Ein leidenschaftlicher Deal mit dem Boss (3-teilige Serie)

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ENDLICH IN DEINEN STARKEN ARMEN
Jenna kann sich kaum auf ihren Job konzentrieren – so atemberaubend attraktiv ist ihr neuer Boss Liam Hawke! Während die Nanny dem berühmten Wissenschaftler beibringt, was ein frischgebackener Single-Daddy wissen muss, fahren ihre Gefühle Achterbahn: Liam ist ihr absoluter Traummann – nur zu gern würde sie ihrem überwältigenden Verlangen nachgeben und Nacht für Nacht in seinen starken Armen versinken. Doch sie weiß, dass ihre Liebe keine Zukunft hat. Wenn Liam erfährt, wer sein Kindermädchen wirklich ist, wird er nichts mehr von ihr wissen wollen …

DREI NÄCHTE LANG GEHÖRST DU NUR MIR
8.200 Dollar für drei Dates! Ihre gesamten Ersparnisse bietet die hübsche Faith auf der Wohltätigkeitsauktion für den sexy Bachelor Dylan Hawke. Dahinter steht allerdings ein nüchterner Plan: Dylan ist ihr Boss, und sie will ihn endlich davon überzeugen, dass er ihr in seinem Imperium eine echte Chance geben muss! Also nur eine Investition in ihre Zukunft? Von wegen. Denn zwischen ihnen funkt es gefährlich, auch wenn Dylan niemals etwas mit einer Angestellten anfangen würde. Das sagt er jedenfalls bei ihrem ersten Date. Aber sie haben ja drei …

SKANDAL UM DEN MILLIARDÄR
Eine heiße Nacht, eine verrückte Blitzhochzeit in Las Vegas – und dann für immer? Von wegen. Die schöne Callie und Adam Hawke, mächtiger Boss von Hawke's Blooms, beschließen schnell, ihre Hochzeit geheim zu halten und sich wieder scheiden zu lassen. Denn Sex – wenn auch sehr guter! – ist doch keine Basis fürs ganze Leben. Aber dann wird Callie erpresst, ein PR-Skandal für ihre Familien droht, und Adam schlägt vor: Sie müssen ihre Ehe öffentlich machen. Und zum Schein so tun, als ob sie sich wirklich lieben! Wenn es sich für Callie bloß nicht so echt anfühlen würde …


  • Erscheinungstag 22.09.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520133
  • Seitenanzahl 480
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
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Geschäftsführung: Thomas Beckmann
Redaktionsleitung: Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)
Produktion: Jennifer Galka
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2014 by Rachel Robinson
Originaltitel: „The Nanny Proposition“
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1880 - 2015 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Susann Rauhaus

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733721268

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY, CORA CLASSICS

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1. KAPITEL

Liam Hawke drückte den Telefonhörer fester ans Ohr, aber das half ihm auch nicht weiter. Das, was die Person am anderen Ende der Leitung gerade zu ihm gesagt hatte, ergab überhaupt keinen Sinn.

„Mr Hawke? Sind Sie noch da?“

„Warten Sie einen Moment“, erwiderte er und fuhr mit seinem Jeep an den Straßenrand. Als sein Bruder ihn fragend ansah, sagte Liam leise: „Hör dir das an!“ Dann drückte er auf den Lautsprecherknopf. „Können Sie das bitte noch einmal wiederholen?“, fragte er den Anrufer.

„Ich arbeite als Hebamme im Sacred Heart Hospital und habe Ihnen soeben mitgeteilt, dass Sie Vater geworden sind. Meinen herzlichen Glückwunsch!“

Liam runzelte die Stirn, Dylans Augen weiteten sich, und die Frau fuhr fort: „Ihre Tochter Bonnie ist zwei Tage alt und mit ihrer Mutter hier bei uns. Leider haben sich bei der Mutter nach der Geburt Komplikationen ergeben, daher hat sie mich gebeten, Sie zu informieren. Es wäre das Beste, wenn Sie sofort herkommen würden.“

Ein Baby?

Dylan sah ihn ungläubig an. Liam lockerte nervös seine Krawatte und öffnete seinen obersten Hemdknopf, der ihm plötzlich zu eng geworden war. Das musste ein Irrtum sein. Babys tauchten nicht so einfach auf, wie durch Zauberei. Normalerweise konnte man sich neun Monate lang auf die Geburt vorbereiten.

Die Sonne von Los Angeles schien durch das geöffnete Autodach auf sie herunter. Liam wurde heiß, und er versuchte, seine Stimme unter Kontrolle zu bringen. „Sind Sie sicher, dass Sie die richtige Person angerufen haben?“

„Sie sind doch Liam John Hawke, oder?“

„Ja, das bin ich.“

„Und Sie hatten eine Beziehung zu Rebecca Clancy.“

„Stimmt auch.“ Wenn man ihr Arrangement eine Beziehung nennen konnte. „Aber sie war nicht schwanger, als wir uns getrennt haben.“ Was schon eine ganze Weile her war. Liam versuchte, sich daran zu erinnern, wann er sie zuletzt gesehen hatte. Aber weder die Zeit noch der Ort fielen ihm ein.

Wie lange war es denn tatsächlich her? Vielleicht acht Monate … Dann hielt er inne. „Moment, Sie sagen, es hätte nach der Geburt Komplikationen gegeben. Geht es Rebecca gut?“

Die Hebamme holte tief Luft. „Ich glaube, es wäre besser, wenn wir unter vier Augen sprechen könnten.“

„Ich komme, so schnell ich kann“, sagte Liam und beendete das Gespräch. Er ließ den Wagen wieder an und wendete.

Dylan holte sein Handy hervor. „Ich werde das Meeting absagen.“

Als er das Gespräch beendet hatte, warf Liam ihm ein gequältes Lächeln zu. „Danke.“

„Und du hattest keine Ahnung?“, fragte sein Bruder.

„Ich habe immer noch keine Ahnung.“ Liam strich sich durchs Haar. „Also gut, ich hatte damals mit Rebecca ein Verhältnis. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich der Vater ihres Kindes bin.“ Er hatte gehört, dass sie kurz nach der Trennung schon wieder einen neuen Freund gefunden hatte. Das bedeutete, ein Vaterschaftstest war auf jeden Fall angeraten.

Nachdem sie sich durch den Stau gekämpft hatten, der für Los Angeles so typisch war, erreichten sie endlich das Krankenhaus. An der Information wurden sie von einer Krankenschwester begrüßt, die sie auf die Säuglingsstation führte.

„Leider hat sich der Gesundheitszustand von Ms Clancy weiter verschlechtert. Jetzt liegt sie auf der Intensivstation. Ihre Eltern sind bei ihr, sie haben Bonnie hier bei uns gelassen.“ Die Schwester lehnte sich über ein Bettchen und hob ein kleines Bündel hoch, das in eine pinkfarbene Decke gehüllt war. Ein Gesichtchen lugte daraus hervor.

„Hallo, mein Liebling“, sagte sie mit sanfter Stimme. „Dein Daddy ist hier.“

Bevor Liam der Krankenschwester sagen konnte, dass zuerst ein Vaterschaftstest gemacht werden müsste, hatte sie ihm das Baby schon in die Arme gelegt. Große Augen unter dichten schwarzen Wimpern sahen ihn an. Ihr kleines, blasses Gesicht war unglaublich zart, dennoch wirkte das Baby irgendwie realer als alles andere im Zimmer.

„Ich lasse Sie beide ein paar Minuten lang allein, damit Sie Ihre Tochter kennenlernen können“, verkündete die Säuglingsschwester. „Dort drüben in der Ecke steht ein gemütlicher Sessel.“

Dylan räusperte sich. „Ich … Äh, ich verschwinde mal kurz und hole uns einen Kaffee.“

Aber Liam beachtete ihn schon nicht mehr. Alles, was er sah, war Bonnie. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt ein Baby in den Armen gehalten hatte. Er war sich auch nicht sicher, ob er es richtig machte. Aber er drückte sie vorsichtig an sich und atmete ihren reinen, frischen Duft ein. Er spürte die Wärme ihres Körpers durch die Decke hindurch, und ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht.

Alle drei Hawke-Brüder hatten die Haare ihrer Mutter geerbt – ein sehr dunkles Braun, durchzogen von kastanienbraunen Strähnen. Bonnies Haare sahen genauso aus. Liam wusste, dass er auf jeden Fall einen Vaterschaftstest machen lassen würde, und selbstverständlich würde er auch mit Rebecca sprechen müssen. Aber eines war ihm jetzt schon klar: Bonnie war sein Kind.

Sie war eine Hawke.

Als er in den Sessel sank und in die Augen seiner Tochter starrte, stand die Welt plötzlich still.

Sie war sein Baby.

Sein Herz zog sich zusammen, dann schien es sich plötzlich zu weiten und seine Brust, seinen ganzen Körper auszufüllen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte sich Liam Hawke Hals über Kopf verliebt.

Die Welt um ihn herum versank, während er mit seiner Tochter im Arm im Sessel saß und ihr von ihrer neuen Familie erzählte – von ihren beiden Onkeln und von seinen Eltern, die ihr erstes Enkelkind abgöttisch lieben und verwöhnen würden. Noch vor einer Stunde war er mit seinem Bruder Dylan zu einem geschäftlichen Treffen zum Familienunternehmen Hawke’s Blooms unterwegs gewesen. Aber anstatt die neuesten Zahlen über den Anbau und Verkauf von Blumen zu erörtern, saß er jetzt hier und hielt ein kleines Mädchen auf dem Arm.

In diesem Moment betrat ein Paar mittleren Alters den Raum, und Liam wurde aus seinen Gedanken gerissen. Beide sahen ihn misstrauisch an.

„Wer sind Sie denn?“, fragte ihn die stark geschminkte Frau.

Instinktiv drückte er Bonnie ein wenig fester an sich. Das mussten Rebeccas Eltern sein. Er hatte sie während ihrer Affäre nie getroffen. Aber schließlich hatte die Beziehung zu Rebecca auch nur knapp drei Monate gedauert. Er hatte das unangenehme Gefühl, dass er die beiden in Zukunft öfter sehen würde.

„Liam Hawke“, stellte er sich höflich vor. „Ich bin Bonnies Vater.“

Stirnrunzelnd trat der Mann auf ihn zu. „Wie haben Sie von Bonnie erfahren?“

„Rebecca hat die Hebamme gebeten, mich zu informieren.“ Weil er Bonnie nicht stören wollte, blieb er im Sessel sitzen. „Aber die entscheidende Frage ist doch wohl eher, warum ich nicht von ihr erfahren sollte?“

„Das hätte Rebecca nie getan“, widersprach die ältere Frau energisch. „Sobald sie aus dem Krankenhaus entlassen wird, werden sie und das Baby bei uns wohnen. Ich weiß nicht, ob Sie darüber informiert sind, aber sie ist vor zwei Monaten bei uns eingezogen. Wir werden das Kind zusammen aufziehen. Daher können Sie uns Bonnie auch gleich wieder übergeben und gehen. Wenn Rebecca gewollt hätte, dass Sie von der Geburt erfahren, hätte sie uns das früher gesagt.“

Liam holte tief Luft und zwang sich, ruhig zu bleiben. Schließlich befand sich Rebecca, die Tochter des Paares, auf der Intensivstation. Da konnte man verstehen, dass ihre Eltern beunruhigt waren. Aber wenn sie glaubten, dass er einfach von der Bildfläche verschwinden würde, hatten sie sich geirrt.

„Sie wollten mir also nicht sagen, dass ich ein Kind habe?“

„Das war Rebeccas Idee“, erwiderte ihr Vater.

Unglaublich, wie arrogant diese Leute waren! Wie konnte man einem Vater die Geburt seines Kindes verheimlichen?

„Und Rebecca konnte sich nicht vorstellen, dass ich darüber unterrichtet werden möchte? Dass Bonnie einen Vater brauchen könnte?“

Die Frau schnaubte. „Sie können ihr nichts geben, was sie nicht auch von uns bekommen kann. Wir sind wesentlich reicher als Sie. Doch vor allem wird Bonnie von Menschen umgeben sein, die fähig sind, sie zu lieben.“

Liam wusste, worauf sie anspielte. Ja, seine Familie war begütert, aber sie wurden als Neureiche betrachtet. Das war ein Vorurteil, dem er schon öfter begegnet war. Ein Vorurteil von Menschen, die ihr Geld geerbt und in ihrem ganzen Leben noch nicht gearbeitet hatten. Solche Leute konnte er einfach nicht respektieren.

Er wollte schon antworten, dachte dann aber an die zweite Spitze, die die Frau gegen ihn geäußert hatte. Was mochte Rebecca ihren Eltern von ihm erzählt haben? Sie waren zwar nicht gerade als Freunde auseinandergegangen, aber auch nicht als Feinde. Woher stammte also dieses Misstrauen, das ihre Eltern ihm entgegenbrachten?

In diesem Moment betrat ein Mann im Arztkittel das Zimmer. Er wirkte erschöpft. „Mr und Mrs Clancy?“

„Ja?“ Erschrocken griff Rebeccas Mutter nach der Hand ihres Mannes. „Was ist mit Rebecca? Ist sie noch immer auf der Intensivstation? Wie geht es ihr?“

Der Arzt schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten. Ihre Tochter hat sehr gekämpft, aber am Ende hat ihr Körper …“

„Sie ist tot?“, fragte Mr Clancy mit erstickter Stimme.

„Ja, es tut mir sehr leid.“

Mrs Clancy schluchzte laut auf und schlug die Hände vors Gesicht. Ihr Mann zog sie schweigend an sich. Auch Bonnie fing an zu weinen. Liam sah seine winzige Tochter fassungslos an.

Ihre Mutter war gerade gestorben. Bonnie war jetzt eine Halbwaise. Und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte.

Während der Arzt mit Rebeccas Eltern sprach, trat die Säuglingsschwester auf ihn zu und nahm ihm Bonnie ab, um sie zu beruhigen. Liam ließ es geschehen. Er hatte das Gefühl, als wäre alles völlig unwirklich, als würde er sich in einem Film befinden.

„Das tut mir so leid, Mr Hawke“, sagte die Schwester mitfühlend zu ihm.

„Was …“ Er räusperte sich. „Was passiert jetzt mit Bonnie?“

„Rebecca hat die Geburtsurkunde bereits ausgefüllt und Sie als Vater eingetragen. Was das Krankenhaus betrifft, haben Sie damit das Sorgerecht. Wenn Sie davon allerdings keinen Gebrauch machen möchten, weiß ich, dass die Eltern der Mutter das Kind aufziehen wollen. Wie wäre es, wenn ich der Sozialarbeiterin Bescheid geben würde? Sie kann Ihnen dabei helfen, sich zu einigen.“

Bonnie war inzwischen wieder ruhiger geworden. Bonnie. Sein Baby! Liam streckte die Hand nach ihr aus und streichelte vorsichtig ihre winzige Faust.

„Nein, das wird nicht nötig sein“, erwiderte er fest. „Bonnie wird bei mir leben. Ich werde meine Tochter selbst großziehen.“

Die Säuglingsschwester sah ihn lächelnd an. „Gut, dann werden wir Ihnen ein paar grundlegende Dinge zeigen, zum Beispiel, wie Sie sie füttern müssen. Alle Tests wurden bereits gemacht. Wenn Sie wollen, können Sie sie gleich mitnehmen.“

Das ging ja nun alles doch sehr schnell. Liam bekam es mit der Angst zu tun. Er hatte schließlich keine Ahnung von Babys.

Und plötzlich stand Rebeccas Mutter wie ein Racheengel vor ihm. Sie machte Anstalten, nach dem Kind zu greifen. „Ich nehme sie mit“, erklärte sie ohne Umschweife.

Ohne sie zu beachten, reichte die Schwester Liam das Kind. „Tut mir leid, aber Mr Hawke ist ihr Vater. Das hat Ihre Tochter auf der Geburtsurkunde eingetragen. Er hat das Sorgerecht.“

Rebeccas Vater trat mit geröteten Augen zu ihnen. „Das werden wir ja noch sehen. Dieser Mann ist nicht in der Lage, ein Kind großzuziehen. Das werde ich, wenn nötig, auch vor Gericht aussagen.“

Liam zuckte nicht mit der Wimper. Die Clancys konnten machen, was sie wollten. Niemand würde ihm seine Tochter wegnehmen.

Als Jenna die gerade gelieferten Blumen – Jasminblüten und gelbe Lilien – in einer Vase arrangierte, hörte sie, wie ihr Boss, Dylan Hawke, zurückkam. Anscheinend war Liam, sein Bruder, mit dabei. Liams tiefe, dunkle Stimme ging ihr wie immer durch und durch.

Da sie ihnen nicht über den Weg laufen wollte, stellte sie die Vase zurück auf den Tisch und eilte aus dem Wohnzimmer. Eines hatte sie während ihrer Kindheit in einem fürstlichen Palast gelernt: Man erwartete von dienstbaren Geistern, dass sie möglichst kompetent und vor allem unsichtbar waren.

Aus der Küche vernahm sie plötzlich das Schreien eines Babys. Es klang wie ein Neugeborenes – und prompt sehnte sich Jenna nach ihrer kleinen Tochter Meg. Aber Meg war bei der Tagesmutter. Sie war inzwischen schon acht Monate alt, und ihr Schreien klang anders. Ihr Chef Dylan und seine beiden Brüder Liam und Adam waren alle Junggesellen. Wo sollte also ein Baby herkommen?

In diesem Moment erschien Dylan im Flur. „Jenna, gut, dass Sie hier sind. Wir brauchen Ihre Hilfe!“

„Kein Problem“, erwiderte sie und folgte ihm zurück ins Wohnzimmer. Mitten im Zimmer stand Liam. Er hielt ungeschickt ein kleines Baby im Arm, das jetzt laut zu weinen begann.

„Du erinnerst dich doch noch an Jenna, oder?“, fragte Dylan seinen Bruder. „Sie hat selbst ein kleines Kind und wird wissen, was zu tun ist.“

Jenna sah verwirrt von Dylan zu Liam. „Was zu tun ist, wobei?“, fragte sie.

„Bei … Mit dem Baby, natürlich.“

„Verstehe.“ Ja, vielleicht konnte sie ihnen wirklich helfen. Die beiden Männer schienen jedenfalls überfordert zu sein.

Liam sah sie misstrauisch an. Er war offensichtlich nicht überzeugt von ihren Fähigkeiten. Aber dass er Hilfe brauchte, stand außer Frage. Denn das Baby schrie jetzt immer lauter und wand sich in seinen Armen. Trotzdem schien er nicht gewillt zu sein, es ihr zu überlassen. Diesen Beschützerinstinkt respektierte sie, und er berührte sie tief.

„Hallo, Mr Hawke“, sagte sie daher und lächelte ihn an. „Ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern. Ich bin Jenna Peters, und meine kleine Tochter Meg hat genauso geschrien, als ich sie vor ein paar Monaten nach Hause gebracht habe. Inzwischen kann ich besser mit ihr umgehen. Vielleicht kann ich Ihnen ja ein paar Tipps geben?“

Liam zögerte kurz. „Bonnie“, sagte er mit rauer Stimme. „Ihr Name ist Bonnie.“

Bei diesen Worten erschien ein warmer Glanz in seinen grünen Augen. Jennas Herz machte unwillkürlich einen Satz. Sie spürte die Hitze seines Körpers, atmete seinen männlichen Duft ein …

Doch dann riss sie sich wieder zusammen. Hier ging es um das Baby. Sie streckte die Arme aus, und Liam reichte ihr widerstrebend das kleine Bündel.

Jenna drückte das Baby an ihre Brust, ging im Zimmer auf und ab und summte leise vor sich hin. Nach ein paar Minuten beruhigte sich das Baby und hörte auf zu schreien. „Hallo, Kleines“, sagte sie zärtlich und betrachtete den Säugling neugierig.

Dylan nickte beifällig. „Gut gemacht, Jenna.“

Aber sie schaute zu Liam hinüber. Er starrte erst sie, dann das Baby an. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war schwer zu deuten.

Dann räusperte er sich. „Wie haben Sie das gemacht?“

„Ich habe sie an mein Herz gelegt“, erklärte Jenna. „Babys lieben das.“

„Danke“, sagte er ernst.

Jenna nickte stumm. Plötzlich fühlte sie sich befangen. Natürlich hatte sie Liam schon getroffen, aber sie war ihm noch nie zuvor so nahe gewesen. Die Intensität seiner Ausstrahlung überwältigte sie. Er sah seinem Bruder zwar ähnlich, wirkte aber männlicher.

Sie schluckte und zwang sich, zu sprechen. „Was für ein hübsches Baby! Kümmern Sie sich um sie?“

„Das könnte man so sagen“, erwiderte Liam mit ausdrucksloser Stimme. „Ihre Mutter ist gerade gestorben.“

Jenna erschrak. „Oh, das tut mir so leid! Ist Bonnie Ihre Tochter?“

„Ja“, entgegnete Liam nur, aber in diesem einen Wort lag so viel Gefühl, dass Jenna unwillkürlich Tränen in die Augen traten.

Dylan trat näher und erklärte: „Bevor wir das Krankenhaus verlassen haben, hat eine Säuglingsschwester Liam erzählt, wie man mit Babys umgehen soll. In der Zwischenzeit habe ich einen Kindersitz für den Jeep besorgt. Doch auf der Rückfahrt hat die Kleine andauernd geschrien. Deshalb dachte ich, es wäre besser, wenn wir zuerst mit Ihnen sprechen, bevor Liam mit Bonnie nach Hause fährt. Schließlich kennen Sie sich mit Kleinkindern aus.“

Jenna nickte. Sie hatte einige Fragen, die sie jedoch für den Moment zurückstellte. Aber es war schon merkwürdig: Wenn Liam gewusst hatte, dass er ein Baby mit nach Hause nehmen würde, warum hatte er dann vorher keinen Kindersitz besorgt?

„Vielleicht ist sie hungrig?“

Liam schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Bevor wir gefahren sind, hat sie im Krankenhaus etwas bekommen.“

Jenna reichte ihm die Kleine. Er nahm sie vorsichtig in die Arme und streichelte ihr zärtlich über den Rücken.

„Sie leben allein, stimmt’s?“, fragte er Jenna dann.

„Ja, mit meiner kleinen Tochter Meg.“ Dylans Haus erstreckte sich über drei Stockwerke. Dylan schlief oben, und Jenna wohnte mit Meg im Erdgeschoss.

Seit über einem Jahr arbeitete sie jetzt als Haushälterin für Dylan. Sie hatte sich um den Job beworben, als sie mit Meg im vierten Monat schwanger gewesen war. Dylan Hawke war ein prima Boss, und sie war mit ihrem Los mehr als zufrieden. Schließlich hatte Dylan ihr nicht nur einen Job, sondern auch einen Platz zum Wohnen angeboten. Mehr brauchte sie im Moment nicht.

Als unverheiratete Tochter der fürstlichen Familie von Beltsee kam es nicht infrage, schwanger zu werden. Daher hatte Prinzessin Jensine Larson ihre Heimat verlassen, bevor jemand von ihrem Zustand erfuhr. In Los Angeles hatte sie dann ein neues Leben als Jenna Peters angefangen. Aber sie hatte weder Freunde noch Familie in den USA, daher war ihr der Job bei Dylan wie ein Gottesgeschenk vorgekommen.

„Tut mir leid, doch jetzt muss ich wirklich weitermachen“, sagte sie und wandte sich zum Gehen. Aber Liam trat ihr in den Weg.

„Wo ist Ihr Kind, während Sie arbeiten?“

„Bei der Tagesmutter.“

Er sah sie eindringlich an. „Wäre es Ihnen nicht lieber, wenn Ihre Tochter bei Ihnen sein könnte?“

Jenna zögerte. Sie sah von Liam zu Dylan und wieder zurück. Die Antwort auf diese Frage lag auf der Hand. Allerdings befand sich ihr Chef mit im Zimmer.

„Natürlich würde ich Meg gern bei mir haben“, sagte Jenna diplomatisch. Aber auch wenn sie ihr Kind zu Hause in Beltsee zur Welt gebracht hätte, würde sie die Kleine nicht oft sehen. Meg würde von Kindermädchen aufgezogen werden, genau wie Jenna früher. „Aber ich muss mir meinen Lebensunterhalt verdienen und bin bereit, dafür Opfer zu bringen“, fuhr sie fort. „Ihr Bruder ist ein großartiger Arbeitgeber, und ich bin ihm sehr dankbar für diesen Job. Daher muss ich auch jetzt …“

„Moment noch“, sagte Liam.

Gegen ihren Willen blieb Jenna stehen.

„Ich werde bei Bonnie Hilfe brauchen.“ Liam sah ihr direkt in die Augen.

Sie nickte und lächelte ihn ermutigend an. „Keine schlechte Idee. Ein Kind allein großzuziehen, ist gar nicht so einfach. Vielleicht könnten Ihre Eltern Sie ja dabei unterstützen.“

Das wäre in der Tat das Beste gewesen. Wenn Liam gewusst hätte, dass er Vater werden würde, hätte er seine Eltern bestimmt sofort eingeweiht. „Leider sind sie nicht da“, erwiderte er bedauernd. „Sie sind für ein paar Monate nach Europa gefahren.“

Dylan schmunzelte. „Sie haben sich so sehr auf die Reise gefreut. Aber jetzt muss man leider sagen, dass ihr Timing ziemlich schlecht war.“

„Sie sollten ein Kindermädchen für Bonnie anstellen“, schlug Jenna vor.

Genau das hatte Liam auch schon gedacht. Denn obwohl er seine Tochter vom ersten Moment an abgöttisch geliebt hatte, wusste er, dass er keine Ahnung von Babys hatte. Als sie geschrien hatte, war er völlig hilflos gewesen. Doch jetzt hatte ihm das Schicksal plötzlich die Person beschert, die sich mit so etwas auskannte: Jenna Peters.

Koste es, was es wolle – er würde alles tun, um sie für Bonnie zu engagieren.

Liam sah seinen jüngeren Bruder streng an. „Du wirst mir jetzt einen Gefallen tun.“

„Ach, ja?“ Dylan verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was soll das sein?“

„Du wirst deine Haushälterin gehen lassen.“

„Warum sollte ich das tun? Ich mag Jenna.“

Liam lächelte. „Sie kann nicht deine Haushälterin bleiben, weil sie mein Kindermädchen wird.“

„Ihr Kindermädchen?“, fragte Jenna stirnrunzelnd. „Ich habe nicht vor, meinen Job aufzugeben.“

„Sie werden aber nicht nur Kindermädchen sein, sondern mir auch beibringen, wie man sich als Vater verhält.“

„Sie sind doch schon Vater!“

„Theoretisch. Doch ich habe keinerlei praktische Erfahrung.“ Liam wusste, dass er Jenna gegenüber vollkommen ehrlich sein musste, wenn er sie für Bonnie anstellen wollte. „Ich muss lernen, wie man sich um ein Baby kümmert und eine Verbindung zu ihm aufbaut. Leider hatte ich keine Zeit, mich auf diese Aufgabe vorzubereiten, und ich will nicht, dass Bonnie die Leidtragende ist. Sie würden so etwas wie ein Coach für mich als Vater sein.“

Bonnies Großeltern waren empört gewesen, dass er ihnen das Kind weggenommen hatte. Aber sie mussten erst einmal über den Tod ihrer Tochter hinwegkommen. Liam ging davon aus, dass sie ihm das Sorgerecht streitig machen würden. Doch damit würde er sich befassen, wenn es so weit war. Im Moment ging es erst einmal um das, was Bonnie brauchte.

„Ich bin aber keine Expertin“, erwiderte Jenna kopfschüttelnd. „Dafür gibt es viel qualifiziertere Leute als mich. Zum Beispiel Agenturen, die Kindermädchen und Babysitter vermitteln.“

Liam sah stolz auf seine Tochter, die friedlich schlummerte. „Bonnie scheint das anders zu sehen.“

„Ein müdes Baby zum Schlafen zu bringen, ist eine Sache. Aber glauben Sie mir, ich bin selbst noch Anfängerin, was die Bedürfnisse eines Kleinkinds betrifft. Obwohl ich schon eine Menge Bücher darüber gelesen habe, tappe ich doch oft im Dunkeln und rate nur.“

Liam zuckte die Achseln. „Trotzdem sind Sie viel weiter als ich. Sie werden Ihr Wissen mit mir teilen, und ich werde mich bemühen, Ihren Vorsprung aufzuholen. Jedenfalls kann ich Ihnen versprechen, dass ich mir redliche Mühe geben werde. Ich möchte alles über Babys lernen.“

Jenna zog eine Grimasse. Offenbar wusste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie glaubte ihm vermutlich nicht, doch er war ein Mann, der vor keiner Herausforderung zurückschreckte. Und in diesem Fall war Bonnie die Herausforderung.

„Also, werden Sie den Job annehmen?“

„Nicht so schnell! Hier geht es ja nicht nur um einen Job, sondern auch um einen Platz für mich und meine Tochter. Was geschieht, wenn ich Ihnen alles beigebracht habe, was Sie wissen wollen? Ihr Bruder hat mir eine Arbeit und ein Dach über dem Kopf geboten. Bestimmt würde er schnell einen Ersatz für mich finden. Und was wird dann aus mir und Meg?“

Liam schüttelte den Kopf. „Selbst wenn Sie mir alles beigebracht haben, was Sie wissen, würde ich immer noch ein Kindermädchen brauchen. Jedenfalls so lange, bis Bonnie zur Schule geht. Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie auf keinen Fall hinauswerfen werde.“

Jenna biss sich auf die Unterlippe und dachte angestrengt nach. „Kann ich es mir noch überlegen?“

„Nein, ich fürchte, dazu ist keine Zeit. Ich bin auf dem Heimweg und habe Dylan nur hier abgesetzt. Am liebsten wäre mir, wenn Sie gleich mit mir kommen und mir beim Füttern und Baden von Bonnie helfen würden.“

„Jetzt gleich?“, fragte Jenna mit weit aufgerissenen Augen.

„Packen Sie Ihre Tasche, dann können wir auf dem Weg noch Meg mitnehmen. Morgen schicke ich jemanden vorbei, der Ihre restlichen Sachen abholt.“

„Hey, was ist mit mir?“ Verwirrt sah Dylan von einem zum anderen.

Liam winkte ab. „Ich bin sicher, dass du eine Weile ohne Haushälterin überleben kannst. Und wenn du jemanden brauchst, rufst du einfach die Agentur an.“ Ungeduldig wandte er sich zu Jenna um. „Also, nehmen Sie mein Angebot an?“

„Aber …“

„Bitte machen Sie es nicht zu kompliziert. Ich habe Ihnen einen Job angeboten, und Sie sind die Richtige dafür. Als Ausgleich biete ich Ihnen zwanzig Prozent mehr Gehalt, und selbstverständlich können Sie auch bei mir wohnen. Das Beste ist aber, dass Sie Ihr Kind bei sich behalten können, statt Meg zur Tagesmutter zu geben. Kommen Sie schon!“ Er lächelte. „Geben Sie sich einen Ruck, und sagen Sie Ja!“

Jenna sah hilflos zu Dylan hinüber. Der zuckte mit den Schultern. „Von mir aus“, sagte er dann. „Wenn Sie den Job nehmen wollen, haben Sie meinen Segen. Mein Bruder und meine Nichte brauchen Sie offensichtlich dringender als ich.“

Jenna holte tief Luft. „Ja“, sagte sie dann und klang fast überrascht. „Ja“, wiederholte sie noch einmal mit fester Stimme.

„Prima!“ Liam lächelte erfreut. „Wie lange wird es dauern, bis Sie Ihre Tasche gepackt haben?“

„Wenn Sie mir Ihre Adresse geben, kann ich mir ein Taxi nehmen und in einer Stunde bei Ihnen sein.“

„Ich warte lieber.“ Er war entschlossen, mit ihr und Bonnie nach Hause zurückzukehren.

„Na gut, wie Sie wollen. Ich beeile mich.“

Zufrieden sah Liam Jenna nach, als sie das Wohnzimmer verließ. Ihm gefiel die Art, wie sie sich bewegte. Sie bei sich wohnen zu lassen, war eine gute Idee – nicht nur wegen Bonnie.

Doch kaum war der Gedanke aufgetaucht, verwarf er ihn gleich wieder. Jetzt ging es um Wichtigeres als darum, sich von einer attraktiven Frau bezaubern zu lassen. Im Gegenteil – eine erotische Anziehung würde eher ein Problem darstellen. Er hatte ein Kindermädchen für sein Baby gefunden und würde dies nicht dadurch in Gefahr bringen, dass er sich wie ein Teenager verhielt, der von seinen Hormonen gesteuert wurde.

Trotzdem hatte er das Gefühl, dass sich alles gut entwickeln würde. Er sah noch einmal auf das friedlich schlafende Baby in seinen Armen. Nein, es würde sich mehr als gut entwickeln. Dafür würde er schon sorgen.

2. KAPITEL

Auf der Fahrt in Liams Jeep zu seinem Haus in San Juan Capistrano herrschte ein leicht angespanntes Schweigen. Nachdem Jenna ihre Sachen gepackt hatte, war Bonnie hungrig geworden, und sie hatte dem Baby die Flasche gegeben. Jetzt schlief Bonnie, genau wie Meg.

Jenna warf ihrem Begleiter einen verstohlenen Seitenblick zu. Er war älter als sein Bruder, sein Gesicht wirkte kantiger. Doch das erklärte nicht, warum sie sich von Anfang an zu Liam hingezogen gefühlt hatte. Auch nicht, warum ihr Herz bei seinem Anblick immer ein bisschen schneller schlug.

Was wusste sie schon über ihn – außer, dass er ein Mann war, der es gewohnt war, seinen Willen durchzusetzen? Unglaublich, wie schnell es ihm gelungen war, sie zum Mitkommen zu bewegen. Irgendwie erinnerte er sie an ihre Mutter, die Fürstin. Auch sie war eine äußerst willensstarke Person, der andere gern gehorchten.

Jenna war glücklich über den Job bei Dylan gewesen, über die finanzielle Sicherheit, die er ihr und Meg geboten hatte. Doch jetzt befand sie sich mit ihrer Tochter auf dem Weg zu Liams Haus. Wie hatte das nur geschehen können?

Obwohl sie ihm nur schwer widerstehen konnte, war ihr klar, dass es in Wirklichkeit Bonnie gewesen war, die sie zu diesem Entschluss bewogen hatte. Bonnie – und Liams eiserne Entschlossenheit, für seine Tochter die besten Bedingungen zu schaffen.

Die meisten Menschen hatten neun Monate Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie Eltern wurden. Liam hingegen hatte ihr erzählt, dass er vor weniger als vierundzwanzig Stunden von seiner Vaterschaft erfahren hatte.

Jetzt war es ihr Job, ihm dabei zu helfen, diese Rolle auszufüllen.

„Wahrscheinlich haben Sie noch keine Babysachen zu Hause, oder?“, fragte sie und unterbrach damit das Schweigen.

„Babysachen?“ Er fuhr sich durchs Haar. „Nein, nur den Kindersitz und ein paar Dinge, die sie mir im Krankenhaus mitgegeben haben.“

„Nun, das reicht für den Anfang. Aber wir werden wohl noch einiges besorgen müssen.“

„Zum Beispiel?“

Jenna holte Block und Stift aus ihrer Tasche und begann, eine Liste aufzustellen. Sie würden alles brauchen, von Bettsachen über Strampelanzüge bis hin zu Fläschchen und Schnullern.

„Bonnie wird ein paar Möbel benötigen, am dringendsten sind ein Kinderbett und eine Kommode für ihre Sachen. Vielleicht haben Sie ja auch ein paar Möbel bei sich zu Hause, die wir vorerst benutzen können.“

„Ich werde Ihnen mein Haus zeigen, dann können Sie sehen, was brauchbar ist.“ Es klang so, als würde er über die Logistik eines neuen Projekts sprechen. „Setzen Sie alles andere auf die Liste. Wir können die fehlenden Sachen liefern lassen.“

„Nun, für den Anfang können wir ja auch Megs Sachen nehmen.“

„Nein, das wird nicht nötig sein“, entgegnete Liam. „Sie können alles neu kaufen. Was Bonnie braucht, wird sie bekommen.“

„Okay. Dann brauchen wir Windeln, Flaschen, einen Sterilisator, eine Wiege, Bettwäsche, Strampelanzüge, eine Windeltasche …“

Liam hob die Hand. „Moment mal, eine Windeltasche? Kommen die Windeln denn nicht eingepackt bei uns an?“

„Man braucht eine Windeltasche für die ganzen Babysachen, wenn man mit ihm nach draußen geht“, erklärte Jenna geduldig. Sie sah auf ihre Liste und fuhr fort: „Ein Babyfon, einen Stuhl, Babycreme und Shampoo, Schühchen und Strümpfe …“

„Was? Alles für ein Baby, das gerade einmal sieben Pfund wiegt?“, fragte Liam ungläubig.

Jenna verbarg ihr Lächeln. „Unglaublich, oder? Und das ist erst der Anfang.“

Als sie Liams Haus erreichten, war Jenna überrascht. Sie hatte ein modernes Gebäude erwartet, so wie das, in dem Dylan lebte. Aber Liams zweistöckiges Haus mit den hohen Fenstern und der großen Veranda wirkte viel älter und geräumiger. Es sah aus wie ein richtiges Familienhaus.

Liam parkte den Wagen vor dem Eingang. Er und Jenna machten die Babys aus ihren Sitzen los, und Jenna folgte ihm ins Haus. Meg wurde sofort wach, doch Bonnie schlief friedlich weiter.

Das Innere machte einen großzügigen und hellen Eindruck, die Möbel und Teppiche waren in warmen Farben gehalten. Man fühlte sich hier sofort wohl. Jenna lächelte. Bonnie würde es lieben, hier aufzuwachsen.

In diesem Moment erschien eine Frau in der Halle. Sie wirkte streng und verschlossen.

„Hallo, Katherine“, sagte Liam.

„Brauchen Sie etwas, Mr Hawke?“, fragte sie, ohne eine Miene zu verziehen.

„Nein, aber ich möchte Ihnen gern unsere Neuzugänge vorstellen.“ Er zeigte auf Jenna, die mit Meg im Arm hinter ihm stand. „Jenna, das ist Katherine, meine Haushälterin. Katherine, das hier sind Jenna und ihre Tochter Meg. Wie ich Ihnen bereits am Telefon gesagt habe, wird Jenna sich um Bonnie kümmern. Leider verstehe ich noch nicht viel von der Materie, aber ich gehe davon aus, dass Babys eine Menge Arbeit machen. Sie beide werden sich also zusammenraufen müssen.“

Katherine sah Jenna nicht einmal an. „Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich mich um das Baby kümmern kann, Mr Hawke.“

Liam schüttelte den Kopf. „Nein, Sie haben schon mehr als genug zu tun. Ihre Domäne ist der Haushalt. Ich werde nicht zulassen, dass Sie sich zu viel aufbürden.“

Das schien Katherine ein wenig zu besänftigen. „Dann sollte ich wohl für das Abendessen ein zweites Gedeck auflegen.“

„Ja, und für die anderen Mahlzeiten auch. Gut, das wäre alles für den Moment.“

„Ich bin in der Küche, wenn Sie mich brauchen.“ Damit wandte sich die Haushälterin um und verschwand, ohne Jenna überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

Verblüfft sah Jenna der Frau nach. In ihrem ganzen Leben war sie noch nie so behandelt worden.

„Habe ich irgendetwas falsch gemacht?“, fragte sie Liam verwirrt.

„Nein, so ist Katherine nun einmal“, erwiderte er schulterzuckend. „Sie herrscht über den Haushalt wie ein Kapitän über sein Schiff. Ohne sie wäre ich verloren, aber sie kann manchmal schon ein wenig … einschüchternd sein.“

Einschüchternd war der richtige Ausdruck. „Sie haben ihr doch gesagt, dass es zu viel für sie wäre, sich auch noch um Bonnie zu kümmern.“

Liam nickte lächelnd. „Stimmt. Doch wie ich Katherine kenne, wäre es ihr wohl lieber gewesen, diese Entscheidung selbst zu treffen. Und dann auch selber ein Kindermädchen zu engagieren.“

Na, das fing ja gut an! Jenna wechselte lieber das Thema. „Wohnen Sie schon lange hier?“

„Seit meinem elften Lebensjahr. Meine Eltern haben das Haus gekauft, als es noch eine einfache Farm war. Es ging ihnen vor allem um das Land, denn hier konnten sie sich um ihre Blumenzucht kümmern.“ Er sah sich zufrieden um. „Ich habe es meinen Eltern vor fünf Jahren abgekauft, als sie in den Ruhestand gegangen sind. Dieses Arrangement nutzt uns allen: Sie haben jetzt eine schöne Wohnung in der Stadt, und ich lebe an meinem Arbeitsplatz.“

Jenna sah sich in der großen, geschmackvoll gestalteten Eingangshalle um, die den Wohlstand ihres Besitzers verriet. „Man kann sich dieses Haus nur schwer als eine einfache Farm vorstellen.“

„Wir haben viel um- und angebaut. In den ursprünglichen Räumen befinden sich inzwischen die Wäscherei und die Abstellkammern. Aber jetzt würde ich Ihnen gern die Räume zeigen, die wir als Kinderzimmer benutzen können.“

„Wollen Sie denn jedem der Mädchen ein eigenes Zimmer geben?“, fragte Jenna.

Liam nickte. „Ja, das halte ich für besser. So wird die eine nicht aufgeweckt, wenn die andere nachts schreit und gefüttert werden muss.“

„Ich wusste ja nicht, wie viel Platz Sie hier haben. Eigentlich dachte ich, Meg würde bei mir im Zimmer schlafen.“

„Kommen Sie“, sagte er und ging vor ihr die Treppe hinauf. „Im ersten Stock sind die Schlafzimmer“, erklärte er. „Dieses hier am Ende des Flurs ist meins.“ Er öffnete die Tür. Jenna warf einen kurzen Blick in einen großen Raum, der ganz in Braun- und Beigetönen gehalten war, bis auf eine grüne Wand, vor der das Bett stand. Drei Fenster boten einen herrlichen Blick über San Juan Capistrano.

Dann zeigte Liam ihr die anderen Zimmer. „Schauen Sie“, sagte er und öffnete die Tür. „Das ist eins der Gästezimmer. Es gibt insgesamt drei. Ihnen wollte ich dieses Zimmer anbieten. Die beiden anderen sind für Meg und Bonnie.“

Auch diese Räume waren großzügig eingerichtet, und jedes war in einer anderen Farbe gestrichen. Das Zimmer, das Liam Jenna zugedacht hatte, war in Lavendeltönen gehalten. Auf dem Himmelbett lag eine Tagesdecke aus Satin, an den Wänden hingen Fotos von lilafarbenen Schwertlilien.

Jenna trat zum Bett und strich über die seidene Decke. „Haben Sie die Farben ausgewählt?“

„Nein, meine Mutter hat das Haus neu eingerichtet, bevor sie und mein Vater vor ein paar Jahren ausgezogen sind.“

Dann sahen sie sich die beiden anderen Zimmer an. Megs neues Kinderzimmer hatte minzgrüne Wände mit pinkfarbenen Akzenten. Auf dem Bett lag ein bunter Quilt, und an den Wänden hingen ebenfalls Fotos – dieses Mal von rosaroten Tulpen.

„Megs Kinderbett und ihr Wickeltisch müssten eigentlich noch hier hineinpassen“, meinte Jenna.

„Ja, das glaube ich auch. Außerdem können wir das Bett jederzeit umstellen, wenn Sie möchten.“

„Von wem stammt der Quilt?“, fragte Jenna neugierig.

„Von meiner Mutter“, erklärte Liam. „Meine Brüder und ich haben mehrere davon.“

„Und die Blumenbilder?“

„Die sind von mir. Ich fotografiere unsere Blumen im Treibhaus für das Archiv. Meine Mutter hat ein paar der Fotos rahmen lassen.“

Er sagte es so leichthin, aber Jenna merkte sofort, dass es sich um ausgesprochen künstlerische Aufnahmen handelte. Liam hatte das Licht auf den Blüten und Blättern mit seiner Kamera so geschickt eingefangen, dass die Blumen von innen heraus zu leuchten schienen. Aber da sie das Gefühl hatte, ein Lob würde ihm vielleicht peinlich sein, verkniff sie sich jeden Kommentar.

Bonnies Kinderzimmer war ebenfalls sehr geschmackvoll und elegant eingerichtet, wirkte mit dem dunklen Holz jedoch ein wenig düster. Ein Mann hätte sich hier bestimmt wohlgefühlt. Aber ob es das Richtige für ein Baby war?

Liam schien dasselbe zu denken, denn er sah sie entschuldigend an. „Vielleicht sollte dieses Zimmer neu gestrichen werden?“

„Unbedingt. An welche Farbe hatten Sie gedacht?“

„Das überlasse ich Ihnen“, erwiderte er und setzte hinzu: „Ich werde Ihnen eine Kreditkarte für mein Konto einrichten. Dann müssen Sie mich nicht um jeden kleinen Betrag bitten. Wenn es sich um regelmäßige Einkäufe handelt, wie zum Beispiel die Windeln, können Sie Katherine Bescheid sagen. Sie setzt sie dann auf die Einkaufsliste.“

„Alles klar.“

Bonnie fing plötzlich an, sich in Liams Armen zu rühren, und er wurde sofort nervös.

Jenna setzte Meg auf den Boden, wo die Kleine mit ihrer Stoffpuppe zu spielen begann, und streckte die Arme aus. „Soll ich sie Ihnen abnehmen?“

„Ja, das wäre wohl das Beste“, erwiderte er und reichte ihr vorsichtig das Baby.

Jenna betrachtete den Säugling bewundernd. „Was für dunkles Haar sie hat! Genau wie Ihres. Als Meg geboren wurde, war sie ganz kahl.“

Liam nickte, seine Augen leuchteten. „Gleich, als ich Bonnie gesehen habe, wusste ich, dass sie meine Tochter ist.“ Dann runzelte er die Stirn und sah zur Tür. „Bitte entschuldigen Sie. Ich weiß, Sie sind gerade erst eingetroffen. Aber mir ist eine Menge Arbeit liegen geblieben, und ich muss im Treibhaus nach dem Rechten sehen.“

„Kein Problem“, erwiderte Jenna, die den Hinweis sofort verstand. „Gehen Sie ruhig an die Arbeit. Wir werden uns hier schon einleben.“

Nur wenige Stunden, nachdem Jenna Liam die Liste mit den Babysachen übergeben hatte, erschien auch schon ein Lieferwagen mit allem Gewünschten. Mit genügend Geld ließ sich anscheinend in kürzester Zeit eine Menge erreichen.

Zwei Männer sprangen aus dem Wagen und begrüßten Jenna, die mit Meg auf dem Arm zur Tür geeilt war. Bonnie schlief derweil in Liams Zimmer, weil es dort am ruhigsten war.

„Wir haben eine Lieferung für Liam Hawke“, sagte der Ältere der Männer zu Jenna.

„Ja, da sind Sie hier richtig. Danke, dass alles so schnell ging.“

„Das gehört zu unserem Service“, erwiderte der Mann. Dann luden sie die bestellten Sachen aus und folgten Jenna die Treppe hoch in Bonnies neues Kinderzimmer. Es war klar, dass es Liams Tochter an nichts fehlen würde. Aber Jenna fand es doch ein wenig traurig, dass alles so unpersönlich geliefert wurde. Niemand hatte mit liebevoller Sorgfalt jedes Stück einzeln ausgewählt.

Obwohl … Was war eigentlich mit Bonnies Mutter? Bestimmt hatte sie Vorbereitungen für ihr Neugeborenes getroffen. Bei dem Gedanken daran, wie diese Mutter davon geträumt hatte, ihrem Kind ein Schlaflied vorzusingen, spürte Jenna plötzlich einen Kloß im Hals.

„So, ich glaube, das ist jetzt alles“, sagte einer der Lieferanten in diesem Moment zu ihr. „Mr Hawke hat uns die Liste telefonisch durchgegeben. Jetzt müssen Sie hier nur noch gegenzeichnen.“ Er reichte ihr einen Block mit einer Quittung.

„Vielen Dank“, erwiderte Jenna, nahm einen Kugelschreiber von dem Mann entgegen – und zögerte. Du heißt jetzt Jenna Peters, erinnerte sie sich selbst. Seit über einem Jahr war das nun offiziell ihr Name, aber noch immer kam es ihr ungewohnt vor.

In ihrem Herzen wusste sie mit unumstößlicher Sicherheit, dass sie immer Prinzessin Jensine Larson bleiben würde, das jüngste von fünf Kindern der fürstlichen Familie von Beltsee. Eine Prinzessin, die in ihren ganzen dreiundzwanzig Jahren nie etwas Unrechtes getan hatte – bis sie ihren einzigen, aber auch größten Fehler begangen hatte.

Sie war von einem Mann schwanger geworden, mit dem sie nicht verheiratet war.

Zuerst war es ihr gar nicht so schlimm vorgekommen. Alexander und sie hatten sich ineinander verliebt und sowieso geplant, eines Tages zu heiraten. Sie würden den Termin nur etwas vorziehen müssen. Und sie mussten es noch ihren Eltern mitteilen. Denn niemand hatte von ihrer Beziehung gewusst. Nachdem Jenna immer unter den Augen der Öffentlichkeit gelebt hatte, hatte sie ihre Liebe zu Alexander für sich behalten wollen. Nur eine Sache, von der niemand sonst wusste …

Bei der Erinnerung daran verzog Jenna das Gesicht. Jetzt wusste tatsächlich niemand mehr etwas über sie und ihr Leben.

Alexander und sie hatten vorgehabt, ihren Eltern von der Verbindung zu erzählen, wenn er von seinem letzten Militäreinsatz zurück sein würde. Aber er war nicht nach Hause gekommen. Er war bei dem Einsatz getötet worden und hatte Jenna schwanger und allein zurückgelassen.

Es war ihr unmöglich gewesen, ihren Eltern diese Tragödie zu gestehen. Sie hätte ihre Enttäuschung nicht verkraftet. Außerdem wusste sie genau, dass die Geschichte ein Fest für die Presse geworden wäre. Die Berichte hätten dem Ruf der fürstlichen Familie irreparablen Schaden zugefügt, und Jenna hatte gewusst, dass sie ihren Eltern das nicht zumuten konnte. Denn bisher hatte es keinen einzigen Skandal gegeben, worauf ihre Familie sehr stolz war.

Daher hatte sie nur einen Ausweg gesehen: Sie hatte das Land verlassen und war mithilfe ihrer Freundin Kristen, die für den fürstlichen Sicherheitsdienst arbeitete, unter falschem Namen nach Los Angeles geflohen. Dort hatte Kristen einen Freund, der ihr bei der Beschaffung des neuen Passes geholfen hatte. Die beiden waren die Einzigen, die ihren jetzigen Aufenthaltsort kannten.

Kristen war es auch gewesen, die Jennas Familie gesagt hatte, dass sie für eine Weile verreist war, ohne ihnen Genaueres zu verraten. Offiziell hieß es, sie wäre ins Ausland gegangen, um dort zu studieren. Der Plan war nicht perfekt, aber bisher schien er zu funktionieren.

Nachdem der Lieferwagen um die Ecke verschwunden war, schloss Jenna die Tür und hob Meg hoch. „Sollen wir uns mal die schönen Sachen anschauen, die für Bonnie geliefert wurden?“, fragte sie die Kleine. Meg gluckste vergnügt, und sie strich ihr lächelnd über den Kopf.

In diesem Moment erschien Liam auf der hinteren Terrasse, die den Garten mit dem Haus verband. Er winkte ihr zu, bevor er die Halle betrat.

„War das der Lieferwagen mit den Babysachen?“

„Ja, sie haben die Möbel und das Zubehör gebracht. Jetzt müssen wir die Sachen nur noch aufstellen und alles in die Schränke räumen.“

„Wir können es jetzt tun, wenn Sie möchten.“

Jenna nickte. „Bonnie schläft noch in Ihrem Zimmer, es wäre ein guter Zeitpunkt.“

Sie verbrachten die nächsten zwanzig Minuten damit, eine zusätzliche Kommode in Megs Kinderzimmer aufzustellen und das Gästebett aus Bonnies Zimmer zu räumen, damit Platz für das neue Kinderbettchen war. Danach packte Liam die Bettwäsche und die Babysachen aus, während Jenna Puder und Babycremes auf dem Wickeltisch platzierte.

„Woher stammt eigentlich Ihr Akzent?“, fragte er plötzlich. „Kommen Sie aus Dänemark?“

Jenna zögerte. Sollte sie ihm verraten, wo sie wirklich herkam? Bisher hatte sie tatsächlich immer gesagt, sie wäre aus Dänemark. Aber aus irgendeinem Grund konnte sie Liam nicht anlügen. Vielleicht hing es damit zusammen, dass er bereit war, ihr seine Tochter anzuvertrauen.

„Ich komme aus dem Fürstentum Beltsee“, erwiderte sie daher wahrheitsgemäß. „Das ist eine Inselgruppe im Baltischen Meer, nicht weit von Dänemark entfernt, deshalb werden die Sprachen oft verwechselt.“

„Ja, davon habe ich gehört. Es soll dort massenhaft Bären und Seehunde geben.“

„Genauso ist es“, sagte Jenna lächelnd.

Liam sah sie neugierig an. „Haben Sie vor, bald wieder dorthin zurückzukehren? Oder wollen Sie sich dauerhaft in den USA niederlassen?“

„Nun, ich habe mir vorgenommen, mir die Welt anzuschauen. Daher werde ich irgendwann wohl weiterziehen.“ Das stimmte zwar nicht ganz, aber sie wusste nicht, wie ihre Zukunft aussah. Sie musste erst noch einen Plan entwerfen, wie sie die Suppe auslöffeln sollte, die sie sich eingebrockt hatte. Bis dahin war alles völlig offen.

„Ich gehe aber nicht, bevor Bonnie und Sie so weit sind“, fügte sie schnell hinzu, um nicht unzuverlässig zu erscheinen.

„Ich hatte nicht vor, Sie lebenslänglich zu engagieren“, erwiderte Liam. „Wenn Sie mir rechtzeitig vorher Bescheid geben, können Sie jederzeit gehen.“

„Danke.“

Er nickte und sah sie durchdringend an. „Ich habe es übrigens ernst mit dem gemeint, was ich vorhin über Ihr Gehalt gesagt habe. Bei mir bekommen Sie zwanzig Prozent mehr als bei Dylan. Wenn Sie sonst noch irgendwelche Bedingungen haben sollten, lassen Sie es mich bitte wissen.“

„Das ist wirklich sehr großzügig von Ihnen. Dabei wissen Sie ja gar nicht, ob ich auch für den Job geeignet bin.“

Liam ließ sich durch ihre Antwort nicht aus der Ruhe bringen. „Dylan hätte Sie nie angestellt, wenn Sie Ihre Arbeit nicht kompetent erledigen würden. Und Bonnie hat sich bisher auch noch nicht beschwert, soviel ich weiß. Außerdem …“, er grinste lässig, „… falls das Ganze wider Erwarten nicht funktionieren sollte, feuere ich Sie einfach und stelle jemand anderen ein.“

Jenna war sich nicht sicher, ob er gerade einen Scherz machte oder nicht. Aber sie wusste, dass sein Lächeln ihr den Atem raubte. Natürlich hatte es schon einige Männer gegeben, die versucht hatten, mit ihr zu flirten, in der Hoffnung, in die fürstliche Familie einzuheiraten. Bisher hatte sie allerdings noch niemanden getroffen, bis auf Alexander, der einen nachhaltigen Eindruck auf sie gemacht hatte. Liam Hawke hingegen brauchte nur zu lächeln, und sie war hin und weg.

Jenna unterdrückte nur mit Mühe ein Aufstöhnen. Auf gar keinen Fall durfte sie ihren neuen Job mit solchen Gedanken beginnen!

Glücklicherweise gähnte Meg in diesem Moment, und Jenna war froh über die Ablenkung. „Ich glaube, ich bringe Meg jetzt besser nach oben, damit sie ein Nickerchen machen kann. Bestimmt wird Bonnie auch gleich aufwachen.“

Sie strich ihrer Tochter leicht über die müden Lider, die langsam zufielen, und summte leise ein Schlummerlied aus Beltsee, das Meg über alles liebte.

Liam schob die Hände in die Hosentaschen und wandte sich zur Tür. „Gut, dann lasse ich Sie jetzt Ihre Arbeit machen.“

Jenna nickte nur. Aber kaum war er gegangen, trat sie ans Fenster und sah ihm nach, wie er den Weg zu den Feldern voller Blumen einschlug, die hinter dem Haus lagen. Die ganze Zeit über ging ihr nur eine einzige Frage durch den Kopf: Warum fand sie ausgerechnet diesen Mann so attraktiv?

3. KAPITEL

Liam hatte einen schrecklichen Albtraum. Ein Kind schrie verzweifelt, es flehte ihn an, ihm zu helfen, etwas zu tun. Er erwachte schweißgebadet und richtete sich auf. Aber das Weinen hörte er immer noch. Einen kurzen Moment lang wusste er nicht, was los war. Dann fiel ihm alles wieder ein.

Bonnie. Seine Tochter weinte.

Er sprang aus dem Bett und versicherte sich kurz, dass er seine Pyjamahosen trug. Jenna und er versorgten die Kinder nachts gemeinsam. Das bedeutete, er musste vierundzwanzig Stunden am Tag angezogen sein, obwohl er normalerweise nackt schlief. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr – es war zwei Uhr morgens – eilte er hinaus auf den Flur.

Doch noch bevor er Bonnies Kinderzimmer erreicht hatte, wurde dort das Licht angeschaltet, und er sah Jenna. Sie trug einen halb durchsichtigen weißen Morgenmantel über einem oberschenkellangen T-Shirt und beugte sich über das Bettchen seiner Tochter, dann hob sie Bonnie hoch und sprach mit leiser Stimme beruhigend auf sie ein. Liam blieb wie angewurzelt stehen und betrachtete das Bild, das sich ihm bot. Im Zwielicht wirkte die Szene fast wie ein mittelalterliches Gemälde. Jennas Schönheit, die liebevolle Art, wie sie Bonnie im Arm hielt, und das völlige Vertrauen, das sein Kind ihr entgegenbrachte, überwältigten ihn. Er konnte die Augen nicht abwenden.

Jenna bemerkte ihn und lächelte ihn schläfrig an, während sie Bonnie beruhigte.

Langsam hörte das Schreien auf. Jenna sagte über Bonnies Kopf hinweg: „Sie hat Hunger. Können Sie sie bitte halten, während ich die Flasche für sie zurechtmache?“

Liam räusperte sich und trat einen Schritt näher. „Na klar.“

Als sie ihm das Baby in den Arm legte, streiften ihre Finger dabei kurz seine nackte Brust. Liam musste den überwältigenden Drang, ihre Hand zu ergreifen und festzuhalten, mit aller Macht unterdrücken. Eines war klar: Pyjamahosen allein genügten nicht. In Zukunft würde er jeden Hautkontakt auf ein Mindestmaß beschränken und wenigstens ein T-Shirt tragen müssen.

Jenna verließ das Zimmer und ging die Treppe hinunter. Er folgte ihr langsam und beobachtete fasziniert den Schwung ihrer Hüften, ihre unbewusst sinnlichen Bewegungen. Doch dann konzentrierte er sich pflichtschuldig wieder auf das kleine Bündel in seinen Armen.

Er streichelte Bonnie so, wie er es bei Jenna beobachtet hatte, und betrat hinter ihr die Küche, wo er ihr beim Wärmen der Milch zusah. Sie bewegte sich ganz natürlich bei dieser Aufgabe. Kein Wunder, schließlich hatte sie ja selbst ein Baby. Aber ob ihr jemals jemand zugesehen und gedacht hatte, wie verführerisch sie aussah?

Er war schon wieder dabei, an die falschen Dinge zu denken. Verdammt!

Ob es mit der intimen Stimmung der Nacht zu tun hatte, dass er so stark auf diese Frau reagierte? Normalerweise waren die einzigen Frauen, die er morgens um zwei Uhr zu Gesicht bekam, diejenigen, mit denen er eine Affäre hatte. Allerdings kam es nur ganz selten vor, dass er eine von ihnen mit zu sich nach Hause nahm. Er zog Verbindungen vor, die er von seinem normalen Privatleben streng getrennt hielt. Sein Bruder Dylan hatte sich erstaunt darüber gezeigt, wie distanziert und kalt diese Kontakte waren. Aber das war Liam egal. Er war nicht naiv genug, zu glauben, dass es den Frauen, mit denen er sich einließ, um die große Liebe ging.

Diese Frauen interessierten sich nicht wirklich für ihn, für seine Persönlichkeit. Sie kannten den echten Liam nicht, dessen Leidenschaft es war, neue, ungewöhnliche Blumen zu züchten. Den Mann, der keine Zeit für die Ablenkungen hatte, die der Reichtum ihm ermöglichte.

Doch im Grunde passte es ihm gut so. Denn dadurch, dass er keine Frau an sich heranließ, konnte er verhindern, dass er sich am Ende noch in eine verliebte, die es allein auf sein Geld abgesehen hatte.

Er lehnte sich an den Küchentresen und drückte Bonnie, die langsam ungeduldig wurde, an seine Brust. „Ganz ruhig“, flüsterte er und wiegte sie leicht. „Gleich ist es so weit.“

Plötzlich musste er an Rebecca denken. Dass sie es damals ebenfalls auf sein Vermögen abgesehen hatte, konnte er sich nicht vorstellen, denn ihre Eltern waren sehr wohlhabend. Trotzdem bewies die Tatsache, dass sie ihm nichts von ihrer Schwangerschaft erzählt hatte, dass sie ihr eigenes Spiel gespielt hatte.

„Okay, Liebling“, sagte Jenna in diesem Moment. „Deine Flasche ist fertig. Jetzt lass uns wieder nach oben gehen.“

Sie strich Bonnie beim Hinausgehen kurz über den Kopf, und Liam erlebte einen kurzen Stich der Eifersucht. Aber das ist ja lächerlich, dachte er gleich darauf. Wie konnte man denn auf ein Baby eifersüchtig sein?

Mit der warmen Flasche in der Hand ging Jenna den Flur hinunter und rieb sich die müden Augen. Obwohl es noch nicht sehr lange her war, dass Meg sie so oft aufgescheucht hatte, hatte sie bereits vergessen, wie anstrengend es war, mehrmals mitten in der Nacht aufzustehen.

Vor Bonnies Kinderzimmer machte sie kurz Halt und fragte Liam: „Möchten Sie Bonnie füttern, oder soll ich es tun?“

Er räusperte sich. „Bitte machen Sie das. Ich habe immer noch eine Menge zu lernen und möchte Ihnen dabei zuschauen.“

Jenna nickte, betrat das Zimmer und ließ sich im Sessel nieder. Sie verstand seine Beweggründe. Schließlich war er Wissenschaftler. Er wollte sicher erst einmal alle Informationen sammeln, bevor er sich auf neues Terrain wagte. In der Küche hatte sie gemerkt, wie aufmerksam er sie beobachtete. Das hatte sie ein bisschen nervös gemacht, aber wenn er ihr etwas abschauen wollte …

Nun gut, wahrscheinlich gehörte das zu dem Job, den sie hier übernommen hatte. Wahrscheinlich würde sie sich mit der Zeit daran gewöhnen. Ein aufgeregter Schauer prickelte durch ihren Körper, aber sie ignorierte es.

„Gut, dann geben Sie mir Bonnie jetzt“, sagte sie und bemühte sich um einen möglichst neutralen Tonfall.

Als Liam sich vorbeugte, kamen sie sich ganz nahe. Jenna nahm den angenehmen, männlichen Duft seiner Haut wahr. Sie holte tief Luft und war froh, dass er einen Schritt nach hinten trat, nachdem er ihr das Baby in die Arme gelegt hatte.

Dann konzentrierte sie sich wieder ganz auf Bonnie, die sofort begierig an der Flasche nuckelte.

Liam sah den beiden eine Weile schweigend zu und fragte dann unvermittelt: „Wie ist es eigentlich für Sie, Mutter zu sein?“

Diese Frage war gar nicht so leicht zu beantworten, und Jenna zögerte einen Moment lang. „Nun ja, in gewisser Weise übertrifft es meine Erwartungen.“

„In welcher Beziehung?“

„In jeder Beziehung. Es ist eine viel größere Herausforderung und gleichzeitig wunderbarer, als ich je gedacht hätte.“

„Hilft Megs Vater Ihnen dabei, die Kleine großzuziehen?“

„Nein“, erwiderte Jenna nach einer kleinen Pause. „Ihr Vater hat damit nichts zu tun.“

Liam nahm diese Information schweigend zur Kenntnis. „Was ist mit Ihrer Familie? Könnte sie Sie unterstützen?“

Jenna schüttelte den Kopf. „Nein, Meg und ich sind auf uns selbst angewiesen.“ Sie musste sich hüten, diesem Mann, den sie im Grunde ja gar nicht kannte, all ihre Geheimnisse zu verraten. Daher wechselte sie rasch das Thema. „Bonnies Mutter hat Ihnen wirklich nicht gesagt, dass sie schwanger ist?“

Liam sah zum Fenster und schüttelte den Kopf. „Nein, ich hatte keine Ahnung davon, bis ich diesen Anruf aus dem Krankenhaus bekam. Rebecca und ich haben uns vor über acht Monaten getrennt und hatten seitdem keinen Kontakt mehr. Sie können sich meine Überraschung vorstellen, als ich plötzlich erfuhr, dass sie ein kleines Mädchen zur Welt gebracht hatte. Außerdem ging es ihr gesundheitlich nicht gut, wohl nur darum hatte sie darum gebeten, dass man mich kontaktiert. Und dann ist sie leider gestorben. Im Krankenhaus haben sie mir dann Bonnie gezeigt und …“ Seine Stimme brach. „Ich musste sie nur anschauen, um zu wissen, dass sie meine Tochter ist. Ich nehme an, Sie können das verstehen.“

Jenna nickte. „Es gibt nichts, womit man den Blick eines neugeborenen Babys vergleichen könnte. Er ist voller Vertrauen und voller Liebe.“

„Ganz genau“, bestätigte Liam. „Nach dem Tod ihrer Mutter hat Bonnie nun nur noch mich als Elternteil. Ich gehöre ihr, und sie gehört mir.“

„Wie schön“, entgegnete Jenna warm und lächelte ihn an. Sie wusste aus eigener Erfahrung, dass es nicht leicht war, ein Kind allein großzuziehen. Aber wenn er sich wirklich eine Tochter wünschte – und es sah ja so aus – dann hatte Bonnie Glück gehabt.

„Jetzt habe ich das Sorgerecht für ein drei Tage altes Baby“, schloss er und strich sich nervös durchs Haar. „Das Ganze fühlt sich für mich immer noch so unwirklich an. Aber schließlich halten Sie den lebenden Beweis im Arm.“

„Wie geht es Ihnen damit?“

„Nun ja.“ Er zögerte. „Zum einen erschreckt es mich ein bisschen, gleichzeitig ist es ein so wunderbares Gefühl, Bonnie zu halten, zu wissen, dass es sie gibt. Es ist nicht leicht, das auszudrücken. Vielleicht verstehen Sie mich ja.“

Jenna nickte. Seit Megs Geburt wusste sie ganz genau, wovon er sprach.

Bonnie hatte inzwischen ausgetrunken. Jenna gab Liam die Flasche zurück, hob das Baby hoch und lehnte es an ihre Brust. Dabei tätschelte sie leicht Bonnies Rücken. „Was ist mit Rebeccas Familie?“, fragte sie dann. „Wird sie in Bonnies Leben eine Rolle spielen?“

„Als ich im Krankenhaus war, habe ich Rebeccas Eltern zum ersten Mal getroffen“, erwiderte er. „Sie waren nicht besonders froh darüber, mich kennenzulernen.“ Sein Gesichtsausdruck machte deutlich, dass das eine Untertreibung war.

„Vorher hatten Sie sie noch nie gesehen?“

Liam zuckte mit den Schultern. „Rebecca und ich waren nur ein paar Monate zusammen. Die Beziehung war nicht ernst genug, um unsere Familien zu involvieren. Aber inzwischen weiß ich, dass Rebecca während ihrer Schwangerschaft bei ihren Eltern gewohnt hat. Sie wollte auch mit Bonnie dort leben. Ihre Eltern waren anscheinend dazu bereit, das Kind gemeinsam mit ihr großzuziehen.“

„Ohne Sie?“ Es verging nicht ein Tag, an dem sich Jenna nicht wünschte, dass Alexander noch leben und Bonnie zusammen mit ihr aufwachsen sehen würde. Welche Mutter würde ihrem Kind freiwillig die Liebe des Vaters vorenthalten?

„Rebecca hat meinen Namen auf die Geburtsurkunde gesetzt“, fuhr Liam fort. „Daher gehe ich davon aus, dass sie mir irgendwann von Bonnies Existenz erzählt hätte.“

Aber so ganz scheint er davon nicht überzeugt zu sein, dachte Jenna.

„Rebecca hat auch das Personal im Krankenhaus gebeten, mir Bescheid zu geben, als sie erkannte, dass es ihr sehr schlecht ging. Sehr zum Ärger ihrer Eltern, würde ich mal denken“, sagte Liam.

Jenna konnte zwei und zwei zusammenzählen. „Die Eltern sind nicht glücklich darüber, dass Sie Bonnie mitgenommen haben.“

Er lachte bitter. „Das ist noch milde ausgedrückt. Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe bereits einen Anruf von ihrem Anwalt bekommen. Sie wollen mir das Sorgerecht streitig machen.“

„Die arme Kleine!“ Jenna streichelte Bonnies Wangen. „Zuerst verliert sie die Mutter, und jetzt will man ihr auch noch den Vater wegnehmen.“

„Das wird ihnen nicht gelingen“, erklärte Liam entschlossen. „Mein Anwalt kümmert sich um die Sache. Bonnie gehört mir. Niemand wird sie mir wegnehmen.“

Jenna sah die Entschlossenheit in seinen Augen und musste ihm einfach glauben.

Am nächsten Morgen packte Jenna beide Babys in den neuen Doppelkinderwagen und schob ihn nach draußen in den Garten hinter dem Haus. Die Sonne schien, es war ein herrlicher Tag. Außerdem sehnte sie sich nach Bewegung.

Nachdem sie Bonnie gestern Nacht gefüttert hatte, hatte sie nicht mehr schlafen können. Der Anblick von Liams nacktem Oberkörper verfolgte sie und raubte ihr die Ruhe. Wie gern hätte sie die Hand ausgestreckt, um über seine nackte Brust zu streichen. Aber natürlich wusste sie, dass das nicht infrage kam. Schließlich war er ihr Boss. Jenna hatte in ihrem Leben bisher zwar nur zwei Jobs gehabt, aber selbst ihr war klar, dass man mit seinem Arbeitgeber keine Affäre anfangen durfte. Und ihren Job wollte sie auf gar keinen Fall aufs Spiel setzen.

Hinter der Terrasse erstreckten sich Felder voller Blumen. Die Farbenpracht war überwältigend. Es gab helles Gelb, dunkles Lila und leuchtendes Pink, so weit man sehen konnte. Rechts hinter dem Wohnhaus stand ein großes Treibhaus.

Jenna wusste, dass die Firma Hawke’s Blooms mit zahllosen Filialen im ganzen Land vertreten war. Jeden Samstag war eine große Lieferung Blumen für Dylan angekommen, und es hatte zu ihren Pflichten gehört, sie in den Vasen zu arrangieren. Aber die Blumen hier nun mit eigenen Augen zu bewundern, war etwas ganz anderes. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie die Welt bisher nur in Schwarz und Weiß gesehen, aber plötzlich eröffnete ihr jemand ein ganzes Meer von Farben.

Sie schob den Kinderwagen an den Blumenreihen vorbei und blieb hin und wieder stehen, um eine besonders prächtige Blume zu bestaunen oder ihren Duft zu schnuppern. Dann bemerkte sie Liam, der mit schnellen Schritten aus dem Treibhaus auf sie zukam.

„Guten Morgen“, sagte Jenna und lächelte ihn an. „Wir haben Sie heute beim Frühstück vermisst.“

„Guten Morgen!“ Er nickte ihr zu, sein Gesichtsausdruck war unergründlich. „Ja, ich bin ganz früh aufgestanden, weil bei mir einiges an Arbeit liegen geblieben ist.“

Jenna atmete den Blumenduft und den würzigen Geruch frisch aufgeworfener Erde tief ein. Wenn sie jeden Tag mit Pflanzen arbeiten dürfte, unter freiem Himmel, würde sie vermutlich auch gerne früh aufstehen.

„Es ist wunderschön hier. Den Babys gefällt es anscheinend genauso wie mir.“

Liam beugte sich über den Kinderwagen und strich jedem kleinen Mädchen sanft über die Wange. „Ja, es gibt wohl schlechtere Arbeitsplätze als diesen hier.“

Jenna nahm Bonnie aus dem Wagen und hielt sie ihm hin. „Möchten Sie sie halten?“

„Sehr gern“, erwiderte er und nahm die Kleine behutsam entgegen. „Hallo, Prinzessin! Danke, dass Sie sie mir gebracht haben.“

„Gern geschehen.“ Jenna musste es erst einmal verdauen, dass er seine Tochter mit ihrem Titel bedacht hatte. Um ihre Verwirrung zu verbergen, hob sie Meg ebenfalls hoch und setzte sie sich auf die Hüfte. „Arbeiten Sie auch hier draußen?“

„Manchmal komme ich raus, um die Fortschritte der Arbeiter zu inspizieren. Aber meistens bin ich dort.“ Er zeigte auf ein langgestrecktes weißes Gebäude im Hintergrund, das wie ein Industriekomplex aussah.

„Was passiert dort?“

„Das Spannendste an unserem ganzen Geschäft“, erwiderte Liam mit einem Funkeln in den Augen. „Die Forschung.“

Es war offensichtlich, dass ihm dieser Bereich sehr am Herzen lag.

„Untersuchen Sie dort, wie man die Wachstumsbedingungen der Blumen verbessern kann?“

„Dafür haben wir Spezialisten. Nein, es geht vor allem um neue Züchtungen. Das ist mein Gebiet.“

„Neue Züchtungen?“, fragte Jenna beeindruckt.

„Ja, entweder versuchen wir, völlig neue Blumensorten zu entwickeln, oder wir produzieren neue Farben. Manchmal werden auch zwei Blumensorten miteinander gekreuzt.“

„Das ist ja hochinteressant! Dann sind Sie also in Wirklichkeit Blumenzüchter.“

„Nein, ich bin Wissenschaftler“, erwiderte er stolz.

Jenna dachte kurz über diese Information nach und setzte sich Meg auf die andere Hüfte. „Wollten Sie schon immer in Ihrem Familienunternehmen tätig werden?“, fragte sie dann.

„Als meine Brüder und ich noch jung waren, gab es dazu gar keine Alternative. Die Firma hat uns ernährt, daher mussten alle mithelfen. Dylan war schon damals der Sunnyboy, und Adam ist gut mit Zahlen. Deshalb waren sie meist am Samstag mit meiner Mutter auf dem Markt, während ich meinem Vater im Garten geholfen habe.“

Jenna schmunzelte. „Dann haben ihre Brüder den leichteren Teil übernommen.“

Liam lachte. „Nein, aber ich habe dafür gesorgt, dass sie das glaubten.“ Er seufzte. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich diese Zeit genossen habe. Mein Vater hat mir alles beigebracht. Als er sah, dass ich ein Händchen dafür hatte, hat er mir gezeigt, wie man Blumen veredeln kann. Von da an habe ich meine Experimente immer mehr ausgeweitet.“

„Bestimmt hat das viel Spaß gemacht.“ Jenna betrachtete eine lange Reihe Mohnblumen. Plötzlich hatte sie den Wunsch, mit den Händen in der fruchtbaren braunen Erde zu wühlen und selbst ein wenig zu gärtnern.

„Es ist wirklich sehr befriedigend, etwas aus eigener Kraft zu erschaffen und zu wissen, dass es zum Wohl der eigenen Familie beitragen wird“, sagte Liam.

Vor ihrem geistigen Auge sah Jenna ihn plötzlich als Teenager vor sich, der nur für seine Experimente lebte und viele Tage im Treibhaus verbrachte. Der Gedanke brachte sie zum Lächeln. „Wahrscheinlich waren Sie ein ziemlich ernsthafter junger Mann, oder?“

„Oh, Adam war genauso. Der Einzige, der immer aus der Reihe getanzt ist, war Dylan. Er war auch derjenige, der immer zu Streichen aufgelegt war.“

Es fiel Jenna nicht schwer, das zu glauben. Schließlich hatte sie über ein Jahr für Dylan gearbeitet, und ihr war nicht entgangen, wie er mit seinem Charisma Menschen bezaubern, aber auch verführen konnte.

In diesem Moment fing Bonnie zu quengeln an. Jenna setzte Meg wieder in den Kinderwagen und nahm Liam seine Tochter ab. „Arbeiten Sie hier, seit Sie die Schule abgeschlossen haben?“, fragte sie weiter.

„Nun, ich habe natürlich studiert, aber ein Teil meiner Zeit ging immer für die Firma drauf. Dann habe ich meinen Abschluss in Biologie und Genetik gemacht, was mir bei der Entwicklung neuer Arten sehr geholfen hat.“

„Ich finde es großartig, was Ihre Familie hier erreicht hat, Liam. Und was Sie erreicht haben“, setzte Jenna warm hinzu.

Liam und seine Familie hatten ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen. Bevor sie Beltsee verlassen hatte, hatte sie immer getan, was man von ihr verlangte. Erst als Meg auf die Welt gekommen war, hatte sie gewagt, eigene Wege zu gehen. Aber so ganz wohl war ihr bei der Sache immer noch nicht. Liam hingegen tat genau das, was er tun wollte. Er hatte seinen Platz im Leben gefunden. Das bewunderte Jenna sehr.

„Danke, dass Sie mir das alles erzählt haben“, sagte sie. „Ihre Geschichte ist wirklich erstaunlich.“

Er zuckte mit den Schultern. „Jede Geschichte ist erstaunlich, finden Sie nicht auch? Man muss sich nur die Zeit nehmen, richtig zuzuhören. Schauen Sie sich selbst an! Sie sind am anderen Ende der Welt aufgewachsen, und jetzt sind Sie hier. Das ist doch sehr interessant, finden Sie nicht?“

Jennas Herz machte einen Satz. Das war eine Einladung, ihm mehr über sich zu erzählen. In diesem Moment wünschte sie sich sehnlichst, ihm von ihrer Heimat berichten zu dürfen – von der Schönheit der Sonnenuntergänge im Sommer, von den heftigen Schneefällen im Winter oder von der majestätischen Pracht des Baltischen Meers. Aber es ging nicht. Ein Ausrutscher und sie würde ihm ihre ganze Geschichte erzählen, einschließlich ihrer Herkunft. Dann wären all ihre Pläne für ein neues Leben zunichtegemacht.

Sie beugte sich über den Kinderwagen und strich Meg eine Locke aus der Stirn. Dabei vermied sie es, Liams Blick zu begegnen. „Ich glaube, jetzt sollte ich Bonnie ihr Fläschchen geben. Aber es war wirklich nett hier draußen bei Ihnen. Vielen Dank!“

4. KAPITEL

Fünf Tage später kam Liam um kurz nach acht Uhr abends mit sehr gemischten Gefühlen nach Hause.

Er war sein Leben lang ein Workaholic gewesen, der stundenlang im Treibhaus über seinen Experimenten gesessen hatte. Manchmal hatte er darüber sogar die Mahlzeiten vergessen. Und jetzt hatte er noch mehr Motivation, die Produktivität von Hawke’s Blooms zu steigern, denn jetzt ging es auch um Bonnie und ihre Zukunft. Zuerst hatte er ein gutes Kindermädchen für sie gefunden, und als Nächstes war es seine Pflicht, dafür zu sorgen, dass seine Tochter finanziell abgesichert war.

Doch wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er zugeben, dass seine frühe Rückkehr mehr mit seiner neuen Angestellten zu tun hatte. Nach vier gemeinsamen Nächten, in denen sie sich abwechselnd um das Wohl der beiden Babys gekümmert hatten, musste er immer öfter an sie denken. Gedanken, die er sich eigentlich verbieten sollte.

Er musste an ihren Mund denken.

An ihre Hände.

An ihren Körper.

Sie trug zwar immer ihren hochgeschlossenen, eng um den Körper geschlungenen Morgenmantel, aber ihn zog allein schon die Vorstellung an, dass Jenna mitten in der Nacht aufgestanden war, um sich um seine kleine Tochter zu kümmern.

Gestern war es noch schlimmer geworden. Ständig hatte er an sie denken müssen, er hatte sich kaum auf seine Arbeit konzentrieren können. So abwesend war er gewesen, dass er sich beim Veredeln einer Pflanze in den Daumen geschnitten hatte. Das war ein Fehler, wie ihn sonst nur ein Amateur machte, und er war über sich selbst entsetzt gewesen.

Dabei war er am Morgen extra früh aufgestanden, um eine Begegnung mit Jenna zu vermeiden. Als sie heute mit den beiden kleinen Mädchen im Garten erschienen war, hatte er nicht einmal das Treibhaus verlassen, um sie zu begrüßen. Es war reiner Selbstschutz, gleichzeitig wusste er, dass er sich auch um ihretwillen zurückhalten musste.

Er durfte ihr auf gar keinen Fall sagen, was er für sie empfand, denn damit hätte er ihre Vereinbarung aufs Spiel gesetzt. Jenna war Bonnies Kindermädchen, das durfte er nie vergessen. Hier ging es nicht um ihn, sondern allein um das Wohl seiner Tochter.

Abgesehen davon hatte es ihn auch ein wenig stutzig gemacht, dass ihr so offensichtlich unwohl gewesen war, als er mehr über ihren Hintergrund erfahren wollte. Wenn er sich nicht irrte, hatte sie neulich im Garten Bonnie nur vorgeschoben, um keine Auskunft über sich geben zu müssen. Das war eigenartig und schürte sein Misstrauen. Er sagte sich zwar, dass es für ihre Zurückhaltung bestimmt eine ganz einfache Erklärung gab. Aber das unbehagliche Gefühl blieb.

Vor einer Viertelstunde hatte er nun Katherine angerufen, um ihr mitzuteilen, dass er bald zum Essen hineinkommen würde. Sie hatte ihm gesagt, dass Bonnie gerade schlief, und dass das Abendessen bei seiner Ankunft für ihn bereitstehen würde. Als er jetzt seine Tasche im Wohnzimmer abstellte und auf das Esszimmer zuging, merkte er, dass sein Herz plötzlich schneller schlug. Wegen der Begegnung mit Jenna?

Aber was war denn so schlimm daran, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte? Er würde sich ja wohl beherrschen können! Das war gar kein Problem!

Als er noch drei Schritte vom Esszimmer entfernt war, stellte er sich sicherheitshalber vor, er wäre ein Felsen – nichts konnte ihm etwas anhaben. Noch zwei Schritte – und er war aus Stein, nichts konnte ihn berühren. Ein Schritt – er hatte sich voll und ganz unter Kontrolle …

Er holte tief Luft und öffnete die Tür. Sein Blick fiel sofort auf Jenna, die im sanften Licht dastand und sich über die Wiege beugte. Es war ein wunderschönes Bild.

Verdammt, sie war doch nur eine Frau!

Eine sehr schöne Frau, ohne Zweifel. Aber trotzdem nur eine Frau.

Er blieb kurz stehen und wartete, bis sein Atem wieder ruhiger ging. Er durfte nicht vergessen, dass er ein Fels war – unerschütterlich und unempfindlich gegenüber allen äußeren Einflüssen.

„Guten Abend!“ Er zwang sich zu einem höflichen Lächeln, ging zum Tisch und rückte einen Stuhl für sie zurecht.

„Guten Abend, Liam!“ Sie ließ sich auf dem Stuhl nieder, und er vermied tunlichst jede Berührung.

Um seine Verwirrung zu überspielen, hob er den Deckel der Terrine, die auf dem Tisch stand. Der Duft eines Currys stieg ihm in die Nase. Er reichte Jenna die Kelle, damit sie sich etwas nehmen konnte.

„Bitte entschuldigen Sie meine Verspätung“, sagte er dann, bevor er sich selbst bediente. „Ich hoffe, Sie haben nicht zu lange auf mich gewartet.“

„Nein, gar nicht“, erwiderte sie und häufte sich Reis auf den Teller. „Ich habe mich in der Zwischenzeit sehr angeregt mit Katherine unterhalten.“

„Wie war das?“ Liam hoffte, dass die beiden Frauen gut miteinander auskamen. So wie er seine Haushälterin kannte, war er sich da jedoch nicht sicher.

„Ich glaube, es gefällt ihr nicht besonders, dass ich mit Ihnen zusammen esse. Sie fände es bestimmt besser, wenn ich die Mahlzeiten mit ihr zusammen in der Küche einnehmen würde.“

Liam lachte. „Ja, ich weiß. Sie hängt sehr an der Etikette.“

„Es würde mir auch gar nichts ausmachen …“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich freue mich, wenn wir beide zusammen essen. Jetzt, da ich Bonnie habe, müssen wir die Haushaltsregeln ändern. Eine Familie sollte die Mahlzeiten immer zusammen einnehmen, daran möchte ich meine Tochter schon früh gewöhnen. Außerdem habe ich Katherine gesagt, dass sie ebenfalls willkommen ist. Aber sie hat darauf bestanden, in der Küche zu essen.“

Jenna nickte. „Übrigens hat sie ein Mädchen angestellt, das uns mit den Kindern helfen wird, wenn wir zu viel zu tun haben.“

„Das ist gut. Ich möchte vermeiden, dass Sie sich mit der ganzen Arbeit überanstrengen.“

Autor

Rachel Bailey

Rachel Bailey war während ihrer Schulzeit nicht sehr interessiert am Schreiben und lesen. Physik, Chemie und Biologie waren ihre Lieblingsfächer. Ihre Mutter machte sich darüber lustig, dass sie wissenschaftliche Lehrbücher in den Urlaub mitnahm. Nach der Schule machte sie einen wissenschaftlichen Abschluss (wer hätte das auch anders gedacht?) aber ganz...

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