppelte Ihres augenblicklichen Honorars sein, oder?“, fügte er hinzu.

„Aber – wie? – Warum?“ Ihre neue Firma, HumanitE, bot ihren Kunden individuell abgestimmte Seminare für Führungskräfte an. Sie hatten das Ziel, den Firmengewinn zu verbessern, indem mithilfe von menschenbezogenen Führungsstrategien die Fluktuationsrate gesenkt wurde. „Wir versorgen Führungskräfte mit Humanität.“ Mit anderen Worten: „Behandele deine Leute nicht wie ein Arschloch, dann verdienst du auch mehr Geld!“ Das konnte sie nur leider nicht als Werbeslogan benutzen. Außerdem hatte sie natürlich immer noch keine Kunden. Deshalb überlegte sie inzwischen ernsthaft, ob ihr Plan wirklich so gut war, wie sie zu Anfang gedacht hatte. Vielleicht war sie auch einfach keine so gute Verkäuferin, wie sie glaubte. Wie auch immer, jetzt war die Frage, warum Bennett Wade sie für ein Seminar buchen wollte.

„Das kann unmöglich Ihr Ernst sein“, sagte sie.

Sein Lächeln erlosch, und sein Gesicht wurde wieder genauso mürrisch wie vorher. „Ich stehe hier im strömenden Regen, versaue mir dabei ein sehr teures Wollsakko, und außerdem bin ich für eine wichtige Telefonkonferenz zu spät dran. Fragen Sie mich noch einmal, ob ich es verdammt noch mal ernst meine.“

Was zur Hölle glaubt der Kerl, wer er ist, dass er so mit mir reden kann?

„Dann sind Sie bei mir an der völlig falschen Adresse. Moment. Entschuldigung.“ Sie lachte und riss sich von ihm los. „Sie sind verdammt noch mal an der falschen Adresse.“ Sie drehte eine Pirouette auf ihren Absätzen und ging weiter.

Dieses Mal kam Bennett Wade ihr nicht hinterher, und sie drehte sich auch nicht noch einmal nach ihm um. Aber irgendwie hatte sie trotzdem das Gefühl, dass sie ihn noch nicht wieder los war. Männer wie Bennett Wade ließen sich von einem einfachen Nein kaum abhalten. Wenn überhaupt, machte ein Nein sie noch hartnäckiger.

Scheiß drauf. Komm bloß her, dachte sie, aber sie war sich darüber im Klaren, dass der Stolz aus ihr sprach. Der weniger egozentrische Teil von ihr brüllte gerade wie eine Sechsjährige vor dem Süßigkeitenregal im Supermarkt: „Fünfzigtausend Dollar! Was ist bloß los mit dir? Komm schon. Komm schon. Können wir uns nicht zumindest anhören, was er zu sagen hat? Biiiitte?“

Taylor verschwendete keinen weiteren Gedanken an solche Oberflächlichkeiten und machte sich auf den Weg zum Hotel, um ein Taxi zu suchen.

„Taylor Reed?“

Taylor hob den Blick. Sie saß im überfüllten Terminal von Southwest Airlines und hatte gerade zum ersten Mal von ihrem vegetarischen Sandwich abgebissen. Dabei dachte sie darüber nach, ob sie heute die Quittung für alle Sünden bekam, die sie je in ihrem Leben begangen hatte. Reichte es nicht aus, dass sie abgelehnt worden war, kurz vor der Pleite stand und den widerlichen Bennett Wade getroffen hatte? Offenbar nein, denn sie hatte zu allem Überfluss auch noch ihren Flug verpasst, und vor acht Uhr abends gab es keinen freien Platz mehr in einer Maschine. Jetzt war es gerade halb ein Uhr mittags.

Und jetzt auch noch das?

Schnell kaute sie und schluckte den Bissen herunter. „Ja, Officer?“

Der breit gebaute Afroamerikaner mit dem riesigen Bizeps, der vor ihr stand, sagte in das Funkgerät, das an einer seiner Schulterklappen befestigt war: „Ich hab sie.“ Dann sah er auf Taylor hinab. „Kommen Sie bitte mit.“

„Was ist denn los?“, fragte sie. Die anderen Passagiere im Terminal dachten wahrscheinlich, dass sie eine Bombe an Bord schmuggeln wollte oder irgendetwas in der Art, denn sie rückten von ihr ab, so weit sie konnten. Eine Mutter riss ihr Baby an sich und lief weg, den Kinderwagen ließ sie stehen.

„Das kann einfach nicht sein“, sagte Taylor zu sich selbst. Sie sah zu dem Beamten auf. „Was hab ich denn getan?“

„Ma’am, ich soll Sie nur zu Ihrem Flieger bringen.“

Für den Bruchteil einer Sekunde war Taylor erleichtert. Erst dann fiel ihr auf, wie seltsam das klang. „Welcher Flieger? Mein Flug geht erst in über sieben Stunden.“

Und seit wann begleitet einen die Flughafenpolizei persönlich zum Abflug?

Der Beamte sah sie an, als stünde er kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Da kam ein anderer Polizist dazu – er war groß, dünn und trug das blonde Haar millimeterkurz geschnitten.

Na toll, jetzt sind sie schon zu zweit. Das ist jetzt echt peinlich.

„Ist sie das?“, fragte der zweite Beamte.

Der erste Mann nickte und griff nach ihrem Rollkoffer. Der zweite Mann nahm ihre Handtasche, die auf dem Boden stand, und sagte: „Beeilen Sie sich“, ehe er losging.

„Warten Sie!“ Taylor sprang von ihrem Sitz auf – das Sandwich hielt sie dabei noch immer in der Hand. „Wo wollen Sie denn mit meinen Sachen hin?“

Die beiden Beamten achteten nicht weiter auf sie und gingen mit schnellen Schritten den Gang entlang. Sie hatte keine Wahl, sie musste ihnen folgen. Sie hatten alle ihre Sachen mitgenommen – ihre Brieftasche, ihre Bordkarte und sogar ihr Handy.

Sie warf das angebissene Sandwich in einen Mülleimer und rannte den beiden hinterher. Sie schäumte vor Wut. „Entschuldigung. Würden Sie bitte stehen bleiben?“

„Dafür ist keine Zeit. Mr. Wades Maschine startet gleich“, sagte der afroamerikanische Beamte.

„Mr. Wade?“ Vor Schreck blieb ihr der Mund offen stehen.

Vor einer verschlossenen Tür am Ende des Ganges blieben die Beamten stehen, und der Blonde machte sich daran, einen Sicherheitscode in das Tastenfeld neben der Tür einzutippen.

„Nach Ihnen“, sagte Blondie, als die Tür aufschnappte.

Taylor wollte gerade zu einem Wutausbruch ansetzen, aber da fiel ihr zum Glück wieder ein, dass es nicht die allerbeste Idee war, zwei Flughafenpolizisten anzuschreien. „Sie haben nicht vor, mir meine Sachen zurückzugeben, oder?“

Die beiden Männer starrten sie mit ausdruckslosen Gesichtern an.

„Ich vermute, das heißt Nein.“ Taylor seufzte. „Also schön. Ich regle das mit Mr. Wade persönlich.“

Sie folgte den beiden Männern eine Treppe hinunter und aus dem Gebäude hinaus, wo schon ein Polizeiwagen auf sie wartete. Sie hatte wirklich keine Ahnung, was für ein Spiel Bennett Wade mit ihr spielte, aber jetzt war er zu weit gegangen.

Als der Einsatzwagen neben einem schnittigen, weiß glänzenden Flugzeug stehen blieb, neben das man eine mobile Treppe gerollt hatte, lief Taylor direkt darauf zu, ohne sich darum zu kümmern, dass es immer noch in Strömen regnete. Als sie die Stufen hinaufgestiegen war, war ihr Haar schon wieder tropfnass.

„Ah, Miss Reed. Da sind Sie ja.“ Die rothaarige Flugbegleiterin, die vor ihr stand, trug ein marineblaues Kostüm und hatte ihr Haar zu einem akkuraten Knoten aufgesteckt. Sie hielt Taylor ein Handtuch hin und griff eilig nach ihren Taschen, die Blondie ihr hinhielt. Er war ihr dicht gefolgt.

Taylor tupfte sich das Regenwasser aus dem Gesicht und sah sich in der elegant eingerichteten Kabine um. Sie erblickte fünf Reihen schwarze Ledersitze, jeweils zwei nebeneinander, und am Heck befand sich eine Tür, die so aussah, als führe sie zur Toilette oder einer Abstellkammer. Von Bennett Wade jedoch keine Spur.

„Wo ist Mr. Wade?“, fragte Taylor die Flugbegleiterin, die gerade dabei war, die Tür des Flugzeugs zu schließen. „Warten Sie!“ Taylor streckte die Hand nach ihr aus. „Machen Sie die nicht zu!“

Die Flugbegleiterin sah sie an und verzog dabei ihre rot geschminkten Lippen. „Wie bitte, Liebes?“, fragte sie mit einem leichten Südstaatenakzent.

„Ich fliege nicht mit diesem Ding. Wo zur Hölle ist Mr. Wade?“

Ihrem Gesichtsausdruck nach war diese Frage der Frau unangenehm. „Sie fliegen nicht?“

„Ich denke überhaupt nicht daran. Ich bin nur hier, um Mr. Wade zu sagen …“ Das Flugzeug setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, sodass Taylor fast die Balance verloren hätte.

„Ich fürchte, dafür ist es jetzt zu spät“, sagte die Flugbegleiterin und wirkte dabei besorgt. „Wenn die Maschine einmal rollt, kann ich die Tür ohne Genehmigung des Kapitäns nicht wieder öffnen. Na ja, und die Maschine muss natürlich zuerst wieder anhalten.“

Ich glaube das einfach nicht. Ich fliege nicht mit diesem Ding!

„Ich will sofort mit dem Kapitän sprechen.“ Taylor streckte die Hand nach der Cockpittür aus, doch die war verschlossen.

Zur gleichen Zeit hob die Flugbegleiterin den Telefonhörer neben der Tür ab und drückte einen kleinen Knopf. „Kapitän, die junge Frau möchte mit Ihnen sprechen. Sie sagt, sie will nicht mit uns fliegen.“ Die Flugbegleiterin hörte einen Augenblick lang schweigend zu. „Ja. Alles klar. Das sage ich ihr.“ Sie legte den Hörer wieder auf. „Es tut mir außerordentlich leid, Ma’am, aber der Kapitän sagt, wir müssen uns an den Flugplan halten. Sie sollten sich hinsetzen.“

Was für ein totales Arschlo… Taylor schnappte nach Luft. „Warten Sie. Mr. Wade fliegt die verdammte Maschine, oder?“

Die Flugbegleiterin lächelte. „Natürlich. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Liebes, er ist ein sehr guter Pilot. Der beste. Ich fliege immer mit ihm.“ Sie zwinkerte ihr zu.

Was sollte dieses Zwinkern bedeuten? War sie seine Freundin? Schliefen die beiden miteinander? Oder war das einfach nur eine von diesen freundlichen Gesten, von denen es in den Südstaaten so viele gab und von denen ihre unbeschwerte Atmosphäre lebte?

Wen interessiert das!

„Das können Sie nicht machen“, protestierte Taylor. „Sie können mich nicht entführen und nach … nach … wo fliegt dieses Ding überhaupt hin?“

Die Frau lächelte immer noch höflich. Hörte sie damit auch irgendwann wieder auf? „San Francisco.“

„Schön. Sie können mich nicht einfach so gegen meinen Willen nach San Francisco bringen.“ Welch Ironie, dass das Ziel ausgerechnet ihre Heimatstadt war, in der sie aber nicht mehr wohnte. Aber egal wie, das hier war eine Entführung!

„Oh. Machen Sie sich bitte keine Sorgen. Ich habe schon einen Anschlussflug nach Phoenix für Sie gebucht. Mr. Wade hätte sie sonst auch ganz bis nach Hause gebracht, aber er hat eine frühe Verabredung zum Abendessen in San Francisco. Sie wollten doch nach Phoenix, oder nicht?“

„Darum geht es hier überhaupt nicht. Ich will sofort …“

Eine kleine Glocke fing an zu klingeln. „Bitte setzen Sie sich, Miss Reed. Wir starten gleich.“ Die Flugbegleiterin ging an ihr vorbei, setzte sich selbst in die erste Reihe und schnallte sich an.

„Ich glaube das einfach nicht. Im Ernst. Geht nicht. Kann ich nicht glauben.“ Taylor setzte sich auf die andere Seite vom Gang. Währenddessen schoss ihr durch den Kopf, was sie diesem Arschloch Bennett Wade alles sagen wollte, sobald sie ihn sah, angefangen damit, wie absurd unsensibel er war.

Vorhersehbar nicht zu vergessen! Ja, sie hatte recht behalten, er konnte ein „Nein“ einfach nicht als Antwort akzeptieren. Und das hier war ein Paradebeispiel für die Panzertaktik, für die Mr. Wade berüchtigt war. War ihm überhaupt nicht klar, dass er sich nichts als persönliche Feindschaften einhandelte, wenn er Menschen in solche Zwangslagen brachte? Genau das war eine der Vorgehensweisen, gegen die sich ihr Seminarprogramm richtete. Angestellte wünschten sich Führungskräfte, von denen sie als Individuen respektiert wurden und die versuchten, sie zu verstehen, aber auch ein gutes Vorbild waren. Das war der Schlüssel zum Erfolg in einem Betrieb. Man musste die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Leute taten, was sie konnten, anstatt sie zum Gehorsam zu zwingen. Zusammenarbeiten statt Befehle zu befolgen. Aber ein Mann wie Wade konnte das niemals verstehen.

Er will mich engagieren, um ihn zu schulen? Was für ein verfluchter Witz! Der kommt doch über Lektion eins nicht hinaus.

Sie wühlte in ihrer Handtasche nach einem Päckchen Kaugummi, steckte sich eines in den Mund und bereitete sich auf den Start vor.

Kurze Zeit später war der kleine Jet in der Luft, und die Schnauze senkte sich. Die Flugbegleiterin öffnete die Schnalle an ihrem Gurt, stand auf und ging sofort zum Telefon hinüber. „Hallo, Sir, ich wollte nur kurz fragen, ob Sie im Cockpit irgendetwas brauchen.“

Wie wäre es mit einem Tritt in den Allerwertesten? dachte Taylor. Den liefere ich versandkostenfrei.

Die Flugbegleiterin schwieg und hörte zu. „Ja, Sir. Ich sage es ihr.“

„Was ist jetzt wieder? Hat er befohlen, dass ich mit dem Fallschirm abspringen soll?“, sagte Taylor. War das so abwegig? Der Kerl hatte sie schließlich nicht mehr alle.

„Nein, Dummchen. Die Tür lässt sich während des Fluges nicht öffnen. Deswegen benutzt Mr. Wade die Cessna, wenn er fallschirmspringen will. Das hier ist eine Grayson-500, die nimmt er nur für kürzere Geschäftsreisen.“

„Das war ja klar, dass er ein Flugzeug hat, nur damit er fallschirmspringen kann. Warum auch nicht?“, sagte Taylor zu sich selbst, aber laut genug, dass man es hören konnte.

„Und für internationale Flüge hat er noch eine andere Maschine – da braucht man größere Triebwerke.“ Die Frau zog ihre Stupsnase kraus. „Übrigens heiße ich Candy, Liebes. Möchten Sie vielleicht etwas trinken?“

„Nein, vielen Dank, Candy, ich brauche gerade nichts.“

Candy zuckte mit den Schultern und holte eine Schürze aus einem Schrankfach. „Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie es sich anders überlegen – ach ja, Mr. Wade lässt ausrichten, dass er gleich bei Ihnen ist.“

Ich kann es kaum erwarten. Im Geiste rieb sich Taylor vor Rachedurst die Hände.

Candy wandte sich jetzt dem Kaffeekochen zu und stellte das Geschirr dazu auf ein Tablett. Wenige Minuten später erfüllte der köstliche Duft von schweren, nussigen Javabohnen die Kabine. Taylor sog ihn tief ein.

Nein. Du willst seinen gottverdammten Kaffee nicht. Sonst denkt er bloß, dass er gewonnen hat. Was eigentlich gewonnen? Das war Taylor nicht richtig klar, aber sie hatte ganz bestimmt nicht vor, sich in ihrem Sitz zurückzulehnen und es sich in seinem großen, schicken, bescheuerten Flugzeug bequem zu machen.

Nur wenige Minuten später klopfte Candy an die Cockpit-Tür. Sie trug ein Tablett und eine Kaffeekanne vor sich her. Die Tür wurde aufgestoßen, und Bennett Wades imposante Gestalt erschien in dem geöffneten Durchgang. Sofort erfasste er mit seinen durchdringenden blauen Augen Taylors Gesicht. Er hatte sich das Sakko ausgezogen und trug nur noch ein weißes Hemd mit Button-down-Kragen und dazu eine schwarze Hose, die so gut geschnitten war, dass seine muskulösen Oberschenkel besonders vorteilhaft zur Geltung kamen. Taylor gab sich große Mühe, auszublenden, wie attraktiv sie ihn fand.

Er kam in die kleine Bordküche, damit Candy an ihm vorbeigehen konnte. Sie warf einen nervösen Blick auf seinen Hinterkopf und schloss dann die Tür hinter sich.

„Und wer fliegt jetzt?“, fragte Taylor.

Bennett lächelte. Genau dieses herablassende Grinsen war es, das Taylor inzwischen verabscheute. „Mein Pilot, Frank. Wer denn sonst?“

Scheißegal. Aber jetzt, wo wir das geklärt haben … Taylor öffnete ihren Gurt und stand auf. „Sie sind verdammt dreist. Was zur Hölle glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?“

Sein herablassendes Lächeln ging in einen selbstgefälligen Ausdruck über. Glaubte der Kerl etwa, dass er gerade irgendeinen gigantischen Sieg errungen hatte?

„Ich glaube, dass ich ein Mensch bin, der immer bekommt, was er will. So oder so.“ Er verschränkte die gut definierten Arme vor der Brust und lehnte sich seitwärts gegen den Türrahmen, sodass er eine Barriere zwischen Kabine und Bordküche bildete. Weil er so groß war, musste er dabei sogar den Kopf ein wenig einziehen.

„Von mir bekommen Sie jedenfalls gar nichts“, sagte sie scharf. „Jetzt nicht und sonst erst recht nicht.“

Sein Lächeln wich einem eisigen Gesichtsausdruck, bei dem Taylor plötzlich jeden Millimeter ihrer Hautoberfläche zu spüren glaubte. Sie wurde sich jedes einzelnen Atemzuges bewusst, den sie machte. Dieser Mann wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste, und er hatte eine besondere Gabe dafür, einen einzuschüchtern.

„Ich wollte mit Ihnen reden, oder? Ich glaube, das habe ich erreicht“, sagte er spöttisch.

Taylor presste die Lippen zusammen.

Er ließ die Arme sinken und runzelte die Stirn. „Ich habe gesagt, dass ich mit Ihnen reden wollte, nicht andersherum. Von mir aus können Sie mich also anschweigen, so viel Sie wollen. Wahrscheinlich ist das ohnehin für uns beide am einfachsten.“

Warum musste dieser Kerl mit jedem Wort, das er sagte, seine Dominanz zur Schau stellen? „Sie hatten nicht das Recht, mich aus dem Terminal zerren zu lassen und in dieses Flugzeug zu stecken.“

„Ich habe Ihnen damit einen Gefallen getan“, sagte er gelassen. Seine Stimme war tief und samtig, und sein Tonfall triefte nur so von seinem widerlichen, nervtötenden Selbstvertrauen.

„Einen Gefallen? Haben Sie irgendeine Vorstellung davon, wie erniedrigend das war? Das ganze Terminal hat gedacht, dass ich irgendeine durchgeknallte Terroristin bin, die gerade verhaftet wird.“

„Sie hätten sieben Stunden auf Ihren Flug warten müssen, und ich habe Jim und Stan nur darum gebeten, Sie zu fragen, ob Sie mitfliegen wollen.“

„Die beiden haben mir keine Wahl gelassen“, knurrte sie.

„Vielleicht lag das daran, dass ich ihnen wirklich gute Plätze für den Super Bowl versprochen habe, falls sie es schaffen, Sie zu überreden.“

Taylor schüttelte den Kopf. „Sie sind echt richtig unmöglich.“

„Das hat man mir schon öfter gesagt.“

Taylor blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen. Zu gern hätte sie ihm jetzt einen Tritt verpasst. Einen richtig harten Tritt. In seine Weichteile.

Er zeigte mit einer Hand auf den Sitz hinter ihr und ließ sich selbst auf dem anderen nieder. „Aber wenn Sie jetzt schon mal hier sind, warum nehmen Sie sich nicht zehn Minuten Zeit und hören sich an, was ich zu sagen habe?“

„Habe ich denn eine andere Wahl?“ Sie sah auf ihn hinab und wartete darauf, dass er sagte …

„Nein.“

Welch Überraschung. Aber gut. Schön. Zumindest blieb ihr noch die Genugtuung, sein Gesicht zu sehen, wenn sie sein Angebot ablehnte. Schon wieder. Sie hatte keine Angst vor ihm. Okay, vielleicht ein kleines bisschen, aber nicht genug, damit er sie wie ein Bulldozer plattwalzen konnte.

Freundchen, ich bin keiner von deinen Sandkästen.

„Na gut.“ Taylor setzte sich neben Mr. Wade in die erste Reihe, aber auf die andere Seite des Ganges. Dann drehte sie sich zu ihm um. „Reden Sie.“

Er streckte seine langen, muskulösen Beine im Gang aus und rieb sich übers Gesicht. Dabei ächzte er tief und kehlig.

Bei diesem rauen, männlichen Laut tauchte auf einmal ein sehr erotisches Bild vor ihrem inneren Auge auf – sie sah Bennett Wade ganz genau vor sich, wie er sich selbst befriedigte, mit seinem großen Schwanz in der Hand, und dabei mit dieser Reibeisenstimme stöhnte.

Heilige Scheiße. Was ist denn jetzt los mit mir? Fast waren Taylor ihre ungebetenen und viel zu erotischen Gedanken vor sich selbst peinlich, deshalb verschränkte sie die Arme vor der Brust und wandte den Blick ab. Sie suchte etwas, womit sie sich ablenken konnte. Der Fußboden, die beigefarbene Kabinendecke – oh, schau mal, Zeitschriften!

„Miss Reed?“ Mr. Wade schnippte direkt vor ihrem Gesicht mit den Fingern. „Hören Sie mir überhaupt zu?“

O Scheiße. Hatte er etwa schon angefangen zu reden, während sie sich vorgestellt hatte, wie er nackt mit einem gigantischen Ständer aussah? Mann, das ist echt peinlich.

„Nein, ich war noch damit beschäftigt, darüber nachzudenken, wie ich Ihnen wohl für diesen Gefallen danken kann“, log sie.

Einen Augenblick lang starrte er sie schweigend an. Dann nahm sein Gesicht, das bisher völlig gelassen gewirkt hatte, einen bitteren, finsteren Ausdruck an: Er runzelte die Stirn, presste seine vollen Lippen zusammen und starrte sie an, als ob sie ein dreckiges kleines Insekt wäre, das er nur zu seinem Vergnügen zerquetschen wollte. Im selben Augenblick fiel Taylor auf, dass sich sogar seine Körperhaltung veränderte, wenn er wütend wurde. Plötzlich war seine Wirbelsäule kerzengerade, seine breite Brust pumpte sich auf, und sein Kiefer spannte sich an. Vielleicht war das das ganze Geheimnis seines Einflusses auf andere Menschen: Er benutzte seine Körpergröße, damit sich andere klein fühlten. Wenn dann noch sein eiskalter, unnachgiebiger Blick dazukam und seine tiefe, ehrfurchtgebietende Stimme, hätte sich sogar ein Elitesoldat von den Navy Seals vor Angst in die Hose gemacht.

„Übertreiben Sie es nicht, Miss Reed.“

„Was denn übertreiben?“, fragte sie so harmlos wie möglich.

„Ist Ihnen das Hirn abgesoffen, weil Sie zu lange im Regen herumgestanden haben?“, fragte er.

Schluck. „Nein. Und Ihres?“, gab sie wütend zurück.

„Ich glaube, ich habe mich in Ihnen geirrt.“

„Inwiefern geirrt?“ Was hatte er eigentlich gesagt? Und wie, verdammter Mist, hatte sie das nur überhören können?

„Ich dachte, dass die Frau, die ich in Phoenix kennengelernt habe, Eier hätte. Ich dachte, dass sie vielleicht genau der Typ sein könnte, der eine Herausforderung annimmt.“

„Zufällig liebe ich Herausforderungen“, entgegnete sie mit fester Stimme. „Ich habe nur nicht gehört …“

„Also nehmen Sie mein Jobangebot an?“

„Was? Ganz bestimmt nicht“, sagte sie.

„Haben Sie etwa Schiss? Oder versuchen Sie bloß, mir noch mehr Geld abzuknöpfen?“

Wie kann er so etwas nur sagen! „Nein und nein. Ich interessiere mich überhaupt nicht für Ihr Geld, und ich will nicht mit Ihnen zusammenarbeiten …“

Für mich. Für mich arbeiten“, verbesserte er sie.

„Für Sie auch nicht!“

„Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“, sagte er in vollkommen beherrschtem Ton.

„Weil Sie ein gefühlloser Scheißkerl sind, dem es nur ums Geld geht. Weil ich gesehen habe, wie Sie mit Leuten umgehen. Und seit dem Tag, als ich Sie zum ersten Mal getroffen habe, ist mir aufgegangen, dass Sie mich völlig richtig eingeschätzt haben. Ich war eine von denen, die sich immer nur beschweren, und es war an der Zeit, dass ich Verantwortung übernahm. Ich dachte, das heißt, dass ich meine eigene Firma gründen sollte, um Arschlöchern wie Ihnen dabei zu helfen, sich wie richtige Menschen aufzuführen. Aber inzwischen habe ich eingesehen, dass das nichts weiter als ein schlechter Witz ist, weil Leute wie Sie sich einen Dreck um irgendetwas anderes scheren als sich selbst. Warum sollte ich mir also die Mühe machen, mich in das Leben der Leute einzumischen, die für Sie arbeiten? Damit sorge ich ja bloß dafür, dass Ihre Firma noch mehr Erfolg hat. Verdammt, vielleicht fühlen Sie sich ja sogar besser, wenn Sie sich nicht immer wie ein Scheißkerl benehmen.“

Taylor bemerkte, dass Bennett jetzt nicht mehr die Stirn runzelte. Im Gegenteil, es kam ihr so vor, als ob er ihr tatsächlich zugehört hätte. Als hätte er jedes einzelne Wort verstanden. Und nicht nur das, sondern einer seiner Mundwinkel hatte sich auch noch zu einem kleinen Lächeln verzogen. Einem echten, aufrichtigen Lächeln. Mitten auf seiner Wange unter den hohen Wangenknochen kam dabei eine kleine Falte zum Vorschein. Es war absolut umwerfend, vielleicht das schönste Lächeln, das sie je gesehen hatte.

Jetzt wurde Taylor bewusst, dass sie längst nicht mehr redete und dass sie beide schweigend dasaßen und sich in die Augen sahen. Seine kühlen blauen Augen brannten sich durch sie hindurch und brachten ihr Herz zum Rasen.

„Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt“, fragte er und brach damit das Schweigen, „dass Sie wunderschön sind, wenn Sie den Mund halten?“

Was! Seine Worte brachten sie zurück auf den Boden der Realität. „Hat Ihnen, Bennett, schon einmal jemand gesagt, dass Sie ein aufgeblasenes Arschloch sind?“

„Ja. Und für Sie immer noch Mr. Wade.“

„Nö. Von jetzt an sind Sie Bennett. In meinen Augen ist das angemessener.“

Er knurrte und wollte gerade etwas sagen, als aus der Gegensprechanlage ein ohrenbetäubender Sirenenton kam, der die ganze Kabine erfüllte.

Was zur Hölle? Taylor hielt sich instinktiv an den Armlehnen ihres Sitzes fest.

Candy kam aus dem Cockpit gestürzt und war kreidebleich im Gesicht. „Mr. Wade?“

Taylor sah Bennett an. „Was ist denn los?“

Für eine Sekunde schloss er die Augen und atmete tief durch, als müsse er erst seine Fassung zurückgewinnen. Als er die Augen wieder öffnete, sah er Taylor direkt an. „Bleiben Sie, wo Sie sind. Und schnallen Sie sich an.“ Sein Tonfall verriet, dass das keine leeren Worte waren.

O Scheiße.

Bennett verschwand im Cockpit. Candy setzte sich auf den Platz, auf dem er gerade noch gesessen hatte, und schnallte sich an. „Bestimmt wird alles gut gehen. Wir haben nur ein paar kleine Probleme mit den Triebwerken“, sagte sie aufmunternd und beantwortete damit Taylors Frage, ohne dass sie sie stellen musste.

Aber warum rang Candy dann so schwer nach Atem?

Taylor sah aus dem Fenster und bemerkte, dass es unter der Tragfläche tropfte.

Sie ließen Treibstoff ab.

Oh, mein Gott. Sie sprang aus ihrem Sitz auf und schoss ins Cockpit hinein. Dort sah sie Bennett und einen anderen Mann, der der Kapitän sein musste. Er sprach in das Mikrofon an seinem Kopfhörer. Bennett hatte eine Hand am Steuerknüppel und legte mit der anderen Schalter um. Die beiden Männer wirkten besorgt, aber sehr konzentriert.

Candy war neben sie getreten. „Miss Reed, kommen Sie bitte mit und setzen Sie sich wieder hin. Sie müssen die beiden ihre Arbeit machen lassen.“ Sie versuchte, Taylor hinter sich her zurück in die Kabine zu ziehen, aber die weigerte sich, sich zu bewegen. Taylor sah nur noch das Bild vor sich, wie sie alle vier abstürzten und in einem großen Feuerball in Flammen aufgingen.

„Taylor?“ Bennett hatte sie an den Schultern gepackt und schüttelte sie. Wo war der denn auf einmal hergekommen? „Sie müssen sich wieder hinsetzen.“

Taylor blinzelte und sah zu Bennett auf. Seine dunklen Augenbrauen waren zusammengezogen, aber in seinem Blick lag auch ein beruhigendes Selbstvertrauen.

„Müssen wir sterben?“, fragte sie, und ihre Stimme zitterte dabei nicht weniger als der Rest ihres Körpers.

Er legte ihr seine warme Hand an die Wange, und diese Berührung beruhigte sie sofort. „Ja. Irgendwann. Das haben Sie doch selbst gesagt. Aber wenn Sie sich jetzt wieder hinsetzen, dann werden Frank und ich, so gut wir können, dafür sorgen, dass das nicht heute sein muss.“ In diesem Augenblick klingelte Bennetts Handy. Hatte er wirklich Mozarts Kleine Nachtmusik als Klingelton?

„Das ist meine Mutter. Sagen Sie ihr bitte, dass ich sie liebe?“ Er wühlte in seiner Tasche nach seinem Handy und drückte es Taylor in die Hand.

Taylor nahm das Telefon mit zitternden Händen und blinzelte, als sie ihn ansah.

„Bitte?“ Er verzog seine vollen Lippen zu einem kaum merklichen, aber verführerisch charmanten Lächeln.

„Äh. Sicher. Na gut.“ Taylor ruckte mit dem Kopf, und Bennett schob sie vorsichtig in die Kabine zurück und auf Candy zu, die sie auf ihren Sitz zog und ihr den Sicherheitsgurt anlegte. Dabei vibrierte Bennetts Handy die ganze Zeit in ihrer Hand.

O Scheiße, Scheiße, Scheiße. Er erwartet doch nicht im Ernst von mir, dass ich mich für ihn von seiner Mutter verabschiede? Das war ganz und gar nicht richtig.

Taylor drückte auf den grünen Knopf, um das Gespräch anzunehmen, und hielt das Telefon an ihr Ohr. „Hallo?“

„Robin, Liebes, sind Sie das?“

Wer war denn Robin? Bestimmt eine von seinen Milliarden Freundinnen.

„Äh, nein. Hier ist Taylor.“

„Taylor? Was ist denn mit Robin passiert? Hoffentlich hat Bennett sie nicht vergrault. Ohne sie kann er sich nicht einmal allein den Hintern abwischen.“

Das war Bennetts Mutter?

„Äh, nein, Ma’am. Ich bin nur eine … eine Freundin.“ Das stimmte natürlich nicht. Sie waren keine Freunde, aber was hätte sie denn sonst sagen sollen? Sie konnte doch jetzt nicht anfangen, ihre Feindseligkeiten zu erklären.

„Ach so. Ich verstehe“, sagte die Frau. „Also, lassen Sie meinen Sohn bitte wissen, dass seine Mutter am Telefon ist. Es ist wichtig.“

„Es tut mir leid, Mrs. Wade, aber Bennett ist gerade unabkömmlich.“

„Er kann nicht einmal kurz mit seiner Mutter sprechen? Blödsinn! Sagen Sie ihm, er soll sich sofort ans Telefon bequemen, sonst komme ich und hänge ihn an seinen Genitalien auf, so wahr mir Gott helfe.“

Du lieber Gott. Gehörte Bennetts Mutter etwa zur Mafia? Oder war sie eine Mittelalterenthusiastin mit Spezialgebiet Folter?

„Es … es tut mir leid, Mrs. Wade, aber … er kann wirklich nicht … “ Taylor hörte, wie das Flugzeug ächzte und stotterte. Sie blickte aus dem Fenster und musste feststellen, dass Qualm aus der Turbine aufstieg. Dann sah sie zum Cockpit hinüber, wo Bennett immer noch Schalter umlegte und gleichzeitig rasend schnell ins Mikrofon an seinem Kopfhörer sprach.

Das sieht übel aus. Richtig, richtig übel.

„Was ist los, meine Liebe? Was ist das für ein Lärm? Was geht denn da vor sich?“ Plötzlich klang Mrs. Wades Stimme sehr ängstlich.

Taylor schluckte schwer und schloss die Augen, die sich langsam mit Tränen füllten, während das Flugzeug heftig durchgeschüttelt wurde. „Mrs. Wade, Bennett hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass er Sie liebt und dass Sie die beste Mutter sind, die er sich wünschen könnte.“ Vielleicht hatte Bennett den zweiten Teil nicht gesagt, aber genau das hätte sie ihrer eigenen Mutter gesagt, wäre sie noch am Leben gewesen.

O nein, ich muss meinen Vater anrufen.

„Wo sind Sie denn, meine Liebe?“, fragte Mrs. Wade, deren Stimme jetzt ruhiger klang, die aber offensichtlich immer noch Angst hatte.

„Wir sind in seinem Flugzeug. Ich glaube, irgendwo über Oregon.“

„Taylor, Liebes?“

Taylor wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. „Ja?“

„Machen Sie sich keine Sorgen, Schatz. Mein Bennett wird nicht zulassen, dass Ihnen irgendetwas zustößt. Das verspreche ich Ihnen.“

„Da kommt Qualm aus dem Triebwerk. Er musste Treibstoff ablassen.“

„Jetzt hören Sie mir mal gut zu, junge Dame. Mein Bennett hat fliegen gelernt, als er gerade mal zehn Jahre alt war. Wenn irgendjemand ein Flugzeug landen kann, das einen Schaden hat, dann er. Na gut, und Frank. Vielleicht ist Frank der bessere Pilot. Aber egal wie, Sie sind in den besten Händen, die es gibt. Zum größten Teil.“

Zum größten Teil?

Mrs. Wade redete immer noch: „Und sagen Sie ihm, dass er um sechs zu Hause sein soll. Ich mache einen Hackbraten, das ist sein Lieblingsessen.“

Also war seine Mutter seine wichtige Verabredung zum Abendessen. Das war wirklich süß von ihm.

„Oh“, fuhr sie fort, „und ich muss wissen, ob Robin ihm das Päckchen mit dem Cookie gegeben hat. Es müsste auf seinem Schreibtisch liegen, und es ist wichtig, dass er ihn isst, also den Cookie meine ich, nicht seinen Schreibtisch. Würden Sie ihn darum bitten, dass er das tut, meine Liebe?“

Die Frau war eindeutig verrückt geworden. Sie würden gleich alle sterben, und die Frau redete über Cookies?

„Cookie. Schreibtisch. Verstanden. Ich muss jetzt auflegen“, sagte Taylor.

„Okay, Liebes. Halten Sie den Kopf zwischen Ihren Knien! Und machen Sie sich keine Sorgen!“

Taylor beendete das Gespräch. Anschließend wollte sie die Nummer ihres Vaters wählen, doch ihre Hände zitterten so sehr, dass sie das Handy kaum festhalten konnte.

Plötzlich war Bennett da, kniete sich vor sie und griff nach dem Gerät. „Was wollte sie?“, fragte er und wählte irgendeine Nummer.

„Sie macht einen Hackbraten, und auf Ihrem Schreibtisch liegt ein Cookie.“

Offensichtlich hörte Bennett ihr nicht zu. „Hier. Nehmen Sie das.“ Er drückte ihr das Handy wieder in die Hand.

„Und warum?“

Er knurrte ungeduldig und stopfte das Ding in ihre Hosentasche unter ihren Sitzgurt. „Es hat eine Ortungsfunktion, damit man Sie schneller finden kann, falls irgendetwas … “

„Ich muss meinen Vater anrufen“, platzte sie heraus.

„Dafür haben wir keine Zeit … “

Das Flugzeug sackte ab, und Bennett stolperte rückwärts, sodass er neben der Cockpittür an die Wand geschleudert wurde. Er zuckte vor Schmerzen zusammen und sah dann Candy an. „Haben Sie Ihre Ortung eingeschaltet?“, brüllte er.

Candy nickte. Sie war sehr blass im Gesicht.

„Gut. Passen Sie beide auf Ihre Köpfe auf.“

Candy warf Taylor einen Seitenblick zu. „Machen Sie sich keine Sorgen. Es wird alles gut gehen. Ziehen Sie bloß den Kopf ein.“

Oh, mein Gott. Oh, mein Gott. Taylor fühlte, wie ihr Körper in die Tiefe gerissen wurde und zusammen mit der Maschine auf die Erde zuraste.

„Kopf runter“, kreischte Candy.

Plötzlich verstummte das Ächzen des Triebwerks, und alles war totenstill. Taylor kam sich schwerelos vor, so als ob sie im Weltall treiben würde.

Sie atmete heftig und stoßweise und schloss die Augen. Dabei umklammerte sie so fest, wie sie konnte, die Armlehnen. Sie fielen einfach aus dem Himmel, und das Einzige, was sie hören konnte, war, wie Bennett irgendwo jemanden anschnauzte, dass die Mannschaft bereitstehen sollte. Taylor versuchte, sich innerlich auf das einzustellen, was als Nächstes kommen würde, aber nichts auf der Welt hätte sie auf das schreckliche, ohrenbetäubende Geräusch vorbereiten können, mit dem der Rumpf des Flugzeugs auf dem Boden aufschlug.

3. KAPITEL

Taylor? Können Sie mich hören?“ Taylor fühlte, wie eine warme, raue Hand ihr über die Wange strich. „Sie müssen mir sagen, ob Sie Schmerzen haben.“

Sie wusste, dass sie sich in einem Schockzustand befand, aber mehr als alles andere fürchtete sie sich davor, die Augen zu öffnen und sich das Ausmaß des Schadens anzusehen. Das Flugzeug war ihr egal, aber die Leute, die an Bord gewesen waren, und ihren eigenen Körper wollte sie lieber nicht sehen. Die Maschine war mit dem Rumpf zuerst aufgeschlagen, das berstende Metall hatte geächzt und gequietscht, während sie langsamer wurden und schließlich zum Stehen kamen.

Sie war immer noch angeschnallt und versuchte vorsichtig, ihre Arme und Beine zu beugen, dann die Finger und die Zehen. Sie fühlte nichts Ungewöhnliches.

Langsam öffnete sie die Augen und sah zu Candy hinüber, deren rotes Haar ihr wild um den ganzen Kopf herum abstand.

„Taylor? Hören Sie mich?“ Bennett beugte sich zu ihr hinunter und sah ihr mit seinen ungewöhnlich blauen Augen prüfend ins Gesicht. Taylor bemerkte eine kleine Schnittwunde an seiner Stirn und ein paar Tropfen Blut auf seinem weißen Hemd, aber alles in allem sah er verdammt makellos aus. Sogar sein braunes Haar war nur ganz wenig zerwühlt. Das Innere der Kabine hingegen lag jetzt überall verstreut, und die Einzelteile bedeckten den gesamten Boden des Flugzeugs.

„Geht es allen gut? Geht es Ihnen gut?“, fragte sie, während sie nach Atem rang.

„Ja.“ Bennett lächelte, und dieses Mal war es ein vorbehaltloses, echtes Lächeln. Seine üppigen, männlichen Lippen kräuselten sich in den Mundwinkeln, und es bildete sich ein Grübchen in der Mitte jeder Wange. Und erst diese Augen: Sie waren voll von einem teuflisch triumphierenden Funkeln.

In diesem Moment fiel Taylor eine schmale Narbe direkt unter seiner Unterlippe auf, die diagonal bis zur Spitze seines Kinngrübchens verlief. An dieser Stelle hatte er keine Bartstoppeln, die Wunde musste also ziemlich tief gewesen sein. Sie fragte sich, was für eine Geschichte wohl dahintersteckte. Vielleicht noch ein Flugzeugabsturz? Oder ein Unfall beim Fallschirmspringen?

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