Dark Desires - Gefährliche Leidenschaft

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Detective Jack Parker benötigt Nachhilfe in Sachen Erotik …

Ein gefährlicher Stalker schickt seinen Opfern sinnliche Gedichte. Die verführerische Veronica, Expertin für erotische Literatur, will Jack bei den Ermittlungen helfen - unter einer Bedingung: Im Gegenzug soll er ihre geheimsten erotischen Wünsche erfüllen. Nur zu gern lässt sich Jack auf die heißen Spiele mit ihr ein. Doch dann verdichten sich plötzlich die Hinweise, dass Veronica in den Fall involviert ist!


  • Erscheinungstag 10.04.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783956493102
  • Seitenanzahl 200
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

J. Kenner

Dark Desires – Gefährliche Leidenschaft

Aus dem Amerikanischen von Gabriele Ramm

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Silent Confessions

Copyright © 2003 by Julia Beck Kenner

erschienen bei: Harlequin Enterprises, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Maya Gause

Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-310-2

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Keine Angst, mein Engel; Liebende können sich alles sagen. Diese Worte, die in weniger heißen Augenblicken unangebracht wären – geben sie dem süßen Mysterium der Liebe nicht neue Würze? Auch du wirst sie bald flüstern und dann ihren Charme verstehen.

Detective Jack Parker zog sich ein Paar Gummihandschuhe über und nahm den Zettel mit der Botschaft von dem Satinkopfkissen. Ordentlich getippt auf hellrosa Papier, schien die Nachricht eigentlich ziemlich unschuldig. Verdammt, zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, hätten diese Worte romantisch klingen können, Liebende, die sich intime Koseworte und gewagte Anspielungen zuraunten.

Heute Nacht waren die Worte jedoch dazu bestimmt gewesen, Angst einzuflößen.

Dieses Schwein!

Der „Casanova“ hatte vorher schon zweimal zugeschlagen, und bisher hatte die Polizei nicht einen einzigen vernünftigen Anhaltspunkt. Die Sache machte Jack richtig zu schaffen.

Dabei hasste er nichts so sehr wie zu verlieren.

Er schloss die Augen und zählte von zehn rückwärts, während er die geschäftigen Spurensicherungsleute an sich vorbeirauschen ließ. Das sanfte Surren des Saugers, der verräterische Fasern einsammelte, das Klicken der Kamera, die alle Einzelheiten des Zimmers festhielt. Hier waren die besten Leute der New Yorker Polizei im Einsatz. Sie würden den Widerling schnappen.

Sie mussten ihn schnappen.

Nachdem er noch einmal tief Luft geholt hatte, öffnete Jack die Augen wieder und sah, dass sein Partner Tyler Donovan in der Tür stand und ihn zu sich winkte. Jack bahnte sich einen Weg durch das große Schlafzimmer und gab den Liebesbrief, den er vom Kissen aufgelesen hatte, an einen Kollegen weiter, damit er zusammen mit den anderen Beweisen untersucht werden konnte.

„Ich hoffe, du hast gute Neuigkeiten für mich.“

„Im Martini’s gibt’s die ganze Woche über Bier für einen Dollar“, sagte Donovan und zuckte mit den Achseln. „Mehr kann ich dir nicht bieten. Hier haben wir absolut keine Anhaltspunkte.“

„Das war nicht das, was ich hören wollte.“

„Ach nein? Das Einzige, was ich dir sagen kann, ist, dass sie nicht die leiseste Ahnung haben, wer für das hier verantwortlich ist. Aber die Frau wirkt ziemlich mitgenommen.“

„Kann ich ihr nicht verdenken.“ Über Donovans Schulter hinweg konnte Jack Caroline Crawley auf einer gepolsterten Bank im Wohnzimmer sitzen sehen. Ihr Mann, der Nachrichtenmoderator Carson Crawley, stand mit versteinerter Miene hinter ihr und hatte eine Hand auf ihre Schulter gelegt. Auf den Gesichtern der beiden spiegelte sich der Schock, den diese Verletzung ihrer Intimsphäre bei ihnen ausgelöst hatte. Es war ein Ausdruck, den Jack nur allzu gut kannte. Diesen gehetzten, verwundeten Blick hatte er vor vielen Jahren bei seiner Cousine Angela gesehen.

Sie war nur drei Monate jünger, und sie beide lebten nur zwei Blocks voneinander entfernt, daher hatten er und Angie viel Zeit miteinander verbracht. Jedenfalls bis zu jenem Sommer, als sie sechzehn Jahre alt war.

Das Monster hatte nicht einmal gewartet, bis es dunkel war. Er hatte Angie direkt nach der Schule von ihrem Rad gezerrt, als sie an der örtlichen Tankstelle vorbeigeradelt war, hatte sie in die übel riechende Herrentoilette geschleppt und sie dort liegen lassen, als er mit ihr fertig war. Der Tankstellenbesitzer hatte sie Stunden später gefunden, ohnmächtig und misshandelt, ihr hübsches Gesicht entstellt und ihre beiden Arme gebrochen. Ihr Gesicht und die Arme waren irgendwann verheilt; der Rest von ihr nicht.

Die süße Angie hatte sich genau ein Jahr später das Leben genommen.

Vermutlich wäre Jack sowieso zur Polizei gegangen, denn auch sein Vater und Großvater waren schon Polizisten gewesen. Aber für den Posten in der Abteilung für Sexualverbrechen hatte er sich aus ganz persönlichen Gründen beworben.

Ja, Jack kannte den Ausdruck auf Caroline Crawleys Gesicht. Kannte ihn nur zu gut. Und wie stets rief er eine unglaubliche Wut in ihm wach, die sich erst wieder legen würde, wenn der Täter tot war oder hinter Gittern saß. Bis dahin war alles andere zweitrangig.

„Crawley lässt die Kinder zu seinen Eltern bringen“, sagte Donovan und riss damit Jack aus seinen Gedanken. „Seine Frau sollte besser mitgehen, doch sie will nicht. Außerdem hat er veranlasst, dass die Schlösser ausgetauscht werden und die Alarmanlage aufgerüstet wird.“ Er schüttelte den Kopf. „Wie, zum Teufel, ist der Bastard hier reingekommen? Wir sind hier im zwanzigsten Stock. Diese Wohnung ist besser gesichert als Fort Knox.“

„Mir macht viel mehr zu schaffen, dass er überhaupt hier reinwollte.“ Jack fummelte in seiner Tasche nach einer Zigarette, bis ihm einfiel, dass er ja vor einem Jahr mit dem Rauchen aufgehört hatte. „Unser Casanova wird langsam gefährlich.“

„Wem sagst du das. Aber es ergibt alles keinen Sinn. Seit drei Wochen stopft er ihren Briefkasten mit Aktpostkarten und herausgerissenen Romanseiten aus Lady Chatterley voll. Und dann beschließt er plötzlich, dass es an der Zeit sei, sich in ihre Wohnung zu schleichen und eine kleine Aufmerksamkeit auf ihrem Kopfkissen zu hinterlassen? Warum gerade jetzt?“

Donovan hatte recht. Es ergab keinen Sinn. Und das Ärgerlichste an allem – und der Grund, warum Jack zwanzig Stunden am Tag damit zugebracht hatte, aussichtslosen Spuren nachzujagen – war, dass sie heute noch genauso weit davon entfernt waren, den Täter zu finden, wie vor drei Wochen.

Er ballte die Fäuste und versuchte, seine Wut zu unterdrücken. Verdammt, verdammt, verdammt. Was hatten sie bisher übersehen?

„Und warum ausgerechnet Mrs Crawley?“, fügte Donovan hinzu. „Wir haben ihr gesamtes Umfeld genauestens durchforstet, aber nicht eine einzige Person gefunden, der man diese Tat zutrauen könnte.“

„Dann haben wir nicht genau genug hingeschaut.“

Donovan öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber dann gleich wieder. Nach zwei Jahren als Jacks Partner hatte er gelernt, wann es zwecklos war, ihm zu widersprechen. Stattdessen nickte er. „Okay. Vielleicht. Aber es könnte auch einfach nur Zufall gewesen sein. Carson Crawleys Gesicht ist jeden Tag um sechs auf der Mattscheibe zu sehen. Vielleicht ist unser Mann einfach nur fixiert darauf, die Frau eines Prominenten zu verfolgen. Könnte ja sein, dass er nichts weiter als ein abgedrehter Kerl ist.“

„Na toll. Ein Stalker, der es auf Prominente abgesehen hat und weder Fingerabdrücke noch sonst irgendwelche Spuren hinterlässt.“ Irritiert fuhr Jack sich mit der Hand durchs Haar und marschierte durch die offene Tür in das prunkvolle Treppenhaus. Hier am Tatort war alles unter Kontrolle, und er konnte besser nachdenken, wenn er sich bewegte. „Was haben wir bloß übersehen?“

„Verdammt, wenn ich das nur wüsste.“ Donovan drückte den Fahrstuhlknopf. „Aber das werden wir heute Nacht wohl nicht mehr rauskriegen. Es ist zwei Uhr morgens. Und in meinem Bett wartet eine sehr nackte, sehr willige Frau auf mich.“

„Das erklärt, warum du so erschöpft aussiehst.“ Seit seiner Scheidung vor neun Monaten wechselte Donovan seine Freundinnen mehr oder weniger monatlich.

„Nicht erschöpft. Erfrischt.“ Donovan grinste. „Sie hat auch noch eine Schwester, falls du Interesse hast.“

Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und sie traten in den Lift. „Die haben alle Schwestern. Hat deine Lady auch einen Namen?“

„Mindy, Cindy. Irgendwas in der Art.“

„Du bist echt krank, Detective Donovan.“

„Nicht krank. Nur flexibel.“

Jack bedachte ihn mit einem strengen Blick, den er sich normalerweise für Verhöre aufsparte, wenn er die Rolle des bösen Cops übernahm.

„Okay, okay“, lenkte Donovan ein und hob abwehrend die Hände. „Sie heißt Cindy, es ist unser viertes Date, und sie hat wirklich eine Schwester.“

Er folgte Jack aus dem Fahrstuhl, und sie traten vor die Tür nach draußen. Automatisch griff Jack nach seiner Krawatte und lockerte den Knoten an seinem Hals.

Donovan schob eine Hand in seine Hosentasche und zog eine Büroklammer heraus. „Also, wie sieht’s aus?“, fragte er und bog die Klammer auseinander. „Sollen wir sie anrufen und dann zusammen irgendwo frühstücken gehen?“

„Warum sollte ich mit einer Frau ausgehen wollen, die so verzweifelt ist, dass sie sich nachts um zwei auf eine Verabredung einlässt?“

„Sie ist Krankenschwester. Schichtende. Cindy ruft sie an, sie trifft sich mit uns, und dann feiern wir gemeinsam eine kleine Party.“

„Nein.“ Das Mädel mochte ja nicht mal übel sein, aber er hatte trotzdem kein Interesse.

„Du musst dir auch mal ‘ne Pause von dem Fall gönnen, Mann. Der ist morgen früh auch noch da.“

Jack warf Donovan einen bösen Blick zu. „Und das ist genau das Problem.“

„Man kann im Leben nicht immer nur die bösen Jungs festnageln, Jack. Du musst auch mal ein paar Frauen nageln.“

Stöhnend verdrehte Jack die Augen. „Du bist echt anstrengend.“

„Ja, aber wenigstens komm ich mal raus, hock nicht die ganze Zeit an meinem Schreibtisch und lecke meine Wunden.“

„Pass auf, was du sagst, Donovan“, fuhr Jack ihn an.

„Hey, ich mach mir nur Sorgen um dich.“

„Dazu gibt es keinen Grund. Ich lecke nicht meine Wunden. Ich selbst war es, der die Sache mit Kelly beendet hat, schon vergessen?“

„Genau das meine ich ja. Du hast mit ihr Schluss gemacht, damit du dich auf deine Karriere konzentrieren kannst.“

Da hatte er durchaus recht. Kelly hatte drei Dinge von ihm gewollt – einen Ring, seine Liebe und seine Zeit. Aber die Wahrheit war, dass er ihr nur den Ring hätte geben können. Den konnte man mit Geld kaufen. Aber Liebe ließ sich nicht so einfach herzaubern, sosehr er es auch versucht hatte. Und in seinem Job wollte er sicher nicht kürzertreten. Nicht für Kelly. Verdammt, eigentlich für niemanden.

„Aber du bist doch kein Mönch“, rief Donovan, um seinen Standpunkt zu unterstreichen. „Und tägliche Arbeitszeiten von zwanzig Stunden bringen dich irgendwann um. Du musst dich dringend mal wieder von jemandem flachlegen lassen.“

„Ist das Dr. Donovans Erfolgsrezept?“

„Scheiße, ja.“

„Ich kann mir selbst eine Frau suchen“, sagte Jack. „Da brauchst du nicht für mich zum Kuppler zu werden.“

Donovan lachte laut auf. „Wie schade. Ich habe einen tollen Geschmack.“ Neben seinem verbeulten Jeep, der direkt vor einem Feuerhydranten geparkt war, blieb er stehen. „Komm schon, vielleicht ist Cindys Schwester ja genau die Richtige für dich. Vielleicht verpasst du den Sex deines Lebens.“

Jetzt lachte Jack. „Das Risiko gehe ich ein“, erklärte er. „Im Moment will ich nichts weiter, als nach Hause fahren und mir eine Mütze Schlaf holen.“

„Schlaf?“, wiederholte Donovan skeptisch.

„Genau, du hast richtig gehört.“ Und schlafen würde er auch. Sobald er noch einmal auf dem Revier vorbeigefahren war und einen Blick in die Akten geworfen hatte.

Die Sommerhitze setzte ihr mächtig zu und brachte sie um den Schlaf. Vor ihr lagen fotokopierte Seiten aus Die Perle und Das Boudoir wild verstreut auf der alten Eichentür, die sie in eine Schreibtischplatte verwandelt hatte. Ronnie nahm aufs Geratewohl eine der Seiten hoch, weil sie eigentlich arbeiten sollte, aber keine rechte Lust dazu verspürte. Stattdessen vertiefte sie sich in den Text, und schon bald erhöhte sich ihr Puls.

Dort, auf der Seite, hob der fiktive Monsieur die Röcke seiner Geliebten hoch, entblößte ihre seidenen Strümpfe … ihre Strumpfbänder … ihren Schoß. Ehrfürchtig schob er ihre Schenkel auseinander, kniete sich dann vor sie und ließ seine Zunge auf intimste Weise über sie gleiten.

Mit einem leisen Stöhnen schloss Ronnie die Augen und stellte sich vor, sie selbst und nicht die Bertha aus dem Buch wäre es, der der Monsieur seine Aufmerksamkeit schenkte. Während sie den Kopf zurücklegte, strich sie sich mit ihren Händen über ihr dünnes Baumwollnachthemd und erzitterte wohlig, als sie mit ihnen die Rundungen ihrer Brüste umschloss. Ihre Brustwarzen wurden sofort hart, und sie verstärkte das köstliche Gefühl, indem sie sie langsam mit den Fingerspitzen umkreiste.

Oh, verdammt, sie war echt frustriert.

Und wirklich zu bemitleiden.

Sie zog die Hände fort und setzte sich aufrecht auf den Stuhl, die Ellenbogen auf die Schreibtischplatte gestützt. Am anderen Ende des Zimmers blies die Klimaanlage am Fenster schubweise kühle Luft herein, ohne jedoch in dieser drückenden Hitze wirkliche Erleichterung zu bringen.

Welcher Wissenschaftlerin wurde bei der Arbeit schon so heiß? Nun, das war leicht zu beantworten. Einer, die blöd genug war, sich ein Forschungsthema auszusuchen, das mit erotischer Literatur zu tun hatte, und die dann auch noch so dumm war, mitten in der Nacht, lange nach Schlafenszeit, in ihren Quellen zu lesen. Noch dazu in einem Erotikbestseller namens Das Boudoir.

Nicht dass diese Recherchen nicht … faszinierend waren. Aber wenn das so weiterging, dann würde sie sich eine High-Tech-Klimaanlage anschaffen müssen. Wie auf ein Stichwort begann die uralte Klimaanlage vor dem Fenster zu rattern und zu ächzen, bevor sie einen letzten Hauch von lauwarmer Luft ins Zimmer blies und dann für immer den Geist aufgab.

Angesichts der Tatsache, dass auch für den Rest der Woche Rekordtemperaturen vorhergesagt waren, hätte Ronnie sich schon denken können, dass das Teil irgendwann vor der Hitze kapitulieren würde. Mist, erst dieser Einbruch, dann ließ die Polizei seit mittlerweile schon zwei Tagen nichts mehr von sich hören, heute Morgen noch der Streit mit ihrem Doktorvater und jetzt das hier. Das setzte einer ohnehin schon unglaublich beschissenen Woche noch die Krone auf.

Eine kalte Dusche, das war es, was sie jetzt brauchte. Bestimmt konnte sie besser schlafen, wenn sie sich ein wenig abkühlte. Frustriert nahm sie ihre Brille ab und warf sie auf den Schreibtisch. Sie rieb sich über die Nasenwurzel und fuhr sich mit den Fingern durch das verschwitzte Haar. Wem wollte sie hier denn etwas vormachen? Selbst wenn sie ihre Wohnung auf eine konstante Temperatur von zwanzig Grad herunterkühlen würde, könnte sie nicht schlafen.

Seit dem Einbruch zuckte sie bei jedem Knacken und Ächzen des alten Gebäudes zusammen. Zumal die Polizei sich als so zugeknöpft erwies und ihr nicht den kleinsten Hinweis darauf gab, ob sie irgendwelche Spuren verfolgte oder eine Ahnung hatte, wer sich gewaltsam Zutritt zu ihrem Buchladen unten im Erdgeschoss verschafft haben könnte.

Und dann war es auch noch ein so gruseliger Einbruch gewesen. Als hätte jemand nur ihre Sachen durchwühlen wollen. Der Laden war voller teurer Bücher und seltener Manuskripte, und doch war nichts davon angerührt worden. Weder eine der fast unbezahlbaren Inkunabeln aus der Ausstellungsvitrine noch die gebundene Ausgabe der Fortsetzungsgeschichten von Dickens, die hinter ihrem Arbeitsplatz ausgestellt war. Nicht einmal die dreihundert Dollar Bargeld aus der obersten Schreibtischschublade hatte der Einbrecher mitgenommen.

Stattdessen hatte er die Bücher aus den Regalen gerissen und überall auf dem Boden verstreut, und auch die Papiere von ihrem Schreibtisch hatte er durcheinandergebracht und zu Boden geworfen. Einen ganzen Tag lang hatte Ronnie gebraucht, um ihre Vorlesungsnotizen, ihre private Post und die geschäftlichen Rechnungen wieder auseinanderzusortieren.

Ärgerlich und beängstigend. Definitiv beängstigend.

Und wenn sie neben dem Einbruch auch noch an den bedrohlich näher rückenden Abgabetermin für ihre Doktorarbeit dachte, bezweifelte sie, dass sie würde schlafen können. Selbst bei Friedhofsstille, eisiger Kälte und mit bewaffneten Wachen vor dem Haus wäre das unmöglich.

Ein weiterer Schweißtropfen rann ihr die Schläfe herunter. Sie wischte ihn weg und versuchte, sich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren. Es war keine vierundzwanzig Stunden her, seit ihr Doktorvater das Thema für ihre Dissertation – „Der Einfluss erotischer Literatur auf die gegenwärtige Popkultur“ – als zu allgemein abgelehnt hatte. Was bedeutete, dass sie sich ein anderes Thema suchen musste, und zwar schnell. Da sie um vier Uhr mitten in der Nacht hellwach war, sollte sie die Zeit wenigstens produktiv nutzen. Sie hatte hart daran gearbeitet, die Sammlung mit erotischer Kunst und Literatur in ihrem Laden aufzubauen, und hatte gehofft, das Durchblättern einiger dieser Bücher würde sie inspirieren.

Sie verzog das Gesicht, als sie daran dachte, wie ihr Körper auf die Geschichte des Monsieurs reagiert hatte. Sie war inspiriert gewesen, das schon, aber leider nicht auf produktive Art und Weise. Stattdessen war ihr heiß, sie machte sich Sorgen und bemitleidete sich selbst angesichts ihres nicht vorhandenen Liebeslebens – vor allem im Vergleich zu den interessanten, exotischen und definitiv erotischen Abenteuern der Frauen, die sie Abend für Abend einsam las.

Sie lehnte sich zurück und stieß einen tiefen Seufzer aus. Ein Mann. Das war es, was sie brauchte.

Nein. Sie presste die Finger auf ihre geschlossenen Lider und massierte sich die Augen. Ihr Tag war mit ihrem Studium und dem Versuch, den Buchladen profitabel zu führen, schon zu mehr als hundert Prozent ausgelastet. Und selbst das schien nicht zu reichen.

Außerdem hatte sie ja einen Mann gehabt, und auch wenn die Sache mit dem Sex fantastisch gewesen war, hatte Burt sich als das Gegenteil von fantastisch erwiesen. Sie schüttelte den Kopf und versuchte, das in ihrer Erinnerung noch immer ziemlich lebhafte Bild von ihrem Exmann und seiner Rezeptionistin zu verscheuchen, die sich splitterfasernackt in ihrer zweihundertfünfzig Dollar teuren Ralph-Lauren-Bettwäsche vergnügt hatten. Es war kein schönes Bild.

Aber zumindest war sie ihn los. Sie war direkt von der Wohnung zum Büro ihres Anwalts marschiert, um sich von diesem Idioten zu trennen. Das war vor fast zwei Jahren gewesen. Himmel, vielleicht sollte sie zum Jubiläum eine Party schmeißen.

Nein, sie brauchte keinen Mann. Aber vielleicht einen Vibrator …

Während sie gedankenverloren an ihrer Unterlippe knabberte, blätterte sie in den Papieren auf dem Schreibtisch, Schriften, die von Leidenschaft und Lust berichteten, von gewaltigen Höhepunkten. Höhepunkten, die sie in letzter Zeit schmerzhaft vermisste.

Was für eine Ironie. Veronica Archer – Besitzerin des Buchladens Archer’s Rare Books and Manuscripts, Spezialistin für seltene Erotikromane und Autorin von mehr als zwanzig wissenschaftlichen Aufsätzen über erotische Schriften und Kunstwerke – hatte selbst das mitleiderregendste Sexleben, das man sich nur denken konnte.

Ronnie verdrängte den Gedanken. Sie war zufrieden mit ihrem Leben. Im Moment stand ihre Karriere an erster Stelle. Das war kein Opfer – es war eher befreiend. Während ihre Freundinnen am Telefon hockten und darauf warteten, dass Mr Right anrief, besaß sie die Freiheit, ihren Geist mit weit interessanteren Dingen zu beschäftigen. Anders als Joan, ihre vierundzwanzigjährige, stets verknallte und ständig auf Dates fixierte Assistentin, konnte Ronnie auch mal ein Pfund zunehmen, ohne gleich in Panik zu geraten, konnte sich so viele rührselige Filme ausleihen, wie sie wollte, und brauchte sich nicht sonderlich um die hohe Kunst des Smalltalks zu scheren.

Seufzend sammelte sie ihre Papiere und Notizen zusammen. Da die Klimaanlage ihren Geist aufgegeben hatte, musste sie, wenn sie überhaupt noch etwas schaffen wollte, unten weiterarbeiten. Zumindest wollte der Elektriker morgen wieder in den Laden kommen. Vielleicht konnte er dieses blöde Teil dazu bewegen, wenigstens noch einen Sommer lang durchzuhalten.

Ihre Haustür öffnete sich in das innere Treppenhaus, das die fünf Stockwerke des alten, schon lange im Familienbesitz befindlichen Backsteinbaus miteinander verband. Früher war es von der Dienerschaft benutzt worden, und jetzt führte es vom Buchladen in den ersten beiden Etagen über den Lagerraum im dritten Stock bis zu Ronnies Wohnung im vierten und zur Wohnung ihres Bruders Nat im fünften Stock.

Sie öffnete die Tür und trat hinaus auf den Treppenabsatz, tunlichst darauf bedacht, die Stelle zu vermeiden, die immer so fürchterlich laut knarrte. Seit dem Einbruch war Nat besonders um ihre Sicherheit besorgt. Von daher war es besser, wenn er nicht mitbekam, dass sie unter Schlafstörungen litt.

Im Erdgeschoss blieb sie stehen und drehte sich noch einmal zur Treppe herum, um sicherzugehen, dass oben kein Licht zu sehen war. Nichts. Gut. Sie würde am Morgen einfach literweise Kaffee in sich reinschütten, und Nat würde gar nicht merken, wie schlecht sie in letzter Zeit schlief.

Langsam und vorsichtig drehte sie den Knauf und drückte die Tür in genau der richtigen Geschwindigkeit auf, damit das alte Scharnier, das sie immer zu reparieren vergaß, nicht allzu laut knarrte. Als sie die Tür weit genug geöffnet hatte, um hindurchschlüpfen zu können, schlich sie hinein, schloss die Tür wieder und schaltete das Licht an.

Geschafft.

„Vorsichtig, Schwesterlein, du könntest mich aufwecken.“

Oder auch nicht.

Stirnrunzelnd schaute sie sich im Laden um und entdeckte Nat schließlich in einem der gemütlichen Sessel, die sie neben dem antiken Ofen aufgestellt hatte. „Was machst du denn hier unten?“, fragte sie.

„Ich dachte mir schon, dass du noch ein bisschen nervös bist, nachdem wir hier einen ungebetenen Gast hatten. Da habe ich mir überlegt, ich bleibe mal wach und bedauere dich ein wenig.“

„Ich bin nicht nervös“, log sie.

„Komm schon, Ronnie. Dazu kenne ich dich zu gut. Außerdem, es ist noch nicht einmal Morgen, und du bist schon seit Stunden wach.“

„Stunden?“ Sie ließ die Papiere auf den antiken Schreibtisch fallen, der als Kommandozentrale des Ladens fungierte, bevor sie die Kaffeemaschine anstellte, die sie vorsorglich immer mit Wasser und Kaffeepulver füllte, damit sie jederzeit einsatzbereit war. „Woher weißt du, seit wann ich auf bin?“

Er wackelte mit den Augenbrauen, eine vertraute Geste, die sie zum Lachen brachte. „Ich sehe alles.“

„Aha“, meinte sie und ließ sich in den Sessel ihm gegenüber fallen. „Spuck’s aus.“

„Ich bin gegen eins nach Hause gekommen. Das Licht bei dir war an. Vor ungefähr einer Stunde bin ich tierisch durstig aufgewacht und hab festgestellt, dass ich kein Mineralwasser mehr habe.“ Er beugte sich vor und tätschelte kurz ihr Knie. „Als ich hier runterkam, um mir eine Flasche aus dem Pausenraum zu holen, was sehe ich da? Es dringt immer noch ein Lichtschein unter der Wohnungstür meiner süßen kleinen Schwester hervor.“

„Vielleicht bin ich eingeschlafen“, meinte sie, bereute es aber schon im selben Augenblick. Ob sie wach blieb oder bei angeschaltetem Licht einschlief – so oder so würde ihn das zu der Annahme verleiten, dass sie unruhig war, Angst vor der Dunkelheit hatte oder sonst wie durch den Einbruch in Aufregung versetzt worden war.

Entsprechend hob er auch nur skeptisch eine Augenbraue, ehe er einen Schluck Mineralwasser trank. „Ich passe bloß auf dich auf, Ronnie. Es gefällt mir nicht, dass ich mir um dich Sorgen machen muss. Es gefällt mir nicht, dass du Angst hast.“

„Nat“, versuchte sie ihn – ganz die vernünftige und verantwortungsvolle Schwester – zu beschwichtigen, „in ein paar Tagen wirst du in ein Flugzeug steigen. Für den National Geographic auf den Galapagosinseln Fotos zu machen, das ist doch nun wirklich eine richtig große Sache. Darüber solltest du dir Gedanken machen. Nicht über mich.“

„Ich mache mir immer Sorgen um dich, McDonald.“

Ronnie verdrehte die Augen über den albernen Spitznamen. Während der achten Klasse war sie in Billy Hobbs verknallt gewesen, der allerdings auf rothaarige Mädchen stand, nicht auf solche mit kaum zu bändigenden braunen Locken. Nach einem kleinen Missgeschick mit einer Haartönung waren Ronnies Locken flammend orange und nicht – wie auf der Packung angegeben – betörend rot geworden. Billy Hobbs hatte gelacht, und Nat hatte sie wieder aufgemuntert. Nachdem er sicher gewesen war, dass sie die Sache überleben würde, hatte er ihr den ziemlich ärgerlichen Spitznamen Ronald McDonald verpasst. Anscheinend schrieb das Regelwerk für ältere Brüder eine Quote von drei zu eins vor, was das Abscheulich- und Nettsein anging.

Jetzt musterte sie ihn liebevoll, und er erwiderte den Blick lächelnd. Schließlich schüttelte sie den Kopf und musste gegen ihren Willen lachen. „Du bist unmöglich.“

„Deshalb liebst du mich ja auch.“

„Wer sagt, dass ich das tue?“, neckte sie ihn.

Er grinste. „Ich weiß alles. Ich sehe alles.“

Als sie abermals lachte, trank er noch einen Schluck Wasser. Dabei fiel ihr der übel aussehende Kratzer über seinem Ellenbogen auf. „Was ist dir denn da passiert?“

„Wo?“ Er folgte ihrem Blick und sah auf seinen Arm herab. „Ach, das.“ Er zuckte mit den Schultern und ließ den Arm sinken. „Ich war dabei, ein paar von meinen Fotos aufzuhängen, und bin gestolpert. Dabei habe ich mich an einem Nagel verletzt.“

„Autsch“, sagte sie. Als sie sachte mit dem Finger über die Wunde fuhr, zuckte er zusammen, als müsste er einen heftigen Schmerz unterdrücken. „Du meine Güte, Nat. Hat es sich entzündet? Was hast du draufgetan?“

Er entzog ihr seinen Arm und sah ein wenig schuldbewusst aus, als er antwortete: „Wasserstoffperoxid. Ist schon okay. Ich mach noch mal was drauf, wenn ich nach oben gehe.“

Sie runzelte die Stirn, widersprach aber nicht. „Das solltest du doch sowieso nicht tun. Ich hab doch gesagt, ich würde dir deine Sachen einrahmen und aufhängen. Du brauchst mehr Farbe in deiner Wohnung.“ Ihr Bruder war ein begnadeter Fotograf, aber die meisten seiner tollen Bilder hatte er in Kisten verstaut, und er besaß nicht das geringste Gespür für eine wohnliche Atmosphäre. Seit mehr als einem Jahr hatte sie ihm schon versprochen, seine Aufnahmen in bunte Rahmen zu stecken und an seinen schrecklich langweiligen kahlen Wänden zu arrangieren. Doch weil sie leider eine furchtbar nachlässige Schwester war, hatte sie sich noch nicht darum gekümmert.

„Kein großes Ding“, beruhigte er sie. „Und es ist nicht in Ordnung, dass du versuchst, das Thema zu wechseln.“ Anklagend zeigte er mit dem Finger auf sie. „Ich merke das.“

Sie verdrehte die Augen. „Mir geht es gut. Ehrlich.“ Die Arme ausbreitend, fügte sie hinzu: „Ich fühle mich pudelwohl.“

„Du bist ängstlich“, widersprach er und streckte ihr eine Hand hin. „Das gefällt mir nicht.“

Ach, sie konnte sich wirklich glücklich schätzen, einen großen Bruder mit solch einem Beschützerinstinkt zu haben. Sie ergriff seine Hand und drückte sie. Seit dem Tag, als ihre Mutter die Familie verlassen hatte, war es Nat gewesen, der die Rolle eines Elternteils übernommen hatte. Ihm war auch kaum was anderes übrig geblieben, da ihr Dad viel zu sehr mit seinen Büchern beschäftigt gewesen war, als dass er an diesem Posten groß Interesse gehabt hätte.

Nats Vater war gestorben, als Nat fünf Jahre alt gewesen war, und Ashley, seine Mutter, hatte Kendall Archer geheiratet, der unverzüglich den kleinen Jungen adoptierte. Ein paar Jahre später kam Ronnie zur Welt. Zwei Tage nach Ronnies fünftem Geburtstag entschied Ashley Archer, dass sie ihrer Mutterrolle überdrüssig war. Sie verschwand und tauchte nie wieder auf. Nat, der damals zwölf war, erwies sich während der nächsten Jahre für Ronnie als Fels in der Brandung. Er half ihr durch die schwierige Teenagerzeit und hielt ihre Hand, als ihr Vater starb.

Aber inzwischen war sie dreißig, und Nats Vaterrolle hatte sich irgendwie überholt.

Doch als sie ihm das sagte, schüttelte er nur den Kopf. „Es ist mir egal, wie alt du bist, Ron. Du bist und bleibst meine kleine Schwester, und ich werde immer ein Auge auf dich haben.“

Leicht genervt entzog sie sich ihm. „Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst. Es war nur ein Einbruch. Der Elektriker kommt morgen, um die Alarmanlage wieder anzuschließen.“

Nat presste die Getränkedose gegen seine Stirn. „Na, dann klingelt bei dem ja wieder die Kasse“, sagte er. „Dein Laden hier ist ein Fass ohne Boden, Ron.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann kannst du das ja reparieren.“

Er schüttelte den Kopf. „Das übersteigt leider meine Fähigkeiten, fürchte ich.“

Sie bezweifelte es. Ihr Bruder war eigentlich ein ganz guter Handwerker. Er hatte sich in seiner Wohnung eine hochmoderne Dunkelkammer eingerichtet, samt spezieller Beleuchtung und sonstiger Ausstattung. Aber er war auch ein wenig faul. Mit dem richtigen Anreiz war er zu allem in der Lage. Ohne Anreiz wurde nie etwas fertig.

Sie liebte ihn, aber das hieß nicht, dass sie seinen Fehlern gegenüber blind war.

„Komm schon, Ron. Wir sitzen hier auf einem verdammten Vermögen. Verkauf den Laden, verkauf das ganze Haus, und wir brennen nach Paris durch. Ich mache Fotos, und du kannst an deiner Doktorarbeit schreiben.“

„Nat, diese Diskussion haben wir doch schon oft genug geführt. Ich verkaufe nicht.“ Wann begriff er es denn endlich? Schon mehr als einmal hatten sie über das Thema gesprochen, und sie hatte verdammt noch mal nicht vor, das Ganze jetzt, mitten in der Nacht, noch einmal durchzukauen. Das war ein Brocken, der ihr nur wieder auf den Magen schlagen würde.

Seine Brust hob und senkte sich. „Na gut. Wie du willst. Ich meine, hey, ich wohne in einer tollen Wohnung im Gramercy Park, für die ich nicht einen Cent zahlen muss. Es ist ja nicht so, dass ich mich beschwere.“ Er sah sie an, und der Blick aus seinen braunen Augen war ernst und besorgt. „Aber wenn meine Schwester die ganze Nacht aufbleibt, weil sie Angst hat, dann frage ich mich natürlich, ob sie nicht vielleicht mal einen Tapetenwechsel braucht.“

„Ich habe keine Angst“, erwiderte Ronnie. „Ich habe gearbeitet.“ Das war immerhin die halbe Wahrheit. Sie hatte gearbeitet, aber nur, weil sie zu aufgedreht war, um schlafen zu können. „Außerdem“, fügte sie hinzu, in der Hoffnung, ihren Bruder damit zu beruhigen, „sind die Cops ja an dem Fall dran. Es gibt also nichts, worüber man sich Sorgen machen muss.“

Er lehnte sich zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch. „Haben die denn schon irgendwelche Fortschritte gemacht?“

Sie hatte keine Ahnung. „Reichlich. Sie haben zig Spuren.“ Vielleicht dachten die bei der Polizei ja, es sei ein völlig belangloser Fall, und hielten es daher nicht für nötig, sie auf dem Laufenden zu halten. Es war ja auch kaum etwas weggekommen. Wobei genau das der Punkt war, der ihr einen Schauder über den Rücken trieb.

„Ronnie“, sagte Nat und riss sie damit aus ihren Gedanken.

„Was?“

„Was für Spuren?“

„Oh. Ich weiß nicht. Einfach nur Spuren.“ Sie musterte ihre Fingernägel.

„Du meine Güte, Ron. Wir wohnen hier. Wir haben ein Recht darauf zu erfahren, was sie rausgefunden haben.“

Sie zuckte mit den Schultern und wünschte, sie könnte ihm etwas Handfestes berichten. Verdammt, sie wünschte, sie hätte überhaupt mal mit einem Polizisten gesprochen. „Du weißt doch, wie vage die Cops sein können.“

„Ich weiß, wie vage meine Schwester sein kann.“

Ronnie seufzte. Sie wusste, wann sie sich geschlagen geben musste. „Okay. In Ordnung. Ich möchte, dass du in ein paar Tagen in den Flieger zu den Galapagosinseln steigst. Was muss ich machen, damit du es auch wirklich tust“?

Langsam breitete sich ein selbstgefälliges Grinsen auf seinem Gesicht aus. „Na ja, kleines Schwesterlein, ich denke, du könntest entweder den größten, fiesesten Bodyguard anheuern, den du finden kannst, damit er nachts hier sitzt und Wache hält …“

„Wohl nicht.“

„… oder du wirst die Cops bezirzen müssen, um ihnen ein paar Informationen zu entlocken.“

2. KAPITEL

„Arbeitest du schon oder immer noch?“

Die mehr oder weniger vertraute Stimme drang durch Jacks benebeltes Hirn und fügte sich schließlich zu einem zusammenhängenden Gedanken – Irving. Die Stimme gehörte zu Lieutenant Irving. Stöhnend pellte er sein Gesicht vom Staatsschreibtisch und blinzelte den Fragesteller an. „Was?“, krächzte er. Keine sonderlich geistreiche Erwiderung, aber mehr brachte er im Augenblick nicht zustande.

Dan Irving grinste und stellte einen Kaffeebecher auf den Tisch. „Du brauchst ihn mehr als ich.“ Er hob eine Tüte hoch und schüttelte sie. „Aber die Donuts behalte ich. Muss ja schließlich darauf achten, dass wir hier nicht von den Klischees abweichen.“

Jack trank einen Schluck flüssigen Himmel, schloss die Augen und ließ sich von dem glücklicherweise legalen Aufputschmittel das Gehirn wiederbeleben. „Das mit dem Feuer, das kann ich ja noch verstehen. Aber was ich einfach nicht begreife, ist, wie die Leute in grauer Vorzeit ohne Koffein überlebt haben.“

„Das nennst du überleben?“ Irving machte eine ausladende Handbewegung, die das gesamte Büro umfasste. „Die Tiere im Central Park haben bessere Gehege als wir.“

Jack grinste und hob den Kaffeebecher. „Aber wir haben den besseren Speiseplan.“

Der Lieutenant drehte sich einen Holzstuhl herum, setzte sich rittlings darauf, und Jack schob ihm eine Fotokopie von Mrs Crawleys Kissen-Botschaft rüber. „Was hältst du davon?“

Irving nahm die Kopie und hielt sie dann immer weiter von sich weg, so als wollte er Posaune spielen, bis er schließlich den Arm ganz ausgestreckt hatte. Jack unterdrückte ein Lachen. Der Lieutenant weigerte sich, nachzugeben und sich eine Lesebrille anzuschaffen, aber wenn seine Augen noch schlechter wurden, dann würde er bald längere Arme brauchen.

Keine Angst, mein Engel.“ Irving runzelte die Stirn. „Eine Drohung. Aber da ist noch was anderes. Irgendwie klingt die Sprache seltsam. So gestelzt.“

„Das habe ich auch gedacht.“

„Der Crawley-Fall?“

Jack nickte. „Das ist jetzt schon der dritte Vorfall. Diesmal ist der Täter sogar bis ins Schlafzimmer vorgedrungen. Es erübrigt sich wohl zu erwähnen, dass Mr und Mrs Crawley nicht sonderlich erfreut darüber waren.“ Er schnappte sich erneut die Kopie und blickte grimmig auf die säuberlich getippten Worte. „Das ist merkwürdig. Es scheint irgendein Zitat zu sein, das könnte noch wichtig werden.“

„Dann finde heraus, woraus unser Täter zitiert.“

„Bin schon dabei.“ Jack grinste. „Oder besser gesagt, Donovan ist schon dabei.“

Irving lachte. „Was heckst du wieder aus, Parker?“

„Ich mach nur meinen Job. Hab meinen Partner heute Morgen um halb sieben angerufen und ihm gesagt, er solle einen Literaturprofessor für uns auftreiben.“

„Lass mich raten, Donovans Mädel der Woche war darüber nicht gerade begeistert?“

„Vermutlich nicht.“ Jack musste ein Lächeln unterdrücken, als er an die deutliche Verärgerung in der Stimme der Frau dachte, die das Telefon abgenommen hatte. Er grinste. „Na ja, wenn man Probleme mit Schichtdienst hat, dann darf man sich eben nicht mit einem Cop einlassen.“

In Anbetracht der Tatsache, dass sich Jack die ganze Nacht mit den Beweisen um die Ohren geschlagen hatte, während Donovan die seine vermutlich auf sehr viel unterhaltsamere Weise – und ganz und gar nicht allein – verbracht hatte, verspürte Jack kein allzu schlechtes Gewissen, die beiden geweckt zu haben. Und es war ja wirklich so, dass er jemanden auftreiben musste, der dieses Zitat zuordnen konnte – vorausgesetzt, es handelte sich tatsächlich um eines. Da sie sonst so gut wie nichts hatten finden können, war es die beste Spur, die sie besaßen. Verdammt, es war genau genommen ihre einzige Spur.

„Wie kommt’s, dass du auf diesen Fall angesetzt worden bist?“, fragte Irving. „Kümmert sich die Abteilung für Sexualverbrechen jetzt schon um Papierschnipsel?“

Jack schüttelte den Kopf. „Unser Täter hat eine Schwäche für Erotika. Auszüge aus Büchern und ein paar hübsche, sehr anschauliche Akt-Postkarten.“

Irving zog einen Donut aus der Tüte, reichte diese dann an Jack weiter und stand auf. „Lass mir mal eine von den Postkarten zukommen, und wir sind quitt.“

Jack lachte, und als sein Magen laut knurrte, fiel ihm ein, dass er seit gestern Mittag nichts mehr gegessen hatte. Er griff sich einen Apfel-Donut und hatte schon die Hälfte davon verschlungen, ehe Irving noch den Mannschaftsraum der Wache durchquert hatte.

Jack wischte gerade die Krümel von seinem Schreibtisch, als Donovan auftauchte und sich auf den Stuhl fallen ließ, den Irving gerade verlassen hatte.

„Dir ist hoffentlich klar, dass du mir was schuldest“, erklärte Donovan.

Jack nickte. „Das ist doch nichts Neues. Hast du jemanden gefunden?“

Sofort war Donovan wieder beim Geschäftlichen. „Einen Gastdozenten für das Fachgebiet Weltliteratur. Keine Sommerkurse. Die Familie war jahrelang im Buchhandel tätig. Müsste so gegen neun Uhr hier sein, um mit dir zu reden.“

„Gut. Ich muss wegen des Bleeker-Falls um elf im Gericht sein, das passt also hervorragend.“

„Ich lebe, um zu dienen.“ Donovan lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Vergiss die Weste nicht“, fügte er hinzu.

„Würde mir im Leben nicht einfallen“, erwiderte Jack. Der Bleeker-Fall hatte sich zu einer ziemlich abscheulichen Sache entwickelt, Kinderpornografie, Verbindungen zur Mafia, alle möglichen Spielarten von Scheiße. Und auf der Straße wurde gemunkelt, Darian Bleeker habe vor, sich der Zeugen einfach zu entledigen. Kevlar war für einen modebewussten Detective geradezu unerlässlich geworden. Jack hasste die schusssichere Weste, aber er fügte sich und trug das Ding, wenn er als Zeuge aussagen musste. Sie war verdammt unangenehm in der sommerlichen Hitze, aber immer noch besser, als niedergestreckt zu werden.

Donovan riss sich eine Ecke von Jacks Apfel-Donut ab. „Sieht so aus, als wärst du die ganze Nacht hier gewesen, was? Hast du noch irgendwas gefunden?“

„Nicht wirklich.“

„Fingerabdrücke?“

„Das Labor sagt Nein.“

„Was ist mit dem Papier?“

Jack schüttelte den Kopf. Das Fehlen jeglicher Spuren machte ihm zu schaffen. „Keinerlei Anhaltspunkte. Sieht nach ziemlich normalem Briefpapier aus. Aber dies …“ Er schob die Fotokopie wieder über den Schreibtisch. „Fällt dir daran irgendetwas auf?“

Donovan zuckte mit den Schultern. „Sollte es?“

„Das e ist ein klein wenig nach oben gerutscht. Das ist einem der Typen aus der Forensik aufgefallen.“

„Eine Schreibmaschine? Echt? Soll das heißen, unser Täter kann nicht mit dem Computer umgehen?“

„Könnte eine erste Spur sein – aber nur, wenn wir die zugehörige Maschine finden.“

Donovan verzog das Gesicht. „Na toll. Es gibt bestimmt noch Tausende von Schreibmaschinen in Manhattan und Umgebung. Ich fang mal an, die Trödelläden abzuklappern“, spottete er.

„Ich hoffe, dein Professor kann uns weiterhelfen“, meinte Jack.

„Das glaub ich dir aufs Wort.“ Donovan blickte auf seine Armbanduhr. „In der Zwischenzeit gehe ich mal ins Labor und frag, ob jemand Schreibmaschinen als Hobby hat.“

Jack trank einen großen Schluck Kaffee. „Viel Spaß.“

Als Donovan den Raum verließ, holte Jack die Beweisstücke heraus, über denen er die ganze Nacht gebrütet hatte – der Brief vom Kopfkissen, zwei Seiten, die aus dem Buch Lady Chatterley herausgerissen waren, eine Postkarte, auf der eine halb nackte Frau abgebildet war, und drei weitere, die Männer und Frauen in Positionen zeigten, die Jack durchaus auch mal ausprobieren würde – vorausgesetzt, die richtige Frau lief ihm über den Weg.

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