Bianca Extra Band 110

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WENN ALLES FÜR DIE LIEBE SPRICHT von NINA CRESPO
„Wir tun so, als seien wir das Hochzeitspaar, das auf der Ranch heiratet!“ Raffiniert will Zurie die Klatschpresse davon ablenken, dass ihr Cousin und eine bekannte Schauspielerin sich das Ja-Wort geben. Sie ahnt nicht, was dieser Plan mit ihr und ihrem Scheinbräutigam Mace anstellt …

LÜG NICHT LÄNGER – KÜSS MICH von SERA TAÍNO
Die schöne Restaurantbesitzerin Val schwebt auf Wolke sieben! Bis sie erfährt, in wen sie sich verliebt hat: in den Sohn des skrupellosen Immobilienspekulanten, der ihr gesamtes Wohnviertel aufgekauft hat! Hat sie sich so getäuscht – oder ist Philip doch anders als sein Vater?

GEHOFFT, GESEHNT UND NEU VERLIEBT von STELLA BAGWELL
Genug getrauert – Cowboy Taggart wagt einen Neuanfang auf der Three Rivers Ranch. Den fröhlichen Charme der bezaubernden Emily-Ann, der er dort begegnet, findet er hinreißend. Jetzt fehlt ihm nur noch der Mut, ein zweites Mal in seinem Leben an die wahre Liebe zu glauben …

MERCI, MEIN LIEBLING von MARIE FERRARELLA
Die Krankheit ihres geliebten Vaters bringt Rachel an die Grenzen ihrer Kraft. Als der umwerfende Wyatt unerwartet in ihr Leben tritt, glaubt sie, dass sie keine Zeit für ihn hat. Sie ahnt nicht, wer hinter Wyatt steckt: Dad, der seine Tochter endlich wieder lächeln sehen will …


  • Erscheinungstag 31.05.2022
  • Bandnummer 110
  • ISBN / Artikelnummer 0802220110
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Nina Crespo, Sera Taíno, Stella Bagwell, Marie Ferrarella

BIANCA EXTRA BAND 110

NINA CRESPO

Wenn alles für die Liebe spricht

Zusammen mit der schönen Zurie richtet Mace die Hochzeit von Freunden aus. Alles ganz harmlos – bis sie sich heiß küssen! Kann eine Beziehung zwischen ihnen gutgehen, obwohl Mace deutlich jünger ist?

SERA TAíNO

Lüg nicht länger – küss mich

Lügt man, wenn man die Wahrheit verschweigt? Philip müsste der hübschen Val dringend sagen, wer er wirklich ist. Aber die Gefahr, dass sie ihn verlässt, ist groß. Also schweigt er – zu lange …

STELLA BAGWELL

Gehofft, gesehnt und neu verliebt

Taggart O’Brien ist eine Herausforderung! Mal lächelt er sie sehnsüchtig an, dann wieder ist er ganz abweisend. Aber Emily-Ann gibt nicht auf. Denn ihr Herz weiß, dass der starke Cowboy das wert ist …

MARIE FERRARELLA

Merci, mein Liebling

Wyatt ahnt nicht, warum der mürrische alte Fenelli ausgerechnet ihn als Physiotherapeuten haben will: Fenelli findet ihn perfekt – als zukünftigen Ehemann seiner geliebten Tochter Rachel …

1. KAPITEL

Zurie Tillbridge knöpfte sich energisch die Bluse zu und zog ihren dunkelblauen Blazer über. Dann rutschte sie von der Untersuchungsliege im Behandlungszimmer ihrer Hausärztin und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.

Während sie auf die Rückkehr von Dr. Lily Westin wartete, öffnete sie den digitalen Wochenkalender ihres Handys. Wie erwartet war fast jeder Tag vollständig ausgebucht. Sie überflog die einzelnen Termine, die das Tillbridge Gestüt und Gästehaus am Laufen hielten, und spürte wieder dieses flaue Gefühl im Magen sowie ein unangenehmes Brennen in der Brust. Seit einer Weile war sie nicht richtig fit, obwohl sie eigentlich nie krank wurde – sie konnte sich nicht einmal erinnern, wann sie das letzte Mal eine Erkältung gehabt hatte. Was war nur los mit ihr?

Für einen Moment schloss sie die Augen und atmete die kühle Luft ein, die durch ein gekipptes Fenster hereinwehte.

Die Tür öffnete sich, und Lily trat in ihrem weißen Kittel heiter und gelassen ein. Die brünette Frau Mitte Dreißig sprühte geradezu voll Energie.

Zurie zwang sich zu warten, bis sich ihre Ärztin und Bekannte hinter den Schreibtisch gesetzt hatte, dann platzte sie heraus: „Wie lautet das Urteil?“

„Du wirst überleben. Die Ergebnisse der Blutprobe bekommen ich zwar erst in ein paar Tagen, aber ich vermute, dass deine Beschwerden auf Stress und Erschöpfung zurückzuführen sind.“ Lilys grüne Augen blitzten humorvoll auf. „Was du brauchst ist ein wenig Ablenkung und Ausgleich. Wer weiß, vielleicht könnte dich ein attraktiver, unwiderstehlicher Mann dazu bringen? Du musst dringend mehr Zeit im Bett verbringen und dich ausruhen.“

Zurie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Ein Glück! Sie war nur müde. Aber Lilys Vorschlag war lächerlich. Selbst wenn sie Zeit zum Ausruhen hätte – was definitiv nicht der Fall war –, wie sollte sie einen attraktiven, unwiderstehlichen Mann in Bolan finden?

Das Bild eines gewissen dunkelhaarigen Mannes tauchte in ihren Gedanken auf.

Nein. Nicht er.

Leise lachend hob sie ihre schwarze Designertasche vom Boden auf.

„Das ist zwar ein spannender Therapieansatz, doch da Mr. Unwiderstehlich gerade nicht zur Verfügung steht, könntest du mir vielleicht eine Vitaminspritze oder eine magische Pille verabreichen?“

„Das wird leider nicht reichen. Du brauchst wirklich eine Pause.“

„Ich leite ein großes Gestüt und Gästehaus. Eine Pause kann ich mir nicht leisten.“

„Du hast erfahrenes und zuverlässiges Personal, das durchaus einige deiner Aufgaben übernehmen könnte.“

„Nein, das ist unmöglich. Besonders jetzt, da noch immer die Filmcrew vor Ort ist.“

Seit etlichen Monaten wurde auf dem Gelände von Tillbridge der Science-Fiction-Western „Shadow Valley“ gedreht. Das hatte nicht nur eine gewisse Aufmerksamkeit erregt und mehr Gäste eingebracht, sondern war auch mit einem höheren Arbeits- und Zeitaufwand verbunden.

Lily schaute sie mit einem ernsten Blick an: „Dein Körper versucht dir etwas zu sagen. Du solltest anfangen, auf ihn zu hören.“

„Okay. Ich werde versuchen, mehr Schlaf zu kriegen.“

„Du willst doch nicht, dass Tillbridge dich verliert, oder?“

Zuries Handy vibrierte. Doch der besorgte Ausdruck in Lilys Gesicht hielt sie davon ab, den Anruf entgegenzunehmen. „Das wird nicht passieren.“

„Falls du nicht besser auf dich achtgibst, könnte das durchaus passieren.“ Lily stand auf und setzte sich neben Zurie. „Du ernährst dich nicht ausgeglichen. Dein Blutdruck ist höher, als gut für dich wäre, und wenn du diesen Stress nicht abbaust, wirst du dir in Zukunft ein Magengeschwür einhandeln. Du bist erst 37 Jahre alt. Schalt einen Gang zurück, bevor es zu spät ist.“

Lilys eindringliche Worte fanden endlich Gehör.

„Spielst du auf meinen Vater an?“

Bevor Zuries Vater Mathew gestorben war, hatten alle auf ihn eingeredet, dass er sich nicht überarbeiten dürfe. Aber er hatte stets auf seinen überquellenden Schreibtisch verwiesen. Er starb eines natürlichen Todes. Doch viele waren davon überzeugt, dass sich der Witwer aus Trauer um seine geliebte Ehefrau in übertriebene Arbeit gestürzt und sich damit selbst ein frühes Grab geschaufelt hatte.

In Zuries Erinnerung tauchte das letzte Bild ihres Vaters auf: Kurz vor seinem Tod war er nur noch eine ausgemergelte, blasse Gestalt gewesen. „Ich hätte ihn zwingen müssen, kürzerzutreten. Dann wäre er heute vielleicht noch am Leben.“

Erst als sie Lilys Hand auf ihrem Arm spürte, wurde Zurie bewusst, dass sie diesen Gedanken, der schwer auf ihrer Seele lastete, laut ausgesprochen hatte.

„Ich weiß, dass der Tod deines Vaters ein Schock für dich war. Doch du darfst dir nicht die Schuld dafür geben. Die entscheidende Frage ist, was dein Vater dir raten würde, wenn er jetzt hier wäre.“

Zurück im Büro saß Zurie in dem braunen Ledersessel, der einst ihrem Vater gehört hatte.

Sonnenstrahlen fluteten durchs Fenster auf einen Stapel Akten und Papiere und reflektierten im Computermonitor, der die Bilanzabrechnung des laufenden Monats zeigte. Das E-Mail-Programm in der rechten oberen Ecke machte blinkend auf neue Nachrichten aufmerksam.

Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.

Das war Zuries Leitspruch. Doch zum ersten Mal in ihrem Leben war sie sich dessen nicht mehr so sicher. Lilys Worte geisterten noch immer durch ihren Kopf.

Was hätte ihr Vater ihr geraten?

Mit Sicherheit hätte er gesagt, dass Tillbridge stets Priorität habe. Doch falls sie so weitermachte wie bisher, riskierte sie tatsächlich einen dauerhaften Ausfall – mit verheerenden Folgen.

Ein Klopfen an der Tür riss Zurie aus den Gedanken. Die Besprechung! Sie hatte völlig die Zeit vergessen. „Herein.“

Ihr Cousin Tristan, Teilhaber von Tillbridge und Manager des Reitstalls, trat mit gezücktem Notizbuch ein. Mit dem kurz geschnittenen schwarzen Haar, der dunklen Hautfarbe und den scharfen Konturen seiner Gesichtszüge sah er ihren beiden Vätern Mathew und Jacob sehr ähnlich. Die Brüder waren Zwillinge und ein eingespieltes Team innerhalb des Familienunternehmens gewesen.

Tristans staubige Jeans, die schweren Arbeitsstiefel und das hochgekrempelte karierte Holzfällerhemd verrieten sofort, dass er geradewegs von der Weide oder aus den Ställen kam. Mit einem erstaunten Blick und einem Nicken in Richtung des runden Konferenztisches fragte er: „Bist du soweit?“

„Ja.“ Zurie griff sich einen Ordner und sammelte noch einige Papiere zusammen. Er wunderte sich wahrscheinlich, warum sie noch nicht startbereit für das wöchentliche Treffen und Hufe scharrend am Tisch saß.

Als Nächstes stürmte ihre jüngere Schwester Rina ins Büro. „Guten Morgen.“ Sie trug ein zitronengelbes T-Shirt mit dem Logo ihres Cafés „Brewed Haven“. Dazu wie immer farblich passend ihr Kopftuch, mit dem sie die langen schwarzen Rastazöpfe zusammenhielt. Ihre braunen Augen strahlten freudig. Um die dunklen Wangen spielte ein Lächeln.

Tristan schmunzelte, als sie sich setzte.

„Warum schaust du mich so an? Was ist so komisch?“, fragte Rina.

„Nichts. Nur – seit wann ist er in der Stadt?“

Rina starrte ihn verdutzt an. „Woher weißt du schon, dass Scott da ist? Er ist erst gestern Abend hergeflogen.“

„Das war nur eine Vermutung.“

Rina lachte. Ihre Freude über Scotts Ankunft musste sehr offensichtlich sein. „Wie geht es Chloe?“

Nun war es Tristan, der wie ein Honigkuchenpferd grinste. „Ausgezeichnet.“

Mittlerweile fühlte sich Zurie ein wenig ausgeschlossen. Resolut öffnete sie einen Ordner und nahm ihr Tablet zur Hand. Als sie vor Monaten den Vertrag mit der Filmproduktionsfirma geschlossen hatte, hätte sie niemals geahnt, dass sowohl Tristan als auch Rina durch den Dreh von „Shadow Valley“ ihre Lebenspartner finden würden.

Tristan hatte sich unsterblich in die junge Schauspielerin Chloe Daniels verliebt, während Rina und der attraktive Stuntman Scott Halsey gemeinsam auf Wolke Sieben schwebten. Beide Beziehungen nahmen ernste Formen an, und ob deren Zukunft langfristig in Tillbridge lag, würde sich zeigen.

Für Zurie stand jedenfalls fest, dass Tillbridge ihr ganzes Leben war. „Lasst uns anfangen.“

Zunächst informierte sie die beiden über das Meeting mit der Handelskammer von Bolan. Die gute Nachricht war, dass der Tourismus selbst während der Wintermonate stetig zunahm und der Bürgermeister eine Erneuerung der mit Schlaglöchern übersäten Zufahrtsstraße Tillbridges plante. Die schlechte Nachricht war allerdings, dass dies noch während der Hauptsaison geschehen sollte. Glücklicherweise hatte Zurie eine Vereinbarung mit dem Stadtoberhaupt treffen können, den Beginn der Bauarbeiten auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

Anschließend berichtete Tristan über den Entwurf einer neuen Reithalle und die Auswirkungen, die der Filmdreh nach wie vor auf das tägliche Geschäft hatte.

Während er über die diversen Herausforderungen sprach, merkte Zurie plötzlich, wie ihre Hände anfingen zu zittern. Das musste am Kaffeeentzug liegen. Normalerweise sorgte ihr heißgeliebter Cappuccino für einen Energieschub, doch Lilys strikte ärztliche Anordnung verbot jede Art von Koffein für einige Wochen.

Tristans Worte gingen erneut zwischen Zuries Gedanken unter. Bis letztes Jahr waren ihre gemeinsamen Treffen eher ein offizieller Austausch zwischen Geschäftspartnern – und weniger zwischen engen Familienangehörigen – gewesen. Nein, eigentlich war sie die Außenseiterin gewesen. Rina und Tristan standen sich seit eh und je sehr nahe.

Zuries Beziehung zu den beiden wäre beinahe durch Geheimnisse und Missverständnisse zerstört worden. Vor einigen Jahren hatte sie noch geglaubt, dass Tristan das Familienunternehmen im Stich gelassen hätte, bis sie erfahren hatte, welche Opfer er tatsächlich dafür erbracht hatte. Und was Rina betraf, hatte es lange gedauert, bis sie erkannt hatte, dass ihre jüngere Schwester keinen Vormund brauchte, sondern eine Vertraute, die ihr ohne Vorbehalte zur Seite stand.

Zurie hatte viele Fehler gemacht, da sie es als Älteste gewohnt war, die Verantwortung zu übernehmen und am liebsten alles selbst machte, anstatt anderen zu vertrauen. Schon früh, als das Familienunternehmen noch von ihren Eltern und Onkel Jacob geleitet worden war, hatte sie sich um Tristan und Rina gekümmert, hatte ihnen Frühstück gemacht und bei den Hausaufgaben geholfen. Besonders nach dem frühen Tod der Eltern hatte sie eine führende Rolle übernommen.

Ja, sie war sich mittlerweile bewusst, dass die beiden erwachsen waren und ihr eigenes Leben führten. Doch der Instinkt, sich um sie zu kümmern, verschwand nicht einfach über Nacht. Ihre eigenen Aufgaben an die beiden abzugeben, um einen Gang zurückzuschalten, fühlte sich irgendwie – falsch an. Beide hatten in der Vergangenheit mit Schicksalsschlägen gekämpft und waren jetzt endlich an einem glücklichen Punkt im Leben angekommen. Wie sollte sie Lilys Vorschlag folgen, ohne dieses Glück zu gefährden? Rina und Tristan würden sich nur unnötig Sorgen um sie machen …

„Einverstanden“, sagte Rina. „Was meinst du dazu, Zurie?“

Oh, verdammt! Ich habe überhaupt nicht zugehört.

„Ähm, ja. Das klingt gut“, stimmte Zurie rasch zu und schloss den Ordner. „Wenn das alles für heute ist, dann …“

Ein Klopfen unterbrach sie.

Tristan sprang regelrecht vom Stuhl auf. „Ich habe noch jemanden eingeladen.“

Chloes schokobraunes Gesicht erschien in der Tür. Ihre schwarzen, krausen Haare wippten fröhlich um ihre Schultern. Gekleidet in enge Jeans, ein weißes T-Shirt und hohe Sandaletten zog die Hauptdarstellerin von „Shadow Valley“ eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich. Freudig umarmte sie Tristan und lächelte in die Runde.

„Hallo zusammen. Wir möchten euch etwas sagen.“

„Tatsächlich?“ Rina rutschte aufgeregt nach vorne auf die Stuhlkante. „Raus mit der Sprache!“

„Wir sind verlobt!“, riefen Tristan und Chloe unisono, während Chloe einen funkelnden Ring am Finger präsentierte.

Rina konnte sich nicht länger halten und umarmte die beiden stürmisch. „Herzlichen Glückwunsch!“

Zurie stand auf, zögerte jedoch einen Moment – unsicher, ob sie sich der Gruppenumarmung anschließen sollte. Als sie Tristans überglückliches Gesicht sah, gab sie sich einen Ruck und umarmte ihn und Chloe herzlich.

„Wann ist denn der große Tag?“

Als Tristan das Datum verriet, stutzte Rina.

„Das ist bereits in sechs Wochen! Da bleibt nicht viel Zeit zum Planen.“

„Genug Zeit für ein paar Unterschriften auf dem Standesamt oder für einen Kurztrip nach Vegas“, antwortete Chloe schnell. „Nach dem Dreh hier in Tillbridge geht es für mich direkt weiter zum nächsten Film nach Kanada. Da wir beide so viel arbeiten, wäre es zu stressig für uns, eine große Hochzeit zu feiern.“

Liebe und Verständnis spiegelten sich in Tristans Augen, als er seiner Verlobten zunickte. „Sie will meine Ehefrau werden. Was kann mir noch Besseres passieren?“ Zärtlich küsste er sie auf die Lippen.

„Aber eine Hochzeitsfeier auf Tillbridge wäre wunderschön“, schwärmte Rina. „Wir könnten doch eine kleine, intime Trauung organisieren.“

„Theoretisch ja“, warf Chloe ein. „Aber die Klatschpresse verfolgt mich bereits auf Schritt und Tritt, während die Gerüchteküche brodelt. Die schreiben so viel Quatsch über meine angeblichen Liebesbeziehungen und versuchen, heimlich Fotos zu machen. Falls sie von unseren Hochzeitsplänen erfahren, wäre es mit unserer Privatsphäre vorbei. Das wollen wir auf jeden Fall verhindern. Die Verlobung ist ein Geheimnis!“

Rina starrte enttäuscht auf den Ring. „Oh, Mädel. Dann kannst du nicht einmal diesen Glitzerstein herumzeigen?“

„Nein, leider nicht.“ Chloes Blick blieb auf dem Platinring mit dem herzförmigen Diamanten hängen. „Bis zur Trauung muss er in meinem Schmuckkästchen warten.“

Hinter Chloes Lächeln entdeckte Zurie jedoch einen leicht traurigen Ausdruck. Und auch Tristans überschwängliche Freude konnte eine gewisse Enttäuschung nicht völlig verdecken. Eines Tages würde er vielleicht bereuen, dass er seine Frau nicht in einem traditionellen Rahmen geheiratet und ihr im Kreise von Familie und Freunden ewige Liebe geschworen hatte. Doch um Chloe zu beschützen, würde Tristan alles tun.

Bevor Zurie ihren nächsten Gedanken selbst voll erfasst hatte, sprach sie bereits die Worte aus: „Wenn ich die Sache plane, wird es keinen Medienzirkus geben.“

Die anderen schauten sie überrascht an.

„Das ist eine Menge Arbeit …“

„Das können wir dir nicht aufbürden …“

Doch Zurie war plötzlich glasklar: Ihr Vater hätte gewollt, dass Tristan eine wundervolle Hochzeit bekäme. „Team Tillbridge!“, rief sie.

Tristan und Rina lächelten, als sie den alten Familienschlachtruf ihrer Väter hörten. Langsam verzog sich die Skepsis aus ihren Gesichtern.

„Okay“, lenkte Tristan ein. „Gemeinsam können wir es schaffen.“

„Natürlich!“, stimmte Rina zu.

„Was geht hier vor?“, fragte Chloe leicht verwirrt.

Zurie drückte ihre Hand: „Das bedeutet, dass wir es gemeinsam als Familie schaffen können.“

2. KAPITEL

Geschickt parkte Zurie ihren grauen Mercedes zwischen zwei Autos an der Hauptstraße von Bolan. Kurz vor acht Uhr erwachten die Geschäfte gerade erst zum Leben. Es war Montagmorgen und ihr erster Tag als geheime Hochzeitsplanerin.

Vor fünf Tagen hatten sie und Tristan eine Vereinbarung getroffen: Zurie würde sich um die Organisation der Trauung und Feierlichkeiten auf Tillbridge kümmern. Dafür würde Tristan ihre täglichen Aufgaben im Büro übernehmen. Das war Rinas Idee gewesen. Nach einer langen Diskussion hatten sie sich auf drei Wochen Auszeit für Zurie geeinigt. Seit Jahren hatte sie keinen einzigen Arbeitstag verpasst.

Zurie lächelte. Sie managte täglich einen riesigen Reiterhof und ein florierendes Gästehaus. Wie kompliziert konnte da eine kleine Hochzeit sein?

Sie hatten abgemacht, dass die Planungen ein Geheimnis bleiben mussten. Zurie würde vorgeben, eine Geburtstagsparty für Tristan zu organisieren. Nur Philippa Gayle, die Küchenchefin des Pasture Lane Restaurants von Tillbridge, war eingeweiht, da sie sich um das Catering kümmern sollte.

In wenigen Minuten würden sich Zurie und Rina zu einem ersten Brainstorming über den Ablauf der Zeremonie und natürlich die Hochzeitstorte treffen. Zurie schnappte sich die Handtasche vom Beifahrersitz und stieg aus. Auf dem Gehweg war nur eine Handvoll Fußgänger und ein Jogger unterwegs. Vielleicht sollte sie auch wieder anfangen zu laufen. Seit Lilys Predigt bemühte sie sich, gesünder und pünktlich zu essen, mehr zu schlafen und mit ihrem Pferd Lacy Belle auszureiten. Sie versuchte sogar zu meditieren, allerdings mit nur mäßigem Erfolg. Wer hätte gedacht, dass Atmen so verdammt schwierig sein konnte?

Lily hatte außerdem vorgeschlagen, dass Zurie sich ein Hobby suchen sollte. Doch sie hatte keine Zeit für Hobbys! Schon während der Schulzeit und ihrem Wirtschaftsstudium hatte sie nie viel Zeit für sich selbst gehabt. Und dann hatte sie nach dem plötzlichen Tod des Vaters mit Ende Zwanzig ins kalte Wasser springen und den Betrieb von Tillbridge komplett übernehmen müssen. Für Bekanntschaften, geschweige denn eine ernste Beziehung gab es in ihrem Leben keinen Platz.

Als sie vor Rinas Café Brewed Haven stand, überkam sie ein unbändiges Verlangen nach einem Cappuccino. Zu Zuries festem Morgenritual zählte ein starker Kaffee, der Geruch von frisch gerösteten Bohnen und das Auskosten des kleinen Energiekicks …

Nein! Kein Kaffee! rief sie sich in Erinnerung. Ihr Magen fühlte sich tatsächlich etwas besser an, seit sie Kräutertee trank. Hoffentlich würden die Kopfschmerzen und das leichte Schwindelgefühl auch noch verschwinden.

Plötzlich öffnete sich die Tür des Cafés, und eine junge Frau kam mit einem großen Becher heraus. Das intensive Kaffeearoma drang sogar noch über den Gehweg bis in Zuries Nase. Einladend hielt die Frau die Tür auf. In diesem Moment der Schwäche übernahmen Zuries Füße die Kontrolle über ihren Willen, und mit schnellen Schritten trat sie ein.

Ein kleiner Eiskaffee würde nicht schaden! Der mit extra Schlagsahne, Karamell und Zuckerstreuseln …

Sie reihte sich in die Warteschlange ein und beobachtete, wie die Angestellten Kaffee und leckeres Gebäck über die Theke reichten. Als sie an der Reihe war und ihre Bestellung aufgab, überkam sie ein richtiges Glücksgefühl. Wenige Minuten später hielt sie eine grandiose Kreation aus Kaffee, Zucker und Sahne in den Händen.

Da der Becher ein wenig klebrig war, wollte sie sich ein paar Servietten von der Anrichte in der Ecke holen, drehte sich abrupt um – und stieß heftig mit jemandem zusammen. Wie in Zeitlupe sah sie, wie sich der Inhalt ihres Bechers über ein khakifarbenes Sportshirt ergoss, unter dem kräftige Brustmuskeln zu erkennen waren.

Nein! Sie hatte nicht einmal einen winzigen Schluck abbekommen!

Enttäuscht schaute sie hoch, direkt in das dunkle Gesicht von Deputy Sheriff Mace Calderone. Für endlose Sekunden starrte sie in seine whiskeybraunen Augen. Lilys Worte tauchten in ihrer Erinnerung auf.

Was du brauchst ist ein attraktiver, unwiderstehlicher Mann.

„Entschuldigung.“ Eine auffällige Blondine drängte sich zwischen ihnen durch. Dann hielt sie kurz inne, um Mace ein anzügliches Lächeln zu schenken.

„Guten Morgen“, sagte Mace mit einem höflichen Nicken und trat zur Seite.

Als die Blondine den nassen, braunen Fleck auf seinem Hemd entdeckte, warf sie Zurie einen abfälligen Blick zu, so als wollte sie sagen: Oh, Mädel, das hast du nicht wirklich getan, oder?

Zurie wäre am liebsten im Boden versunken. Verschämt stellte sie ihren halb leeren Becher weg und schnappte sich mehrere Servietten.

„Es tut mir furchtbar leid!“ Vorsichtig tupfte sie die Tücher auf sein nasses Shirt. „Wie ungeschickt von mir.“

Mace griff nach der Serviette. „Ist ja nichts weiter passiert.“

Als seine Finger ihre Hand berührten, machte Zuries Herz völlig unerwartet einen Sprung. Sein Blick und seine Ausstrahlung hatten etwas Aufregendes und gleichzeitig Beruhigendes an sich. Es ging eine solche Anziehungskraft von ihm aus, dass sie sich beinahe an ihn geschmiegt hätte.

„Aber ich habe dein Hemd ruiniert.“

„Das kann man waschen. Zum Glück war es kalter Kaffee.“

Sein breites, offenes Lächeln war ansteckend.

Ein attraktiver, unwiderstehlicher Mann …

Die Worte geisterten schon wieder durch Zuries Gedanken. Aber, nein. Es handelte sich hier um Mace – Tristans besten Freund und ehemaligen Schulkameraden, dem Zurie vor ewigen Zeiten Nachhilfe in Mathematik gegeben hatte.

Rasch zog sie ihre Hand zurück. Erst jetzt bemerkte sie, dass auch von seinen Shorts und Schuhen Eiskaffee tropfte. Sie hatte ihn voll erwischt.

„Du musst alles ausziehen.“

Mace schaute überrascht auf. „Wie bitte?“

„Äh, ich meinte … du solltest das alles ausziehen … wenn du zu Hause bist … alleine … ohne mich … um die Kleidung zu waschen.“

Was um alles in der Welt hatte sie da gerade von sich gegeben? Und hatte es sich in seinen Ohren ebenso haarsträubend angehört wie in ihren?

Zum Glück spielte ein amüsiertes Grinsen um seine Mundwinkel.

„Ich muss los“, stammelte Zurie. „Rina wartet auf mich.“

Nachdem Zurie Hals über Kopf aus dem Café gestürmt war, stand Mace nass und tropfend da, und versuchte, die neugierigen Blicke der Umstehenden zu ignorieren. Der intensive Duft von Kaffee und Karamell jedoch war schwer auszublenden.

Vor seinem inneren Auge spielte sich der Zusammenstoß mit Zurie noch einmal ab.

Herrje, verdammt. Das war gründlich schiefgelaufen. Er hatte sie eigentlich nur begrüßen wollen. Er hatte Zurie schon lange nicht mehr gesehen und beinahe nicht erkannt in den lockeren Jeans und der Freizeitbluse. Sie sollte öfter den strengen Businesslook ablegen.

„Hey, Mace. Was darf es denn sein?“

Die Stimme der jungen Bedienung holte ihn zurück in die Realität.

„Das Übliche, Darby. Danke. Ach, und was immer Zurie Tillbridge normalerweise trinkt.“

Einige Minuten später klemmte er einen Kaffee und einen Eiskaffee mit Karamell in die Pappschachtel, die Darby ihm sicherheitshalber gegeben hatte, und verließ das Brewed Haven.

Vor etwa einer Stunde, direkt nach dem Ende seiner Nachtschicht, hatte Tristan ihm eine geheimnisvolle Textnachricht mit der Bitte geschickt, sich bei Rina zu treffen. Danach würde er seine Joggingrunde drehen und den verpassten Schlaf nachholen. Zum Glück hatte er immer ein sauberes T-Shirt im Wagen. Bestimmt konnte er sich bei Rina umziehen.

Und hoffentlich würde er Zurie dort antreffen. Sie hatte Rinas Namen kurz vor ihrer Flucht erwähnt. Gern wollte er ihr den Eiskaffee ersetzen, der mit Karamell und einer riesigen Sahnehaube eigentlich als Dessert durchgehen würde. Er hatte nicht gedacht, dass Zurie Tillbridge auf so viel Zucker stand. Andererseits trafen sie sich auch nur noch zufällig hier und da, und kannten sich kaum näher.

Vor fünfzehn Jahren war das anders gewesen. Damals war er noch ein aufstrebender Quarterback in der Schulmannschaft gewesen und eher an den Mädchen interessiert als an guten Schulnoten. Sein Vater, der zu diesem Zeitpunkt Anwalt in Bolan war, hatte die etwas ältere Zurie als Nachhilfelehrerin für ihn engagiert. Sie war ein Mathegenie und bereits Studentin an der Uni gewesen. Zweimal pro Wochen trafen sie sich auf Tillbridge. Zuerst war es ihm unangenehm gewesen, dass er statt mit seinem besten Freund Tristan abzuhängen nun mit dessen verantwortungsbewusster Cousine Hausaufgaben machen musste. Doch nach einiger Zeit freute er sich darauf, sie zu sehen. Sie war geduldig, erklärte ihm auf verständliche Weise die komplizierten Formeln, und man konnte sich gut mit ihr unterhalten.

Bis er vor zwölf Jahren die Highschool mit einem guten Zeugnis abgeschlossen hatte, blieben sie noch in Kontakt. Als er dann zur Marine aufbrach, war sie eine der letzten Personen, die ihn mit einer schüchternen Umarmung verabschiedet hatten.

Mace erinnerte sich gern zurück an seine Jugend in Bolan. Seine Familie war mittlerweile nach Nevada gezogen. Er selbst war nach dem Ende seiner Militärzeit vor vier Jahren nach Bolan zurückgekehrt. Als er Zurie wiedersah, war ihm sofort aufgefallen, dass sie sich verändert hatte. Das unbeschwerte Lachen, das er von ihr kannte, war verschwunden, und auch in ihren Augen fehlte das fröhliche Funkeln.

Der frühe Tod ihrer Eltern und des Onkels, Tristans Vater Jacob, hatte ihr offenbar schwer zugesetzt. Außerdem lastete die volle Verantwortung über das Gestüt nun auf ihren Schultern. Er hatte mehrfach versucht, den Kontakt wieder aufzunehmen, doch sie hatte abweisend reagiert. Er hatte das Gefühl, dass sie immer noch den unreifen Teenager in ihm sah. Er war zwar enttäuscht gewesen, hatte es jedoch akzeptiert, dass sie nur noch flüchtige Bekannte waren.

Wenn er so darüber nachdachte, hatte Zurie eben zum ersten Mal seit Jahren spontan reagiert und Emotionen gezeigt. Hoffentlich war es nicht das letzte Mal angesichts ihrer überstürzten Flucht!

Zurie saß in Rinas Wohnung im ersten Stock auf dem Sofa im Wohnzimmer. Neben einem kleinen Beistelltisch war es das letzte verbliebene Möbelstück. Durch die großen Fensterscheiben fielen helle Sonnenstrahlen auf einen Berg von Umzugskartons.

Rina und Scott zogen aus der Stadt in ein älteres Haus auf dem Land um, das ein bisschen Liebe und Reparaturen nötig hatte. Die Renovierungsarbeiten standen endlich kurz vor dem Abschluss.

„Zeit für einen kleinen Cocktail“, rief Rina mit zwei Sektgläsern in der Hand. „Du hattest zwar Heißhunger auf einen Eiskaffee, aber die hier sind echt erfrischend.“

So wie ihr Morgen bisher verlief, konnte sie einen Cocktail gut gebrauchen, dachte Zurie. Außerdem waren Rinas Getränkekreationen legendär.

Zurie nahm einen großen Schluck und wunderte sich. Kein Alkohol? Sie starrte Rina an. Konnte es sein, dass … Ihre jüngere Schwester hatte zwar nicht zugenommen, doch war sie von einer strahlenden Aura umgeben.

„Stimmt etwas nicht mit deinem Drink?“, fragte Rina.

„Nein. Schmeckt sehr lecker. Aber gibt es einen bestimmten Grund, warum er alkoholfrei ist?“

Rina legte die Stirn in Falten. „Glaubst du etwa, ich sei schwanger?“ Dann lachte sie. „Ein Baby? Soweit sind Scott und ich noch nicht.“

Zurie stellte sich vor, wie Rina ihren zukünftigen Kindern Kuchen backen und Krümel aus den Gesichtern wischen würde. Sie würde eine tolle Mutter sein!

Rina nahm ihren Laptop zur Hand. „Tristan und Chloe wollen per Videochat mit uns über die Zeremonie und die anschließende Feier sprechen.“

Da klingelte es an der Eingangstür. Zurie stand energisch auf. „Ich schaue, wer das ist. Fahr du schon mal den Computer hoch.“

Als sie die Tür öffnete, erwartete sie eine Überraschung: Mace stand vor ihr mit einem Kaffeebecher in der Hand und einem verschmitzten Lächeln im Gesicht.

„Hallo. Ich dachte, du hättest den hier gern.“

Er streckte ihr ein perfektes Duplikat ihres traumhaften Eiskaffees, den sie verschüttet hatte, entgegen. Die Verlockung war einfach zu groß.

„Danke, das wäre doch nicht nötig gewesen.“

Rina tauchte im Flur auf. „Hallo, Mace. Schön, dass du so kurzfristig kommen konntest. Du hast sogar Kaffee mitgebracht.“

„Oh, das ist mir jetzt aber peinlich. Ich hätte für dich ebenfalls einen mitbringen sollen. Ich habe nur einen für Zurie.“

Rinas Blick fiel auf sein fleckiges Shirt. „Ah, alles klar. Komm rein.“

Erst jetzt dämmerte es Zurie, dass Mace nicht nur Kaffee vorbeibringen wollte. Als sie ihm Platz machen wollte und zur Seite trat, machte er just einen Schritt in dieselbe Richtung. Fast wären sie erneut ineinander gestolpert.

Endlich standen sie alle im Flur, und Mace gab Rina zur Begrüßung einen kleinen Kuss auf die Wange. „Darf ich mich rasch bei dir im Bad umziehen?“

„Ja, sicher“, entgegnete Rina, und zeigte den Flur hinunter. „Da entlang.“

Nachdem Mace im Badezimmer verschwunden war, zog Rina neugierig die Augenbrauen hoch. Bevor sie etwas sagen konnte, erklärte Zurie: „Ja, das war mein Eiskaffee auf seinem Hemd. Ein kleiner Unfall unten im Café.“ Sie ging in Richtung Küche. Rina folgte ihr.

„Ist das nicht lustig? Du bekleckerst ihn mit Kaffee und er besorgt dir ein neues Getränk.“ Sie schmunzelte neckisch. „Es erinnert mich ein bisschen an meine erste Begegnung mit Scott. Mensch, war ich zuerst sauer, als er mich bei diesem Stunt aus der Scheune beinahe umgerannt hätte und meine Kuchen ruiniert hat. Aber das war Schicksal, und es hat uns zusammengeführt.“

Ein wenig genervt rollte Zurie mit den Augen. „Das ist ja nicht auszuhalten.“

„Was?“

„Na, das Gerede von Liebe und Schicksal.“

Liebe. Meine Güte. Tristan lief schon seit Monaten mit diesem verklärten Dauerlächeln herum, und jetzt auch noch Rina. Nicht hinter jeder Situation lauerte die große Liebe oder der angeblich Seelenverwandte. Was vorhin mit Mace geschehen war, war schlichtweg ein dummes Missgeschick gewesen.

„Es war furchtbar peinlich, was im Café passiert ist. Und zu allem Überfluss habe ich auch noch gesagt, dass er alle Klamotten ausziehen soll.“

„Du hast was?“, prustete Rina los. „Ich bin mir sicher, dass er das nicht ernst genommen hat. Besonders da du keine von diesen Frauen bist, die ihm schmachtend hinterherrennen. Manche von denen wünschten sich ihn gerne nackt! Aber soviel ich weiß, ist er mit der Besitzerin vom Hundesalon zusammen. Oder nein … Darby hat erzählt, sie hätten Schluss gemacht. Sie hat ihn in der Weinbar mit dieser neuen Fitnesstrainerin gesehen. Aber das ist schon einige Wochen her. Ich frage mich, ob er momentan liiert ist …“

Zurie wedelte mit einer Hand. „Schon gut, ich glaube auch nicht, dass er sich so leicht aus der Fassung bringen lässt.“ Und er hatte sie ebenfalls nicht aus der Fassung gebracht, fügte sie in Gedanken hinzu. Selbst wenn er auf Lilys Beschreibung passte. Das hieß noch lange nicht, dass er ein wundersames Heilmittel war.

Rina schaute sie nachdenklich an. „Falls Mace nicht dein Typ ist, kennt Scott einen super netten Kameramann, der noch Single ist.“

„Ich bin nicht interessiert an einem Date. Ende der Diskussion.“ Zurie senkte die Stimme. „Warum ist er überhaupt hier? Weiß er von den Hochzeitsplänen?“

Schulterzuckend ging Rina voran ins Wohnzimmer. „Ich bin mir nicht sicher. Tristan hat mir nur eine kurze Textnachricht geschickt, dass Mace zur Unterstützung vorbeikommen würde.“

Zurie setzte sich wieder auf die Couch und nippte an ihrem Getränk. Kurze Zeit später gesellte sich Mace zu ihnen. Es fiel ihr schwer, ihn nicht anzustarren, denn er sah äußerst sexy aus in dem engen, weißen T-Shirt, dessen Stoff sich wie angegossen um seine Schultern schmiegte, und den Shorts, die seine durchtrainierten, muskulösen Beine zum Vorschein brachten.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte Rina.

„Nein, danke.“ Mace blickte auf die vielen Kartons und Kisten. „Hast du schon alles für den Umzug gepackt?“ Dann beugte er sich nach vorn, um seine Turnschuhe fester zu binden.

„Im Badezimmer muss ich noch einiges aussortieren, bevor es endlich losgeht.“

„Vermietest du die Wohnung, sobald ihr im neuen Haus seid?“

„Nein. Ich brauche den Platz für meinen neuen Onlineshop. In die Küche kommt ein neuer Ofen und weitere Küchengeräte, und im ehemaligen Schlafzimmer richte ich einen Konferenzraum für Besprechungen ein.“ Rina malte mit den Armen einen Kreis in die Luft. „Und hier können in Zukunft auch kleinere Feiern und Events stattfinden.“

Mace nickte anerkennend. „Tolle Idee. Das kann ich mir sehr gut vorstellen.“

Zurie schwieg. Sie glaubte zwar auch, dass das eine solide Geschäftsidee war, die Rina mit großem Eifer umsetzen würde, doch wie stand es um die Finanzen? Die Investitionen waren sicher recht teuer, und ihre jüngere Schwester hatte sich in der Vergangenheit schon einmal verkalkuliert. Dabei hatte Zurie prophezeit, dass die Renovierung eines alten Hauses hohe Kosten nach sich ziehen würde. Und hatte Rina nicht erst vor Kurzem sämtliche Rohre der Bäder ersetzen müssen?

Nervös rutschte Zurie auf der Couch hin und her. Vielleicht sollte sie Rina noch einmal ins Gewissen reden … Nein! schalt sie sich schnell. Das würde nur die lockere Beziehung, die sie endlich miteinander aufgebaut hatten, wieder gefährden.

Rina schaute auf die Uhr. „Tristan ruft bestimmt gleich an.“ Sie nahm den Laptop, setzte sich ans andere Ende der Couch und klopfte mit der flachen Hand auf den freien Platz in der Mitte. „Komm, setz dich, Mace.“

Zurie rückte angespannt ein Stück zur Seite. Obwohl zwischen ihr und Mace mehr als eine Handbreit Abstand war, konnte sie seine Wärme spüren.

„Ich weiß nicht genau, warum mich Tristan zu eurer Besprechung eingeladen hat. Geht es um die Verlobung?“

Zurie warf Rina einen vielsagenden Blick zu. Er wusste also doch von der anstehenden Hochzeit.

In dem Moment erschien auf dem Bildschirm das Symbol eines grünen Telefonhörers. Rina schaltete auch die Kamera hinzu. Die Gesichter von Tristan und Chloe erschienen. Offensichtlich befanden sie sich im Auto.

„Hallo, zusammen“, grüßte Tristan. „Danke, Mace, dass du es so kurzfristig einrichten konntest.“

„Ehrensache, Kumpel!“ Mace hob bekräftigend die Hand und streifte Zurie dabei am Arm. Seine Berührung kribbelte angenehm auf ihrer Haut.

„Wo seid ihr denn?“

Chloes fröhliches Lachen erschallte. „Wir verstecken uns vor neugierigen Fans im Auto, damit keiner von der geheimen Trauung erfährt.“

Mace hob erstaunt die Augenbrauen. „Geheime Trauung?“

„Ja, du hast richtig gehört“, bestätigte Tristan. „Zurie ist unsere Hochzeitsplanerin.“

Der wohlwollende Blick von Mace brachte sie in Verlegenheit. Rasch griff sie nach dem Notizplaner und wandte sich geschäftstüchtig an Tristan: „Du solltest Mace auf den neuesten Stand bringen.“

„Also, wir möchten eine überschaubare Hochzeit in fünf Wochen auf dem Gelände von Tillbridge feiern. Die Organisation muss allerdings geheim bleiben, sodass wir noch ein wenig Ruhe vor der Klatschpresse haben. Falls jemand fragen sollte, plant Zurie eine Überraschungsparty für meinen Geburtstag. Am Tag der Trauung wird sich natürlich herumsprechen, was wirklich vor sich geht. Daher brauchen wir ein gutes Team, das sich mit dem Thema Sicherheit auskennt und als eine Art Türsteher und Personenschützer auftritt. Da habe ich sofort an dich gedacht, Mace.“

Sicherheitsplan. Zurie notierte das Stichwort eifrig. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht.

„Kein Problem.“ Mace bot ohne Zögern seine Hilfe an. Dann wandte er sich an Zurie: „Was hältst du davon, wenn wir uns morgen zum Abendessen treffen, um die Details auszuarbeiten?“

„Nun …“ Aus reiner Gewohnheit schaute sie auf den digitalen Kalender ihres Handys, der zum ersten Mal nur leere, weiße Zeilen aufwies. Ein leichtes Unbehagen erfasste sie, als sie sah, dass ihre Assistentin sämtliche Termine an Tristan und andere Mitarbeiter übertragen hatte. Doch genau dies war ja Sinn und Zweck dieser Auszeit, rief sie sich in Erinnerung. Plötzlich hatte sie alle Zeit der Welt.

„Ja, das passt.“

3. KAPITEL

Am Mittag des darauffolgenden Tages saß Zurie auf einer brandneuen Yogamatte in ihrer Wohnung im Gästehaus von Tillbridge und versuchte den Lotussitz einzunehmen. Die Atemtechnik und das Loslassen der Gedanken kosteten sie mehr Anstrengung als ein Fitnesstraining …

In wenigen Stunden würde sie Mace in seinem Haus zum Abendessen treffen. Sie hatten in der Tat einiges zu besprechen, aber an so einem intimen Ort – allein mit Mace …

Stopp! Hör auf, an Mace zu denken. Du meditierst grade, schon vergessen?

Sie streckte ihren Rücken, richtete die Hände an den Oberschenkeln aus.

Tief durch die Nase einatmen, durch den Mund ausatmen.

Ihr Blick streifte eine feine Staubschicht auf den Möbeln. Sie musste dringend putzen! Bald würde sie wieder mit Mace zusammensitzen. Ohne Rina, ohne Tristan und Chloe, nur sie und ein attraktiver, unwiderstehlicher Mann …

Herrje, kannst du dich keine fünf Minuten konzentrieren? Und warum assoziierte sie plötzlich Mace mit dem von Lily beschriebenen Mann, der zu ihrer Erholung beitragen sollte? Erneut dachte sie an den gestrigen Zusammenstoß im Café. Obwohl die Situation äußerst peinlich gewesen war, hatte sie für einen Moment Trost und Zuneigung gespürt, als er sie angelächelt hatte.

Hör auf an ihn zu denken! Das ist absurd!

Wie sollte sie heute Abend nur einen klaren Gedanken in seiner Gegenwart fassen?

Mace kontrollierte, wie lange das Hähnchen noch im Ofen brauchte. Dann rührte er in einem riesigen Topf auf dem Herd, in dem sein Lieblingsgericht „Arroz con gandules“ köchelte. Der Geruch von Lorbeerblättern, Oregano und der Sofrito-Soße erinnerte ihn an sein Heimatland Puerto Rico.

Vor seinem inneren Auge sah er seinen älteren Bruder Efraín, seine jüngere Schwester Andrea und seine Eltern beim Abendessen. Diese Tradition hatten sie auch in den USA in ihrem neuen Zuhause in Bolan beibehalten, egal wie beschäftigt der Vater als Anwalt oder die Mutter als Schulpsychologin waren – das gemeinsame Essen war ihnen heilig.

Auf der Küchenzeile vibrierte sein Handy. Eine weitere Nachricht im Gruppenchat seiner Familie ging ein. Die Eltern waren gerade von einem Besuch bei Onkel Dariel in Bayamón auf Puerto Rico zurückgekehrt und besuchten anschließend Andrea, ihren Ehemann und den jüngsten Nachwuchs in Florida.

Da klingelte es an der Tür. Überpünktlich, dachte Mace. Aber nichts anderes hatte er von Zurie erwartet.

Als er öffnete, verschlug ihm Zuries Anblick beinahe den Atem: Ihre natürliche Ausstrahlung und Schönheit waren einfach umwerfend. Zurie trug ein weißes Sommerkleid mit großen Sonnenblumen darauf, das perfekt zu ihrer karamellfarbenen Haut passte und sich seidig weich an ihre Hüften schmiegte.

Mace bereute augenblicklich, dass er lediglich eine Jeans und ein schwarzes T-Shirt angezogen hatte.

Sie hielt einen Pappteller mit Kuchen in der Hand und lächelte höflich. Dann wanderte ihr Blick auf ihre braunen Sandaletten.

Endlich fand er seine Manieren wieder und trat einen Schritt zur Seite. „Herzlich willkommen.“

„Danke“, antwortete sie verlegen und ging an ihm vorbei ins Haus. Der Duft von Lavendel und Vanille schwebte mit ihr herein und zog ihn unwillkürlich an.

„Ich habe Dessert mitgebracht.“ Unsicher hielt sie den Teller zwischen sich und Mace.

„Das sieht fantastisch aus.“ Er nahm den Teller entgegen und zeigte Richtung Wohnzimmer. „Setz dich und mach es dir gemütlich. Was darf ich dir zu trinken bringen? Ich habe Mineralwasser, Wein, Bier …“

„Ein Glas Wein klingt gut.“

„Rot oder weiß?“

„Einen Rotwein, bitte.“ Sie ließ ihre Handtasche auf den flachen Holztisch vor dem Sofa sinken. „Kann ich dir beim Kochen helfen?“

In der Küche war zwar alles unter Kontrolle, doch Mace bemerkte an ihren unruhigen Händen, dass sie ein wenig nervös war und etwas zu tun brauchte.

„Ja, gerne. Folge mir.“

Als sie die Küche betraten, schaute sich Zurie überrascht um. „Es riecht großartig. Was steht denn für heute Abend auf der Speisekarte?“

Mace stellte den Kuchenteller auf die Theke. „Nichts Besonderes.“ Er versuchte, bescheiden zu klingen. „Gegrilltes Hähnchen, arroz con gandules und Salat.“

„Arroz con gandules? Ich liebe dieses Gericht.“

„Tatsächlich? Wo hast du das denn gegessen?“

„In Florida. Ich war zu einem Geschäftsessen in einem lateinamerikanischen Restaurant.“

„Toll.“ Mace nahm zwei verschiedene Salatsorten und einige frische Kräuter aus dem Kühlschrank. „Wenn du möchtest, kannst du den Salat machen.“

„Das kriege ich hin“, versicherte Zurie mit einem Lächeln.

Während Mace eine Flasche Merlot vom Regal nahm und mit einem Korkenzieher öffnete, beobachtete er Zurie, wie sie akribisch die einzelnen Salatblätter in der Spüle wusch. Er konnte beinahe hören, wie sie innerlich die Sekunden für die empfohlene Zeitspanne für korrektes Gemüsewaschen abzählte. Sie hatte ihre Gründlichkeit über die Jahre nicht verloren, dachte er schmunzelnd. Er hatte diese Eigenschaft an ihr schon immer bewundert.

Er schenkte ein Glas Wein ein und reichte es ihr. „Ich muss leider bei Wasser bleiben, ich muss nachher zur Nachtschicht.“ Er hielt sein Wasserglas hoch und stieß mit ihr an. „Prost!“

Nach dem ersten Schluck nickte sie anerkennend. „Der schmeckt wirklich gut.“

„Den habe ich von einem ganz besonderen Weingut. Die Broschüre müsste hier noch irgendwo rumliegen. Vielleicht wäre das etwas für die Hochzeit?“

„Gute Idee!“ Zurie machte nun einen entspannten Eindruck. „Ich lerne gerade, dass es für eine gute Hochzeitsplanung auf ausgefallene Details ankommt.“

Er hätte sich nie vorgestellt, dass sie einmal Hilfe von ihm annehmen würde, statt umgekehrt. Selbst als sie sich vor vielen Jahren den Knöchel verstaucht hatte, hatte sie Rinas und Tristans Unterstützung abgelehnt und war am Ende mit ihren Krücken im Matsch auf der Weide stecken geblieben.

Ein erwartungsvolles Gefühl kribbelte in seinem Nacken. Tausend Fragen brannten ihm auf der Zunge. Er wollte gern mehr über sie erfahren.

Aber er durfte nicht vergessen, dass dies lediglich ein gemeinsames Essen war – und kein Verhör. Er nahm zwei Porzellanteller und Besteck aus der Schublade.

„Hat Tristan schon verraten, dass ich sein Trauzeuge bin?“

„Ist doch klar, du bist sein bester Freund. Rina wird Chloes Trauzeugin und ich bin aufgrund meiner Pflichten als Ehrentrauzeugin auserkoren worden.“

„Wie laufen die Vorbereitungen?“

„Gut. Es ist nur schade, dass wir mit Chloe nicht in ein Brautmodengeschäft gehen können, um die tollen Hochzeitskleider anzuprobieren.“

„Warum nicht?“

„Es würde zu viel Aufmerksamkeit erregen, und wir müssen die Geheimhaltung sehr ernst nehmen.“ Zuries Gesichtszüge nahmen einen bedauernden Ausdruck an. „Sie wird sich ein Kleid im Internet aussuchen und liefern lassen.“

Mace war ein wenig überrascht, dass Zurie so offenherzig Mitgefühl zeigte.

„Vielleicht kannst du Charlotte von ‚Buttons & Lace‘ fragen, ob sie euch nach den offiziellen Öffnungszeiten empfängt. Ihr Laden ist ein Traditionsgeschäft in Bolan und für euch macht sie sicher eine Ausnahme“, schlug er vor.

Zurie zögerte. „Meinst du, sie würde dichthalten?“

„Wenn du dir unsicher bist, hör auf dein Bauchgefühl.“ Sein eigenes Bauchgefühl sagte ihm, dass er diese Frau in seiner Küche plötzlich sehr anziehend fand.

Da piepste der Küchenwecker.

„Das Essen ist fertig.“ Mace zog ein paar Grillhandschuhe über und nahm das goldbraune Brathähnchen aus dem Ofen.

Während des Essens sprach Mace von seinen Plänen für den Sicherheitsdienst während der Hochzeit. Zurie konnte ihre Augen nicht mehr von ihm abwenden.

Sein schwarzes Haar kräuselte sich ein wenig. Ein paar Bartstoppeln waren auf seinem Kinn zu sehen und brachten sein wundervolles Lächeln noch stärker zum Ausdruck. Shirt und Jeans standen ihm wie angegossen – nicht zu eng anliegend, aber gerade so eng, dass sich die Muskeln darunter abzeichneten. Sie war so abgelenkt von Maces ganzer Erscheinung, dass sie sich kaum auf seine Worte konzentrieren konnte.

„Meiner Meinung nach brauchen wir sieben bis acht Leute.“ Schon hatte er die Weinflasche in der Hand und schaute sie fragend an.

Sie wollte dankend ablehnen. Aber der Wein war zu gut und sie fühlte sich so wohl und entspannt, dass sie ihr Glas hob und erneut füllen ließ. Der Mace aus ihrer Erinnerung war zwar schon immer redefreudig gewesen, aber auf eine etwas unreife Art. Der Mann, der ihr heute gegenübersaß, war ruhig, selbstsicher, und Lebenserfahrung sprach aus seinen Worten.

Zurie nahm einen weiteren Schluck und spürte, wie der Merlot sie von innen erwärmte. „Sind wirklich so viele Sicherheitsleute nötig für eine kleine Hochzeit?“

„Ich denke schon. Wir müssen nicht nur das Festzelt im Auge behalten, sondern auch das Gästehaus, die Zufahrtswege, Ställe und so weiter. Besonders seit Chloe komische Fanbriefe bekommt.“

„Was? Wird sie von einem Stalker verfolgt?“

„Nein, Tristan hat mir erzählt, dass es bisher nur anzügliche E-Mails wären. Aber mit der großen Erwartung an den neuen Film steigt leider nicht nur ihr Bekanntheitsgrad, sondern auch der stetige Verlust ihrer Privatsphäre.“

Plötzlich fühlte sich Zurie schlecht. So weit hatte sie nicht gedacht.

„Du schaust auf einmal so ernst“, unterbrach Mace ihre Gedanken.

„Ich frage mich, ob Rina und ich die beiden vielleicht zu dieser Hochzeitsfeier gedrängt haben.“

„Nein, das stimmt nicht“, widersprach Mace. „Ich weiß, dass Tristan sich eine richtige Feier gewünscht hat. Er hätte Chloe zuliebe darauf verzichtet, aber er freut sich jetzt riesig auf das Fest, und Chloe auch.“

„Hoffentlich hast du recht, andernfalls wäre es ziemlich egoistisch von mir.“

Zurie war über ihre eigenen Worte überrascht. Der Wein musste ihre Zunge gelockert haben, sonst wäre sie niemals so offenherzig gegenüber Mace gewesen. In den letzten Jahren hatte sie ihn kaum gesprochen. Sie erinnerte sich daran, wie er ihr einmal Hilfe auf dem Hof angeboten hatte und sie ihn recht schroff abgewiesen hatte. Das tat ihr jetzt leid. Ob er ihr vergeben hatte? Dann wurde ihr bewusst, wie Mace sie fragend anschaute.

„Weißt du, meine Mutter liebte Feste. Als meine Eltern noch lebten, feierten wir nicht nur Weihnachten und Geburtstage, sondern auch selbst erfundene Anlässe, wie den ‚Tillbridge Sommerrodeo‘ oder den ‚Tag des großen Hotdogwettessens‘.“

Unwillkürlich musste sie lächeln.

„Ja, ich erinnere mich an euer ‚Pfirsichfest mit Pferden‘. Der Pfirsichkuchen deiner Mutter war legendär.“

Daran erinnerte er sich noch? Laut sagte Zurie: „Sie liebte große Familienfeiern.“

„Und nun würdest du gern wieder diese Tradition aufleben lassen?“

„Ja, in gewisser Weise schon.“

Mace legte sanft seine Hand auf ihre. Es fühlte sich warm und besänftigend an. Als er sie wieder fortzog, spürte sie sofort den Verlust.

Sie wurde unruhig. Um die Nervosität zu überspielen, fing sie an, das Geschirr zusammenzuräumen. „Ich sollte demnächst aufbrechen.“ Mit einem Ruck stand sie auf. Ihr Kopf fühlte sich schwindelig an. Plötzlich verschwamm alles vor ihren Augen. Sie griff nach der Tischkante.

„Vorsicht!“ Mace fasste sie gerade noch um die Taille und führte sie zurück zum Stuhl. Dann kniete er sich vor sie. Sorge stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Komm, leg dich für einen Moment auf die Couch.“

Obwohl sie sich fürchterlich schämte, ergriff Zurie dankbar seine ausgestreckte Hand und ließ sich zum Sofa führen. Sie streifte die Sandalen ab und streckte sich auf dem kühlen Leder aus.

„Kann ich dir etwas bringen?“

„Ein Glas Wasser, bitte.“ Sie spürte ein leichtes Pochen hinter der Stirn. „Und eine Kopfschmerztablette.“

Einen Moment später kam Mace mit dem Gewünschten zurück, setzte sich neben sie und hielt ihr fürsorglich das Glas.

„Ich bin bestimmt nur zu schnell aufgestanden“, erklärte Zurie.

„Vielleicht.“ Er schaute sie eindringlich an. „Leidest du häufiger an Schwindel und Kopfschmerzen?“

„In letzter Zeit schon“, gab sie zu.

„Warst du beim Arzt?“

„Ja, ich war letzte Woche bei Lily. Sie meinte, ich hätte zu viel Stress. Aber ich habe mich genau an ihre Anweisungen gehalten: Pausen, Meditation, kein Kaffee mehr.“

„Oh, ich verstehe.“ Mace verschränkte theatralisch die Arme vor der Brust. „Jetzt erwartet mich bestimmt eine Anklage wegen Beihilfe, nachdem ich dir diesen Monsterkaffee besorgt habe.“

Sein Humor war ansteckend, sodass Zurie sich ein Lachen nicht verkneifen konnte.

„Ja, für dieses Laster würde ich auch ein Verbrechen begehen! Ich vermisse meinen morgendlichen Kaffee schrecklich …“

„Wenigstens erklärt das deine Kopfschmerzen und den plötzlichen Schwindel: Dein Körper leidet unter Koffeinentzug.“

Koffeinentzug? Na. Toll! Resigniert ließ sich Zurie tiefer in die Sofakissen sinken.

„Dieses ganze Entspannungsprojekt ist anstrengender als ich es mir je vorgestellt hätte. Ich versage sogar beim Meditieren – und das ist nur Atmen.“

„Wissen Tristan und Rina von deinen Beschwerden?“

„Nein, und sie dürfen es auf keinen Fall erfahren!“

„Meinst du nicht, dass es schwierig ist, zu entspannen, während du eine komplette Hochzeit planst?“

„Tristan hat mich für drei Wochen von der Büroarbeit befreit. Ich kriege das schon hin.“

„Lass mich dir doch wenigstens helfen. Ich kenne ein paar sehr gute Entspannungstechniken.“

„Wirklich?“ Sie konnte einen skeptischen Unterton nicht ganz verbergen. Früher war Mace eine wahre Sportskanone gewesen. Er hatte sich nie eine Pause gegönnt.

„Glaubst du mir etwa nicht?“

„Doch, doch“, sagte sie schnell. „Aber das ist nicht nötig.“

„Wenn du nicht willst, dass ich dich an Tristan und Rina verrate, dann ist es nötig. Ich werde mich um dich kümmern.“

Mace wollte sich um sie kümmern? Das klang alles andere als entspannend … Doch sie sah ihm an, dass er es ernst meinte.

„Na, gut.“

Mace füllte den Geschirrspüler und räumte die Küche auf. Als er zurück ins Wohnzimmer kam, fand er Zurie tief und fest schlafend auf der Couch.

Mit Stress war nicht zu spaßen. Sie musste ihren Lebensstil dringend ändern, um in Zukunft negative Auswirkungen zu vermeiden.

Sich für die Familie aufzuopfern, lag anscheinend in den Genen der Tillbridges. Vor vielen Jahren hatte auch Tristan seine eigenen Bedürfnisse dem Familienunternehmen untergeordnet.

Auf dem Tisch vibrierte plötzlich Maces Handy. Rasch hob er es auf und ging den Flur hinunter. Es war ein Videoanruf seines älteren Bruders.

„Hola.“ Efraíns brauner Haarschopf erschien auf dem kleinen Bildschirm.

„Hallo“, flüsterte Mace. „Moment.“ Er trat ins Büro und schloss die Tür hinter sich. „Okay, jetzt kann ich sprechen. Eine Freundin schläft gerade auf meiner Couch.“

„So, so, eine Freundin? Kenne ich sie?“

Mace schüttelte den Kopf. Seine Familie – fast alle Anwalt von Beruf – liebte es, über sein Privatleben zu spekulieren. Als Verteidigungsanwalt und seit Kurzem Chef der Kanzlei hatte sich Efraín zu einem richtigen Wadenbeißer entwickelt. Wenn Mace erwähnen würde, dass Zurie Tillbridge hier war, würde ihn sein Bruder ins Kreuzverhör nehmen. Allerdings gab es nichts zu gestehen.

„Du rufst doch gewiss nicht an, um herauszufinden, mit wem ich mich treffe, oder?“ Mace lenkte vom Thema ab: „Wie geht es Gia und den Kindern?“

„Uns geht es gut. In der Firma ist einiges los.“

Mace wusste, worauf sein Bruder hinauswollte. Vor einem knappen Jahr war er mit dem Aufbaustudium der Rechtswissenschaften fertig geworden. Es fehlte nur noch die Abschlussprüfung.

„Wann willst du dich endlich für das Examen in Nevada anmelden und hierherziehen?“

Efraín dachte wahrscheinlich, dass er mit Absicht den Zeitpunkt, der Familienkanzlei beizutreten, hinauszögern würde. Der Vater hatte „Calderone und Associates“ gegründet und war vor Kurzem in den wohlverdienten Ruhestand gegangen.

Mace verspürte eine leichte Anspannung. Sein Bruder setzte auf ihn. In zwei Monaten lief die Anmeldefrist ab. Doch selbst nach der Anmeldung hatte er noch fast ein halbes Jahr Zeit, die Prüfung abzulegen und seinen Umzug nach Nevada vorzubereiten. Sein momentaner Fokus lag auf Tristans Hochzeit und wie er Zurie helfen konnte.

„Mir ist noch etwas dazwischengekommen. Aber ich werde die Sache bald angehen.“

Sie sprachen noch einige Minuten über die Familie. Nachdem Mace den Anruf beendet hatte, sah er erneut nach Zurie, die immer noch friedlich auf dem Sofa schlief.

Er nutzte die nächste Stunde zum Duschen und Rasieren, zog einen schwarzen Pullover und Jeans an, und überlegte, ob er Zurie wecken sollte. Er könnte sie vor Schichtbeginn nach Hause fahren.

Sie murmelte etwas im Schlaf. Nach dem Lächeln auf ihren Lippen zu schließen, hatte sie anscheinend einen schönen Traum. Schade, dass er sie da herausreißen musste. Doch er wusste mit Sicherheit, dass es ihr furchtbar unangenehm sein würde, falls er sie hier liegen lassen und zur Arbeit gehen würde.

Er beugte sich zu ihr hinunter und legte eine Hand auf ihre Schulter. Aber selbst ein sanftes Schütteln weckte sie nicht auf.

„Zurie, hallo, Zurie“, sprach er sie leise an.

Da endlich blinzelte sie ihn verschlafen an und legte eine Hand auf seine Brust. Er spürte die angenehme Wärme ihrer Handfläche durch seinen dünnen Pullover. Ein leises Seufzen entfuhr ihren Lippen.

„Mace …“

Sie hob den Kopf, umschlang mit der anderen Hand seinen Nacken – und küsste ihn hingebungsvoll.

4. KAPITEL

Zurie gab sich völlig dem Traum hin. Oh, wie wundervoll …

Sie hielt einen Eiskaffee in der Hand, der die Größe eines Eimers hatte. Als sie einen Zug aus dem riesigen Strohhalm nehmen wollte, tauchte plötzlich Mace aus dem Nichts auf, und nahm ihr das Lieblingsgetränk ab.

Das ist aber nicht nett!

Doch die Empörung verflog sofort, als sein Gesicht ganz nah vor ihrem schwebte. Seine Lippen strahlten eine starke Anziehungskraft aus. Mace flüsterte mit seiner tiefen Stimme ihren Namen. Im Traum gab sie der Versuchung nach und presste ihre Lippen auf seinen Mund.

Ungeheure Lust explodierte bei der Berührung. Als hätte Zurie jahrelang im Tiefschlaf gelegen und würde endlich erwachen. Sie gab sich dem Kuss mit ganzem Herzen hin und ließ beschwingt die Zunge kreisen. Es fühlte sich so warm und echt an!

Oh, nein …

Sie riss die Augen auf. Der Geschmack von Zahnpasta in ihrem Mund und der verwirrte Blick von Mace verrieten ihr sofort, was passiert war.

Wir haben uns geküsst!

Nein. Nach seinem erstaunten Gesichtsausdruck zu schließen, hatte sie wohl eher ihn geküsst!

Peinlich berührt setzte sie sich auf.

„Das tut mir leid.“ In Windeseile steifte sie sich die Sandalen über. Innerlich suchte sie nach einer Entschuldigung, doch keine Worte konnten ihre Beschämung ausdrücken.

Mace ließ sich neben sie auf die Couch nieder.

„Hey, schon gut. Keine große Sache.“

Keine große Sache? Für ihn vielleicht – aber für sie war dies … Sie konnte ihm nicht einmal in die Augen schauen. Schnell sprang sie auf, schnappte sich die Handtasche und stürmte zur Tür.

„Ich muss gehen.“

„Warte, Zurie.“

„Danke für das Abendessen.“

Mit letzter Kraft rannte sie aus dem Haus.

Während Zurie den Mercedes durch die nächtlichen Straßen von Bolan lenkte, überschlugen sich ihre Gedanken. Nervös schaute sie mehrfach in den Rückspiegel, doch von Mace war keine Spur zu sehen. Zu ihrem eigenen Erstaunen empfand sie beinahe eine gewisse Enttäuschung darüber.

Als sie auf die Landstraße Richtung Tillbridge abbog, seufzte sie. Der Kuss ging ihr nicht mehr aus dem Kopf.

Ja, Mace war der attraktive, unwiderstehliche Mann, den Lily beschrieben hatte, doch das war längst keine Entschuldigung dafür, ihn einfach so zu küssen. Auch dem Koffeinentzug konnte sie nicht die Schuld für den unbändigen Drang geben, mit seiner Zunge spielen zu wollen!

Es war seltsam: Als sie sich im Traum dem Kuss hingegeben hatte, hatte sie einen tiefen Frieden und eine Leichtigkeit gespürt, die sie kaum kannte. Es hatte nur einen Mann gegeben, in dessen Gegenwart sie Ähnliches empfunden hatte …

Nein! Nicht daran denken.

Sich in Erinnerungen an eine längst vergangene Beziehung zu verlieren, würde ihr nicht helfen.

Mace hatte gesagt, es wäre keine große Sache. Er blickte auf eine ganze Reihe Dates und Ex-Freundinnen zurück – wahrscheinlich war sie für ihn nur eine unter vielen.

Zurie atmete tief ein. Wenn sie zu Hause war, konnte sie sich immer noch überlegen, was sie ihm beim nächsten Treffen sagen würde.

Eigentlich konnte sich Mace gut beherrschen und seine Gedanken kontrollieren. Doch selbst die mit Schlaglöchern übersäte Abkürzung über die Felder nach Tillbridge konnte seine Gedanken nicht zerstreuen.

Dieser Kuss – Zurie.

Er hatte zwar behauptet, dass es keine große Sache gewesen sei, doch die Wahrheit war, dass er sie unbedingt wieder küssen wollte! Nachdem er noch einige Sekunden regungslos auf der Couch verharrt hatte, war er aufgesprungen, um ihr zu folgen.

Als er vor einigen Jahren nach Bolan zurückgekehrt war, wollte er Zurie gern besser kennenlernen. Doch die Familientragödien auf Tillbridge und Zuries abweisende Haltung hatten ihn davon abgeschreckt, sie zu fragen, ob sie mit ihm ausgehen wolle.

Und jetzt plötzlich, völlig unvorhersehbar, küsste sie ihn! Hatte er sich das Verlangen in ihren Augen nur eingebildet? Hatte sie wirklich seinen Namen geflüstert? Oder hatte sie vielleicht von einem ganz anderen Mann geträumt?

Mace brauchte dringend Antworten!

Durch das geöffnete Autofenster wehte eine kühle Brise. Der Duft von Gras und Pferden lag in der Luft. Langsam näherte er sich den ersten Weidezäunen des malerischen Anwesens. Kurz darauf bog er in den Parkplatz vor dem Gästehaus ein, in dem sich Zuries Wohnung befand.

Der Mond beschien die umliegenden Pferdekoppeln und die Terrasse vor dem Eingang. Im Schein der altertümlichen Gaslaternen saß ein Liebespaar auf einer Hollywoodschaukel.

Am hinteren Ende der Parkfläche entdeckte Mace den Mercedes von Zurie. Sie stieg gerade aus. Rasch lenkte er seinen Wagen in einen freien Stellplatz und stieg aus. Als Zurie ihn entdeckte, erschien ein überraschter Ausdruck auf ihrem Gesicht.

„Mace, was machst du denn hier?“

„Du hast etwas vergessen.“

„Was denn?“

„Eine Erklärung, warum du mich geküsst hast.“

„Ist das nicht offensichtlich?“

Mace war nicht in der Stimmung zum Rätselraten. „Nein. Ist es nicht. Magst du mich – oder nicht?“

„Das spielt keine Rolle. Du hast gesagt, es sei keine große Sache.“ Sie zuckte zwar mit den Schultern, als sei es ihr egal, doch der Unterton in ihrer Stimme verriet das Gegenteil.

„Das habe ich so dahergesagt. Aber das stimmt nicht.“ Mace trat bis auf einen kleinen Schritt an Zurie heran. „Dass du mich geküsst hast, ist eine große Sache.“

„Dieser Kuss. Das darf nicht wieder geschehen.“

„Ist das wirklich, was du möchtest?“

Sie schloss die Augen und schüttelte leicht den Kopf. „Warum bist du mir gefolgt?“

Riskant, dachte Mace. Es war riskant, Zurie Tillbridge so offenherzig gegenüberzutreten. Doch er musste wissen, woran er war.

„Ich fand den Kuss wundervoll. Das wollte ich dir sagen.“

Sie schlug die Augen auf, und der Blick unter ihren langen Wimpern raubte ihm den Atem. Noch bevor er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, griff sie nach seinem Arm, zog ihn heran und presste ihre Lippen abermals auf seinen Mund.

Mace schmeckte ihr Verlangen, als Zurie seiner Zunge Einlass gewährte. Sein Herz machte einen Sprung. Sanft legte er die Hände um ihre Taille und begann die zarten Rundungen ihres Körpers zu streicheln. Er spürte, wie die Erregung durch seine Adern pumpte. Er wollte ihr ganz nah sein.

Wenn er doch nur mehr Zeit hätte!

Mit großem Bedauern beendete er den Kuss, atmete schwer aus und räusperte sich.

„Ich bin froh, dass wir das geklärt haben.“

„Haben wir das?“ Ihr verblüffter Gesichtsausdruck und ihre süßen, vollen Lippen strahlten eine solche Anziehungskraft aus, dass er sie beinahe wieder geküsst hätte.

„Ja, zumindest den wichtigsten Teil.“

Dieser zweite Kuss war eindeutig kein Zufall gewesen. Das konnte Zurie nun nicht mehr leugnen. Was sie daraus machen würde, musste sich erst noch herausstellen. Mace hob die Hand zum Abschied.

„Ich muss zur Arbeit. Den Rest klären wir morgen früh.“

Nachdem Zurie die Tür hinter sich zugezogen hatte, musste sie sich erst einmal setzen. Gedankenverloren berührte sie ihre Lippen – da wo Mace sie geküsst hatte. Die Erinnerung an den betörenden Kuss flammte sofort wieder auf.

Ich fand den Kuss von dir wundervoll. Das wollte ich dir sagen.

Als Mace auf dem Parkplatz auftauchte, hätte sie niemals mit diesem spontanen Bekenntnis gerechnet. Geschweige denn, dass sie ihn erneut küssen würde! Doch nun wusste sie, dass der erste Kuss nicht einfach nur ein euphorischer Traum gewesen war, sondern echter Zuneigung entsprungen war.

Offenbar hatten sie beide den Kuss sehr genossen – es war eine große Sache. Wie sollte es nun weitergehen? Ja, Mace schaffte es, dass sie sich entspannt und ausgeglichen fühlte. Seine Natürlichkeit ließ jeglichen Stress und Nervosität von ihr abfallen. Doch es war lächerlich anzunehmen, dass er eine Art magische, sexy Pille für sie war.

Bestenfalls würde diese nur vorübergehend wirken, wenn sie in Betracht zog, wie viele Freundinnen und Dates er bereits gehabt hatte – im Gegensatz zu ihr. Sie ging fast nie aus und falls doch, dann nur außerhalb der Stadt, um Gerüchte zu vermeiden und ihre Privatsphäre zu schützen.

Wie auch immer es zwischen Mace und ihr weitergehen würde, es wäre zu persönlich für ihren Geschmack.

Sie konnte sich unmöglich auf ihn einlassen … nicht wahr?

Um sechs Uhr früh am nächsten Morgen gab Zurie endgültig die Versuche auf, zu schlafen. Ihre Gedanken kreisten ununterbrochen um Mace und den Kuss.

Als sie vergangene Nacht endlich für ein paar Minuten eingenickt war, hatte sie wild von ihm geträumt. Warme Erregung pulsierte immer noch durch ihren Körper.

Mace würde in Kürze vorbeikommen, um über die Hochzeitspläne – und den Kuss – zu sprechen, und sie hatte keine Ahnung, wie sie ihm gegenübertreten sollte. Wenn sie ihn anschauen würde, kämen gewiss diese erotischen Traumbilder zurück. Sobald sie seine Muskeln wieder sehen würde, die sich unter seinem Hemd spannten, würde ihre Fantasie mit ihr durchgehen! Sie musste sich unter Kontrolle bringen, bevor sie mit ihm über den vergangenen Abend sprechen konnte.

Plötzlich wurde ihr furchtbar heiß in ihrem dünnen Nachthemd. Lag es lediglich an dem langen Männerentzug oder hatte sich gestern ihr Verhältnis zu Mace grundlegend verändert?

Zwei Stunden später klopfte es an der Tür. Zuries Herz klopfte beinahe genauso laut.

Du schaffst das, sprach sie sich selbst Mut zu. Sie war doch kein verknallter Teenager mehr, sondern eine erwachsene Frau.

Sie öffnete die Wohnungstür. Da stand er: so sexy und attraktiv, dass seine wahre Gestalt selbst ihre Traumfantasien in den Schatten stellten.

Nach Luft ringend brachte sie gerade noch ein zartes „Hi“ heraus.

„Guten Morgen.“ Mace trat selbstsicher an ihr vorbei. Ein Hauch von Sandelholz streifte ihre Nase.

Sein Duft und seine Wärme waren betörend. Der Plan, sich von ihm zu distanzieren, löste sich innerhalb von Sekunden in Luft auf.

Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel, und das leichte Zucken seiner Oberarmmuskeln war nicht zu übersehen.

„Hast du gut geschlafen?“, fragte er.

Zurie dachte an die schlaflose Nacht voller erotischer Träume. „Nein, nicht wirklich.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Hat dich etwas wachgehalten?“

Ohne darüber nachzudenken, platzte sie mit der Wahrheit heraus: „Ja – du!“

Mace blickte sie forschend an. Dann kam er so nah an sie heran, dass sie wieder seine Wärme spüren konnte, wie eine wohltuende Berührung oder eine kuschelige Decke.

„Was kann ich dagegen tun?“

Zurie erkannte in seinen Augen dieselbe Sehnsucht, die sie vergeblich zu unterdrücken versuchte. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“

Sie beschritten unbekanntes Terrain, und unzählige Fragen würden sich auftun. Und Konsequenzen.

„Falls du mich darum bittest, werde ich gehen.“

„Nein, das möchte ich nicht.“

Er schaute ihr tief in die Augen. „Was möchtest du dann, Zurie?“

Zurie spürte, wie Aufregung und Vorfreude durch ihren Körper pulsierten. Einen solch berauschenden Mix aus Gefühlen kannte sie nur von den letzten fünf Minuten vor einem Pferderennen.

Als Mace seine Hände auf ihre Hüfte legte, begann ihr Herz wild zu schlagen. Seit Jahren lebte sie sehr diszipliniert, ging immer auf Nummer Sicher. Allein beim Pferderennen hatte sie vollkommen losgelassen und sich ihrem Pferd rückhaltlos anvertraut. Denn für die tägliche Arbeit auf Tillbridge waren Zuverlässigkeit und rationaler Sachverstand nötig. Seit Zurie in die Rolle des Familienoberhaupts geschlüpft war und ein ganzes Vermächtnis managte, konnte sie es sich nicht mehr leisten, sich Emotionen oder spontanen Gefühlsregungen hinzugeben.

Doch in diesem Moment fielen sämtliche Zwänge von ihr ab.

Die Lust und Sehnsucht, die sie lange verleugnet hatte, brachen sich einen Weg aus ihrem Inneren. Zurie schmiegte sich an Mace und erhob sich auf die Zehenspitzen. Er senkte den Kopf ein wenig, und endlich fanden sich ihre Lippen zu einem leidenschaftlichen Kuss. Ihr überwältigendes Verlangen nach Mace ließ Zurie aufstöhnen.

Ihr wurde bewusst, dass sie nicht mehr nur von purem Vergnügen träumen wollte, sie wollte es hier und jetzt mit allen Sinnen erfahren. Mace hob sie leicht wie eine Feder hoch, und sie schlang die Beine um seine Hüften. Ohne den Kuss zu lösen, setzten sie sich in Bewegung, und schafften es Schritt für Schritt ins Schlafzimmer. Mace trug sie bis zum Rand des Bettes und ließ sie sanft zu Boden gleiten. Voller Verlangen rissen sie sich gegenseitig die Kleider vom Leib. Endlich streifte er auch seine Boxershorts ab, die seine ganze Männlichkeit enthüllte.

Zurie wurde von einer unbändigen Lust erfasst. Mace zog sie sanft an sich heran – ihre nackten Körper berührten sich. Ihre Brüste schmiegten sich eng an seine muskulöse Brust. Seine leidenschaftlichen Küsse zogen sie in seinen Bann. Voller Gier umfasste er mit den Händen ihren Po, sodass ihr Puls noch schneller ging. Seine Härte drängte sich an ihren Schritt, und Zuries Knie zitterten. Er drückte sie rücklings auf die Matratze und glitt geschmeidig über sie. Während seine Hände jeden Zentimeter ihres Körpers erkundeten, wand sie sich unter seinen Liebkosungen.

Er griff nach dem Kondom, das er zuvor auf den Nachtschrank gelegt hatte, und streifte es über. Dann drang er mit einem Stoß in sie ein.

In diesem Moment schien sich die Welt um sie herum aufzulösen.

Zurie begann leise unter seinen Bewegungen zu stöhnen. Er streichelte sie an Stellen ihres Körpers, die lange nicht berührt worden waren. Jede seiner Liebkosungen weckte noch mehr Verlangen. Sie passte sich seinem Rhythmus an, während sie tief in seine whiskeyfarbenen Augen schaute. Die Lust steigerte sich beinahe in quälende Höhen. Sie konnte die Lustlaute nicht mehr unterdrücken und schrie seinen Namen. Endlich gab sie die Kontrolle völlig auf und ließ sich von dem Strom purer Ekstase mitreißen …

Es war so viel besser als in ihren Träumen!

Zurie lag in den starken Armen von Mace. Ihre rechte Hand auf seiner Brust hob und senkte sich langsam im Rhythmus seines Atems. Er schlief noch fest.

Eine tiefe Zufriedenheit erfüllte sie – und ein Funke neuerlicher Erregung. Normalerweise würde sie niemals so spät vormittags noch im Bett herumliegen, doch Mace strahlte selbst im Schlaf vollkommene Gelassenheit aus, die sich auf Zurie übertrug. Sie wollte nichts anderes, als sich an ihn zu kuscheln.

Mace trat frisch geduscht mit einem Handtuch um die Hüfte aus dem Badezimmer. Das Bett vor ihm war leer.

Wo war Zurie?

Ein leicht nervöses Kribbeln zog sich durch seinen Magen. Rasch griff er nach der Jeans auf dem Fußboden und suchte nach seinem Hemd.

Als er um zwölf Uhr aufgewacht war, hatte er überrascht aber glücklich festgestellt, dass Zurie noch neben ihm schlief. Leise hatte er sich ins Bad geschlichen, um sich frisch zu machen, und seine Gedanken zu sortieren.

Wo war das Hemd abgeblieben? Er konnte es nicht finden. Barfüßig ging er ins Wohnzimmer.

Da saß sie – im Schneidersitz auf der Couch mit dem Tablet auf dem Schoß – und hatte sein Hemd an. Es war ihr viel zu groß, doch sie sah unglaublich süß darin aus.

Dass Zurie sich offenbar so wohlfühlte, dass sie sein Hemd anzog, war ein gutes Zeichen, oder?

Sie schaute kurz auf und konzentrierte sich dann wieder auf den Bildschirm. Ihr schwarzes Haar fiel ihr in die Stirn.

„Wir müssen eine Ortsbegehung rund um den Pavillon mit Tristan organisieren und uns ein Bild davon machen, wo und wie viel Sicherheitspersonal wir benötigen.“

Mace setzte sich neben Zurie. Sie schaute ihn nicht an.

„Jetzt sofort?“

„Eigentlich dachte ich an heute Nachmittag, doch wegen des Regens verschieben wir es besser auf morgen.“

Ihre Finger flogen über das Touchpad. Mace stoppte sie, indem er sanft seine Hand auf ihre legte.

„Ich bin mir sicher, dass wir uns die Zeit auch anderweitig vertreiben können.“ Nun schaute Zurie auf. „Wir sollten darüber sprechen, was zwischen uns heute früh passiert ist.“

„Mace, ich …“, sie stockte. „Ich bereue nichts. Doch ich kann mir nicht erlauben, dass ich von meinen Aufgaben abgelenkt werde. Die Hochzeit hat höchste Priorität.“

Er hob ihre Hand und führte sie an seine Brust. „Ich stimme dir zu, dass das Glück von Tristan und Chloe gerade an erster Stelle steht. Doch wir können trotzdem Zeit miteinander verbringen.“

Gespannt wartete er, wie sie darauf reagieren würde.

Ein endloser Moment verstrich. Sie strich ihm sanft über die nackte Brust. Die Berührung weckte Erinnerungen daran, wie sie ihn vorhin gestreichelt und verwöhnt hatte, und sein Herz schlug schneller.

„Falls wir uns weiterhin treffen, möchte ich nicht, dass jemand davon erfährt – auch nicht Tristan, Rina oder Chloe. Ich habe schon immer mein Privatleben und Tillbridge getrennt.“

Das war eine berechtigte Bitte.

„Wenn du es niemandem sagen möchtest, werde ich schweigen.“

Zurie fältelte leicht die Stirn. Oh, oh. Es lag ihr noch etwas anderes auf dem Herzen.

„Was bedrückt dich noch? Du kannst es mir sagen.“

„Ich kann mir nur gewisse Freiheiten erlauben oder bis mittags schlafen, weil ich für die Hochzeitsplanungen von meiner Arbeit freigestellt bin. Sobald ich ins Büro zurückkehre, ist es damit vorbei.“

Wollte sie damit sagen, dass sie nicht arbeiten und gleichzeitig das Leben genießen konnte? Vor einigen Jahren hatte er selbst diese Erfahrung machen müssen: Zwischen der Ausbildung zum Deputy und dem Jurastudium war er in einen ungesunden Teufelskreis aus Stress, Schlafentzug und einem Übermaß an Koffein geraten. Erst nach einer Weile war ihm klargeworden, was er im Leben verpasste und wie sehr er seine Freunde und Freizeit vermisste.

Sich für diese Dinge Zeit zu nehmen und sie bewusst zu genießen, war ihm seither sehr wichtig. Auch Zurie musste unbedingt lernen, auf sich zu achten, bevor sie ernsthafte gesundheitliche Probleme bekam. Es ging nicht darum, Zeit zu sparen, indem man Spaß und Freude aus seinem Leben herauskürzte, sondern eine gute Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden. Vielleicht konnte er ihr dabei helfen … und sie weiterhin treffen. Sein Umzug nach Nevada fand erst in einem halben Jahr statt.

Mace stand auf, griff nach ihrer Hand und zog sie hoch. Er schaute ihr tief in die Augen. „Ich mache dir einen Vorschlag: Ich helfe dir in den nächsten fünf Wochen bei den Hochzeitsplanungen und zeige dir, wie man sich richtig entspannt. Auf diese Weise kannst du dich deinen Aufgaben widmen und wir können uns weiterhin sehen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Drei Wochen.“

„Aber die Hochzeit ist erst in fünf.“ Er lehnte sich vor. Ihre Gesichter berührten sich beinahe. Der betörende Duft von Lavendel hüllte ihn ein.

„Ja, aber …“ Sie seufzte und neigte den Kopf zur Seite.

Mace nahm die subtile Einladung gerne an und zog mit zarten Küsschen eine Spur von ihrem Nacken bis zum Ohrläppchen.

„Mace, du hörst mir nicht zu“, entgegnete sie schwach.

„Ich höre jedes Wort. Aber fünf Wochen sind besser. Ich kann mir eine gerade Zahl viel besser merken.“ Von ihren streichelnden Händen auf seinem Rücken bekam er eine kribbelnde Gänsehaut.

„Fünf ist keine gerade Zahl“, flüsterte sie.

„Verdammt. Nach all den Jahren habe ich immer noch Probleme mit Mathe.“

Dann fanden sich ihre Lippen, und die letzten Einwände lösten sich in Luft auf.

5. KAPITEL

Zurie galoppierte auf ihrem Lieblingspferd Belle über die Felder. Es war noch früh, und die kühle Morgenluft strich durch ihr dunkles Haar. Sie drückte die Schenkel fest an den ledernen Westernsattel und beobachtete, mit welcher Freude und Ausgelassenheit die haselnussbraune Stute über einen kleinen Graben sprang.

Wie lange war sie nicht mehr ausgeritten? Es war ein herrliches Gefühl!

Mace hatte recht. Es tat gut, ein wenig Freizeit zu genießen und sich zu entspannen. Er hatte ihr gestern sogar eine App mit Meditationstechniken und begleiteten Tagträumen am Handy installiert. Tatsächlich war sie abends sofort friedlich eingeschlafen.

Als sie an die Nacht mit Mace zurückdachte, tanzten Schmetterlinge in ihrem Baum. Wurden ihre Hände etwa feucht? Wie sollte sie gleich Mace und Tristan zur Ortsbegehung treffen, ohne sich etwas anmerken zu lassen?

Nach einer Weile näherte sie sich wieder den Gebäuden von Tillbridge. Da sah sie Tristan in leichtem Trab auf seinem Rappen Thunder. Sie ritt zu ihm hinüber.

„Guten Morgen.“ Zurie ließ die Zügel los und streichelte Belle über die Mähne.

„Guten Morgen“, rief Tristan. „Habt ihr beide einen schönen Ausritt gehabt?“

„Oh, ja. Es war wunderbar.“

Plötzlich grinste ihr Cousin verschmitzt. „Na, dann lass uns ein kleines Wettreiten machen. Wer als letztes am Ende der Weide ankommt, muss das Mittagessen bezahlen!“ Und schon ließ er Thunder ohne Vorwarnung losgaloppieren.

Er wagte es, sie herauszufordern? Zurie griff rasch nach den Zügeln und lenkte Belle in einem engen Radius in die richtige Richtung. Die Stute galoppierte auf ihr Kommando ausgelassen über die Koppel und holte Meter für Meter auf. Die Felder rechts und links flogen nur so an ihnen vorbei. Zurie liebte diesen Geschwindigkeitsrausch, den sie lange nicht mehr gespürt hatte. Das Ende der Weide kam immer näher. Gleichzeitig erreichten Belle und Thunder das Ziel.

Tristan nickte anerkennend. „Du hättest mich beinahe geschlagen. Nicht schlecht für eine Schreibtischtäterin.“

„Das sagt der Richtige“, konterte Zurie lachend.

Da sahen sie in der Ferne den Geländewagen von Mace. Langsam ließen sie ihre Pferde zurücktraben, stiegen ab und banden sie am Weidezaun fest.

Als Mace zu ihnen herüberkam, überlegte Zurie fieberhaft, wie sie sich normalerweise begrüßten. Schüttelte Mace ihr die Hand? Oder nickten sie sich nur zu? Sie konnte sich nicht erinnern!

Mace klopfte Tristan zur Begrüßung auf den Rücken. Dann lächelte er ihr zu. „Hallo, Zurie.“

Oh, richtig. Während Rina eine Umarmung oder Chloe ein kleines Küsschen auf die Wange bekam, hatten sie und Mace in der Vergangenheit tatsächlich nur ein höfliches Hallo ausgetauscht – mehr nicht.

Enttäuscht schaute sie ihn an. Gern hätte sie ihn berührt. Doch sie konnten sich in Gegenwart anderer nicht plötzlich mit inniger Zuneigung begegnen. Das wäre zu auffällig.

Gemeinsam gingen die drei in der nächsten halben Stunde den Aufbauplan für das Festzelt, die Bestuhlung und die Sicherheitsvorkehrungen durch, bis Tristans Handy klingelte.

„Entschuldigung, da muss ich rangehen.“ Tristan zog das Telefon aus der Hosentasche und entfernte sich.

Zurie nutzte die Gelegenheit, um ein Stück näher an Mace heranzuschleichen. Er lehnte sich zu ihr herüber und flüsterte: „Hast du eine Ahnung, wie sehr ich mich zusammenreißen muss, um dich nicht auf der Stelle zu küssen?“

Es ging ihm also genauso, dachte Zurie erleichtert. Freudige Erregung ergriff Besitz von ihr. Auch in seinen Augen blitzte pures Verlangen. „Ich fürchte, wir müssen noch eine Weile warten.“

„Ja, leider. Ich muss später noch eine zweite Schicht übernehmen. Aber ich rufe dich an.“

Am späten Nachmittag saß Zurie vor ihrem Computer und kontrollierte die Checkliste für die Hochzeit. Sie hatte Zelte und Stühle bestellt, Zimmer im Gästehaus reserviert und den Ablaufplan für die Zeremonie ausgearbeitet.

Jetzt dachte sie darüber nach, was Mace bezüglich der Kleiderprobe für Chloe vorgeschlagen hatte. Der jungen Schauspielerin das perfekte Traumkleid zur Hochzeit zu verschaffen, wäre wirklich schön.

Charlotte, die Besitzerin des Brautmodengeschäfts, war eine Freundin von Zuries Mutter gewesen, und nicht als Klatschtante bekannt. Vielleicht sollte sie ihrem Bauchgefühl folgen, so wie Mace gesagt hatte.

Allerdings musste sie sich erst mit diesem Gedanken anfreunden. Denn vor sieben Jahren hatte ihr Bauchgefühl sie in ein Drama gestürzt …

Damals war eine Gruppe von jungen Managern einer Investmentfirma aus New York nach Tillbridge gekommen, um einen Workshop für Teambildung und Motivationstraining zu absolvieren. Sie bezahlten eine Menge Geld für das Seminar, zu dem auch die praktische Mithilfe bei der Arbeit in den Reitställen gehörte. Sie fütterten die Pferde, misteten Boxen aus und halfen bei kleineren Reparaturen.

Einer von ihnen, Theo Asher, hatte zwei linke Hände. Er stellte sich so ungeschickt an, dass es nach seinem Einsatz schmutziger aussah als vorher, und schaffte es sogar, Stahlwerkzeuge zu zerbrechen. Doch er war ein netter Kerl, und als sich ein Pferd von der Longe losriss, sprang er Hals über Kopf hinzu, um zu helfen – und um Zurie zu beeindrucken, wie sie später von ihm erfuhr. Bei diesem gefährlichen Manöver verletzte er sich am Handgelenk. Am Ende des Tages lud er sie zum Abendessen ein. Aus einem puren Impuls heraus hatte sie zugestimmt.

Ein Fehler, wie sich herausstellte.

Die Situation mit Mace war jedoch eine andere. Sie stürzte sich nicht blindlinks in eine aussichtslose Romanze. Sie hatte sich einen klaren Rahmen mit begrenzten Erwartungen gesteckt, der in drei Wochen enden würde.

Mace hatte sie zwar zu überreden versucht, bis zur Hochzeit zusammen zu bleiben. Aber sobald sie zurück ins Büro kehren würde, hätte sie sowieso keine Zeit mehr.

Bis dahin jedoch wollte sie sich ein wenig verwöhnen lassen!

Da klingelte das Telefon. Es war Mace. „Hallo!“

„Hallo, wie war dein Tag?“, fragte er mit müder Stimme.

„Gut, ich habe einiges von meiner Liste abgearbeitet. Hast du nicht genug Schlaf nach deiner Schicht bekommen?“

„Sechs Stunden mussten heute leider reichen. Ich bin in der Vergangenheit schon mit weniger ausgekommen. Außerdem trinke ich gerade einen starken Kaffee – ups, tu so, als hättest du das nicht gehört!“

Zu spät. Zurie lief bereits das Wasser im Mund zusammen. „Das war gemein!“

„Ich kenne diesen Punkt des Entzugs. Aber glaube mir, es lohnt sich trotzdem.“

„Wenn du hier wärst, könntest du mich ablenken.“ Meine Güte! Das hörte sich furchtbar schnulzig an. Flirten war wirklich nicht ihre Stärke.

Mace lachte herzlich. „Was hast du am Wochenende vor?“

„Zwei Probeessen, die Philippa und Rina für die Hochzeit vorbereiten.“

„Ich habe dieses Wochenende frei.“

„Na, dann komm doch mit. Du bestehst ja darauf, mir zu helfen.“

„Ist das okay für dich?“

„Ja, ich hätte dich gern dabei.“ Das hörte sich nun wiederum sehr liebesbedürftig an. Schnell fügte sie hinzu: „Eine männliche Meinung wäre gut.“

„Prima.“

„Gut. Dann treffen wir uns Samstag im Pasture Lane Restaurant für das Hauptmenü und Sonntag bei Rina, um Kuchen und Torten zu testen.“

„Ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen“, verabschiedete sich Mace.

„Ich kann es auch kaum erwarten!“ Zurie konnte ihre Vorfreude nicht länger verbergen.

Es war ein komisches Gefühl, durch die Flure und Eingangshalle des Gästehauses zu laufen und dabei nicht in ihr Büro zur täglichen Arbeit abzubiegen, sondern stattdessen weiter ins Pasture Lane Restaurant zu gehen. Zurie musste sich erst daran gewöhnen, an diesem Samstagvormittag als Gast hier zu speisen – und nicht als Managerin von Tillbridge nach dem Rechten zu sehen.

Der Raum mit den hohen Glasfronten und rustikalen Holztischen im Westernstil bot einen atemberaubenden Blick auf die Pferdekoppeln und grünen Hügel.

Zurie nahm an ihrem Lieblingstisch in der Ecke Platz, den Philippa bereits für sie reserviert hatte. Eine Kaffeekanne und eine Karaffe mit Wasser standen darauf. Nach alter Gewohnheit griff sie nach der Kaffeekanne, hielt dann abrupt inne, und entschied sich dann wehmütig für das Wasser.

„Guten Morgen, Zurie.“ Philippa tauchte gut gelaunt mit ihrem limettengrünen Haarband und in der Uniform der Küchenchefin auf.

„Guten Morgen, Philippa. Ich bin gespannt auf deine Kostproben.“ Aus dem Augenwinkel erkannte sie, wie Mace das Restaurant betrat. Als er näherkam, warf er den beiden Frauen ein freundliches Lächeln zu.

„Entschuldigung, bin ich zu spät?“ Er wirkte leicht abwesend.

„Ich denke nicht“, antwortete Philippa zögernd.

Oh, nein! Zurie hatte völlig vergessen, zu erwähnen, dass Mace ebenfalls zum Probeessen kommen würde. Wie peinlich!

„Mace wird mich bei der Auswahl für das Menü unterstützen“, erklärte sie schnell.

„Prima. Dann können wir anfangen.“ Philippa verschwand durch die Schwingtür zur Küche.

Schließlich wandte sich Zurie an Mace. Er roch fantastisch. Sein noch etwas feucht schimmerndes Haar kräuselte sich leicht und betonte die scharfen Linien seiner Gesichtszüge. Eine feine rote Linie zog sich über seine linke Wange. Hatte er sich beim Rasieren geschnitten? Fast hätte sie einen neckischen Kommentar abgegeben, da fielen ihr weitere Kratzer an seinen Armen auf.

„Du bist ja verletzt!“

„Ist nicht so schlimm.“ Maces Lächeln täuschte jedoch nicht über seine bekümmerte Miene hinweg.

„Was ist denn passiert?“

Er beugte sich näher heran und senkte die Stimme. „Es gab heute früh einen schlimmen Autounfall auf der Hauptstraße zum Highway. Eine junge Frau wurde eingeklemmt und schwer verletzt. Mein Kollege und ich blieben bei ihr, bis sie von der Feuerwehr befreit wurde und ins Krankenhaus geflogen wurde.“

Sofort war Zurie in Gedanken bei ihrer Mutter, die aufgrund eines Autounfalls gestorben war, und bei Rina, die ebenfalls fast in einem Sportwagen ums Leben gekommen wäre. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Diese Ereignisse waren die schlimmsten Momente in ihrem Leben gewesen.

Sie konnte zwar nicht hundertprozentig einschätzen, wie es Mace dabei ging, doch offensichtlich lagen ihm die Geschehnisse schwer auf dem Herzen.

„Falls du lieber nach Hause möchtest, verstehe ich das sehr gut.“

„Nein. Ich bin froh über die Ablenkung. Und ich möchte dir den Tag nicht verderben. Dies ist ein fröhlicher Anlass.“

„Du verdirbst gar nichts!“ Beinahe hätte sie eine Hand tröstend auf seinen Arm gelegt, hielt sich jedoch im letzten Moment zurück. „Falls du darüber reden willst, bin ich für dich da.“

„Danke, das weiß ich zu schätzen. Aber es ist okay.“ Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.

Da kam Philippa bereits mit einem großen Tablett, auf dem sich erlesene Speisen nur so türmten. „Es geht los mit dem ersten Gang.“

Autor

Nina Crespo
Foto: ©privat
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