Die Assistentin

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Sie kennt die Geheimnisse der wichtigsten Männer. Und tut alles, um ihnen zu Diensten zu sein. Bis plötzlich ein Mord geschieht. Lane Chandler hat einen ungewöhnlichen Job: Als Concierge bügelt sie die Hemden ihrer Klienten, organisiert Geburtstagspartys und findet den richtigen Therapeuten. Unaufdringlich und diskret, wird Lane schnell zum Liebling der High Society. Bis eines Tages ein Mord geschieht, und Lanes Klienten um ihre wohl gehüteten Geheimnisse fürchten müssen. Plötzlich gerät die hübsche Concierge selbst in Gefahr. Nur ein Mann kann ihr jetzt noch helfen: Rick Bayless, Lanes heimliche Liebe. Und ihr schlimmster Feind …


  • Erscheinungstag 10.12.2012
  • ISBN / Artikelnummer 9783955761691
  • Seitenanzahl 192
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Suzanne Forster

Die Assistentin

Roman

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCH

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Private Concierge

Copyright © 2008 by Suzanne Forster

erschienen bei: Mira Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Titelabbildung: Corbis GmbH, Düsseldorf; Getty Images, München;

pecher und soiron, Köln

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprise S.A., Schweiz

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN eBook 978-3-95576-169-1

www.mira-taschenbuch.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

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PROLOG

Cox, Lucy: Einheit für Jugendkriminalität und Prostitution

Fallnummer: COX022378 15 lapd.juv.dtb

Abgeschlossen: 3. März 1993

Versiegelt per Gerichtsbeschluss: 10. April 1993

Er nahm den Ordner aus dem Aktenschrank und blickte einen Moment nachdenklich auf das Etikett, ehe er ihn öffnete. Vor fünfzehn Jahren hatte er Kopien der Originalakten gemacht und sie bei sich zu Hause versteckt. Er würde sich höchst verdächtig machen, falls man die Unterlagen je bei ihm entdecken sollte. Der Fall war abgeschlossen und die Akte auf Antrag der jugendlichen Straftäterin versiegelt worden. Im Gerichtsgebäude von L.A. ruhte die einzige offizielle Kopie.

Aber er arbeitete nicht mehr für das Gesetz, sondern auf eigene Rechnung.

Er setzte sich an seinen Schreibtisch, öffnete die Akte und sah sich seinen letzten Eintrag an.

23. Februar 1993

Heute, an ihrem achtzehnten Geburtstag, wurde sie entlassen. Gott helfe jenen, die willensschwach sind, vor allem, wenn es Männer sind.

Als er an die Reaktion seines damaligen Vorgesetzten dachte, musste er beinahe lächeln. Für diesen Fall war er heftig unter Beschuss geraten. Sogar so sehr, dass er seine Karriere bei der Polizei beendet hatte. Aber er konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, in der er sich mehr Sorgen um Lucy Cox als um die unvorsichtigen Männer gemacht hatte, die ihren Weg kreuzen könnten.

Doch das war vorbei. Er griff nach dem schwarzen Kugelschreiber, einen von jener Sorte, mit denen er den Akten Notizen hinzugefügt hatte, als er noch beim LAPD gewesen war. Er erwog kurz, dem Fall eine neue Nummer zuzuordnen, entschied dann jedoch, die alte zu behalten. Er war ein Anhänger der Theorie, dass Menschen sich niemals änderten. Wie Laborratten entwickelten sie nur neue Strategien, um zu bekommen, was sie brauchten. Vielleicht war er zynisch, aber er hatte dafür bessere Gründe als die meisten anderen Menschen.

Er drückte auf den Kugelschreiber und machte den ersten neuen Eintrag seit zwölf Jahren. Es ging um sie. Es ging darum, wer sie heute war und warum auch sie sich nicht verändert hatte. Er benutzte seine eigenen Worte und notierte seine Gedanken ungefiltert. Er würde diese Notizen ohnehin zerstören, wenn er getan hatte, was er tun musste. Niemand außer ihm würde diese Akte jemals lesen.

Mittwoch, 9. Oktober, 23:00 Uhr

Sie hat ihren Namen geändert, um ihre kriminelle Vergangenheit zu verbergen. Aber sie hat ihre Vergangenheit nicht hinter sich gelassen. Sie verkauft immer noch das, was jeder will. Sie hat nur einen Weg gefunden, um es auf legalem Weg zu tun.

Er hielt inne. Sein Puls raste. Er nahm es zu persönlich, und das war das Problem. Aber es war eine persönliche Angelegenheit. Er legte den Stift beiseite, unfähig, so schnell zu schreiben, wie Gedanken auf ihn einstürmten. Schon mit fünfzehn, als er sie ins Gefängnis gebracht hatte, hatte sie diese Macht besessen. Seit ihrem achtzehnten Geburtstag war sie frei, und es fiel ihm nicht schwer, sich vorzustellen, dass sie ihre Schritte sorgfältig geplant hatte, einschließlich der Wahl des richtigen Berufes. Einige der angesehensten Männer des Landes zählten zu ihren Kunden.

Es könnte für alle Beteiligten eine wunderbare Sache sein – außer dass Lucys Kunden gerade wie die Fliegen umfielen. Durch Skandale, durch versteckte Anspielungen und jetzt auch noch durch Tod. Und niemand außer ihm schien die Verbindung zu erkennen. Ihre Kunden bewegten sich im Milieu von Macht und Privilegien, weitab von der realen Welt und ihren Regeln. Gab es in ihrer Welt jemanden, der es wagte, die Wahrheit zu sagen? Wenn man derart isoliert lebte, wer kannte einen dann besser als die Friseurin, der persönliche Fitnesstrainer … oder die private Concierge?

1. KAPITEL

Samstag, 5. Oktober

Vier Tage zuvor

Ned Talbert trat so heftig auf die Bremsen, dass sein Alfa Romeo Spider fauchte und die Reifen sich wie die Hufen eines Bullen in den Kies gruben. Das Heck des Sportwagens hob sich leicht, als würde er gleich einen Salto machen, und Neds Knie schlugen gegen das Armaturenbrett.

Kieselsteine spritzten gegen die Windschutzscheibe.

Ned wurde zurückgeschleudert und stöhnte erleichtert auf, als sich das Lenkrad nicht mehr in seine Rippen presste. Erstaunlicherweise war der Airbag nicht aufgegangen. Fast hätte er Rick Bayless’ Blockhütte in den San Gabriel Mountains verpasst.

Das Tor war nicht nur zu, sondern zusätzlich noch mit einem Vorhängeschloss gesichert. Selbst im Dämmerlicht nahm Ned den schwachen metallischen Schimmer wahr, als er sich aus dem Wagen kämpfte. Seine Beine fühlten sich an wie Pudding. Ein Vorhängeschloss? Rick verriegelte das Tor nie. Außerdem war es erst sechs Uhr nachmittags.

Unruhig, ohne sein unanständig teures neues Auto abzuschließen, setzte Ned sich in Bewegung. Das Tor ließ sich nicht öffnen, also kletterte er hinüber, wobei er sich ein Hosenbein an einer Verzierung aufriss. Dann rannte er los wie ein Verrückter; die Hütte war nur dreihundert Meter entfernt.

Bayless musste dort sein.

Ned fühlte sich, als würde er einen Homerun absolvieren, so sehr putschte das Adrenalin ihn auf. Doch dieses Mal würde es ihm nicht gelingen, einen Punkt zu machen. Nicht ohne die Hilfe seines Freundes.

Es wurde bereits dunkel, doch hinter den Hüttenfenstern brannte kein Licht. Ricks Jeep Commander stand in der Einfahrt. Vielleicht machte er ein Nickerchen? Ned nahm die drei Stufen zur Veranda auf einmal und pochte gegen die Holztür. Keine Antwort. Er hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür, die sich mit jedem Hieb verbog. Wie konnte jemand bei diesem Lärm nur schlafen? Er fragte sich, ob Rick vielleicht ein Mädchen bei sich hatte. Das hatte Ned zwar noch nie erlebt, aber es würde gut zu seiner momentanen Pechsträhne passen. Er hasste den Gedanken, die beiden zu stören, doch er hatte keine andere Wahl. Er steckte in der Tinte.

“Rick, bist du da drin?”, rief er.

Ned stieß mit der Schulter gegen die Tür. Sie war verriegelt. Er würde sie eintreten müssen. Zwei Tritte genügten, damit er hineingreifen und den Riegel zur Seite schieben konnte. Im Inneren der Hütte war es dunkel. Ein schwacher Lichtstrahl fiel durch die Tür herein. In dem schwarzen Sessel an der gegenüberliegenden Wand saß ein Mann. Er sah nicht mehr als die Jeans und die nackten Füße; das Gesicht und die Schultern waren im Schatten verborgen. Sonst befand sich niemand in dem Raum.

Die Waffe entdeckte Ned erst, als er Ricks Hände sah. Sie lagen in seinem Schoß und umklammerten einen Colt Python. Rick war früher Polizist gewesen. Er besaß eine Waffe, solange Ned sich erinnern konnte.

Erneut wurden ihm die Beine weich. Sein ganzer Körper fühlte sich taub an.

“Rick, was zum Teufel …” Es war keine Frage, sondern ein verzweifelter Aufschrei. Ned wusste, was hier los war. Er wusste, warum Rick die Waffe in den Händen hielt und was er damit vorhatte. Und er konnte nichts tun, um seinen Freund aufzuhalten.

Ned kannte die ganze verfluchte Geschichte. Es war so sinnlos, dass es Rick Bayless getroffen hatte. Er war noch so jung, vierundvierzig, in der Blüte seines Lebens. Sein Leben lang war Ned auf Rick eifersüchtig gewesen, obwohl Ned der Starathlet gewesen war. Frauen fielen in Ohnmacht – zumindest schienen sie ihren Verstand zu verlieren, sobald sie in Ricks Nähe kamen. Sie liebten diesen Kerl. Doch niemand kam Rick Bayless wirklich nah, nicht einmal Ned. Dabei kannten sie sich schon ewig.

“Bist du dir sicher, Kumpel? Willst du das wirklich? Danach gibt es kein Zurück.”

Neds Stimme erstarb, und Rick blickte auf. Ned konnte das Gesicht seines Freundes nicht erkennen, aber im Schatten bemerkte er die Bewegung und spürte Ricks durchdringenden Blick auf sich. Seine Stimme klang leise und fast überrascht.

“Ned? Was tust du denn hier?”

Ned überlegte noch, ob er ihm die Wahrheit sagen sollte, doch da platzte er auch schon damit heraus: “Ich habe ein Problem, Mann. Es ist echt übel. Ich habe dich schon überall gesucht, auch in deiner Wohnung und bei Duke’s.”

Rick antwortete nicht. Das war kein schlechtes Zeichen, denn immerhin sagte er nicht: “Raus hier!” Oder: “Kümmere dich zur Abwechslung mal selbst um deine Probleme.”

Ned spürte eine leise Hoffnung in sich aufsteigen. Vielleicht konnte er seinen Freund damit ablenken? Rick hatte ihn immer rausgerissen, wenn er Pech hatte, und dieses Mal hatte es ihn wirklich übel erwischt.

“Ich werde erpresst. Ich habe anonyme Anrufe von einem Typen bekommen, der behauptet, ich würde auf sadistischen Hardcore-Sex stehen – mit Peitschen und Ketten und Brandwunden an den Genitalien und so. Er ist krank! Er hat mir ein Bild zugefaxt, Rick. Es sieht aus, als wären es Holly und ich, aber ich schwöre dir, wir sind es nicht. Und jetzt droht er damit, es an die Boulevardpresse zu schicken.”

Neds Kehle brannte wie Feuer und war so trocken, dass er nicht einmal mehr schlucken konnte.

Er wartete auf eine Antwort, und schließlich schüttelte Rick den Kopf.

“Es tut mir leid.”

“Was tut dir leid?”

“Ich wünschte, ich könnte dir helfen.”

Ned fühlte sich, als hätte er einen Schlag gegen den Solarplexus erhalten. Als sei er mit dem Wagen tatsächlich gegen das Tor gerast und hätte sich dabei überschlagen. Er wollte weinen, aber er würde den Teufel tun. Das durfte nicht geschehen! Gott sollte nicht zulassen, dass solche Dinge passierten.

“Rick”, sagte er beschwörend. “Wir haben so viel zusammen durchgestanden. Schließ mich jetzt nicht aus! Was kann ich tun, um dir zu helfen?”

“Du kannst gehen, Ned. Es ist alles in Ordnung. Wirklich.”

Ricks Stimme klang, als gehörte sie nicht mehr ihm, als käme sie aus einer anderen Dimension. Ned starrte die Waffe an und schien den Blick nicht abwenden zu können. Er wartete darauf, dass Rick noch etwas sagte, aber das tat er nicht.

Ricks Finger schlossen sich um die Waffe. Sie war das Einzige, was jetzt noch zählte, das Instrument seiner Befreiung.

“Kannst du damit nicht warten, um einem Freund zu helfen, der ziemlich großen Ärger hat?”, flehte Ned mit krächzender Stimme. “Bist du wirklich fest entschlossen? Bist du wirklich so selbstsüchtig?”

“Leb wohl, Kumpel.”

Ned nickte, aber er konnte nichts sagen. “Ja”, war alles, was er herausbrachte.

Irgendwie schaffte er es mit wackeligen Beinen bis zur Tür. Er verließ das Haus und betete, dass sein Freund wenigstens so lange wartete, bis er außer Hörweite war. Ned würde durchdrehen, wenn er den Schuss hörte. Wenn es sich um jemand anders als Rick gehandelt hätte oder irgendeine andere Situation, dann hätte er ihm die Waffe abgenommen. Aber es gab keine Möglichkeit, seinen besten Freund zu retten. Ihm seinen Willen zu lassen, war das Beste, was er tun konnte. Aber es war verdammt hart.

Ned rannte den gefurchten Weg hinunter. Hier könnte er sich leicht die Beine brechen. Dabei hatte er am Wochenende ein Heimspiel, und morgen musste er zum Training.

Fast musste er lachen. War es nicht verrückt, dass er sich Sorgen um seine Knochen machte, während sein ganzes Leben den Bach herunterging? Alles stand auf dem Spiel, seine Karriere und sein guter Ruf …

Und mein bester Freund hockt da hinten in seiner Hütte mit einer Waffe an seinem Kopf.

In diesem Moment erinnerte Ned sich mit aller Deutlichkeit daran, wie er versucht hatte, Rick das Schwimmen beizubringen. Sie waren beide sechzehn Jahre alt gewesen. Rick hatte eine panische Angst vor Wasser gehabt. Er hatte Ned nie gesagt, woran das lag, aber es war überaus wichtig, dass er schwimmen lernte, denn sie hatten einen Plan: Sobald sie siebzehn waren, wollten sie die Schule schmeißen, zur Army gehen und echte Helden werden. Welchen besseren Weg gab es, dem Drogensumpf, in dem sie aufgewachsen waren, zu entfliehen? Sie würden die Feinde von Freiheit und Demokratie bekämpfen! Himmel, was für Unschuldslämmer waren sie gewesen!

Ned schien Ärger magnetisch anzuziehen, und Rick hatte ihm immer aus der Klemme geholfen. Doch in diesem einen Punkt behielt Ned die Oberhand – Rick hatte Angst vor Wasser und war auf seine Hilfe angewiesen. Was für ein Jammer, dass ihr Plan nicht funktioniert hatte! Selbst wenn Rick gut genug schwimmen gelernt hätte, hätte es nichts genützt: Ned war wegen eines Magengeschwürs untauglich, und Rick wäre niemals ohne ihn zur Army gegangen.

Tränen brannten in seinen Augen, doch aus seinem Mund kam nicht mehr als ein hilfloses Lachen. Rick hatte immer noch eine Heidenangst vor Wasser. Aber niemand konnte an seinem Mut zweifeln, wenn es darum ging, als Polizist in den Straßen von L.A. für Ordnung zu sorgen. Er ging zur Sitte, dem Dezernat, das sich um ausgerissene Jugendliche, Drogen und Prostitution kümmerte. Einmal ließ Rick ein von der Stadt finanziertes Jugendheim auffliegen, in dem die Kids ausgebeutet wurden. Anschließend brachte er die örtlichen Geschäftsleute dazu, in ein neues Heim zu investieren, an das sogar eine Entzugsklinik und eine Berufsschule angeschlossen wurde. Aber niemals war er für sein Engagement öffentlich gelobt worden.

Stattdessen war er häufig mit seinen Vorgesetzten aneinandergeraten. Schließlich, nachdem er einen Sexskandal aufgedeckt hatte, in den mehrere bekannte Geschäftsleute verstrickt waren, hatte Rick dem LAPD den Rücken gekehrt. Aber das war Jahre her. Jetzt betrieb er eine private Sicherheitsfirma und durfte nicht mehr über seine Arbeit reden. Seine Kunden wollten unerkannt bleiben.

Ned erreichte das Tor und hielt inne. Er hoffte bei Gott, dass sein Freund die richtige Entscheidung traf. Und er hoffte, dass er recht daran getan hatte, ihn allein zu lassen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren und so gut es ging mit dem Mist fertig zu werden, den der Himmel über sein Leben ausgekippt hatte. Es war ein dreckiges stinkendes Chaos, und wenn er keinen Weg fände, die Sache aus der Welt zu schaffen, war seine Karriere als Baseballstar beendet.

“Geh voran oder folge, aber steh verdammt noch mal nicht im Weg rum!”, murmelte er. Dieses Zitat von General Patton war ihr Wahlspruch gewesen. Rick und er waren in Downtown Los Angeles aufgewachsen, im Dschungel der Stadt, und oft genug waren diese drei Möglichkeiten ihre einzigen gewesen. Heute blieb Ned nichts anderes übrig, als sich auf den Weg nach Hause zu machen.

Sonntag, 6. Oktober

Drei Tage zuvor

Ginger Sue Harvey begann wie jeden Morgen damit, die Waren in den Regalen des kleinen Lebensmittelgeschäfts geradezurücken und hinter den Kunden herzuräumen. Manche trugen die Lebensmittel tatsächlich durch den ganzen Laden und ließen sie dann irgendwo liegen. Seit Jahren arbeitete Ginger Sue bereits hier, doch jetzt, seit sie zur Managerin ernannt worden war, machte es sie besonders stolz, alles in Ordnung zu halten und den rustikalen Charme der umgebauten Berghütte zu bewahren. Schon vor langer Zeit hatte sie begonnen, die Kunden in zwei Gruppen zu unterteilen: die Zerstörer und die Bewahrer.

Diejenigen, die ihre hübschen Produktständer durcheinanderbrachten oder die Artikel von einem Gang in den anderen trugen, waren ohne Zweifel Zerstörer. Manche ließen sogar offene Kekspackungen oder angebissene Äpfel in den Regalen liegen. Am liebsten würde sie in solchen Fällen die Polizei rufen. Es müsste spezielle Zellen für Leute geben, die erst klauten und die Sachen dann halb aufgegessen liegen ließen. Oft waren die Waren schon halb verschimmelt, ehe Ginger Sue sie entdeckte. Wie arrogant diese Leute waren! Unglaublich!

Doch da sie schlecht jeden Tag die Polizei rufen konnte, strafte sie die Zerstörer, indem sie ihnen neue Produkte vorenthielt. Sie würden nichts von dieser neuen Butter mit schwarzen Oliven abbekommen, oder von den Crackern, die sie später am Tag auslegen würde. Die Bewahrer dagegen überhäufte sie mit ihrer Dankbarkeit und Großzügigkeit. Vielleicht würde sie heute wieder den kleinen Korb mit Geschenken bereitstellen, aus denen sie sich etwas aussuchen durften. Diese Neuerung hatte Ginger Sue eingeführt, als sie Managerin geworden war.

Als sie den Süßigkeitenständer am Kassentresen aufräumte, erblickte sie ihn durch das Fenster. Er legte gerade das Wechselgeld in die Zeitungsbox. Ihr Herz begann, rascher zu schlagen, was ihr peinlich war. Sie hatte gehofft, dass Rick Bayless auftauchte, obwohl er zu den Zerstörern gehörte. Gestern Abend war es besonders schlimm gewesen, als er auf dem Weg zu seiner Hütte ein paar Sachen bei ihr gekauft hatte.

Er hatte ein Vorhängeschloss und zwei Türriegel mitgenommen, dazu einen Stapel Badetücher. Doch viel merkwürdiger war das, was er nicht gekauft hatte. Diesmal gab es keinen überquellenden Einkaufswagen, gefüllt mit Lebensmitteln und Getränken, wie er ihn sonst immer zu ihrer Kasse schob. Man konnte sich kaum vorstellen, dass ein Mann, der nur ein paar Schlösser kaufte, großen Schaden anrichtete, aber Rick war wie in Trance über den Zeitschriftenständer gestolpert. Doch Ginger Sue hatte ihm verziehen. Es war ihm anzusehen gewesen, dass irgendetwas nicht stimmte. Er hatte einen niedergeschlagenen, zermürbten Eindruck gemacht. Die zusammengepressten Zähne hatten wie ein Schutzwall gewirkt, um die Gefühle zurückzuhalten, die aus ihm hevorzubrechen drohten.

Sie hatte ihn gefragt, ob alles in Ordnung sei. Natürlich hatte er Ja gesagt. Er sprach nie viel, aber ein Mann mit diesem unmissverständlich militärischen Auftreten, mit kurz geschorenem sandfarbenen Haar und blassgrünen Augen, brauchte auch nicht viel zu sagen. Frauen liebten schweigsame Männer und reimten sich ihren Teil zusammen.

Auch Ginger Sue dachte sich ihren Teil, seit sie ihn kannte. Vor etwa zwei Jahren hatte er sich die Hütte gekauft und bar bezahlt, wenn man den Gerüchten Glauben schenken konnte. Sie musste nicht zweimal überlegen: Trotz der Narbe auf der Wange und der Scharte in seiner Oberlippe sah er gut aus. Möglicherweise gehörte er sogar zu den Kerlen, die Frauen das Herz brachen. Aber sie glaubte, dass es eher andersherum war. Ärger mit einer Frau könnte sein ruhiges Wesen erklären. Er hatte eine Art, sie mit geneigtem Kopf zu mustern, als wäre er auf der Hut.

Ginger Sue mochte Rick Bayless, obwohl sie nicht genau sagen konnte, warum. Auch sein Freund, dieser Baseballspieler, gefiel ihr. Manchmal kam er hoch zur Hütte, mit einem Mädchen im Schlepptau. Er war höflich und aufmerksam, und seine Liebenswürdigkeit rührte sie. Aber seinen Geschmack, was Frauen anging, billigte Ginger Sue ganz und gar nicht. Das Mädchen, das er beim letzten Mal mitgebracht hatte, war ein bisschen zu auffällig herausgeputzt gewesen, mit den glänzend lackierten Nägeln und dem glitzernden Schmuck. Sogar am Zeh hatte sie einen Ring mit einem kleinen Edelstein getragen! Ginger Sue fand das zu protzig. Diese Frau war doch nur hinter Mr. Talberts Geld her!

Sie wischte ein weiteres Mal mit dem Lappen über den Verkaufstresen, als die Glocke über der Tür klingelte. Bayless kam herein, die Zeitung unter den Arm geklemmt. Es war noch nicht einmal neun Uhr, also war er vermutlich heruntergekommen, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Das machte er oft, wenn er in der Hütte übernachtete. Von dort bis zu ihrem Laden ging man nur zwanzig Minuten zu Fuß.

Als er näher kam, stellte sie fest, dass er unrasiert war und so übernächtigt aussah, als hätte er gestern Abend eine Sauftour gemacht. Sie überlegte, ob er vielleicht um jemanden trauerte, obwohl das vermutlich eine sehr romantische Erklärung war. Mach es nicht so kompliziert, Süße. Wahrscheinlich war er einfach nur verkatert.

“Guten Morgen, Mr. Bayless. Was kann ich für Sie tun?”

“Ich hole mir nur einen Kaffee aus dem Automaten, danke.”

Ginger Sue beobachtete ihn, um herauszufinden, ob seine Hände zitterten, als er den Plastikbecher unter den Zapfen hielt. “Möchten Sie ein Zimtbrötchen?”, fragte sie. “Das passt gut zum Kaffee.” Sie hatte gehört, dass Zimt auf Männer sexuell erregend wirkte. Wer weiß? Vielleicht fühlte er sich dadurch besser.

Als er zu ihr kam, um zu bezahlen, stellte er den Kaffee ab und holte den Geldklipp aus der Tasche. Die Zeitung glitt unter seinem Arm nach unten und fiel auf den Tresen. Während er ihr einen Fünfer hinlegte, drehte Ginger Sue die Zeitung herum und überflog die Schlagzeile: Spitzensportler tot! Freundin mit in den Tod gerissen? Das Farbfoto vom Tatort und ein kleineres Bild mit einem bekannten Gesicht fesselten ihre Aufmerksamkeit.

War das nicht Ned Talbert? Sein Freund, der Baseballstar? “Mr. Bayless, haben Sie das schon gesehen?”

Sie drehte die Zeitung um, sodass er einen Blick darauf werfen konnte. Er hatte gerade einen Schluck von seinem Kaffee genommen. Jetzt gab er einen merkwürdigen erstickten Laut von sich. Offensichtlich hatte er die Schlagzeile noch nicht gelesen. Schwarzer Kaffee spritzte aus dem Becher, als dieser auf dem Tresen aufschlug.

“Oh!” Ginger Sue duckte sich hinter dem Tresen und schützte ihr Gesicht mit dem Arm. Als sie sich wieder aufrichtete, rannte Rick Bayless bereits wie ein Verrückter aus dem Laden. Die Glocke klingelte wild, als er die Tür hinter sich zuschlug.

Ginger Sue begann hastig, den verschütteten Kaffee aufzuwischen, aber die dampfende Flüssigkeit hatte sich bereits überall verteilt. Erst erschreckte dieser Mann sie halb zu Tode und dann diese Bescherung! Der Kaffee hatte bereits einen Stapel mit Fernsehzeitschriften durchweicht, außerdem ein paar Kreditkartenbelege, die sie noch nicht abgeheftet hatte. So ein Benehmen reichte aus, um einem Kunden Hausverbot zu erteilen! Aber im Moment wollte sie einfach nur wissen, was da vor sich ging.

2. KAPITEL

Ricks Magen zog sich vor Furcht zusammen, bis er sich wie ein eiskalter Klumpen anfühlte. Er war nur noch wenige Minuten von Neds Haus in den Pacific Palisades entfernt, und er wusste genau, was er dort finden würde: einen Tatort. So etwas hatte er Millionen Mal gesehen, aber dieses Mal wäre es anders. Die Leiche würde keine leblose Hülle sein, mit der man Mitleid hatte und die anschließend bis zum letzten Detail analysiert wurde. Hier handelte es sich um seinen Freund. Warmherzig, lebendig und menschlich. Ned war wie der lebende, atmende Teil seines Selbst. Aber Rick trug keine Dienstmarke mehr, die ihm die Zuständigkeit über diesen Albtraum übertragen hätte. Anstatt das Kommando zu übernehmen, musste er hilflos danebenstehen und konnte nichts tun.

Seine Fingerknöchel waren weiß, so fest umklammerte er das Lenkrad. Er hatte die Strecke von den Bergen zum Strand in Rekordzeit geschafft, wobei er einen Verkehrspolizisten einfach ignoriert hatte. Seit er die Zeitung gelesen hatte, war die Furcht nicht von ihm gewichen, aber er konnte es einfach nicht glauben. Nicht Ned. Das war unmöglich. Er konnte nicht tot sein. Er war alles, was von ihren albernen Jungsträumen übrig geblieben war.

Rick war losgestürmt und hatte sich auf den Weg gemacht, ohne einen Gedanken an die Konsequenzen zu verschwenden. Doch irgendwann war ihm das Zittern seiner Hände aufgefallen. Es hatte nichts damit zu tun, das er das Steuer fest umklammert hielt. Er kannte den wahren Grund dafür: Sein Freund war tot, und Rick war wahrscheinlich dafür verantwortlich. Wenn er gestern Abend zugehört hätte, anstatt sich in seiner eigenen Verzweiflung zu suhlen, hätte er das Unglück vielleicht verhindern können. Er war schuldig. Er hatte seinen Freund verloren. Und jetzt hatte er nichts und niemanden mehr, an den er sich wenden konnte. Doch seine Hände bebten, und Rick fühlte sich so lebendig wie schon seit Wochen nicht mehr.

Das war nicht richtig, sondern völlig verrückt. Aber jetzt hatte er keine Zeit, um genauer darüber nachzudenken. Seit Tagen, seit Wochen hatte er sich immer wieder selbst analysiert, und das war überhaupt nicht sein Stil. Vielleicht hätte er sich bei allem lebendig gefühlt, was ihn aus diesem Sumpf herauszog. Aber, Gott, warum musste es ausgerechnet das sein?

Ned Talberts Haus im maurischen Stil mit kleinen Türmchen lag an einer zum Meer hin abfallenden Straße. Wie ein Kronjuwel thronte es über den Nachbarvillen, die allesamt Millionen wert waren. Auf den terrassenförmigen Klippen befand sich ein luxuriöses Anwesen neben dem anderen.

Vor dem Haus fuhr Rick an die Seite und hielt den Wagen an, um noch einmal in Ruhe nachzudenken. Das Grundstück war mit gelbem Absperrband gesichert, aber von der Spurensicherung war weit und breit nichts zu sehen. Die Leichen waren gestern Abend gegen elf Uhr entdeckt worden. Offensichtlich hatte die Haushälterin etwas vergessen, war noch einmal zurückgefahren, hatte die Toten entdeckt und die Polizei gerufen.

So wie es aussah, waren der Gerichtsmediziner und die Spurensicherung bereits in der Nacht dagewesen und hatten ihre Arbeit bereits erledigt. Und die Presse ebenso, wie es schien. L.A. konnte sich über einen Mangel an Prominenten wahrlich nicht beklagen; das leere Haus eines toten Spitzensportlers schien nicht interessant genug, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln.

Ein einsamer Polizist, seinem Alter nach wahrscheinlich ein blutiger Anfänger, saß in seinem Wagen und tippte etwas in sein Handy. Vermutlich verschickte er eine SMS oder spielte, obwohl er eigentlich das Tor bewachen sollte. Schlaffe Sicherheitsvorkehrungen waren bei Selbstmorden nicht unüblich; zumindest theoretisch war der Fall ja bereits gelöst, wenn die Polizei eintraf. Und selbst wenn ein Selbstmörder noch eine zweite Person mit in den Tod riss, lagen Opfer und Täter dicht beieinander. Das sparte unglaublich viel Zeit. Die meisten Ermittlungsbeamten waren überarbeitet; ihre Arbeit wurde selten ausreichend anerkannt. Sie konnten dieser Versuchung einfach nicht widerstehen. Besonders, wenn die Beweislage so eindeutig zu sein schien und es sogar einen Abschiedsbrief gab.

Aber Ned hatte bestimmt keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Schreiben war nicht sein Ding. Er konnte ja nicht einmal eine Geburtstagskarte formulieren.

Rick konnte auf einen Blick erkennen, wann die Untersuchung eines Tatorts abgeschlossen und die Leichen abtransportiert waren. In diesem Fall hatte man noch nicht einmal die Laborergebnisse abgewartet. Waren sich die Ermittler bereits so sicher, was geschehen war? Wollte jemand den Fall so rasch wie möglich loswerden?

Oder sollte hier sogar etwas vertuscht werden? Es war vielleicht etwas voreilig, aber Rick konnte diesen Gedanken nicht so einfach beiseiteschieben. Auf dem Weg hierher war ihm siedendheiß eingefallen, was die Polizei vermutlich in Neds Haus finden würde. Er war sich zwar ziemlich sicher, dass die Sache geheim gehalten werden würde; die Informationen könnten gut einen Skandal auslösen. Obwohl sie alt waren – uralt sogar. Vermutlich würden sie deswegen auch nicht mit Neds und Hollys Tod in Verbindung gebracht werden. Aber Rick wurde das Gefühl nicht los, dass es einen Zusammenhang gab. Dass Ned unschuldig in die Geschichte hineingeschlittert war. Irgendjemand wollte ihn und seine Freundin tot sehen.

Ricks ursprünglicher Plan hatte darin bestanden, sich irgendwie in das Haus hineinzuschmuggeln. Mit den meisten Jungs vom West L.A. Police Department hatte er irgendwann mal zusammengearbeitet, als er noch beim LAPD gewesen war. Rick kannte sie alle ziemlich gut; mit manchen war er sogar zu Neds Spielen gegangen. Cops bildeten eine eingeschworene Gemeinschaft. Sie hielten ähnlich fest zusammen wie die Army, und für einen der Ihren ließen sie fünf auch mal gerade sein. Rick wollte nicht mehr, als sich einmal kurz im Haus umzuschauen. Das sollte eigentlich kein Problem sein. Aber den Detective im Wagen kannte er nicht, und sein Gefühl sagte ihm, dass es sich hier nicht um einen Tatort wie jeden anderen handelte.

Sein Nacken war schweißnass. Er musste jetzt handeln, solange der junge Detective noch abgelenkt war. Er setzte seine verspiegelte Sonnenbrille auf, stieg aus dem Auto und schritt zügig auf das Haus zu. Mit dem Schlüssel zu Neds Tür in der Hand bückte er sich unter dem Absperrband und hatte es fast bis zur Veranda geschafft, als er die Stimme des Mannes hinter sich hörte.

“Polizei! Stehen bleiben!”

Rick hielt inne, drehte sich jedoch nicht um.

“Lassen Sie fallen, was Sie in der Hand haben! Fallen lassen!”

Der Haustürschlüssel schlug klappernd auf den Schieferplatten auf und blieb vor der Verandatreppe liegen.

“Hände über den Kopf und umdrehen”, bellte der Detective. “Langsam.”

Rick drehte sich um. Er war sich bewusst, dass der Cop seine Hand am Abzug hatte. “Der Typ, der hier wohnt, ist ein guter Freund von mir”, sagte Rick. “Ich habe gerade erst gehört, was passiert ist. Bitte, ich muss ihn sehen!”

Der Detective blinzelte. Es war die einzige Geste des Bedauerns, wenn überhaupt. “Er ist nicht mehr hier. Die Leichen sind bereits in die Gerichtsmedizin gebracht worden. Wenn sich keine Familienangehörigen finden, wird man eventuell Sie bitten, ihn zu identifizieren.”

Rick wünschte, der Bursche würde an seinen gefühllosen Worten ersticken. Er hatte nicht übel Lust, ihm eine reinzuhauen. Aber er verstand auch, dass manche dieser Jungs aus reinem Selbstschutz kein Mitgefühl zeigten. Wenn sie über jedes Opfer Tränen vergießen würden, könnten sie diesen Job nicht machen. Also beschloss Rick, im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden.

Auf dem Revier war Rick nie zu so viel Gelassenheit in der Lage gewesen. Er hatte sich um alles gekümmert, sich überall eingemischt. Und was hatte ihm das gebracht? Am Ende hatte er auf der Straße gesessen und musste sich einen neuen Job suchen. Im Zorn hatte er alles hingeworfen, kurz bevor man ihn sowieso gefeuert hätte. Er war so unverfroren gewesen, grundsätzliche Vorgehensweisen in Frage zu stellen, doch er bereute es nicht. Ebenso wenig vermisste er die Regeln und den Papierkram.

Der Detective musterte Rick und zog die Augenbrauen hoch. “Sie kommen mir bekannt vor.”

Rick fragte sich, ob er einen Fehler gemacht hatte. An Namen und Gesichter konnte er sich eigentlich ziemlich gut erinnern, aber diesen Burschen konnte er nicht einordnen. Er zuckte die Achseln und behielt seine Brille auf. “Ich wüsste nicht, woher wir uns kennen sollten.”

Dieser Anfänger hätte ihn nach dem Führerschein und den Wagenpapieren fragen sollen, aber er verzichtete darauf, möglicherweise aus Respekt vor der Situation. “Ich schlage vor, Sie gehen zum West L.A. Police Department und sagen denen, wer Sie sind. Vielleicht haben die ein paar Informationen für Sie”, schlug er vor. “Wenn Sie wollen, können Sie morgen zurückkommen. Dann sollte das Absperrband verschwunden sein.”

Rick tat überrascht. “Sie haben bereits entschieden, dass es so war, wie es in der Zeitung steht? Kann es kein Einbruch gewesen sein? Oder ein Überfall oder irgendein anderer mieser Trick? Was, wenn es nur so aussehen sollte, als hätte er sich selbst umgebracht und seine Freundin mit in den Tod gerissen? Vielleicht war es ja ein eifersüchtiger Exliebhaber? Oder ein anderer Baseballspieler, der einen Konkurrenten ausschalten wollte? Der Besitzer einer gegnerischen Mannschaft?”

Der Gesichtsausdruck des Detectives verriet deutlich, dass er Ned Talbert nicht für einen allzu guten Spieler hielt. “Nein, wir sind uns sicher. Glauben Sie mir, Sie wollen gar nicht wissen, was da drin geschehen ist.”

Vor Furcht zog sich Ricks Magen noch weiter zusammen. Plötzlich hatte er einen üblen Geschmack in der Kehle. Zu gern hätte er es auf den vom Hafen herüberwehenden Gestank geschoben, doch der Wind trug den Seegeruch nur selten bis hier oben.

Rick wollte tatsächlich nicht wissen, was in dem Haus geschehen war, aber er musste es herausfinden. Ned war nicht gewalttätig. Er war eher zurückhaltend, ohne ein Feigling zu sein – ein gutherziger, unbekümmerter Kerl. Er wäre eine wahre Schande für die Army geworden, denn er hasste Waffen. Rick hatte ihn oft genug damit aufgezogen, genauso, wie Ned umgekehrt ihn wegen seiner Angst vor Wasser auf den Arm genommen hatte. Doch selbst wenn Ned zu derartiger Gewalt fähig gewesen wäre: Warum hatte er dann seine Freundin und sich selbst getötet? Und nicht den Erpresser?

Rick hätte ihm zuhören sollen. Jetzt hatte er wenig, um weiterzukommen, nicht einmal ein paar kümmerliche Einzelheiten über den Erpressungsversuch. Wie oft hatte der Erpresser Kontakt zu ihm aufgenommen? Warum? Doch es gab noch einen anderen Grund, weshalb Rick unbedingt in Neds Haus musste: Vor vielen Jahren hatte er Ned ein Päckchen gegeben, um es sicher für ihn aufzubewahren. Womöglich hatte die Polizei den gepolsterten Umschlag in Neds Safe gefunden, aber falls er immer noch dort lag, musste Rick ihn wiederhaben. Ein Teil von ihm hoffte, dass die Durchsuchung genauso oberflächlich gewesen war, wie er vermutete. Aus diesem Grund hatte er Neds Befürchtungen nicht erwähnt. Und das würde er auch in Zukunft nicht tun.

3. KAPITEL

Lane Chandler machte vier Dinge gleichzeitig, was zwei Dinge weniger waren als üblich. Über ihren Bildschirm flimmerte Gotcha.com, eine reißerische Website, die ihrem Namen alle Ehre machte: Hab dich! Lane betete, dass sie keinen ihren Kunden dort entdeckte. Im Geiste vervollständigte sie ihre To-do-Liste, während sie sich auszog. Dabei sprach sie über das Headset ihres Handys die ganze Zeit mit ihrem Lieblingskunden.

“Sie wünscht sich Rapper für ihre Geburtstagsparty?” Lane hängte die Kostümjacke über die Rückenlehne ihres Bürostuhls und ließ sich schließlich auf der Schreibtischkante nieder, um den Schmerz in ihren Füßen zu lindern. Die neuen High Heels waren viel zu teuer gewesen. Sie drehte sich um, sodass sie die Gotcha.com weiter durchsuchen konnte. Bisher hatte sie noch keine Spur von einem Kunden entdeckt, der im Gefängnis oder einer Entzugsklinik gelandet war. Auch von denen, die bereits Opfer dieser Seite geworden waren, gab es keine Neuigkeiten.

“Gott sei Dank”, formte sie unhörbar mit den Lippen. Sie war erleichtert, aber es war noch zu früh, um sich zu entspannen. Sie musste noch die Kolumne von Giganten-Killer Jack überprüfen.

“Jerry”, sagte sie in flehendem Ton in ihr Headset, “sag Nein! Eines Tages wird deine Tochter dir dankbar sein, dass die Gutter Punk Bone Dawgs nicht zu ihrem Geburtstag kommen durften.”

“Meiner Felicity etwas abschlagen? Gegen diese Rapper hätte ich wahrscheinlich bessere Chancen.”

Bei Jerrys lautem, schnarrendem Gelächter zuckte Lane zusammen. Sie wandte den Blick vom Computerbildschirm ab und musterte ihre Schuhe mit finsterem Gesicht. So wie der Tag bisher gelaufen war, würden sie sie noch umbringen, falls ihre Klienten das nicht erledigten. Zum Glück war Jerry nur am Telefon und saß nicht in ihrem Büro. So konnte er nicht sehen, wie sie den Seitenschlitz ihres Rockes strapazierte, als sie sich vorbeugte. Sie zog die exquisiten Schuhe aus, die ihren Spann so schmerzhaft überdehnten. Vor Erleichterung seufzend setzte sie die Füße auf den weichen Teppich ihres Büros. Wer hatte diese Stelzen erfunden – Marquis de Sade? Angeblich war es unglaublich sexy, wenn die Hüften einladend sinnlich hin- und herschwangen. Aber nur ein Mann, der auf SM stand, konnte Gefallen an dem schmerzverzerrten Gesicht der Frau haben.

“Lane, höre ich da ein heftiges Atmen?”

“Dieses ekstatische Stöhnen stammt von mir. Ich habe mir gerade die Schuhe ausgezogen, und ich warne dich, als Nächstes kommen meine Strümpfe dran!”

Stille. Hatte sie ihn etwa schockiert? Nicht Jerry. Sie alberten oft herum. Er war ein Bär von einem Mann, groß und süß, mit einem großen Kopf, braunen Haaren und dem dazu passenden Bart. Er leitete eine der größten Supermarktketten im Land, und er gehörte zu Lanes fünf wichtigsten Kunden. Doch er war auch ihr Mentor. Bei ihm konnte sie sie selbst sein. Sie griff nach hinten und löste die Haarspange, ehe der feste Knoten ihr noch eine Migräne bescherte. Die mahagonifarbenen Locken fielen über ihren Rücken.

“Hat es dir die Sprache verschlagen, Jerry?”

“Von wegen!”, lachte er. “Aber du solltest inzwischen wissen, dass ich mir nichts aus Füßen mache. Wenn du ‘Ohrringe’ gesagt hättest, das wäre etwas anderes gewesen. Beim Anblick der nackten Ohrläppchen einer Frau bekomme ich Schweißausbrüche.”

“Die Ohrringe kommen als Nächstes, Süßer.”

“Witzig!”

Sie lachte und war plötzlich froh, dass er angerufen hatte, obwohl sie sich verzweifelt danach sehnte, endlich Feierabend machen und nach Hause gehen zu können. Lane war Inhaberin einer Agentur namens “The Private Concierge”, und bei ihren Klienten schien seit einiger Zeit alles drunter und drüber zu gehen. Heute war nur ein weiterer chaotischer Tag in einer ganzen Woche von katastrophalen Tagen gewesen. Sie konnte nicht glauben, dass jemand sie zum Lachen bringen könnte, aber Jerry hatte es tatsächlich geschafft. Er schaffte es immer. Darum hatte sie seinen Anruf zu dieser späten Stunde auch angenommen, anstatt ihn zu seiner privaten Concierge Zoe weiterleiten zu lassen.

Jerry war einer ihrer fünfundvierzig Top-Kunden, die bis zu fünfzigtausend Dollar für Lanes Premiumpaket zahlten. Jeder dieser Klienten hatte eine eigene private Concierge, die sich ausschließlich um seine Bedürfnisse kümmerte und nicht weniger als sechs Assistentinnen unter sich hatte. Die wiederum hatten unterschiedliche Schwerpunkte und standen rund um die Uhr zur Verfügung. Aber Jerry hatte möglicherweise Probleme, mit Zoe offen über seine verwöhnte Tochter zu sprechen – und Lane schuldete ihm so viel. Im Grunde war er mehr als ein Mentor, viel mehr, aber nicht im romantischen Sinne. Sie flirteten ein wenig, aber er hatte nie versucht, sie anzumachen. Manchmal wunderte sie sich darüber.

Sie streifte ihre Ohrclips ab und schüttelte den Kopf. Die kühlen Haare liebkosten ihr erhitztes Gesicht. Es war ein harter Tag gewesen, ein furchtbarer Tag, vielleicht der übelste in ihrer ganzen Laufbahn. Normalerweise wäre sie frustriert gewesen, sich jetzt noch um den Geburtstag einer verzogenen Sechzehnjährigen kümmern zu müssen. Es fühlte sich an, als würde alles, wofür sie gekämpft und sich aufgeopfert hatte, in sich zusammenfallen. Trotzdem musste sie sich darum kümmern, das gehörte schließlich zu ihrem Job. Sie kümmerte sich um alle ihre Kunden, und Jerry war äußerst wichtig für sie.

Und in diesem Augenblick brauchte sie einen Kunden, dem sie tatsächlich helfen konnte.

“Wirklich, Jerry, du solltest das Felicity wirklich nicht erlauben.” Ihre Stimme klang leise und bittend. “Ich weiß, wie sehr du deine Tochter liebst”, fuhr sie fort, “aber diese Rapper sind vorbestraft. Und was noch wichtiger ist: Wenn du jetzt nicht standhaft bleibst, wird Felicity niemals lernen, Grenzen zu respektieren. Weder ihre noch die von anderen.”

“Lane, seit wann bist du die Mutter Oberin?”

“Eigentlich hatte ich mich als Therapeutin versucht.” So viel also zu dem Versuch, vernünftig mit Jerry zu reden. Lane streifte die Strümpfe endgültig ab und hätte stöhnen können, so wunderbar fühlte es sich an. “Wie viele Gäste kommen denn zu der Party?”

“Felicity hat mir noch nicht endgültig Bescheid gesagt, aber ich schätze, der halbe Jahrgang aus St. Mary’s kommt, das sind etwa hundert, dann noch fünfundzwanzig aus ihrer Kirchengruppe und noch einmal so viele Geschäftsfreunde, Mitglieder aus meinen Clubs, Kollegen und Lieferanten.”

Lane begann zu rechnen. Die Summen, die ihre Kunden für ihre aufwendigen Partys ausgaben, schockierten sie immer noch, vor allem, wenn sie an die schlechte Wirtschaftslage des Landes dachte. Doch sie hatte einen Job zu erledigen und musste ihre eigenen Angestellten bezahlen. Im ganzen Land waren das bereits mehrere Hundert.

“Okay”, sagte sie, “sagen wir also etwa zweihundert Gäste, damit wir auch die verloren geglaubten Cousins, die Einladungen in letzter Minute und die Uneingeladenen nicht vergessen. Kids lieben es, solche Partys aufzumischen. Will sie immer noch auf Santa Catalina Island im Avalon feiern? Das bedeutet, dass wir ein Schiff chartern müssen. Oder wir organisieren ein paar der luxuriösen Eigentumswohnungen auf der Insel. Bleiben die Gäste über Nacht?”

“Einige sicherlich.”

Lane öffnete den Knopf ihres Rocks. “Wir kümmern uns darum, sobald alle auf die Einladung geantwortet haben. Es ist schön, dass du dich so darum kümmerst, Jerry.” Er hätte das auch von seiner persönlichen Assistentin erledigen lassen oder einen Partyplaner engagieren können. Die meisten alleinerziehenden Väter mit seinem Bankkonto hätten es so gemacht.

“Es ist für Felicity.”

Und für sie war das Beste gerade gut genug. Daran gab es nichts zu rütteln. Lane hörte Rapmusik aus dem Hörer und lächelte. In Momenten wie diesen fragte sie sich, wie weit er gehen würde, um Felicity glücklich zu machen. Und ob er nicht zu sehr versuchte, sie für das zu entschädigen, was geschehen war, als sie zwölf Jahre alt gewesen war. Jerrys Exfrau, Felicitys Mutter, war medikamentensüchtig gewesen; sie hatte wohl geahnt, dass sie das Sorgerecht für ihre Tochter verlieren würde. Schließlich hatte sie eine Überdosis genommen.

“Es wird eine großartige Party werden, Jerry.” Barfuß ging Lane über den Teppich und bewunderte ihr Spiegelbild in den Glastüren der Bücherschränke und den Fenstern der umliegenden Büroräume. Vor ihrem inneren Auge formten sich Bilder der Party. Sie sah den Art-déco-Ballsaal des Avalon Casinos vor sich, dekoriert mit rotierenden Glitzerkugeln und Getränken in badewannengroßen Kristallschalen. Vielleicht würde sie sogar ein oder zwei echte Oldtimer besorgen, und die Kellner wären gekleidet wie Bonnie und Clyde.

Lanes große Stärke lag darin, die Vorstellungen des Klienten Wirklichkeit werden zu lassen. Sanft zog sie an dem zerfledderten grünen Armband, das sie an ihrem linken Handgelenk trug. Langsam beruhigte sie sich, während sie sich umschaute. Sie liebte dieses Büro. Tagsüber herrschte hier hektische Betriebsamkeit, abends jedoch war es eine Oase der Ruhe und klösterlichen Stille. Ihr Holzschreibtisch war so kräftig lackiert, dass die Oberfläche fast wie eine Flüssigkeit glänzte. Bei der gedämpften Beleuchtung konnte sie die blinkenden Lichter von Century City sehen. Das Geschäftsviertel der Stadt erstreckte sich fast bis zur Pazifikküste.

“Ich denke, du solltest das Gangsterthema aufgreifen, Jerry, aber im Stil der Zwanzigerjahre.”

Während sie ihre Bluse aufknöpfte, fuhr sie fort, Fragen zu stellen und sich Jerrys Antworten einzuprägen. Wie befreiend es war, barfuß herumzulaufen und sich langsam auszuziehen! Sie sollte das viel öfter machen … Als die Seidenbluse über ihre Arme glitt, erbebte sie.

“Vielleicht ein Mix aus Vergangenheit und Gegenwart?”, schlug er vor.

“Noch besser!”

“Lane, geht’s dir gut? Du klingst ganz atemlos.”

“Mir geht’s gut. Ich ziehe mich nur gerade um.”

“Wenn das so ist … kannst du nicht deine Webcam einschalten?”

“So aufregend ist das nun auch nicht, Jerry, glaub mir. Ich ziehe nur meine Sportsachen an. Ich werde einen der Wachleute bitten, mein Auto nach Hause zu fahren und dann zu Fuß gehen.”

“So ein Tag ist das also heute? Das muss ja wirklich heftig gewesen sein, wenn du nach Hause gehen willst.”

“Du machst dir gar keine Vorstellung. Dieser Tag war die Hölle, und die Schergen des Teufels haben mich auf Trab gehalten.” Sie konnte ihm keine Einzelheiten erzählen, wenn sie nicht das Vertrauen ihrer Kunden missbrauchen wollte, aber sie musste sich unbedingt Luft machen. Sie war zutiefst erschüttert. Dabei gestattete sie sich nur selten, Emotionen zuzulassen, die sich wie Furcht anfühlten. Sie hatte sich ihr Leben lang kontrolliert, und bisher hatte es wunderbar funktioniert.

“Lane, ich weiß über Simon Shan und den Kreuzritter Bescheid, wenn es das ist, was du meinst. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist eine Tragödie. In der letzten Woche kam andauernd etwas darüber in den Nachrichten. Ich habe Burt gebeten, mich zurückzurufen, aber er hat sich noch nicht gemeldet.”

Jerry wusste, dass die beiden Männer ihre Kunden waren, sowohl Burton Carr, der Kongressabgeordnete, den er liebevoll “den Kreuzritter” nannte, als auch Simon Shan. Shan war derzeit der absolute Liebling der Stadt, trotz des Ärgers, den er am Hals hatte. Er lebte eigentlich in London, war ein gestalterisches Multitalent chinesischer Abstammung und stahl allen anderen Lifestyle-Gurus die Show. Was er anpackte, führte er konzentriert, präzise und mit einer Frische zum Erfolg, gegen die alle anderen wie Amateure wirkten.

Angefangen hatte er damit, dass er einen eigenen, einheitlichen und bequemen Look für Frauen kreiert hatte. Seine erste Kollektion war ein durchschlagender Erfolg gewesen. Dann hatte er mit Make-up und Accessoires weitergemacht. Schließlich hatte er sich mit der edlen Ladenkette Goldstar Collection zusammengetan – und war in das Geschäft mit Möbeln, Dekor und Partys eingestiegen.

Simon Shan war groß, schlank und attraktiv, und außerdem schaffte er es, die Neugier über seine sexuelle Orientierung wachzuhalten. Ihn umgab stets die Aura des Geheimnisvollen. Niemand hatte damit gerechnet, dass die nächste Lifestyle-Ikone ein Mann sein würde – noch dazu ein höchstwahrscheinlich schwuler Asiat.

Sein Untergang waren Drogen. Nicht irgendwelche Drogen, sondern Opium. Er hatte zugegeben, früher als Junge in Taiwan davon probiert zu haben. Dort war er aufgewachsen, als einziger Sohn einer ihn abgöttisch liebenden Mutter und eines autoritären Vaters. Der zaghafte Konsum von Opium war vor allem seiner jugendlichen Neugier geschuldet gewesen, doch sein Vater war außer sich gewesen. Er hatte Shan auf ein Internat in London geschickt, ohne sich darüber klar zu sein, dass er damit das Leben seines Sohnes für immer ändern würde.

Shan schwor, dass er danach nie mehr Drogen genommen hatte. Doch im Tank seines Bentleys waren mehrere Pfund Opium gefunden worden. Und weil er den Großteil seiner Möbel, Textilien und andere Waren aus Asien importierte, wurde ihm zur Last gelegt, Drogen im großen Stil ins Land zu schmuggeln. Aufgrund der Vorwürfe war er gezwungen gewesen, von seinem Posten als Sprecher von Goldstar Collection zurückzutreten. Doch zumindest hatte er genug Geld, um sich die besten Anwälte nehmen zu können. Jetzt war er auf Kaution frei und wartete auf die Anklageerhebung.

Der Fall des Kongressabgeordneten Burton Carr hatte Lane bis tief in ihr Innerstes erschüttert. Die Bundespolizei hatte auf seinem Computer in Washington D.C. Kinderpornos gefunden. Lane konnte es immer noch nicht fassen. Selbst wenn Burton Carr pädophil war, was sie nicht eine Sekunde lang glaubte – warum sollte er sich solche Bilder auf seinem Bürocomputer anschauen? Er hatte stets den Kampf für die Stärkung von Kinderrechten unterstützt. Das inzwischen berühmte Amber-Alert-Programm, bei dem vermisste Kinder sofort auf dem ganzen nordamerikanischen Kontinent mithilfe von Radio und Fernsehen gesucht wurden, war mit auf seine Initiative hin ins Leben gerufen worden. Burton Carr kümmerte sich um die Probleme der Menschen. Auf nationaler Ebene arbeitete er hart an einem Gesetzentwurf, der die großen Discounterketten dazu zwingen sollte, ihren Angestellten eine Krankenversicherung und weitere Sozialleistungen anzubieten. Er hatte Jerry Blair einen der fortschrittlichsten Unternehmer des Landes genannt und dessen Firma TopCo als ein Beispiel dafür gelobt, wie eine Ladenkette geführt werden konnte und sollte.

Carr war einer ihrer Helden. Eigentlich sogar beide Männer.

“Lane?”

“Jerry, können wir für heute Schluss machen? Ich bin vollkommen erledigt. Wir haben ja noch genug Zeit, um die Einzelheiten der Party zu besprechen.”

“Sicher. Aber tu mir einen Gefallen. Geh nicht zu Fuß nach Hause. Es ist nicht sicher genug.”

“Das habe ich schon öfter gemacht, Jerry. Der Weg, den ich nehme, ist ausgeleuchtet wie der rote Teppich bei einer Premierenfeier, und ich lebe nicht weit …”

“Lane, bitte tu, was ich sage.”

“Okay. Kein Spaziergang heute Abend.”

“Ich meine nicht nur heute, Lane. Geh abends nicht allein spazieren. Weder heute noch sonst irgendwann.”

“Ach, Jerry. Ich bin dreißig Jahre alt, und es gibt da einige Entscheidungen, die ich durchaus …”

“Ja, das bist du. Aber das ist keine gute Entscheidung, Lane.”

Sie nickte. Aus diesem Grund war Jerry Blair ein guter Boss. Er kümmerte sich um die Leute. Er war einer der wenigen Menschen, die sich jemals um sie gesorgt hatten, und dafür liebte sie ihn. Sie war nah davor, ihm das zu sagen, aber alles, was sie schließlich hervorbrachte, war: “Ja, Onkel Jerry.”

Sie verabschiedeten sich, und als sie den Hörer auflegte, spürte sie diesen heftigen Schmerz, der ihr fast den Atem raubte. Sie verstand nicht, warum ihr Herz sich manchmal in ein scharfes Messer zu verwandeln schien. War es die Einsamkeit? Sie hatte jetzt keine Zeit, es genauer zu analysieren. Sie hatte nie die Zeit dazu.

Sie ignorierte den Schmerz in ihrer Brust, wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Gerüchteseite zu und klickte auf den Link, der zu Giganten-Killer Jack führte. Sie hatte keine andere Wahl. Der Paparazzo war dafür berüchtigt, dass er Leute, die Dreck am Stecken hatten, aufspürte und zu Fall brachte. Er konzentrierte sich besonders auf diejenigen, die ihre Macht und ihren Einfluss missbrauchten. Dabei klammerte er sich nicht an Berühmtheiten. Giganten-Killer Jack hatte Burton Carr geoutet – und ihn auf Gotcha.com als einen Klienten von The Private Concierge benannt. Jetzt befürchtete Lane, dass er es mit einem anderen Kunden ebenso gemacht haben könnte. Mit jemandem, der gerade gestern den Vertrag unterschrieben hatte.

Jerry Blair wusste über die Skandale um Burton Carr und Simon Shan Bescheid, aber von Lanes neuestem Kunden ahnte er nichts, und sie hatte ihm auch nicht von ihm erzählt. Sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt jemandem davon erzählen sollte, einschließlich der Polizei. Ned Talbert hatte den Vertrag gestern Morgen unterschrieben. Und spät am Abend hatte er sich und seine Freundin getötet. Den ganzen Tag über hatte Lane versucht, das zu begreifen.

Innerhalb von drei Wochen waren drei ihrer Kunden in schwere Verbrechen verwickelt. Dazu kam noch Judge Love etwas früher im Jahr. Love hatte eine beliebte Gerichtsshow im Fernsehen moderiert. Sie war für ihre Hartnäckigkeit bekannt gewesen, bis Einzelheiten über ihr gar nicht vorbildliches Privatleben an die Öffentlichkeit drangen. Das war allein diesem Paparazzo, Giganten-Killer Jack, zu verdanken. Lane steckte mittendrin in diesem Skandal, da einer ihrer Mitarbeiter beschlossen hatte, den Betreiber von Gotcha.com persönlich mit seiner Empörung zu konfrontieren. Doch dieser schwor, dass Jack vollkommen anonym arbeitete. Der geheimnisvolle Paparazzo verschickte sein Material ausschließlich per E-Mail oder hinterlegte es an den verschiedensten Orten. Niemand wusste, wer er war, aber Gotcha.com gab sich alle Mühe, zu überprüfen, was er ihnen schickte. Einschließlich des Videos über Judge Love.

Jetzt fürchtete Lane, ihre Agentur könnte wie die Brutstätte vom Kriminalität und Verbrechen wirken. Niemand würde dann noch etwas mit The Private Concierge zu tun haben wollen.

Sie schloss das Browserfenster und schaltete den Computer aus.

Sie war tief betrübt über das, was ihren Klienten zugestoßen war, vor allem Ned. Jeden Einzelnen von ihnen kannte sie als guten Menschen. Sie konnten nichts von dem verbrochen haben, was ihnen vorgeworfen wurde! Aber leider schien es nicht in Lanes Macht zu liegen, sie zu beschützen. Die Probleme eskalierten, und sie musste auch an sich selbst denken. Wenn ihre Klienten untergingen, würden sie ihren Concierge-Service mit in die Tiefe ziehen.

Lane öffnete die Schreibtischschublade und zog die Anmeldung von Ned Talbert heraus. Sie hatte sie noch an niemanden weitergegeben. Auch die Kreditkartenabbuchung hatte sie selbst vorgenommen. Mary, ihre Assistentin, hatte gerade Pause gemacht. Niemand außer Lane wusste von Ned Talbert. Und das musste auch so bleiben.

4. KAPITEL

Rick schlich, nur mit einer kleinen Taschenlampe in der Hand, durch das Haus. Er trug Latexhandschuhe und Schutzhüllen über seinen Schuhen wie die Beamten von der Spurensicherung. Das Haus war ihm vertraut genug, um sich auch im Dunkeln zurechtzufinden. Aber er wollte es nicht riskieren, irgendwelche Spuren am Tatort zu hinterlassen.

Allerdings vermutete er, dass es ohnehin niemandem auffallen würde, dass jemand hier gewesen war. Es war kurz nach Mitternacht, und der Wachposten draußen war abgelöst worden. Der Anfänger war durch einen Rentner ersetzt worden. Schnarchend saß er auf einem Stuhl neben dem Vordereingang des Hauses. Er hörte sich an wie die Nachahmung einer rostigen Kreissäge.

Rick hatte in einer Seitenstraße geparkt, war das letzte Stück zu Fuß gegangen und dann durch den Hintereingang ins Haus gelangt. Er hatte das Schloss geknackt, anstatt den Türknauf zu benutzen. Eigentlich sollte er mit dem feinen Staub bedeckt sein, mit dem man Fingerabdrücke nahm, aber das war er nicht. Rick war hier, um einen Blick auf den Tatort zu werfen, doch ebenso hielt er Ausschau nach dem Päckchen, das Ned für ihn aufbewahrt hatte. Vielleicht half ihm die Dunkelheit dabei, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren, anstatt von zahllosen Erinnerungen an seinen Freund überwältigt zu werden.

Am Morgen hatte er ihn im Leichenschauhaus identifiziert. Es bestand kein Zweifel daran, dass es Ned war. Rick erkannte die verblasste Narbe an seinem Kinn, noch ehe er das Einschussloch sah. Als Kinder hatten er und Ned geglaubt, sie wären unverwundbar und sie könnten von Dächern springen, fliegen und auf dem Wasser laufen. Diverse Narben bewiesen, dass sie doch nicht ganz so zäh waren. Aber sie hatten sich nicht einschüchtern lassen, selbst als Ned einmal beim Tarzan-Spielen einen Ast verfehlte, zu Boden stürzte und sich das Kinn aufriss. Damals waren sie acht gewesen.

Rick schaltete das Licht einen Moment lang aus. Er brauchte einen Augenblick, um mit den Erinnerungen fertig zu werden. Er atmete tief ein, um das erstickende Gefühl in seiner Brust zu lindern. Nach seinem Besuch im Leichenschauhaus war er wie betäubt gewesen, und er hatte sich gewünscht, dieser Zustand könnte ewig anhalten. Das Gesicht, das er gesehen hatte, gehörte nicht seinem Freund. Es war eine Totenmaske mit Neds Gesichtszügen. Der Körper, der die vor Lebendigkeit sprühende Seele beherbergt hatte, war nur noch eine leere Hülle. Ned war fort.

Rick glaubte nicht an Himmel und Hölle. Er konnte sich also nicht damit trösten, dass er seinen Freund eines Tages wiedersehen würde. Der Ned, der wie ein Teil von ihm gewesen war, war verschwunden, und er hatte seinen besten Freund allein zurückgelassen. Rick konnte sich ab jetzt nicht einmal mehr Neds Gesicht ins Gedächtnis rufen, ohne dass es von dem Bild einer Leiche mit einer Kugel im Kopf verdrängt wurde. Es gab keinen Trost, nicht einmal in seinen Erinnerungen. Darum musste er herausfinden, was geschehen war. Zumindest würde diese Frage ihn dann nicht länger quälen.

Nachdem er das Leichenschauhaus verlassen hatte, war er direkt zum West L.A. Police Department gefahren, um dort mit seinem alten Kumpel Don Cooper von der Mordkommission zu reden. Dieser hatte zwar mit dem Fall nichts zu tun, bestätigte aber, dass das Dezernat für Kapitalverbrechen sich der Sache angenommen hatte. Cooper hatte gehört, natürlich nicht offiziell, dass es allein Neds Bekanntheitsgrad als Baseballspieler zu verdanken war, dass überhaupt in diesem Fall ermittelt wurde. Niemand zweifelte daran, dass Ned erst seine Freundin und dann sich getötet hatte. Cooper hatte außerdem bestätigt, dass es einen Abschiedsbrief gab. Über den Inhalt hatte er jedoch nichts sagen können.

Er hatte Rick auch anvertraut, welche Waffe Ned benutzt hatte. Natürlich war keine dieser Informationen für Außenstehende bestimmt. Genau aus diesem Grund hatte Rick sich ja an Cooper gewandt: Er war ein Schwätzer. Eines Tages würde er sich noch um Kopf und Kragen reden.

Rick ließ den Lichtstrahl über den Ledersessel gleiten. Hier hatte Ned gesessen, sich den Lauf der Neun-Millimeter-Pistole an die rechte Schläfe gepresst und abgedrückt. Der Kreideumriss zeigte ihm, dass sein Freund von der Wucht des Schusses nach links geschleudert und über die Armlehne gesunken war.

Was hatte ihn nur dazu getrieben?

Die Fragen, die in Ricks Kopf kreisten, machten ihn beinahe wahnsinnig. Hatte er Ned auf diese Idee gebracht? Hatte die Szene in der Hütte irgendetwas bei seinem Freund ausgelöst? Als Kinder hatten sie alles zusammen unternommen, und fast immer war Rick der Anführer und Anstifter gewesen.

Aber er konnte das einfach nicht glauben, trotz der quälenden Schuldgefühle, die er empfand. Ned war ein erwachsener Mann. Er würde niemals einen Selbstmord nachäffen. Rick musste langsam anfangen, wie ein Ermittler an die Sache heranzugehen. Ned hatte nie eine Pistole besessen. Er könne mit einem Baseballschläger größeren Schaden anrichten, hatte er immer gesagt. Rick fragte sich, ob irgendjemand überprüft hatte, ob Ned vor Kurzem eine Waffe gekauft oder einen Waffenschein gemacht hatte. Und ob die leeren Patronenhülsen auf Fingerabdrücke untersucht worden waren.

Rick ließ den Lichtstrahl von dem Kreideumriss im Sessel zu dem der Frau auf dem Boden direkt davor wandern. Cooper hatte ihm erzählt, dass sie in einer Pose sexueller Demütigung gestorben war, teilweise nackt und gefesselt. Sie hatte eine billige Plastiktüte aus dem Supermarkt über den Kopf gestülpt und war erstickt. Aber wahrscheinlich war sie nicht schnell gestorben. Der Zustand der Plastiktüte und die Art, wie das Blut aus den Adern ihrer Augen getreten war, deuteten darauf hin, dass die Prozedur mehrmals unterbrochen worden war, vermutlich absichtlich.

Rick hatte Cooper gefragt, ob man Verbrennungen an ihren Genitalien gefunden hatte. Cooper hatte ihm einen merkwürdigen Blick zugeworfen, aber nicht weiter nachgefragt. Er wusste es nicht.

Rick schluckte einen Fluch hinunter. Das konnte alles nicht wahr sein! Er wusste das tief in seinem Inneren. So starben keine Helden. Eine gefesselte Frau zu ersticken und sich anschließend selbst feige zu erschießen – nie im Leben hätte Ned auf diese Weise Schluss gemacht, ebenso wenig, wie er seine Freundin umgebracht hätte. Er hatte versucht, Holly zu schützen, nicht, sie zu töten.

Ned hatte sich schon immer zu selbstzerstörerischen Frauen hingezogen gefühlt. Wahrscheinlich lag das an seiner Mutter. Sie hatte ziemlich extrem gelebt und sogar gestohlen, um ihre Heroinsucht zu finanzieren. Sie war an einer Überdosis gestorben, als Ned noch sehr klein war. Wie so viele Kinder, deren Eltern früh starben, fühlte Ned sich für ihren Tod verantwortlich. Seitdem hatte er sich immer wieder auf Frauen von zweifelhaftem Ruf eingelassen, weil er glaubte, er könnte in Ordnung bringen, was immer auch in ihrem Leben falsch lief. Oder hatten möglicherweise die Frauen ihn ausgesucht? Nette Kerle wie Ned waren eine leichte Beute.

Rick sah von einem Kreideumriss zum anderen. Jeder Tatort hatte seinen eigenen Code. Der Trick war, ihn richtig zu entschlüsseln. Meistens waren Angst oder Wut das Motiv für Mord, aber von beidem konnte er keine Spur entdecken. Hier war jemand methodisch und planmäßig vorgegangen, und das passte nicht zu Ned. Er hatte gesagt, dass man ihn wegen seiner Sexpraktiken erpresste, aber er hatte auch gesagt, dass diese Unterstellungen erstunken und erlogen waren. Dieser Tatort ließ jedoch ihn als Lügner dastehen. Nur blinde Wut konnte ihn dazu gebracht haben, so zu handeln. Aber warum hatte er seine Wut an Holly ausgelassen? Es sei denn, sie hatte ihn erpresst.

Rick wusste keine Antwort darauf. Aufmerksam sah er sich im Zimmer um. Das Muster der Blutspritzer war typisch für selbst zugefügte Schusswunden. Laut Cooper gab es keinen Hinweis darauf, dass sich jemand gewaltsam Zutritt verschafft hatte. Rick fiel nichts weiter auf, und mit jeder Sekunde wuchs das Risiko, dass man ihn hier entdeckte. Aber eine letzte Sache musste er noch erledigen.

Leise schlich er durch die Eingangshalle in das Schlafzimmer. Auf dem Weg kam er an einem Schreibtisch vorbei, und das Licht der Lampe streifte etwas Kleines, Helles. Die Schublade stand offen, und eine Hochglanz-Visitenkarte klemmte in der Laufschiene an der Seite. Bestimmt hatte die Spurensicherung die Schublade geöffnet und die Unterlagen darin als Beweisstücke eingetütet. Vermutlich war die Karte unbemerkt heruntergefallen.

Rick hielt die Karte ins Licht. Er betrachtete den mit Schnörkeln verzierten, elegant geschwungenen goldenen Schriftzug The Private Concierge. Darunter waren ein Name, eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse angegeben. Lane Chandler.

Der Name klang vertraut, trotzdem konnte Rick ihn nicht einordnen. Er drehte die Karte um und fand ein hingekritzeltes Wort, das Ned geschrieben haben könnte: Erpressung?

Klagte Ned diese Firma an, ihn zu erpressen? Oder hatte er nur nach einem Stück Papier zum Schreiben gesucht und die Karte dann in die Schublade geworfen, ohne zu merken, dass sie an der Seite hängenblieb? Und warum war sie weder jemandem von der Mordkommission noch einem Beamten der Spurensicherung aufgefallen? Rick hatte sie sogar im Dunkeln gesehen.

Langsam wurde die Zeit knapp. Er ging weiter durch die Halle zum Schlafzimmer und geradewegs auf den großen Kleiderschrank aus Ahorn zu. Die größte Schublade hatte ein Geheimfach mit einem Safe, aber Rick stellte fest, dass er unabgeschlossen war – und leer. Hatte Ned das Päckchen entfernt? Aber das hätte er nicht getan, ohne Rick Bescheid zu geben. Oder hatte die Polizei es gefunden und als Beweisstück mitgenommen? Auch die dritte Möglichkeit konnte Rick nicht ausschließen – dass gewisse Leute immer noch ein reges Interesse an dem Inhalt des Päckchens hatten und dass einer von ihnen hier gewesen war. Aber wo war dann die Verbindung zu dem Verbrechen?

Rick hörte ein kratzendes Geräusch. Metallene Stuhlbeine wurden über Beton geschoben. Der Detective war aufgewacht. Wechselte er nur die Sitzposition oder stand er auf? Rick vergewisserte sich, dass er die Visitenkarte eingesteckt hatte, schaltete die Taschenlampe aus und schlich zur Hintertür. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie Ned das Päckchen in das Geheimfach gelegt hatte, aber jetzt war es verschwunden. Aber er konnte nicht riskieren, noch länger danach zu suchen.

* * *

Montag, 7. Oktober

Zwei Tage zuvor

Lane Chandler? Angestrengt starrte Rick auf die Visitenkarte, bis seine Augen anfingen zu brennen. Er rieb sie und massierte die Augenhöhle mit dem Daumen, um den unangenehmen Druck loszuwerden. Es war sechs Uhr morgens, und er hatte die ganze Nacht über keine Ruhe gefunden. Seine Grübeleien hatten ihm den Schlaf geraubt. Zu viele Fragen schwirrten in seinem Kopf herum, und die wichtigste von allen war, an wen dieser Name ihn bloß erinnerte.

Er wusste nicht genau, was ein Concierge-Service war, und er kannte auch niemanden, der Lane Chandler hieß. Vielleicht hatte er den Namen schon einmal irgendwo gehört, aber Rick war zu erschöpft und ausgelaugt, um ihn einzuordnen. Er könnte die Aufzeichnungen zu seinen aktuellen Fällen überprüfen, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Stattdessen blieb er auf seinem Stuhl in dem kleinen Kabuff sitzen, das er zu seinem Büro gemacht hatte. Der Name hörte sich nicht echt an. Wer hieß schon Lane Chandler? Ein Filmstar vielleicht.

Lane. War das ein Frauen- oder ein Männername? Wie viele Frauennamen begannen mit L? Nicht sehr viele: Linda, Lydia, Lilly, Laurie, Leigh, Lucille, Lucy. Lucy?

Verdammt! Er sprang vom Bürostuhl auf, der knarrend protestierte. Er hatte einmal ein junges Mädchen gekannt, das sich Lane Chandler nannte. Vor fünfzehn Jahren hatte er den kleinen Satansbraten verhaftet. Nachdem sie von zu Hause weggelaufen war, hatte sie den Namen eines Filmstars übernommen. Sie hatte Ricks Partnerin Mimi Parsons erzählt, dass sie sich irgendeinen Schauspielernamen rausgepickt hatte, der bei einem alten Western im Abspann aufgelistet wurde. Lane Chandler. Der Name hatte ihr gefallen, aber nicht weil die Initialen L.C. ergaben. Das war reiner Zufall. Einen Männernamen anzunehmen, war ein gutes Gefühl. Dadurch fühlte sie sich stärker und zäher, und sie kam auf den Straßen von L.A. besser zurecht.

Und was war dann aus ihr geworden, auf den Straßen von Los Angeles? Müll. Abschaum.

Rick durchschritt den Raum. Er fühlte sich wie in einem Käfig, aber vielleicht brauchte er diese Begrenzung. Wo würde er hingehen, wenn die Wände des L-förmigen Zimmers ihn nicht aufhielten? Richtung Süden, und er würde nicht anhalten. Nach Süden, zur Grenze. Und er würde laufen, nicht gehen. Ich sollte verdammt noch mal zusehen, dass ich von hier verschwinde. Wenigstens so tun, als hätte ich ein Leben, solange es noch nicht zu spät ist. Mir eine Frau suchen, mich für zehn Minuten verlieben. Mein Herz verschenken. Es ist das Einzige, was mir noch geblieben ist.

Lane Chandler.

Er wurde langsamer und ließ seine Gedanken zurückschweifen. Ihr richtiger Name war Lucy Cox. Ein gefährlich frühreifes Ding und ein harter Brocken. Rick hatte sie auf dem Straßenstrich verhaftet. Der Fall war klar: Sie hatte ihn angesprochen. Angesichts ihrer türkisblauen Augen und Kühnheit hatte er sich gewünscht, sie wäre fünfzehn Jahre älter. So etwas war ihm noch nie passiert.

Rick hatte von Anfang an bei der Sitte gearbeitet. Beim Umgang mit all den jugendlichen Kriminellen, all den drogensüchtigen Straßenkindern hatte er mehr als einmal den Wunsch verspürt, sie in Zwangsjacken zu stecken, damit sie sich und andere nicht länger verletzen konnten. Sie waren traurig, wütend und verzweifelt. Viele von ihnen starben viel zu früh. Aber Lucy gehörte nicht dazu. Sie war anders. Eine minderjährige Madonna, strahlend genug, um selbst die am schlimmsten heruntergekommene Gegend zu erhellen. Das Gericht hatte sie ins Jugendgefängnis gesteckt, und Rick hatte dafür gesorgt, dass sie erst wieder herauskommen würde, wenn sie volljährig war.

Er ging zum Fenster und blieb dort stehen, um sich von der aufgehenden Sonne wärmen zu lassen. Als er aufgestanden war, war er nur rasch in eine Jeans geschlüpft. Keine Frau war in der Nähe, die sich über die nackte Brust beschwert hätte – oder gefreut. Schon seit einer ganzen Weile nicht mehr. Seine letzte längere Beziehung und einzige Ehe war vor zehn Jahren in die Brüche gegangen. Aus denselben Gründen, aus denen die Ehen der meisten Gesetzeshüter scheiterten: Vernachlässigung. Dabei hatte er sie durchaus geliebt. Er hatte nur nicht die Zeit oder die Kraft gehabt, sie so zu lieben, wie sie es gebraucht hätte. Er gab ihr keine Schuld. Er hätte gar nicht erst heiraten sollen. Aber er war jung gewesen – und selbstsüchtig genug, um in den endlosen Nächten der Gewissensprüfung jemanden um sich haben zu wollen. Jemanden, der das Los der Einsamkeit erleichterte.

Das Knallen der Nachbartür lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Ausblick. Sein Büro war nicht mehr als eine kleine Abstellkammer. Das einzige Fenster wies auf die Gasse hinter dem Haus und die Rückseiten von stark verwitterten Strandhäusern. Es gab nur wenig zu sehen, außer der mit roten und orangefarbenen Bougainvillea überrankten Gartenlaube. Rick liebte diese Pflanze. Auch die Vorderfront seines Hauses war damit bewachsen. Für ihn wurde seine Strandhütte dadurch zu einem kleinen Palast.

Lane Chandler. Gott, er wollte nicht daran rühren. Es würde niemandem helfen, noch einmal in diesem Sumpf zu wühlen, am wenigsten Ned. Es gab noch viele andere Gründe, die Ermittlungen nicht fortzusetzen. In einem Fall wie diesem konnten die Untersuchungen Monate oder gar Jahre in Anspruch nehmen, selbst für einen erfahrenen Beamten der Mordkommission. Und das war Rick nicht. Man brauchte die richtigen Quellen, Computerdatenbanken, Labore und Kriminaltechniker. Er hatte zu diesen Dingen keinen Zugang mehr, und ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Außerdem hatte die Polizei den Fall bereits nahezu abgeschlossen.

Doch der wichtigste Grund, die Finger von weiteren Nachforschungen zu lassen, war sie. Lucy Cox, inzwischen erwachsen und Besitzerin eines Concierge-Services. Warum überraschte ihn das nicht?

Inzwischen stand er in seinem Wohnzimmer vor der Tür, die in seinen geliebten Innenhof führte, als ein Gedanke ihn innehalten ließ. Es traf ihn wie ein Schlag. Wie hoch war die Chance, dass so viele anscheinend unterschiedliche Vorfälle in jener Nacht in Neds Haus zufällig gleichzeitig geschahen? Ned und seine Freundin waren tot, das Päckchen fehlte und Lane Chandlers Karte steckte in dem Schreibtisch – und all das geschah innerhalb kürzester Zeit. Das Päckchen konnte zwar schon eine ganze Weile verschwunden sein, aber das glaubte Rick nicht. Ned hätte es ihm gegenüber erwähnt. Und Rick mutmaßte, dass sich die Karte ebenfalls noch nicht lange in seinem Haus befunden hatte. Sonst hätte Ned mit ihm auch darüber gesprochen. Oder hatte Ned es ihm sagen wollen, als er an jenem Abend in seiner Berghütte aufgetaucht war?

Was Ned nicht wusste, was niemand außer Rick wusste, war, dass es sehr wohl eine Verbindung zwischen Lucy Cox und dem Päckchen gab. Das Mädchen war der Auslöser für die Geschehnisse vor fünfzehn Jahren gewesen – und ein Grund dafür, warum Rick die Polizei verlassen hatte.

Wenn sie wirklich die Lane Chandler von heute war, war es dann ein Zufall, dass Ned ihr über den Weg gelaufen war? Hatte sie sich ihm genähert, weil sie das Päckchen selbst haben wollte? Warum? Er wusste von vielen Leuten, die es zu gern in die Hand bekämen – aber welches Interesse konnte Lane daran haben? Erpressung, wahrscheinlich. Aber woher wusste sie, dass Ned im Besitz des Päckchens war?

Fluchend drehte er sich um. Er riss die Tür zu seinem Büro fast aus den Angeln, als er eintrat, und griff nach dem Mülleimer. Wo war diese verteufelte Karte?

5. KAPITEL

Zögernd blieb Priscilla Brandt am Fuß der prachtvollen Treppe stehen und ließ ihren Blick durch das Wohnzimmer gleiten wie ein hungriger Raubvogel. Ihren scharfen Augen entging nichts. Das Haus war einfach vollkommen. Die Schwertlilien in den hohen Kristallvasen waren frisch geschnitten, die Satinkissen waren frisch aufgeschüttelt. Der Fußboden aus brasilianischem Kirschholz glänzte. Der leichte Duft von Lavendelöl regte ihre Sinne an. Im Hintergrund erklang leise eine Klaviersonate von Mozart.

Wenn Sie wollen, dass Ihre Gäste gut von Ihnen denken, behandeln Sie sie gut. Wenn Sie wollen, dass sie für immer in Ihrer Schuld stehen, verwöhnen Sie sie nach Strich und Faden und schicken Sie sie mit teuren Geschenken nach Hause. Wenn Sie kein Geld haben, kochen Sie ein exquisites Essen für sie.

Das war nur eine von vielen Weisheiten in ihrem frechen neuartigen Benimmbuch, das momentan die Bestsellerliste für Sachbücher bei der New York Times anführte. Ein ziemlicher Coup für eine ehemalige Küchenhilfe aus dem San Fernando Valley.

Den Job in einem drittklassigen Restaurant hatte sie gebraucht, um sich das Studium zu finanzieren, denn sie hatte keinen langen Stammbaum wie die anderen Experten in Sachen gutes Benehmen. Mit ihren sechsundzwanzig Jahren war sie nur ein Emporkömmling, verglichen mit Ikonen wie Emily Post und Amy Vanderbilt.

Ihre Abstammung zählt nur, wenn Sie sonst nichts Interessantes anzubieten haben.

Priscilla zupfte einen imaginären Fussel vom Ärmel ihres Kaschmir-Twinsets und ging zu dem Spiegel über dem Kamin, um ihre langen kastanienbraunen Locken zu betrachten. Sie waren voll und geschmeidig, ein Zeichen ihrer gesunden weiblichen Libido. Und das war heutzutage ausschlaggebend, wenn man etwas verkaufen wollte, egal was es war. In ihrem Beruf durfte sie nicht übermäßig sexy auftreten. Sie musste diesen Eindruck auf anderem Weg erwecken, zum Bespiel durch den knielangen, seitlich geschlitzten Rock, den eng anliegenden Pullover und die dezente Zuchtperlenkette. Sie war eine Lady, gewiss, aber genauso war sie ein Flittchen, für all diejenigen, die das Glück hatten, sie so gut zu kennen.

Das Geheimnis der weiblichen List ist es, etwas zu versprechen. Ob Sie es einhalten, steht auf einem anderen Blatt.

Eine weitere von Priscillas Weisheiten. In einer Stunde würde sie im landesweiten Fernsehen noch mehr Ratschläge erteilen. Ein weiterer Coup angesichts der armseligen Verhältnisse, aus denen sie stammte. Das Fernsehteam würde bald hier sein und alles im Garten vorbereiten, damit Priscilla mit niemand anderem Tee trinken konnte als mit Leanne Sanders, der Moderatorin des landesweiten Frühstücksfernsehens. Natürlich hatte Priscilla dafür gesorgt, dass das Grundstück ihres gemieteten Hauses in Santa Monica ebenso vollkommen war wie die Inneneinrichtung.

Der Trick war, perfekt zu sein, ohne langweilig zu werden. Sie musste sich nur originell und aufreizend genug geben, um das Interesse des launenhaften Publikums zu wecken und zu fesseln. Und das alles bei einwandfreien Manieren.

Für Priscilla bestand der Lohn nicht nur in den steigenden Verkaufszahlen für ihr Buch. Es stand zur Diskussion, dass sie ihre eigene Talkshow am Nachmittag bekommen sollte, bei demselben Sender, der sie jetzt interviewen würde. Der Einzige, der sich noch gegen sie stellte, war der überhebliche Produzent, der nicht älter sein konnte als zwölf Jahre, wenn man sein Verhalten als Maßstab nahm. Er hatte es gewagt, dem Sendeleiter ins Gesicht zu sagen, dass er eine Etikette-Show für Unsinn hielt, während es überall sonst darum ging, die Zuschauer möglichst effektiv zu schockieren. Ihre Gäste, so vermutete er, würden nicht ausgefallen oder starrsinnig genug sein. Immerhin hatte er sich ein Gähnen verkniffen. Priscilla hatte bereits ein Pfefferminzbonbon bereitgehalten, um es ihm in die Kehle zu werfen, falls er den Mund aufriss.

Sie ging zu den Wohnzimmerfenstern und empfand Stolz, als ihr Blick auf die mit Glyzinien bedeckte Gartenlaube fiel. Doch dann erstarb das Lächeln auf ihren roten Lippen. “Was zum Teufel ist das?”

Der verrückte Stadtstreicher war wieder da! Seine geschmacklosen Pappkartons verschandelten die Glyzinienlaube in dem perfekten englischen Garten, den sie für ihren Nachmittagstee geschaffen hatte. Seit Wochen schon schlich dieses Individuum auf ihrem Besitz herum! Sie hatte den Fehler gemacht, ihm Geld zu geben, um ihn endlich loszuwerden. Nun, damit war es jetzt vorbei. Sie würde höchstpersönlich dafür sorgen, dass er seinen dreckigen Hintern von hier fortbewegte. Ihr blieb auch kaum etwas anderes übrig, da sie den Angestellten nicht traute. Sie fürchtete, sie würden sie an die Boulevardpresse verpfeifen.

Sie schnappte sich ihr Handy und stürmte mit fast militärischem Schritt zur Vordertür hinaus. Irgendjemand hatte der Regenbogenpresse Informationen über sie zukommen lassen. Dem musste sie ebenfalls einen Riegel vorschieben. Die Blätter hatten sie zuerst liebevoll Miss Pris genannt, aber jetzt spekulierten sie darüber, ob sie Priscilla nicht lieber in Miss Ausraster umtaufen sollten. Und das nur, weil sie diesem rücksichtslosen Drängler eine Lektion erteilt und ihn auf ihren neuen Mercedes hatte auffahren lassen. Anschließend hatte sie ihn deswegen in aller Öffentlichkeit zur Schnecke gemacht, und die gaffende Menge hatte ihr zugejubelt. War das nicht Rechtfertigung genug? In der folgenden Woche hatte sie allerdings keinen Applaus geerntet. Da hatte sie eine Kellnerin zum Weinen gebracht, weil sie ihr ein kaltes Essen serviert hatte.

Okay, Miss Pris war temperamentvoll. Sie arbeitete daran, aber bei diesem Stadtstreicher war die Lage eindeutig. Er missachtete ihre Rechte.

Der Grünstreifen, der vom Parkplatz vor dem Haus bis zum Garten führte, zwang sie, auf Zehenspitzen zu gehen, damit die hohen Absätze nicht einsanken. Wenn sie mit diesem Kerl fertig war, würde sie andere Schuhe anziehen und sich noch einmal frisch machen müssen. Sie hatte noch genug Zeit, zwanzig Minuten – und sie hatte einen weiteren Tipp für ihr nächstes Buch. Tragen Sie niemals High Heels auf Gartenpartys!

Als sie sich der Ansammlung von Pappkartons näherte, sah sie ein Paar schmutzige nackte Füße daraus hervorlugen. Daneben hatte sich bereits ein Haufen Bierdosen und Müll gebildet. Sie entdeckte noch etwas, und das brachte sie zur Weißglut. Er hatte ihren wunderschönen Rasen als Toilette benutzt.

Einem Donnergrollen gleich kamen ihr die Worte über die Lippen. “Packen Sie Ihre Sachen zusammen und verschwinden Sie”, forderte sie den Mann auf.

Er reagierte nicht, und sie trat mit der Schuhspitze gegen den Karton. “Haben Sie mich verstanden?”

Der Karton bewegte sich. Als der Mann auftauchte und sich zu ihr umdrehte, erkannte Priscilla, dass es nicht derjenige war, dem sie Geld gegeben hatte. Dieser hier war viel jünger und kräftiger. Helle blaue Augen schimmerten unter dem strähnigen braunen Haar hervor. Er würde sich womöglich nicht so leicht vertreiben lassen.

“Das ist ein Privatgrundstück!” Sie fuchtelte mit ihrem Handy herum. “Sie haben zwei Minuten Zeit, um zu verschwinden, oder ich rufe die Polizei.”

“Verpiss dich”, murmelte er, packte den Karton und schüttelte ihn, als hätte sie ihn mit ihrem Fußtritt beschmutzt. Er drehte ihr den Rücken zu und ließ sich wieder auf die Unterlage sinken. Offensichtlich hatte er vor, sein offenbar flüssiges Frühstück im Schlaf zu verdauen.

Irgendwo in Priscillas Gehirn schien eine Leitung durchzubrennen. Es gab einen Kurzschluss, die Funken flogen, und sie begann zu beben. Sie hatte keine Chance, diesen heftigen und todbringenden Impuls zu unterdrücken. Eine tiefe, animalische Wut packte sie. Sie ballte die Hände zu Fäusten, die Oberlippe schob sich nach oben und entblößte ihre kleinen scharfen Schneidezähne. Die zierlichen Nasenflügel vibrierten, und ein dunkler Laut entschlüpfte ihrer Kehle, wild und unheimlich wie ein Geräusch des Dschungels.

Wie konnte er es wagen, ihr seinen schäbigen Schmarotzerrücken zuzukehren! Bis zehn zu zählen kam überhaupt nicht infrage, wenn so ein Mistkerl dabei war, die Gelegenheit ihres Lebens zu vereiteln. Sie ließ das Handy fallen und griff nach der Eisenskulptur eines Kranichs aus dem nächsten Beet. Sie musste diesen Kerl hier fortschaffen, egal wie. Sie scherte sich nicht darum, ob das Fernsehteam sie womöglich dabei sah. Dieser Kerl hier hatte eine Lektion verdient!

Der hochnäsige Produzent wollte etwas Ausgefallenes sehen? Ha!

Doch als sie die Skulptur über ihren Kopf hob, ließ eine leise Stimme der Vernunft sie innehalten. Vielleicht gab es noch andere Wege, das Problem zu lösen. Wenn sie gerade heftig genug zuschlüge, damit er benommen wäre, könnte sie ihn samt dem Karton aus ihrem Garten schaffen. Auf diese Weise würde er sich nicht zur Wehr setzen können.

Das entsetzliche Knirschen, als das Eisen auf den Schädelknochen knallte, ließ sie zusammenzucken. Ihre Wut war ebenso rasch verflogen, wie sie gekommen war. Angst überflutete sie, und sie fiel auf die Knie. Wann immer sie in diesen ungesunden Zustand geriet, war sie anschließend vollkommen zerstört. Erschüttert, ängstlich und zutiefst gedemütigt sah sie, was sie angerichtet hatte. Das hier war der schlimmste Ausbruch, den sie je hatte. War der Mann tot?

Autor

Suzanne Forster

Schon während ihrer Schulzeit war es Suzanne Forsters Traum Psychiaterin zu werden. Doch sie stammte aus einer Arbeiterfamilie, in der Geldsorgen zum Alltag gehörten. Keiner ihrer Vorfahren hatte ein College besucht und als ihr klar wurde, dass auch ihr dieses Privileg nicht vergönnt sein würde, fügte sie sich den Wünschen...

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