Julia Best of Band 262

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ZWEITE CHANCE FÜR UNSER GLÜCK?
Ihre Herzen brannten vor Verlangen, als Cesare di Goia und Ava sich das erste Mal sahen. Vier Jahre später scheinen die Gefühle des Milliardärs erloschen. Ava fühlt sich wie eine Fremde in dem Palazzo, der einst ihr Zuhause war. Warum nur sucht ihr Mann die Einsamkeit, wenn seine Augen vor Sehnsucht glühen?

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  • Erscheinungstag 17.02.2023
  • Bandnummer 262
  • ISBN / Artikelnummer 0812230262
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Maya Blake

JULIA BEST OF BAND 262

1. KAPITEL

„Signora?“

Etwas Flehentliches lag in der Stimme, die Ava aus ihrem tiefen Schlaf riss. Einen Moment lang wusste sie nicht, wo sie war.

„Verzeihen Sie die Störung, Signora, aber Signor di Goia ist schon wieder am Telefon.“ Die Stewardess im smaragdgrünen Seidenkostüm hielt ihr ein schlankes schwarzes Telefon hin. Nun schon zum dritten Mal seit dem Abflug mit dem Di-Goia-Jet in Bali.

Ava seufzte und strich sich eine Strähne ihres roten Haares aus dem Gesicht. Der verstörende Traum, der sie in diesen Tagen heimsuchte, sobald sie die Augen schloss, wich zurück. Doch sofort stieg eine andere Unruhe in ihr auf. Ein schmerzliches Gefühl von Verlust, gepaart mit Sehnsucht. Sie sehnte sich nach dem Mann am anderen Ende der Leitung. Dem Mann, der ihren Atem auch auf tausende Meilen Entfernung noch stocken ließ. Dem Mann, den sie mit jeder Sekunde, die verstrich, ein bisschen mehr verlor. Cesare.

„Bitte sagen Sie ihm, ich melde mich, wenn ich gelandet bin.“

Die Stewardess sah sie fassungslos an. „Aber … er besteht darauf.“ Ava war sich ganz sicher, dass diese Frau es noch nie erlebt hatte, dass jemand sich Cesare di Goias Wünschen widersetzte. Schon gar nicht, wenn dieser Jemand – in diesem Fall sie – gerade den schwindelerregenden Luxus des Di-Goia-Universums genoss.

Die Innenausstattung des Flugzeugs ließ keinen Zweifel über den erstaunlichen Reichtum von Cesare di Goia. Tiefrote Clubsessel vor glänzenden cremefarbenen Marmortischen. Mit Seide umsäumte Kaschmirdecken auf jedem einzelnen Sitz des Jets, der Platz für mehrere Dutzend Passagiere bot.

„Signora?“, wiederholte die Stewardess ängstlich.

Allein aus Mitgefühl für ihre missliche Lage nahm Ava schließlich das Telefon.

„Cesare.“ Sie hielt den Atem an.

„Schön, dass du dich einmal dazu herablässt, einen meiner Anrufe entgegenzunehmen.“ Die vertraute tiefe Stimme klang gepresst.

„Warum sollte ich mit dir sprechen wollen, wenn du meine Anrufe ignorierst? Du wolltest letzte Woche nach Bali zurückkommen.“ Ihre Hand krampfte sich um den Hörer, als sie an die Unverbindlichkeit dachte, mit der er sie hingehalten hatte. Nicht viel anders behandelte er sie bereits seit einem Jahr.

„Ich wurde in Abu Dhabi aufgehalten. Es ging nicht anders“, erklärte er knapp.

Es ging nicht anders. Wie oft hatte sie das schon gehört? „Natürlich. Ist das alles?“

Sie hörte ein wütendes Schnauben am anderen Ende der Leitung. „Nein, das ist nicht alles. Du schuldest mir eine Erklärung.“

„Ich nehme an, du willst wissen, warum ich dein Flugzeug genommen habe?“

Sì. Das war nicht geplant.“

„Ich weiß, aber meine Pläne haben sich auch geändert. Es ging nicht anders“, erwiderte sie mit aufgesetzter Leichtigkeit.

„Inwiefern haben sich deine Pläne geändert?“

„Wenn du dir die Mühe gemacht hättest, in den letzten zwei Wochen mal ans Telefon zu gehen, wüsstest du es.“

„Wir haben in den vergangenen Wochen sehr wohl miteinander gesprochen…“

„Nein, Cesare, wir haben nicht miteinander gesprochen. Du hast zweimal angerufen, beide Male, um mir kurz zu sagen, dass sich deine Rückkehr verzögert …“ Ihre Stimme drohte zu versagen, als die Erinnerung zurückkam. Die endlosen Anrufe bei Cesares Sekretärin, die verführerischen Dessous, die sie sich extra gekauft hatte, die Besprechungen mit dem Koch der gemieteten Luxusvilla auf Bali, der Cesares Lieblingsgerichte kochen sollte. Sie hatte alles bis ins kleinste Detail geplant. In der Hoffnung, ihre Ehe zu retten. Alles umsonst. „Jedenfalls kannst du dir die lange Reise oder weitere Ausreden jetzt sparen. Auf Wiedersehen, Cesare.“

„Ava …“

Sie legte auf. Kaum einen Atemzug später klingelte das Telefon erneut. Vorsichtig legte sie es auf den Tisch.

Als sie den erstaunten Blick der Stewardess auffing, musste sie lächeln. „Keine Sorge. Er klingt schlimmer, als er ist.“

Die Frau räusperte sich nervös und verschwand an ihren Platz im vorderen Teil des Flugzeugs.

Mit zittriger Hand schenkte Ava sich ein Glas Wasser aus der Kristallkaraffe ein und trank einen Schluck. Ja, in seiner Welt war Cesare unbestreitbar der Boss. Aber sie war nicht die Frau, die sich herumkommandieren ließ. Eine Eigenschaft übrigens, die Cesare in der Vergangenheit ebenso faszinierend wie irritierend gefunden hatte.

In der Vergangenheit … bevor die träge Gleichgültigkeit eingesetzt hatte, bevor Cesare sich von ihr zurückgezogen hatte, um sich häufiger in Rom aufzuhalten als in ihrem Zuhause am Comer See. Bevor die Verwüstung nach dem Erdbeben im südlichen Pazifik jede Hoffnung in ihr zerstört hatte, ihre Familie zu retten.

Ihre Entscheidung zurückzukehren, die sie gestern auf Bali entschlossen und mutigen Herzens getroffen hatte, versetzte sie jetzt in Angst und Unruhe. Ihre Knie zitterten, als sie die Decke zurückschlug und über den cremefarbenen Teppich zum kleineren der beiden Schlafzimmer ging.

Sie drehte am Türknauf.

Annabelle schlief tief und fest. Das sanfte Licht der eleganten Lampen erleuchtete das schwarze Haar und den schlanken Körper ihrer Tochter.

Ava konnte nicht widerstehen. Sie nahm den Fotoapparat, der um ihren Hals hing, und machte ein paar Schnappschüsse, dankbar für das fast lautlose Klicken der Digitalkamera.

Sie ging zurück an ihren Platz und versuchte, sich zu beruhigen. Auf keinen Fall wollte sie als emotionales Wrack nach Hause zurückkehren. Der letzte Monat war fast schwerer gewesen, als sie ertragen konnte, aber nun musste sie stark sein und der Wahrheit ins Gesicht sehen.

Drum prüfe, wer sich ewig bindet.

Ihr Magen zog sich zusammen. Sie und Cesare – das war blinde Leidenschaft gewesen. Von Anfang an hatten sie die Dinge überstürzt, waren zusammen in einen Strudel aus stürmischen Dates und leidenschaftlichem Sex getaumelt. Die Gefühle waren zu stark gewesen, um sie zu verstehen oder einzudämmen.

Und dennoch: Selbst in diesem Chaos hatte sie sich bei Cesare zu Hause gefühlt. Er bot ihr das, wonach sie sich immer gesehnt hatte: eine richtige Familie.

Jedenfalls eine Zeit lang …

Dieser Wahnsinn muss aufhören! Ihr fielen wieder Cesares Worte ein, seine atemlosen und verzweifelten Worte nach einem leidenschaftlichen Quickie in einer Abstellkammer während eines Benefizdinners.

Ironischerweise hatte sie am nächsten Tag erfahren, dass sie mit Annabelle schwanger war.

Und nicht lange danach hatte Cesare begonnen, sich von ihr zurückzuziehen.

Ava schüttelte den Kopf, immer noch fassungslos über die traurige Entwicklung, die ihre Ehe durchgemacht hatte. Sie schob die Fensterblende hoch und ließ sich von der Morgensonne das Gesicht wärmen. Doch in ihrem Innern fühlte sie sich wie erkaltet.

Nein. Sie würde nicht zulassen, dass er ihr das antat. Schon allein wegen Annabelle durfte sie nicht verbittert werden. Ihr Kind brauchte eine Mutter, die mit sich im Reinen war. Die Familie, die sie bei Cesare gefunden zu haben glaubte, war eine Illusion gewesen. Der reizvolle, dynamische Mann, den sie geheiratet hatte, war ihr gegenüber inzwischen genauso kalt und gleichgültig, wie es ihr eigener Vater gewesen war.

Und in ihrer Verzweiflung darüber hatte sie fast ihre Tochter verloren.

Annabelle hatte genug durchgemacht, und jetzt würde Ava sie beschützen. Mit aller Kraft und was immer es sie kosten würde.

„Was wird hier eigentlich gespielt?“

Cesares dunkle, sinnliche Stimme ging ihr durch Mark und Bein. Er stand vor ihr im Türrahmen der gemeinsamen Villa am Comer See, stolz und schön wie eine römische Statue, in einem makellos weißen Polohemd und schwarzen Designerjeans, die seine schmalen Hüften und muskulösen Schenkel umschmeichelten.

Sein schwarzes Haar war noch feucht vom Duschen, es fiel ihm in die Stirn, voller und länger, als sie es in Erinnerung hatte.

„Willst du das Kind zu Tode erschrecken?“, fragte Ava wütend.

Er verzog das Gesicht und blickte auf das kleine Mädchen auf Avas Armen. „Sie schläft“, stellte er fest.

„Nicht mehr lang, wenn du nicht leise bist. Sie hat schon genug durchgemacht, Cesare. Ich will sie nicht aufregen.“

„Ich weiß genau, was sie durchgemacht hat. Tu nicht so, als sei ich ein Fremder für sie.“ Er hatte die Stimme gesenkt und fast einen Plauderton angeschlagen. Doch sein Blick glühte vor Zorn.

„Verzeih mir, dass ich dich daran erinnere. Aber du scheinst es vergessen zu haben. Ebenso wie du uns vergessen zu haben scheinst. Annabelle ist immer noch angegriffen, also halt dich bitte zurück. Und um auf deine Frage zurückzukommen, was hier gespielt wird: Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt.“

„Meinst du deine informative SMS: ‚Landen um 14.00 Uhr‘, wenige Sekunden vor deinem Abflug? Oder das kryptische ‚Meine Pläne haben sich auch geändert‘?“, fragte er. Noch immer stand er mitten im Eingang und versperrte ihr den Weg in die Villa.

„Beides.“

„Ava …“ Sein Tonfall war drohend.

„Lässt du mich jetzt rein, oder willst du diese Unterhaltung zwischen Tür und Angel weiterführen? Was machst du überhaupt hier? Du bist doch sonst kaum noch zu Hause.“ Sie sah ihm fest in die Augen, die bedrohlich funkelten.

„Was ich hier mache, spielt keine Rolle. Du solltest auf Bali warten, bis Annabelle über den Berg ist. Dann hätte ich euch abgeholt.“

„Die Ärzte haben schon vor drei Tagen Entwarnung gegeben.“

Überraschung blitzte in seinen Augen auf, dann sah er suchend über ihre Schulter zum Wagen. „Und Rita?“

„Sie hatte Albträume. Als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, habe ich ihr einen Flug zurück nach London gebucht. Sie macht sich solche Vorwürfe, weil sie Annabelle losgelassen hat, als das Erdbeben losging …“ Die Erinnerung daran, wie aufgelöst und untröstlich das Kindermädchen gewesen war, versetzte ihr einen Stich. „Ich hielt es für die beste Lösung.“

Cesare sah grimmig aus, nickte aber. „Ich komme für ihre Behandlung auf und sorge dafür, dass sie eine Abfindung bekommt. Aber du hättest bleiben können …“

„Nein, Cesare. Rita war nicht die Einzige, die Heimweh hatte. Du wolltest nach Bali kommen und uns abholen. Stattdessen warst du in Singapur und in New York.“

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Das ist kein guter Zeitpunkt, um darüber zu sprechen.“

„Es hat schon lange keinen guten Zeitpunkt für ein Gespräch zwischen uns gegeben, Cesare.“ Sie spürte, wie eine Welle von Traurigkeit sie überrollte. Doch sie straffte sich.

Feuchte Strähnen klebten an ihrem Nacken. Die Nachmittagssonne brannte auf ihrer nackten Haut. Wenn sie nicht bald aus der Sonne kam, würde sie am nächsten Morgen krebsrot sein. „Jetzt sind wir zu Hause. Du solltest mir dankbar sein, dass ich dir die Umstände erspart habe. Lässt du uns jetzt rein, oder spricht irgendetwas dagegen?“

Seine Nasenflügel bebten, und sein Blick fiel auf Annabelle. „Nein, natürlich nicht.“

Ava hielt ihr kostbares Bündel fest umschlungen. „Da bin ich aber froh. Ich möchte dir keine Umstände bereiten.“

Annabelle wurde von Sekunde zu Sekunde schwerer in ihren Armen. Die Anstrengung, die knapp Vierjährige während des zwölfstündigen Fluges zu beschäftigen, steckte ihr in den Knochen. Doch sie ließ sich nichts anmerken.

Doch Cesare stand weiter im Türrahmen und blickte sie unverwandt an. „Ava, wir müssen reden …“

„Zum Glück bin ich nicht paranoid, Cesare, sonst könnte ich auf die Idee kommen, dass du mir aus dem Weg gehst.“ Als er nicht widersprach, war ihr, als griffe eine eisige Hand nach ihrem Herzen. „Vielleicht hast du recht, dies ist kein guter Zeitpunkt. Ich fahre mit Annabelle für ein paar Stunden in mein Studio. Sag Bescheid, wenn du weg bist.“

Sie hatte noch keinen Schritt getan, als sich eine Hand um ihren Arm schloss und sie zurückzog. Ava prallte gegen den harten, muskulösen Körper ihres Ehemannes. Der Duft, der ihr in die Nase stieg, war ganz und gar Cesare. Die Mischung aus Sandelholz-Aftershave und Mann vernebelte ihre Sinne.

„Nein. Annabelle bleibt hier bei mir.“ Sie spürte die Anspannung in jeder Faser seines Körpers.

„Wenn du denkst, ich lasse sie aus den Augen, nach allem, was sie durchgemacht hat, dann hast du dich getäuscht.“ Sie versuchte, sich loszureißen. Ohne Erfolg. Er hielt sie weiter, und Hitze stieg in ihr auf. Nicht allein Wut, sondern ein anderes, sehr vertrautes Gefühl, das sie jetzt nicht erwartet hatte …

Sie wankte, Cesare stützte sie, stützte sie beide, mit einer Hand am Rücken des kleinen schlafenden Mädchens.

Ihr Puls hämmerte, und die Luft, die sie einsog, fühlte sich trocken an. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und sie zwang sich zu schlucken, während er sie immer noch festhielt.

„Ich gebe dir zehn Minuten, mir deine neuen Pläne mitzuteilen, dann …“

„Nein, so läuft das nicht. Erst bringe ich Annabelle ins Bett, dann können wir uns unterhalten wie zivilisierte Menschen.“

Er lachte leise. „Zivilisiert?“ Sein warmer Atem streifte ihr Ohr und brachte ihre Haut zum Prickeln. „Erinnerst du dich noch, wie wir uns kennengelernt haben, cara?“

Natürlich erinnerte sie sich.

Fast hätte er sie auf einem Zebrastreifen überfahren, gerade als sie damit beschäftigt war, ein jahrhundertealtes Gebäude zu fotografieren. Im Schock des Beinahe-Unfalls hatte sie instinktiv mit den Fäusten auf die sonnengewärmte Kühlerhaube seines blutroten Maserati eingetrommelt.

Wütend war er ausgestiegen. Doch sein Zorn hatte sich schnell in etwas anderes verwandelt, etwas, das nicht minder gefährlich war und – verboten aufregend.

„Ich wusste kaum, wie du heißt, da haben wir uns schon gegenseitig die Kleider vom Leib gerissen. Dio mio, wenige Stunden nach unserer ersten Begegnung warst du keine Jungfrau mehr. Und meine Kühlerhaube spielte dabei eine gewisse Rolle, wenn ich mich richtig erinnerte.“

Ein Brennen breitete sich in ihrem Körper aus, als sie daran dachte. „Spielt das eine Rolle?“ Ihre Stimme klang rau.

„Ich wollte dich nur daran erinnern, dass wir nie zivilisiert waren.“

„Das mag für dich gelten. Wenn du dich wie ein Höhlenmensch benehmen möchtest, meinetwegen. Aber deshalb muss ich mich ja nicht auf dein Niveau herablassen.“ Irgendwie musste sie die starken Gefühle, die Cesare in ihr auslöste, in den Griff bekommen. Für ihre Tochter.

Wieder versuchte sie, sich zu befreien. Diesmal ließ er sie los.

„Tu nicht so, cara. Wir beide kennen die Wahrheit.“

Sein Blick verfolgte sie wie ein mitleidloser Raubvogel ein junges Kaninchen, als er die Tür aufstieß und mit verschränkten Armen beiseitetrat.

Sie zwang sich, den Blick von ihm abzuwenden, als sie den Palazzo betrat, der seit vier Jahren ihr Zuhause war. Sie waren nur wenige Wochen fort gewesen. Doch so vieles war passiert seitdem.

Wie mit fremdem Blick schaute sie sich um. Das elegante cremefarbene Innere des Hauses stand in einem Kontrast zu seiner Fassade in warmem Terracotta und den Gartenterrassen und alten Brunnen hinter dem Gebäude. Stuckverziertes Mauerwerk und gewölbte Decken gaben den Räumen ein einzigartiges Flair.

Die Villa di Goia war einst ein berühmtes Museum gewesen. Daran erinnerten bis heute die kostbaren Möbel in der Eingangshalle, die Renaissancegemälde und die Porträts an den Wänden. Der venezianische Marmor und das Parkett erstrahlten in einem Glanz, wie ihn sich nur die Superreichen leisten konnten.

„Hier hat sich nichts verändert. Ich schlage vor, du hörst auf, die Architektur zu bewundern, und erklärst mir lieber, was los ist. Du hast acht Minuten.“ Unter seiner ruhigen Fassade brodelte es.

Sie holte tief Luft und sah ihm ins Gesicht. „Ich schlage vor, du hörst auf, die Zeit zu stoppen, und hilfst mir mit Annabelle.“

Seine Augen weiteten sich kaum merklich vor Überraschung. Unter anderen Umständen hätte Ava gelacht. Doch das Gewicht ihrer Tochter schien sich mit jeder Sekunde zu verdoppeln.

Cesare presste die Lippen zusammen, trat einen Schritt vor und nahm ihr das Kind ab.

Ava hörte ihn aufatmen, als er sie an seine Brust drückte und betrachtete.

„Sie sieht gut aus“, flüsterte er.

„Es geht ihr auch gut. Der Arzt ist sehr zufrieden mit ihren Fortschritten“, erwiderte Ava und massierte ihren schmerzenden Arm.

Cesare konnte den Blick kaum von seiner Tochter abwenden, und Ava brauchte keine Kristallkugel, um zu wissen, dass er an das letzte Mal dachte, als er sie in den Armen gehalten hatte. An die überwältigenden Gefühle, als sie Annabelle nach dem Erdbeben endlich gefunden hatten …

Nun stieg er mit ihr die breite Treppe hinauf, die zu den oberen Stockwerken führte, und Ava hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Als er sich Richtung Ostflügel wandte, konnte sie ihre Überraschung nicht verbergen. „Hast du das Kinderzimmer verlegt?“ Annabelles Zimmer befand sich eigentlich im Westflügel.

, ich hab ein bisschen umgebaut. Ich wollte sie in meiner Nähe haben.“ Seine Stimme klang abweisend, als wollte er nicht darüber reden. Wieder spürte sie den kalten Griff um ihr Herz. In meiner Nähe, nicht in unserer.

Als sie ihm ins Kinderzimmer folgte, hätte Ava fast nach Luft geschnappt.

Der Raum war völlig neu eingerichtet, in Annabelles Lieblingsfarben Rosa und Grün, mit einem Himmelbett und voll von Spielzeug, vor allem den von Annabelle heiß geliebten Pferden.

Sie sah zu, wie er Annabelle sanft auf das breite Bett legte und zurücktrat. Er winkte ab, als sie helfen wollte, und zog dem Mädchen Schuhe und Strümpfe aus. Dann deckte er sie zu, nahm ein Stoffpferdchen aus einem Regal und legte es ihr in den Arm.

Ava traute ihren Augen kaum. Wie oft hatte sie sich eine solche Geste gewünscht, als Annabelle noch ein Baby war? Wie oft hatte sie sich vorgestellt, er würde seiner Tochter die Stirn küssen und buona notte, bambina flüstern?

Er drehte sich um, und ihre Blicke trafen sich.

„Komm. Sie schläft, lass uns reden.“ Entschlossen schritt er zur Tür.

Sein Körper verriet seine innere Anspannung, und mit jedem Schritt wuchs ihre eigene Nervosität. Sie wischte sich die feuchten Hände an ihrem langen Rock ab.

Als sie das Wohnzimmer betrat, stand er vor den großen Panoramafenstern und sah auf die üppigen, perfekt gepflegten Gärten und den Privatsteg am weltberühmten Comer See. Der Blick war so atemberaubend, dass sie fast die Kamera gezückt hätte, doch sie versuchte, sich zu konzentrieren.

Cesares Blick folgte einem schnittigen Schnellboot auf dem türkisfarbenem Wasser.

„Du hättest auf Bali auf mich warten sollen, Ava.“ Er sprach, ohne sich zu ihr umzudrehen.

„Ich bin nicht der Typ, der Befehle befolgt, ohne sie zu hinterfragen, das weißt du. Und du schienst es nicht besonders eilig zu haben, uns nach Hause zu holen.“

„Ihr hattet doch alles, was ihr braucht.“

„Ja, das Personal hat uns jeden Wunsch von den Augen abgelesen.“

„Aber?“

„Aber ich hatte genug davon, von Fremden umgeben zu sein. Annabelle braucht eine vertraute Umgebung. Da sind wir also“, sagte sie ruhig.

„Du hättest mit mir sprechen sollen!“

„Wo liegt das Problem? Bist du sauer, weil ich nach Hause kommen wollte oder weil ich deine Autorität infrage gestellt habe?“

Er sog scharf die Luft ein. „Es hat sich viel geändert …“

„Das ist mir durchaus bewusst. Aber es wird nicht dadurch besser, dass ich nicht zurückkomme.“

„Warum bist du früher gekommen als abgesprochen?“

„Weil es nicht nur um dich geht, Cesare. Das Leben geht weiter, und Annabelle muss so schnell wie möglich ins normale Leben zurückfinden. Außerdem: Als ich sagte, meine Pläne hätten sich geändert, war das mein Ernst. Man hat mich für die Marinello-Hochzeit engagiert.“

Er runzelte die Stirn. „Du bist eine preisgekrönte Dokumentarfotografin. Seit wann machst du Promihochzeiten?“

„Wie ich schon sagte, Annabelle braucht im Moment eine vertraute Umgebung.“

„Und du hast es nicht für nötig gehalten, mich vorher zu informieren?“

„Ich werde nicht gern sitzengelassen.“

„Ich habe dich nicht sitzengelassen. Annabelle musste medizinisch versorgt werden und konnte nicht reisen.“

„Ja, aber es war nicht geplant, dass wir auf unbegrenzte Zeit bleiben. Obwohl ich allmählich den Verdacht habe, dass es dir nur recht gewesen wäre.“

„Das stimmt nicht. Ich finde auch, dass Annabelle eine vertraute Umgebung braucht, aber …“ Er zögerte.

Aber du nicht. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. „Du brauchst es nicht auszusprechen, Cesare.“ Ihr Lächeln bröckelte. „Im Moment geht es nur um Annabelles Wohl. Du kannst unbesorgt nach Rom zurückfahren.“

Etwas, das sie nicht gleich deuten konnte, blitzte in seinen Augen auf. Er ballte die Fäuste, seine Nasenflügel bebten. Eine ganze Weile sagte er nichts. Die Luft knisterte förmlich. Endlich erwiderte er mit heiserer Stimme: „Ich bleibe den Sommer über hier.“

Ihr Herz setzte für einen Schlag aus. Sie starrte ihn an und sah, wie sich Unmut in seinem Gesicht abzeichnete. „Das könnte für einen von uns ziemlich unangenehm werden“, sagte sie schließlich.

„Ich will dich hier nicht. Nicht jetzt.“

Die unverblümten Worte versetzten ihr einen Stich.

„Warum nicht?“

„Ich bin gerade …“ Er unterbrach sich und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Wir wissen beide, dass es zwischen uns schon eine Weile nicht mehr so gut läuft. Aber … ich kann jetzt keine Ablenkung gebrauchen.“

Sie atmete tief durch und erinnerte sich daran, warum sie hier war. Sie stellte ihre Tasche auf dem Couchtisch ab. „Deine Ehefrau kommt dir ungelegen?“

„Wenn du auf Bali geblieben wärst …“

„Bin ich aber nicht. Du willst immer alles und jeden kontrollieren, aber mich kontrollierst du nicht. Das hier ist ebenso mein Zuhause wie deins. Du wirst meine Anwesenheit ebenso ertragen müssen wie die deiner Tochter.“

„Annabelle ertragen? Ich bin ihr Vater.“

„Lass uns lieber nicht über deine Qualitäten als Vater reden.“

Unter der sonnengebräunten Haut wich ihm die Farbe aus dem Gesicht. Sie sah, dass er schluckte. „Wenn du ein zivilisiertes Gespräch willst, wie du behauptest, solltest du vorsichtig sein, Ava. Was zwischen uns steht, darf nicht unserer Tochter schaden.“

Sie versuchte, gegen den tiefen Schmerz anzukämpfen, der in ihr aufstieg, und setzte sich möglichst weit von ihm entfernt.

„Wenigstens darin sind wir uns einig. Ich schlage vor, wir machen einen Plan. Du hast sie morgens, wenn ich bei meinen Kunden bin, ich übernehme die Nachmittage. Solange sie glücklich ist, werde ich dich nicht stören.“

Er lachte bitter auf. „Du störst so wenig wie ein Elefant im Porzellanladen.“

„Nur wenn es nötig ist.“ Zum Beispiel bei einem aufbrausenden und bedauerlicherweise atemberaubend gut aussehenden Italiener, der alles und jeden herumkommandierte. Oder bei einem gleichgültigen Vater, der einen behandelte wie Luft. „Manchmal ist es die einzige Möglichkeit, um beachtet zu werden.“

„Bist du deshalb Knall auf Fall zurückgekommen? Damit ich dich beachte?“, fragte er plötzlich mit sanfter Stimme.

Diese Stimme, genau diese Stimme, dieser Tonfall weckte in Ava Erinnerungen, die sie nicht ertragen konnte. „Ich bin hier, weil meine Tochter ihr Zuhause braucht.“

Wieder funkelten seine Augen gefährlich. „Unsere Tochter. Sie ist ebenso meine Tochter, Ava.“

Sie sprang auf. „Ach, wirklich? Im letzten Jahr hast du sie kaum gesehen. Du bist lieber in Rom geblieben und hast immer neue Ausreden erfunden, warum du nicht nach Hause kommst. Also, was willst du hier eigentlich? Was hat sich geändert? Woher dieser plötzliche Wunsch, den Papa zu spielen?“

Ein Schatten huschte über sein Gesicht. „Sie ist meine Tochter. Mein Blut. Es bestand nie ein Zweifel, dass ich meine elterlichen Pflichten wieder aufnehme.“

Wieder aufnehmen! Man kann bei der Erziehung seiner Kinder nicht einfach auf Pause drücken, wenn einem gerade danach ist. Dann passt sie also gerade in deinen Terminplan? Für wie lange? Was ist, wenn du plötzlich wieder nach Abu Dhabi musst oder Doha oder in die Mongolei? Drückst du dann wieder auf Pause?“

Seine Miene verfinsterte sich. „Du denkst, ich würde Annabelle für ein Geschäft im Stich lassen?“

„Ach, tu doch nicht so. Wie oft hast du mich wegen irgendwelcher Projekte am anderen Ende der Welt im Stich gelassen?“

Er winkte ab, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen. „Das war etwas anderes.“

Die Gleichgültigkeit seiner Worte verschlug ihr den Atem. „Wie soll ich glauben, dass sich etwas ändert, wenn du es nicht einmal schaffst, deine Tochter nach Hause zu holen?“

Ava war mehr als nur aufgebracht. Sie war zutiefst beunruhigt. Niemals handelte Cesare, ohne mindestens zwölf Schritte vorauszuplanen. Was bedeutete es also, dass er den Sommer mit Annabelle am Comer See verbringen wollte? Was steckte dahinter? Sie konnte sich keinen Reim darauf machen.

„Die Dinge haben sich geändert, Ava.“

„Dann klär mich auf. Inwiefern haben die Dinge sich geändert?“

Er wandte den Blick ab. „Das Erdbeben hat uns allen die Augen geöffnet, das leugne ich nicht. Ich stimme dir zu, dass Annabelle im Moment eine sichere und vertraute Umgebung braucht. Wir sind beide beruflich sehr eingespannt. Wenn etwas Unerwartetes passiert, springt Lucia ein, bis ich ein neues Kindermädchen gefunden habe. Dann ist rund um die Uhr jemand für sie da.“

Sie sog die Luft ein. „Gott, du hast Nerven. Erst behauptest du, das Erdbeben hätte dir die Augen geöffnet, und im nächsten Atemzug willst du unser Kind schon wieder wegorganisieren!“

Sein Blick war eisig. „Ich nehme mir so viel Zeit wie möglich, aber ich kann nicht einfach komplett aufhören zu arbeiten, nur weil Sommerferien sind.“

„Natürlich nicht. Ich weiß nicht, warum ich überhaupt überrascht bin. Cesare di Goia, der Gott unter den Kapitalanlegern, der alles, was er anfasst, in Gold verwandelt, hat sich kein bisschen geändert.“

„Annabelle wird in ein paar Wochen vier.“

Die unerwartete Wendung des Gesprächs brachte sie aus dem Konzept. „Ja, das ist mir bewusst.“

Er warf einen Blick auf seine silberne Uhr. „Aber wenn du die Marinello-Hochzeit machst, bist du während der nächsten Wochen in der Toskana.“

„Du bist ja gut informiert.“

Er zuckte die Schultern. „Aus irgendeinem Grund glaubt Agata Marinello, ich müsste über die Einzelheiten der Hochzeit ihres Sohnes auf dem Laufenden gehalten werden.“

„Du bist der Ehrengast, und deine Firma finanziert Reynaldo Marinellos Reality-Show. Außerdem glaube ich, dass alle Gäste per E-Mail und Facebook auf dem Laufenden gehalten werden.“

„Genau aus diesem Grund habe ich ihre E-Mails heute früh geblockt. Ich habe noch nicht einmal offiziell zugesagt. Nach allem, was passiert ist …“ Er stockte und schüttelte den Kopf. „Ich lasse den Jet auftanken. Paolo bringt dich zum Flughafen, dann bist du heute noch in der Toskana. Annabelle bleibt hier bei mir. Wenn die Hochzeit vorbei ist, reden wir.“

Betont locker lehnte sie sich zurück und schlug die Beine übereinander. „Schon mal was von CO2-Bilanz gehört?“

Er hielt inne. „Du weißt genau, dass man in meinem Job einen Privatjet braucht. Sonst hätte ich ständig Jetlag.“

„Ja, ich wette, die Erklärung leuchtet jedem Umweltschützer ein.“ Mit ihrer spitzen Bemerkung wollte sie an Boden gewinnen. Denn insgeheim musste sie an sein ganz persönliches Wundermittel gegen Jetlag denken: das riesengroße Bett im Schlafzimmer seiner Gulfstream, die glänzende Satinbettwäsche, die weichen, luxuriösen Kissen … die angrenzende Dusche für zwei … und an ihre eigene erotische Einführung in das Geheimnis der Lust über den Wolken.

Sie versuchte, ihn mit ihrem Blick zum Wegsehen zu zwingen, doch ihre Wangen brannten. Als ein kleines, wissendes Lächeln über seine Lippen huschte, wusste sie, dass sie sich selbst verraten hatte.

„Ich denke, angesichts meines ökologischen Engagements werden sie es mir verzeihen. Wenn du damit fertig bist, mich zu beschimpfen, bitte ich jetzt Lucia, dir einen Imbiss zuzubereiten, bevor du fährst.“ Er griff nach dem Hörer des Haustelefons.

„Warte. Ich fliege gar nicht. Die Marinellos haben den Ort für die Hochzeit vor drei Tagen geändert. Die offizielle Begründung ist eine Termitenplage in ihrer Villa in der Toskana, aber ich vermute, die Verlegung an den Comer See hat eher mit dir zu tun.“ Sie zuckte die Schultern. „Ich treffe mich morgen Nachmittag mit ihnen, um die Inszenierung der Feier und die Vorbereitungen zu besprechen. Aber abgesehen davon, scheinst du noch nicht verstanden zu haben, was ich dir zu sagen versuche. Annabelle und mich gibt es nur als Paket, Cesare. Wo ich hingehe, geht auch sie hin.“

Langsam, ganz langsam, legte er den Hörer wieder auf. Avas Herz schlug so heftig gegen ihre Rippen, als wollte es zerspringen.

„Ich warne dich, Ava. Treib es nicht auf die Spitze.“

„Vielleicht solltest du aufhören, den besorgten Papa zu spielen, nach Rom zurückfahren und uns in Ruhe lassen.“

Lässig lehnte er sich an die Wand und schob die Hände in die Taschen. Doch sie kannte ihn. Je ruhiger Cesare war, desto gefährlicher war er.

Gleichgültig, als würden sie über eine Vorspeise diskutieren, zuckte er die Schultern. „Du hast recht. Vielleicht ist es genau das, was wir brauchen.“

Ein beklemmendes Gefühl zog ihr den Magen zusammen. „Wovon sprichst du genau?“

„Wir sollten uns endlich der Tatsache stellen, dass unsere Ehe nur noch auf dem Papier besteht, und darüber sprechen, wer das Sorgerecht für meine Tochter bekommt.“

Laut und hektisch lachte sie auf. „Das ist wohl keine Frage. Glaubst du, ich würde sie auch nur einen Tag mit dir allein lassen?“

Ohne sich dessen bewusst zu sein, war sie aufgesprungen und bohrte ihm einen Zeigefinger in die Brust. „Glaubst du wirklich, irgendein Richter würde einem Vater das Sorgerecht geben, der sich so gut wie nie um seine Tochter gekümmert hat?“

2. KAPITEL

Bei Avas Worten zuckte Cesare zusammen. Gleichzeitig spürte er ihren Finger wie ein spitzes Messer an seiner Brust.

Er hatte sich nicht um seine Tochter gekümmert.

Als Annabelle ihn am meisten brauchte, hatte er versagt. Er hatte sie nicht beschützen können.

Eine dunkle Qual stieg wieder in ihm auf. Doch unter dem Schmerz und dem Schuldgefühl spürte er noch etwas anderes.

Verlangen.

Mit aller Kraft versuchte er, sich dagegen zu wehren, doch wie ein Ertrinkender, der sein unvermeidliches Schicksal annimmt, ergab er sich schließlich dem Sog.

Dio, er fühlte sich … lebendig. Nur durch die Berührung eines ihrer Finger fühlte er sich so lebendig wie schon lange nicht mehr. Und mehr, als er es verdiente, nach allem, was geschehen war.

Wieder stach ihn Avas Finger, doch er konnte nur denken, wie viel sauberer die Luft plötzlich roch, aromatischer, klarer.

„Seit sie auf der Welt ist, hast du dich kaum um sie gekümmert.“ Ihr heiseres Flüstern traf ihn mehr, als wenn sie geschrien hätte. „Und am Tag des Erdbebens wolltest du Zeit mit ihr verbringen. Stattdessen hast du sie wegen einer Telefonkonferenz zu Rita abgeschoben.“

Er kam wieder zu sich und atmete tief durch. „In dem Moment, wo ich erfuhr, was passiert war, habe ich sie gesucht. Wir haben sie zusammen gesucht, du und ich. Wir haben mit bloßen Händen den ganzen Marktplatz umgegraben.“ Bis sie bluteten.

Sie ließ die Hand sinken und schüttelte den Kopf. „Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass keiner von uns bei ihr war, als das Erdbeben losging“, flüsterte sie mit gepresster Stimme.

Derselbe Gedanke quälte ihn Tag und Nacht. „Ich weiß. Ich weiß selbst, wie leicht wir sie hätten verlieren können. Aber Gott sei Dank wurde sie gefunden.“ Jemand anders hatte seine Tochter auf dem verschütteten Marktplatz geborgen. Jemand anders hatte sich um Annabelle gekümmert, sie ins Krankenhaus gebracht und ihr Vermisstenfoto aufgehängt. „Sie war gesund. Sie lebte.“ Wie durch ein Wunder hatte sie das verheerende Erdbeben überlebt, das Zehntausende Opfer gefordert hatte.

Und solange er lebte, würde er nun alles dafür tun, dass ihr nie wieder etwas zustieß.

„Sie war gesund“, wiederholte sie dumpf. „Und deshalb hast du dir gedacht, du kannst wieder auf Distanz gehen?“ Ihre Stimme war gedämpft, doch der Schmerz darin war unüberhörbar.

Eine kalte Ruhe überkam ihn und verdrängte seinen Schmerz. „Ich war da, Ava.“

Ihre Gesichtszüge verhärteten sich, und sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Du meinst, so wie jetzt? Wo du überall anders lieber wärst als hier mit mir?“

Er biss die Zähne zusammen. Ava würde nie wissen, wie schwer es ihm gefallen war, nicht seinen Schmerz hinauszuschreien, als er glaubte, Annabelle verloren zu haben. Sie hielt ihn für kalt. Doch er musste so sein, er musste seine Gefühle unterdrücken, seine Sehnsucht nach dem, was nicht sein durfte.

Aber nicht seine Gefühle für Annabelle. Er war nicht bereit, auch noch sie aufzugeben.

„Und jetzt hast du beschlossen, dass du deine Tochter willst, und du glaubst, du brauchst nur mit den Fingern zu schnipsen?“

„Tut mir leid, wenn du etwas anderes erwartet hast.“ Die Ereignisse der vergangenen Wochen hatten ihm schmerzlich bewusst gemacht, dass Annabelle das einzige Kind war, das er je haben würde. Und jetzt war sie hier – wenn auch früher als erwartet –, und er hatte nicht vor, sie wieder gehen zu lassen.

„Deine Arroganz ist unglaublich.“

„Genau das gefällt dir doch an mir.“ Es verlieh ihm ein flüchtiges Gefühl der Befriedigung, dass sie errötete.

„Träum weiter. Dein Attraktivitätslevel ist für mich unter null gerutscht.“

Seine feurige Frau hatte die Angewohnheit, erst auszuteilen und erst danach über die Folgen nachzudenken. Aber war es nicht das, was ihn von Anfang an fasziniert hatte: ihre Lebendigkeit, ihre blinde, unkontrollierte Leidenschaft? Cesare ertappte sich dabei, dass sein Blick ihrem Hüftschwung folgte, als sie sich abwandte und zum Fenster ging. Er versuchte, sich zusammenzureißen.

Die Dinge gerieten außer Kontrolle. Wieder einmal.

Schon seine erste Begegnung mit Ava war berauschend, geradezu überwältigend gewesen. Sie war die Frau, die alle anderen überflüssig machte. Sie war das Licht seiner Tage, und sie durchzog das Dunkel seiner Nächte strahlend wie ein spektakulärer Komet. Gegen seinen Instinkt hatte er sich geöffnet, hatte sie an sich herangelassen. Obwohl er sich selbst und seinem Bruder Roberto geschworen hatte, dass so etwas nie wieder vorkommen würde.

Cesare hatte sein Meeting in Abu Dhabi sofort abgebrochen, als er erfuhr, dass Ava sein Flugzeug genommen hatte. Er hatte sogar erwogen, dem Piloten zu befehlen, sie nach Bali zurückzubringen. Doch er wusste, dass es aussichtslos war. Sie hätte einen anderen Weg gefunden.

Angriffslustig drehte sie sich um. Er unterdrückte ein Lächeln. Seine Ava hatte sich nicht verändert. Wenn sie sich in die Ecke gedrängt fühlte, kam die Löwin in ihr zum Vorschein.

Doch sie war nicht seine Ava. Er hätte nie mit ihr schlafen, ihr nie den Di-Goia-Smaragd an den Finger stecken dürfen.

Sein Blick fiel auf ihre nackten Finger. „Wo ist dein Ehering?“

Ihre Augen von derselben Farbe wie das Familienerbstück weiteten sich überrascht. „Mein Ehering?“

Sì. Wo ist er?“

„In einem Schmuckkästchen … irgendwo. Was spielt das für eine Rolle?“

Cesare hätte sie am liebsten gepackt und geschüttelt. Stattdessen ballte er die Fäuste in den Hosentaschen. „Du hast ihn hoffentlich nicht versetzt, um den Erlös dieser Kommune zukommen zu lassen, an der du auf Bali so viel Gefallen gefunden hast.“

„Ich brauche deinen Schmuck nicht, wenn ich für einen guten Zweck spenden will, Cesare. Ich verdiene gut genug.“

Ob sie ahnte, dass ihre so abweisend verschränkten Arme ihre Brüste hochschoben, sie noch voller, verführerischer machten?

„Hast du einen anderen?“ Dio, wo kam das jetzt her? Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, während Ava ihn mit offenem Mund anstarrte. Aber kam die Frage wirklich so überraschend? Was wusste er denn von ihr, von ihrem Leben in diesen vergangenen zwölf Monaten?

Mit einer heftigen Bewegung strich sie sich die Strähnen ihrer feuerroten Mähne über eine Schulter. „Darauf antworte ich nicht, Cesare“, erwiderte sie kühl.

Ihr Ausweichen machte ihn rasend. Dabei war er es gewesen, der auf Abstand gegangen war. Sie hatte allen Grund, sich einen Liebhaber zu nehmen. Trotzdem wurde ihm bei dem Gedanken übel.

„Warum? Hat deine Kommune dich zum Schweigen verpflichtet?“

„Das war keine Kommune. Und die Menschen dort sind …“

Eat, Pray, Love-Verfechter?“

„Nein, ob du es glaubst oder nicht, sie opfern ihre Zeit, um anderen Menschen zu helfen, vor allem den Erdbebenopfern.“

„In der Hoffnung, sich dabei selbst zu finden?“

Sie presste die Lippen zusammen. „Nicht alle können sich bei Multi-Milliarden-Dollar-Deals finden, Cesare. Warum hast du dich nicht um Annabelle gekümmert?“

Er massierte sich den verspannten Nacken. „Ich hielt es für das Beste. Nenne es eine Fehleinschätzung, wenn du dich dann besser fühlst.“

Eine Fehleinschätzung. Die Untertreibung des Jahrtausends, er wusste es selbst.

Er war nie dazu bestimmt gewesen, Ava zu heiraten – oder überhaupt zu heiraten. Nicht nach allem, was Roberto durchgemacht hatte. Nicht nach Valentina …

Das Erdbeben hatte den Umschwung gebracht. Es hatte ihn gezwungen, den Kopf aus dem Sand zu ziehen, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Für den Rest seines Lebens wollte er an Annabelle wiedergutmachen, was er bisher versäumt hatte.

„Ein Fehleinschätzung?“, wiederholte Ava schrill. „Betrifft das auch unsere Ehe?“

Ohne darauf einzugehen, ging er zur Bar. Doch er unterdrückte das Bedürfnis nach einem starken Drink. Im vergangenen Jahr hatte er sich mehr als einmal in den Alkohol geflüchtet. Jetzt konnte er sich das nicht leisten.

„Antworte mir, Cesare. Ist der Grund für das, was hier zwischen uns passiert, eine andere Frau?“

Er lachte bitter auf. „Warum glauben Frauen immer, dass es um eine andere Frau geht?“ Er goss ihr ein großes Glas Wasser ein und reichte es ihr.

Sie sah ihm in die Augen. „Weil Männer so vorhersehbar sind.“

„Würde es die Sache einfacher machen, wenn es eine andere Frau gäbe?“

Er sah den Schmerz in ihren Augen, ihre bebenden Lippen. Doch seinem Blick hielt sie stand. „Gibt es eine?“

Auf eine Weise wünschte er, es wäre so. So einfach. Sein Verlangen nach Ava wäre einfach erloschen. Doch so war es nicht. „Sag den Marinellos ab. Flieg zurück nach Bali. Oder nimm einen Auftrag in Übersee an. Lass mir den Sommer mit Annabelle. Wir reden, wenn du zurückkommst.“

Sie funkelte ihn an. „Nein. Annabelle braucht mich. Nach allem, was passiert ist, kann ich mich nicht wegen eines Auftrags auf und davon machen. Ich glaube, das weißt du auch.“

Insgeheim gab er ihr recht. Doch er presste die Kiefer aufeinander. „Der Außenminister ist ein enger Freund von mir. Du bist keine italienische Staatsbürgerin. Ein einziger Anruf würde genügen, um dich des Landes verweisen zu lassen. Ist dir das klar?“ Es war ein letzter, verzweifelter Versuch.

„Ja“, erwiderte sie schlicht, nicht im Geringsten eingeschüchtert. „Aber wenn ich gehe, nehme ich Annabelle mit.“

Gegen seinen Willen fiel sein Blick auf ihre sanft geschwungenen Lippen, üppig und geschmeidig, wie er sie in Erinnerung hatte. Wie alles an ihr.

Sie in seiner Nähe zu haben würde ihn in den Wahnsinn treiben. Aber er wollte sein Kind hier. Und in Millisekunden traf er eine Entscheidung.

„Na gut. Dann bleiben wir beide.“

Ihre Kinnlade fiel herunter, dann verengte sich ihr Blick. „Das war ein bisschen zu leicht.“

„Mach dir nichts vor, Ava. Es wird für keinen von uns leicht. Ich weiß, was du willst, und ich versichere dir, ich kann es dir nicht geben. Aber ich kann dafür sorgen, dass Annabelle nicht in die Schusslinie gerät. Verstehst du mich?“

Sie atmete hörbar ein, und Cesare wusste, dass er zu ihr durchgedrungen war. Als sie nickte, tanzte die Nachmittagssonne in ihrem roten Haar. „Das heißt: Waffenstillstand?“

Ihr Kampfgeist nötigte ihm Bewunderung ab. „Das hängt ganz von dir ab, cara. Dein Temperament könnte die Abmachung sprengen.“

Sie presste die Lippen zusammen. „Was meinst du damit?“

„Komm mir in den nächsten sechs Wochen nicht in die Quere, dann habe ich auch keinen Grund, dir den Krieg zu erklären.“

Mit finsterem Blick starrte Ava ihm nach. Die Gedanken in ihrem Kopf fuhren Karussell.

Sie trat ans Fenster und blickte auf den glitzernden Pool. Irgendetwas stimmte nicht an Cesares Geschichte.

Schon als sie frisch verheiratet war, hatte sie begriffen, dass für Cesare das Geschäft immer zuerst kam. Wie oft war er nach einem Anruf überstürzt auf Geschäftsreise gegangen.

Und jetzt hatte er plötzlich wochenlang Zeit, um den Sommer hier zu verbringen? Sie wollte nur allzu gern glauben, dass er sich geändert hatte, nach dem Schock, Annabelle beinahe verloren zu haben. Zumindest ihrer Tochter gegenüber schien das wirklich so zu sein. Doch sie, Ava, hielt er auf Abstand. Das war offensichtlich.

Sie stieß die Balkontüren auf und trat in die Nachmittagssonne. Ein Duft von Zitronenbäumen und Rosenblüten lag in der Luft. Sie atmete das betörende Aroma tief ein, doch es brachte ihrem aufgewühlten Inneren keine Ruhe.

Der Urlaub auf Bali war ein letzter Versuch gewesen, ihre Beziehung mit Cesare zu retten. Und er war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.

In der ersten Woche hatte sich Cesare im Arbeitszimmer der Luxusvilla verkrochen und bis tief in die Nacht gearbeitet. Am ersten Morgen der zweiten Woche war sie frustriert mit ihrem Fotoapparat losgezogen, um die wundervolle Natur der Umgebung einzufangen. An diesem Tag bebte die Erde.

Ihr Herz zog sich zusammen, als sie wieder an die verzweifelten drei Tage dachte, während derer sie nach Annabelle und Rita gesucht hatten.

Sie blinzelte die Tränen fort. Ironischerweise hatte sie sich Cesare in diesen erschütternden Augenblicken wieder so nah gefühlt wie seit Langem nicht.

Was war sie nur für ein Dummkopf …

Als sie nach oben kam, hatte das Personal ihre Sachen bereits in das Elternschlafzimmer neben Annabelle gebracht und ausgepackt. Cesare schlief nicht in dem Raum, das sie einst geteilt hatten, sondern hatte sich auf der anderen Seite von Annabelles Zimmer einquartiert.

Ava versuchte, den Knoten in ihrer Magengegend zu ignorieren, und zog sich aus. Die goldfarbenen Musselinvorhänge des Himmelbetts waren mit weißen Samtbändern zusammengebunden.

Sie nahm ihren kaffeefarbenen Seidenkimono vom Bett und ging ins Bad. Nach einer erfrischenden Dusche zog sie einen knöchellangen, grün-weiß geblümten Rock und ein weißes Top an und sah nach Annabelle, die immer noch schlief. Dann schlüpfte sie in ein Paar Flip-Flops, nahm ihren Laptop und ging nach unten.

Sie hatte vor, in den Salon im Westflügel der Villa mit Blick über die prächtigen Gärten zu gehen. Das Zimmer hatte immer eine beruhigende Wirkung auf sie. Doch in der Eingangshalle verlangsamte sie ihre Schritte, weil eine Flut von Erinnerungen über sie hereinbrach.

Auf ihrer Hochzeitsreise war sie zum ersten Mal in der Villa di Goia gewesen. Zwei glückliche Wochen, in denen sie das Schlafzimmer nur verließen, um im Pool zu schwimmen oder auf dem See Wasserski zu fahren.

Eigentlich wollte Cesare mit ihr an einen exotischeren Ort fahren, aber für ein Mädchen aus einer kaputten Arbeiterfamilie, die nie aus England herausgekommen war, war der Comer See am Ende eines heißen Sommers exotisch genug. Nachdem er sie über die Schwelle getragen hatte und sie dem Charme der Villa di Goia ebenso erlegen war wie dem ihres Besitzers, wollte sie nirgendwo anders sein.

Wie war sie blind gewesen.

Kopfschüttelnd vertrieb sie die Erinnerungen. Als ihr Blick auf das glitzernde Wasser draußen im Garten fiel, dachte sie an Annabelles Vorfreude auf ihren Lieblingspool und musste lächeln.

„Wenn das ein Siegerlächeln ist, freu dich nicht zu früh“, erklang eine tiefe Stimme hinter ihr.

Cesare lehnte an einer Louis-Seize-Anrichte, die sich seit vier Generationen im Besitz seiner Familie befand, und beobachtete sie. Über ihm starrte von einem gerahmten Porträtbild ein anderer, längst verstorbener di Goia herab, mit einem Blick aus goldbraunen Augen, die denen Cesares auf verblüffende Weise ähnelten.

„Armer Cesare. Du bist nicht gerade glücklich darüber, dass ich wieder zu Hause bin. Schon kapiert. Aber ich werde mich nicht verstecken, und ich werde mir auch nicht das Lächeln verkneifen, nur weil du dich auf den Schlips getreten fühlst.“

Mit spöttischer Miene sah er sie an. „Ich habe kein Problem damit, wenn du lächelst, cara, ich möchte nur nicht, dass du dir Illusionen machst.“

„Keine Sorge. Übrigens habe ich gelächelt, weil ich daran dachte, wie sehr Annabelle sich freuen wird, wieder zu Hause zu sein.“ Sie unterbrach sich, weil ihr einfiel, dass sie Cesare keine Erklärung schuldete.

„Du hast nicht nur an sie gedacht. Du hast an uns gedacht.“ Sein Tonfall war so nüchtern, dass Ava ein Schauer über den Rücken lief.

„Du irrst dich.“ Sie musste es abstreiten, um jeden Preis.

„Lügnerin. Auch wenn wir uns im letzten Jahr nicht oft gesehen haben, bist du für mich immer noch wie ein offenes Buch, Ava.“

„Dann scheinst du die Sprache des Buches nicht zu kennen. Denn du liegst total daneben.“

Das spöttische Lächeln wich aus seinem Gesicht. Ava fühlte Triumph in sich aufsteigen. Und zugleich hätte sie in Tränen ausbrechen können. Wenn Cesare wirklich ihre Gedanken lesen konnte, dann wusste er auch um ihren Herzenswunsch: die Geborgenheit einer wirklichen Familie, die er ihr verweigerte.

„Außerdem gehen dich meine Erinnerungen nichts an“, fuhr sie fort.

„Dann lerne, sie besser zu verbergen.“

„Wieso? Sind sie dir unangenehm? Wäre es dir lieber, ich würde jedes Gefühl von mir abstreifen, so wie du?“, fragte sie angriffslustig und biss sich auf die Zunge, als sie sah, wie sich seine Miene versteinerte.

„Du glaubst, ich hätte keine Gefühle, cara?“, fragte er, mit einer Stimme so sanft, dass sich die Härchen auf ihren Armen aufrichteten.

„Nicht für mich jedenfalls. Wenn es um mich geht, bist du ungefähr so gefühlvoll wie ein Stück Holz.“

Er kniff die Augen zusammen. Wie in Zeitlupe sah sie, wie er die Hände aus den Taschen nahm und ihre Arme umfasste. Mit einer Hand nahm er ihr den Laptop ab und legte ihn beiseite.

„Was tust du?“ Ihre Stimme klang schrill.

Ohne zu antworten, legte er eine Hand in ihren Nacken. Ein Glühen lag in seinem Blick, und Ava hörte ihre Füße über den Boden schleifen, als er sie mühelos an sich zog und ihren Po umfasste.

„Cesare!“

Eine heiße Welle durchfuhr sie, machtvoll und gefährlich. Ihre Sinne erwachten mit einer Heftigkeit, die sie nach Luft schnappen ließ, und statt sich zu wehren, presste sie sich an ihn. Sein Mund näherte sich dem ihrem, und er verlor keine Zeit und ließ seine Zunge durch ihre geöffneten Lippen gleiten. Irgendwo, ganz tief in ihrem Innern, wusste sie, dass es falsch war, aber das Gefühl war zu berauschend, zu beglückend, um dagegen anzukämpfen.

Sie versuchte es dennoch. „Nein …“

„Doch, definitiv doch.“ Er zog sie noch näher an sich.

Mit einem Seufzer legte sie die Hände an seine Brust und fuhr über die festen Konturen seiner Muskeln.

Als sie die Arme um seinen Hals schlang, stöhnte Cesare. Heißer und ungestümer wurde ihr Kuss. Als seine Zunge ihren Mund erforschte, schoss Hitze zwischen ihre Schenkel, ihre Brustspitzen wurden hart. Sie griff nach seiner Hand in ihrem Nacken und legte sie auf ihre Brust.

Mit dem Daumen strich er über die empfindlichen Spitzen, bis Ava vor Erregung bebte.

Wenn sie geglaubt hatte, die Distanz zwischen ihnen hätte Cesares Anziehungskraft auf sie gemindert, hatte sie sich getäuscht. Im Gegenteil: Die Kluft schien ihr Verlangen nur verstärkt zu haben.

Sie sehnte sich mit einer Leidenschaft nach ihm, die sie zutiefst erschreckte. Sie hätte auf der Stelle alles dafür gegeben, seine Erregung tief in sich zu spüren. Es war ein Schock, und dennoch glitt ihre Hand schon bei dem bloßen Gedanken daran zu seinem Gürtel.

Als sie über die Wölbung darunter strich, zuckte er zusammen und tauchte noch tiefer in ihren Mund. Seine Finger schlossen sich um ihre Brustwarzen, massierten und liebkosten sie, bis Ava vor Lust aufschreien wollte.

Mit bebenden Fingern versuchte sie, seine Gürtelschnalle zu öffnen. Als es ihr endlich gelang, ließ er eine Hand zwischen ihre Beine gleiten. Erbarmungslos durchflutete Lust ihren Körper. Zielsicher fanden seine Finger durch ihren Slip, was sie suchten, und sie öffnete die Schenkel weiter, atmete stoßweise, während sie sich an ihn klammerte. Ein Nebel legte sich über die Wirklichkeit. Hatte sie gerade den Kopf zurückgeworfen? War das seine Zunge an ihrem Hals?

Dio, du bist so sexy!“, flüsterte er.

Sie spürte, wie er sie gegen die kühle Wand drückte, während er den Druck seiner Finger an ihrer empfindlichsten Stelle verstärkte. Seine Lippen umschlossen eine ihrer Brustwarzen, liebkosten sie, dann wanderte sein Mund zurück zu ihrem, um ihren Schrei zu ersticken, als sie kam und Wellen der Ekstase durch ihren Körper rollten.

Langsam kam sie wieder zu sich, Cesares Duft und der ihrer eigenen Erregung drang an ihre Sinne. Noch ein Beben durchfuhr sie, als er seine Finger zurückzog. Wie um ihr Halt zu geben, schob er einen seiner Oberschenkel zwischen ihre Beine.

An ihrem Bauch spürte sie seine Erregung, heiß und schwer.

Aus der Ferne drangen Geräusche zu ihnen. Sie stand völlig derangiert in der Eingangshalle, kaum versteckt hinter einem Pfeiler. Jeden Moment konnte jemand vom Personal vorbeikommen. Aber das war Ava egal. All ihre Sinne waren zum Leben erwacht, ihr Körper war bereit für Cesare.

In seinen Augen sah sie ein kaum mehr zu zügelndes Begehren. Sie griff nach seinem Hosenknopf, nach seinem offenen Gürtel. „Jetzt bist du dran.“

Es traf Ava völlig unvorbereitet, als er ihre Hände packte. „Nein.“

3. KAPITEL

Ava erstarrte. Es war, als ob ein eisiger Hauch sie aus ihrem Taumel weckte.

„Du willst mich doch. Ich weiß, dass du mich willst“, stieß sie verwirrt hervor. Sie spürte den Beweis an ihrem Körper.

Vorsichtig wich er ein Stück zurück, gerade so weit, dass er sie noch hätte halten können, wenn sie zusammengesunken wäre.

„Es ging um dich, nicht um mich.“ Sie sah ihm in die Augen. Begriff langsam. Und augenblicklich löste sich ihr verzweifeltes Verlangen in Nichts auf.

„Du Mistkerl.“

Er trat einen weiteren Schritt zurück. Sie sog die Luft ein, die noch erfüllt war vom Duft ihres eigenen Körpers, und ihr wurde beinahe übel.

„Du wolltest mich demütigen“, stellte sie fest.

„Ich wollte nur etwas klarstellen. Leidenschaft ist ein Gefühl, cara, ein Gefühl, das ich im richtigen Moment genieße. Aber ich lasse nicht mein Leben davon bestimmen.“

Sie senkte den Blick, entsetzt darüber, wie leicht sie ihm auf den Leim gegangen war. „Und du denkst, ich tue das?“

„Genau das habe ich gerade bewiesen.“

„Wow, die Show war nur für mich? Nun, ich hoffe, du bist stolz auf dich?“

Er trat einen Schritt auf sie zu und fuhr mit dem Finger über ihre geschwollene Lippe. „, bin ich. Und es tut gut zu wissen, dass du immer noch Wachs in meinen Händen bist.“ Seine Stimme triefte vor Selbstzufriedenheit.

Diese Runde ging an ihn, daran war kein Zweifel. Ava strich ihre Kleidung glatt. „Stimmt, dein sexuelles Fingerspitzengefühl ist großartig. Der Höhepunkt eben war nicht von dieser Welt. Und ich bin eine leidenschaftliche Frau. Du hast aber eben auch bewiesen, wie kalt du bist. So kontrolliert, dass du selbst bestimmst, wann dich etwas berührt. Wundere dich nicht, dass ich dir nicht über den Weg traue.“

Er ließ sie so abrupt los, als hätte sie plötzlich eine ansteckende Krankheit. Für einen Moment wirkte er fast entwaffnet. Doch sie verspürte keinen Triumph, nur eine Leere, die mit jeder Sekunde größer wurde.

„Du willst mich ärgern.“ Der Mann, der vor ihr stand, war nicht der Cesare, der sie eben wie besinnungslos geküsst hatte, dessen Herzschlag sie an ihrem gespürt hatte. Dies war der Cesare, der alles unter Kontrolle hatte, der Gebieter seiner Welt.

„Ich sage nur die Wahrheit.“

„Wenn du den Waffenstillstand aufrechterhalten willst, brauchen wir ein paar Grundregeln“, sagte er. „Komm mit.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er in Richtung seines Arbeitszimmers.

Nach einer Weile erst folgte sie ihm und fand ihn hinter seinem massiven antiken Schreibtisch, die Finger vor dem Mund verschränkt. Wäre es ein anderer Mann gewesen, hätte sie vermutet, er würde sich hinter dem Schreibtisch vor ihr verstecken. Aber Cesare war kein gewöhnlicher Mann.

Er hob den Blick und sah sie an. „Ich möchte mit dir über Annabelle sprechen und die Auswirkungen, die unser Zusammensein auf sie hat.“

Sie runzelte die Stirn. „Warum sollte es irgendwelche Auswirkungen auf sie haben?“

Er ignorierte ihre Frage. „Wie hat sie es aufgenommen, als Rita abgereist ist? Ich weiß, wie nah sie sich standen.“

„Natürlich war sie traurig, aber …“

„Du hast außerdem gesagt, sie sei im Moment empfindlicher als sonst.“

Ihre Nackenhaare sträubten sich. „Und du glaubst, das ist meine Schuld?“

Er atmete hörbar aus. „Es geht nicht um Schuldzuweisungen, Ava. Ich versuche nur herauszufinden, was das Beste für sie ist.“

„Sie ist wieder zu Hause, wo sie hingehört, und ich werde jeden Tag bei ihr sein.“

Sein Blick wurde hart. „Manchmal bist du auch bei der Arbeit. Warum arbeitest du überhaupt wieder Vollzeit?“

„Weil ich gemerkt habe, dass mir die Rolle der vernachlässigten Frau nicht liegt. Ich brauche mehr.“

„Was willst du damit sagen?“

„Du bist doch sonst so schlau. Was glaubst du?“

„Du bist meine Frau, Ava, und …“

„Bin ich das nicht nur noch auf dem Papier?“ Sie ignorierte seinen eisigen Blick. „Du kannst nicht alles haben, Cesare. Seit Annabelles Geburt haben wir uns immer weiter voneinander entfernt. Wir haben im letzten Jahr kaum noch zusammengelebt. Und jetzt bin ich plötzlich wieder deine Frau? Für dich ging der Job immer vor, also wage es nicht, meinen infrage zu stellen. Deine Tochter kannst du weiter unterstützen, aber ich kann für mich selbst sorgen.“

„Nette Rede. Allerdings hast du nicht gezögert, meinen Jet zu nehmen, als du ihn brauchtest. Du kannst auch nicht alles haben, cara. Solange wir unter demselben Dach leben, bin ich für dich verantwortlich, und wir tun beide, was für Annabelle das Beste ist. Wir werden die Mahlzeiten gemeinsam mit ihr einnehmen und uns immer als einige Front präsentieren.“

„Um ihr zu beweisen, dass ihre Mami und ihr Papa sich nicht hassen?“

Sein spöttisches Lächeln entblößte seine perfekten weißen Zähne. „Ihre Mami und ihr Papa hassen sich nicht. Ich glaube, das habe ich eben eindeutig bewiesen.“

„Sexuelles Verlangen ohne Basis verpufft irgendwann, Cesare.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Ist das auch so eine Weisheit aus deiner Kommune, oder hast du persönlich eine Studie durchgeführt?“

„Ich brauche keine Studie, um zu wissen, dass es nicht mehr lange dauert, bis Annabelle anfängt, unangenehme Fragen zu stellen. Ihr fällt langsam auf, dass ihre Kindergartenfreunde Mamas und Papas haben, die zusammenleben. Letzten Monat, bevor wir nach Bali gefahren sind, hat sie mich gefragt, warum du nicht bei uns wohnst. Das ist erst der Anfang.“

Das Lächeln verschwand blitzartig von seinem Gesicht, und ein Schleier legte sich darüber. Vor ihren Augen verschwand er hinter einer Fassade aus Gleichgültigkeit. „Viele Paare leben getrennt. Wenn die Zeit reif ist, werden wir ihr alles erklären.“

„So lange kann ich nicht warten, denn ich hätte selbst gern ein paar Antworten. Zum Beispiel, warum trägst du deinen Ehering wieder? Letzten Monat hast du ihn nicht getragen.“

Er betrachtete den schlichten Goldring an seinem Finger, und ein Schatten huschte über sein Gesicht.

Ehe sie noch etwas sagen konnte, klingelte das Telefon. Als er nach dem Hörer griff, sah er flüchtig zu ihr hinüber. „Ich habe veranlasst, dass wir heute wegen Annabelle etwas früher essen, um halb sieben. Dann sehen wir weiter.“

Am liebsten hätte sie ihm den Apparat aus der Hand gerissen und ihn aus dem Fenster geworfen. Doch er hatte seinen Ledersessel schon zum Fenster gedreht und behandelte sie wie Luft.

Sie rauschte aus dem Zimmer, bevor sie noch etwas Dummes tat.

Ein Schmerz nagte an ihren Schläfen, und obwohl sie durch mehrere Zeitzonen gereist war, wusste sie, dass der Jetlag nicht die Ursache war. Schuld daran war Cesare. Von Anfang an hatte er sich ihrer Seele so unauslöschlich eingebrannt, dass es ihr wie Schicksal erschien. Sie musste ihn nur ansehen und spürte eine hilflose Schwäche. Sie hasste sich dafür.

Sie ging zu ihrem Lieblingsplatz im Salon, einer eleganten Chaiselongue, von der aus man einen atemberaubenden Blick auf den See hatte.

Nachdem sie ihren Laptop angeschaltet hatte, holte sie ihren iPod hervor und setzte die Ohrstöpsel ein, in der Hoffnung, die aufwühlenden Gedanken mit Musik ausblenden zu können.

Dabei ging sie die Liste mit den Locations für die Hochzeit durch, die sie sich ansehen musste, verfasste einen Zeitplan und überlegte, welche Kameras sie brauchen würde.

Reynaldo Marinello und Tina Sanchez waren Posh und Becks auf Italienisch. Die Verlobung des berühmten Fußballers mit seiner Popstar-Freundin vor sechs Monaten hatte einen Medienrummel ausgelöst, den Ava sonst stets zu meiden suchte.

Doch das Erdbeben auf Bali hatte in ihr den Wunsch geweckt, sich mit ihrer Arbeit für die betroffenen Gebiete einzusetzen und Spenden zu sammeln. Ein lukratives Angebot wie dieses konnte sie nicht ablehnen.

Für den Hochzeitsprospekt der Marinellos würde sie die Mitglieder der angesehenen Familie rund um den Comer See fotografieren, vor allem natürlich Braut und Bräutigam. Ein langweiliger Job, doch er hatte den Vorteil, dass sie bei Annabelle sein konnte. Und dafür war ihr alles recht.

Eine Stunde später kam ein Dienstmädchen mit einem Tablett hausgemachter Limonade und Gebäck herein, gefolgt von Cesare mit Annabelle auf dem Arm. Ava zog die Ohrstöpsel heraus.

„Mami, Papa hat mich aufgeweckt“, sagte ihre Tochter. „Ich hab schlecht geträumt.“

„Sie sagt, dass sie öfter schlecht träumt. Das hast du mir gar nicht erzählt“, sagte er in trügerischem Plauderton.

Ihre Blicke trafen sich.

„Der Arzt sagt, das sei nach ihrem Trauma ganz normal.“

„Guck mal, Mami, ich hab ein Pferdchen.“ Annabelle hielt ihr ein knallrotes Stoffpferdchen hin, und Ava nutzte die Gelegenheit, sich von Cesares anklagendem Blick loszureißen.

„Das sehe ich. Es ist toll.“ Sie bemühte sich, fröhlich zu klingen.

„Papa hat es extra für mich gekauft.“ Unsicher sah sie ihren Vater an und erwiderte dann sein Lächeln.

„Hast du aber ein Glück.“ Ava klappte ihren Laptop zu und goss allen Limonade ein. Annabelle leerte ihr Glas mit hastigen Zügen.

„Ich habe dich extra gefragt, ob es etwa gibt, das ich wissen sollte. Denkst du nicht, ich sollte über die Albträume Bescheid wissen?“, fragte er leise.

Ava biss sich auf die Lippe. „Sie haben letzte Woche angefangen, nachdem ich Rita nach Hause geschickt habe.“

Cesare unterdrückte einen Fluch. „Das muss ich doch wissen, Ava.“

Sie nickte. „Deshalb wollte ich ja nach Hause kommen. Hier war sie immer glücklich.“

Er biss die Zähne so fest zusammen, dass sie den Puls an seiner Schläfe pochen sah. „In Zukunft erzählst du mir alles, egal, wie unwichtig es dir erscheint. Abgemacht?“

Der Nachdruck in seiner Stimme berührte sie. „Abgemacht.“

Nach ein paar Sekunden entspannte er sich.

Annabelle schnappte sich Avas iPod, stellte ihn geschickt an und tanzte durchs Zimmer. Cesares Blick folgte ihr. „Sieh an, in deiner Kommune bringt man kleinen Mädchen also auch bei, wie exzentrische Rockstars zu tanzen.“

Zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr fühlte Ava sich leicht. „Nur weil du nicht tanzen kannst, brauchst du nicht die Nase zu rümpfen. Außerdem hat sie die Tanzgene von mir.“

„Zweifellos“, sagte er gedehnt.

Annabelle kam zu ihnen herüber gehopst. „Kann ich bitte einen Keks haben?“

Cesare hielt ihr den Teller hin. „Das sind biscotti. Sag mal biscotti, piccolina.“ Er strahlte stolz, als sie es perfekt aussprach.

Ava schluckte schwer, doch der Kloß in ihrem Hals wollte nicht verschwinden. Tränen traten ihr in die Augen. Sie blinzelte sie weg und stand auf.

„Wenn es dir nichts ausmacht, auf sie aufzupassen, bring ich meinen Laptop kurz weg.“

„Können wir dann baden gehen, Mami? Du hast es versprochen.“

„Ja, aber trink nicht noch mehr Limonade.“

Während sie aus dem Zimmer ging, spürte sie Cesares bohrenden Blick und beschleunigte ihre Schritte.

Sie waren weder im Salon noch am Pool, als sie fünf Minuten später zurückkehrte, in weißen Shorts, weißer Bluse und einem orangefarbenen Badeanzug darunter. Ava wollte schon wieder hineingehen, als sie die Stimme ihrer Tochter im Garten hörte.

Sie folgte dem von Blumen gesäumten Pfad um die Villa und fand Cesare und Annabelle über einen Rosenstrauch gebeugt, ein Schmetterlingstrio bewundernd, das von Blüte zu Blüte flog.

Es war nicht der staunende Blick ihrer Tochter, der Avas Herz stillstehen ließ. Es war der tiefe Schmerz auf Cesares Gesicht, während er Annabelle betrachtete. Er sah so aufgewühlt auf, dass ihr schwindelig wurde und sie sich an der Wand abstützte.

Mit einem Aufschrei wich sie zurück, als sie den glühend heißen Beton berührte. Cesare blickte auf. Sofort war der Ausdruck auf seinem Gesicht verschwunden. Es war, als hätte sie sich alles nur eingebildet. Als er sich aufrichtete und auf sie zukam, hielt sie den Atem an.

„Alles okay?“, fragte er kühl.

„Heiße Wand, nackte Haut – schlechte Idee. Sollte ich eigentlich wissen.“

Er nahm ihre Hand und untersuchte die verbrannte Haut. „Auf dem Tisch ist etwas Eis. Ich mache dir einen Umschlag“, sagte er.

Sie sah zu Annabelle hinüber.

„Sie ist mit den Schmetterlingen beschäftigt. Komm mit.“ Es klang wie ein Befehl.

„Es ist nichts, wirklich.“

Er dirigierte sie auf einen der gepolsterten Stühle. „Warum sagen Frauen immer, es sei nichts?“

„Keine Ahnung. Du kennst wahrscheinlich mehr Frauen als ich. Sag du es mir.“

Er widersprach nicht und lächelte nur selbstzufrieden, während er sich vor sie setzte. „Normalerweise wollen sie damit Aufmerksamkeit auf sich ziehen.“

Avas Unruhe wuchs, als er näher rückte. Cesare trug nur eine Badehose, die seidigen Haare an seinen kräftigen Beinen strichen wie unabsichtlich gegen ihre Schenkel. Ein Schauer rieselte ihr über den Rücken.

„Glaubst du, ich habe mich absichtlich verbrannt?“ Ihre Stimme klang heiser.

Lächelnd wickelte er einige Eiswürfel in eine Serviette und legte sie in ihre Handfläche. „Nein, cara mia. Denn du bist nicht wie andere Frauen.“ Ihre Blicke trafen sich.

„Danke.“ Heimliche Freude beschleunigte ihren Puls.

„Prego.“ Das sanft gemurmelte Wort streichelte ihre überhitzten Sinne.

Alles um sie herum schien in weite Ferne zu rücken: das Klatschen des Wassers an den Rand des Pools, das Summen der Bienen in der Nachmittagsluft, das Brummen der Sportboote auf dem See. Alles außer Cesares loderndem Blick auf ihrem Gesicht, seinen warmen Fingern, die ihre umschlossen. Haut. Atemlos betrachtete sie den sinnlichen Schwung seiner Lippen. Lippen, die sie nur Stunden zuvor geschmeckt hatte.

Und wieder stieg eine drängende Hitze in ihr auf, ein kaum zu beherrschendes Verlangen danach, seine Haut zu streicheln. Fast wurde ihr schwindlig: Sie hatte vergessen einzuatmen. Nun sog sie hörbar die Luft ein.

Cesare schluckte. Ava suchte seinen Blick, doch er sah ihr nicht ins Gesicht. Seine ganze Aufmerksamkeit galt ihren Brüsten. Erregung stieg in ihr auf bei der Erinnerung daran, wie er sie stundenlang liebkost, sie gestreichelt, ihnen gehuldigt hatte, in heißen, gemurmelten Worten auf Italienisch. Sie sahen sich an, und Ava wusste, dass er sich ebenfalls erinnerte, daran dachte, wie er sie vergöttert hatte, als sie mit Annabelle schwanger war und ihre Brüste noch voller geworden waren.

Sie konnte es nicht länger ertragen. Ihre Lider wurden schwer, jede Faser ihres Körpers sehnte sich nach seiner Berührung. Sie versuchte, sich abzuwenden, doch er hielt sie mit sanftem Druck fest.

„Cesare …“

Seine goldbraunen Augen verdunkelten sich. Er wollte sie auch. Verzweifelt. Der Gedanke beflügelte sie.

„Cesare, bitte.“ Worum sie ihn bat – aufzuhören? Nicht aufzuhören? –, hätte sie nicht sagen können. Sie wusste nur, dass sie Antworten wollte.

Sie sah, wie er zurückwich, noch bevor sie Annabelles bekümmerte Stimme hörte. „Papa, sie sind weggeflogen. Ich wollte, dass sie bleiben, aber die Schmetterlinge sind weggeflogen.“

Mi dispiace, piccolina, aber so ist das Leben. Es sollte nicht sein.“

Ava wusste, seine Worte galten ihr. Er blickte sie an, während er ihre Finger um die Serviette schloss und ihre Hand auf den Tisch legte.

Sie schloss die Augen und kämpfte gegen den heftigen Schmerz an. Atmen … einfach atmen. Ein. Aus. Sie hörte, wie Cesare das Kind tröstete.

Was ist mit mir? Und was ist mit uns passiert?

Ihr wurde das Herz schwer. Doch allmählich dämmerte es ihr auch, dass sie es schon wieder zugelassen hatte. Sie hatte zugelassen, dass Cesare mit ihren Gefühlen spielte.

Guter Gott, sie war kaum einen halben Tag hier und schon zweimal seinem Zauber erlegen. Etwas stimmte nicht mit ihr.

Sie war zutiefst beunruhigt über sich selbst, überließ es Cesare, mit Annabelle zu toben, und lauschte dem Juchzen ihrer Tochter, als Cesare mit ihr auf dem Rücken durch den Pool schwamm.

Sie aßen draußen zu Abend. Über dem See ging die Sonne unter. Annabelle wurde rasch müde. Als Cesare sie endlich nach oben trug, schlief sie fast schon.

Ava las ihr noch eine Gutenachtgeschichte vor und schlief dabei fast selbst ein. Ihr war danach, augenblicklich in ihr eigenes Bett zu schlüpfen und sich die Decke über den Kopf zu ziehen.

Nein. Sie schüttelte sich leicht und streckte den Rücken durch.

Cesare hatte im vergangenen Jahr bewiesen, dass er sie ganz aus seinem Leben verbannen konnte. Dass er die Absicht hatte, dies auch weiterhin zu tun.

Und Ava musste endlich wissen, warum. Sonst würde sie den Verstand verlieren.

Cesare nahm sein Weinglas und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Wieder glaubte er, Avas Duft in der Nase zu haben. Den Duft ihrer Erregung. So sinnlich, so unbeschreiblich verlockend. Es gab nichts Besseres als das. Dio, er war dem Himmel so nah gewesen. Doch er wusste, es durfte nicht sein. Er musste ihr ausweichen, musste weggehen. Jedes Mal.

Um Robertos willen, als klägliche Wiedergutmachung für das, was er seinem Bruder angetan hatte, durfte er seinem Verlangen nicht nachgeben.

Erst am Nachmittag hatte er einen Plan aufgestellt, damit er und Ava sich in den nächsten Wochen möglichst selten über den Weg liefen. Und schon drohte dieser Plan zu scheitern. Der Vorfall im Haus und die Stunden am Pool hatten die Leidenschaft wieder aufflammen lassen, die er vergeblich zu unterdrücken versucht hatte. Eine Leidenschaft, auf die er kein Recht hatte.

Ihm blieb nur eine Möglichkeit.

Die leichten Schritte einer Frau näherten sich. Er sah Ava auf die Terrasse treten, mit Babyfon und entschlossenem Blick.

Obwohl ihm das Herz ein wenig sank, war er froh.

Er musste handeln. Vergeblich hatte er versucht, vernünftig mit Ava zu reden. Jetzt war es an der Zeit, härtere Geschütze aufzufahren. Um sie zu schützen.

Er hatte das Leben seines Bruders zerstört. Er durfte nicht das Risiko eingehen, auch ihres zu zerstören.

Sie blieb vor ihm stehen und stellte das Babyfon ab. „Hoffentlich hören die Albträume hier auf. Aber wenn sie doch einen hat, hören wir es.“

Er nickte nur. Ein Aufblitzen lenkte seine Aufmerksamkeit auf seinen Ehering. Er hatte ihn angesteckt, bevor er mit seiner Mutter in Rom essen gegangen war. Seine Eltern hatten in den letzten Monaten schon genug durchgemacht. Er wollte sie nicht zusätzlich mit seinen Eheproblemen belasten.

Ava trat von einem Fuß auf den anderen. Dann atmete sie tief durch. „Was du vorhin gesagt hast … dass es nicht sein soll. Was hast du damit gemeint?“, wollte sie wissen.

Er ließ sich Zeit, schwenkte das Weinglas, musterte sie von ihren schönen, nackten Beinen über die Rundung ihrer Hüften zu den üppigen Brüsten, bis sich ihre Blicke trafen.

Angespannt lächelte er. „Als wir uns kennenlernten, hat mich deine Schönheit umgehauen. Du warst sexy, temperamentvoll und von einer Unbekümmertheit, von der ich mich angezogen fühlte wie eine Motte vom Licht. Und der Sex … Der Sex war unglaublich. Besser als alles zuvor. Unglücklicherweise habe ich mich davon blenden lassen und einen unverzeihlichen Fehler begangen.“

Ihr Blick verfinsterte sich. „Was für einen Fehler?“, flüsterte sie.

Er kippte den Wein mit einem einzigen Schluck hinunter und stellte das Glas ab. „Ich denke, du stimmst mir zu, dass sich durch eine Katastrophe zeigt, was wichtig ist.“

„Ja.“

„Nach dem Erdbeben sind mir zwei Dinge klar geworden, cara mia. Erstens, dass mir meine Tochter mehr bedeutet als mein Leben und ich mir eher das Herz ausreißen würde, als zuzulassen, dass ihr noch einmal etwas zustößt.“

Das Feuer in ihrem Blick verriet ihm, dass sie genauso empfand. Einen Moment lang glaubte er, es wäre ihm unmöglich, die nächsten Worte auszusprechen, doch er wusste, es musste sein. „Zweitens, dass ich, so verführerisch du auch warst … so unglaublich der Sex, bellissima … Ich weiß jetzt, ich hätte dich nie heiraten dürfen.“

4. KAPITEL

Ich hätte dich nie heiraten dürfen.

Ava rammte die Schaufel tiefer in die Erde, ohne die Hitze des Tages zu bemerken oder den Schweiß, der ihr über das Gesicht rann. Als sie daran dachte, wie entsetzt Lucia ausgesehen hatte, als Ava sie um das Gartenwerkzeug gebeten hatte, musste sie trotz allem lächeln.

Sie musste etwas tun, bevor sie verrückt wurde. In ihrem Kopf hörte sie immer wieder diesen einen Satz. Sie hoffte, nach der körperlichen Arbeit müde ins Bett zu fallen und zu schlafen, ohne sich das Hirn mit quälenden Gedanken zu zermartern.

Seit Tagen hielt Cesare sich sklavisch an den Plan, den sie nach ihrer Rückkehr vereinbart hatten. Er verbrachte die Vormittage mit Annabelle, während sie bei den Marinellos war. Ava übernahm die Nachmittage, abends aßen sie zusammen, und dann badeten sie Annabelle abwechselnd und brachten sie ins Bett.

Unter demselben Dach zu leben wie Cesare klappte reibungslos. Der Waffenstillstand funktionierte. Sie sollte froh sein.

War sie aber nicht. Ihr entfuhr ein sehr undamenhaftes Schnauben. Wie sollte sie froh sein, wenn sie aus Cesare einfach nicht schlau wurde? Er ging ihr aus dem Weg, und dennoch spürte sie andauernd seinen Blick, ob sie mit Annabelle am Pool spielte oder allein zum Steg hinunterging. Am schlimmsten war das Verlangen, das sie unmissverständlich in seinen Augen las.

Cesare hätte gern mehr Zeit mit seiner Tochter verbracht, hielt sich aber ihretwegen zurück. Hatte sie sich wirklich so in ihm getäuscht? Hatte ihr Wunsch nach einer Familie sie für die Tatsache blind gemacht, dass sie sich den falschen Mann ausgesucht hatte?

Schmerz erfüllte sie, und sie hielt inne, während sie sich zum hundertsten Mal zu erinnern versuchte, wann es angefangen hatte.

Als sie ihm erzählt hatte, dass sie schwanger war, hatte sie kurz Entsetzen in seinem Blick aufflackern sehen. Doch er hatte sich sofort wieder gefangen, und anschließend schien er vor Freude geradezu überwältigt. Sie hatte es doch gespürt …

Der Sex war fast das Beste an der Schwangerschaft gewesen. Die scheinbar unschuldigen Rückenmassagen, die oft äußerst lustvoll endeten. Sie errötete bei der Erinnerung daran, wie schon ein zärtlich geflüstertes Rückenmassage! ihren Puls beschleunigt hatte.

Dann war Annabelle auf die Welt gekommen. Cesare war weggefahren, um Roberto einen seiner seltenen Besuche abzustatten. Und dann, scheinbar über Nacht, war alles anders geworden.

Sie stieß die Schaufel in den Boden.

„Vorsicht, cara, sonst beschädigst du noch die Pflanzen.“

„Vorsicht, Cesare, sonst verlierst du noch einen Fuß, wenn du mich ärgerst.“ Im Stillen verfluchte sie ihn dafür, dass er sich so herangeschlichen hatte. Ihren Brüdern hätte sie dafür den Kopf abgerissen. Doch sie war zu aufgewühlt, um eine Szene riskieren.

„Dann bringe ich mich wohl lieber in Sicherheit.“ Seine Stimme klang belustigt.

„Was willst du?“ Sie klang so unwirsch, wie ihr zumute war.

„Du meinst, außer darauf zu achten, dass du den Garten mit deinem wilden Gebuddel nicht verschandelst?“

Sie setzte sich auf die Fersen und starrte ihn an.

„Lucia hat mir erzählt, dass du Orangenbäume pflanzt. Hast du vergessen, dass wir täglich frische Orangen von meinem Gut in der Toskana geliefert bekommen?“

„Das sind Mini-Orangenbäume“, erwiderte sie, während sie versuchte, den Blick nicht über seine stattliche Statur gleiten zu lassen. Aus ihrer knienden Position wirkte er noch attraktiver, noch dominanter.

„Ah“, konterte er. „Du magst also lieber kleine Orangen?“

„Die Orangen sind nicht klein, nur die Bäume …“ Sie verstummte, als sie sein spöttisches Lächeln sah.

Er machte sich über sie lustig. Unwillkürlich musste sie lächeln. Sie biss sich auf die Lippe, damit er nichts merkte.

Autor

Maya Blake

Mit dreizehn Jahren, lieh sich Maya Blake zum ersten Mal heimlich einen Liebesroman von ihrer Schwester und sofort war sie in den Bann gezogen, verlor sich in den wunderbaren Liebesgeschichten und begab sich auf romantische Reisen in die Welt der Romanhelden. Schon bald träumte sie davon, ihre eigenen Charaktere zum...

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