Bianca Gold Band 71

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TAGE VOLLER ZÄRTLICHKEIT von NIKKI BENJAMIN
Zögernd nimmt Eloise die Einladung des New Yorker Bürgermeisters an, sie zu einem Herbstball zu begleiten. Vor Jahren waren sie und Bill Harper ein Paar, jetzt sind sie erbitterte Gegner im Kampf um Subventionen. Ein Kampf, den Eloise in der Nacht von Thanksgiving aber schnell vergisst …

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  • Erscheinungstag 16.09.2022
  • Bandnummer 71
  • ISBN / Artikelnummer 8092220071
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Nikki Benjamin, Sherryl Woods, Jackie Braun

BIANCA GOLD BAND 71

1. KAPITEL

Eloise Vale blieb ein letztes Mal vor dem Spiegel in ihrem Schlafzimmer stehen und musterte sich kritisch.

Das schlichte, aber elegante Abendkleid aus schwarzer Seide war knöchellang, hatte einen tiefen Rückenausschnitt und brachte ihre schlanke Figur zur Geltung. Ihr aschblondes Haar reichte bis zum Kinn und umspielte ihre zarten Gesichtszüge, die durch ein etwas kräftiger als sonst aufgetragenes Make-up betont wurden. Der Schmuck, nicht mehr als funkelnde Brillanten an den Ohren und ein dazu passendes Armband, verlieh ihrer Erscheinung einen Hauch von Glamour.

Nicht schlecht für eine reife Frau von zweiundvierzig und die Mutter dreizehn Jahre alter Drillingssöhne, dachte sie lächelnd. Sie sah kühler, ruhiger und mondäner aus, als sie sich eigentlich fühlte.

Es war erstaunlich, wie sehr Äußerlichkeiten über den inneren Zustand eines Menschen hinwegtäuschen konnten. Und das war gut so. Denn sie durfte sich unter keinen Umständen anmerken lassen, wie nervös sie schon seit Stunden war. Erst am Nachmittag war ihr klar geworden, worauf sie sich eingelassen hatte.

Auf den Ball des Bürgermeisters zu gehen – das herausragende gesellschaftliche Ereignis von New York City – war für Eloise keine neue Erfahrung. Vor seinem Tod vor drei Jahren hatte ihr Mann Walter Vale, ein wohlhabender Investmentbanker, sie regelmäßig dorthin begleitet. Aber heute Abend würde sie mit Bill Harper, dem Bürgermeister persönlich, erscheinen.

Mit dem Mann, den sie vor siebzehn Jahren geliebt, aber nicht geheiratet hatte.

„Vergiss das nicht“, murmelte Eloise und drohte ihrem Spiegelbild mit erhobenem Zeigefinger.

In den letzten Monaten hatte Bill Harper bewiesen, dass er kein Freund von ihr oder von Manhattan Multiples war. Er hatte sie vermutlich nur eingeladen, ihn auf den Ball zu begleiten, weil er allen beweisen wollte, wie unvoreingenommen er war. Und sie hatte seine Einladung lediglich angenommen, um die Gelegenheit zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen.

Die aufgebrachten Anrufe in seinem Büro, das Interview, das sie der New York Times gegeben hatte, sowie die anonymen Leserbriefe, die sie an verschiedene andere Zeitungen geschickt hatte, schienen ihn nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Also würde sie es von Angesicht zu Angesicht versuchen und dabei auch noch um öffentliche Unterstützung kämpfen.

Trotzig hob Eloise das Kinn, nickte sich zu und dachte daran, was sie sich geschworen hatte. Sie würde alles tun, um Manhattan Multiples, das von ihr gegründete Beratungszentrum für Mehrlingsmütter, vor der Schließung zu bewahren. Selbst wenn sie dazu einen ganzen Abend an Bürgermeister Harpers Seite verbringen musste.

Eloise war geistreich und unterhaltsam, und als Ehefrau eines wichtigen New Yorker Geschäftsmanns hatte sie gelernt, sich auch im Kreise von Prominenten gelassen zu bewegen. Sie konnte also das Beste aus ihrem heutigen Auftritt machen. Und das würde sie auch tun.

Doch genau das hatte Bürgermeister Harper vermutlich ebenfalls vor. Sie zweifelte nicht daran, dass seine Einladung, ihn auf den Ball zu begleiten, rein politische Gründe hatte.

Eloise war nicht naiv genug zu glauben, dass er dort weitermachen wollte, wo sie vor siebzehn Jahren aufgehört hatten. Und sie wollte es auch nicht. Obwohl sie inzwischen verwitwet und er geschieden war. Sie hatte seinen Heiratsantrag damals abgelehnt, und auch heute stand sie zu ihrer Entscheidung.

Sicher, sie beide hatten sich in all den Jahren geändert, aber Bill Harper war noch immer der, der er damals gewesen war – ein Mensch, der in erster Linie für die Politik lebte. Und das würde er immer bleiben.

Er würde auch diesen Abend nutzen, um sein Image zu verbessern. Denn sein Vorhaben, die Zuschüsse an wohltätige Organisationen zu streichen und dadurch den Haushalt der Stadt zu sanieren, war nicht auf die erhoffte Begeisterung gestoßen.

Indem er sich öffentlich mit ihr zeigte, konnte er den Eindruck erwecken, er hätte die Unterstützung einer der lautstärksten Gegnerinnen seines Sparprogramms gewonnen. Doch wenn sie geschickt vorging, konnte sie ihrerseits den Eindruck erwecken, als wären ihm Zweifel an seiner Haushaltspolitik gekommen. Und solange es so aussah, als würde der Bürgermeister ihr wenigstens zuhören, konnte sie in ihrem Kampf gegen die Kürzungen bei wohltätigen Organisationen wie Manhattan Multiples Verbündete finden.

Eloise kehrte dem Spiegel den Rücken zu, nahm die Abendtasche vom Bett und legte sich den langen schwarzen Seidenmantel, der sie vor der Novemberkälte schützen würde, über den Arm. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass ihre Verabredung erst in einigen Minuten eintreffen würde.

Nein, nicht meine Verabredung, korrigierte sie sich. Denn das klang romantischer, als sie und sicher auch Bürgermeister Harper sich diesen Abend vorstellten. Begleiter – das war eine wesentlich sachlichere und angemessenere Bezeichnung.

Ihre Nervosität legte sich ein wenig, als sie über den Flur ging. Sie wagte es nicht, im Vorbeigehen einen Blick durch die offen stehenden Türen ihrer Söhne zu werfen. Die Verantwortung für die Kinderzimmer hatte sie Mrs. Kazinsky abgetreten. Die stämmige, grauhaarige Haushälterin kam zweimal in der Woche und versuchte, den drei Jungs mit liebevoller Strenge so etwas wie Ordnung beizubringen.

Im Durchgang zum großen Wohnzimmer blieb Eloise stehen und schaute auf die Uhr, die auf dem Kaminsims stand. In nicht ganz fünf Minuten würde es an der Tür zum Penthouse läuten. Bill Harper war die Pünktlichkeit in Person. Er stand in dem Ruf, niemals jemanden warten zu lassen, weder die Presse noch politische Rivalen – und erst recht keine Lady.

Ihr Blick wanderte zu ihren Söhnen, die vor dem Fernseher saßen, umgeben von leer gegessenen Pizzaschachteln, einem Milchkarton, ausgetrunken Gläsern und zerknüllten Servietten.

Wenigstens haben sie Gläser genommen, dachte Eloise lächelnd. Seit ihrer Geburt hielten die Drillinge ihre Mutter auf Trab. Und sie waren der Hauptgrund dafür gewesen, dass Eloise die Organisation Manhattan Multiples ins Leben gerufen hatte.

„Wow, Mom, siehst du gut aus“, rief Carl, der einige Minuten älter war als seine Brüder. Mit einem Auge auf einen Boxkampf im Fernsehen schielend, strahlte er Eloise an.

John, ihr mittlerer Sohn, betrachtete sie von Kopf bis Fuß und stieß einen lauten Pfiff aus, der Eloise zum Erröten brachte. „Wirklich, Mom, du siehst echt toll aus.“

Henry, der jüngste ihrer Söhne, sprang von der Couch. „Wer sind Sie, und was haben Sie mit unserer Mutter gemacht? Zuletzt wurde sie in ausgebeulten Jeans und einem schlabberigen Sweatshirt gesehen.“

„Hey, Jungs, ihr habt mich doch schon mal in einem Abendkleid gesehen, oder? Obwohl ich zugeben muss, dass es eine Weile her ist“, fügte sie hinzu und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie sich über die Komplimente freute.

„Stimmt. Und du bist noch nie zu einem Date mit irgendeinem wildfremden Mann gegangen“, erwiderte Carl, der als Ältester die Beschützerrolle übernahm.

„Es ist kein Date, jedenfalls kein richtiges, sondern eher eine … geschäftliche Verabredung. Wir treffen uns eben nur auf einer Party statt im Büro. Und Bill Harper ist kein Fremder. Er ist der Bürgermeister von New York und außerdem ein alter Freund von mir“, protestierte Eloise, bevor ihr einfiel, dass sie diese Tatsache noch nie erwähnt hatte.

„Ein alter Freund?“ John, der ernsteste der drei Jungs, runzelte besorgt die Stirn.

„Das wird ja immer spannender.“ Henry rieb sich erwartungsvoll die Hände. „Mom und der Bürgermeister … einst alte Freunde, jetzt bittere Feinde.“

„Wir sind keine Feinde, weder bitter noch sonst wie. Wir haben einfach nur gegensätzliche Auffassungen“, erklärte Eloise geduldig.

„Also seid ihr Gegner“, folgerte Carl triumphierend.

„Der arme Kerl … Er hat keine Chance, oder?“, vermutete Henry.

„Nicht mit Mom als Gegnerin“, bestätigte John.

Zur Erleichterung von Eloise läutete es, und ihr blieb es erspart, von ihren Söhnen über ihre Beziehung zu Bill Harper ausgefragt zu werden.

Sie warf den dreien einen warnenden Blick zu, ging zur Sprechanlage und erfuhr vom Türsteher des Apartmenthauses, dass Bill Harper eingetroffen war. „Schicken Sie ihn bitte herauf.“

Die Schmetterlinge in ihrem Bauch flatterten aufgeregt, als sie sich zu ihren Söhnen umdrehte, die inzwischen jedes Interesse an dem Boxkampf verloren hatten.

„Muss ich euch daran erinnern, dass ihr euch benehmen sollt?“

„Nein, Ma’am“, antworteten die drei im Chor, aber ihre blauen Augen glitzerten schelmisch.

„Habt ihr eure Hausaufgaben gemacht?“

„Ja, Ma’am.“

„Kann ich mich darauf verlassen, dass ihr das Wohnzimmer aufräumt, bevor ihr zu Bett geht?“

„Ja, Ma’am.“

„Spätestens um zehn seid ihr im Bett, klar? Ihr wisst, ihr habt morgen Schule.“

„Ach, Mom …“

Ein kurzes, aber energisches Klopfen schnitt den Widerspruch ihres zweitältesten Sohnes ab. Die drei Jungen wechselten verschwörerische Blicke, dann lächelten sie ihre Mutter an.

„Mom, die Tür“, drängte Carl, als sie nicht auf das Klopfen reagierte.

„Ja, Mom, die Tür“, wiederholte Henry.

„Soll ich aufmachen?“ John machte einen Schritt nach vorn.

„Ich gehe schon“, versicherte Eloise hastig und mit ungewohnt atemloser Stimme. Schließlich setzte sie sich in Bewegung, und ihre Söhne folgten ihr wie selbstverständlich.

„He, es ist doch nur ein alter Freund mit einer gegensätzlichen Ansicht“, meinte Carl aufmunternd, als sie zögerte, die Hand schon am Türknauf.

„Richtig“, murmelte sie und warf ihm einen dankbaren Blick zu.

„Du siehst großartig aus, Mom.“ Henry strich ihr über die Schulter.

„Und du bist klug“, fügte John hinzu.

Eloise atmete tief durch und riss die Tür auf.

Danach stand sie wie versteinert da, starrte Bill Harper an und brachte kein auch noch so kleines Wort heraus.

Sie hatte geglaubt, darauf vorbereitet zu sein, ihm zum ersten Mal nach siebzehn Jahren wieder gegenüberzustehen. Schließlich hatte sie ihn oft genug in der Zeitung oder im Fernsehen gesehen. Aber das war eine sichere Entfernung gewesen.

Sicher genug, um sich der Wirkung des markanten, ausdrucksvollen Gesichts, der darin funkelnden blauen Augen und der kräftigen, hochgewachsenen Gestalt zu entziehen. Doch jetzt stand er vor ihr, in einem eleganten Smoking, das kurze, ergrauende Haar sorgfältig gekämmt, der Blick offen und direkt, ein warmes Lächeln um den Mund. Aus dieser Nähe war er einfach atemberaubend, und urplötzlich durchströmte sie eine Flut von Erinnerungen.

Sie schaute ihm in die Augen, und die Jahre schmolzen dahin, als sich in ihr eine angenehme Wärme ausbreitete – und eine Sehnsucht, die sie vollkommen unerwartet traf. Erst sah sie in ihm nur den alten Freund, den besten, liebsten Freund, den sie hätte heiraten können. Den sie geheiratet hätte, wenn … Doch dann, nur einen Herzschlag lang, malte sie sich aus, wie es wäre, ihn in die Arme zu schließen, sich an ihn zu schmiegen und von ihm gehalten zu werden.

Als Eloise jedoch bewusst wurde, dass ihre Söhne hinter ihr standen und die Szene aufmerksam beobachteten, gab sie sich einen Ruck. Bill Harper war einst ihr Freund gewesen. Jetzt jedoch war er, wie ihr Sohn es treffend ausgedrückt hatte, ihr Gegner. Und als solcher konnte er alles, wofür sie so hart gearbeitet hatte, mit einem bürgermeisterlichen Federstrich zunichtemachen.

„Herr Bürgermeister“, begrüßte sie ihn höflich und gab ihm lächelnd die Hand. „Kommen Sie herein, und lernen Sie meine Söhne kennen.“

„Bitte, Eloise, mein Name ist Bill“, erwiderte er, während er ihre Hand mit seiner umschloss und eine Sekunde länger als nötig festhielt.

„Natürlich … Bill.“ Sie fühlte, wie ihre Wangen sich erwärmten, und zog die Hand zurück, um auf ihre Söhne zu zeigen. „Carl, John und Henry.“

„Guten Abend, Herr Bürgermeister“, sagte jeder von ihnen, als er ihnen die Hand schüttelte.

„Jungs, ich freue mich, euch kennenzulernen.“ Er sah Eloise an. „Wie um alles in der Welt kann man sie bloß auseinanderhalten?“

„Es ist nicht immer einfach“, gab sie zu. „Aber ich habe da so meine Tricks.“

„Das glaube ich.“ Bills Lächeln wurde breiter. „Sie ist nicht leicht hereinzulegen, was?“, fragte er ihre Söhne.

„Nein, Sir, ganz und gar nicht“, erwiderte Carl.

„Gut zu wissen, dass manche Dinge sich nie ändern.“ Bill bedachte Eloise mit einem Blick, der ihr allzu vertraut und irgendwie wissend erschien. Dann schaute er auf seine goldene Uhr. „Ich denke, wir sollten gehen. Wir wollen meine Wähler doch nicht warten lassen, oder?“

„Nicht heute Abend“, stimmte Eloise ihm zu und versuchte, ihre Nervosität zu ignorieren.

„Ich mache das“, bot er an, als sie ihren Mantel anziehen wollte, und half ihr hinein.

„Danke.“ Sie war sehr aufgeregt, und ihre Finger zitterten zu sehr, um den Mantel zuzuknöpfen. Er legte eine große Hand um ihre Schulter und drückte sie. Es war zugleich beruhigend und erregend, und sie verstand nicht, wie sie etwas so Widersprüchliches empfinden konnte.

Eloise zügelte ihre außer Kontrolle geratenen Emotionen und wandte sich ihren Söhnen zu, die gebannt die Szene beobachteten.

„Um zehn ins Bett“, befahl sie.

„Ja, Ma’am“, antworteten sie wie aus einem Munde.

„Falls ihr mich braucht, ich habe das Handy in der Tasche.“

„Werden wir nicht“, versicherte Carl.

„Ich glaube nicht, dass es sehr spät werden wird.“

„Hoffentlich, Mom. Du musst morgen zur Arbeit, und wir wissen alle, wie übellaunig du bist, wenn du nicht ausgeschlafen hast“, erwiderte John mit übertrieben strenger Miene.

„Aha, also braucht die Lady noch immer acht Stunden Schlaf, um zu funktionieren“, stellte Bill mit einem Lachen in der Stimme fest. „Das werde ich mir merken.“

Er gab ihren Söhnen die Hand und öffnete die Tür.

„Eloise …“

Sie rang sich ein – wie sie hoffte – souveränes Lächeln ab. „Danke, Bill.“

Eloise wusste nicht mehr, wie sie sich diesen Abend vorgestellt hatte, aber sie war schon jetzt nicht mehr sicher, ob sie die Situation im Griff hatte.

Bill führte sie zum Fahrstuhl. Auf dem Weg nach unten schwieg er, und zu ihrem Erstaunen fand sie die Stille keineswegs angespannt. Kurz darauf öffnete der Chauffeur ihr die Tür der langen, schwarzen Limousine, und Bill half ihr hinein.

Als sie beide auf dem weichen Lederpolster saßen und die Tür sich mit dumpfem Laut schloss, schlug Eloises Herz plötzlich schneller. Sie waren allein. Und Bürgermeister Harper – Bill Harper, ihr einstiger Freund und Liebhaber, jetzt der Mann, dessen Politik alles zunichtemachen konnte, wofür sie zwölf Jahre lang gekämpft hatte – nahm ihre schmale, kalte Hand und legte seine große, warme darum.

„Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie schön es ist, dich wiederzusehen, Eloise? Es ist wirklich gut. Nein, nicht nur gut, sondern großartig, wirklich großartig …“, flüsterte er mit jener sanften, tiefen und unglaublich erotischen Stimme, die sie noch heute bis in so manchen Traum verfolgte.

Sie wusste, dass sie ihm eine kurze, ironische Antwort geben sollte. Stattdessen ließ sie ihre Hand in seiner, und es gelang ihr nicht, ihre wahren Gefühle zu unterdrücken. Sie hatte Bill Harper geliebt, und diese Liebe war nie völlig erloschen. Aber sie war einfach zu ehrlich, um so zu tun, als würde sie nichts mehr für ihn empfinden.

„Ja, ich finde es auch schön, dich wiederzusehen, Bill“, gestand sie schließlich. „Wirklich, wirklich schön.“

2. KAPITEL

Bis zu dem Moment, in dem Eloise Vale im Fond seiner Dienstlimousine den Kopf hob, ihn ansah und zugab, dass sie froh war, ihn wiederzusehen, war Bill Harper nervös und unsicher gewesen.

Siebzehn Jahre waren vergangen, seit sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte. Er hatte nicht zu hoffen gewagt, dass sie sich auch nur einen Hauch ihrer einstigen Gefühle für ihn bewahrt haben könnte. Zudem hatte ihre unverhohlene, öffentlich geäußerte Kritik an seinem Sparprogramm ihn befürchten lassen, dass sie ihm unfreundlich begegnen würde.

Bill wusste selbst nicht genau, warum er Eloise eingeladen hatte, ihn auf den Ball des Bürgermeisters zu begleiten. Wochenlang hatte er gezögert. Aber irgendwann war ihm klar geworden, dass er es nicht ertrug, von ihr als Feind angesehen zu werden. Er wollte, dass sie ihn als Freund akzeptierte.

Natürlich war er ehrlich genug, sich einzugestehen, dass er sich nach weit mehr als nach Freundschaft sehnte. Und wenn es auch nur die geringste Chance gab, ihre Zuneigung zurückzugewinnen, so musste er schnell handeln.

Er hatte erwartet, dass Eloise seine Einladung höflich, aber bestimmt ablehnen würde. Und selbst nachdem sie ihm geantwortet hatte, hatte er noch mit einer weiteren Nachricht gerechnet, in der sie wieder absagte. Aber das hatte sie nicht getan.

Eloise Vale war eine Frau, die stets ihr Wort hielt – etwas, was Bill aus eigener Erfahrung wusste. Schließlich hatte sie vor siebzehn Jahren ihr Versprechen gehalten, Walter Vale zu heiraten. Und obwohl er sehr darunter gelitten hatte, hatte er ihre Loyalität bewundert. Das tat er auch jetzt noch, obwohl ihm im Grunde klar war, dass sie ihn nur auf den Ball begleitete, um etwas für ihre Organisation Manhattan Multiples zu tun.

Einige Mitarbeiter hatten ihn davor gewarnt, sie und ihren Protest gegen seine Politik aufzuwerten, indem er sich mit ihr in der Öffentlichkeit zeigte. Doch als er jetzt neben ihr im Wagen saß, atmete er den frischen Duft ihres Parfüms ein, sah die Wärme in ihren hellgrauen Augen und spürte, dass sie wirklich froh war, ihn wiederzusehen.

„Darf ich dir sagen, dass du heute Abend sehr schön aussiehst?“, fragte Bill. Er war jetzt endlich sicher, dass seine Entscheidung richtig gewesen war, also nahm er sich vor, die kurze Fahrt zum Hotel zu nutzen.

Er wollte versuchen, den politischen Streit zwischen ihnen in den Hintergrund zu drängen. Er wollte, dass Eloise und er an diesem Abend zwei ganz normale Menschen waren, eine Frau und ein Mann, die zusammen auf einen Ball gingen und sich zum zweiten Mal in ihrem Leben kennenlernten. Und er wollte glauben, dass auch Eloise die Anziehung zwischen ihnen gespürt hatte, als er ihr in den Mantel half.

„Nur, wenn du es wirklich meinst“, erwiderte sie lächelnd.

„Sonst hätte ich es nicht gesagt.“

„Danke.“ Sie senkte kurz den Blick und wirkte fast ein wenig verlegen, bevor sie ihn wieder ansah. „Sie selbst sehen auch sehr gut aus, Herr Bürgermeister. Sehr elegant und würdevoll.“

„Ich weiß das Kompliment zu schätzen, Eloise. Aber sei bitte nicht so förmlich“, tadelte er sanft, um nicht zuzulassen, dass sie auch nur die kleinste Barriere zwischen ihnen errichtete.

„Vielleicht wäre es besser“, erwiderte sie. „Du hast dir den Titel redlich verdient und solltest ihn genießen.“

Ihre Augen blitzten, und plötzlich stockte ihm der Atem. Er hatte ganz vergessen, was für eine hervorragende Gesprächspartnerin sie sein konnte – geistreich, schlagfertig und voller Humor. Oft hatte er sie küssen müssen, um ihre Wortgefechte zu beenden.

Das durfte er jetzt natürlich nicht wagen. Aber er konnte versuchen, das Thema zu wechseln. „Ich habe mich gefreut, deine Söhne kennenzulernen. Du musst sehr stolz auf sie sein.“

„Das bin ich auch. Sehr, sehr stolz sogar. Manchmal können sie allerdings ein wenig anstrengend sein. Da sie gerade erst ins Teenageralter gekommen sind, stehen mir vermutlich ein paar harte Jahre bevor. Aber die drei sind gute Jungs und scheinen meistens zu verstehen, wie sehr ich mich seit dem Tod ihres Vaters auf sie verlassen muss.“

„Das mit Walter tut mir sehr leid.“

„Ihn so zu verlieren, war für uns alle sehr schwer“, gab Eloise zu. „Er war immer völlig gesund gewesen und hatte sich gerade gründlich untersuchen lassen. Der Arzt hat mir versichert, dass die Ergebnisse sämtlicher Tests negativ gewesen waren. Es gab keinen Grund, mit einem Herzinfarkt zu rechnen.“

„Ich wünschte, ich hätte zur Beerdigung kommen können“, sagte Bill. Er hatte allerdings im Norden des Staates in einem Schneesturm festgesessen. „Ich habe erst von seinem Tod erfahren, als es zu spät war.“

„Die Blumen, die du geschickt hast, waren wunderschön, und deine Karte hat mir viel bedeutet.“ Sie zögerte einen Augenblick. „Walter hat immer viel von dir gehalten. Er hat deine Arbeit ehrlich bewundert.“

„Ich habe auch immer viel von Walter gehalten. Und von dir, Eloise …“ Zaghaft nahm er ihre Hand und drückte sie. Zu seiner Überraschung ließ sie es geschehen. Fast schien es, als wäre sie dankbar für die Berührung.

„Auch in deinem Leben gab es Höhen und Tiefen“, erwiderte sie. „Es tat mir sehr leid, als ich las, dass deine Ehe mit Marnie Hartwell geschieden wurde.“

„Sie ist eine wunderbare Frau, hat wieder geheiratet und bekommt gerade ihr drittes Baby. Wir haben uns in Freundschaft getrennt.“ Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um Eloise mehr als die geschönte, für die Öffentlichkeit formulierte Version der Ereignisse zu geben. Nicht, dass es irgendwelche dunklen Geheimnisse gab, aber hoffentlich würde er ihr eines Tages erzählen können, woran seine so lange glückliche Ehe gescheitert war.

„Und seitdem bist du überzeugter Junggeselle geblieben, was?“, fuhr Eloise fort und zog eine Augenbraue hoch. „Obwohl du bei wichtigen gesellschaftlichen Anlässen immer eine attraktive Frau am Arm zu haben scheinst.“

„Du verfolgst meine Auftritte, Eloise? Ich bin geschmeichelt.“

„Dazu hast du absolut keinen Grund. Dein Foto ist ständig in sämtlichen Zeitungen. Jeder in der Stadt kann deine Auftritte verfolgen, ob er es will oder nicht.“

„Stimmt, aber ich bin nun mal der Bürgermeister.“ Er drückte ihre Hand ein zweites Mal, als die Limousine vor dem Waldorf Astoria Hotel hielt und die wartenden Fotografen ihre Kameras hoben. „Und heute Abend habe ich die attraktivste Frau, die ich kenne, an meinem Arm. Ich kann dir nicht sagen, wie stolz und glücklich ich mich fühle.“

Er nutzte ihr verblüfftes Schweigen, beugte sich zu ihr und küsste sie leicht auf die Wange. „Mrs. Vale, es ist mir eine Ehre, sie auf den Ball zu begleiten.“

„Ich wette, das sagen Sie zu allen Frauen, Herr Bürgermeister“, erwiderte sie trocken.

„Zu keiner anderen, Eloise. Das schwöre ich.“

„Dann danke … Herr Bürgermeister.“

Er warf ihr einen enttäuschten Blick zu. Sie wich ihm nicht aus, schwieg aber.

„Okay, wie du willst“, sagte er lächelnd, als der Chauffeur die Tür öffnete. „Bist du bereit?“

„Ja, das bin ich“, erwiderte sie und hielt seine Hand fest, während er ihr aus dem Wagen half und um sie herum Blitzlichter aufflackerten.

Bill legte den Arm um ihre Schultern und lächelte selbstsicher in die Kameras. Neben ihm wirkte Eloise kein bisschen nervös. Im Gegenteil – sie schenkte den Reportern ihr strahlendstes Lächeln. Und auf diese Weise ließ sie ihren Begleiter wissen, dass er sie nicht unterschätzen durfte.

Obwohl sie nicht zu ihrem Vergnügen auf den Ball zu Ehren des Bürgermeisters gegangen war, konnte Eloise sich nicht erinnern, jemals so viel Spaß gehabt zu haben. Sie hatte mit ihrem Mann an vielen gesellschaftlichen Ereignissen teilgenommen, sich jedes Mal darauf gefreut und war stets enttäuscht worden.

Doch seit sie Bill Harper die Tür zu ihrem Apartment geöffnet hatte, schien sich vor ihr eine Welt voller überraschender Möglichkeiten zu erstrecken – nicht nur an diesem Abend, sondern auch in der nächsten Zukunft.

Der Bürgermeister wirkte in ihrer Gegenwart vollkommen entspannt, und sie teilten so viele schöne Erinnerungen, dass ihre Versuche, zu ihm eine förmliche Distanz zu wahren, ihr zunehmend alberner vorkamen. Und je länger sie mit Bill Harper zusammen war, desto schwerer wurde es, in ihm einen erbitterten Gegner zu sehen. Irgendwann gab sie auf und beschloss, den Abend einfach nur zu genießen.

Er schien wirklich stolz darauf zu sein, mit ihr gesehen zu werden, und ließ sich gern mit ihr fotografieren. Nicht nur vor dem Hotel, sondern auch in dem großen, festlich geschmückten Ballsaal. Natürlich profitierte er vom Interesse der Medien an diesem Auftritt, aber das galt auch für sie. Denn es würde ihr erleichtern, die öffentliche Meinung für Manhattan Multiples und andere wohltätige Organisationen einzunehmen.

Je mehr sie sich jedoch vom Glamour und der Aufregung anstecken ließ, desto mehr rückte der eigentliche Grund ihrer Anwesenheit in den Hintergrund. Denn sie war zu sehr damit beschäftigt, sich in Bill Harpers liebevoller Aufmerksamkeit zu sonnen. Vielleicht war es genau das, was er wollte, aber auch er schien sich zu amüsieren.

Nachdem Bill ihr aus dem schwarzen Seidenmantel geholfen und ihn für sie an der Garderobe abgegeben hatte, nahm er zwei Gläser mit Champagner vom Tablett eines Kellners und führte sie durch den Ballsaal, in dem sich die einflussreichsten Männer und Frauen der Stadt drängten. Alle waren sie höchst elegant gekleidet und eifrig darauf bedacht, vom Bürgermeister wahrgenommen zu werden. Bill begrüßte jeden gleich freundlich und versäumte es nie, Eloise vorzustellen.

Als seine liebste Freundin. Und wenn er das sagte, lag in seinem Lächeln eine Wärme, die ihr ans Herz ging und sie glauben ließ, dass es keine leere Floskel war.

Manche Leute schienen überrascht, andere schienen irgendwie bestürzt zu sein, aber die meisten reagierten einfach nur erfreut. Schließlich war es durchaus möglich, dass zwei Menschen trotz ihrer gegensätzlichen Meinungen Freunde waren. Und obwohl nur wenige es wussten, hatten Eloise und Bill eine enge Beziehung gehabt, lange bevor es zwischen ihnen zum Streit um die Sparmaßnahmen der Stadt gekommen war.

Schließlich hatte er seine Pflicht als Ehrengast des Balls erfüllt und führte Eloise zum Büfett, wo er verlockende Leckerbissen auf einen Teller häufte. Dann ging er mit ihr in das für sie beide reservierte Separee, wo ein für zwei Personen gedeckter Tisch sie erwartete.

„Wie schön“, schwärmte Eloise, als sie saßen. „Wie hast du das geschafft?“

„Nun ja, immerhin bin ich der Bürgermeister.“

„Und der Mittelpunkt eines Balls, der dir zu Ehren gegeben wird. Ich hätte nicht gedacht, dass es zulässig ist, sich bei einem solchen Ereignis zurückzuziehen.“ Sie nahm sich eine winzige Quiche und biss hinein.

„Selbst der Bürgermeister von New York braucht hin und wieder eine Erholungspause. Oder sollte ich sagen, gerade er.“ Auch Bill nahm sich eine der Köstlichkeiten. „Vermutlich geht es dir bei deinen vielen Wohltätigkeitsveranstaltungen auch oft so.“

„Manchmal möchte ich lieber allein zu Hause sein, in bequemen Klamotten, auf der Couch, mit einem guten Buch und einer Tasse Tee“, gestand sie.

„Ich hoffe, dies ist kein Abend, den du lieber zu Hause verbringen würdest.“

„Nein, ganz sicher nicht“, erwiderte sie und versuchte gar nicht erst, ihre Begeisterung vor ihm zu verbergen. „Zu meiner Überraschung macht mir dieser Abend großen Spaß.“

„Weißt du, mir auch“, gab Bill zu und klang selbst ein wenig verwundert. „Ich kann mich nicht erinnern, wann das zuletzt der Fall war. Es muss an unserer Gesellschaft liegen, was?“

„Muss wohl“, stimmte sie ihm lächelnd zu, während sie sich das letzte Appetithäppchen nahm.

„Hast du genug gegessen, oder soll ich einen zweiten Vorstoß ans Büfett unternehmen?“

„Im Moment nicht, aber du könntest mich nachher mit einem sündhaft leckeren Dessert in Versuchung führen.“

„Wie wäre es dann mit einem Tanz?“, schlug Bill vor, da das Orchester gerade eine sanfte, erotische Ballade anstimmte, die Eloise immer besonders gemocht hatte.

„Ein Tanz wäre nett.“ Sie erinnerte sich an eine Nacht vor vielen Jahren, in der sie sich in einem verrauchten Club irgendwo in Greenwich Village eng aneinandergeschmiegt zu einem ähnlich langsamen Rhythmus gedreht hatten – Welten vom Ballsaal des Waldorf Astoria entfernt.

„Es ist eine ganze Weile her“, bemerkte er leise und schien ebenfalls an ihren letzten Tanz zu denken. Dann stand er auf und nahm ihre Hand.

„Ich habe mir sagen lassen, dass Tanzen wie Radfahren ist“, scherzte sie. „Man vergisst nicht, wie es geht.“

„Es gibt viele Dinge, die ich nicht vergessen habe, Eloise“, murmelte Bill, als sie die Tanzfläche erreichten und er sie in seine Arme zog. „Dich so zu halten, steht auf der Liste ganz oben.“

Wortlos und mit klopfendem Herzen schmiegte Eloise sich an ihn und ließ sich führen. Sie hatte ebenfalls nie vergessen, wie es sich in seinen Armen anfühlte, auch wenn sie es manchmal verzweifelt versucht hatte.

Und jetzt, während er mit seinem großen, schlanken Körper ihre kleine, zarte Gestalt schützend zu umschließen schien, fühlte sie seine Wärme und atmete den frischen, klaren Duft seines Aftershaves ein. Plötzlich spürte sie tief in sich ein Glück und einen Frieden, von denen sie gar nicht gewusst hatte, dass sie sie vermisst hatte.

Es war so gut, so richtig, sich von Bill Harper halten zu lassen. Und obwohl ihr bewusst war, dass dieser Moment nur flüchtig sein konnte, schloss sie die Augen und tat so, als würde er nie enden.

Nach dem dritten langsamen Stück, zu dem sie schweigend tanzten, ging das Orchester zu einem Rhythmus aus alten Disco-Zeiten über.

„Die schnelleren Schrittfolgen kann ich noch immer nicht so gut“, gab Bill mit offensichtlichem Bedauern zu.

„Ich auch nicht“, sagte Eloise. Sie löste sich aus seinen Armen, zog die Hand jedoch nicht aus seiner, als er sie nicht losließ.

„Wie wäre es mit einem zweiten Glas Champagner?“, schlug er vor, während sie die Tanzfläche verließen. „Oder mit einem Dessert?“

Bevor Eloise antworten konnte, wurden sie von einem Investmentbanker, einem Geschäftspartner ihres verstorbenen Mannes, und seiner mit Juwelen behängten Frau aufgehalten. Während sie sich mit ihnen unterhielt, winkte Bill einem Kellner und ließ sich zwei Gläser mit Champagner geben. Danach tauchten noch andere später eingetroffene Gäste auf, die sich dem Ehrengast und seiner hübschen Begleiterin präsentieren wollten.

Als sie endlich wieder allein waren, führte Bill Eloise zu dem Büfett, wo eine Vielfalt von Torten und Süßspeisen auf die Gäste wartete, und half ihr, eine kleine, aber ausgewählte Kollektion zusammenzustellen.

Dieses Mal gelang es ihnen jedoch nicht, sich unbemerkt zurückzuziehen. Stattdessen wurden sie eingeladen, sich an einen Tisch zu gesellen, an dem diverse Wirtschaftsgrößen saßen. Beide waren sie klug genug, sich diese Gelegenheit nicht entgehen zu lassen.

Dies waren die Personen, von deren großzügigen Spenden wohltätige Organisationen wie Manhattan Multiples abhingen. Natürlich waren sie auch diejenigen, denen die Sparmaßnahmen des Bürgermeisters sympathisch waren, weil sie bedeuteten, dass ihre Unternehmen keine höheren Steuern zahlen mussten. Zum Glück war niemand so taktlos, das Thema anzusprechen.

Dennoch spürte Eloise, wie erstaunt alle waren, sie an Bill Harpers Seite zu sehen. Denn jeder wusste, dass sie und er zu diesem äußerst brisanten Thema völlig gegensätzliche Meinungen vertraten.

„Wie wäre es mit einem letzten Tanz … für heute Abend?“, fragte Bill, als das höfliche Gespräch am Tisch ins Stocken geriet und das Orchester mit einer langsamen Melodie begann.

„Ja, bitte.“ Obwohl ihr Herz schneller schlug, bemerkte sie die nach oben gezogenen Augenbrauen der anderen Frauen, als sie beide aufstanden und er ihre Hand nahm. Offenbar waren auch den anderen die Worte „für heute Abend“ nicht entgangen. Im Unterschied zu ihnen wusste Eloise allerdings, dass Bill nur charmant sein wollte.

Nach diesem Abend würden sie beide keine Zeit mehr miteinander verbringen, es sei denn, einer von ihnen wechselte seinen politischen Standpunkt. Und es war höchst unwahrscheinlich, dass das geschah.

„Entschuldigen Sie uns“, sagte Bill in die Runde, bevor er sie hastig auf die Tanzfläche und in seine ausgebreiteten Arme zog.

„Tut mir leid, dass ich es so eilig hatte“, sagte er kurz darauf. „Aber es ist schon spät, und ich wollte noch mal mit dir tanzen, bevor wir aufbrechen.“

„Kein Problem“, versicherte sie ihm lächelnd.

„Gut.“

Er zog sie noch fester an sich, und seine Wange streifte ihr Haar.

Plötzlich konnte Eloise sich vorstellen, wie Aschenputtel sich gefühlt haben musste, als Mitternacht und die Rückkehr in die raue Wirklichkeit immer näher rückten. Bald würde auch ihr Ball vorbei sein. Und am Morgen danach würde sie sich wieder ihrer eigenen Realität stellen müssen.

Sie hatte mehrere Stunden mit Bürgermeister Harper verbracht und mehr als nur eine Gelegenheit gehabt, mit ihm über seine Sparmaßnahmen zu sprechen. Aber sie hatte es nicht getan und würde es auch jetzt nicht mehr tun.

Nicht während sie ein letztes Mal miteinander tanzten. Und nicht auf der kurzen Fahrt zu ihrem Apartmenthaus, im Fond seiner luxuriösen Limousine.

Doch auch sie hatte sich eine Atempause verdient. Und es war ihr gutes Recht, eine solche Pause mit einem alten und sehr lieben Freund zu verbringen und eine Bekanntschaft zu erneuern, die ihr und damit auch Manhattan Multiples nützen würde. Jedenfalls sagte sie sich das, während ihr Kopf an Bills Schulter lag und sie ihre Hand in seiner ließ.

Auch er schien die Harmonie zwischen ihnen nicht gefährden zu wollen, denn im Wagen und im Fahrstuhl zu ihrem Penthouse schwieg er. Aber er ließ ihre Hand nicht los. Für beides war sie ihm dankbar. Es war für sie ein ganz besonderer Abend gewesen, einer, den sie nie vergessen würde. Doch wie Aschenputtel wusste sie, dass er bald enden musste.

„Es war ein wirklich schöner Abend“, brach Bill das Schweigen, als die Fahrstuhltür aufglitt.

Langsam gingen sie über den von Wandlampen im Art-déco-Stil in mildes Licht getauchten Korridor.

„Das finde ich auch“, antwortete Eloise und wagte es, ihn anzusehen, als sie vor ihrer Tür stehen blieben.

Ihre Blicke trafen sich, und sofort wusste sie, dass sie einen großen Fehler begangen hatte. Sie wusste auch, was jetzt kommen würde und dass sie die Pflicht hatte, es zu verhindern. Aber das Verlangen in seinen Augen, gepaart mit einem fast jungenhaften Schalk, machte es ihr unmöglich, etwas so Vernünftiges zu tun.

Also stand sie einfach nur stumm da und wartete auf den unausweichlichen Moment, auf den sie beide sich den ganzen Abend lang hinbewegt hatten.

„Ich bin so froh, dass wir uns endlich wiedergesehen haben“, fuhr er ein wenig leiser fort und lächelte gewinnend, als wäre er sich seiner Sache viel zu sicher.

„Ja“, erwiderte sie. Seine Zuversicht hatte sie jäh auf die Erde zurückgeholt. „Ich auch.“ Sie streckte die Hand aus. „Danke für den schönen Abend, Bill.“

„Ich danke dir, Eloise.“ Sein Lächeln wurde noch breiter. „Du hast ihn viel mehr als schön gemacht.“

Bevor sie auch nur daran denken konnte, ihn abzuweisen, senkte er den Kopf und legte seine Lippen mit sanftem Druck auf ihre.

Eloise hatte vergessen, wie herrlich selbst der schlichteste Kuss sein konnte. Zumal wenn sie ihn von einem begehrenswerten Mann wie Bill Harper bekam. Nicht, dass die Erinnerung an ihn jemals ihr Eheglück gestört hätte, und sie war auch nie verrückt nach ihm gewesen. Aber es hatte eine Zeit gegeben, in der Bill ihr sehr, sehr viel bedeutet hatte.

Also war es keineswegs erstaunlich, dass die Anziehung überlebt hatte, sicher verborgen in den hintersten Winkeln der Erinnerung an ihre gemeinsame Zeit. Und daher überraschte es sie nicht, dass sie seinen Kuss mit einer Leidenschaft erwiderte, die sie sich bei keinem anderen Mann gestattet hätte.

Eine innere Stimme mahnte sie zur Vernunft, aber Eloise wollte jetzt nicht mehr vernünftig sein und wehrte sich nicht, als er den Kuss noch vertiefte.

Seufzend schmiegte sie sich an ihn und kam seiner tastenden Zunge mit ihrer entgegen.

Er legte seine Arme immer fester, fast besitzergreifend um sie, und Eloise stellte sich auf die Zehenspitzen, um noch mehr von ihm zu fühlen. Sie sehnte sich so sehr nach der erregenden Wärme, die von seinem Körper ausging, dass sie sich beherrschen musste, um nicht an seiner Kleidung zu zerren und seine bloße Haut zu ertasten.

Plötzlich verspürte sie einen Luftzug, der nur von einer aufgerissenen Tür stammen konnte. Doch Bills Kuss war einfach zu berauschend, und sie reagierte nicht annähernd so schnell, wie sie es hätte tun sollen. Daher erwischten ihre Söhne sie in flagranti.

„He, Mom“, sagte ihr Jüngster, „du kommst spät.“

„Genau, Mom, ganz schön spät“, tadelte der Mittlere. „Wir haben dich schon vor Stunden erwartet.“

„Hast du eine Ahnung, was für Sorgen wir uns gemacht haben?“, fragte Carl, der älteste der drei, in einem Ton, den sie selbst oft genug den Jungen gegenüber verwendet hatte. „Ab jetzt hast du Ausgehverbot“, fügte er belustigt hinzu.

„Striktes Ausgehverbot“, ergänzten Henry und John und hatten Mühe, ein Lachen zu unterdrücken.

Entsetzt löste sie sich aus Bills Armen.

„Sieht aus, als hätten wir Publikum“, murmelte Bill schmunzelnd. Ohne den Arm von ihren Schultern zu nehmen, drehte er sich mit ihr zu ihren Söhnen um, die sich in der offenen Wohnungstür drängten.

„Tut mir leid, Jungs, es ist meine Schuld, dass eure Mom so spät nach Hause kommt. Wir hatten so viel Spaß zusammen, dass wir gar nicht an die Zeit gedacht haben.“

„Klingt glaubwürdig“, erwiderte Carl grimmig, aber seine Augen funkelten belustigt, genau wie die seiner Brüder.

„Ihr drei solltet spätestens um zehn im Bett sein“, ging Eloise zum Gegenangriff über.

Ihre Söhne sahen in ihren roten Trainingshosen und T-Shirts, die sie statt Schlafanzügen trugen, so süß aus, dass Eloise sie am liebsten in die Arme genommen hätte.

„Gut, dass wir es nicht waren“, erwiderte John ernst. „Wer weiß, was hier draußen auf dem Flur sonst noch passiert wäre?“

„Ja, Mom, wer weiß?“, wiederholte Henry.

„Keine Angst, bei mir ist sie sicher“, konterte Bill. „Aber ich muss zugeben, die Versuchung, ihr einen kleinen Gutenachtkuss abzuluchsen, war einfach zu groß.“ Er wechselte ein verschwörerisches Lächeln mit ihren drei Söhnen, bevor er Eloise wieder ansah. „Danke für einen wunderbaren Abend, Mrs. Vale.“

„Es war mir ein Vergnügen, Herr Bürgermeister“, murmelte sie und wich seinem Blick aus.

Er küsste sie auf die Wange. „Ich rufe dich an“, flüsterte er und drückte ihre Schulter.

Dann wandte er sich wieder ihren Söhnen zu und salutierte. „Gentlemen, seien Sie nicht zu streng mit ihr.“

„Werden wir nicht“, antwortete Carl für sie alle.

„Und du nicht zu ihnen“, bat er Eloise, bevor er sich lächelnd umdrehte und zum Fahrstuhl ging.

„Ja, Mom, sei nicht zu streng zu uns“, verlangte Henry belustigt, während sie die drei hastig in die Wohnung scheuchte.

„Wir haben nur auf dich aufgepasst, Mom“, meinte John.

„Weil wir dich lieb haben“, fügte Carl hinzu.

„Ihr werdet morgen früh nicht aus dem Bett kommen“, sagte sie mit gespielter Strenge. „Ich bezahle doch nicht so viel Geld für eine Privatschule, damit ihr im Unterricht einschlaft.“

„He, wir könnten doch einfach aufbleiben“, schlug Henry vor.

„Ganz bestimmt nicht. Ihr geht jetzt sofort zu Bett, und ich will kein Gejammer hören, wenn eure Wecker um sechs Uhr klingeln.“

„Als ob du dann überhaupt schon auf bist“, murmelte Carl auf dem Weg in sein Zimmer.

„Oh, ich werde auf sein.“ Eloise dachte an den langen Arbeitstag, der ihr bevorstand. Und daran, dass sie an diesem Abend nichts für Manhattan Multiples getan hatte. „Und ich werde ein wenig missmutig sein.“

„Nein, bitte, nicht missmutig, Mom“, flehte Henry scherzhaft, als er davoneilte.

„Das ist die Höchststrafe“, erklärte John und folgte seinen Brüdern.

„Gute Nacht, Jungs“, rief sie und steuerte ihr eigenes Schlafzimmer an.

„Gute Nacht, Mom“, antworteten sie im Chor.

Es sind tolle Kinder, dachte sie, während sie den Mantel auszog und ihn in den Schrank hängte. Aber sie hätten um zehn zu Bett gehen sollen. Obwohl John vielleicht recht hatte und es besser war, dass sie nicht gehorcht hatten. Wer konnte wissen, was Bill und sie vor ihrer Tür noch alles getan hätten, wenn sie nicht gestört worden wären?

Vielleicht hätte sie ihn sogar auf einen Gutenachtdrink eingeladen.

Allein die Vorstellung ließ ihr Gesicht warm werden, während sie die Pumps abstreifte und am Rücken nach dem Reißverschluss tastete. Der Kuss auf dem Korridor ließ vermuten, dass sie nicht sehr lange nebeneinander auf der Couch gesessen und an ihren Drinks genippt hätten.

Das Problem, an dem sich ihr Streit entzündet hatte, war im Laufe des Abends verblasst. Aber kein Wunschdenken und kein noch so leidenschaftlicher Kuss änderte etwas daran, dass sie sich wieder darum kümmern musste, sobald sie morgen früh in ihrem Büro eintraf.

Auch wenn Bill Harper und sie keine Erzfeinde waren, sie konnten nicht wirklich Freunde werden, und erst recht kein Liebespaar.

Nicht, wenn er die Macht besitzt, alles zu zerstören, was ich in den letzten zwölf Jahren aufgebaut habe, dachte sie grimmig, während sie sich wusch und kurz darauf unter die Decke schlüpfte.

Zwar verstand sie, warum der Bürgermeister die Zuschüsse an wohltätige Organisationen streichen wollte, aber eine persönliche Beziehung mit ihm kam unter diesen Umständen nicht infrage. Von ihr und Manhattan Multiples hingen einfach zu viele gute und engagierte Menschen ab. Sie musste alles unternehmen, um das Beratungszentrum für Mehrlingsmütter zu retten. Auch wenn das bedeutete, dass sie sich in Zukunft von Bürgermeister Harper fernhalten musste.

Und das würde sie tun. Wirklich. Ab morgen früh.

Doch jetzt, mit geschlossenen Augen, unter der warmen Decke, die Arme um ihr weiches Daunenkissen gelegt, durchlebte sie noch mal den leidenschaftlichen Kuss und malte sich beim Einschlafen aus, was daraus hätte werden können.

3. KAPITEL

Das gedämpfte, aber monotone Summen eines Staubsaugers holte Eloise langsam aus dem Schlaf. Zu ihrem größten Bedauern verblassten die letzten Bilder eines äußerst angenehmen Traums, als sie widerwillig die Augen öffnete und in die Sonnenstrahlen blinzelte, die durch die Jalousien drangen.

Am liebsten wäre sie liegen geblieben, aber Mrs. Kazinsky, die mittwochs und freitags pünktlich um neun im Penthouse eintraf, war bereits fleißig. Das wiederum bedeutete, dass Eloise um mindestens drei Stunden verschlafen hatte! Offenbar hatte sie vergessen, den Wecker zu stellen.

Wütend auf sich selbst schlug sie die Decke zurück und setzte sich auf, um einen Blick auf die zwar sehr dekorative, aber leider nicht vollautomatische Uhr auf dem Nachttisch zu werfen.

Viertel nach zehn! Das konnte nicht wahr sein.

Leider doch, dachte sie auf dem Weg zum Badezimmer, aber dann blieb sie wie angewurzelt stehen, machte kehrt und eilte auf den Flur.

Sie war dafür verantwortlich, dass Carl, John und Henry jeden Morgen pünktlich zur Schule aufbrachen. Diese Aufgabe nahm sie sehr ernst, und egal, wie spät sie am Abend nach Hause kam, noch nie hatte sie versäumt, die drei rechtzeitig zu wecken. Bis jetzt.

Als sie über den Flur hastete, sah sie Mrs. Kazinsky rückwärts aus Carls Zimmer kommen, eine Hand am Staubsauger, die andere am Kabel. Die Haushälterin schaute über die Schulter, lächelte freundlich und schaltete den Sauger aus.

„Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt, Mrs. Vale. Aber ich musste mit den Kinderzimmern anfangen.“

„Das war gut so, denn sonst hätte ich wahrscheinlich bis Mittag geschlafen, erwiderte Eloise.“

„In der Küche ist frischer Kaffee, und ich habe Ihnen etwas aus der polnischen Bäckerei in meiner Nachbarschaft mitgebracht.“

„Klingt wunderbar, Mrs. Kazinsky.“ Eloise lächelte dankbar. „Wie es aussieht, sind die Jungs allein aufgestanden und zur Schule gegangen.“

„Sie waren weg, als ich ankam, und im Becken stehen Schüsseln und Gläser, alle gespült. Es sind prima Jungs, Mrs. Vale.“

„Ja, das sind sie.“ Voller Vorfreude auf den starken Kaffee von Mrs. Kazinsky und eins der ungemein leckeren Zimtbrötchen ging Eloise in die Küche.

Sie hätte wissen müssen, dass Carl, John und Henry inzwischen selbstständig genug waren und nicht mehr zur Schule gescheucht werden mussten. Sie werden groß, dachte sie mit einem Anflug von Wehmut, während sie mit ihrem Frühstück ins Schlafzimmer zurückkehrte. Sie war stolz auf ihre Söhne und wusste, dass sie ihnen vertrauen konnte.

Was würde sie tun, wenn die drei sie nicht mehr brauchten? Wenn sie dann vielleicht nicht mal mehr Manhattan Multiples hatte? Die Vorstellung, nicht nur allein, sondern ohne ihre geliebte Arbeit zu leben, behagte ihr absolut nicht.

Eine Sekunde lang dachte sie an den Kuss vor ihrer Wohnungstür – und daran, dass sie nicht unbedingt allein bleiben musste. Aber sie konnte sich nicht guten Gewissens auf eine Beziehung mit dem Mann einlassen, der vielleicht dafür verantwortlich sein würde, dass das Beratungszentrum die Türen schließen musste.

Noch war der Kampf jedoch nicht verloren. Vorausgesetzt, sie kam endlich in die Gänge, zog sich an und machte sich auf den Weg ins Büro.

Wenn der schlimmste Fall eintraf und sie die drei Stockwerke an der Madison Avenue aufgeben musste, würde sie Manhattan Multiples notfalls von ihrem Penthouse aus weiterbetreiben. Das Netzwerk aus Ärzten, Krankenschwestern, Hebammen, Psychologen und anderen Kräften, die rein ehrenamtlich vielen werdenden und frischgebackenen Mehrlingsmüttern halfen, ließ sich auch von dort aus organisieren. Das Geld, das sie bereits gesammelt hatte, würde ausreichen, um für eine Weile andere, billigere Räume zu mieten.

Nach einer heißen Dusche, einer zweiten Tasse Kaffee und einem weiteren Zimtbrötchen bürstete Eloise ihr Haar und legte ein dezentes Make-up auf. Dann zog sie eine graue Hose, einen schwarzen Kaschmirpullover und flache, schwarze Stiefel an. Eine schlichte Perlenkette und passende Ohrringe komplettierten das Outfit.

Obwohl der Wetterbericht Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt gemeldet hatte, entschied sie sich, den kurzen Weg zu ihrem Büro zu Fuß zurückzulegen. Die frische Luft und der helle Sonnenschein würden ihr helfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Sie hatte heute viel zu tun und musste in Topform sein.

„Guten Morgen, Mrs. Vale“, begrüßte Tony Martino, der Wachmann von Manhattan Multiples, sie und hielt ihr die Eingangstür auf. Sie hatte ihn eingestellt, nachdem sie anonyme Drohbriefe bekommen hatte. Sein Zwillingsbruder Frank würde ihn später ablösen und die Nachtschicht übernehmen, was Eloise immer wieder amüsierte.

„Guten Morgen, Tony. Obwohl ich wohl eher Guten Tag sagen sollte. Ich bin heute spät dran.“

„Kein Problem, Mrs. Vale. Sie sind die Chefin, Niemand wird Sie zur Rede stellen“, erwiderte er lächelnd. „Und falls doch, sagen Sie es mir, ich kümmere mich darum.“

„Danke, Tony, das werde ich.“

Ihre Laune wurde noch besser, als sie Josie Dunnigan, die Empfangssekretärin, und Allison Baker Perez, ihre Assistentin, zusammen lachen hörte. Josie war frisch verheiratet und würde bald Mutter werden. Auch Allison, die den bekannten Staatsanwalt Jorge Perez geheiratet hatte, war schwanger.

Seit mehreren Monaten lag bei Manhattan Multiples Liebe in der Luft, und Eloise freute sich von ganzem Herzen für ihre Mitarbeiterinnen. Die beiden arbeiteten unermüdlich für das Wohl anderer Mütter und hatten es verdient, selbst Mutter zu werden. Romantisch, wie sie nun mal war, hatte Eloise sich eingestanden, dass auch sie sich nach so einem Glück sehnte.

Vielleicht war das der Grund dafür, dass sie Bill Harper am Abend zuvor so anziehend gefunden hatte.

„Tut mir leid, dass ich so spät komme“, sagte sie zu den beiden jungen Frauen.

„Es hätte mich gewundert, wenn Sie heute pünktlich gewesen wären“, erwiderte Allison lächelnd.

„Mich auch“, pflichtete Josie ihrer Kollegin bei.

Eloise schaute in ihre strahlenden Gesichter und fragte sich, warum die beiden so vergnügt waren.

Sie bekam eine Antwort, als sie sich vorbeugte, um ihre Nachrichten von Josies Schreibtisch zu nehmen, und ihr Blick dabei auf die Zeitungen fiel. Alle waren sie aufgeschlagen, und die Fotos vom Ball des Bürgermeisters waren nicht zu übersehen.

Jedes einzelne davon zeigte Bill und sie – beim Eintreffen vor dem Hotel, im Ballsaal und sogar auf der Tanzfläche. Die Bilder bewiesen, wie viel Spaß der Ehrengast und seine Begleiterin gehabt hatten. Aber nicht nur das. Was Eloise in ihren Gesichtern wahrnahm, ließ sie bis zu den Wurzeln ihrer aschblonden Haare erröten.

„Oh nein …“, murmelte sie, und ihre Hände zitterten, als sie den Ausdruck in Bills und ihren eigenen Augen registrierte. Er berührte gerade ihr Champagnerglas mit seinem, und sie lächelte ihn an. Genauso verräterisch war ein Foto, das sie eng aneinandergeschmiegt auf der Tanzfläche zeigte.

Eloise konnte nicht glauben, dass zwei erwachsene Menschen, für die Auftritte in der Öffentlichkeit nichts Ungewöhnliches waren, so sorglos und leichtsinnig gewesen waren. Sie wusste nicht, wie Bill es sah, sie jedenfalls hatte ihre Gefühle nicht so offen zur Schau tragen wollen.

Vor ihr und ganz New York City lag der unumstößliche Beweis, dass sie noch immer in Bill Harper verliebt war. Und wenn sie sich nicht sehr täuschte, beruhte das auf Gegenseitigkeit.

Offenbar waren auch diejenigen, die die Überschriften verfasst hatten, zu diesem Ergebnis gekommen.

Der Bürgermeister und die Wohltäterin – keine Feinde mehr?, lautete eine Titelzeile. Mrs. Vale kontra Bürgermeister – Kriegsbeil begraben?, stand unter einem anderen Foto. Eloise wagte kaum, die Artikel zu lesen.

„Sie sehen auf den Fotos wunderschön aus“, bemerkte Allison, als würde sie spüren, dass ihre Chefin dringend ein wenig Aufmunterung brauchte. „Und die Artikel, die ich gelesen habe, sind sich uneins, wer von Ihnen beiden die Seite gewechselt hat.“

„Nun ja, das ist ein schwacher Trost“, erwiderte Eloise und überflog den ersten Bericht, in dem behauptet wurde, dass sie jetzt mit den Sparplänen des Bürgermeisters einverstanden war. Der nächste Artikel deutete an, dass Bill Harper ihrem Charme erlegen war und seine Meinung geändert hatte. „So, wie ich auf den Fotos aussehe, müssen doch alle annehmen, dass ich diejenige bin, die umgefallen ist.“

„Sie sehen aus wie eine verliebte Frau“, entgegnete Josie. „Und Bürgermeister Harper scheint das Gefühl durchaus zu erwidern. Das kann uns doch nur nützen, oder?“

„Bürgermeister Harper ist nicht der Typ, der sich in seiner Politik von persönlichen Beziehungen beeinflussen lässt“, erwiderte Eloise.

Das hatte sie vor siebzehn Jahren auf schmerzliche Weise erfahren müssen. Damals war ihm seine politische Karriere wichtiger gewesen als alles andere.

„Vielleicht hatte er nur noch nicht die Richtige getroffen“, meinte Allison mit einem wissenden Lächeln.

„Ich bezweifle, dass das Leuchten in seinen Augen etwas mit Zuneigung zu tun hat“, wehrte Eloise ab. „Er genießt es, mit einer Kontrahentin zu tanzen und dadurch zu beweisen, wie fair und tolerant er ist.“

Da sie am Abend zuvor nicht über ihre Differenzen gesprochen hatten, tat sie ihm vielleicht unrecht. Aber sie wollte nicht, dass bei Manhattan Multiples über eine sich anbahnende Romanze zwischen Bill Harper und ihr spekuliert wurde.

„Also glauben Sie nicht, dass Sie ihn dazu gebracht haben, seine Sparmaßnahmen noch mal zu überdenken?“, fragte Allison besorgt.

„Nein“, antwortete Eloise ehrlich und hoffte, dass ihre Wangen nicht so rot waren, wie sie sich anfühlten.

Was würden Allison und Josie denken, wenn sie wüssten, dass ihre Chefin sich mit dem Bürgermeister amüsiert hatte, anstatt ihn zur Rede zur stellen? Die beiden jungen Frauen brauchten nicht nur das Geld, sondern auch die Hilfe, die das Beratungszentrum ihnen bot. Ebenso wie viele andere Frauen.

„Wenigstens scheinen eine Menge Leute es zu glauben.“ Josie zeigte auf die Zeitungen. „Man traut Ihnen viel zu, sonst hätte Ihr Auftritt mit dem Bürgermeister nicht solche Wellen geschlagen.“

„Und das sollte ich ausnutzen, bevor er eine endgültige Entscheidung trifft.“ Eloise schob die Zeitungen zur Seite und nahm die pinkfarbenen Notizzettel mit den Nachrichten, die Anrufer für sie hinterlassen hatten. „Allison, besorgen Sie mir für heute Nachmittag einen Termin beim Bürgermeister. Wie es so schön heißt, muss man das Eisen schmieden, solange es heiß ist.“

„Sofort“, erwiderte Allison. Sie schlug die Zeitungen zu, klemmte sie sich unter den Arm und folgte Eloise über den Korridor.

In ihrem Büro begann Eloise damit, so viele Anrufe wie möglich zu erwidern. Am frühen Nachmittag bekam sie Besuch von Leah Simpson, der jungen Obdachlosen, der das Personal von Manhattan Multiples während der letzten Monate geholfen hatte. Leah hatte jetzt eine kleine Wohnung und arbeitete als Sekretärin im Beratungszentrum. Im Moment war sie jedoch im bezahlten Mutterschaftsurlaub und kümmerte sich um ihre neugeborenen Drillingstöchter, denen sie aus Dankbarkeit die Namen Eloise, Allison und Josie gegeben hatte.

Die Babys saßen in dem dreisitzigen Buggy, den Eloise ihr geschenkt hatte, und strahlten vor Gesundheit. Auch ihrer Mutter schien es gut zu gehen, obwohl sie verständlicherweise müde war. Endlich war Leah selbstbewusst genug, um die Versöhnungsversuche ihres alkoholabhängigen und gewalttätigen Ehemanns zurückzuweisen.

Der einzige Wermutstropfen an diesem Tag kam in Gestalt eines weiteren Drohbriefs. Der anonyme Absender warf Eloise und Manhattan Multiples vor, eine Familie zerstört zu haben. Vermutlich handelte es sich um den Ehemann einer Klientin. Einmal mehr war Eloise froh, Tony und Frank eingestellt zu haben.

Sie wollte ihre Mitarbeiterinnen nicht in Panik versetzen, aber sie würde ein paar Nachforschungen anstellen müssen. Vielleicht kannte jemand von ihnen eine Schwangere oder eine junge Mutter, die von Problemen mit ihrem Partner erzählt hatte.

Als sie mit ihrer Post fertig war, knabberte sie an einem Thunfischsandwich und schaute auf die Uhr. Es war schon nach drei. Überrascht, wie schnell die Zeit verflogen war, lehnte sie sich zurück. Plötzlich fiel ihr wieder ein, worum sie Allison gebeten hatte. Sie wollte gerade auf den Knopf der Sprechanlage drücken, da ging die Tür auf, und ihre Assistentin kam herein.

„Ich weiß, ich weiß. Ich sollte für Sie einen Termin bei Bürgermeister Harper arrangieren“, begann Allison und setzte sich in einen der beiden Lehnstühle vor dem Schreibtisch.

„Kein Glück gehabt?“

„Ich habe stundenlang versucht, seinen Stabschef zu erreichen, wurde aber immer wieder in die Warteschleife gesteckt. Als Wally Phillips sich endlich dazu herabließ, mit mir zu sprechen, erklärte er mir, dass der Bürgermeister komplett ausgebucht sei. Nicht nur heute, sondern auch die nächsten zwei Wochen. Es tut mir leid, Eloise, aber ich weiß nicht, was ich noch tun kann.“

„Tja, einen Versuch war’s ja wert“, erwiderte Eloise und stieß sich entschlossen von der Schreibtischkante ab. „Sieht so aus, als müsste ich die Sache wohl selbst in die Hand nehmen.“

„Wie wollen Sie das tun?“, fragte ihre Assistentin erstaunt.

„Termin oder nicht, ich gehe jetzt zum Büro des Bürgermeisters. Und dort werde ich dafür sorgen, dass sämtliche Reporter und Fotografen, die im Rathaus herumhängen, es mitbekommen. Bill Harper wird mich empfangen müssen, sonst nützen ihm all die hübschen Fotos in den Zeitungen gar nichts mehr. Ich glaube nicht, dass eine Schlagzeile wie ‚Sitzen gelassene Ballbegleiterin verlangt aufgebracht Audienz beim Bürgermeister‘ bei seinen Wählern gut ankommen würde.“

„Nein, ganz sicher nicht“, antwortete Allison lachend. „Soll ich Ihnen eine Limousine bestellen?“

„Gute Idee“, meinte Eloise. „Zu Fuß wäre ich wahrscheinlich schneller da, aber dann würde ich nicht annähernd so viel Aufsehen erregen, nicht wahr?“

„Stimmt.“ Noch immer lachend stemmte ihre Assistentin sich ein wenig schwerfällig hoch.

„Zwillinge“, meinte Eloise.

Allison blieb in der Tür stehen. „Ja, Zwillinge“, bestätigte sie mit besorgtem Blick. „Dabei weiß ich nicht mal, wie ich mit einem Baby zurechtkommen soll.“

„Sie werden viel Hilfe bekommen. Dazu habe ich Manhattan Multiples schließlich gegründet. Und deshalb werde ich dafür kämpfen, dass unsere Türen offen bleiben – um Frauen wie Sie zu unterstützen. Aber erst werde ich mir den Bürgermeister vorknöpfen.“

„Ich rufe den Limousinenservice an.“ Allison war ein wenig grün im Gesicht geworden. Sie verdrehte die Augen und eilte davon.

Mit einem fröhlichen Lachen sah Eloise ihr nach.

4. KAPITEL

„Ja, James, ich verstehe, wie wichtig es ist, in dieser Frage hart zu bleiben. Ich hätte die Kürzung der Zuschüsse für wohltätige Organisationen nicht in Betracht gezogen, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass sie im Interesse der ganzen Stadt liegt.“

Der Bürgermeister lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und unterdrückte nur knapp einen Seufzer. James Hargrove, Vorstandschef von Power Industries – einem Konzern, der von einer Belebung der Konjunktur enorm profitieren würde – wirkte besänftigt.

„Nun ja, ich mache mir eben Sorgen, Herr Bürgermeister“, erwiderte der Anrufer. „Sie und Eloise Vale schienen sich auf dem Ball gestern Abend ziemlich gut zu verstehen. Ich bin bestimmt nicht der Einzige, der sich fragt, ob sie es geschafft hat, Sie auf ihre Seite zu ziehen. Die kleine Lady kann verdammt energisch sein. Und sie hat keinen Hehl daraus gemacht, was sie von den geplanten Sparmaßnahmen hält.“

„Ich verstehe Ihre Besorgnis, James. Ich gebe zu, Mrs. Vales Gesellschaft war äußerst vergnüglich. Und ja, sie kann sehr charmant und überzeugend sein. Aber ich versichere Ihnen, meine Einstellung zu den städtischen Ausgaben hat sich durch unseren gemeinsamen Ballbesuch nicht geändert. So gut müssten Sie mich inzwischen kennen.“

„Natürlich, Herr Bürgermeister.“

„Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen, James, und halten Sie mich auf dem Laufenden.“

„Das werde ich, Herr Bürgermeister.“

Bill beugte sich vor, legte den Hörer auf und erlaubte sich den Seufzer, den er seit Stunden unterdrückt hatte.

Sein Arbeitstag hatte um kurz nach sechs begonnen – nach einer kurzen Nacht, in der er kaum ein Auge zugetan hatte, weil er Eloise Vale nicht aus seinem Kopf bekam. Kurz vor Morgengrauen hatte er schließlich aufgegeben und war aufgestanden.

Die Zeit mit ihr – von dem Moment, in dem sie ihm die Tür geöffnet hatte, bis zu dem Kuss, den ihre Söhne unterbrochen hatten – war wirklich wunderbar gewesen.

Er hatte mit einem kühlen, distanzierten Empfang gerechnet, sich jedoch schnell von seiner Überraschung erholt und ihre offene, warmherzige und entspannte Art genossen.

Eloise hätte sich entschließen können, ihre gemeinsamen guten Zeiten zu vergessen. Doch sie schien sich ebenso gern wie er daran zu erinnern. Fast kam es ihm vor, als würde sie ihre eingeschlafene Freundschaft wieder beleben wollen. Und zu seinem größten Erstaunen hatte sie den Abend nicht genutzt, um mit ihm über seine Sparpolitik zu diskutieren.

Im Gegenteil, sie hatte sich nur zu gern an das erinnern lassen, was sie beide einst geteilt hatten.

Als er dann später allein in seinem Bett lag, hatte er daran gedacht, wie leidenschaftlich sie seinen Kuss erwidert hatte. Sie hatte ihn nicht nur so sehr genossen wie er, sondern auch offensichtlich bedauert, dass nicht mehr daraus werden konnte.

Die Vorstellung, wozu der Kuss hätte führen können, nahm ihm die letzte Hoffnung auf Schlaf. Also stand er auf, zog sich an und spazierte durch die noch leeren Straßen von Manhattan zum Rathaus.

Dort angekommen überflog er die Zeitungsberichte über den Ball im Waldorf Astoria. Sie waren ausgewogen. Nur in jedem zweiten Artikel wurde vermutet, er hätte sich von Eloise überreden lassen, von seinen Sparmaßnahmen abzurücken. Die andere Hälfte spekulierte darüber, ob er Eloise von der Notwendigkeit seiner Politik überzeugt hatte.

Die Fotos, die sie beide zusammen zeigten, waren dagegen so verräterisch, dass ihm etwas passierte, was er seit vielen Jahren nicht mehr erlebt hatte: Er spürte, wie er errötete.

Auf jedem einzelnen Bild schien er seine Gefühle wie auf dem Präsentierteller zu offenbaren. Er hatte geglaubt, sie geschickt verbergen zu können, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Aber am vergangenen Abend hatte seine sorgfältig gepflegte Fassade tiefe Risse bekommen. Er hatte die Gesellschaft von Eloise so sehr genossen, dass er gar nicht auf die Idee gekommen war, es zu verheimlichen.

Nachdem Bill die neugierigen Fragen seiner nacheinander eintreffenden Mitarbeiter und der zahlreichen Anrufer abgewehrt hatte, lehnte er sich erschöpft zurück und atmete tief durch. Doch die kurze Erholungspause dauerte nicht lange.

Als die Sprechanlage beharrlich summte, schaute er auf die Uhr. Es war bereits nach vier. Er hatte einen Zehnstundentag hinter sich und wusste nicht, ob er die Geduld aufbringen würde, noch einen besorgten Parteifreund zu besänftigen.

„Was gibt es?“, fragte er gereizt.

„Tut mir leid, Sie schon wieder zu stören, Sir“, begann Wally Phillips, sein Stabschef.

„Schon gut, Wally. Was ist denn?“

„Ich habe Francis Wegner, den Präsidenten von Construction Services, auf Leitung eins. Er will mit Ihnen über die Haushaltspolitik reden. Große Überraschung, was? Und Charles Goodwin, ein Reporter vom Daily Express, möchte einen Termin für ein Interview. Ich könnte ihn für den nächsten Montag eintragen. Ich finde, Sie sollten mit ihm sprechen. Er war uns gegenüber immer fair.“

„Okay. Montagmorgen. Sagen Sie dagegen Wegner, dass ich nicht da bin. Ich rufe ihn morgen zurück.“

„Sind Sie …“

„Ich bin sicher, Wally.“

„Also gut, Sir.“

Sein Stabschef zögerte, und Bill versuchte, ruhig zu bleiben. „Gibt es noch etwas?“

„Nun ja, Mrs. Vale ist hier“, erwiderte Wally nervös.

„Hier?“, wiederholte Bill und setzte sich auf, während sein Herz spürbar einen Satz machte.

„Ja, Sir. Hier und jetzt. Ihre Sekretärin hatte mehrfach angerufen, um einen Termin für sie zu vereinbaren. Ich habe ihr gesagt, dass in den nächsten zwei Wochen keiner frei ist. Das stimmt zwar nicht ganz, aber wir wissen ja längst, was sie von Ihren Sparplänen hält. Außerdem waren Sie beide erst gestern Abend zusammen.“

„In der Tat, das waren wir“, murmelte Bill.

„Und dann taucht Mrs. Vale persönlich hier auf und verlangt, Sie zu sprechen. Sie ist ziemlich aufgebracht und gibt sich keinerlei Mühe, es zu verbergen. Für die Reporter ist das natürlich ein gefundenes Fressen. Sie lässt sich fotografieren und gibt ein Interview nach dem anderen. Vielleicht sollten Sie sie ein wenig beruhigen und danach mit ihr vor die Presse treten – mit glücklichen Gesichtern. Wie gestern Abend.“

Das Letzte, was Bill jetzt wollte, war eine weitere Konfrontation, schon gar nicht mit Eloise. Er hatte sich den ganzen Tag anhören müssen, dass er ein viel zu weiches Herz hatte. Jetzt sollte er sich von ihr vorwerfen lassen, dass er ein gefühlloser Hardliner war. Dabei ging es ihm einzig und allein darum, die Stadt aus der wirtschaftlichen Krise zu manövrieren.

Er wusste, wie wichtig ihr Manhattan Multiples war. Aber ihm war es genauso wichtig, New York City den dringend benötigten Aufschwung zu ermöglichen. Wäre dies ein privater Besuch, hätte er Eloise allerdings mit offenen Armen in seinem Büro willkommen geheißen.

„Sir? Sind Sie noch da?“, fragte Wally.

„Natürlich. Obwohl ich im Moment lieber ganz woanders wäre“, entgegnete Bill und atmete tief durch, um sich zu beruhigen.

„Ich auch, Sir“, gab sein Stabschef zu. „Aber …“

„Aber wir sind beide hier. Führen Sie Mrs. Vale herein, und ich werde tun, was ich kann, um sie glücklich zu machen.“

Bill bezweifelte stark, dass ihm das gelingen würde. Als Wally sie hereinbegleitete und er ihre blitzenden Augen und die schmalen Lippen sah, ahnte er, dass jeder Versuch sinnlos war.

„Eloise, wie schön, dich wiederzusehen.“ Er stand auf, streckte die Hand über die Papierstapel hinweg aus und schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. „Ich wollte dich nachher anrufen.“

Sie musterte ihn lange und gründlich, unbeeindruckt von der herzlichen Begrüßung. Dann ignorierte sie seine Hand, zog ihren Mantel aus, warf ihn über einen der Ledersessel vor seinem Schreibtisch und setzte sich in den anderen.

Wütend war sie fast so hübsch wie am Abend zuvor, aber er war klug genug, das nicht auszusprechen.

„Wie ich sehe, hast du die Presse von heute gelesen“, begann sie und zeigte auf die Zeitungen auf dem Schreibtisch.

„Ja, das habe ich. Viele Fotos von uns. Wir sehen aus, als hätten wir einen angenehmen Abend miteinander verbracht“, erwiderte er mit sanfter Stimme und einem aufmunternden Lächeln. „Ich habe mich jedenfalls so amüsiert wie schon sehr lange nicht mehr. Der Abend mit dir war wirklich wunderschön, Eloise.“

Bill wusste, dass er sich auf dünnem Eis bewegte. Aber er musste sie daran erinnern, dass auch sie Spaß gehabt hatte. Und dass die Anziehung zwischen ihnen so gewaltig gewesen war wie vor siebzehn Jahren.

Ihre Augen weiteten sich, ihre grimmige Miene wurde sanfter und die schmalen Lippen voller. Doch sie riss sich zusammen. „Zugegeben, es war ein schöner Abend. Nicht so schön war allerdings die Nachwirkung. Ich musste mich den ganzen Tag hindurch mit besorgten Menschen auseinandersetzen, die die Fotos in den Zeitungen gesehen haben. Sie alle glaubten, ich wäre in dein Lager übergelaufen, und wir wissen beide, dass das nicht wahr ist.“

„Genau solche Anrufe habe ich auch bekommen. Aber das bedeutet doch nicht, dass wir nicht Freunde sein können“, erwiderte er. „Es gibt viele prominente Paare, bei denen der eine Republikaner und der andere Demokrat ist und die trotzdem glücklich verheiratet sind.“

„Genau das ist der Punkt, Bill. Politisch liegen wir gar nicht so weit auseinander. Jedenfalls bis jetzt nicht. Ich habe dich jedes Mal gewählt, wenn du dich im Staat New York um ein Amt beworben hast“, entgegnete Eloise aufgebracht. „Und was die städtischen Zuschüsse angeht, brauchen wir auch keine Gegner zu sein. Du weißt, wie viel wohltätige Organisationen wie Manhattan Multiples für die Menschen dieser Stadt tun. Wir bieten Arbeitsstellen und Dienstleistungen, die es ohne uns nicht geben würde. Aber ohne die finanzielle Hilfe werden wir nicht weiterarbeiten können.“

„Das ist mir klar, Eloise, wirklich. Aber mein Ziel ist es, die Stadt als Ganzes aus dem wirtschaftlichen Tief zu holen und damit für einen besseren Lebensstandard aller Bürger zu sorgen.“

„Selbst wenn du dadurch alles zunichtemachst, was ich in den letzten zwölf Jahren aufgebaut habe?“, fuhr Eloise ihn mit funkelnden Augen an.

„Ich will gar nichts zunichtemachen. Erst recht nicht etwas, was dir am Herzen liegt“, beteuerte Bill. „So ein Unmensch bin ich nicht. Und ich finde nicht, dass ich mich vor dir rechtfertigen muss. Als Bürgermeister muss ich nun mal entscheiden, wofür die Steuergelder ausgegeben werden, und im Moment habe ich keine andere Wahl. Wie ich es sehe, sollte eine Organisation, die drei Stockwerke in einem teuren Bürogebäude an der Madison Avenue einnimmt, durchaus in der Lage sein, den Wegfall städtischer Zuschüsse durch eigene Einsparungen auszugleichen.“

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, wusste er, dass er zu weit gegangen war. Eloises Gesicht spiegelte erst Enttäuschung, dann unverhohlene Empörung wider.

„Unterstellst du mir, dass ich den Kontakt zu normalen Menschen mit wirklichen Problemen verloren habe, weil Manhattan Multiples zufällig an der Madison Avenue liegt?“

Sie stand auf, machte einen Schritt auf ihn zu und blieb stehen, als sie die Schreibtischkante erreichte. Dann beugte sie sich vor und wedelte mit dem Zeigefinger. „Eins kann ich dir sagen, Bill Harper. Ich weiß genau so viel über normale Menschen mit wirklichen Problemen wie du. Vielleicht sogar mehr, weil ich ihnen jeden Tag begegne, während du in deinem eleganten Büro sitzt und Memos diktierst …“

Bill konnte nicht anders. Er sprang auf, packte ihren ausgestreckten Zeigefinger, beugte sich ebenfalls vor und brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen. Und es war keine flüchtige Berührung der Lippen, denn wenn er sich schon eine Ohrfeige einhandelte, sollte es sich wenigstens gelohnt haben.

Eloise erstarrte und legte die freie Hand auf seine Schulter, schob ihn jedoch nicht von sich. Als sie seine Zunge an ihren Lippen spürte, schnappte sie nach Luft, bevor sie sich ein wenig entspannte und seiner Zunge mit ihrer entgegenkam. Dabei festigte sie den Griff um seine Schulter, was ihn noch mehr ermutigte.

Er schob die Finger in ihr Haar und drängte ihren Kopf behutsam nach hinten, um den Kuss etwas zu vertiefen. Wieder ließ Eloise es geschehen.

Bill war nicht überrascht. Sie war immer eine leidenschaftliche Frau gewesen – auch im Einsatz für die Ziele, die ihr wichtig waren, und für die Menschen, die ihr etwas bedeuteten. Und nie war sie jemand gewesen, der seine Gefühle versteckte. Sie verstellte sich nicht mal dann, wenn es ihr genützt hätte. Dazu war sie viel zu ehrlich.

Die Sprechanlage summte. Augenblicklich löste Eloise sich von ihm und wich zurück.

Er wollte um den Schreibtisch herumgehen, sie in den Arm nehmen und ihr versprechen, dass alles gut werden würde. Doch er wagte es nicht. Stattdessen schob er eine Hand in die Tasche und drückte auf eine Taste. „Was gibt es, Wally?“, erkundigte er sich ein wenig unwirsch.

„Tut mir leid, Sie zu stören, Herr Bürgermeister, aber es ist nach fünf. Sie müssen los, um das Basketballspiel zwischen der Feuerwehr und der Polizei zu eröffnen. Die Limousine steht in fünf Minuten bereit.“

„Danke, Wally. Das hatte ich ganz vergessen.“

„Dazu bin ich da, Sir.“

Während Bill mit seinem Stabschef sprach, hatte Eloise ihren Mantel und die Tasche genommen. Jetzt hielt sie sich beides vor die Brust und starrte auf einen Punkt über seiner linken Schulter.

„Danke für deine Zeit“, sagte sie förmlich. „Ich hoffe, du denkst noch mal über deine …“

„He, Eloise, hast du nicht Lust auf ein Basketballspiel?“, unterbrach er sie. „Wir werden die besten Plätze der ganzen Halle haben. Ich spendiere dir sogar einen Hotdog und ein Bier.“

„Oh, wirklich, das kann ich nicht“, begann sie, und ihr Blick war misstrauisch, als sie ihn wieder ansah. „Die Jungs …“

„Können gern mitkommen“, unterbrach er sie fröhlich. „Wir könnten sie abholen. Sie mögen Basketball doch, oder?“

„Ja, das tun sie“, gab Eloise zu. „Und seit einer Woche hören sie einen lokalen Radiosender, um Tickets zu gewinnen, da das Spiel gleich nach Beginn des Vorverkaufs ausverkauft war.“

„Na, dann ist heute ihr Glücksabend. Und meiner, wenn du die Einladung annimmst“, erwiderte Bill und ging nun doch um den Schreibtisch herum. Er legte eine Hand an ihre Wange und schob ihr eine Strähne hinters Ohr. „Komm schon, Eloise, wir werden Spaß haben. Und“, fügte er lächelnd hinzu, „du verschaffst deiner Sache noch mehr Öffentlichkeit.“

„Genau das brauche ich – noch einen Tag voller besorgter Anrufe.“

„Außerdem vergiss nicht, wie du bei deinen Söhnen ankommen wirst.“

„Stimmt. Sie würden es mir nie verzeihen, wenn ich deine Einladung ablehne.“

„Dann solltest du es auch nicht tun.“

„Na gut, wir kommen mit.“

„So gefällst du mir.“

Begeistert zog Bill Eloise an sich. Er wollte sie gerade wieder küssen, als es erneut summte.

„Komme schon, Wally“, murmelte er und ließ Eloise los, um Jackett und Mantel vom Garderobenständer in der Ecke zu nehmen.

„Ich rufe die Jungs an und sage ihnen, dass wir unterwegs sind.“ Eloise holte ihr Handy heraus. „Dann können sie unten vor dem Haus auf uns warten.“

„Gute Idee.“ Hastig zog er den Mantel an.

Ihr freudiges, aufgeregtes Lächeln ließ sein Herz schneller schlagen, und als sie beim Hinausgehen wie selbstverständlich seinen Arm nahm, fühlte er eine wohltuende Wärme in sich aufsteigen.

Oft hatte er sich bei öffentlichen Auftritten einsam gefühlt, selbst inmitten seiner glühendsten Anhänger und engsten politischen Freunde. Aber nicht heute Abend, dachte er. Heute Abend würde er Eloise und ihre Söhne bei sich haben. Und für eine kurze Zeit würde er sich einbilden können, sie wären so zusammen, wie er es sich am sehnlichsten wünschte.

5. KAPITEL

„Gemeinsam können wir fortfahren, unsere großartige Stadt wiederaufzubauen, aber nur, wenn wir die Steuergelder unserer Bürger anders ausgeben. Das Wohl der gesamten Bevölkerung muss wichtiger sein als das von Interessengruppen, so verdienstvoll ihre Arbeit auch sein mag.“

Bill machte eine Pause, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, und ließ seinen Blick durch die voll besetzte Halle wandern. Wie alle anderen Zuschauer, so saß auch Eloise ruhig und konzentriert da.

Er war ein erfahrener Redner, verzichtete auf Notizen und stand vollkommen entspannt hinter den zahlreichen Mikrofonen. Er biederte sich nie bei seinem Publikum an, aber er strahlte eine Wärme und Einfühlsamkeit aus, der selbst Eloise sich in diesem Moment nicht entziehen konnte.

Als könnte er ihre Gedanken lesen, sah Bill sie an und lächelte aufmunternd. Vertrau mir, schien sein Blick zu sagen. Vertrau mir einfach, und alles wird gut.

Und wie sehr wünschte Eloise, sie könnte genau das tun. Aber wenn sie sich auf seine ehrenwerten Absichten verließ und sich in ihm täuschte, wäre der Preis zu hoch. Und sie wäre nicht die Einzige, die ihn zahlen musste. Viele unschuldige Menschen würden es ebenfalls tun müssen.

„He, Mom, ich glaube, er mag dich“, flüsterte Carl und stieß sie an. Neben ihm auf der Bank direkt am Spielfeld grinsten auch Henry und John.

Eloise fühlte, wie ihre Wangen sich erwärmten. Sie warf ihren Söhnen einen warnenden Blick zu und drehte sich wieder zu Bill hin.

„Mein Ziel ist nicht, dass die wohltätigen Organisationen dieser Stadt ihre Türen schließen müssen. Dazu ist ihre Arbeit zu wichtig. Aber ich bin überzeugt, dass sie mithilfe privater und Firmenspenden sowie der Umstrukturierung ihrer eigenen Haushalte auch weiterhin dringend benötigte Dienstleistungen für unsere Bürger erbringen können. Wenn wir alle an das Gemeinwohl denken, werden wir alle Gewinner sein“, fuhr der Bürgermeister fort.

Um Eloise herum brandete Applaus auf, als Bill das Podium verließ. Er winkte den Zuschauern zu, die wie ein Mann aufgestanden waren, um ihrem Bürgermeister zuzujubeln.

Auch Eloise sprang auf und klatschte, zusammen mit ihren Söhnen, die auch noch begeisterte Pfiffe von sich gaben und „Weiter so“ riefen.

Widerwillig gestand sie sich ein, dass Bill nicht ganz unrecht hatte. Unternehmen und reiche Privatleute unterstützen Manhattan Multiples schon jetzt mit großzügigen Spenden, und das Beratungszentrum musste nicht unbedingt an der Madison Avenue residieren, um auch weiterhin Bedürftigen zu helfen.

Dennoch, ohne die städtischen Zuschüsse würde das Zentrum sich erheblich einschränken müssen und viel weniger erreichen können, als sie sich für die Zukunft vorgenommen hatte.

Als Bill wieder neben ihr stand, sah sie ihn an. Er war so verdammt attraktiv, charmant und sexy. Und es war so schwer, ihm zu widerstehen.

„Wie wäre es mit einem Waffenstillstand?“, hatte er vorgeschlagen, als sie im Rathaus nach unten fuhren, wo die Limousine auf sie wartete.

„Nur für heute Abend.“

„Und wer wird das Spiel gewinnen?“, hatte er auf der kurzen Fahrt zu ihrem Apartmenthaus gefragt, wo sie ihre Söhne abholen würden. 

„Die Feuerwehrleute“, hatte sie ohne Zögern geantwortet.

„Warum?“

„Weil sie keine Burger essen“, erwiderte sie fröhlich.

Autor

Nikki Benjamin
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Jackie Braun
Nach ihrem Studium an der Central Michigan Universität arbeitete Jackie Braun knapp 17 Jahre lang als Journalistin. Regelmäßig wurden dabei ihre Artikel mit Preisen ausgezeichnet. 1999 verkaufte sie schließlich ihr erstes Buch ‚Lügen haben hübsche Beine‘ an den amerikanischen Verlag Silhouette, der es im darauf folgenden Jahr veröffentlichte. Der Roman...
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Sherryl Woods

Über 110 Romane wurden seit 1982 von Sherryl Woods veröffentlicht. Ihre ersten Liebesromane kamen unter den Pseudonymen Alexandra Kirk und Suzanne Sherrill auf den Markt, erst seit 1985 schreibt sie unter ihrem richtigen Namen Sherryl Woods. Neben Liebesromanen gibt es auch zwei Krimiserien über die fiktiven Personen Molly DeWitt sowie...

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