Dunkelglanz - Obsession

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Der Publikumsliebling wird heißer– das prickelnde Spin-off der SPIEGEL-Bestsellerserie »Obsidian«

Er ist ein Arum. Geboren, um zu töten. Im Auftrag der Regierung macht Hunter Jagd auf die Bösen. Diesmal erhält der attraktive Alien allerdings einen außergewöhnlichen Auftrag: Er soll nicht Serenas Leben nehmen, sondern schützen. Die junge Frau wird von Hunters Feinden, den Lux, bedroht, da sie denken, dass Serena im Besitz von brisanten Informationen ist. Aber nicht nur seine neue Rolle als Bodyguard verwirrt Hunter, denn mit jedem Tag fühlt er sich mehr zu Serena hingezogen. Doch er darf sich keine Ablenkung erlauben, wenn er Serena nicht verlieren möchte …

Wenn der Böse zum Helden wird und plötzlich auf der Seite des Lichts kämpft ...

Mit »Dunkelglanz – Obsession« kehrt Jennifer L. Armentrout in die Welt ihrer SPIEGEL-Bestsellerserie »Obsidian« zurück. Der Roman ist zeitlich zwischen Band 3 und 4 angesiedelt, jedoch als Einzeltitel lesbar.

»All das, was Armentrout-Fans lieben, garantiert: eine schlagfertige Heldin, ein düsterer Held, Action und Abenteuer.«Romantik Times Book Reviews


  • Erscheinungstag 31.01.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783745750539
  • Seitenanzahl 320
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für all jene, die unbedingt sehen wollten,
wie diese Welt erwachsen aussieht.
Dies ist für euch …

1

SERENA

Im schummerigen Licht der Bar, das so gerade eben noch nicht als dämmerig zu bezeichnen war, starrte ich meine beste Freundin mit offenem Mund an. Das sah wahrscheinlich ziemlich blöd aus, aber Mel schien offiziell durchgedreht zu sein.

Das war die einzig vernünftige Erklärung.

Oder Mels Drink war verdammt viel stärker als meiner.

Wir beide waren wie Erdnussbutter und Marmelade, seit ich in der ersten Klasse meine Schokoladen-Cupcakes mit ihr geteilt hatte. Dabei hatten eine Klapperschlange und ein Hase mehr gemeinsam als wir. Mel war schon immer die Verrückte gewesen, die ständig unterwegs war, während ich mich gern mit einem Buch in eine Ecke setzte oder gemütlich einen Film schaute. In all den Jahren hatte niemand je verstanden, wie es sein konnte, dass wir so dicke miteinander waren, doch Freundschaften, die mit Cupcakes beginnen – und Schokolade noch dazu – können nur aufrichtig und ehrlich sein.

Ich trank einen großen Schluck von meiner Rum Cola, und der Alkohol brannte so stark in meiner Kehle, dass sich alles in mir zusammenzog. »Mel, das klingt …«

»Krank? Ich weiß. So fühle ich mich auch, und ich würde es ja auch niemals glauben, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, und meine blauen Sehschätzchen sind dank der Laseroperation zu 100 Prozent scharf.« Mel zeigte mit zwei Fingern auf ihre Augen. An beiden Nägeln blätterte der Lack ab, was gar nicht zu ihrer sonst so glamourösen Art passte. »Aber, Serena, ich weiß, was ich beobachtet habe, und ich sage dir, Phillip ist kein Mensch.«

Da! Jetzt hatte sie es schon wieder gesagt: kein Mensch. Skeptisch beäugte ich Mels halbvolles Glas. Hatte sie vielleicht schon vor unserem Treffen etwas getrunken? Oder was geraucht? Sofern die aufgeregte Sprachnachricht, die ich während meiner Arbeit in der Schule von ihr erhalten hatte, und das darauffolgende Gespräch irgendein Maßstab waren, könnte sogar Crystal Meth im Spiel gewesen sein. Mel feierte gern, hielt sich allerdings normalerweise von harten Drogen fern. Dachte ich zumindest. Langsam begann ich zu zweifeln.

Ich beugte mich vor und richtete meinen Blazer, ehe ich die Arme auf dem runden Tisch verschränkte. Verdammt, ich wünschte, ich hätte Zeit gehabt, mir schnell zu Hause etwas Bequemeres anzuziehen. Solche Situationen waren in Yogahose und Flipflops definitiv leichter zu meistern. Man war dann einfach viel offener für verrückte Dinge. »Die meisten Kerle sind nun mal nicht besonders menschlich, Mel.«

Sie kniff die Augen zusammen und funkelte mich böse an. »Mag sein, aber die meisten Kerle verwandeln sich nicht in beschissene Glühlampen, verdammt! Vandersons Söhne jedoch schon. Beide!«

Neugierig schaute das Paar vom Nebentisch zu uns herüber. Ich hätte mich am liebsten unter dem Tisch verkrochen, stattdessen drückte ich sanft Mels Hand. »Wie? In eine Glühlampe?« Ich sprach so leise wie möglich, auch wenn es sinnlos war. Mel war schon immer laut gewesen. Und es war Wahlkampf, weshalb sofort alle die Ohren spitzten, wenn Senator Vandersons Name fiel.

»Ja. Sie haben gestrahlt wie Neonröhren, oder … erinnerst du dich noch an dieses Spielzeug für Babys, das man drücken konnte, und dann fing es an zu leuchten?«

»Du meinst diesen überdimensionalen Glühwurm?«

»Ja, genau den!« Mel entzog mir ihre Hand und strich sich durch ihr kinnlanges, rabenschwarzes Haar. »Phillip war wie so ein Glühwurm, nur viel heller.«

Oha. Sie war wirklich verrückt geworden. »Habt ihr zufällig irgendetwas getrunken oder geraucht …«

Mel schlug so hart mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser klirrten. »Es gibt nichts auf der Welt, das man trinken oder rauchen könnte, um so etwas zu sehen.«

»Schon gut, schon gut.« Kapitulierend hob ich die Hände. »Ich verstehe es nur nicht, Mel. Und lass den Tisch in Frieden. Der kann schließlich nichts dafür.«

Seufzend atmete sie aus. »Ich bin einfach … schockiert. Er hat mich gesehen. Sein Bruder hat mich gesehen. Und ich weiß, dass sie wissen, dass ich sie gesehen habe.«

Ich war unsicher, wie ich reagieren sollte. Ich merkte, wie sehr Mel unter Schock stand. Klar, sie regte sich schnell auf – über Grashüpfer im Haus, Äste im Garten, die Schlangen sein könnten, und … flatternde Schmetterlinge in der Luft, aber so hatte ich sie noch nie erlebt. Dies war anders.

Irgendetwas hatte ihr tatsächlich Angst gemacht.

»Mir war klar, dass es mit Phillip früher oder später Ärger geben würde«, sagte ich schließlich und schob mir eine widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr. »Als Sohn des Senators kann er nur verdorben sein. Wahrscheinlich ist er …«

»Wahrscheinlich ist er auch einer von denen … der Senator!«

Himmel noch mal! Wenn Mel weiter so brüllte, würden wir uns hier nie wieder blicken lassen können. Ich wünschte, jemand würde die Musik lauter stellen und am besten auch noch gleich das Licht ausschalten. An einem Montagabend wie diesem war hier im Fast Times nicht besonders viel los, sodass die anderen Gäste von einem Gespräch ohnehin mehr mitbekamen, als einem lieb war.

Mel genehmigte sich einen großen Schluck Rum Cola. »Es war in seinem Apartment und nicht in Grandview.«

Grandview war eine exklusive geschlossene Wohnanlage am Fuß der Flatirons, wo Leute wie der Senator und andere wichtige Bürger der Stadt lebten. Am Eingang befand sich ein absurd hohes Tor. Mehr als sechs Meter. Hatten sie Angst, die Russen würden einmarschieren?

»Als er dieses Glühwurmding abgezogen hat?«, fragte ich und spielte mit meinem Strohhalm.

Mel nickte. »Wir haben im Wohnzimmer noch was getrunken, aber kein hartes Zeug. Dann sind wir in sein Schlafzimmer gegangen und hatten Sex – der wie immer super war. Phillip hat echt ein wahnsinniges Stehvermögen.«

Ungeduldig zog ich die Augenbrauen hoch.

»Dann ist sein Bruder gekommen – Elijah.«

»Während ihr Sex hattet?«

»So verlockend die Vorstellung auch wäre, immerhin sind sie Zwillinge, aber nein, nicht während Phillip und ich Sex hatten, am nächsten Morgen.« Sie zupfte am Knopf ihrer Bluse. »Jedenfalls haben sie dann draußen auf dem Balkon angefangen zu streiten. Die beiden kriegen sich ständig in die Haare, und du kennst mich, ich bin eben von Natur aus neugierig.«

»Ja«, stimmte ich lächelnd zu.

»Deshalb habe ich mich angeschlichen und gelauscht. Sie haben über ein Project Eagle und etwas namens Daedalus geredet …«

»Daedalus? Ist das nicht was Griechisches?«

»Das tut jetzt nichts zur Sache, Serena. Lass mich weitererzählen. Sie haben, wie gesagt, darüber gestritten. Elijah war sauer, weil ihr Vater angeblich mit Daedalus alles ruinieren würde, und er meinte, dieses Project Eagle sei eine blöde Idee, was Phillip anscheinend jedoch egal war. Er hat dann daraufhin zu Elijah gemeint, er solle sich um seinen eigenen Kram kümmern und ihren Vater machen lassen. Dass es nicht ihre Baustelle wäre.«

»Okay«, sagte ich langsam, fragte mich allerdings insgeheim, wieso Phillip deshalb zum Glühwurm geworden war.

»Aber Elijah war echt wütend und überzeugt, es würde ihnen noch alles um die Ohren fliegen und dieses Project Eagle sei falsch und gefährlich. Er erwähnte Pennsylvania und einen Ort, an dem Kinder festgehalten würden, und wenn Daedalus je erführe, was sie planten, wäre alles vorbei. An dem Punkt war ich so: Wow, was geht hier ab?« Mels blaue Augen waren sehr groß geworden. »Was Elijah danach sagte, konnte ich nicht verstehen, weil er zu leise sprach, doch offensichtlich regte es Phillip so sehr auf, dass er seinem Bruder einen harten Stoß versetzte, und dieser rempelte sofort zurück. Zwei erwachsene Männer, die so aufeinander losgingen? Ich hatte echt Angst, dass einer von ihnen übers Geländer fliegen würde. Aber dann … dann passierte es.«

»Das Glühwurmding?«

»Ja.« Sie presste die Handfläche auf die Stirn und kniff die Augen zusammen. Ihr Gesicht, das normalerweise einen gut gebräunten Teint hatte, war aschfahl. »Zuerst war es, als würde er verblassen. Seine Kleidung, sein Körper, alles verblasste einfach, als würde er sich auflösen. Doch dann war er wieder da, allerdings nicht mehr als Mensch, er schien ganz und gar aus Licht zu bestehen

»Okay«, sagte ich erneut. »Und was hast du dann gemacht?«

»Ich bin ausgetickt, wie es jeder normale Mensch tun würde, aber …« Fluchend drückte sie ihre Hand auf den Tisch. »Ich habe die blöde Bierflasche fallen lassen. Sie haben mich gehört. Im nächsten Moment standen beide strahlend und hell leuchtend an der Balkontür …« Mels Unterlippe zitterte. »Sie wissen genau, dass ich sie gesehen habe, klar, denn ich bin sofort rausgerannt, als würde es drinnen brennen. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich war seitdem noch nicht einmal zu Hause. Während ich gewartet habe, dass du von der Arbeit kommst, was sich übrigens wie eine halbe Ewigkeit angefühlt hat, bin ich rumgefahren. Und danach habe ich alles aufgeschrieben, für den Fall, dass …«

»Für welchen Fall?«

»Keine Ahnung. Ich hatte einfach das Gefühl, ich müsste es aufschreiben, bevor ich die Einzelheiten wieder vergesse, und ich bin mir sicher, dass ich bereits etwas vergessen habe. Shit.« Stöhnend richtete sie sich auf ihrem Barhocker auf. »Ich musste die Zeit totschlagen und habe den Zettel schließlich in mein Postfach gelegt, zu dem ich hingefahren war, um nachzuschauen, ob was Neues da ist, weil ich völlig neben der Spur war.«

Ich rutschte auf meinem Barhocker zurück und wusste nach wie vor nicht, wie ich mit der Sache umgehen sollte. Mel war sichtlich aufgewühlt, also musste tatsächlich etwas vorgefallen sein. Wahrscheinlich nicht das, was sie dachte, aber doch irgendetwas, und ich fühlte mit ihr.

»Ich habe Angst nach Hause zu gehen. Phillip weiß, wo ich wohne.« Mel leerte ihr Glas.

»Wann ist es passiert? Heute Morgen?«, fragte ich eindringlich.

Mel nickte.

»Warst du bei der Arbeit?«, hakte ich weiter nach, weil mir plötzlich ein beunruhigender Gedanke kam.

»Was? Nein, natürlich nicht! Wie hätte ich nach so was arbeiten gehen können?« Mel erschauderte. »Und außerdem kann Phillip mich dort auch finden.«

Meine Brust zog sich zusammen. Und wenn mit Mel wirklich etwas nicht stimmte? Wenn nicht nur die Fantasie mit ihr durchgegangen war, sondern etwas Ernstes dahintersteckte? Durch meine Ausbildung hatte ich die Liste der möglichen Diagnosen sofort parat: Nervenzusammenbruch mit Realitätsverlust, Schizophrenie, Panikattacke mit Halluzinationen oder gar ein Hirntumor? Möglich war alles. »Mel …«

»Hör auf mit deinem ›Mel‹.« Ihre Stimme überschlug sich fast. »Mir ist klar, dass ich mich anhöre, als wäre ich verrückt geworden, und an deiner Stelle würde ich genauso denken, aber ich weiß auch, was ich gesehen habe. Er ist kein Mensch. Und sein Bruder auch nicht. Ich habe keine Ahnung, was er ist – vielleicht ein staatliches Experiment oder was weiß ich, vielleicht ein Alien. Ich habe keinen Schimmer.«

Ein Alien? Es war wirklich höchste Zeit, die Bar zu verlassen. »Wie wär’s, wenn du mit zu mir kommst?«

»Echt?« Sie klang hoffnungsvoll. »Du würdest mich mit zu dir nehmen? Wahrscheinlich glaubst du, ich hab sie nicht mehr alle.«

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wofür hat man eine beste Freundin, Honey? Das ist eine besondere Situation, und ich werde dir helfen. Ich habe noch einen großen Rest Lasagne und Schokoladeneis im Kühlschrank. Wir können uns den Magen vollschlagen und dabei nach einer Lösung suchen.«

»Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen. Ich war viel zu nervös.« Mel lächelte, wenn auch nur schwach. »Du bist die Beste, Serena. Und das meine ich ernst.«

»Ich weiß.« Ich grinste sie verschwörerisch an. »Bleib hier, ich kümmere mich mal um die Rechnung.«

Mel nickte und kramte dann in ihrer Handtasche.

Ich sprang auf und griff nach meiner eigenen Tasche. Die erstaunten Blicke der anderen Gäste ignorierend, bahnte ich mir einen Weg zwischen den Tischen hindurch.

Rasch beglich ich die Rechnung – wie eigentlich immer. Mel hatte einen erlesenen Geschmack, behielt aber leider selten einen Job lange genug, um es zu einem dazu passenden Gehalt zu bringen. Bislang war ich nicht wirklich dahintergekommen, woran es lag, denn sie war intelligent und hatte eine gute Ausbildung, doch anscheinend gab sie sich einfach keine Mühe. Allerdings war Mel, genau wie ich, erst 23. Ihr blieb also wahrscheinlich noch genug Zeit, ein bisschen beständiger zu werden und etwas aus ihrem Abschluss in Erziehungswissenschaft zu machen, für den sie so hart gearbeitet hatte, statt sich von überkandidelten reichen Typen ablenken zu lassen.

Nachdem ich bezahlt hatte, kehrte ich zu Mel zurück und hakte sie unter. »Bist du bereit?«

Sie nickte nur, und wir traten schweigend in die abendliche Mailuft hinaus. Auf dem Gehsteig kam uns eine Gruppe Männer entgegen, die ihre Jacketts über dem Arm trugen und die Krawatten gelockert hatten. Einer von ihnen, ein großer Blonder, pfiff leise und schob ein »Hi, Süße« hinterher, was bei Mel jedoch auf taube Ohren stieß. Allein die Tatsache, dass sie einen Mann, der sich ganz offensichtlich für sie interessierte, keines Blickes würdigte, zeigte mir, dass etwas nicht stimmte, selbst wenn ich nicht wüsste, wie sehr ihr das Erlebnis vom Morgen zugesetzt hatte. Ich war ernsthaft besorgt, während wir zum Parkhaus hasteten. Wenn sich Mels Zustand auch nach Lasagne und Eis nicht bessern sollte, müsste ich sie dazu bringen, sich mal mit jemandem zu unterhalten, überlegte ich – mit jemand anderem als mir.

Durch unsere Freundschaft wäre es mir nicht möglich, eine unbefangene Diagnose zu stellen, außerdem hatte ich noch nie wirklich eine Diagnose gestellt. Zwar war ich psychologisch ausgebildet, bekam es aber in der Praxis durch meine Tätigkeit an der Schule nur mit einer sehr begrenzten Bandbreite an psychischen Problemen zu tun.

In der Tiefgarage war es kühler und dunkler als draußen, und in der letzten Reihe, in der ich den einzigen freien Platz gefunden hatte, war es absolut finster. Mels Wagen stand zum Glück ganz vorn, in der Nähe des Eingangs.

Als wir bei ihrem roten Audi ankamen, suchte sie in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel. »Du hältst mich doch für verrückt, oder?«

»Nein, natürlich nicht«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.

Mel schien nicht überzeugt. »Doch, du siehst aus, als würdest du im Kopf gerade eine Liste der Geistesstörungen durchgehen, an denen ich leiden könnte.«

»Das stimmt nicht.« Dann grinste ich kurz. »Das habe ich schon vorhin gemacht.«

Lachend umarmte mich Mel. »Danke. Das meine ich ernst. Ich mag jetzt wirklich nicht allein sein.«

Ich drückte sie an mich. »Schon gut. Wie gesagt, gemeinsam finden wir eine Lösung.«

Mel löste sich von mir und öffnete die Tür. »Ich warte auf dich.«

Ermutigend lächelte ich ihr zu und eilte dann, so schnell mich meine klappernden Absätze trugen, zwischen den eng aneinanderstehenden Autos hindurch in Richtung meines Wagens. Ich hatte Parkhäuser noch nie gemocht. Kaum etwas fand ich unheimlicher.

Obwohl ich zugeben musste, dass eine Unterhaltung über leuchtende Senatorensöhne dem schon sehr nahe kam.

Allein bei dem Gedanken daran spürte ich wieder dieses ungute Ziehen in der Brust. So verletzlich wie gerade eben in der Bar hatte ich Mel nie zuvor erlebt. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihr wirklich helfen sollte, doch egal, was in Mels Kopf vorging, ich würde für sie da sein. Genauso wie Mel für mich dagewesen war, als meine Mom in unserem ersten Jahr auf der Highschool bei einem stümperhaften Raubüberfall ihr Leben verloren hatte. Ohne Mel wäre ich damals ganz allein gewesen. Zu meinem ständig abwesenden Vater hatte ich nie ein gutes Verhältnis gehabt. Mel und ich hingegen hatten uns unzählige Male gegenseitig unterstützt – bei kleinen Dinge und großen Krisen. Und das würde dieses Mal nicht anders sein.

Endlich erreichte ich meinen kleinen Honda und hatte gerade den Schlüssel aus der Handtasche geholt, als mir der Schulterriemen in die Armbeuge rutschte und mein Unterarm durch den Ruck nach oben schnellte. Der Schlüssel fiel auf den schmutzigen Boden.

»Na super«, murmelte ich und beugte mich so weit hinunter, wie es der Bleistiftrock zuließ. Ich griff nach dem Schlüssel und richtete mich wieder auf. Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr und drehte den Kopf in die entsprechende Richtung. Die Tiefgarage war nicht riesig, sodass ich Mels Hinterkopf durch die Heckscheibe ihres Wagens erkennen konnte.

Ich war mir sicher, dass sie es war, die sich bewegt hatte. Gerade wollte ich mich wieder zurückdrehen, da sah ich an den breiten Türen links und rechts von der Ausfahrt einen großen Mann hinter einem Pfeiler hervortreten. Zielstrebig schritt er durch die Garage, und als er in einen Bereich gelangte, in den Licht von außen hereinfiel, schnappte ich nach Luft.

Nicht zu verachten, der Typ …

Ich konnte kaum glauben, wie attraktiv der Kerl war: Er war groß, hatte sandblondes Haar und hätte glatt einem Modemagazin entsprungen sein können. Die Jeans saß wie angegossen, als wäre sie für seine langen Beine maßgeschneidert worden. Ich starrte ihn unverhohlen an, da ich mir sicher war, in meiner dunklen Ecke für ihn unsichtbar zu sein … vielleicht lief mir sogar ein bisschen Speichel aus den Mundwinkeln.

Wahrscheinlich sogar ganz schön viel.

Ich war gerade dabei zu bewundern, wie gut seine Jeans den Hintern zur Geltung brachte, als er unter einem Oberlicht entlangging und – wie war das möglich? – spurlos verschwand. Er war einfach verschwunden! Als hätte ich ihn weggeblinzelt oder als wäre er in ein schwarzes Loch gesogen worden. Eben war er noch da gewesen und im nächsten Moment auf einmal nicht mehr.

Alarmiert machte ich einen Schritt nach vorn. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Träumte ich? Oder waren Mels Halluzinationen ansteckend, denn das Ganze erinnerte doch stark an das, was sie mir in der Bar erzählt hatte, aber …

Plötzlich entdeckte ich ihn rechts hinter Mels Wagen wieder. Wie war er da hingelangt, ohne dass ich es bemerkt hatte? Aber er stand jetzt dort, mit zur Seite geneigtem Kopf, daran bestand kein Zweifel.

Der Schreck fuhr mir derart in die Glieder, dass ich wie einzementiert reglos stehen blieb. Der Autoschlüssel baumelte nutzlos in meiner Hand. In meinem Kopf hörte ich Mels Worte aus der Bar.

Er ist kein Mensch.

Benommen beobachtete ich, wie der Mann einen Arm hob. Zur gleichen Zeit öffnete sich die Fahrertür und Mel streckte den Kopf heraus, als hätte er sie gerufen und ich ihn nur nicht gehört, weil mein Herz so laut klopfte. Ich wollte Mel warnen, doch die Worte blieben mir im Hals stecken, weil die Luft auf einmal wie elektrisch aufgeladen war. Jedes einzelne Härchen an meinem Körper stellte sich auf. Über uns begannen die Lichter zu flackern, dann brannte eine Lampe nach der anderen durch. Wie Regentropfen prasselten die Funken auf uns herab. Jede Mini-Explosion war wie ein Pistolenschuss, der mein Kreischen übertönte. Ich sprang zurück und stieß gegen die Kühlerhaube meines Wagens.

Es wurde stockdunkel, allerdings nur kurz. Plötzlich leuchtete ein unnatürlich intensives weißlich-blaues Licht im vorderen Teil des Parkhauses auf, und es ging – o Gott … es ging von dem Mann aus! Blitzartig fuhr es aus ihm heraus und strahlte von seiner Schulter den Arm herab, wo es sich knisternd und knackend bis zur Handfläche ausbreitete.

Mel schrie im selben Moment, in dem ich nach ihr rief.

Doch der Lichtimpuls schoss bereits im hohen Bogen von seiner Hand durch die Luft und schlug im Heck ihres Autos ein. Mir blieb das Herz stehen. Der Schlüssel fiel mir ein zweites Mal aus der Hand.

Mels Wagen wurde von dem weißlich-blauen Licht geschluckt. Einen Augenblick lang war alles still. Ich spürte nur, wie es immer heißer wurde, ehe gleißendes Licht aufflammte und eine Explosion die ganze Garage zum Beben brachte.

2

HUNTER

Der Anruf erreichte mich Sekunden, bevor ich in den Privatjet steigen wollte, der mich in die Pampa West Virginias zurückbringen sollte. Fast wäre ich nicht rangegangen, denn wenn das blöde Handy klingelte, bedeutete es meistens Arbeit, auf die ich keine Lust hatte.

Aber »nicht wollen« war leider etwas anderes als »müssen«. Ruppig zog ich das Ding aus meiner Reisetasche und nahm das Gespräch an, ohne vorher aufs Display zu schauen. Viele Leute kamen als Anrufer sowieso nicht infrage. »Ja, was gibt’s?«

Einen Moment lang herrschte Schweigen. »Sich so am Telefon zu melden, ist sehr unhöflich«, hörte ich dann Officer Zombro meckern. Ich konnte mir die verkniffene Miene des steifen Beamten lebhaft vorstellen.

»Und es geht auch unhöflich weiter.« Ich lehnte mich an die nächste Mauer, ohne das Flugzeug aus den Augen zu lassen, das vor mir auf der Rollbahn stand. »Das ist mir nämlich scheißegal.«

»Weißt du überhaupt, mit wem du sprichst?«, keifte er. »Ich bin mir da nicht so sicher. Aber lass uns …«

»Ich weiß genau, mit wem ich spreche«, unterbrach ich ihn. »Worum geht’s? Ich muss zum Flieger.«

»Von deinen Reiseplänen musst du dich leider verabschieden. Wir haben nämlich einen Job für dich.«

Ich umfasste das Handy fester und merkte, wie der dünne Kunststoff nachgab und knackte. Verdammt. Unter größter mentaler Anstrengung lockerte ich den Griff. Ich hatte auf diese Weise schon einige Telefone zerschlissen.

»Einer der Satelliten hat einen Energieausstoß im Hochfrequenzbereich über Boulder gemeldet.« Zombro hatte mein Schweigen offenbar als Zustimmung gedeutet.

Ich legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. »Und? Was soll ich daran ändern?«

»Es gibt erste Hinweise darauf, dass es sich um einen unerlaubten Einsatz der Quelle handelt. Da es in der Gegend eine Lux-Gemeinschaft gibt, brauchen wir deine Unterstützung.«

Langsam hob ich die Lider. Am Horizont verschwand gerade die Sonne hinter den Bergen und ließ das oben abgeflachte Sandsteinmassiv orangefarben leuchten. Winzige Splitter glitzerten darin im Abendlicht. Der verdammte Beta-Quarz.

»Hunter? Hast du mich gehört?«

Zombros Stimme stellte meine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe, zumal ich noch nie besonders gut darin gewesen war, mich zu beherrschen. Ich drückte mich von der Wand ab. »Ja, habe ich.«

»Du bist am nächsten an Boulder dran. Der Pilot hat entsprechende Anweisungen erhalten. Wenn du dort angekommen bist, werden wir dich wieder kontaktieren.«

Zombro beendete das Gespräch, bevor ich mich mit einem aufrichtigen »Ihr kotzt mich an« verabschieden konnte. So machte er es immer, die miese kleine Ratte, weil er auf diese Weise seine Macht demonstrieren konnte. Nervig, wenn auch lächerlich. Zombro war nicht einmal in seinen kühnsten Träumen so gnadenlos stark und tödlich wie ich, und das wusste er ganz genau.

Ich rollte meine Schultern, doch tief in meinen Muskeln blieb die Anspannung. Ich kniff die Augen zusammen und schickte mit meinem Blick eine unmissverständliche Warnung in Richtung Hangar.

Dort zog sich gerade einer meiner Artgenossen ins Dunkel zurück, und zwar zügig, was darauf schließen ließ, dass er einigermaßen schlau war und offenbar am Leben hing. Erst nachdem ich mir sicher war, dass er nichts weiter im Schilde führte und in seinem Versteck bleiben würde, wagte ich es, ihm den Rücken zuzuwenden.

Ich ballte die Hände zu Fäusten, weil es mir in den Fingern juckte, mich in meine wahre Erscheinungsform zu verwandeln. Grundsätzlich trat ich gern als Mensch auf, doch dies war einer der Momente, in denen ich mir wünschte, wirklich ich zu sein. Statt mich von Arschlöchern herumkommandieren zu lassen, nur weil die Regierung den Schein wahren wollte, sie könnten die Lux kontrollieren. Wenn dem so wäre, bräuchten sie mich nicht.

Dann wäre ich allerdings wahrscheinlich tot oder irgendwo in einem Labor eingesperrt, wo man Versuche mit mir machen würde, die alles andere als lustig wären …

Stattdessen war ich dies hier – was auch immer dies hier war.

Diese ganze Geschichte mit dem neuen Lebenssinn war ziemlich schnell abgenutzt. Herumzusitzen und artig die Bitch des Verteidigungsministeriums zu spielen war wider meine Natur. Lore schien damit keine Probleme zu haben, aber mein Bruder war schon immer ein bisschen … anders gewesen. Oder verblendet, je nachdem, wie man es sah.

Und so war ich hier gelandet und hatte mich bereiterklärt, den Job zu übernehmen, denn Lore hatte mich darum gebeten, aus der Schusslinie zu gehen, regelrecht angefleht hatte er mich. Dabei flehten wir eigentlich nie. Doch diese Bitte hatte er ausgesprochen, als wir vor dem Leichnam unserer Schwester standen.

Deshalb war ich hier.

Der Pilot streckte den Kopf aus der Luke. Es war nicht zu übersehen, wie er schluckte. Menschen fühlten sich in Gegenwart unserer Spezies immer unbehaglich. Ein sechster Sinn sagte ihnen, dass sie dem Tod nahe waren, wenn sie mit uns zu tun hatten.

Könnte schlimmer sein, dachte ich und griff nach meiner Reisetasche. Zwar durfte ich nicht nach Hause, dafür aber wenigstens einen Lux töten.

SERENA

»Ich habe Ihnen alles erzählt, was ich weiß – und Sie mögen mich für verrückt halten, doch es wird sich nicht ändern, auch wenn ich es noch so oft wiederhole.«

Detective Jones lehnte sich zurück und richtete die Krawatte um seinen dicken Hals. Sein Gesicht hatte sich von schweinchenrosa zu knallrot verfärbt, seit er den Raum betreten hatte. »Miss Cross, mir ist bewusst, dass Sie eine traumatische Erfahrung gemacht haben …«

»Ich habe miterlebt, wie meine Freundin mit ihrem Auto in die Luft geflogen ist!« Meine Stimme klang schrill. Ich räusperte mich. Meine Augen brannten. »Also ja, das war ziemlich traumatisch, ändert aber nichts daran, was ich heute Abend gesehen habe.«

»Und dieser Mann – wie sah er noch mal aus?«

Ermattet legte ich die Hände auf den dunkelbraunen Tisch. »Ich habe es Ihnen und auch den Kollegen vor Ihnen doch schon gesagt. Er war groß …«

»Wie groß, Miss Cross?« Detective Jones beugte sich vor, wobei ihm der Bauch über den Gürtel hing. »Sie sind ziemlich klein, womöglich kommen Ihnen viele Leute groß vor.«

Was für eine Frechheit! Ich schüttelte den Kopf, war aber zu deprimiert, um beleidigt zu sein. Deshalb beschrieb ich ihn noch einmal, und er machte sich Notizen in einem kleinen Buch. Allerdings war ich mir fast sicher, dass er in Wahrheit nur so tat und irgendetwas dort hineinkritzelte. Seit mehr als fünf Stunden saß ich auf der Polizeistation und erzählte wieder und wieder, was ich zuvor gesehen und gehört hatte. Einerseits war ich wie betäubt und begriff nicht, was passiert war, denn Mel … Mel konnte doch nicht tot sein. Andererseits nahm ich alles überdeutlich wahr – jedes Stuhlknarren, wenn der Detective sein Gewicht verlagerte, jedes Flackern der Neonbeleuchtung, was mich an die schrecklichen Momente in der Tiefgarage erinnerte und alle Hautabschürfungen und beim Sturz in Mitleidenschaft gezogene Muskeln erneut schmerzen ließ.

Ich konnte gar nicht glauben, dass ich noch am Leben war.

Die Explosion hatte mich von den Füßen gerissen, und ich war mit voller Wucht auf dem Hintern gelandet. Trotz der Extra-Polsterung, die ich dort hatte, war der Aufprall alles andere als weich gewesen. Geschlagene zwei Stunden hatte es danach noch in meinen Ohren gedröhnt, und den Geruch von verkohlter Karosserie und verbrannter Haut hatte ich noch immer in der Nase.

O Gott …

Ich erschauderte und griff nach dem mit Wasser gefüllten Plastikbecher, der vor mir auf dem Tisch stand. Ich trank ihn leer, doch gegen den metallischen Geschmack in der Kehle half es kaum. Nachdem ich tief Luft geholt hatte, schaute ich dem schon etwas älteren Detective in die Augen. »Ich sage Ihnen, der Mann hat Mels Auto in die Luft gejagt. Ich habe keine Ahnung, wie er es gemacht hat, aber es war so. Und vorher hatte sie …« Ich presste die Lippen aufeinander. »Mel hatte Angst.«

»Und Sie meinen, sie hatte Angst vor Senator Vandersons Söhnen?« Die Skepsis stand ihm in sein breites Gesicht geschrieben. »Sie hat gesehen, wie sich die Brüder an dem Morgen abnormal verhalten haben? Wie genau hat sie es denn formuliert?«

Wütend starrte ich ihn an. Es war mir unbegreiflich, warum ich das alles noch einmal erzählen sollte. Als wollten sie versuchen zu beweisen, dass ich log, was hirnrissig war, denn wer würde sich so etwas ausdenken? Ich setzte mich zurück und fuhr mir mit den Händen durchs Haar. Das Einzige, was mich noch auf der Polizeistation hielt, war die Hoffnung, dass es irgendwie helfen würde, die Leute zu finden, die für Mels Tod verantwortlich waren.

Vorhin hatten die Beamten die Tür zum Nebenraum offen stehen lassen, und ich hatte mitbekommen, wie sie sagten, dass von Mel nur noch vereinzelte Teile übrig waren.

Mehr nicht – ein ganzes Leben reduziert auf vereinzelte Teile.

Obwohl mir kotzübel war, erzählte ich dem Detective erneut alles, was ich von Mel erfahren hatte, und erwähnte auch die aufgeregten Anrufe und wie nervös sie in der Bar gewesen war. »Ich bin Vertrauenslehrerin an einer Highschool …«

»Sind Sie dafür nicht noch zu jung?« Er zog seine Augenbrauen zusammen.

»Ich habe vor zwei Jahren meinen Abschluss gemacht und arbeite seit ungefähr einem Jahr an der Schule«, erklärte ich geduldig. »So unwahrscheinlich es sich auch anhört, es ist die Wahrheit.«

»Ich glaube Ihnen«, sagte er, während er sich erhob, sein Notizbuch nahm und sich anschickte, den Raum zu verlassen. Ich hätte nicht überraschter sein können. »Ich glaube, dass Sie fest davon überzeugt sind, das Sie gesehen haben, was Sie uns erzählen, und will Ihnen helfen. Ich werde Ihnen helfen, wenn auch vielleicht erst in ein paar Tagen, wenn sich alles ein bisschen gesetzt hat und Sie die Dinge etwas klarer sehen.«

Wutentbrannt sprang ich vom Stuhl auf und war selbst erstaunt, dass ich mich nach allem, was passiert war, überhaupt noch so schnell bewegen konnte, doch der Zorn schien noch einmal all meine Kräfte zu mobilisieren. »Das wird sich nicht ändern. Egal, wie viel Tage vergehen, ich werde Ihnen immer nur dasselbe erzählen.«

Ohne auf meinen Ausbruch zu achten, bedeutete er mir, ich möge mich wieder setzen. »Es bringt Sie gleich jemand nach Hause, okay? Das Parkhaus ist noch gesperrt. Wir hoffen, dass wir es morgen oder übermorgen wieder freigeben können, damit die Leute ihre Autos zurückbekommen.«

Trotzig spielte ich mit dem Gedanken, den Detective zu überwältigen. Die Chancen, dass es mir gelingen würde, standen nicht schlecht, doch plötzlich verließ mich jeglicher Tatendrang, so wie Luft aus einem Ballon entweicht. Matt und verdrossen ließ ich mich wieder auf den Stuhl fallen.

Stirnrunzelnd blieb der Detective in der Tür stehen. »Ich habe noch eine Frage an Sie, Miss Cross.«

Ich rechnete nicht damit, dass es etwas Wichtiges sein würde.

»Sie haben einen Namen genannt. Er fing mit D an? Hat Ihre Freundin darüber noch etwas gesagt?«

»Sie meinen Daedalus?« Der Detective nickte, und ich sank auf meinem Stuhl zusammen. »Ja, irgendwas hat sie darüber erzählt, und über ein Project Eagle, aber ich weiß nicht mehr … ich glaube doch nicht. Wann kann ich gehen?«

Detective Jones sah mich streng an und zwang sich dann zu einem Lächeln. »Dauert nicht mehr lange.«

Mit diesen Worten verließ er den Raum endgültig und schloss die graue Tür hinter sich. Die Stille, die seinem Abgang folgte, war unerträglich. Ich musste all meine mir noch verbleibende Kraft aufbringen, um nicht auszurasten. Ich schloss die Augen und begann langsam von Hundert runterzuzählen. Jetzt den Kopf zu verlieren, wäre nicht gerade hilfreich. Die Leute hier hielten mich ohnehin schon für nicht ganz zurechnungsfähig. Als ich bei 30 angelangt war, öffnete ich die Augen. Sofort brannten sie wieder.

Ich griff nach meiner Handtasche, die ich in all dem Chaos zum Glück noch gefunden hatte, und zog mein Handy hervor. Als ich das Display berührte, stellte ich fest, dass das Telefon tot war, was nicht am Akku liegen konnte, da ich ihn bei der Arbeit aufgeladen hatte. Seufzend schob ich es zurück in die Tasche.

Die Zeit verstrich unendlich langsam und tausend »Was wäre wenn«-Fragen quälten mich: Was wäre gewesen, wenn ich Mel ernster genommen hätte? Was, wenn wir in der Bar geblieben wären? Was, wenn ich darauf gedrungen hätte, dass Mel mit mir fährt? Ich richtete mich auf und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Ich kriegte kaum noch Luft, und alte Wunden aus der Zeit, als meine Mom für die 20 Dollar, die sie bei sich trug, ermordet worden war, rissen wieder auf. Neue Wunden waren hinzugekommen.

Als die Tür geöffnet wurde, fuhr ich erschrocken auf. Ich hatte entweder mit den Beamten gerechnet, die in die Tiefgarage gekommen waren, oder mit dem Detective. Stattdessen traten zwei mir unbekannte Männer ein.

Beide trugen schwarze Anzüge. Einer war deutlich älter als der andere und hatte ein von Falten zerfurchtes und vernarbtes Gesicht. An den Schläfen war sein Haar bereits ergraut. Der zweite Mann, der sich hinter dem ersten hielt, hatte ein Babyface und war wahrscheinlich nur ein paar Jahre älter als ich.

»Miss Cross?« Der Ältere sprach zuerst und zog dabei kurz seine Dienstmarke aus der Brusttasche. »Ich bin Officer Zombro. Wir sind vom Ministerium für Innere Sicherheit.«

Ich setzte mich etwas aufrechter hin, war aber nicht weiter überrascht. Es erschien mir normal, dass explodierende Autos das FBI auf den Plan riefen.

Officer Zombro ließ sich auf dem Stuhl nieder, der noch warm vom Detective war. »Ich weiß, dass Sie sehr erschöpft sind und Sie eine lange und schwierige Nacht hinter sich haben, aber wir brauchen Sie noch kurz, ehe wir Sie nach Hause fahren. Okay?«

Ich sank noch tiefer in den unbequemen Metallstuhl, nickte aber ergeben.

Der jüngere Beamte setzte sich auf die Tischkante, direkt vor mich. Als er lächelte, bildeten sich kleine Fältchen um seine Augen. »Ich heiße Jonathan Richards. Mein Partner und ich möchten Ihnen unser Beileid für den Verlust Ihrer Freundin aussprechen.«

»Danke«, brachte ich mühsam heraus.

Sein Lächeln wirkte mitfühlend, die Augen erreichte es jedoch nicht. Was wahrscheinlich an seinem Job lag. Wie oft hatte er wohl schon in Räumen wie diesem mit Zeugen eines grausamen Verbrechens geredet?

»Uns ist auch bewusst, dass Sie die Ereignisse der Nacht schon mehrfach wiedergegeben haben, dennoch müssen wir Sie leider bitten, es noch einmal zu tun.« Officer Zombros finstere Miene hatte sich seit dem Moment, als er den Raum betreten hatte, nicht verändert.

Den Blick gesenkt, rutschte ich auf meinem Stuhl zurück. Ich versuchte nicht einmal zu protestieren. Je schneller ich es hinter mich brachte, desto eher würde ich diesen Raum mit der abgestandenen, nach verbranntem Kaffee riechenden Luft verlassen können. Also wiederholte ich alles zum x-ten Mal.

»War die Beziehung Ihrer Freundin zu Phillip Vanderson eng?«, wollte Officer Richards wissen.

Ich fragte mich, ob gelegentlicher Sex als enge Beziehung galt. »Sie waren erst seit wenigen Wochen zusammen. Und davor hat sie ihn eigentlich nicht gekannt. Klar, jeder weiß, wer er und sein Bruder sind, aber wir sind nicht unbedingt in den gleichen Kreisen aufgewachsen. Phillip und Elijah waren auf einer Privatschule und …« Ich sprach nicht weiter. Es war ohnehin egal.

Richards nickte mir verständnisvoll zu. »Und vor gestern war so etwas nie Thema gewesen? Ihre Freundin hat nie zuvor etwas Ungewöhnliches erwähnt?«

Ich schüttelte den Kopf. »Das war das erste Mal, allerdings wusste sie, dass ich nicht begeistert war von der … ähm, Beziehung. Die Brüder haben hier in der Gegend einen gewissen Ruf.«

Beide Beamten schienen schon von den rüden und draufgängerischen Playboy-Manieren der Vanderson-Söhne gehört zu haben, denn sie hakten nicht weiter nach. Zombro beugte sich stattdessen vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Sie hat behauptet, die Brüder hätten gestritten, und dann habe sie gesehen, wie Phillip anfing zu leuchten?«

Aus seinem Mund klang das genauso unwahrscheinlich, als wenn ich es sagte. »Ich habe ihr nicht geglaubt, bis ich den Typen in der Tiefgarage sah und mitkriegte, was er getan hat.«

Sie stellten noch einige weitere Fragen – Routinefragen, die ich davor auch schon beantworten musste –, aber sie kamen auch immer wieder auf den Senator zurück. So oft, dass sich mir langsam ein Verdacht aufdrängte: Offenbar gingen die Ermittler davon aus, dass die Söhne etwas mit dem zu tun haben könnten, was passiert war. Als sie endlich zum Ende zu kommen schienen, waren weitere eineinhalb Stunden vergangen, und die schwarzweiße Uhr an der Wand zeigte ein Uhr morgens an.

»Haben Sie eine Ahnung, was Ihre Freundin auf Phillips Balkon gesehen zu haben glaubte?«, fragte Zombro.

Mit der Frage hatte ich nicht gerechnet. »Sie wusste es nicht, meinte aber … sie meinte, er wäre kein Mensch.«

»Und was glauben Sie, gestern Abend in der Garage gesehen zu haben?«, wollte Officer Richards wissen.

Ich schaute ihn an, viel zu erschöpft, als dass mir meine Antwort noch peinlich gewesen wäre. »Zu dem, was ich gesehen habe, wäre ein Mensch niemals in der Lage.«

»Gut«, sagte Richards. »Wir werden Sie vielleicht noch einmal befragen müssen, Miss Cross, doch für heute wären wir erst einmal fertig.«

Die beiden Beamten erhoben sich und gaben mir zu verstehen, dass auch ich aufstehen sollte. Ich rappelte mich hoch und schwankte ein wenig, als ich aufrecht stand. Richards stützte mich am Ellbogen, und ich bedankte mich murmelnd.

»Alles wird gut«, versicherte er.

Ich starrte ihn an, felsenfest davon überzeugt, dass er das nur gesagt hatte, damit ich mich besser fühlte. Nichts war gut und würde es auch nie wieder werden.

3

HUNTER

Zu den Top-zehn-Dingen, die mir auf den Sack gingen, gehörten Menschen und ihre überfüllten, verstopften und lauten Städte.

Ich setzte mich auf den dunklen Eckplatz der ziemlich heruntergekommenen Bar Fast Times und beobachtete, wie die Leute immer wieder von ihrem Tisch zum Tresen und zurück huschten. Wenn man bedachte, dass heute ein sogenannter Werktag war, fragte ich mich, wie viele von denen wohl nachher in den nächtlichen Verkehr hinaustorkeln und so ihr unbedeutendes, nutzloses Leben beenden würden.

Verdammt, das war düster, selbst für meine Verhältnisse.

Ich war schlecht drauf.

Ich hasste Städte, besonders solche, in denen sich eine beträchtliche Anzahl meiner Erzfeinde verbarg. Als ich den Blick über die Menge schweifen ließ, blieb ich an einigen Typen hängen. Ein kühles Lächeln umspielte meine Lippen, und meine Kehle krampfte sich zusammen.

Wir Arum konnten mit unserem besonders ausgeprägten Sehvermögen Wellenlängen wahrnehmen, die jedes Lebewesen umgaben. Diese Energie bildete einen Lichtschein, eine Aura, die abhängig von Stimmung oder Gefühlslage des betreffenden Wesens ihre Farbe veränderte. Bei den Menschen bestand sie normalerweise jeweils nur aus einer einzigen Farbe. Die Lux hingegen leuchteten fröhlich wie ein Regenbogen. Deshalb konnten wir sie auch auf den ersten Blick erkennen, außer wenn Beta-Quarz in der Nähe war. Das Mineral verzerrte die Wellenlängen der Lux und normalisierte sie, bis sie sich nicht mehr von denen der Menschen unterschieden.

Die Aura, von der drei Männer im Collegealter umgeben waren, die gerade ihr Bier auf den Tisch knallten, wirkte auf den ersten Blick unauffällig, aber ich war nicht blöd. Sie konnten sich den Beta-Quarz in ihren beschissenen Arsch schieben.

Die Lux stachen unter den Menschen hervor, ob mit oder ohne regenbogenfarbenen Wellenlängen.

Sie waren nicht nur größer als der Durchschnittsmensch und ausnahmslos attraktiv, auch ihre Art verriet sie, selbst in betrunkenem Zustand. Sie legten eine arrogante Überheblichkeit an den Tag, zu der ein Mensch niemals in der Lage wäre, denn an einer Tatsache ließ sich nicht rütteln: Die Lux waren den Menschen überlegen.

Doch die drei kleinen Punks an dem Tisch direkt vor der Bar wussten nicht, dass ich auch hier war und sie dank meiner Anwesenheit den obersten Platz in der Nahrungskette leider räumen mussten. Ein mit Opal ummantelter Tracker, den ich, im Stiefel versteckt, an einem meiner Fußknöchel trug, verbarg meine wahre Natur vor den Lux.

Ich trank einen Schluck Bier und beobachtete, wie die drei an mir vorbeitaumelten. Einer blieb kurz stehen und sah mich misstrauisch an. Offenbar hatte er etwas gespürt. Dann jedoch folgte er seinen Kumpels in die Nacht hinaus. Die Tür schwang zu, und mit ihr wehte ein schwacher Geruch von verbranntem Metall herein.

Ich war versucht, ihnen nur zum Spaß zu folgen, entschied aber, dass das keine gute Idee wäre, und trank einen weiteren Schluck aus der Flasche. Lux-Mahlzeiten ohne vorherige Genehmigung waren für mich inzwischen tabu.

Die Tür wurde wieder geöffnet, und dieses Mal waren es die Leute, auf die ich gewartet hatte. Zwei Beamte des Verteidigungsministeriums kamen hereingeschlendert. Der ältere ließ einen finsteren Blick durch das sich langsam leerende Lokal schweifen. Sobald er mich erblickte, wurde seine Miene noch düsterer.

Ich hob die Flasche, um Officer Zombro zu begrüßen, und verzog den Mund dabei zu einem schiefen Grinsen. »Wie läuft’s, Partner?«

»Findest du es angemessen, hier jetzt zu trinken?«

»Fick dich.«

Richards, der jüngere der beiden, presste die Lippen zusammen und schaute angestrengt in eine andere Richtung. Sie kamen an meinen Tisch, und mein Grinsen wurde noch breiter. Zombro blickte auf meine Stiefel. Ich hatte die Beine auf den nächstbesten Hocker gelegt, und es müsste schon die Welt untergehen, um mich dazu zu bewegen, sie dort wegzunehmen.

»Schön zu sehen, dass du heute Abend gut drauf bist.« Zombro bedeutete seinem Kollegen, einen zusätzlichen Hocker zu besorgen. Sie setzten sich. »Irgendwann werden dir deine Art und dein loses Mundwerk noch auf die Füße fallen.«

Egal, was für ein Ärger oder Scheiß mir vor die Füße fiel, ich könnte es locker wegkicken, also, was wollte er eigentlich?

Richards, wie immer um Ausgleich bemüht, räusperte sich. »Hast du dir das Parkhaus um die Ecke angesehen?«

»Zu viel Polizei vor Ort«, sagte ich und kratzte am Etikett der Flasche. »Und selbst wenn ich es noch mal unter die Lupe nähme, könnt ich euch nichts anderes sagen, als was ihr ohnehin schon wisst.«

Zombro lehnte sich zurück und knöpfte sein Sakko auf. Als ich etwas Metallenes an seiner Taille aufblitzen sah, musste ich erneut grinsen. Unterdessen verfinsterte sich seine Miene weiter, bis es aussah, als würde sein Gesicht in sich zusammenfallen. »Es kann nur ein Lux gewesen sein, der letzte Nacht einen Menschen vor den Augen eines anderen Menschen getötet hat.«

Verdammt. Die Lux wurden langsam frech, was mich allerdings nicht überraschte. »Etwas genauer bitte?«

Zombro sah sich um, ehe er leise weitersprach. »Gestern Abend waren zwei Frauen in einer Bar. Eine von ihnen, Mel Dockshire, war mit Phillip Vanderson liiert. Anscheinend hatte sie an dem Tag einen Streit zwischen ihm und seinem Bruder Elijah miterlebt.«

»Wir reden hier von dem Sohn von Senator Vanderson?«, hakte ich nach.

Richards nickte. »Anscheinend haben sie sich wegen irgendeiner Lappalie angegiftet, und Phillip hat dann die Kontrolle über seine Form verloren.«

Leise lachte ich in mich hinein. »Und vor einer Frau aus dem Menschenlager den Monster-Glühwurm gegeben? Nett.«

»Das ist nicht komisch. Das ist ein schweres Sicherheitsvergehen«, stieß Zombro scharf hervor.

»Echt?«, antwortete ich trocken. »Lasst mich raten, diese Miss Dockshire ist das Opfer, das es letzte Nacht leider erwischt hat. Welches Sicherheitsvergehen liegt also bitte vor?«

Zombro wandte den Blick ab, was Antwort genug war.

»Das Problem ist, dass sie ihrer Freundin davon erzählt hat, die wiederum anschließend beobachtet hat, wie ein Lux Miss Dockshires Wagen mit ihr darin in die Luft gejagt hat.« Richard suchte meinen Blick. »Da hast du dein Vergehen.«

Ich trank mein Bier aus, schwang die Füße vom Hocker und ließ sie so laut auf den Boden poltern, dass die beiden Beamten zusammenzuckten. Dann beugte ich mich über den Tisch zu ihnen. »Okay, aber ich verstehe noch immer nicht, was das nun mit mir zu tun hat, es sei denn, ihr wollt, dass ich die Söhne des Senators aufspüre und sie erledige.«

»Das wird nicht nötig sein«, erwiderte Zombro. »Phillip Vanderson ist uns heute schon zugeführt worden, und wir ergreifen die entsprechenden Maßnahmen.«

Die entsprechende Maßnahme war wohl, ihn Daedalus zu übergeben, der Abteilung innerhalb des Verteidigungsministeriums, die sich mit dem ganzen Alien-Kram beschäftigte und von mehreren staatlichen Stützpunkten aus agierte, allen voran der guten alten Area 51. Alles, was mit den beiden Alien-Spezies auf der Erde zu tun hatte, lief über Daedalus. Zahlreiche Aliens – sowohl Lux als auch Arum – wurden von ihnen festgesetzt. Nur sehr wenige davon sah man je wieder. Daedalus war für uns wie der große schwarze Mann. Diese Leute hatten unfassbar viel Macht in der Regierung, während sie wer weiß was für Experimente mit unseren Spezies durchführten. Und anscheinend bauten sie dabei echt riesige Scheiße, da sie mit menschlicher und Alien-DNA ihr Unwesen trieben. Selbst ich bekam eine Gänsehaut, wenn ich an Daedalus dachte. Ich setzte mich zurück und beäugte Zombro und Richards. »Und was sagt der Senator dazu?«

»Er ist nicht gerade begeistert.« Richards blies langsam Luft aus. »Wir haben ihn heute Morgen getroffen. Er ist fest entschlossen, die Freundin … Miss Cross zum Schweigen zu bringen. Er glaubt, Phillip wird freigelassen, wenn sie ihm nicht länger Schwierigkeiten machen kann.«

»Und? Ist das so?«

»Sicher ist zu diesem Zeitpunkt gar nichts«, antwortete Zombro abgeklärt.

»Ich sehe noch immer nicht, wo das Problem liegt«, sagte ich. »Wenn diese Miss Cross gesehen hat, was auf dem Parkdeck passiert ist, dann kümmert euch doch um sie.«

»Das Ministerium hat noch nicht entschieden, was mit Miss Cross geschehen soll.« Richards zog ein schmales Notizbuch hervor. »Sie hat den Lux gesehen und ist davon überzeugt, dass sie sich nicht getäuscht hat.«

»Wenn das Ministerium zögert, soll der Senator sie eben selbst erledigen.« Es war nicht das erste und würde auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass jemand auf die Wahrheit stieß und mitkriegte, dass Aliens unter den Menschen lebten. Normalerweise griff Daedalus in solchen Fällen ein, aber das Verteidigungsministerium war die oberste Instanz. »Wie dem auch sei, noch mal, ich habe keine Ahnung, was das mit mir zu tun hat.«

Zombros finstere Miene hellte sich ein kleines bisschen auf. »So einfach ist es nicht.«

War es nie. Ich wollte noch ein Bier. »Ach nein?«

Eine junge, üppig ausgestattete Kellnerin verlangsamte ihre Schritte, als sie mit einem Tablett voller leerer Flaschen an unserem Tisch vorbeikam. Sie sah mich lange und vielsagend an, und ich wünschte, ich könnte darauf eingehen, denn sie hatte in der Tat viel zu bieten. Und auch wenn ich nicht ganz menschlich war, hatte ich doch sehr dringende menschliche Bedürfnisse.

»Senator Vanderson hat die Sache tatsächlich selbst in die Hand genommen«, erklärte Richards und lenkte damit meine Aufmerksamkeit auf sein Problem zurück. »Uns ist zu Ohren gekommen, dass er kurz nach Verlassen seines Büros den Befehl erteilt hat, Miss Cross töten zu lassen.«

Okay, ich sah immer noch nicht, wo hier das beschissene Problem lag. Wenn diese Miss Cross ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko darstellte, wäre das doch gelöst, wenn sich die Lux der Sache annahmen. Aber darum ging es hier gar nicht. Das Verteidigungsministerium wiegte sich gern in dem Glauben, die komplette Kontrolle über die Lux-Spezies zu haben, und sobald ein Lux absichtlich gegen Anweisungen des Ministeriums verstieß oder versuchte, sie zu umgehen, machte man beim VM – dem Verteidigungsministerium – sofort ein Affentheater, insbesondere, wenn es sich bei dem betreffenden Lux um jemanden wie Senator Vanderson handelte.

Für mein Lachen erntete ich ziemlich böse Blicke von den beiden Herren. »Ich glaube, jetzt hab ich’s. Das Verteidigungsministerium ist angefressen, weil der Senator etwas ohne eure Zustimmung macht. Und aus dem Verkehr ziehen kann man ihn nicht einfach, weil dieses Jahr Wahlen sind und sein ›Verschwinden‹ zu viele Fragen aufwerfen würde.«

Keiner der beiden sagte etwas.

Ich amüsierte mich köstlich. »Ich habe es euch doch schon oft genug gesagt. Ihr glaubt immer, mit den Lux käme man zurecht, weil sie so hübsch anzusehen sind, wenn sie leuchten, aber eines Tages werden sie die Menschheit plattmachen.«

»Halt’s Maul, Hunter«, blaffte Zombro.

Ich bewegte mich so schnell, dass er erschrocken zurückzuckte, aber er war nicht schnell genug. Ich packte ihn am Kragen und schrie ihm ins Gesicht: »Sag mir noch einmal, dass ich das Maul halten soll, und ich reiß dir die Zunge raus und gebe sie dir zu fressen. Hast du das verstanden?«

Zombro griff nach der Waffe und ich hielt ihn noch fester. »Darüber denkst du besser gar nicht erst nach.«

»Okay, es reicht, Jungs.« Richards stand der Schweiß auf der Stirn. »Letztendlich wollen wir doch alle das Gleiche.«

Nachdem ich Zombro noch etwas länger böse angefunkelt hatte, ließ ich von ihm ab und blickte zu Richards. »Wollen wir nicht

»Okay.« Richards hob die Hände. »Aber wir müssen zusammenarbeiten.«

Da war ich mir nicht so sicher. Ich trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte und zwang mich, erst ein- und dann langsam wieder auszuatmen. Am liebsten hätte ich Zombro aufgefressen. »Da ist aber noch mehr, oder?«

Richard schaute einen Moment zu Zombro, bevor er schließlich antwortete. »Während der Vernehmung hat Miss Cross einige Dinge erwähnt, die Daedalus Sorgen bereiten. Einige Begriffe, mit denen sie nichts anfangen können.«

Ich strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. »Und was für Begriffe wären das?«

»Sie erwähnte etwas von einem Project Eagle.« Richards hielt inne. »Daedalus würde gern wissen, was das ist.«

»Dann fragt sie.«

Zombro rieb sich die Schläfe. »Miss Cross erinnert sich momentan nicht an weitere Details, doch es ist gut möglich, dass sie mehr weiß, und dass das, was auch immer es sein mag, genau der Grund ist, weshalb der Senator sie unbedingt zum Schweigen bringen will.«

Ein Muskel in meinem Kiefer zuckte. Zugegeben, das Ganze wurde immer geheimnisvoller. Die Sache war nur, dass es mir scheißegal war. »Zum letzten Mal, was hat das mit mir zu tun?«

»Du musst Miss Cross bewachen und versuchen, mehr Informationen aus ihr herauszubekommen.«

Ich blinzelte. »Wie bitte?«

Zombros vernarbtes Gesicht färbte sich dunkelrot. »Ich glaube nicht, dass sich Richards undeutlich ausgedrückt hat. Wir brauchen dich, damit du Miss Cross bewachst. Und wer könnte sie besser vor einem Lux beschützen als ein Arum? Du bist sozusagen für den Kampf gegen sie gemacht.«

Das stimmte wohl. Aber was bildeten diese Typen sich eigentlich ein? »Das meint ihr ja wohl nicht ernst.«

Richards schob einen Zettel mit einer hastig darauf gekritzelten Adresse über den Tisch. Ich wollte das Papier nicht einmal anfassen. »Hier ist dein Job. Im Moment glauben wir, dass sie nicht wissen, wo sie wohnt, aber es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis sie es herausfinden.«

Ich lachte zynisch. »Es ist nicht mein Job, Menschen zu babysitten.«

Zombro verzog den Mund zu einem höhnischen Grinsen, das ich ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen hätte. »Doch, jetzt schon.«

Ich musste das letzte bisschen Selbstbeherrschung zusammenkratzen, um Zombro nicht postwendend aus dem Fenster zu schleudern. »Ich bin der Letzte, dem ihr diesen Mist aufhalsen solltet«, erwiderte ich stinksauer.

»Entweder du machst es, oder Miss Cross stirbt«, argumentierte Richards schlicht. »Wenn die Lux sie jagen …«

»… werdet ihr sie nicht aufhalten können«, ätzte ich, so genervt, wie schon lange nicht mehr. »Und das ist euer Problem.«

»Jetzt ist es dein Problem«, konterte Zombro.

Eines Tages würde ich ihn umbringen und es auch noch genüsslich auskosten.

Richards blickte nervös zu seinem Partner. »Ich weiß, dass es nicht in dein typisches Aufgabengebiet fällt, aber so lautet dein Auftrag jetzt eben.« Er hielt inne. »Es ist eine Friss-oder-stirb-Situation.«

»Ohne eure vorgefasste Meinung über mich zerstören zu wollen, aber sehe ich etwa so aus, als würde ich mich darum scheren?«

Zombro fluchte laut. »Du wirst dich schon noch darum scheren«, sagte er dann scharf. »Denn anders als viele glauben, geht es dem Verteidigungsministerium immer um die Sicherheit der Menschen und nicht um die der außerirdischen Lebensformen, und daran wird sich auch nichts ändern. Und wenn wir herausfinden können, was Miss Cross weiß, und sie vielleicht davon überzeugen, zu schweigen, dann ist das doch einen Versuch wert.«

Irgendwer hatte wohl vergessen, diese Information an Daedalus weiterzugeben, denn dort hatte man offensichtlich kein Problem damit, Menschen um die Ecke zu bringen.

Shit, das Ganze gefiel mir ganz und gar nicht. Ich war die Ungeduld in Person, und mit Frauen gab ich mich nur aus einem einzigen Grund ab: um mein primitives Verlangen zu befriedigen. Sie zu bewachen oder zu beschützen widersprach meiner Natur, und das wussten die Beamten ganz genau. Ich war nicht der liebevolle, gütige Typ.

Die Chancen standen gut, dass ich Miss Cross töten würde.

4

SERENA

Drei Tage lang fühlte ich mich wie von dichtem Nebel umgeben. Den ersten Tag verbrachte ich heulend im Bett, und ich hatte seit dem Tod meiner Mutter nicht mehr geheult. Als es mir schließlich gelungen war, mich aus dem Bett zu quälen, suchte ich im Schrank nach einem alten Handy. Das, was ich an dem Abend dabeigehabt hatte, ließ sich nicht mehr einschalten. Offenbar hatte die gigantische Welle elektronischer Energie, die durch das Parkhaus gerauscht war, das Gerät lahmgelegt, und ich fragte mich, ob nicht das Gleiche mit dem Bordcomputer meines Wagens geschehen war.

Die Schule hatte mir den Rest der Woche freigegeben. Mr. Harrison, der Direktor, hatte bereits gehört, was geschehen war, als ich am Dienstagmorgen angerufen hatte. Auch mit Mels Mom hatte ich gesprochen, was mir sehr nahegegangen war. Sie war untröstlich gewesen. Mutter und Tochter hatten immer mal wieder Auseinandersetzungen gehabt, wie alle Mütter und Töchter, aber jetzt war sie eine gebrochene Frau. Und ich hatte ihr nicht einmal erzählt, was ich gesehen und von Mel erfahren hatte. Es war mir in dem Moment unpassend vorgekommen. Jedenfalls war ich mir sicher gewesen, dass meine geschwollenen Augen nach dem Gespräch leer geheult waren, doch da täuschte ich mich.

In den Lokalnachrichten wurde vereinzelt über die Explosion berichtet. War es ein schrecklicher Unfall? Ein terroristischer Angriff? Ein Anschlag auf Mel? Letzteres erschien unwahrscheinlich, und selbst ich haderte noch damit, an diese Version zu glauben, dabei hatte ich es mit eigenen Augen gesehen. Ich hatte miterlebt, wie verängstigt Mel gewesen war, und ich hatte dieses Wesen gesehen, das ihren Wagen in die Luft gejagt hatte. Von den Söhnen des Senators und dem, was ich der Polizei gesagt hatte, war mit keinem Wort die Rede.

Am Mittwoch blätterte ich alte Alben mit Fotos von Mel und mir durch. Die Aufnahmen brachten mich zum Lachen. Und dann wieder zum Weinen. Die Bilder aus unserer Highschool-Zeit waren bezeichnend. Mel war zu einer langen Bohnenstange mit Modelmaßen herangewachsen, deren gebräunte Haut und dunkles Haar ihre blauen Augen wunderschön zur Geltung brachten. Mit ihrem strahlenden, gewinnenden Lächeln sah sie absolut toll aus, und sie hatte damals tatsächlich überlegt, als Model zu arbeiten. Was nicht unrealistisch gewesen wäre.

Ich hingegen sah auf den Bildern nicht halb so glamourös aus. In der neunten Klasse hatte ich aufgehört zu wachsen, womit Mel mich ständig aufzog. Meine wellige blonde Mähne hatte immer ungekämmt ausgesehen. Anders als Mel mit ihrer Top-Figur und ihrer makellosen Haut, hatte ich als Teenager Sommersprossen und ungewollte Rundungen an der Hüfte.

Es tat mir gut, die Fotos zu betrachten. Mel würde nicht vergessen werden, die Erinnerungen an sie würden mir bleiben. Aber ob je die Wahrheit ans Licht kommen würde, bezweifelte ich. Das Ganze könnte einem Horrorfilm entsprungen sein. Doch selbst, wenn meine Augen mir keinen Streich gespielt haben sollten, wenn tatsächlich die Söhne des Senators hinter dem steckten, was Mel widerfahren war, würde alles unter den Teppich gekehrt werden, dessen war ich mir sicher. Wer war schon Mel, gemessen an der politischen Elite? Der Zorn schwelte in mir wie eine eiternde Wunde, während ich die Ereignisse jenes Abends wieder und wieder durchlebte.

Am Donnerstag erhielt ich einen kurzen Anruf, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich meinen Wagen abholen könnte, ansonsten hörte ich nichts. Keine weiteren Fragen. Schweigen. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

Nachdem ich mir ein Taxi gerufen hatte, zog ich eine Jeans und ein T-Shirt an. Beim Einsteigen in den Wagen überkam mich ein ungutes Gefühl. Meine Stimme zitterte, als ich dem Fahrer die Adresse des Parkhauses nannte. Ich wäre lieber nicht dorthin zurückgekehrt, doch ein neues Auto konnte ich mir leider nicht leisten.

Die normalerweise verstopften Straßen in der Innenstadt von Boulder waren auffallend leer. In null Komma nichts hatte mich das Taxi vor dem Eingang des Parkhauses abgesetzt.

Wie ein Schutzschild drückte ich die Handtasche an meine Brust. Das gelbe Band, mit dem das Parkhaus bis vor Kurzem abgesperrt gewesen war, flatterte verloren im Wind. Als ich Luft holte, bildete ich mir ein, das verbrannte Metall noch immer riechen zu können. Es dauerte einen Moment, bis ich meine Beine dazu brachte, sich vorwärts zu bewegen. Die Autoschlüssel hielt ich bereits in der Hand.

Die Deckenbeleuchtung der Tiefgarage war ersetzt worden, doch vor meinem geistigen Auge sah ich sie sofort wieder zerbersten und Funken sprühen wie die Wunderkerzen, mit denen Mel und ich als Kind gespielt hatten. Wie konnten die Beamten das erklären? Die Lichter waren zerborsten, bevor der Wagen explodiert war.

Ich bekam eine Gänsehaut, und der Grund dafür war nicht, dass es im Parkhaus kühler war als draußen. Hier zu sein … ein Kloß bildete sich in meinem Hals.

Ich versuchte, mich dazu zu zwingen, geradeaus zu schauen und nicht zu der Stelle, an der Mels Auto gestanden hatte. Ich sollte mich direkt zu meinem Wagen begeben, einsteigen und zusehen, dass ich hier rauskam, stattdessen verharrte ich wie angewurzelt genau an der Stelle, an der sie ihr Auto geparkt hatte. Der Boden war versengt, ebenso die Metallträger darüber. Als hätte jemand Teer verschmiert. Ich war keine Expertin auf dem Gebiet, dennoch fand ich es seltsam, dass links und rechts nichts zu sehen war, kein einziger schwarzer Fleck. Wie konnte eine Bombe so begrenzt explodieren?

Dumme Frage, denn ich wusste ja, dass es keine Bombe gewesen war.

Ich zwang mich weiterzugehen. Auf den Stellplätzen verteilten sich nur noch ein paar Autos. Und keins davon war in irgendeiner Form beschädigt. Nicht einmal die, die in der Reihe hinter dem Platz parkten, auf dem Mels Wagen gestanden hatte.

Auf halbem Wege zu meinem einsamen Fahrzeug lief mir ein kalter Schauder über die Schultern, und das äußerst unangenehme Gefühl eines Déjà-vus überkam mich. Zunächst schrieb ich es den traumatischen Erlebnissen zu. Immerhin stand ich an demselben Ort wie am Montagabend, als ich den Mann erblickt hatte. Dennoch war es ein anderes Gefühl. Fast rechnete ich damit, dass jemand hinter einem Pfeiler hervortreten und meinen Namen sagen würde. Ich fühlte mich beobachtet.

Eilig schaute ich mich um, konnte aber niemanden erkennen, der mich aus dem Dunkel ausspionierte. Ich überreagierte – was ganz normal war. Doch das unangenehme Gefühl blieb. Als ich zu meinem Wagen hastete, schlug mir das Herz bis zum Hals. Meine Flipflops klatschten auf den Asphalt.

Atemlos drückte ich noch im Laufen auf den Knopf im Schlüssel, der die Tür automatisch öffnete. Ich konnte nur inständig hoffen, dass der Wagen problemlos starten würde und ich dann nie wieder hierherkommen müsste.

Nie mehr.

Ich riss die Tür auf und vor dem Einsteigen huschte mein Blick einmal mehr durch das leere, dunkle Parkhaus. Mein Herz hämmerte immer noch wie wild und pumpte viel zu schnell das Blut durch meine Adern. Erlitt ich eine Panikattacke? Ich hatte schon einmal eine gehabt, an dem Tag, an dem ich vom Tod meiner Mom erfuhr, seitdem aber waren meine Gefühle nicht mehr derart mit mir durchgegangen. Ich zwang mich, mehrfach tief durchzuatmen, ehe ich mich setzte, und warf meine Tasche auf den Beifahrersitz, während ich mich noch ein letztes Mal umsah.

Und plötzlich entdeckte ich ihn.

Oder zumindest einen wie eine Person geformten Schatten, der sich nicht mehr als fünf Parkplätze von mir entfernt gegen einen Pfeiler lehnte. Noch Sekunden zuvor war dort niemand gewesen. Das massige Schattengebilde wäre mir aufgefallen, und inmitten der Grabesstille hätte ich Schritte hören müssen … oder ich hatte gerade bewiesen, dass ich der unachtsamste Mensch der Welt war.

Mir stockte der Atem, und ich umklammerte den Türgriff fester.

Der Schatten war so dunkel und so dicht, dass er wie sein eigenes schwarzes Loch wirkte, das aus allem um sich herum das Licht heraussaugte. Plötzlich löste er sich aus der Dunkelheit und glitt vorwärts. Mir blieb fast das Herz stehen, und ich zwang mich zu blinzeln.

Es war kein Schatten.

Autor

Jennifer L Armentrout

Die 1980 geborene Jennifer L. Armentrout lebt mit ihrem Mann und Jack-Russell-Terrier Loki im amerikanischen West Virginia. Bereits als Schülerin schrieb sie die ersten Kurzgeschichten und versüßte sich damit den Mathematikunterricht. Dass ihre Mathematiknoten unter ihren ersten schriftstellerischen Versuchen litten, zahlte sich langfristig für Jennifer Armentrout aus: Mit ihren Jugendbüchern...

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