Flucht nach Florida

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Die schöne Sara muss fliehen. Denn sie hat etwas gesehen, was sie nie hätte sehen dürfen! Mit klopfendem Herzen sitzt sie in dem Privatjet ihres wundervollen Retters auf dem Weg nach Key Largo. Kann sie Nick Doucet wirklich trauen - oder gar ihren Gefühlen für ihn?


  • Erscheinungstag 25.09.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774844
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Sie waren alle tot. Alle.

Sara Parker riss sich von der Agentin der U.S. Marshals los und stürmte auf die Apartmenttür zu.

„Schafft sie hier raus!“, rief Agent Carlson, und im nächsten Moment spürte Sara seine kräftigen Hände auf ihren Schultern, als er versuchte, ihr den Anblick des Blutbades zu ersparen.

Sie kämpfte mit aller Kraft dagegen an und konnte sich erneut aus dem Griff befreien. Als sie in die Küche rennen wollte, stolperte sie über die Toten, die auf dem Boden lagen. Carlson suchte bei einem Agenten nach dem Puls, doch Sara wusste, dass der Puls nicht mehr schlug. Ebenso wusste sie, dass jegliche Hoffnung, die sie bislang gehegt hatte, jetzt vergebens war.

„Sean!“ Sie sank neben einem blonden Mann nieder, der in einem Sessel saß, und nahm seine Hand in ihre. Sie war eiskalt. Wenn seine Augen nicht geöffnet gewesen wären, hätte er auch genauso gut dasitzen und schlafen können. Nur das kleine Loch auf seiner Stirn stand in krassem Gegensatz zu seinem friedlichen Aussehen.

Sie schob ihre Arme um seine Taille und drückte ihn an sich. Die Tatsache, dass sein Hemd blutgetränkt war, schien sie nicht zu beachten. Es tut mir so leid, dachte sie immer und immer wieder.

Dann spürte sie, wie abermals jemand an ihren Schultern zog. Dieses Mal fehlte ihr die Kraft, sich zur Wehr zu setzen.

„Sehen Sie nicht hin.“ Agentin Reindls Stimme klang ungewohnt mitfühlend. „Wir müssen Sie von hier wegbringen.“

Sara ließ sich von der Frau aus der Wohnung führen, nahm jedoch nicht wahr, dass die Beamtin sie auf einem Umweg zum Wagen brachte. Erst als Reindl sie anwies, sich auf den Rücksitz zu legen, nahm sie ihre Umgebung zumindest schemenhaft wahr.

Sara lag reglos da, eine Wange gegen das kalte Sitzleder gepresst, die Augen weit geöffnet, ohne wirklich etwas zu sehen.

Ein neues Versteck. Noch mehr Agenten. Bei der Polizeibehörde musste es eine undichte Stelle geben, anders war das nicht möglich. Verdammt, Dobbs hatte vier Kinder.

Die Worte kreisten und wirbelten um sie, ohne einen Sinn zu ergeben. Sie begann zu zittern, bis ihr ganzer Körper bebte. Sie hätte ihnen sagen können, dass es Zeitverschwendung war, ein neues Versteck zu suchen.

Sie würde nie wieder in Sicherheit sein.

„Sie ziehen morgen um, sobald wir vom Department etwas gehört haben. Heute Nacht sind Sie hier erst mal in Sicherheit.“

Sara nickte, während Reindl sprach, und starrte die Wand des Motelzimmers an. Carlson telefonierte wieder, dann unterhielt er sich im Flüsterton mit seiner Partnerin. Beide wirkten äußerlich, als hätten sie die Situation unter Kontrolle, doch Sara wusste es besser. Der Einzige, der hier etwas kontrollierte, war Victor Mannen. Er hatte gerade sechs Menschen abschlachten lassen.

Und sie würde die Nächste sein.

Sie bemerkte nur beiläufig den Blick, den Carlson ihr zuwarf. Der Tod von sechs Menschen lastete auf ihr, da war es doch unglaublich egoistisch, sich Sorgen um ihr eigenes Überleben zu machen. Es gab nichts, wofür es sich noch zu leben lohnte, jetzt, da Sean nicht mehr war.

„Wie fühlen Sie sich?“, fragte Agent Carlson freundlich. Der große Mann mit der Brille wusste immer einen Witz oder eine geistreiche Bemerkung zu machen, aber jetzt war er so ernst wie seine Partnerin. Zwei Beamte und vier Zeugen waren tot, und Sara hatte buchstäblich eine Zielscheibe auf dem Rücken. Das galt auch für jeden, der sie bewachen sollte.

Unvermittelt stand sie auf, ging zu ihm und legte ihre Arme um ihn. Sara überraschte ihn so sehr, dass er sie nur unbeholfen tätscheln konnte. „Keine Sorge, Kleine. Es wird alles wieder gut.“

Es war eine Lüge, dennoch schätzte sie sein Bemühen, sie zu beruhigen. Sie mied es, ihm in die Augen zu sehen, als sie sagte: „Ich brauche jetzt eine heiße Dusche.“

„Gute Idee“, erwiderte er, nachdem er Reindl einen kurzen Blick zugeworfen hatte.

Sara ging ins Badezimmer und schloss die Tür, dann lehnte sie sich dagegen. Schließlich griff sie in ihren Ärmel und zog die Brieftasche heraus, die sie Carlson gerade abgenommen hatte. Sie zwang sich, nicht zu denken, während sie die Geldscheine herausnahm.

Mit schnellen Bewegungen drehte sie die Dusche auf und öffnete das Fenster. Es ging alles viel leichter, wenn sie nicht über dieses Gefühl nachdachte, die ganze Situation sei ein Déjàvuerlebnis. Doch während Sara sich durch das Fenster zwängte, wurde ihr bewusst, dass sie wieder mal genau dem Muster folgte, das immer durchkam, wenn sie sich Problemen gegenübersah.

Sie lief vor ihnen davon.

1. KAPITEL

Sechs Jahre später

Er war wieder da und beobachtete sie.

Als Sara den Mann hereinkommen sah, versteifte sich ihr ganzer Körper, auch wenn sie sich Mühe gab, keine Regung erkennen zu lassen. Sie lachte über die Bemerkung eines Gastes und erwiderte etwas, doch sich selbst konnte sie nichts vormachen.

Dies war der dritte aufeinanderfolgende Tag, an dem er während ihrer Schicht ins Café gekommen war. Es gab eine ganze Reihe von Stammkunden, doch keiner strahlte eine derart finstere und verführerische Gefahr aus wie dieser Mann. Kein anderer bewegte sich, als lauere unter dem eleganten Äußeren ein wildes Tier.

Auf dem Weg zur Küche kam ihr Candy entgegen, eine weitere Kellnerin. „Dein Verehrer ist ja wieder da.“

Sara blieb ernst. „Wenn er sich an einen von meinen Tischen setzt, dann tauschen wir bitte, okay?“

„Gerne, aber du weißt so gut wie ich, dass er nicht meinetwegen herkommt.“ Einen Moment später fuhr Candy fort: „Ich habe übrigens etwas über ihn herausgefunden, falls es dich interessiert.“

„Es interessiert mich nicht“, erwiderte Sara knapp. Der Mann hatte sie vom ersten Moment an so nervös gemacht, dass sie wieder bereit war, jeden Augenblick alles stehen und liegen zu lassen und die Flucht zu ergreifen. Sie war sich nicht sicher, ob es ihr Überlebensinstinkt oder etwas viel Elementareres war. Sie wusste nur, dass sie sich in Gefahr befand.

Candy redete ungerührt weiter. „Er kommt hier aus der Stadt, er heißt Nick Doucet. Ja, ja, du hast richtig gehört. Er gehört zu der Familie Doucet aus der Soileau Street. Ein sehr alter Name und sehr wohlhabend. Ein paar Male im Jahr kommt er zu Besuch zurück nach New Orleans. Diesmal ist er schon seit über einer Woche hier.“

Sara war erst seit gut einem Monat hier, doch sogar ihr war der Name vertraut, den Candy erwähnt hatte. Sie machte sich erleichtert auf den Weg zu einem der Tische. Der Mann hatte also einen Grund, hier zu sein. Er war ihr von niemandem geschickt worden, und sie musste nicht wieder fliehen. Noch nicht.

Sie verließ das Lokal, um vier Geschäftsleute an einem der Tische auf der Terrasse zu bedienen. Dabei bemerkte sie, dass der Manager des Lokals, Lowell Francis, bei Doucet am Tisch stand. Als sie serviert hatte, war Francis verschwunden, und Nick warf ihr einen düsteren Blick zu.

„Es kommt gleich jemand, um Ihre Bestellung aufzunehmen, Sir“, versicherte Sara ihm.

Candy stand in der Nähe der Kasse und schüttelte den Kopf, als Sara sie flehend ansah. „Francis hat mich gerade gewarnt, ich solle in meinem Revier bleiben. Tut mir leid.“

Sara ging in die Küche, um zu sehen, wie weit ihre Bestellungen waren. Sie würde Doucet also nicht länger aus dem Weg gehen können. Ein Schauder lief ihr über den Rücken. Die Gefahr, die sie wahrnahm, zielte nicht auf sie ab, das schien klar zu sein. Also musste er ein persönliches Interesse haben, was kein Problem für sie darstellte. Sie hatte genug Übung darin, Männer abzuweisen. Dennoch hatte sie die unbestimmte Sorge, auf einen Mann wie Nick Doucet nicht vorbereitet zu sein.

Schließlich ging sie zu seinem Tisch und zückte ihren Block. „Kann ich Ihre Bestellung aufnehmen, Sir?“

„Sind Sie wütend auf mich, Amber?“

Ihr aufgesetztes Lächeln erstarrte. „Sollte ich das sein?“

„Vielleicht. Weil Sie mich nicht länger ignorieren können.“

„Oh, bei uns ist noch kein Gast verhungert. Irgendwer hätte Ihre Bestellung schon aufgenommen.“

„Aber ich wollte, dass Sie das machen.“ Seine Worte bereiteten ihr Unbehagen, und sie hatte das Gefühl, dass er um diese Wirkung wusste. Sie war umso entschlossener, es vor ihm zu verbergen.

Sie rasselte die Tageskarte herunter und schloss mit: „Wenn Sie mehr Abwechslung mögen, dann kann ich das Büfett empfehlen. Für 10 Dollar 95 können Sie essen, so viel Sie wollen.“

„Ich möchte nur etwas Obst, Vollkorntoast und schwarzen Kaffee.“ Diese gewöhnlichen Worte bekamen durch seine rauchige Stimme eine besondere Wirkung, zu der der eindringliche Blick seiner schier unergründlichen dunklen Augen noch beitrug. An diesem Mann war nichts gewöhnlich, soviel war klar.

Er war über ein Meter achtzig groß, breitschultrig, aber schlank, und er strahlte die gefährliche Ruhe einer Bombe aus, die jeden Moment hochgehen konnte. Sein Haar war so dunkel wie seine Augen, er trug es zurückgekämmt, sodass der Ansatz von Geheimratsecken erkennbar war. Rau und stattlich zugleich vermittelte er das Gefühl von tödlicher Kraft, die rücksichtslos gebändigt war. Sara war dankbar dafür, sich wieder von seinem Tisch entfernen zu können.

Die stetig wachsende Zahl von Gästen im Lokal würde ihr einen guten Vorwand bieten, wenn er sie wieder ansprechen wollte. Er schien sich damit zu begnügen, an seinem Tisch zu sitzen und ihr zuzusehen. Ganz gleich, wie sehr sie sich auch auf ihre Arbeit konzentrieren musste – in ihrem Hinterkopf war immer der Gedanke, dass dieser Mann sie beobachtete.

Nach einer Weile bemerkte Sara, dass etliche Gäste auf die bekannte Persönlichkeit in ihrer Mitte aufmerksam geworden waren. Sie nahm das Tuscheln und Flüstern sowie die Blicke wahr, und einen Moment lang hatte sie völlig unnötiges Mitgefühl mit Doucet, weil sie wusste, wie es war, wenn man unablässig beobachtet wurde. Er ließ sich nichts anmerken, sondern schien nach wie vor einzig an Sara interessiert zu sein.

Es kostete sie einiges an Überwindung, um die Bestellung an seinen Tisch zu bringen.

Als sie zu Doucet an den Tisch trat, sah sie, dass er Gesellschaft bekommen hatte: Douglas Fairmount, einer der Geschäftsleute, die sie bediente, saß bei ihm.

„Wenn Sie mir nur eine halbe Stunde Ihrer Zeit schenken, werde ich Ihnen die Möglichkeiten gerne aufzeigen“, versprach Douglas.

Sie stellte alles vom Tablett auf den Tisch und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als Doucet sagte: „Das könnte interessant sein.“ Er sprach zwar mit dem anderen Mann, doch sein Blick war die ganze Zeit auf Sara gerichtet. „Kommen Sie doch heute Abend vorbei, damit wir die Einzelheiten besprechen können. Sagen wir … Wie wäre es um sieben Uhr?“

Fairmount stotterte seine Zustimmung, weil er zu verblüfft über seinen Erfolg war.

„Allerdings unter einer Bedingung. Sie bringen Amber mit.“

„Auf keinen Fall, Douglas.“ Sara ging schneller und drückte ihre Handtasche fester an sich. Sie hatte heute eine Doppelschicht, und die Pause vor dem Ansturm am Mittag wollte sie nutzen, um in die Bibliothek zu gehen und noch ein paar Besorgungen zu machen. Doch der Mann an ihrer Seite ließ sich einfach nicht abschütteln.

„Seien Sie doch vernünftig, Amber, und gehen Sie bitte etwas langsamer.“ Fairmount wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn, unvermeidbar bei der herrschenden Hitze. „Ich bitte Sie doch nur um eine Stunde Ihrer Zeit.“

„Wie oft soll ich noch sagen, dass ich nicht mitkomme?“

„Für Sie springen hundert Dollar dabei heraus.“

Sie blieb abrupt stehen und warf ihm einen stechenden Blick zu, der ihn zusammenzucken ließ. „Entschuldigen Sie, Amber, so war das nicht gemeint.“

Sie atmete tief durch und sagte mit ruhiger Stimme: „Es macht mir nichts aus, Ihnen einen Gefallen zu tun, Douglas. Aber Nick Doucet …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich möchte wirklich nichts mit ihm zu tun haben.“

„Das werden Sie ja auch gar nicht“, gab er zurück. „Wir treffen uns um sieben, trinken vielleicht etwas, und dann werde ich mit ihm etwas Geschäftliches besprechen. Danach bringe ich Sie nach Hause. Sie müssen nicht mal mit ihm reden, wenn Sie das nicht wollen.“

Sara ging weiter. Alle ihre Sinne waren auf Alarm geschaltet. Auch wenn er nicht geschickt worden war, um sie umzubringen, wusste sie, welche Gefahr dieser Doucet für sie darstellte. „Sie können auch ohne mich zu ihm fahren. Er hat gehört, dass ich nicht mitkommen werde.“

„Ich kann das Risiko nicht eingehen, Amber.“ Er flehte sie fast an. „Das ist für mich äußerst wichtig. Mir schwebt da eine Sache vor, mit der ich Karriere machen kann. Ich brauche nur einen Geldgeber. Ich habe mit jedem in der Stadt gesprochen. Nick Doucet dürfte der Einzige sein, der genügend Weitblick hat, um das Risiko einzugehen. Ich weiß, Sie sind mir nichts schuldig, aber er könnte meine letzte Hoffnung sein. Also, Amber, wie sieht es aus?“

Wieder blieb sie stehen und holte tief Luft. „Tut mir leid, Douglas. Ich möchte Ihnen gerne helfen. Bei jedem anderen – jederzeit. Nur ich will wirklich nichts mit Nick Doucet zu tun haben. Gar nichts.“

Eine halbe Stunde lang war Sara in der Zentralbibliothek von New Orleans in die gruseligen Welten einer Horror-Lektüre abgetaucht, als sie am Tisch eine Frau bemerkte, die über achtzig sein musste und etwas Vornehmes und Elegantes an sich hatte.

Es war nicht ihr Aussehen, auf das Sara aufmerksam geworden war, sondern die Art, wie sie dastand und sich an der Tischkante festklammerte.

„Fühlen Sie sich nicht wohl?“, fragte Sara nach kurzem Zögern.

„Doch, doch, mir geht es gut, danke.“ Der Tonfall der Frau war so herablassend, dass Sara unter normalen Umständen davon abgesehen hätte, sich weiter um die Fremde zu kümmern. Doch sie musste an Sean denken und daran, wie sehr er seine Großmutter geliebt hatte. Nach seiner Schilderung war sie die Einzige aus seiner Familie, der er etwas bedeutete.

Die Erinnerung an Sean genügte, dass Sara aufstand und einen Stuhl heranzog. „Setzen Sie sich doch, bis Sie sich wieder besser fühlen“, bot sie an.

Die ältere Frau warf ihr einen stechenden Blick zu und rang sichtlich darum, dem Schwächegefühl nicht nachzugeben. Doch dann war es zu viel, und sie sank mit einem Seufzer auf den Stuhl. „Dieser verdammte Schwindel“, murmelte sie und schloss kurz die Augen. „Ich hasse nichts mehr als die Schwäche, die mit dem Alter kommt.“

„Ich denke, keiner von uns zeigt sich gerne verwundbar, ganz egal, wie alt man ist.“

„Da dürften Sie recht haben“, erwiderte die alte Dame leise. „Wie heißen Sie?“

„Amber.“

„Ich bin Celeste. Nachdem ich Ihnen jetzt schon so zur Last gefallen bin, würde es Ihnen sehr viel ausmachen, wenn ich mich bei Ihnen unterhake und Sie mich zu meinem Wagen bringen?“

Sara hielt ihren Arm hin, Celeste erhob sich langsam. „Sie wollen doch nicht etwa selber fahren, oder?“

Die ältere Frau lachte von Herzen. „Lieber Himmel, nein. Mein Mann wollte nie, dass ich das Autofahren lerne, und heute bin ich etwas zu alt dafür, auch wenn sich die Zeiten geändert haben.“ Sie verließen das Gebäude und gingen die breite Treppe hinunter in Richtung Straße, wo im gleichen Moment ein schwarzer Rolls-Royce vorfuhr. Der Chauffeur stieg aus und hielt ihr die Tür auf.

Nachdem Celeste auf der Rückbank Platz genommen hatte, sah sie Sara an. „Ich möchte mich gerne erkenntlich zeigen. Darf ich Sie zu mir nach Hause zu einem Tee einladen?“

„Ich … ich muss bald zurück zur Arbeit.“

„Benjamin wird Sie hinfahren, wohin Sie müssen. Ersparen Sie mir eine lange Diskussion, meine Liebe, und steigen Sie ein. Ich setze immer gerne meinen Willen durch. Das ist eines der wenigen Vergnügen, die ich mir gönne.“

Sara überlegte einen Moment und kam zu dem Schluss, dass von dieser Frau bestimmt keine Gefahr für ihr Leben ausging. Sie unterhielt sich überraschend angeregt mit Celeste, während sie quer durch die Stadt fuhren. Als der Chauffeur nach einer Weile von der Straße abbog und durch ein Tor auf eine Privatstraße fuhr, verstummte Sara ehrfürchtig. Das riesige weiße Haus vor ihr wirkte auf sie, als hätte sie eine Reise in die Vergangenheit unternommen.

„Beeindruckend, nicht wahr?“, fragte Celeste beiläufig, als der Wagen vor dem Haus anhielt. „Mein Vorfahr Claude hat es 1722 für seine Frau Pauline Fontenot bauen lassen, mit der er nach New Orleans gekommen war. 1794 wurde es beim großen Brand beschädigt, aber mein Ururgroßvater Jean-Paul ließ es renovieren und achtete sehr genau darauf, dass der original französische Stil erhalten blieb und sich keine spanischen Einflüsse einschlichen. Mein Enkel ist die neunte Generation, die hier lebt. Allerdings“, sie machte eine enttäuschte Miene, „verbringt er hier nicht sehr viel Zeit.“

Celeste führte Sara in das stilvoll gekachelte Foyer und orderte bei einem Diener für sich und ihren Gast Eistee. Dann gingen sie in einen Salon, der so altmodisch eingerichtet war, dass man glauben mochte, Claude habe alle Möbel selbst aus Frankreich mitgebracht.

„Das ist mein Lieblingszimmer“, erklärte Celeste und bedeutete Sara, sich zu setzen. „Zum Teil auch, weil ich von hier aus einen guten Blick auf die Gärten habe. Wenn ich heute nicht so schwach auf den Beinen wäre, würde ich Sie liebend gerne durch den Park führen. Das liegt an diesen schrecklichen Blutdruckmedikamenten, die bereiten mir manchmal Schwindelanfälle.“

„Die Gärten sehen sehr schön aus.“

„Sie können sehr friedlich sein.“

Sara nickte. „Manchmal kann es schwierig sein, Frieden zu finden.“

„Sie sind sehr weise dafür, dass Sie noch recht jung sind.“

„Ich bin einundzwanzig.“ Die Lüge kam ihr mühelos über die Lippen. Amber Jennings war einundzwanzig, Sara Parker war zwei Jahre älter. Doch das war unbedeutend, da Sara Parker vor sechs Jahren aufgehört hatte zu existieren.

„Ach, was für ein schönes Alter.“ Celeste lächelte sie an. „Wenn es vieles gäbe, was ich bedauere, würde ich mich versucht fühlen, noch einmal einundzwanzig sein zu wollen.“

„Aber du bedauerst nichts, richtig?“ Die amüsierte Stimme erklang irgendwo hinter Sara. „Kann man das einem makellosen Leben oder einem unerschütterlich guten Gewissen zuschreiben?“

„Nicky!“, rief Celeste erfreut, während Sara nur ungläubig dreinblicken konnte. Ihr Leben war schon immer reich an grausamer Ironie gewesen, doch das hier übertraf alles. Nicky war niemand anders als Nick Doucet.

„Amber, darf ich Ihnen meinen Enkel vorstellen? Nicky, das ist …“

„Amber Jennings“, murmelte er und sah sie einen Moment lang einfach nur an. Dann ging er zu ihr und gab ihr einen Handkuss. „So eine Überraschung.“ Die altmodische Höflichkeit stand im krassen Gegensatz zu der Verruchtheit in seinen Augen. „Willkommen bei mir zu Hause.“

Eine heiße Welle raste durch ihren Körper, was sie der unterschwelligen Erotik zuschrieb, die er ausstrahlte. Seine Stimme war samtweich und schien wie geschaffen für dunkle, schwüle Zimmer und zerknitterte Seidenlaken. Das verführerische Bild, das vor Saras geistigem Auge entstand, war für ihren Geschmack viel zu real und ließ sie innerlich erzittern.

„Ihr kennt euch?“, fragte Celeste irritiert.

„Nein.“

„Ja.“

Die ältere Frau hob irritiert die Augenbrauen, als sie gleichzeitig die gegensätzlichen Antworten hörte.

„Ihr Enkel besucht von Zeit zu Zeit das Café, in dem ich manchmal arbeite“, erklärte Sara.

„Und aus irgendeinem Grund hat Amber es darauf abgesehen, mir aus dem Weg zu gehen“, fügte Nick hinzu und setzte sich neben seine Großmutter. „Da freut es mich doch, dass sie heute Mittag hier ist, zumal sie heute Morgen eine Einladung von mir ausgeschlagen hatte.“

Sara sah ihn verächtlich an. „Wenn ich gewusst hätte, dass Sie mit Celeste verwandt sind, wäre ich sicher nicht hergekommen.“ Im nächsten Moment errötete sie, als ihr klar wurde, wie sich ihre Bemerkung in den Ohren der älteren Dame anhören musste. Doch die war nicht beleidigt, sondern fand die Unterhaltung höchst interessant.

„Amber hat deine Einladung nicht angenommen? Das ist ja … faszinierend.“

„Nun, sie scheint auf eine seltsame und völlig unerklärliche Weise davon getrieben zu sein, meine Gegenwart zu meiden.“ Er verstummte, als ein Diener eintrat und ein Tablett mit Eistee brachte.

Celeste nahm das angebotene Glas und genoss das kühle Getränk. „Amber, Sie müssen meinem Enkel verzeihen. Er ist von klein auf von Frauen nur verwöhnt worden, auch von mir. Es tut ihm ganz gut, ab und zu einen Korb zu bekommen.“

Sara nahm ebenfalls einen Schluck. „Ich glaube, mehr als nur ‚ab und zu‘ wäre angebrachter.“

„O ja, da haben Sie völlig recht.“

„Ich sitze übrigens noch hier“, bemerkte Nick und sah seine Großmutter an. „Erzähl mir doch lieber, wie ihr zwei euch kennengelernt habt.“

„Ich bin Amber in der Bibliothek begegnet, und wir haben uns auf Anhieb verstanden“, antwortete sie fröhlich. Er sah ihr an, dass sie nicht die ganze Geschichte erzählte, aber er bohrte nicht nach.

„Es hat mich sehr gefreut, Ihr Zuhause zu sehen.“ Als Amber jetzt sprach, ging sein Blick zu ihr, aber sie vermied es tunlichst, ihm in die Augen zu sehen. „Ich muss jetzt wirklich gehen, sonst komme ich zu spät zur Arbeit.“

Verwundert nahm Nick zur Kenntnis, wie Celeste Ambers Hand nahm und liebevoll drückte. „Es hat mir sehr großen Spaß gemacht, meine Liebe. Ich danke Ihnen für alles.“

„Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.“ Es war das erste Mal, dass Nick auf Ambers Lippen ein ehrliches Lächeln entdeckte. Es kam so überraschend, dass er mitten in der Bewegung innehielt. Als hätte sie seinen Blick bemerkt, verschwand ihr Lächeln rasch und machte dem gewohnt vorsichtigen Gesichtsausdruck Platz.

„Vielleicht sehen wir uns mal wieder. Ich möchte die Frau, die es schafft, meinem Enkel die Stirn zu bieten, gerne näher kennenlernen.“ Mit einem Funkeln in den Augen stand Celeste auf. „Ich lasse Benjamin wissen, dass Sie gehen wollen.“ Dann verließ sie den Salon.

Nick schenkte Sara noch etwas Eistee ein und bemerkte, wie sie sich ein wenig versteifte, weil er sich ihr genähert hatte. Er sah ihr an, wie sehr sie mit sich kämpfte, nicht vor ihm zurückzuweichen. Dass sie ihn nicht mal diese winzige Schwäche erkennen lassen wollte, nahm er mit einer Mischung aus Bewunderung und Amüsement zur Kenntnis. Er verstand diese Art der Selbstbeherrschung, da er sie selbst auch besaß. Gleichzeitig fragte er sich allerdings, was wohl der Grund für ihr Verhalten sein mochte.

„Treffen Sie sich heute Abend mit Douglas?“, fragte sie.

„Wieso fragen Sie?“

„Es war nicht fair, das Treffen mit ihm davon abhängig zu machen, ob ich mitkomme oder nicht.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich spiele nun mal nicht fair, Amber.“ Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. „In welchem Verhältnis stehen Sie eigentlich zu Fairmount?“

„Wollen Sie wissen, ob er von mir mehr bekommt als nur das Frühstück?“

„Bekommt er mehr?“

Sie schwieg längere Zeit, während sie seinem Blick standhielt. „Nein.“

„Gut.“

„Warum interessiert Sie das?“ Sie sah ihn herausfordernd an.

„Weil ich keine Geschäftsverbindung eingehen möchte mit einem Mann, den ich später vernichten muss.“

„Werden Sie ihm auch helfen, wenn ich heute Abend nicht komme?“

„Vielleicht. Kommt auf die Zahlen an, die er mir vorlegen wird.“

„Sie investieren also“, stellte sie fest und brachte ihn mit ihrer Formulierung zum Lächeln. „Ich investiere in alles Mögliche. Einige Investitionen sind lukrativer als andere.“

Sie verstand nur zu gut, was er meinte. „Nur, damit Sie es wissen“, gab sie kühl zurück, „ich werde nicht mit Ihnen schlafen.“

Fast hätte er sich an seinem Eistee verschluckt. Er hatte nicht erwartet, dass sie so direkt sein würde, doch andererseits kannte er Amber im Grunde gar nicht. „Ich behalte mir das Recht vor, Sie in diesem Punkt umzustimmen.“

„Hm, Sie machen auf mich nicht den Eindruck eines Mannes, dem es gefällt, Zeit zu verschwenden.“

„Da haben Sie recht.“

Sie stellte ihr Glas auf dem Tisch ab. „Ich möchte jetzt gehen.“

„Benjamin wartet bestimmt schon auf Sie.“

Sara zögerte kurz, dann nickte sie. „Sagen Sie Ihrer Großmutter bitte, dass es mich sehr gefreut hat, ihre Bekanntschaft zu machen. Sie ist eine wundervolle Frau.“

„Ja, das ist sie“, pflichtete er ihr bei und ging neben ihr her bis zur Tür, öffnete sie und blieb stehen. Sara ging hinaus, und er folgte ihr auf die vordere Veranda. „Amber?“

Sie drehte sich zu ihm um, bevor sie in den Wagen einstieg.

Er hob sein Glas. „Wir sehen uns bald wieder.“

Sara erwiderte nichts, sondern stieg ein. Als der Wagen abfuhr, hörte er hinter sich die Stimme seiner Großmutter.

„Ich mag dieses Mädchen, Nicky.“ Sie hakte sich bei ihm unter. „Du verschonst sie mit deinen Spielen, die du so gerne spielst, n’est-ce pas?

Nachdenklich sah er dem Wagen nach. „Ich spiele nicht, Grand-mère. Diesmal nicht.“

2. KAPITEL

Der angekündigte Regen ließ auf sich warten. Zwar hingen dunkle Wolken unheilvoll über der Stadt, doch von vereinzelten Tropfen und einer unerträglichen Schwüle abgesehen passierte nichts. Sara winkte Candy kurz zu, als ihre Wege sich für einige Stunden trennten. Sie musste erst gegen Abend wieder im Café sein und konnte die nächsten Stunden genießen. Sie war den ganzen Tag über unruhig gewesen und hätte das am liebsten dem Wetter zugeschrieben. Doch sie wusste, dass Nick Doucet der Grund dafür war.

Wir sehen uns bald wieder. Seine Worte hallten immer noch in ihrem Kopf nach.

Ihre Erfahrungen mit Männern hatten sich in den letzten Jahren aus eigener Entscheidung heraus sehr in Grenzen gehalten. Da war dieser Kellner in Seattle gewesen, der Sean ein wenig ähnelte. Es war nur eine kurze Affäre gewesen, die sie nach kurzer Zeit beendet hatte, als sie die Stadt verließ. Seitdem war kein Platz mehr für einen Mann in ihrem Leben.

Sie fragte sich, ob vor Jahren vielleicht etwas in ihr zerbrochen war und sie möglicherweise niemals mehr Leidenschaft erfahren würde. Aber sie bedauerte diese Möglichkeit nicht, weil sie erlebt hatte, dass Leidenschaft eine Ausrede und eine Schwäche war … und in der Hand mancher Menschen sogar eine Waffe sein konnte.

Sara ignorierte die dunklen Wolken und ging ein paar Häuserblocks weiter, bis sie einen kleinen Supermarkt erreicht hatte. Als sie bald darauf mit ihren Einkäufen aus dem Geschäft kam, verkündete lauter Donner das nahende Unwetter.

„Ausgerechnet heute gehen Sie ohne Regenschirm aus dem Haus?“

Autor

Kylie Brant

Kylie Brant begann aus einem ganz einfachen Grund, Romances zu schreiben: So konnte sie dem stressigen Alltag mit fünf Kindern entkommen! Wenn sie sich Geschichten ausdachte, war die Realität vergessen, die daraus bestand, die Kinder zu chauffieren und Streitereien zu schlichten, von der Arbeit im Haushalt ganz zu schweigen.

...

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