Nacht der Seelen

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4. und letzter Band von Jennifer Armintrouts erfolgreicher Blutsbande-Serie: Gelingt es der Vampirin Carrie, die Welt vor dem Bösen zu retten und den Soul Eater zu vernichten?

Kaum ist die Liebe zwischen der Vampirin Carrie und Nathan neu entflammt, schlägt das Böse wieder zu: Nathan wird von den Gefolgsleuten des Soul Eaters entführt und grausam gefoltert. Voller Verzweiflung schwört Carrie Rache. Und diesmal ist sie bereit, alles zu geben, um ihren Erzfeind zu vernichten - sogar ihr Leben. Nichts kann sie mehr stoppen, als es in einer dramatischen Nacht zu einem letzten Kampf mit dem Herrscher der Finsternis kommt …


  • Erscheinungstag 01.06.2010
  • Bandnummer 4
  • ISBN / Artikelnummer 9783862784547
  • Seitenanzahl 416
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

DANK

Ohne die Menschen in meinem Leben, die mich lieben und unterstützen, hätte ich diese Reihe nicht schreiben können. Sie verstehen, dass das, was ich schreibe, verdient, gelesen zu werden, auch wenn es nicht von etwas „Wichtigem“ handelt.

Und wie immer schulde ich der Fastfood-Industrie und den Bierherstellern großen Dank.

Darüber hinaus danke ich dem Four Coast Café in Kalamazoo, Michigan, wo ein großer Teil dieses Buches geschrieben und überarbeitet worden ist.

PROLOG

Manchmal träume ich von der Zeit, als ich mich in Mariannes Seele befunden habe. Oder war das, als sie in meiner war? Die Zeit damals war grauenhaft, aber in den Träumen fühlt es sich wunderbar an. Mächtig. Als glitte eine Seele über meine wie ein Gewand aus Seide und flüsterte mir ins Ohr.

Ich stehe über Nathan. Immer noch ist er festgebunden und brabbelt vor sich hin. Er ist irre vor Angst und von dem Fluch, den sein Schöpfer über ihn verhängt hat. Aus den tiefen Fleischwunden, die er sich selbst zugefügt hat, rinnt das Blut. Marianne beugt sich zärtlich zu ihrem Ehemann hinab, küsst ihn auf den Mund und beruhigt ihn. Und dann steigt in mir die Macht auf, und ich höre sie in meinem Kopf laut um Gnade betteln. Aber alles, was mich antreibt, ist Blut und das Bedürfnis, jemanden zu zerfleischen. Meine Blutrünstigkeit wird verstärkt durch die Dunkelheit und Wärme und den Kupfergeruch, der langsam sterbendes Leben ausdünstet.

Ich bemerke noch nicht einmal, dass ich trinke. Weder spüre noch schmecke ich das Blut, und obwohl ich irgendwie weiß, dass ich träume, bin ich dadurch beunruhigt, als würde ich etwas nicht verstehen, obwohl es so naheliegend ist. Wenn ich doch nur den größeren Zusammenhang erkennen könnte.

Ich labe mich, ohne zu trinken, und bin satt, ohne zufrieden zu sein. Und als ich den Blick in die schwindende Dunkelheit hebe, sehe ich vor mir den Ballsaal, in dem Marianne ihrem Schicksal begegnet ist. Um mich herum liegen die reglosen Körper von Menschen, die ich kenne: Nathan, Max, Bella, sogar von Freunden, die schon lange tot sind, wie Cyrus und Ziggy. Ich habe ihr Blut an meinen Händen.

Ihr Leben pulsiert in meinen Adern. Ihre gequälten Schreie hallen durch meinen Kopf wie eine Symphonie, zauberhafter als alles, was ich jemals gehört habe.

Und dann befindet sich auch Jacob Seymour im Raum. Er sitzt am Kopfende des massiven Esstisches. Er trägt eine Dornenkrone, und das Blut, das aus seinen Wunden fließt und sein weißes Haar und seine glänzende goldene Robe beschmutzt, ist schwarzer Teer. Auf dem Tisch steht eine riesige silberne Platte, die mit einer Haube abgedeckt ist, und ich erinnere mich – wie man sich in einem Traum erinnert, nicht so, wie Dinge in Wirklichkeit geschehen sind, sondern wie man sich einfach an jedes Detail erlebten Grauens erinnert –, was als Nächstes geschehen wird. Clarence taucht aus dem Nichts auf. Sein dunkles ebenmäßiges Gesicht eine Maske, die den Abscheu verbirgt, den er vor seiner Aufgabe hat, dann hebt er die Haube ab. Auf der Platte befindet sich Dahlia in einer Pose, die mir vertraut vorkommt, mich dennoch schockiert: Ihre Haut ist blass mit blauen Spuren des Todes, um ihren Kopf liegt ihr Haar wie ein Heiligenschein aus roten Locken, darunter ein Teppich aus roten Rosenblättern.

Und dann, während in meinem Kopf die Stimmen immer noch schreien, lache ich. Blut fließt mir aus dem Mund und sprudelt auf die Tischplatte, auf meine Hände und auf meinen Schoß, auf mein Kleid, das unerklärlicherweise zu der Kleidung Jacobs passt, und ich lache.

Doch wenn ich aufwache, schreie ich.

1. KAPITEL

Ein Schuss im Dunkeln

An diesem Tag, als ich im Bett hochschreckte, kaum schlucken konnte und gerade anfangen wollte, aus ganzer Kehle zu schreien, nachdem ich tief Luft geholt haben würde, legte sich eine Hand auf meinen Mund. Nathan war schon wach.

Sei still, warnte er mich durch die Blutsbande. Alle seine Muskeln waren angespannt, und durch unsere mentale Verbindung spürte ich, wie seine Furcht auf mich übersprang.

Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Seitdem wir aus Grand Rapids nach Chicago in Max’ Penthousewohnung geflohen waren, hatte sich Nathan um nichts anderes als meine Genesung gekümmert. Ich war verstummt und praktisch wie gelähmt, nachdem Cyrus, mein einstiger Schöpfer und schließlich mein Zögling, gestorben war. Sobald ich von einem meiner zahlreichen Albträume abends aufgewacht war – denn schließlich machen wir Vampire die Spätschicht, was diese nervtötende Sache mit der Sonne angeht –, hielt mich Nathan in seinen Armen und versuchte, mich davon zu überzeugen, dass alles nur ein Angsttraum gewesen war, und dass er es nicht zulassen würde, dass mir etwas zustieß. Aber in diesem Moment spürte ich seine Nervosität und eine deutliche Verstörung durch unsere Blutsbande, diese telepathische und emotionale Verbindung, die einen Vampir mit seinem Schöpfer aufs Engste miteinander verflechtet. Ich wusste, dass etwas nicht stimmen konnte.

Bevor er etwas sagen konnte, hörte ich von oben einen Rumms und jemanden gewaltig fluchen.

Da ist jemand in der Wohnung, schrie ich Nathan praktisch über unsere Verbindung ins Ohr. Langsam ließ der

Druck seiner Hand auf meinem Mund nach.

Ich weiß. Deshalb habe ich dir ja gesagt, du sollst still sein. Ich gehe nachsehen. Er ließ mein Gesicht los und schlug die Bettdecke zurück. Aufgrund des schmalen Lichtstrahls, der durch die schweren Vorhänge fiel, konnte ich ahnen, dass es noch mitten am Tag sein musste. Max’ Wohnung war extra so angelegt, dass es auch bei Tag so dunkel wie in einer Grabkammer war, so gut war sie vor unerwünschtem Sonnenlicht geschützt.

Sei vorsichtig, warnte ich Nathan. Als ob man vorsichtig sein konnte, wenn man einem Eindringling in seiner Wohnung nachstellte. Aber wenigstens trug Nathan eine Waffe.

Verdammt. Er trug keine.

„Nathan!“, flüsterte ich ihm hinterher in der Hoffnung, dass wer oder was ihn auch immer nervös machte, mich nicht hören würde. Leider hörte auch Nathan mich nicht. Wahrscheinlich war er schon die halbe Treppe hinaufgeschlichen. Ich verdrehte die Augen, stand auf und zog mir die Jeans an, die auf dem Boden lag. Ich muss lächerlich ausgesehen haben, mit meinem Seiden-Nachthemdchen über der Jeans. Gott sei Dank befand ich mich ja nicht auf einer Modenschau. Aus der Schublade des Nachtschranks zog ich einen Holzpflock. Hast du nicht etwas vergessen?, fragte ich ihn gereizt durch die Blutsbande, denn ich wollte Nathan spüren lassen, wie genervt ich davon war, dass ich seinetwegen das kuschelige Bett verlassen musste. Ich wünschte mir, dass ich die Angst, die ich hatte, damit verschleiern konnte.

Du meinst, außer mir eine Hose anzuziehen?, witzelte er. Er fürchtete sich ebenso wie ich und versuchte, es mit einem Scherz zu überspielen.

Wir hatten in dem Zimmer geschlafen, in dem ich mit Max gewohnt hatte. Damals war der Bannspruch, den wir ausgesprochen hatten, um Nathan aus den Fängen seines Schöpfers zu befreien, völlig aus der Kontrolle geraten. Nein, das stimmte nicht ganz. Der Fluch hatte großartig funktioniert. Nur unsere Beziehung ging danach drunter und drüber. Ich war mit Max fortgegangen, um mein Leben wieder aufzuräumen, nur – und das schien der Fall zu sein, seitdem ich ein Vampir geworden war – schien sich die übersinnliche Welt nicht um ein Liebesdrama zwischen zwei Menschen zu kümmern. Nathans Schöpfer, der Souleater, der Seelenfresser, war immer noch da draußen und versuchte, zu einem Gott zu werden, um die Welt zu seinem persönlichen Futtertrog zu machen.

Auch wenn ich schon einige Zeit in dem Penthouse gewohnt hatte, kannte ich mich in der Wohnung immer noch nicht gut genug aus, um im Dunklen sicheren Schrittes herumzulaufen. Die Wohnung war riesig, und wie das in riesigen Wohnungen immer so ist, stehen überall kleine teure Beistelltischen mit scharfen Ecken herum, auf denen sich zerbrechliche Dekorationsobjekte befinden, die das Potenzial bergen, mit einem unglaublichen Getöse hinunterzufallen. Die Gästezimmer befanden sich im ersten Stockwerk. Wer oder was in die Wohnung eingebrochen war, musste durch den Haupteingang in der zweiten Etage oder durch die Tür im Dachgeschoss gekommen sein. Ich tastete mich an der Wand entlang und hielt jedes Mal inne, wenn ich einen Lichtschalter oder den Rahmen eines Gemäldes unter meinen Fingern spürte. Es tat weh, als ich mit meinen Zehen an die unterste Stufe der Treppe stieß, die nach oben führte. Ich fragte mich, wie Nathan es geschafft hatte, den ganzen Weg zurückzulegen, ohne zu stolpern oder zu fallen. Langsam stieg ich die Treppe hinauf und hielt mich am Geländer fest, während ich mich zwang, den Wunsch zu unterdrücken, hinaufzurennen und bei jedem Schritt laut aufzutreten. Oben schien kein Licht. Ich musste einfach so lange hochgehen, bis ich keine weitere Stufe mehr unter meinen Füßen spürte.

Oder bis ich etwas umstieß. Nathan drehte sich abrupt um, als ich mit ihm zusammenprallte. Er ergriff meine Arme, als wollte er mich zurückschubsen, aber er hielt inne, bevor ich ihm sagen musste, dass ich es war. Mach das nicht noch einmal, schimpfte er mit mir durch die Blutsbande.

„Tut mir leid“, flüsterte ich und reckte den Hals, um an ihm vorbei den Flur hinunterzusehen. Wir standen auf der obersten Stufe. Der Marmorboden in der Eingangshalle erstrahlte unter dem sanften Licht der Lampen, die auf Schienbeinhöhe in die Wände eingelassen waren. Als Max’ Schöpfer, Marcus, die Inneneinrichtung des Hauses plante, hatte er offensichtlich schon das Stolpern bei Tageslicht berücksichtigt. Nur schade, dass er die bodennahe Rundum-Beleuchtung nicht auch im Rest der Wohnung hatte installieren lassen. Im Dunkeln sahen wir einen Schatten vom Fuß der Treppe schnell in den dritten Stock zur Küchentür hinüberhuschen.

Na, da hätten wir ja schon mal einen, stellte Nathan ernst fest. Du bleibst hier.

Ich presste ihm den Pflock in die Hand und sah zu, wie er hinüberging. Ich fragte mich, wie lange ich wohl warten sollte, bis ich ihm folgen konnte. Gut genug kannte er mich, um zu wissen, dass ich mich seinem Befehl widersetzen würde. Aber wenn ich lange genug warten würde, wäre er mit dem Eindringling so beschäftigt, dass er mich nicht aufhalten konnte.

Die Küchentür öffnete sich und Licht schien auf den Flur. Noch nie hatte ich davon gehört, dass Einbrecher Licht einschalten. Jedenfalls machten sie das nicht im Kino. Auf der anderen Seite brachen Diebe auch nicht tagsüber ein. Es sei denn, der Einbrecher wusste, mit wem oder was er es zu tun hatte.

Wie haben sie uns so schnell gefunden?, rief ich unhörbar Nathan zu, während ich ihm zusah, wie er hinter der Tür verschwand. Sie fiel hinter ihm ins Schloss, sodass ich allein war und mich wieder an die Dunkelheit gewöhnen musste. Das ist ungerecht. Wir haben doch gar keine Zeit gehabt.

Und ebenso schnell spielte es keine Rolle mehr, was gerecht war oder was nicht. Es rief jemand, Nathan war es nicht, und das Geräusch von aufeinanderschlagendem Metall erklang. Ein Grunzen, ein dumpfer Schlag, etwas prallte gegen die Wand. Ich rannte die Treppe hinauf, während mir das Herz bis zum Hals schlug. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich exakt dieselbe Situation schon häufiger erlebt.

Ich stieß die Tür auf. Nathans Holzpflock lag auf den makellos sauberen weißen Fliesen. Das Regal mit den Töpfen, das sich über der Herdzeile inmitten des Raumes befand, war so gut wie leer, die meisten Pfannen und Töpfe lagen auf dem Boden verstreut. Die Arbeitsfläche war komplett leergefegt, als habe man einen Körper darüber hinweggezogen. So wie es aussah, war es Nathans Körper gewesen. Sein Angreifer hatte ihn auf den Rücken geworfen. Es war für einen Menschen keine leichte Angelegenheit, einen Vampir umzulegen, und es handelte sich eindeutig um einen Menschen. Ich konnte sein Blut und seine Angst riechen. Der Mann lag auf Nathans Brustkorb, seine Rückenmuskeln zeichneten sich unter seinem schwarzen T-Shirt ab. Dem dunklen V aus Schweiß auf dem Stoff nach zu urteilen, müsste er bald müde werden. Da er eine Pistole in seinem Hosenbund trug, schien er sich auf einen Kampf eingestellt zu haben.

Ich wusste, warum Nathan verlor. Er wollte vermeiden, einen Menschen zu verletzen, auch wenn sie es darauf abgesehen hatten, uns weh zu tun. Mir hingegen war es relativ egal, wenn der Angreifer möglicherweise einer von den Leuten des Souleaters war, der in der Tagschicht arbeitete. Vom Boden hob ich einen Topf auf, eine solide Kasserolle mit Kupferboden. Gerade als ich mit ihr ausholte, sah mir Nathan in die Augen und wusste, was ich vorhatte. Er griff nach den Handgelenken des Eindringlings und drückte sie herunter, dann schubste er ihn nach hinten. Nathans Kraft reichte aus, um den Mann durch die Küche segeln zu lassen, sodass er vor mir in Sicherheit war. Denn Nathan wollte auch nicht, dass ich einen Menschen umbrachte.

In Sekundenschnelle war er wieder auf den Beinen und ging auf den Menschen los, als ich schrie: „Nathan! Nicht! Er hat eine Pistole!“

Ich hörte den Schuss, bevor ich bemerkt hatte, dass der Mann schon wieder aufgestanden war. Nathan sackte auf dem Boden zusammen. Einen Augenblick lang war es schrecklich still, bevor er sich stöhnend und winselnd auf den Rücken rollte. Der Eindringling stand still und starrte ihn schockiert an. Indem ich mühelos um die Ecke der Herdzeile hechtete, stürzte ich mich auf ihn und schlug ihn zu Boden. Seine Finger waren immer noch um den Abzug der Waffe geschlossen. Immer wieder musste ich seine Faust auf den Boden schlagen, bis die Fliese unter seinen Fingergelenken zersprang und er vor Schmerz aufheulte. Schließlich ließ er die Pistole los. Das musste ich ihm lassen, der Typ war hart im Nehmen.

Ich nahm ihm den Revolver ab und hoffte, dass mein Zittern und die Art, wie ich ihn hielt, mich nicht sofort als totale Novizin verrieten. Aber auch ein Anfänger kann trotzdem den Abzug ziehen, sagte ich mir. Durch seinen Schmerz hindurch wies mich Nathan zurecht: Drücken, Carrie. Nicht ziehen. Du drückst den Abzug.

Ich verdrehte die Augen und platzierte den Lauf der Pistole auf der Stirn des Mannes. Ich stellte mir vor, wie die Patrone losschoss und durch fettige Hirnmasse drang, dann zog ich die Waffe wieder weg, nur für den Fall, dass mein Finger den Abzug drückte, wenn ich es eigentlich gar nicht wollte.

„Keine Bewegung“, fuhr ich ihn an, als er seine blutende Hand an seine Brust zog.

„Sollten Sie sich nicht um Ihren Freund hier kümmern?“ Seine Stimme klang angenehm, unauffällig. Wie der Professor aus dem Staat New York, den ich mal hatte. Er hielt seine Pharmazie-Vorlesung, als berichtete er von einem Baseball-Match mit Sieg für die eigene Mannschaft. Das war eine ungute Eigenschaft für einen Angreifer, denn sein Timbre stimmte mich ein wenig gütig.

Mir geht es schon besser, teilte mir Nathan mit, obwohl ich seine Schmerzen durch die Blutsbande hindurch spüren konnte. Es fiel mir auch einigermaßen schwer zu glauben, als ich ihn da auf dem Boden vor Schmerz gekrümmt liegen sah, kleine Schreie ausstoßend, als habe er gerade die zehn auf der Schmerzskala von eins bis zehn erreicht. Ich wandte mich wieder an meinen Gefangenen. „Ihm geht es gut. Wer hat dich geschickt?“

„Nun, niemand. Ich komme einmal im Monat.“ Er deutete mit dem Kopf zum Kühlschrank. Daneben stand so etwas wie eine kleine Kühlbox, weiß mit einer roten flexiblen Abdeckung. Ein Behälter, in dem man Spenderorgane transportiert. „Ich bin Max’ Blutspender.“

Ich ließ die Pistole ein wenig sinken. „Genau. Und du spazierst hier immer einfach so herein.“

„Nein, nur einmal im Monat“, korrigierte er mich schulterzuckend.

Ich war mir zu achtzig Prozent sicher, dass er mich anlog. „Tut mir leid. Aber ich glaube, dass Max einen hauseigenen Blutspender erwähnt hätte. Oder zumindest wären wir uns schon mal begegnet.“

„Nein. Ich bin leise. Und ich habe die Schlüssel. Wie zur Hölle soll ich denn sonst hier hereinkommen? Was glauben Sie? Es gibt schließlich einen Wächter und Sicherheitsleute.“ Er fuhr sich mit der gesunden Hand durch das straßenköterblonde Haar und schaute kurz zu Nathan hinüber, der immer noch am Boden lag. „Hören Sie mal. Ich wusste, dass Ihr Freund ein Vampir ist, sonst hätte ich nicht auf ihn geschossen.“

„Genau.“ Zitternd schob ich den Revolver in den rückwärtigen Hosenbund meiner Jeans.

„Das würde ich nicht machen. Nicht wenn sie schussbereit und entsichert ist.“ Er hielt mir die ausgestreckte Hand entgegen.

Ich holte die Pistole wieder hervor, drehte mich um, schoss ein Loch in den Plastikmülleimer und suchte dann den Sicherungshebel und legte ihn um, bevor ich sie wieder in den Hosenbund steckte. Durch die Waffe in meinen Händen fühlte ich mich seltsam mächtig. Aber ich war auch sehr froh, dass sich kein Schuss gelöst und mich verletzt hatte.

Ich kniete neben Nathan nieder und versuchte, ihn auf den Rücken zu drehen. Er wehrte sich und presste die Arme auf seinen Bauch. „Lass mich mal sehen“, sagte ich und zog seine Hände von der Wunde.

„Nicht … du musst … ihn fesseln …“, brachte Nathan zwischen zwei schwachen Atemzügen hervor.

„Ich rühre mich nicht von der Stelle, darauf können Sie sich verlassen.“ Der Fremde hielt inne. „Genauso wie ich mich darauf verlasse, dass Sie mich nicht verspeisen.“

„Im Moment habe ich keinen Hunger“, fuhr ich ihn an. „Aber wenn du dich bewegst, dann überlege ich es mir vielleicht noch anders.“ Nathan ließ seine Arme widerwillig auf den Boden gleiten. Blut sprudelte aus der Wunde hervor, und ich legte meine Hand schnell an die Stelle, wo zuvor seine gelegen hatte. „Dieb, besorg mir ein Handtuch oder einen Topflappen oder irgendetwas.“

Ich hörte etwas rumoren, dann wurde ein blauweiß kariertes Handtuch vor meine Augen gehalten. „Ich bin kein Dieb.“

„Ist mir egal. Setz dich wieder dahin, wo du gesessen hast.“ Ich griff nach dem Handtuch. Die Einschusswunde war perfekt rund, genau so, wie das Loch, das ich in den Mülleimer geschossen hatte, bis natürlich auf die Fleischlappen drum herum. Es sah aus wie irgendeine verwelkte tropische Blume. Ich presste das gefaltete Handtuch auf die Wunde und sah auf die Uhr. Mit der anderen Hand strich ich über Nathans Gesicht, das schweißnass war. „Sobald die Blutungen aufgehört haben, gebe ich dir etwas gegen die Schmerzen.“

„Er wird doch wieder gesund, oder?“, fragte unser Besucher. „Ich schwöre, ich wollte ihn nur ein wenig abbremsen.“

Ich nickte. „Du hast ihn ausgebremst. Und er wird wieder gesund. Aber nicht so, wie du es aus dem Kino kennst, wenn die Pistolenkugel aus dem Körper heraustritt und die Wunde sich im nächsten Moment schon wieder schließt. Wenn du sein Herz erwischt hättest, wäre er jetzt tot.“

Der Typ schnaufte. „Gott, das tut mir leid. Aber Sie verstehen doch auch meine Situation, oder?“

Ich konnte ihn verstehen. Wenn ich ein Mensch gewesen wäre und mit einem Vampir hätte kämpfen müssen, der mich einfach mit seinen bloßen Händen umbringen konnte, dann hätte ich auch jedes erdenkliche Mittel genutzt, um ihn aufzuhalten. Aber auch wenn ich ihn verstand, hieß das nicht, dass ich nicht wahnsinnig von dem Typen genervt war, der meinen Schöpfer angeschossen hatte. Ich drehte mich wieder zu Nathan um. „Glaubst du, du kannst gehen?“

Er lachte unsicher. „Ach, einen Kilometer könnte ich laufen. Du brauchst mich nur in die richtige Richtung zu schubsen.“

„Meinst du, du kannst mit Unterstützung gehen?“ Ich starrte ihn an und gab ihm zu verstehen, dass ich keinen Spaß machte. Der Verbandkasten ist unten, und ich will dich nicht mit ihm hier allein lassen.

Dann sag ihm, dass er verschwinden soll“, riet Nathan, während er dem Fremden einen kurzen Blick zuwarf. Er ist schließlich derjenige, der eingebrochen ist und jemanden angeschossen hat. Seine Gefühle zu verletzen ist meine geringste Sorge.

Das wäre mir auch egal. Aber die Projektile müssen raus, damit die Wunden schneller verheilen können. Ich half ihm, sich hinzusetzen, um ihn auf die Füße zu bekommen und nach unten zu bringen, damit er sich ausruhen konnte.

„Du bleibst genau da, wo du bist“, befahl ich dem Eindringling. „Ich komme zurück.“

Das wirst du nicht. Und ich gehe nirgendwohin, fing Nathan an, mit mir zu streiten.

„Sie haben eine Knarre mit meinen Fingerabdrücken, die auf mich ausgestellt ist und aus der kürzlich geschossen wurde. Ich rühre mich kein Stück“, versicherte mir der Einbrecher. „Brauchen Sie Hilfe, um ihn irgendwohin zu bringen?“

„Du bleibst genau, wo du bist“, wiederholte ich und wandte mich Nathan zu. Doch, das wirst du tun. Du wirst nach unten gehen, und aus der Nähe dieses Verrückten verschwinden, der auf dich geschossen hat.

Bevor ich ihn zum Stehen verhelfen konnte – und bevor er weiter versuchte, mit mir zu streiten – hatte er zwei Finger in die Wunde gesteckt und zog die Kugel selbst heraus, ohne seine Schmerzensschreie zu unterdrücken. Als er die Finger zurückzog, schoss kaltes Blut in Strömen hervor, und fluchend drückte ich ihm das Handtuch wieder auf den Bauch.

„Was hast du dir zur Hölle dabei gedacht?“, schimpfte ich mit ihm. Aber ich erinnerte mich daran, dass die ganzen Keime und Bakterien, die er gerade in die Wunde geschleust hatte, ihm ja nichts anhaben konnten.

„Jetzt ist die Kugel draußen.“ Auf seiner Stirn standen die Schweißperlen, aber er war sehr ruhig, was ich äußerst ärgerlich fand. Seine Zähne schlugen aufeinander, als er sich gegen mich lehnte und zusammensackte. „Und ich werde mich nicht von der Stelle rühren.“

Schimpfend zog ich ihn ein Stück vor und lehnte ihn an die Wand, seine Beine hinterließen zwei blutige Spuren.

„Ein Idiot bist du“, murmelte ich, während ich seine Hand nahm, um sie auf das Handtuch und damit auf die Einschüsse zu pressen. Ich drehte mich zum unserem Fremden um. Er befand sich exakt dort, wo ich erwartete, dass er saß, und rieb sich die blutigen Fingerknöchel.

„Geht es Ihrem Freund besser?“, fragte er mit einer Stimme, die ihn wahrhaftig reumütig erscheinen ließ.

„Er wird sich schon erholen.“ Ich betonte das Wort „schon“, damit ihm nicht entging, dass ich immer noch extrem wütend war. „Was wolltest du hier?“

„Ich wollte Blut abliefern. Max bezahlt mich dafür, dass ich vorbeikomme und die Vorräte auffülle – die Minibar in seinem Schlafzimmer und den großen Kühlschrank hier. Ich komme einmal im Monat. Manchmal bekomme ich auch Geld von ihm, um zwischendurch vorbeizuschauen, und denjenigen Übernachtungsgästen einen ordentlichen Schrecken einzujagen, die … abgeneigt sind, abzufahren ohne sich zu verabschieden.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe den Schlüssel, und Sie können ja Dolores fragen. Sie macht die Frühschicht am Empfang und glaubt, ich sei die Putzfrau.“

Ich zog eine Augenbraue hoch. „Okay, Putzfrau. Wie heißt du?“

„Bill. William. Bill.“ Er langte mit einem Arm hinter sich, was ich gleichzeitig auf der Suche nach der Waffe tat. Er lächelte. „Keine Sorge. Ich suche nur nach meiner Brieftasche.“

„Ich brauche deinen Personalausweis nicht, Bill.“ Das Verhör gestaltete sich schwieriger, als ich gedacht hatte. Ich wünschte, Nathan könnte diesen Job für mich übernehmen. Im Film sieht es immer so aus, als würden die Fragen einer bestimmten Logik zufolge nahtlos ineinander übergehen. Ich dachte an tausend verschiedene Dinge, wahrscheinlich ergaben meine Fragen nicht den geringsten Sinn. „Also, wenn du so ein guter Kumpel von Max bist, warum hast du dann eine Waffe dabei, wenn du herkommst?“

Bill zuckte mit den Schultern. „Ich trage immer eine Pistole bei mir.“

„Warum?“ Ganz eindeutig hatte ich ein Problem mit Leuten, die verdeckt Waffen mit sich herumtrugen. Es hatte schon seine Gründe, warum ich kein eingetragenes Mitglied der National Rifle Association, dem Verband der Schusswaffenbesitzer, war.

Er schnaufte, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank. „Warum nicht?“

Ich wollte mich nicht in eine Diskussion über Waffenbesitz mit jemandem verzetteln, der soeben von seinem zweiten Bürgerrecht in Max’ Küche Gebrauch gemacht hatte. Ich starrte ihn an, verschränkte meine Arme und wartete.

„Na, erstmal ist es so etwas wie eine Faustfeuerwaffe für mich, ich war zwölf Jahre lang bei den Marines als Soldat.

Ich habe mich nie daran gewöhnen können, keine Waffe bei mir zu tragen. Außerdem brauche ich sie in dem Beruf, in dem ich arbeite. Max ist nicht mein einziger Kunde. Aber das ist jetzt das erste Mal, dass sich hier Vampire aufhalten, von denen er mir nichts erzählt hat. Normalerweise warnt er mich vor, wenn er Blutsauger zu Besuch erwartet. Deswegen habe ich Sie angegriffen, denn soweit ich weiß, haben Sie kein Recht, hier zu sein.“

„Nun. Da liegst du falsch. Max hat uns angeboten, hier zu wohnen. Aber trotzdem … eine Pistole? Warum kein Pflock?“ Mir fiel auf, dass er immer noch in derselben Ecke stand. In der Krimskrams-Schublade in der Küchenzeile befand sich ein kleines Paket mit Verbandsmaterialien. Bei Nathans Wunden half das kein bisschen. Ich holte die Verbände heraus. „Setz dich, ich kümmere mich um deine Hand.“

„Danke. Das ist nett.“ Er schob sich auf einen der Barhocker und betrachtete reumütig die Töpfe und Pfannen, die wild auf dem Boden verteilt lagen. „Ihr Freund ist ein ganz ordentlicher Kämpfer.“

„Er ist mein Schöpfer.“ Ich zog es vor, nicht näher auf die verkorkste Beziehung einzugehen, die zwischen mir und Nathan bestand. Vielleicht hätte der Kerl uns im Schlaf aus dem Hinterhalt angegriffen, aber diese Strafe hatte er dennoch nicht verdient.

Ich öffnete den Verbandskasten und nahm seine Hand. Unter der geplatzten Haut waren seine Knöchel angeschwollen. Bei dem Gedanken, dass ich dafür verantwortlich war, wurde mir ein wenig übel. Allerdings ging es Nathan wesentlich schlechter. Als ich zu ihm herübersah, winkte er mir schwach von seinem Platz auf dem Fußboden zu. Er war grau im Gesicht, und das Handtuch hatte er fallen lassen. Die Blutungen hatten aufgehört. Ich wandte mich wieder an Bill. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.“

„Ich trage keinen Pflock bei mir, weil mir das keine Sicherheit bietet. Mit einer Pistole kann ich schießen und jemanden zu Fall bringen, jedenfalls so lange, bis ich in Sicherheit bin. Mit einem Pflock muss man ins Herz treffen. Ich bin schließlich kein Arzt. Woher soll ich denn wissen, wo sich das Herz bei Leuten befindet.“ Er kniff die Augen zusammen, als ich mit einem Desinfektionsmittel seine Hände reinigte. „Wirklich. Ich meine, wissen Sie etwa, wo das menschliche Herz – Verzeihung, das Herz von einem Vampir – liegt?“

„Ja. Aber ich bin auch Ärztin.“ Ich betupfte einen wirklich besonders tiefen Schnitt und fischte etwas Gaze aus dem Karton. „Also, du beschäftigst dich mit Vampiren, denen du misstraust, und hast das Gefühl, du müsstest dich bewaffnen. Hört sich so an, als solltest du mal über einen Berufswechsel nachdenken.“

Er lachte in sich hinein, es klang ein wenig bitter. „Das hier wird besser bezahlt als alles andere, was ich machen könnte. Die Jobsituation ist schwierig.“

„So schwierig wie die Situation für Blutspender, nehme ich an. Da du mehr als einen Kunden bedienen musst.“ Ich betrachtete argwöhnisch die Kühltasche. „Also, wie viel Blut zirkuliert noch in deinem Körper, wenn du mir die Frage gestattest?“

Er grinste. „Sie sind eine kluge Frau. Okay, Sie haben mich. Es ist nicht alles mein Blut. Ich bekomme es von anderen Spendern, denen es nichts ausmacht, ihr Blut herzugeben, solange sie nichts direkt mit Vampiren zu tun haben müssen. Ich nehme es, und berechne einen kleinen Aufschlag für meinen Aufwand.“

Ich schüttelte den Kopf. War denn nichts mehr heilig?

„Du verdienst dein Geld damit, indem du mit Blut handelst?“

„Das ist ehrliche Arbeit.“ Er deutete mit dem Kopf auf seine verletzte Hand. „Und überhaupt, es ist ja nicht so, dass ich nicht auch ein Risiko eingehe, wenn ich das Zeug abliefere. Was haben Sie beide hier eigentlich zu suchen? Wo ist Max?“

„Max ist …“ Ich zögerte. Da ich Bill nicht genau einschätzen konnte, wollte ich ihm nicht erzählen, dass Max der erste Vampir war, der Vater geworden war – der erste in der Geschichte der Vampire. Geschweige denn, dass er diese fantastische Fähigkeit dazu benutzt hatte, einen Werwolf flachzulegen. „Verhindert. Ich weiß nicht, wann er zurückkommt. In letzter Zeit sind in der Vampirwelt seltsame Dinge passiert. Nathan und ich brauchten einen Ort, an dem wir uns verstecken konnten.“

Braves Mädchen, ließ mich Nathan durch die Blutsbande wissen. Ihm gelang es, so etwas zu sagen, ohne absolut gönnerhaft zu klingen. Mir wurde warm ums Herz durch Nathans Zustimmung, auch wenn ich durch den Tod meines Zöglings weicher geworden war.

Offensichtlich gab sich Bill mit meiner Antwort zufrieden. Er räusperte sich und fragte: „Also, Nathan ist Ihr Schöpfer, und wie heißen Sie?“

„Ich bin Carrie.“ Ich runzelte die Stirn, als ich mir seine Hand ansah. Verbände halten nie gut an Gelenken.

„Ich würde dir die Hand geben, aber du hast mir schon die andere zerquetscht.“ Er sah sich in der Küche um. „Also, wenn ihr noch hierbleibt, dann braucht ihr Blut. Ich kann euch einen guten Deal anbieten.

Ich schüttelte den Kopf. „Auch, nachdem wir dich zusammengeschlagen haben?“

„Ich weiß ja nicht, welchen Kampf du gesehen hast, aber ich hatte deinen Schöpfer auf dem Boden. Mensch über Vampir, das muss doch zu etwas gut sein.“

„Ich bin angemessen beeindruckt.“ Es war sehr seltsam, wie schnell es ihm gelungen war, mein Vertrauen zu gewinnen. Entweder war er wirklich ein netter Mensch, oder ein genialer Manipulator. Dieser Gedanke beunruhigte mich. „Hör mal, diese anderen Vampire, die du … belieferst … haben die zufällig irgendetwas mit der Bewegung zur freiwilligen Ausrottung der Vampire zu tun?“

Er nickte. „Einige von ihnen hatten was damit zu tun.“ „Und zu anderen Mitgliedern hatten sie auch keine Verbindung mehr?“ Ich verlor die Hoffnung. Es gab jede Menge Vampire dort draußen, die für die Bewegung arbeiteten, aber wir hatten keine Chance, mit ihnen in Kontakt zu treten. Und wenn sie nur zum Teil so waren wie Nathan zu der Zeit, als er sich von der Bewegung kontrollieren ließ, dann würden sie sich ausschließlich still verhalten und darauf warten, von jemandem ein Zeichen zu bekommen. So hatten sie es schließlich gelernt.

Die Bewegung zur freiwilligen Ausrottung der Vampire war das letzte Mittel in der Schlacht zwischen den guten Vampiren und den bösen – bis schließlich ein wirklich böser Vampir alles auffliegen ließ. Bevor die Zentrale mit einem Knall auseinanderflog, hatten Vampire die Wahl zwischen zwei Alternativen: sich der Bewegung anzuschließen und ihre Regeln zu befolgen oder sich dagegen zu entscheiden und sich von Mitgliedern der Bewegung umbringen zu lassen. Als Gegenleistung für das Privileg, nicht getötet zu werden, brachten die Vampire der Bewegung diejenigen um, die sich nicht an die Regeln hielten. Wenn es uns gelänge, Mitglieder der Bewegung zu finden, die sich immer noch den Idealen der Organisation verschrieben hatten, hätten wir eine Kampftruppe zusammenstellen können, die in der Lage gewesen wäre, den Souleater und alle seine Kumpel auszulöschen, die es vielleicht noch gäbe. Aber die Bewegung hatte nie irgendeine Art von Kommunikationssystem außerhalb ihrer eigenen Netze aufgebaut, und das aus gutem Grund. Sollte ein Vampir sich auf die böse Seite schlagen – und manchmal kam das vor –, brauchte er nicht die Namen und Adressen seiner neuen Feinde zu kennen. Allerdings machte es ein Notfall wie dieser unmöglich, genügend Unterstützung zu finden, um den Plan des Souleaters auch nur im Ansatz zu durchkreuzen. Es war unmöglich zu beweisen, dass ein Vampir, den wir möglicherweise kennenlernten, für die Bewegung oder für den Souleater arbeitete. Natürlich war ich ein Vampir, der nicht der Organisation angehörte, ebenso wenig Nathan. Aber ich wusste, dass uns nichts geschehen würde. Bezüglich neuer Kontakte war es wie ein Qualitätssiegel, wenn jemand sich der Bewegung zuordnete. Vampire, die ihr nicht angehörten, konnten gut oder sehr sehr böse sein, und ich ging lieber auf Nummer sicher.

Nathan stand auf, zuckte zusammen und schlurfte irgendwie gebeugt auf den Küchentresen zu. Ich wollte ihn schelten, weil er sich nicht länger ausruhte, aber sein typischer Blick, wenn er etwas Bestimmtes im Sinn hatte, ließ mich den Mund halten. „Du musst uns die Liste deiner Kunden nennen.“ Er war so kurz angebunden, dass ich fast ein „Bitte“ hinterhergeschickt hätte, um seinem Befehl die Schärfe zu nehmen.

Bill schien die Aufforderung ebenso wie ich wahrzunehmen, denn er schnaubte und schüttelte den Kopf. „Nein. Auch wenn Sie so nett gefragt haben. Ich habe meinen Kunden Vertraulichkeit zugesichert, die ich nicht verletzen werde. Das würde sowohl meinen Ruf als auch mein Geschäft ruinieren.“

„Hör mal, du warst derjenige, der hier bewaffnet hereinspaziert kam und mich angeschossen hat.“ Nathan deutete auf seinen Bauch, auf dem die Wunde schon verheilt war und die Narbe rosa glänzte. „Vielleicht solltest du uns, den betroffenen Beteiligten, so etwas wie eine Wiedergutmachung anbieten. Und was die Vertraulichkeit angeht, du hast keinen Schimmer, in welcher Gefahr wir uns befinden. Allein zu wissen, dass wir hier sind, nun … Sagen wir mal so, wir Vampire haben unsere eigenen Wege, unsere Privatangelegenheiten zu schützen.“ Er verwandelte sein Gesicht, was ihn viel Kraft kostete, denn er war noch immer schwach, wie ich sehen konnte. Nathan machte einen Schritt auf Bill zu.

Ich wusste, dass Nathan niemals einen Menschen töten würde. Vielleicht würde er ihn niederschlagen und ihn hinauswerfen, vielleicht ihn erschrecken, aber nicht umbringen, gleichgültig, wie groß die Bedrohung auch war. Das war nicht Nathans Art. Aber dass konnte Bill nicht wissen. Zuerst wurde er blass, dann fing er sich wieder. „Kumpel, ich war bei der Armee. Ich lasse mich nicht von einem Paar Reißzähnen und einigen Drohungen einschüchtern.“

Nathans Mund verzog sich zu einem Grinsen. „Ja, ich sehe schon, du bist ein ganz harter Kerl. Besonders, wenn du auf einen unbewaffneten Vampir losgehst.“

In jeder angespannten Situation gibt es den Punkt, an dem einer Partei die Streitlust vergeht und nachgibt. Bill war so weit. Nathan setzte sich auf meinen Platz am Küchentresen, während ich zum Kühlschrank ging, um etwas zu Essen für Nathan zu holen, damit er seinen Blutverlust ausgleichen konnte. Für Bill, dessen Hände zitterten, als er mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte herumtrommelte, wollte ich etwas zu trinken besorgen, am liebsten Alkohol.

„Sonst ist es nicht meine Art, Leute anzugreifen“, warf Bill entschuldigend ein. „Aber seitdem die Bewegung sich aufgelöst hat, herrscht in der Stadt eine Stimmung wie im Wilden Westen.“

Nathan zuckte lässig mit den Schultern, aber ich sah, dass er Bill genau beobachtete. Er prägte sich jeden Atemzug, jedes Zucken ein, um ihn später zu analysieren.

Bill fuhr fort, ohne Nathans forschenden Blick zu bemerken. „Ich würde ja sogar um Geld wetten, dass Chicago nicht die einzige Stadt ist, in der es sonderbar zugeht, habe ich recht?“

„Wahrscheinlich hast du recht. Wir waren bisher nur hier und dort, wo wir gerade herkommen.“ Nathan zuckte mit den Schultern. „Daher fände ich es eben auch gar nicht schlecht, mit einigen deiner anderen Kunden zu reden.“

„Ich weiß nicht.“ Bill nahm einen Schluck. „Ich müsste jemanden finden, der sich bereit erklärt, mit dir zu reden. Aber was euch angeht, Leute … Woher soll ich wissen, dass ihr es nicht vermasselt und denjenigen tötet? Ich meine, ich kenne euch doch gar nicht.“ Mit einem schiefen Lächeln hielt er inne. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich für euch verbürgen würde. Und vielleicht will ich mit der Sache nichts zu tun haben, in die ihr verwickelt seid. Ich habe schon Gerüchte gehört, dass so ein Soul-Typ versucht, Supervampir zu werden. Damit möchte ich wirklich nichts zu tun haben.“

„Supervampir?“, platzte ich heraus, während Nathan zur selben Zeit rief: „Was hast du darüber gehört?“

Bill sah zwischen uns hin und her, als könne er sich nicht entscheiden. „Ich bin mir nicht sicher, wem ich zuerst antworten soll.“

„Was weißt du über Jacob Seymour?“, fragte Nathan und übertönte damit mein „Wann hast du davon gehört?“

„Ich kenne ihn nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass die Vampire in dieser Stadt entweder für diesen Soul-Mann arbeiten oder von ihm umgebracht werden. Und das letzte Mal, dass ich etwas über ihn gehört habe, das war vor einigen Tagen in einer Bar in der Innenstadt.“ Bill schüttelte vehement den Kopf und fügte hinzu: „Damit will ich nichts zu tun haben.“

„Du hast etwas damit zu tun, weil du auf mich geschossen hast.“ Nathan streckte den Arm aus, um ihm als kameradschaftliche Geste die Schulter zu drücken. „Jetzt musst du dich nur entscheiden, inwieweit du dich in die Sache einmischen willst. Wenn du uns die Namen deiner Kunden gibst und dann gehst, dann steckst du nicht allzu sehr mit drin.“

„Aber dann gibt es immer noch das Problem meiner Existenzgrundlage.“ Bill lachte. „Nein, danke. Ich erledige hier für euch ein paar Sachen, so habe ich das auch für Max gemacht. Schließlich zahlt er mir ja noch mein Gehalt. Und ich werde mich mal unter meinen Kunden umhören. Aber ich werde Ihnen nicht ihre Namen geben und ihre Sicherheit aufs Spiel setzen. Das sind gute Leute, für die ich arbeite.“

Nathan lehnte sich zurück und ließ seinen Arm sinken. „Also gut. Klären wir die Bedingungen.“ Er öffnete eine Schublade in dem Tresen und wirkte enttäuscht, als er dort nur Küchenutensilien fand. „Carrie, hast du einen Stift?“

„Ich bin sicher, dass es einen in diesem Durcheinander auf dem Esszimmerfußboden gibt“, sagte ich und ging rückwärts zur Tür. Ich wollte Bill so lange es ging im Auge behalten. „Ruf, wenn du mich brauchst.“

Ich war mir nicht sicher, ob ich Bill trauen konnte. Er hatte so eine glatte, freundliche Art, die die meisten Hochstapler durch harte Arbeit perfektioniert hatten. Vielleicht war ich auch nur zynisch, aber Leuten wie ihm traute ich nicht über den Weg. Außerdem hatte er mit dem, was er gesagt hatte, bei mir einen Alarm ausgelöst. Jeder Vampir in der Stadt arbeitete entweder für den Souleater oder war von ihm getötet worden. Das bedeutete, dass – wenn Bill immer noch im Geschäft war – er mit den Schlägern des Souleaters zusammenarbeitete.

In dem Trümmerfeld von Esszimmer fand ich einen Stift, Papier lag in einer Schublade der Anrichte. Ich eilte in die Küche zurück, wo Nathan eine Liste von „Vereinbarungen“ für beide Seiten aufsetzte. Er verlangte, dass Bill nichts darüber verlautbaren ließ, dass wir uns in der Stadt befanden, und versprach, Bill die Summe Geld zu geben, die ihm für diese Information angeboten würde. Natürlich hatten wir kein Geld, aber es gab keinen Grund, ihm das zu verraten. Ich schlug vor, dass Bill uns vor seinen anderen Kunden versorgen sollte. Und Bill verlangte einfach, dass wir uns „nicht wie Arschlöcher benahmen“.

„Gute Idee“, stimmte Nathan zu.

„Die meisten meiner Kunden reden nicht übers Geschäft, wenn ich dabei bin. In der Tat sprechen die meisten Kunden überhaupt nicht mit mir.“ Bill sah erst Nathan, dann mich an. „Mich schüchtert die Idee herumzuspionieren ein wenig ein. Nicht, dass mir einer von ihnen etwas antun würde. Sie sind alle zahm wie Kätzchen.“

„Davon bin ich überzeugt“, bemerkte Nathan trocken. Bill hob die Hände. „Ich will einfach nicht, dass ihr glaubt, ich tanze hier in zwei Wochen mit einer Tonne von Informationen an.“

„Dazu kommen wir, wenn es so weit ist.“ Nathan klang drohend und beschwichtigend zugleich. „Aber wenn du irgendjemandem erzählst, dass wir hier sind, und wonach wir dich gefragt haben, dann garantiere ich dir, dass du nicht nur mit einer verletzten Hand dieses Haus verlassen wirst.“

Als wir so gut wie alles berücksichtigt und alle möglichen Drohungen, sofern sie in unserer Macht lagen, ausgesprochen hatten, besiegelten wir die Vereinbarungen mit einem ungeschickten dreifachen Händedruck.

„Was hältst du davon?“, fragte ich Nathan später, während ich am Fenster der Bibliothek stand und den Verkehr unten auf der Straße betrachtete. Die Sonne war schon untergegangen, aber in der Dämmerung schimmerten die Bürgersteige um den Grant Park herum noch in einem diffusen Licht. Das Fenster reflektierte mein Spiegelbild, so blond, blass und unscheinbar wie immer, und Nathan, der sich hinter mich stellte. Er wirkte dunkel, grüblerisch wie ein untoter Heathcliff mit seinem verwuschelten schwarzen Haar und seinen markanten Gesichtszügen.

Nathan schlang die Arme um meine Hüfte und neigte seinen Kopf zu meinem Gesicht hinunter, sodass seine dunkle Stimme mit dem leichten gälischen Akzent seiner schottischen Heimat in meinem Ohr kitzelte und dafür sorgte, dass sich bei mir die Härchen aufstellten. „Ich weiß es nicht. Ich glaube, dass wir entweder Informationen bekommen, die uns helfen und uns ziemlichen Ärger bereiten werden, oder wir finden etwas heraus, das uns nicht weiterhilft und uns trotzdem in Schwierigkeiten bringt.“

„Ärger ist unausweichlich.“ Ich drehte mich um und entzog mich seiner Umarmung, um Distanz zwischen uns zu bringen. Immer wenn mir Nathan so nah war, schadete das meiner Urteilskraft. „Müssen wir das wirklich herausfinden? Du bist doch schon angeschossen worden. Und da wir gerade darüber sprechen, lass mich mal sehen.“ Ich ging wieder auf ihn zu und griff nach dem Saum seines T-Shirts, um den Stoff bis über die Wunde hochzuziehen. Sie war schon fast ganz verheilt, es war nur noch ein wenig Weiß auf seiner normalen Blässe vorhanden. „Das sieht aus, als sei es in Ordnung. Gott sei Dank.“

Er zog sich ein wenig unwillig das T-Shirt wieder herunter, als wollte er die Berührung meiner Finger auf seiner Haut nicht beenden. „Das ist nur eine normale Wunde. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.“

„Kein Grund, sich Sorgen zu machen? Nathan, ich würde mir Sorgen um dich machen, wenn du dich an einem Blatt Papier schneidest, von einem Einschuss mal ganz zu schweigen.“ Ich rieb mir über die Schläfen, um die Kopfschmerzen zu lindern, die ich noch nicht hatte, aber wahrscheinlich jeden Moment bekommen würde. „Ich bin unnötig beunruhigt, oder nicht?“

„Es ist schön, dass sich jemand Sorgen um einen macht“, versicherte er mir. Er bekam Falten um die Augenwinkel, wenn er vorgab zu lächeln, so wie jetzt. „Wirklich, es ist einfach nett zu wissen, dass du dich immer noch um mich sorgst.“

Als Antwort lächelte ich nur. Er wollte etwas anderes hören, so viel war sicher. Aber ich war nicht in der Lage, ihm eine andere Antwort zu geben.

Das war das Schicksal unserer Beziehung, wie es schien. Von dem Moment an, in dem wir uns trafen, waren wir uns nie einig gewesen. Zuerst war Nathan noch in seine verstorbene Frau verliebt, und ich war von Cyrus, meinem ersten Schöpfer, ziemlich fasziniert. Als ich endlich über ihn hinweg war – und Nathan mich, nachdem ich von Cyrus attackiert worden war, versehentlich wieder erschaffen hatte und mein untotes Leben dadurch gerettet hatte, dass er mir sein Blut gab –, stellte Nathan fest, dass er noch lange nicht so weit war, seine Frau zu vergessen. Er trauerte ihr immer noch nach. Als er sich endlich für mich öffnen konnte, war Cyrus wieder in meinem Leben aufgetaucht und ebenso schnell und schmerzhaft wieder verschwunden. Mit jedem Tag konnte ich Nathan besser verstehen. Ich wusste, wie er sich gefühlt haben musste, als ich ihn immer wieder bedrängt hatte, mir die Liebe zu geben, die er einfach nicht für mich empfand. Mir ging es noch nicht gut genug, ihm jetzt diese Liebe zu geben, aber ich konnte ihm sicherlich viel Sympathie entgegenbringen.

„Ach, egal“, sagte er, um die Befangenheit, die zwischen uns herrschte, zu zerstreuen. Dennoch fiel mir nichts ein, was ich ihm antworten könnte, daher war ich erleichtert, als Nathans Mobiltelefon anfing zu zwitschern.

„Nathan Grant“, meldete er sich, nachdem er das Telefon aufgeklappt hatte. Ich werde nie verstehen, warum Männer sich anscheinend immer mit ihrem Namen melden müssen, anstatt einfach nur „Hallo“ zu sagen. Ich schüttelte den Kopf, während ich mich zum Kamin umdrehte. Ein Kaminfeuer wäre schön, morgen früh.

Ich hörte etwas leise auf den Teppich fallen und drehte mich um. Nathan stand mit leeren Händen da, das Telefon lag aufgeklappt auf dem Boden. Er starrte es an, als handelte es sich um einen sprechenden Frosch oder eine schimmernde Fata Morgana, etwas, was man hört, aber nie sieht. Sein Gesicht drückte eine Mischung aus Angst, Unglauben und – seltsamerweise – Glück aus.

Da er keine Anstalten machte, das Telefon aufzuheben, kniete ich nieder und hielt es mir ans Ohr.

Durch die Muschel klang die Stimme blechern und wurde durch die atmosphärischen Störungen unterbrochen, doch als ich sie erkannte, lief es mir kalt den Rücken hinunter.

„Hallo? Hallo? Nate, bist du noch dran? Dad?“ Es war Ziggy.

2. KAPITEL

Unglückliche Rückkehr

„Scusilo, dove è il deposito di pattino?“

„Das hört sich schrecklich an. Deine Betonung stimmt vorn und hinten nicht.“

Max drehte dem Spiegel den Rücken zu und nahm die Kopfhörer ab, während er auf seinem iPod auf Pause drückte. „Weißt du, deine ‚konstruktive‘ Kritik hilft mir überhaupt nicht weiter. Wir sind schon seit drei Wochen hier, und ich kann immer noch mit niemandem reden. Es schadet nicht, etwas Neues zu lernen.“

Mit einem mitfühlenden Blick streckte Bella die Arme aus, und Max ging durch das Schlafzimmer auf das Bett zu, um ihr Gesellschaft zu leisten. Die Balkontüren standen offen, und die Nachmittagssonne schien herein. Er machte einen Schritt über den Strahl hinweg, wie immer vergaß er, dass er das Sonnenlicht nicht mehr zu fürchten brauchte. Während er tief einatmete, spürte er die warmen Strahlen auf der Haut, bevor er sich auf die frische weiße Decke gleiten ließ.

„Warum tust du das immer?“ Bellas Stimme war noch vom Schlafen rau. In letzter Zeit schlief sie ständig, doch Max konnte ihr daraus keinen Vorwurf machen. Anscheinend war es für Schwangere völlig normal, unentwegt erschöpft zu sein, und er nahm an, dass das auch für Schwangere galt, die sich außerdem von fast tödlichen Verletzungen erholen mussten.

„Ich weiß es nicht“, gab er zu und wandte seinen Blick wieder dem sonnenerhellten Fenster zu. „Ich drücke jedenfalls immer die Daumen.“

Seine endgültige Verwandlung vom Vampir zur Halb-Vampir, Halb-Werwolf-Mischform – der Begriff Lupin wurde vom Werwolfrudel ebenso verachtet, wie er es vermutet hatte, daher verwendete er ihn nicht – geschah langsamer, als er es sich gewünscht hätte. Das Schlimmste war, dass sie keine Vorstellung davon gehabt hatten, welche seiner alten Eigenschaften erhalten blieben, sobald er einmal ganz Wolf geworden sein würde. Seitdem hatte sich ihm eine ganz neue seltsame Welt eröffnet: Von behaarteren Beinen bis hin zu dem sadistischen Verlangen, Radfahrer vom Rad zu zerren und sie zu verschlingen, war die Aversion des Vampirs gegen Sonnenlicht irgendwie verschwunden.

Es war einem wirklich glücklichen Zufall zu verdanken, dass sie all das entdeckt hatten. Von dem Moment an, in dem sie angekommen waren und Italien sie nach Max’ Meinung feindlich aufgenommen hatte, machte Bellas Familie sehr deutlich, dass man auf seinen Vampirismus keinerlei Rücksicht nehmen würde. Und da die Familie – die gesamte Familie – zusammen in der von Fenstern übersäten Villa auf einer sonnigen, trockenen Klippe lebte, fand er sich jeden Tag in Bellas Schlafzimmer eingesperrt. Als eine von Bellas Tanten, die es „ja nur gut meinte“ in ihr Zimmer kam, während sie noch schliefen, um die Vorhänge zu öffnen und den Raum mit strahlendem Licht zu durchfluten, wurde ihm klar, dass er sich nicht länger Sorgen darum zu machen brauchte, ob solche Leute, die es „ja nur gut meinten“, ihn mit UV-Strahlen zu Tode verbrennen wollten.

Ebenso stellte er fest, dass Bellas Liebe zu ihm nicht ausreichte, um ihre Familie davon zu überzeugen, dass er eigentlich ganz in Ordnung sei. Daher lernte er Italienisch, um sich besser einzufügen, und um außerdem, zugegeben, besser verstehen zu können, was sie über ihn redeten.

Max war klar geworden, dass es ihm eigentlich ziemlich egal war, was sie ihm vielleicht antun würden. Das war eigentlich das Wichtigste. Er war wirklich und wahrhaftig in diese Frau verliebt, die von ihm schwanger war. Abgesehen davon, dass er Blut trinken und sich in jeder Vollmondnacht in einen Wolf verwandeln musste, fühlte er sich so normal wie seit Jahren nicht mehr.

Er beugte sich zu Bella hinab, um an ihrem Nacken zu schnuppern und drückte ihr einen Kuss auf die Haut, die vom Schlafen noch warm war. Anstatt ihm die Taille zu tätscheln und sich von ihm abzuwenden, wie sie es in den letzten Wochen getan hatte, streckte sie ihm den Nacken hin und drückte sich an ihn. Jackpot.

Er liebte sie. Gott, wie sehr er sie liebte. Und er verstand, dass es für eine Frau schwer war, schwanger zu sein, auch wenn sie so stark war wie Bella. Aber es war schon so lange her gewesen, dass sie miteinander … und er war doch auch nur … kein Mann.

„Also, ist das jetzt offiziell, oder dient das nur dazu, dass ich mir Hoffnungen mache, die dann wieder zerschlagen werden?“ Er lächelte, während er ihren Hals berührte und spaßeshalber an ihrem Kinn nagte, damit sie wusste, dass er es nicht so ganz ernst meinte. Dann rieb er seinen Steifen an ihrer Hüfte, damit sie wusste, dass er es nicht nur spaßig meinte.

Bella lachte, dieses Geräusch war so seltsam zart von einer Person, die sonst so dunkel und verrucht war. „Wenn ich dir das jetzt sagen würde, würde das doch den ganzen Spaß verderben.“

„Du bist ein verschlagenes Weibsstück, weißt du das?“ Er glitt mit der Hand an ihrem Körper hinab und schob ihr Nachthemd aus weißem Satin Stück für Stück hoch, sodass er die glatte olivenfarbene Haut ihrer Schenkel enthüllte. Max ließ die Finger von ihrer Hüfte bis zum Knie tanzen und betrachtete dabei ihr Gesicht, um etwaige Veränderungen festzustellen. „Fühlst du das?“

Sie stöhnte ein wenig und nickte. Erleichterung machte sich in ihm breit. Seit dem Autounfall, den sie hatten, als sie das Orakel verfolgten, war sie zunächst ab der Taille gelähmt gewesen. Die Ärzte, die sie in Italien untersucht hatten, warnten ihn, dass der Verlust der Sinnesempfindungen möglicherweise irreversibel sein würde. Max, der sich eingestehen musste, was für ein dummer, dummer Mann er war, hatte sich allein darum gesorgt, ob sie je wieder Sex haben könnte. Er wusste, dass er ein Leben, das ihn dazu verurteilte, nie wieder einen Orgasmus zu haben, nicht führen wollte, so viel war sicher.

Glücklicherweise hatte er schon feststellen dürfen, dass das für sie kein Problem darstellte.

Indem er sanft die Beine auseinanderbewegte, schob er das Nachthemd bis zur Taille. Mit schnellen Fingern öffnete sie erst den Hosenknopf, dann den Reißverschluss seiner Jeans, bis er sich bereitwillig ihren weichen warmen Händen entgegenschmiegte. Er wäre fast schon in diesem Moment gekommen, einfach durch die Berührung nach so langer Zeit. „Ich muss in dir drin sein“, stöhnte er, und sie seufzte ihm ihre Zustimmung ins Ohr, als er sich über sie beugte. Seine Schwanzspitze schwebte zitternd vor ihrer glitzernden rosafarbenen Mitte, und er drang in sie ein, machte es langsam, nur einen Zentimeter pro Minute, wie es schien. Er bewegte sich so behutsam und langsam, dass er die Zähne zusammenbeißen musste, um ihn ihr nicht hart hineinzurammen. Es kostete ihn mehr Willenskraft, ihr Flehen, schneller zu machen, zu ignorieren, als er sich selbst zugestanden hätte. Auf keinen Fall wollte er es jetzt versauen, nicht nachdem er so lange gewartet hatte. Nur noch einige Augenblicke, dann wäre er zu Hause, umhüllt von ihrem süßen, ihn umhüllenden Körper. Alles, was er brauchte, war endlose Geduld …

Eine Stimme und lautes Klopfen an der Tür brachte alles zum plötzlichen Erliegen.

Unendliche Geduld, und seine ganze angeheiratete Verwandtschaft sollte in einer schrecklichen Explosion sterben, sodass Körperteile auf die ganze pittoreske italienische Landschaft herunterregnen würden.

„Oh nein“, stöhnte Bella leise. In ihrer Stimme lag mehr Enttäuschung über die Störung als über die Worte, die gedämpft durch die Tür drangen. „Mein Vater möchte dich sprechen.“

„Jetzt?“ Max dachte, Italienisch sei für die meisten eine romantische Sprache. Worte, die ihn von bevorstehendem sexuellem Vergnügen abhielten, dürfte es also im Italienischen gar nicht geben.

Bella nickte ihm mitfühlend zu, und unwillig zog er sich zurück, während er sich streng ermahnte, dass erwachsene Männer nicht weinten. „Gut, sag diesem Mann, dass ich mich auf den Weg mache.“

Wenn er etwas über das Leben im Rudel gelernt hatte, dann war es, dass man dem Familienvater folgte, wenn er rief, sonst … es gab kein Sonst. Man gehorchte ihm einfach.

Bella rief etwas in Richtung Tür und das vehemente Klopfen hörte auf. „Du solltest dich beeilen. In letzter Zeit hat er nicht sonderlich gute Laune.“

„Ich frage mich, woran das wohl liegt“, murmelte Max und zog ihr das Nachthemd wieder herunter, um sie wieder anständig anzuziehen. Einen Augenblick lang ließ er seine Hand auf ihrem Bauch ruhen, der zuvor flach gewesen war und sich nun wie eine kleine Kugel wölbte. Man konnte sich kaum vorstellen, dass dort eine Person hineinpasste, wenn sie auch nur so groß war wie eine winzige Garnele, wie er auf dem Ultraschallbild gesehen hatte.

Er stand auf, zog den Reißverschluss seiner Jeans zu und hoffte, seine Erektion würde sich schnell legen. Es gab kaum etwas, was einen Mann stärker aufregen konnte, als der offensichtliche körperliche Beweis, dass man gerade dabei gewesen war, seine Tochter flachzulegen. „Brauchst du noch etwas, bevor ich gehe?“

Bella strich über ihr Nachthemd und tätschelte wie Max ihren Bauch. „Schick meine Cousine her, vielleicht gehe ich spazieren.“

Max sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Dann nehme ich halt das Rad“, sagte sie lachend und warf ein Kissen nach ihm, während er aus der Tür ging.

Draußen wartete ein Mann, der dünn und dunkelhäutig war. Er trug ein ausgeblichenes Van Halen-T-Shirt. Er war ein Laufbursche, ein niederes Mitglied des Rudels, das innerhalb der Familie die Nachrichten überbrachte. Normalerweise, so hatte Max erfahren, waren die Boten nicht mit der Familie verwandt oder es waren Familienmitglieder, die in Ungnade gefallen waren. Max fragte sich, wie lange es wohl noch dauern mochte, bis er selbst der Laufbursche für kleinere Gänge werden würde. „Geh und hole eine von Bellas Cousinen. Sie hätte gern etwas Gesellschaft.“

Der Mann sagte etwas, von dem Max annahm, dass es Zustimmung ausdrückte. Er ging seiner Wege und überließ Max seinem heiklen Termin.

Es war nicht so, dass Max Bellas Vater nicht mochte. Schließlich hatte er Max Unterschlupf gewährt und es erlaubt, dass er bei Bella blieb. Allein dafür hätte er ihm bis in alle Ewigkeit dankbar sein müssen. Aber genau das wusste der Mann, und sicherlich würde er diesen Gutschein für ewige Dankbarkeit einlösen, wann immer sich die Möglichkeit dazu bot. Außerdem hatte er Max deutlich zu verstehen gegeben, dass er nur auf Probezeit bleiben durfte, und jederzeit einen Tritt in seinen Halbwolf-Hintern bekommen könnte.

Das Haus oder der „Bau“, wie es das Rudel nannte, verleitete Max dazu, sich zu wünschen, besser mit Geld umgehen zu können, damit er so ein Haus für sich allein bewohnen könnte. Es war nicht so, dass seine Buden in Chicago heruntergekommen waren, aber diese Villa ließ sein Penthouse wie ein verlottertes Gebäude voller kranker Katzen erscheinen. Das Haus war auf einem Felsen über dem Luganer See erbaut. Von der Auffahrt her wirkte es wie eine lang gestreckte niedrige Villa in romanischem Stil. Von innen war es jedoch viel größer. Was man von der Straße aus sah, war die Spitze eines Eisberges, der sich in den Fels hineingegraben hatte. Soweit Max wusste, ließen sich die Grundmauern auf die Antike datieren. Meistens erkannte man gar nicht, dass man sich im Felsmassiv befand, denn große Fenster gaben den Blick auf den See frei. Doch das Untergeschoss hatte keine Fenster, es war in den Fels gehauen, und die Wände bestanden aus rohem Gestein. Dort hatte Bellas Vater seine Konferenzräume. Da es keine Aufzüge gab, musste Max die acht Treppen zu Fuß hinabsteigen, und das zügig, um dort anzukommen, wo er hinwollte. Das Empfangszimmer des Rudelanführers war eine Art Thronsaal mit Wachen an den Türen und dem ganzen mittelalterlichem Schnickschnack. Max nannte seinen Namen und wartete darauf, vorgelassen zu werden.

Die glatten Marmorsäulen, die die Tür einrahmten, waren die letzte künstliche Dekoration. Der Besprechungsraum bestand aus einer Höhle. Max konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich um eine natürliche Höhle oder um eine in den Fels gehauene handelte, wo der Rudelführer residierte. Das Mobiliar war bequem, modern und sehr europäisch. Gleichzeitig tropfte aber Feuchtigkeit an den Wänden herab und es roch eindeutig so, als sei man unter der Erde.

„Ah, Maximilian.“ Das Oberhaupt des Rudels stand inmitten des Raumes. Es trug einen glatten Maßanzug und versuchte erfreut dreinzuschauen, als er den Vampirfreund seiner Tochter zu Gesicht bekam.

Lupin, ermahnte sich Max, dann strich er diesen Begriff nochmals aus seinem Vokabular, denn Bella hatte ihm beigebracht, es hieße Vampir-Werwolf-Hybrid.

„Rudelherr“, antwortete er, „Sie wollten mich sehen?“ Auf seinem Gesicht erschien ein höfliches Lächeln, als der Leitwolf durch den Raum schritt. Er sah Bella seltsam ähnlich, aber auch wieder nicht. Sie hatte die exotische nach oben gezogene Lidfalte ihres Vaters geerbt, doch während ihre Iris goldfarben war, leuchtete seine schwarz. Sein gewelltes Haar war so nachtschwarz wie ihres, aber an den Schläfen zeigte es weiße Strähnen. Bellas Haare waren ganz glatt. Ihre Gestik ähnelte sich, das musste sie von ihm geerbt haben, und beide verfügten über eine geschmeidige Eleganz, von der Max irrtümlich angenommen hatte, dass sie allen Werwölfen zu eigen war.

„In der Tat wollte ich dich sehen.“ Der Mann kam näher. „Du kannst mich Julian nennen. Wir gehören doch jetzt zur selben Familie, oder nicht?“

„Das stimmt.“ Max würde allem zustimmen, was Julian sagte, denn Widerspruch konnte Verbannung bedeuten, Verbannung bedeutete, von Bella getrennt zu sein, und zwar für immer. Das wollte er nicht riskieren.

Als habe er sich selbst daran erinnert, in welcher Form sie miteinander verbunden waren, schnupperte Julian herum. Einen Augenblick lang wurden seine Gesichtszüge hart, dann nahm er wieder die zweckmäßige Haltung einer falschen Freundschaft ein. „Und wie geht es meiner Tochter?“ Max machte es Vergnügen, wenn auch verbotenes, zu wissen, dass der Mann Bella an ihm riechen konnte. Er konnte sich sicher sein, dass er ihre olfaktorische Note an seinem Körper trug, die ohne Worte signalisierte „Sie gehört jetzt mir!“. Aber Max’ Mine blieb ausdruckslos. „Sie ist glücklich. So glücklich wie lange nicht mehr, glaube ich.“

Julian nickte. „Dann komme ich direkt zur Sache.“ Er hatte Max noch nicht mal angeboten, sich zu setzen. „Du musst in die Vereinigten Staaten zurückkehren. Morgen.“

Max verschluckte sich fast bei dem Versuch, einen Schwall von Flüchen zu unterdrücken. Er brachte nur ein Wort hervor: „Warum?“

Mit einem mitleidigen Lächeln schüttelte Julian den Kopf. „Nicht für immer – kein Grund zu verzweifeln. Aber das Kind, das meine Tochter unter dem Herzen trägt, ist eine Waffe, du hast es selbst gesagt. Und der Mann, der diese Waffe haben möchte, ist sehr wahrscheinlich in der Lage, sich dieses Kind zu holen.“

Scheiße. Es stimmte, der Souleater existierte ja immer noch da draußen. Und nach wie vor war er ein übler Mistkerl. Und immer noch wollte er das Kind in seine Gewalt bekommen wollen. „Ich habe Freunde drüben in den Vereinigten Staaten, die sich um diese ganze Sache kümmern.“

„Maximilian, darf ich ehrlich zu dir sein?“, fragte Julian, als sei er es nicht schon immer gewesen.

Max wappnete sich dafür, was der Mann als Nächstes äußern würde. Wahrscheinlich war es nichts, was er gerne hören wollte.

„Du bist nicht einer von uns. Meine Tochter hegt Gefühle für dich, und was immer zwischen euch ist, genügt, dass ich dir meinen Segen gebe. Aber meine Sorge um Bellas Sicherheit übertrumpft, so sagt man, glaube ich, jegliche Sorge um ihr Glück.“ Er legte die Finger an den Mund und schien sich seine nächsten Worte gut zu überlegen. „Ich muss dich nicht daran erinnern, dass ich die Verantwortung für das Rudel trage, und für die Konsequenzen, die sich daraus für die Meute ergeben, falls der Souleater kommt, um das Baby zu holen.“

Genau das hast du gerade getan, dachte Max gereizt. „Ich verstehe deine Vorbehalte. Aber Jacob kann mit dem Baby nichts anfangen, solange er noch kein Gott geworden ist. Er will es wegen dieser Vorsehung haben, und ich denke, dass die Vorsehung nicht vor der Vorschule eintrifft, oder irre ich mich? In der Zwischenzeit verstehe ich nicht, was es Bella nützen sollte, dass ich sie verlasse, wenn sie mich doch jetzt am meisten braucht. Ich meine, es gibt niemanden im Rudel, der stärker darum kämpfen würde, sie zu beschützen als ich.“

Julians Gesichtszüge waren versteinert. „Ich denke nicht, dass das stimmt.“

Max war nicht hergekommen, um mit ihm zu streiten. Aber er würde auf keinen Fall Bella hier lassen. „Nein. Wenn ich gehe, dann kommt sie mit.“

„Maximilian, es ist nur vorübergehend.“ Julian lachte, als sei das von Anfang an klar gewesen, nur Max zu blöd, es zu begreifen. „Wenn du sagst, dass dieser Vampir kein Interesse an meiner Enkelin habe, bis er zu einem Gott geworden ist, dann glaube ich dir. Aber ich wünsche, dass du schon diesen kleinen Sieg für ihn zu verhindern weißt. Wenn er besiegt ist und du überlebst, dann kannst du gern zu meiner Tochter zurückkehren.“

Darum ging es also. Er sollte verschwinden in der Hoffnung, dass er nicht mehr zurückkam. „Ich bin kein Vampir mehr. Ich bin ein Werwolf. Ein Vampirhybrid“, fügte er schnell hinzu, bevor Julian ihn als Außenseiter abschießen konnte. „Woher soll ich denn wissen, ob mich überhaupt noch jemand einweiht?“ Julian hob die Hände und lächelte, als wüsste er, dass er seine Beute in die Ecke gedrängt hatte. Nicht in die Ecke gedrängt – auf einem Silbertablett serviert. „Ich bin mir sicher, dass du deinen Platz in diesem Kampf finden wirst. Außerdem, hast du mir nicht gerade versichert, dass du alles tun wirst, um meine Tochter zu beschützen?“

Darauf wusste Max keine Antwort.

„Dein Flugzeug wird am Morgen gehen. Versuche, meiner Tochter die Nachricht schonend beizubringen.“ Und dann verließ Julian den Raum. Ließ Max in dem höhlenartigen Zimmer stehen, ließ ihn mit seiner Last allein. Wie sollte er Bella sagen, dass ihr Vater ihn zum Sterben wegschickte?

Auf der andere Seite, dachte Max, als er wütend zurück in Bellas Zimmer ging, ist es auf alle Fälle klar, dass Nathan und Carrie mit an der Sache beteiligt sind. Und wenn Julian jetzt schon Alarm schlägt, dann läuft da etwas.

Er konnte nicht zulassen, dass seine Freunde das zu Ende brachten, wobei er zu Beginn geholfen hatte, und ihnen jetzt einfach dabei nur zuschauen. Aber er konnte Bella auch nicht allein lassen.

Natürlich wusste er, was sie ihm entgegnen würde, wenn er es ihr sagte. Geh, hilf ihnen, geh dorthin, wo man dich braucht. Geh und sei der Krieger, der du eigentlich bist. Das war ein gutes Argument, es ihr einfach nicht zu erzählen. Aber das Argument dagegen, nämlich es ihr nicht zu sagen, war, dass er sie respektierte, verdammt noch mal. Es ergab keinen Sinn, wenn er bedachte, dass er ihr noch vor wenigen Monaten am liebsten einen Schraubenzieher ins Ohr gerammt hätte, aber mittlerweile war sie die Mutter seines Kindes. Und außerdem war sie seine große Liebe. Zur Hölle, mittlerweile konnte er sich sogar kaum noch an seinen Schöpfer erinnern, die Erinnerung an ihn verblasste, seitdem Max erkannt hatte, wie sehr er Bella liebte.

Er musste ihr erzählen, warum er wegfuhr, denn anlügen konnte er sie nicht.

Er kam in Bellas Zimmer, als zwei Tanten gerade dabei waren zu gehen. Sie sahen ihn verschlagen an, als er eintrat, und eine von ihnen murmelte leise etwas. Wahrscheinlich beschwerte sie sich darüber, dass er nicht angeklopft hatte, aber gleichzeitig sahen sie auch erleichtert aus. Allmählich hatte es den Anschein, dass sein Außenseiterstatus eine Gruppenentscheidung war.

Bella stand auf dem Balkon. Sie trug immer noch ihr weißes Nachthemd, aber darüber hatte sie einen ebenso makellosen weißen Bademantel gezogen. Ihr langes schwarzes Haar fiel ihr offen über die Schultern.

„Der Wind vom See her ist kalt“, stellte er fest. Sie war nicht überrascht, dass er so plötzlich wieder da war.

„Ich mag die Sonne. Und die Kälte macht mir nichts aus.“ Sie legte ihre Arme schützend um ihren Bauch und strahlte ihn an. „Und hier drin ist es warm genug für sie.“

Ihr wird es verdammt dreckig gehen, wenn ihre Mutter an Lungenentzündung stirbt, dachte Max, sagte aber nichts. Er wollte den Rest des Tages, der ihnen noch blieb, nicht mit Streiten verbringen. „Hör mal, ich muss mit dir reden.“

„Ja?“ Bella deutete elegant auf den zweiten Liegestuhl, der näher am Balkongitter stand.

Max zog den Stuhl neben ihren, und sie setzten sich. Er war sich nie sicher, ob er nah genug bei Bella war. Der Gedanke daran, morgens nicht mehr in ihrer Nähe zu sein, nicht mehr aufzuwachen und ihr schönes Lächeln zu sehen, ihren warmen sauberen Duft einzuatmen … Er verdrängte diese düsteren Gedanken. „Weißt du, er läuft da draußen ja immer noch herum.“

Er sah, wie sich ihr Brustkorb hob, als sie kurz einatmete, aber sie hielt inne, bevor sie etwas sagte, und gab – schlecht – vor, nichts zu verstehen. „Wer?“

Es war besser, es kurz und schmerzlos zu machen, so, wie man ein Pflaster abzieht. „Der Souleater. Er ist immer noch da draußen, und er wird das Ritual durchführen, das ihn zum Gott machen soll.“

„Was hat das mit uns zu tun?“ Bellas Stimme klang hart und blechern, als könnte sie Max Vergangenheit auslöschen. „Du gehörst doch nicht mehr zu ihnen. Es geht dich nichts mehr an.“

Er lächelte sie an und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Das erste Mal, als er sie sah, trug sie ihre Haare aus dem Gesicht frisiert. So hatte sie es immer getragen, streng zurückgebunden, sodass ihre Haut scheinbar spannte. Sie erschien ihm hart, damals, und auch noch heute wirkte sie abweisend und kühl, wenn Leute sie nicht kannten. Aber mittlerweile kannte Max sie gut, daher konnte er die Bewegung unter der trügerisch ruhigen Oberfläche erkennen. Sie hatte Angst um ihn, um ihn und um ihr Kind. Sie sah so jung und verwundbar aus. So war sie wirklich, das wusste er.

„Du hast recht, ich gehöre nicht mehr dazu. Aber ich bin noch zur Hälfte einer von ihnen“, erinnerte er sie und senkte die Hand, um ihren Bauch zu streicheln. „Und sie auch. Ich will das Risiko nicht eingehen, dass seine Schläger hier hereinspazieren und dich mitnehmen. Ich werde zurück in die Staaten fahren, um das zu klären.“

Mit einem Ruck sah sie zu ihm auf und starrte ihn an. „Du willst mich hierlassen?“

„Ich werde dich nicht in ein Kriegsgebiet mitnehmen.“ Er schaute weg und betrachtete die große schwarze Oberfläche des Sees. „Wenn ich nicht gehe und er zu einem Gott werden sollte, dann bin ich zwar hier, muss aber versuchen, dich vor einem Gott zu beschützen. Wenn ich gehe und wir es schaffen, ihn zu besiegen, ja, dann bin ich zwar nicht bei dir, aber dann wirst du in Sicherheit sein.“

„Mein Vater hat dir das eingeredet.“ Sie stellte es sachlich fest und ließ ihm keine Möglichkeit, es zu bestreiten.

Und es war verdammt verlockend zu antworten: „Genau, und dein Vater ist ein echter Arsch und er schickt mich weg, um den Souleater zu bekämpfen, weil er weiß, dass die Chancen gut stehen, dass ich nicht wiederkommen werde.“ Aber was würde das ändern? Er würde trotzdem fortgeschickt werden, vielleicht würde er sterben, und Bella würde sich von der Person entfremden, in deren Macht es stand, sie zu beschützen. Nicht, dass ihre Wut ihrem Vater gegenüber ihn davon abhalten würde, sich um sie zu kümmern – ganz im Gegenteil, genau das würde sie quasi für den Rest ihres Lebens zu einer Gefangenen machen, und das war etwas, was Max nicht akzeptieren wollte.

„Er hat es mir nicht eingeredet. Wir haben diese Lösung gemeinsam besprochen.“ Es drehte ihm den Magen um, diesen Mann durch eine Lüge in besserem Licht erscheinen zu lassen, aber Max fuhr fort: „Außerdem, weißt du ja, dass Nathan und Carrie immer noch da mit drinstecken. Sie brauchen mich.“

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