Julia Collection Band 204

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Die Di-Fiore-Brüder sind nicht nur für ihr gnadenloses Verhandlungsgeschick bekannt, sondern auch für ihre atemberaubenden Verführungskünste. Und ein Di Fiore bekommt immer, was er will ...

Miniserie von Jennifer Hayward

WEHRLOS VOR LIEBE

Chloe ist außer sich: Nico Di Fiore, der ihr einst das Herz gebrochen hat, ist plötzlich ihr Boss! Nur Geschäftserfolg scheint Nico zu interessieren. Aber manchmal sieht Chloe in seinen Augen ein gefährliches Feuer. Bildet sie es sich nur ein – oder begehrt ihr unbeugsamer Boss sie?

ZEHN TAGE MIT DEM ITALIENISCHEN PLAYBOY

Lazzero Di Fiore ist so vermögend, dass er mit einem Federstrich Chiaras Schulden tilgen könnte. Und genau damit lockt er sie auch! Zehn Tage soll sie seine Verlobte spielen … Aber wie um alles in der Welt kann Chiara verhindern, dass sie sich in diesen charmanten Playboy verliebt?

WIEDERSEHEN AUF DEN BAHAMAS

Auf einer exklusiven Party auf den Bahamas sieht Unternehmer Santo Di Fiore überraschend die betörende Gia wieder. Warum hat sie ihn nach einer verbotenen Nacht der Leidenschaft ohne ein Wort des Abschieds verlassen? Gias unerwartetes Geständnis stellt Santos Leben auf den Kopf …


  • Erscheinungstag 09.11.2024
  • Bandnummer 204
  • ISBN / Artikelnummer 8007240204
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Jennifer Hayward

1. KAPITEL

Dieses Mal würde sie nicht verlieren.

Chloe Russo richtete ihren Blick fest auf das gelbe Taxi, das wie ein Geschenk des Himmels im dichten Verkehr der First Avenue auftauchte. Das erleuchtete Schild auf dem Dach war ihre einzige Rettung in diesem Monsun, der über Manhattan hereingebrochen war.

Sie schirmte ihre Augen gegen den Regen ab, trat einen Schritt tiefer in den hupenden, drängelnden Verkehr hinein und hob ihre rechte Hand hoch in die Luft. Der Fahrer eines Bentleys hupte sie wütend an, als er ihr schlingernd auswich, aber Chloe hielt mit klopfendem Herzen ihren Blick fest auf das Gesicht des Taxifahrers gerichtet und versuchte, ihn durch Kraft ihrer Gedanken dazu zu bringen anzuhalten.

Bremsen kreischten, Wasser spritzte, und schließlich blieb das Taxi unmittelbar vor ihr stehen. Sie stapfte durch die riesige Pfütze, die zwischen ihr und ihrem Sieg stand, öffnete die hintere Tür des Wagens und schlüpfte hinein. Dann ratterte sie die Adresse von Evolution in der Fifth Avenue hinunter, gefolgt von der Bitte, aufs Gas zu treten.

Der Taxifahrer verdrehte die Augen. „Lady, haben Sie mal rausgeguckt?“

Ich habe eine halbe Stunde draußen gestanden, hätte sie am liebsten geschrien. Während fünfunddreißig seiner Kollegen an ihr vorbeigefahren waren – das wusste sie so genau, weil sie jeden einzelnen gezählt hatte. Aber mit dem letzten verbliebenen Taxifahrer in Manhattan einen Streit anzufangen, erschien ihr angesichts ihrer momentanen Situation nicht besonders klug.

Sie kam zu ihrer ersten Vorstandssitzung als Direktorin für die Parfümabteilung von Evolution zu spät. Kein guter Anfang.

Ihr war so kalt, dass ihre Zähne klapperten. Sie schob die Kapuze ihres Regenmantels nach hinten und wischte sich ihr Gesicht mit einem Taschentuch ab. Zum Glück war ihre Wimperntusche wasserfest. Dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus. Sie hätte früher losgehen sollen. Sie hatte vergessen, dass Taxen an einem regnerischen Tag in Manhattan praktisch unmöglich zu bekommen waren. Aber wenn sie ehrlich war, hatte ihr einfach vor dem heutigen Tag gegraut.

Eine laute Melodie ertönte aus ihrer Handtasche. Schnell fischte sie ihr Handy heraus, bevor ihr grummeliger Taxifahrer sie wieder in den Regen hinausjagte.

„Ich bin gerade gelandet“, verkündete ihre Schwester Mireille. „Geht es dir gut? Wie war dein Flug? Hast du dich schon eingelebt? Es ist so toll, dass du wieder in New York bist!“

Die Flut an Worten ließ sie lächeln. „Gut, gut und ja. Auch wenn ich gerade eine halbe Stunde gebraucht habe, um ein Taxi zu kriegen. Ich bin bis auf die Knochen durchnässt.“

„Du hast zu lange in Europa gelebt.“ Ihre Schwester senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. „Natürlich rufe ich eigentlich an, um zu hören, wie dein Dinner mit Nico gelaufen ist. Ich sterbe vor Neugier. Onkel Giorgio ist total von der Rolle wegen dieser Kampagne gegen ihn.“

Chloe biss sich auf die Unterlippe. Nico Di Fiore, der neue CEO von Evolution, der Kosmetikfirma ihrer Familie, war ein etwas heikles Thema. Als Patensohn ihres Vaters war er nach dem Tod ihrer Eltern im letzten Frühling zum CEO ernannt worden, genau, wie es im letzten Willen ihres Vaters gestanden hatte. Dieser Posten hätte eigentlich an ihren Onkel Giorgio gehen sollen. Nico war außerdem als finanzieller Vormund für Chloe und Mireille eingesetzt worden, bis die beiden ihren dreißigsten Geburtstag erreichten – eine unerwartete und nicht akzeptable Entwicklung für Chloe, weil das bedeutete, ihn vier Jahre in ihrem Leben zu haben.

„Ich war nicht mit ihm essen.“ Ihr lässiger Tonfall verbarg ihre Anspannung, von der ihre Hände ganz feucht waren. „Ich wollte es auf der rein geschäftlichen Ebene belassen und habe vorgeschlagen, dass wir uns stattdessen morgen treffen – an meinem ersten Tag zurück in der Firma.“

Mireille atmete hörbar ein. „Du hast Nico abgesagt?“

„Nein, so war es nicht.“ Okay, es war genau so.

Es entstand eine bedeutungsschwangere Pause. „Das war nicht wirklich clever, Chloe.“

„Er hat mich zum Dinner mit sich einbestellt“, verteidigte sie sich. Genauso wie er sie aus Paris einbestellt hatte, wo sie sehr glücklich gewesen war. „Das ist unsere Firma, nicht seine. Macht es dich nicht wahnsinnig, dass er die Kontrolle hat?“

„Es ist das, was Vater wollte.“ Mireille seufzte. „Ich weiß, dass Evolution weit mehr dein Baby ist als meins. Und dass Onkel Giorgio dich mit seiner Aufregung angesteckt hat. Aber du musst dich der Realität stellen. Nico leitet die Firma. Ich weiß nicht, was zwischen euch beiden los ist, aber du wirst dich damit abfinden müssen.“

„Zwischen uns ist gar nichts los.“ Und zwar nicht mehr, seitdem Nico ihr vor viel zu vielen Jahren das Herz gebrochen hatte. Sie hatte ja vorgehabt, genau das zu tun – sich mit der neuen Realität anfreunden, in der Nico nach dem Autounfall ihrer Eltern vor sechs Monaten in der Toskana, der ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte, die Leitung der Firma übernahm. Aber bislang war ihr das noch nicht recht gelungen.

Das beeindruckende, goldgetönte Hauptquartier von Evolution erhob sich majestätisch vor ihr, als das Taxi auf die Fifth Avenue einbog. In ihrer Brust bildete sich ein Kloß, der es ihr schwermachte, zu atmen.

„Ich muss jetzt auflegen“, murmelte sie. „Heute ist die Vorstandssitzung.“

„Stimmt ja. Na, besser du als ich“, sagte ihre Schwester. Als Nachwuchsführungskraft in der PR-Abteilung der Firma war Chloes jüngere Schwester kein Mitglied des Vorstands. „Versprich mir, dass du dich nicht mit ihm streitest, Chloe.“

„Das“, erwiderte sie grimmig, „ist unmöglich. Ich liebe dich. Wir sehen uns morgen.“

Das Taxi hielt vor dem Gebäude an, und sie bezahlte den Fahrer. Dann trat sie auf den Bürgersteig und erstarrte innerlich, als sie zu den riesigen goldenen Lettern über dem Eingang hinaufschaute. Evolution. Ihre Eltern Martino und Juliette Russo hatten Evolution in zwei Jahrzehnten zu einer legendären Kosmetikmarke aufgebaut. Sie waren das Herz und die Seele der Firma gewesen. Und von mir.

Seit ihrem Tod hatte sie sich im Labor in Paris vergraben und dieses Gebäude nicht mehr betreten. Der Gedanke, nun hineinzugehen, ohne dass sie da waren, kam ihr wie das finale Eingeständnis vor, dass die beiden wirklich fort waren.

Die über den Bürgersteig hetzenden Menschen flossen um sie herum, während sie dort wie festgewachsen stand. Erst als eine Frau sie anherrschte, sie solle endlich weitergehen, löste sie sich aus ihrer Trance und ging auf die Glastüren zu. Sie zeigte dem Wachmann ihre Karte und fuhr mit dem Fahrstuhl in den fünfzigsten Stock, wo sich die Vorstandsbüros befanden.

Eine schlanke blonde Frau mit modischer Brille kam auf sie zu, als sie in die elegante, mit cremefarbenem Marmor ausgestattete Empfangshalle trat. „Clara Jones, Ihre neue persönliche Assistentin“, stellte sie sich vor und erlöste Chloe im gleichen Atemzug von ihrem tropfnassen Regenmantel. „Die anderen sind alle schon da. Nico ist … nun ja, Sie wissen schon …“ Sie warf Chloe einen bedeutungsvollen Blick zu. „Er fängt gerne pünktlich an.“

Ihr Herz pochte bis in ihre Kehle. „Ich habe kein Taxi bekommen.“

„Ja, das ist hier wirklich schlimm.“

Clara führte sie den Flur hinunter zu dem großen, vornehmen Konferenzraum mit Ausblick auf den herbstlichen, von Laternen erleuchteten Central Park. „Nico hat mir Ihre Präsentation weitergeleitet. Sie können also sofort loslegen.“

Wenn das nur stimmte. Erinnerungen überfluteten sie, als sie sich in dem vollen, warm erleuchteten Raum umschaute, in dem die Vorstandsmitglieder vor Beginn der Sitzung ein Glas Wein und Hors d’Œuvres genossen. Erinnerungen an ihren Vater, der den Platz am Kopf des Tisches eingenommen hatte, der nun Nico als Vorstandsvorsitzendem zustand. An ihre Mutter, die die anderen Vorstände mit ihrem Esprit und Charme gefesselt hatte.

Ihr Magen zog sich vor Nervosität zusammen. Sie war Wissenschaftlerin. Ihre Mutter war ein Genie mit einer überlebensgroßen Persönlichkeit gewesen, die aus einer kleinen Firma für Badeprodukte ein Multi-Milliarden-Dollar-Unternehmen erschaffen hatte. Chloe fühlte sich wesentlich wohler im Labor, wo sie schöne Dinge erschaffen konnte, als dabei, Präsentationen vor ihren steifen Vorstandskollegen zu halten, wie ihre Mutter es getan hatte. Aber das gehörte jetzt zu ihren Aufgaben und war ein notwendiges Übel.

Alle Nervosität bezüglich ihrer Präsentation verschwand jedoch in dem Moment, als sie Nico erblickte. Sein schmal geschnittener dunkelgrauer Tom Ford Anzug, das weiße Hemd und die silberfarbene Krawatte betonten seine olivfarbene Haut und ließen ihn unglaublich elegant aussehen. Doch erst als sie seinen Blick auffing, erkannte sie, wie groß die Probleme wirklich waren, in denen sie steckte.

Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst, der Kiefer angespannt, die rauchgrauen Augen voller düsterer Wolken. Er war eindeutig wütend. Eisfinger krabbelten über ihren Rücken, als er etwas zu dem Vorstandsmitglied neben sich sagte und seinen großen, beeindruckenden Körper dann in Bewegung setzte und direkt auf sie zukam.

Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen, als er vor ihr stehen blieb. Sie legte den Kopf in den Nacken, um Nico anzusehen, und weigerte sich zuzugeben, wie sehr er sie einschüchterte. Mit seiner dunklen Löwenmähne, den kalten, schieferfarbenen Augen und den wie gemeißelten Wangenknochen war er nicht im herkömmlichen Sinne attraktiv. Dazu war er viel zu hart.

Sein breiter, voller Mund machte diesen Mangel an Weichheit jedoch wett – er wirkte prall und beinahe schmollend, wenn Nico aus einer bestimmten Person etwas herausholen wollte. Im Moment jedoch nicht.

Die Erkenntnis, dass sie in den sieben Jahren in Europa immer noch keine Immunität gegen ihn aufgebaut hatte, ließ ihr Herz noch schneller schlagen. Sie mochte ihn hassen – okay, sie hasste ihn tatsächlich für die grausame Lektion, die er ihr erteilt hatte –, aber er war trotzdem immer noch der umwerfendste Mann, den sie je getroffen hatte.

„Es tut mir leid.“ Sie zwang die Worte aus ihrer zusammengeschnürten Kehle. „Ich hatte vergessen, dass es an einem Regentag unmöglich ist, in Manhattan ein Taxi zu bekommen.“

Seine Augen verdunkelten sich. „Das besprechen wir später“, sagte er so leise, dass ihr Puls davonjagte. „Nimm dir zehn Minuten, um alle zu begrüßen, dann fangen wir an.“

Sie nickte und machte die Runde. Dankbar hielt sie sich an ihren Onkel Giorgio, den extravaganten Marketingdirektor der Firma, als Nico den Beginn der Sitzung verkündete.

Er war ein mitreißender Sprecher und malte ein lebendiges Bild von der ersten Weihnachtssaison, die Evolution ohne ihre Gründer erleben würde. Er verschwieg auch nicht, dass die Aktien gesunken waren, weil die Geschäftswelt fürchtete, der Verlust von Juliette Russo, der kreativen Kraft der Firma, würde Evolution den Todesstoß versetzen.

Chloe war nicht mit ihm einer Meinung, dass Evolution ein sinkender Stern war. Ihre Eltern hatten eine Firma aufgebaut, in der es vor Talenten nur so wimmelte. Und Vivre, die Duftlinie, die Chloe über die letzten drei Jahre mit einem der besten französischen Parfümeure entwickelt hatte, würde der Verkaufsschlager zu Weihnachten werden, den die Firma brauchte. Aber das wusste bisher noch keiner.

Nico rief sie als Letzte in der Parade der Vorstandsmitglieder auf, die ihre Highlights für die Weihnachtssaison präsentierten.

Ihre Beine zitterten, als sie sich erhob. Sie strich sich den Rock ihres immer noch regenfeuchten Kostüms glatt und trat nach vorne. Mit klammen Händen drückte sie auf die Fernbedienung, um ihre Präsentation zu beginnen. Anfangs war sie etwas zu schnell und holprig, doch je mehr sie sich auf ihre Leidenschaft für ihre Arbeit konzentrierte, desto mehr entspannte sie sich, und schließlich konnte sie ihre Vision für Vivre mitsamt der begleitenden Kampagne flüssig vorstellen.

Doch anstatt sich die Lippen zu lecken über ihren aufregenden Launchplan, in dem Prominente die inspirierenden Botschaften einer neuen Sicht auf die Schönheit verbreiteten, bombardierten die anderen Vorstände sie mit Fragen.

„Ist der Parfümmarkt nicht schon gesättigt?“

„Deine Mutter hätte das verkaufen können, aber kannst du das auch?“

„Was ist mit den ganzen Arbeitsplätzen, in denen Düfte inzwischen nicht mehr erlaubt sind?“

„Wäre es nicht besser, sich auf die naturbelassenen Produkte zu konzentrieren, die den Markt dominieren?“

Sie atmete tief durch und beantwortete die Fragen, so gut sie konnte. Erzählte, dass sie, seit sie ein kleines Kind war, mit ihrer Mutter im Labor gearbeitet hatte. Sie wusste, wo die Magie war. Sie hatte bereits einige unverkennbare Parfüms kreiert, die ihr Können bestätigten. Und die Unterstützung der Prominenten für die Vivre-Kampagne würde ihnen helfen, für den Rummel zu sorgen, den sie benötigten.

Als ihr die Antworten ausgingen und sie Hilfe benötigte, um das größere Bild zu zeichnen, schaute sie zu Nico, doch anstatt ihr zu Hilfe zu kommen, lehnte er sich mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl zurück und richtete seinen funkelnden grauen Blick auf sie.

Ihr Magen zog sich zusammen. Dieser Mistkerl bestrafte sie! Ein Schweißtropfen rann ihr über den Rücken.

Schließlich schaltete sich ihr Onkel mit einem leidenschaftlichen Statement ein und erinnerte den Vorstand an die Wurzeln des Unternehmens – luxuriöse Parfüms wie Vivre, die die Welt im Sturm erobert hatten. Aber zu diesem Zeitpunkt lag ihre Glaubwürdigkeit schon in Scherben.

Sie beantwortete die letzte Frage und setzte sich mit hochrotem Gesicht auf ihren Platz.

Nico riss sich mit letzter Kraft zusammen, als das letzte Vorstandsmitglied in Richtung Fahrstuhl verschwand.

„In mein Büro“, flüsterte er Chloe ins Ohr. „Sofort!“

Hoch erhobenen Hauptes marschierte sie vor ihm aus dem Raum und den Flur hinunter in Richtung seines Büros. Es wird schwer für sie sein, es zu finden, dachte er, während er ihre kurvige Rückansicht bewunderte, da sie keine Ahnung hat, wo es sich befindet.

Vor der exklusiven neuen Lounge auf der Etage blieb sie stehen und ließ ihren Blick über die Bilder der Mitbegründer der Firma wandern, die dort an der Wand hingen.

„Was ist mit dem Büro meines Vaters passiert?“ Sie wirbelte herum und funkelte ihn anklagend an. „Konntest du nicht mal das in Ruhe lassen?“

„Ich fand es nicht angemessen, es zu beziehen“, sagte er und führte sie in Richtung seines eigenen Büros. Etwas in ihm war nicht in der Lage gewesen, seinen Mentor einfach auszulöschen, indem er das Büro neu einrichtete, das immer Martinos gewesen war. Aber in diesem Moment hatte er keinerlei Bedürfnis, ihr sein Handeln zu erklären. Er hatte größte Mühe, sie wegen ihrer ständigen Widerspenstigkeit nicht zu erwürgen, mit der sie es dieses Mal einen Schritt zu weit getrieben hatte.

Energisch schloss er die Tür zu seinem Büro. Dann trat er ans Fenster und zählte bis zehn, denn Chloe schaffte es, Knöpfe zu drücken, von denen er nicht einmal wusste, dass er sie hatte. Sie rief Gefühle in ihm hervor, die zum Schweigen zu bringen er seine gesamte Willenskraft aufbringen musste. Denn Chloe war der Riss in seiner Rüstung. Die einzige Schwäche, derer er nicht Herr wurde. Und sie zu wollen war schon immer der direkte Weg in die Hölle gewesen.

„Du hast mich bestraft, nicht wahr?“

Er drehte sich um und musterte die Wut auf ihrem schönen Gesicht, ihre vor den festen Brüsten verschränkten Arme, die aufsässige Haltung.

Das Feuer, das in ihm aufstieg, war verrückt. Ebenso das Verlangen, diese vollen Lippen mit seinen in die Unterwerfung zu zwingen, um sie aus ihrem Selbstschutz zu holen, in den sie sich nach dem Tod ihrer Eltern zurückgezogen hatte. Und der Wunsch, irgendein Anzeichen der leidenschaftlichen Chloe hervorzulocken, von der er wusste, dass sie noch existierte.

Aber sie zu besitzen war für ihn nie eine Option gewesen. Das hatte er sich schon vor langer Zeit abgewöhnt. Genau wie er jedes andere unerwünschte Bedürfnis in seinem Leben ausgelöscht hatte.

Er zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Setz dich.“

„Ich ziehe es vor, zu stehen.“

„Bene.“ Er setzte sich auf den Rand seines Schreibtischs und sah sie an. „Ich habe dich da draußen im Regen stehen lassen, weil du eine Lektion lernen musstest.“

„Die Lektion, dass du jetzt der Herrscher bist“, forderte sie ihn mit blitzenden Augen heraus.

„Ja“, sagte er ruhig. „Das bin ich. Und je eher du das erkennst, desto einfacher wird es für uns beide werden. Es war der Wunsch deines Vaters, Chloe, dass ich diese Firma leite. Und auch wenn ich nicht vorhabe, dir deinen Platz streitig zu machen – ehrlich gesagt habe ich das genaue Gegenteil vor –, musst du diese Tatsache akzeptieren.“

Sie verzog den Mund. „Giorgio sollte der Kopf der Firma sein, nicht du.“

„Und deshalb hat dein Vater mich vor einem Jahr zu seinem Stellvertreter gemacht?“, erwiderte er kühl. „Denk doch bitte rational.“

Sie winkte ab, und ihre dunklen Augen funkelten vor Hitze. „Das kam nur, weil du ihn einer Gehirnwäsche unterzogen hast. Wie sonst kann es sein, dass sein Testament und letzter Wille bei seinem Tod so perfekt waren? Weil es dein Masterplan war, deshalb.“

Hitze stieg in ihm auf. „Pass gut auf“, sagte er leise. „Du fängst an, wie dein verbitterter, verblendeter Onkel zu klingen. Martino hat mir die Kontrolle gegeben für den Fall, dass ihm und Juliette etwas passiert, denn er wusste, dass Giorgio die Firma mit seinen Ausgaben gegen die Wand fahren würde. Dein Onkel verfügt weder über den Geschäftssinn noch über den gesunden Menschenverstand, um Evolution zu leiten.“

„Das ist gelogen“, keuchte sie. „Er ist als einer der besten Marketingexperten der Welt bekannt. Und vergiss nicht“, fügte sie an, und ihre Augen verdunkelten sich mit altem Schmerz. „Ich weiß aus erster Hand, wie ehrgeizig du bist, Nico. Erfolg ist das Einzige, was für dich zählt.“

„Und das ist das Problem zwischen uns, Chloe. Ich trauere auch. Wir alle trauern. Und doch konzentrierst du dich auf uralte Geschichten, für die hier kein Platz ist. Du musst endlich erwachsen werden.“

Sie riss die Augen auf. „Ich bringe nichts Persönliches in diese Geschichte.“

„Ach nein?“ Er ließ seinen Blick über ihre feuerroten Wangen wandern. „Deshalb hast du dich auch in den letzten sechs Monaten in Paris versteckt, anstatt deinen Platz hier in der Firma einzunehmen? Damit ich dich schlussendlich zurückbeordern musste? Weil es nichts Persönliches ist?“

Ein Muskel an ihrem Mundwinkel zuckte. „Du hast so ein aufgeblasenes Ego! Vivre war noch nicht so weit.“

„Das hast du bereits gesagt“, erwiderte er ruhig. „Meine Kontakte im Labor hingegen sagen, dass es schon vor sechs Monaten fertig war. Dass du es hinausgezögert und Makel ausgeräumt hast, die es gar nicht gab.“ Er fing ihren Blick auf und hielt ihn fest. „Das Verstecken vor der Welt und vor mir hört jetzt auf, Chloe.“

Sie funkelte ihn an. „Ich hasse dich.“

„Ich weiß.“ Er hatte schon vor langer Zeit beschlossen, dass das für sie beide von Vorteil war.

Sie atmete so tief ein, dass er ihren schmalen Körper zittern sah. „Hast du dir meinen Launchplan angesehen, da Vivre ja so was von fertig ist?“

„Ja“, murmelte er und nahm ihn von seinem Tisch. „Und das ist meine Meinung dazu.“

Ihre Augen wurden groß wie Untertassen, als er den Stapel Zettel einfach in den Papierkorb warf. „Was machst du denn da?“

„Ich befördere ihn dahin, wo er hingehört.“ Er schüttelte den Kopf und stützte sich mit den Händen auf der Tischplatte ab. „Dieser Plan hat kein vernünftiges Rückgrat. Du hast lediglich wachsweiche, aufgeblasene Marktforschungsergebnisse, die darauf bauen, dass dein kreatives Erbe den Duft schon verkaufen wird. Es ist ein fünfzig Millionen Dollar schwerer Launch, dessen Dreh- und Angelpunkt eine Promikampagne ist, die dir nie im Leben gelingen wird.“

Sie reckte das Kinn. „Das ist ein brillanter Plan, Nico. Ich habe einen Masterabschluss, falls du das vergessen haben solltest. Vielleicht hätte ich etwas detaillierter auf die Zahlen eingehen sollen, aber die Marktforschungsergebnisse für Vivre sind durch die Decke gegangen. Einer der besten französischen Parfümeure findet das Parfüm so brillant wie alles, was meine Mutter erschaffen hat. Dies ist das Produkt, das beweisen wird, dass Evolution zurück ist. Und nicht irgendeine generische, naturbelassene Hautpflegeserie, die von ihren Mitbewerbern nicht zu unterscheiden ist.“

Er musterte ihr erhitztes, entschlossenes Gesicht. Die Leidenschaft, die er seit Monaten vermisste. „Ich werde Emilios Hauptpflegelinie für den Weihnachtsverkauf unterstützen. Da bin ich mit dem Rest des Vorstands ganz einer Meinung.“

„Das ist verrückt! Diese Firma ist auf unseren Parfüms als Markenzeichen aufgebaut. Die Leute schauen in Erwartung einer inspirierenden Kampagne auf uns. Denn genau das tun wir – wir inspirieren.“

„Und du“, sagte er, „hast das Produkt zu spät geliefert. Selbst wenn ich die Kampagne gutheißen würde, haben wir schon Anfang Oktober. Du würdest niemals mehr rechtzeitig auf den Markt kommen.“

Zum ersten Mal knickte sie ein. Denn er hatte recht, und das wusste sie. Er wusste aber auch, dass sie ein Genie war. Sie hatte das Talent ihrer Mutter. Der Erfolg von Evolution lastete auf ihren Schultern, genau wie ihre Mutter es gewusst hatte. Aber fünfzig Millionen Dollar in einer unmöglich durchzuführenden Kampagne zu versenken, wäre Wahnsinn. Vor allem, weil die Firma dringend einen Verkaufsschlager zur Weihnachtszeit benötigte.

„Arbeite mit Vertrieb und Marketing zusammen“, sagte er. „Zeig mir die Zahlen. Stell einen Zeitplan auf, der mich überzeugt, dass es funktionieren kann. Aber“, ergänzte er, „und das ist ein großes Aber, ich kann für so einen Plan wie diesen nur grünes Licht geben, wenn du die Prominenten heranschaffst, die du angekündigt hast. Was angesichts des Schlags, den unsere Firma abbekommen hat, sehr unwahrscheinlich ist. Also überleg dir auch einen Plan B.“

„Es gibt keinen Plan B“, erwiderte sie ausdruckslos. „Ich habe diese Promis aufgrund ihrer persönlichen Geschichte ausgewählt. Weil sie den Geist des Parfüms verkörpern. Ich habe die Düfte mit ihnen im Hinterkopf kreiert. Wenn ich mit ihnen sprechen kann, wenn sie den Duft erleben, werden sie die Botschaft verstehen, die ich übermitteln will. Ich weiß, dass ich sie dann dazu bringen werde mitzumachen.“

Er nahm die Energie auf, die sie ausstrahlte. Den unerschütterlichen Glauben an das, was sie erschaffen hatte. Und fragte sich, ob sie eigentlich erkannte, dass es in dieser Kampagne um sie ging. Um den Krieg, den sie immer mit sich geführt hatte, um im Schatten ihrer charismatischen Mutter und der umwerfenden Schwester zu glänzen.

„Beweise mir, dass ich mich irre“, forderte er sie heraus. „Gib mir, worum ich bitte. Aber bedenke, dass dein Diplom in der realen Welt nichts wert ist, bis du bewiesen hast, dass du weißt, wie du es einsetzen musst. Dabei kann ich dir helfen. Dein Vater hat mich gebeten, dein Mentor zu sein. Aber ich habe Besseres zu tun, als deinen Babysitter zu spielen, wenn du nicht gewillt bist, zu lernen.“

„Babysitter?“ Das Wort troff nur so vor Verärgerung. „Es reicht dir nicht, meine Finanzen zu kontrollieren, jetzt musst du mich auch noch beruflich bevormunden?“

Er presste die Lippen zusammen. „Das ist genau die Einstellung, die ich meine. Jedes Mal, wenn ich versuche, eine Arbeitsbeziehung zwischen uns aufzubauen, blockst du ab. Du verlierst dich auf mysteriöse Weise im Labor. Du hast zu viel zu tun, um zu reden. Das alles endet hier und jetzt.“

„Das mache ich gar nicht“, widersprach sie. „Ich hatte wirklich viel zu tun.“

Er rieb sich mit der Hand übers Kinn. „Okay, von heute an wird es so laufen. Ich werde dir den Rest der Woche geben, um dich einzuleben und deinen Launchplan zu überarbeiten. Dann kommst du mit den Einzelheiten zu mir, und wir beschließen, wie wir weitermachen. Ab nächster Woche werden wir uns jeden Morgen treffen. Ich kann dir die geschäftliche Seite beibringen, und wir können uns abstimmen, soweit es nötig ist. So hat es dein Vater auch mit mir gemacht. Und“, fügte er hinzu und legte zur Betonung eine kleine Pause ein, „du wirst dich bemühen zuzuhören, anstatt mich ununterbrochen zu bekämpfen.“

Sie warf ihm einen versteinerten Blick zu.

„Und schlussendlich“, schloss er, „werden wir anfangen, dein Presseprofil aufzubauen. Die PR-Abteilung wird ein paar Übungseinheiten mit dir arrangieren.“

Sie neigte das Kinn. „Ich bin im Umgang mit der Presse fürchterlich. Entweder ich sage gar nichts oder Dinge, die ich nicht sagen soll. Lass das Giorgio übernehmen.“

„Giorgio ist nicht die Zukunft dieser Firma, sondern du. Du wirst es lernen.“

Der Widerstand war ihr an jeder Zelle ihres zierlichen Körpers anzusehen. Ihre dunklen Augen flammten auf. „Bist du jetzt fertig mit deinen ganzen Regeln? Denn ich bin erschöpft und würde gerne heimgehen. Der Zeitunterschied macht sich langsam bemerkbar.“

„Eines noch.“ Er sah sie sanft an. „Ich bin dein Chef, Chloe. Hass mich im Privaten, so viel du willst, aber in der Öffentlichkeit wirst du mir den Respekt zollen, der mir gebührt.“

2. KAPITEL

Am nächsten Morgen schäumte Chloe immer noch über ihre Begegnung mit Nico. Die Sonne schien in ihr Schlafzimmer in ihrem Stadthaus an der Upper East Side. Es war beinahe, als hätte der Monsun vom Vorabend nie stattgefunden. Alles wirkte nagelneu an diesem perfekten Herbsttag in Manhattan.

Sie verzog den Mund. Wenn sie nur das Gleiche über ihren Showdown mit Nico sagen könnte.

Sie stieg aus dem Bett, zog sich ihren Morgenmantel über und machte sich einen Kaffee. Mit dem Becher in der Hand trat sie an die große Glasschiebetür, die zur Straße hinausging, und nahm das verschlafene kleine Viertel in sich auf, das sie nun ihr Zuhause nannte.

Bei einem Spaziergang an einem sonnigen Nachmittag hatten sie und ihre Schwester sich in dieses Viertel verliebt. Ihr Vater hatte ihnen zwei nebeneinanderliegende Stadthäuser gekauft – für Chloe nach ihrer Rückkehr aus Paris, um ihren Platz bei Evolution einzunehmen, und für Mireille, während sie noch Public Relations studierte.

Wir wissen, dass ihr zu unabhängig seid, um bei uns zu wohnen, hatte ihr Vater sie aufgezogen. Aber wir wollen euch in der Nähe haben.

Eine Wolke der Einsamkeit senkte sich auf sie. Normalerweise schaffte sie es, die Leere in ihrem Inneren in Schach zu halten – sie vergrub sich einfach in ihrem Labor, bis sie so müde war, dass sie nur noch ins Bett krabbeln konnte. Aber an diesem Morgen fühlte sie sich verletzlich wie ein rohes Ei.

Ihre Eltern fehlten ihr so sehr, dass sie keine Worte dafür fand. Sie fürchtete, wenn sie ihre Gefühle zuließe, würde sie da nicht heil herauskommen. Denn ihre Eltern waren die Macht gewesen, die sie vor der Welt beschützt hatte. Und jetzt, wo sie fort waren, wusste sie nicht, wie sie weitermachen sollte. Wie sie sich fühlen sollte.

Sie hatte Angst davor, etwas zu fühlen.

Ihre Mutter war ihre beste Freundin gewesen. Ein heller, lebendiger Stern, der einen in seiner Wärme badete. Ihre gemeinsame Leidenschaft hatte sie von Anfang an verbunden. Ihr Vater, der weiseste, klügste Mann, den sie kannte, hatte ein grenzenlos großes Herz gehabt. Er wäre wütend, wenn er sie jetzt so sähe, denn Nico hatte recht – sie hatte sich vor der Welt und vor sich selbst versteckt.

Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und sah zu, wie die Straße zum Leben erwachte. Nico hatte auch recht damit gehabt, dass sie weitermachen musste. Paris war nicht länger ihr Leben, sondern New York. Sie musste die Rolle einnehmen, die ihre Mutter für sie vorgesehen hatte, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie das ohne sie tun sollte.

Kleine Schritte, sagte sie sich und schluckte. Sie könnte es schaffen, wenn sie einen Schritt nach dem anderen machte. Und sich gegen ihre Gefühle für Nico wappnete, denn ihre instinktive Reaktion auf ihn am Vorabend hatte viel zu viel verraten.

Sie war kein verknallter Teenager mehr, der sich von einer sexuellen Anziehung überwältigen ließ, die er nicht bekämpfen konnte. Die Verbindung zwischen ihr und Nico war nicht so besonders gewesen, wie sie gedacht hatte. Er hatte sämtliche romantischen Illusionen, die sie sich über ihn gemacht hatte, getötet, als er mit einer anderen Frau geschlafen und erklärt hatte, dass es mit ihnen beiden vorbei sei.

Dass sie ihn immer noch anziehend fand, war nur ein Zeichen ihrer Schwäche, das sie jetzt, wo sie in New York war, ausmerzen musste.

Denn ob es ihr gefiel oder nicht, er war jetzt ihr Chef. Der Mann, der ihre Pläne durchwinken oder ersticken konnte. Entweder sie kämpfte weiter dagegen und gegen ihn an, oder sie bewies ihm, dass er sich irrte. Und da der Launch von Vivre, ihrem Erbe, rechtzeitig zu Weihnachten alles war, was zählte, war ihre Entscheidung gefallen.

Entschlossen wählte sie einen modischen, kirschroten Anzug aus und ging durch den klaren Herbstmorgen zu Fuß zur Arbeit. Den Vormittag über setzte sie sich mit Giorgio zusammen, um über den Plan für Vivre zu sprechen.

Es freute sie, zu hören, dass der große Startschuss der Kampagne auf dem Times Square möglich war, aber um die Anzeigen und Werbespots rechtzeitig fertigzubekommen, müsste sie bis zur nächsten Woche die Zusagen der Prominenten haben.

Aber auch das war möglich, und so verbrachte sie den Rest des Tages damit, die Einzelheiten auszuarbeiten, die Nico verlangt hatte. Dann ging sie mit Mireille zum Dinner ins Tempesta Di Fuoco, dem neuen Hotspot von Stefan Bianco in Chelsea, und richtete ihre Aufmerksamkeit auf das dringendste Thema.

Promis waren die Welt ihrer Schwester. Sie hatte Verbindungen, von denen Chloe nicht einmal träumen konnte, und es gab nur wenige Menschen in Manhattan, die Mireille nicht kannte.

Als die exotischen Martinis vor ihnen auf dem Tisch standen, sagte Mireille: „Okay, erzähl mir von deiner Kampagne.“

Chloe umfasste das Glas. „Wie du weißt, geht es um authentische Schönheit. Darum, sich zu zeigen, wie man ist. Aber wir gehen das Thema mit jedem Parfüm von einem anderen Blickwinkel an. Bei dem einen geht es zum Beispiel darum, die körperlichen Einschränkungen zu überwinden, bei einem anderen darum, eine schwierige Vergangenheit als Teil dessen zu akzeptieren, das dich einzigartig macht. Unersetzlich.

„Ich liebe es.“ Mireille wirkte gefesselt. „Das ist brillant. Gib mir deine Liste.“

Chloe atmete tief ein. „Nummer eins ist Carrie Taylor.“ Das Supermodel hatte es als Plus-Size-Model geschafft und zierte die Titelblätter aller großen Modemagazine.

Mireille zog eine Augenbraue hoch. „Du greifst nicht nach den Sternen, oder?“

„Das habe ich doch gesagt. Als Zweites brauche ich Lashaunta.“ Eine Popsängerin, die es trotz einer deutlich sichtbaren Narbe im Musikbusiness bis an die Spitze geschafft hatte. Oder vielleicht gerade deshalb, denn die Narbe verlieh ihr ein einzigartiges Aussehen.

„Die Nächste?“

„Desdemona Parker.“ Eine Weltklasseathletin, die eine Erbkrankheit überwunden hatte, die ihre Karriere beinahe beendet hätte. „Und schließlich noch Eddie Carello für den Männerduft.“

Mireille blinzelte. „Du machst Witze.“

„Er ist ein Überlebender“, sagte Chloe leise. „Er ist in den Gettos aufgewachsen. Er verkörpert perfekt den Geist von Soar.“

Mireille lachte heiser auf. „Ich verstehe, warum Nico dich zurechtgestutzt hat. Das wird nicht einfach sein. Hast du noch eine Zweitbesetzung?“

Chloe listete die Alternativen auf. „Aber ich brauche die A-Liste. Da lässt Nico nicht mit sich reden.“

Ihre Schwester schürzte die Lippen. „Mit Lashaunta und Carrie kann ich dir helfen. Aber was Desdemona und Eddie angeht, hast du leider Pech. Eddie ist beinahe unberührbar, so heiß wird er im Moment gehandelt. Und zu Desdemona habe ich keine Verbindungen und unsere PR-Abteilung auch nicht. Mit Sportlern haben wir nicht viel zu tun.“

Chloes Herz wurde schwer.

„Lazzero könnte vielleicht helfen“, sagte ihre Schwester. „Ich habe heute in der Zeitung gelesen, dass Eddie morgen ins Di Fiore zur Launchparty von Blaze kommt, dem neuen Laufschuh von Lazzero. Desdemona hat einen Exklusivvertrag mit Supersonic und könnte auch da sein.“

Chloe biss sich auf die Unterlippe. Ihr Vater war der Patenonkel aller Di-Fiore-Brüder gewesen, darunter Nicos jüngere Brüder Lazzero und Santo. Aber nur Nico war bei Evolution gelandet. Lazzero und Santo hatten nach dem College mithilfe einer Investition von Martino eine der heißesten Sportswearfirmen des Landes gegründet.

Chloe senkte den Blick. „Ich will das alleine schaffen, um Nico zu zeigen, dass ich es kann.“

„Lazzero um Hilfe zu bitten ist kein Schummeln, sondern clever.“

„Meinst du, er würde uns auf die Party einladen?“

„Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.“ Mireille holte ihr Handy heraus und tätigte einen Anruf.

„Lazzero, mein Schatz, ich brauche dich“, schnurrte sie.

Was auch immer er erwiderte, es brachte sie zum Lachen. „Ich rufe sehr wohl auch mal an, um mit dir zu plaudern. Aber im Moment müssen Chloe und ich dich um einen Gefallen bitten. Wir brauchen eine Einladung zu deiner Party morgen, um Eddie Carello und Desdemona einen Influencer-Deal anzubieten.“

Bei Lazzeros Antwort runzelte Mireille die Stirn. „Oh, ist sie nicht? Schade. Aber Eddie kommt, oder?“

Chloes Magen zog sich zusammen. Keine Desdemona.

Mireille nickte. „Nein, ich komme nicht, aber Chloe. Ich werde es ihr sagen. Du bist wie immer ein Schatz.“

Chloe sah sie fragend an. „Was hat er gesagt?“

„Desdemona ist nicht in der Stadt, aber er wird mir und ihrem Agenten eine E-Mail schicken und uns einander vorstellen. Was die Party angeht, das geht klar, er lässt deinen Namen auf die Gästeliste setzen.“ Mireille grinste. „Er meinte, du sollst ein kurzes Kleid anziehen. Eddie steht auf Beine.“

Und so fand Chloe sich am nächsten Abend vor einem Riesen im schwarzen Anzug an der Tür von Di Fiore wieder, einer eleganten Bar mitten in Manhattan, die zu Lazzeros und Santos Imperium gehörte.

Gehüllt in ein kurzes roségoldenes Kleid, das Mireille ihr geliehen hatte, und inmitten der Menge aus trendigen Leuten fühlte sie sich hoffnungslos fehl am Platz.

„Hier entlang“, sagte der Türsteher und führte sie durch eine Seitentür in einen Raum, in dem die Party schon in vollem Gang war. Er übergab sie an eine Hostess, die sie durch eine Menschentraube an die Bar führte, wo Lazzero Hof hielt. Chloe fand seine Adlernase und seine dunklen Augen schon immer einschüchternd – im Gegenteil zu Nico, der sie mit seiner ernsten, ruhigen Art von Anfang an fasziniert hatte.

Lazzero bemühte sich jedoch sehr liebevoll um sie, besorgte ihr ein Glas Wein und plauderte über ihre und Mireilles Pläne. Da sie keine Zeit gehabt hatte, etwas zu essen, spürte sie, wie ihr der Wein sofort in den Kopf stieg, was immerhin bewirkte, dass ihr die Menschen nicht mehr so viel ausmachten.

Nach ein paar Minuten nickte Lazzero in Richtung Bar. „Eddie auf drei Uhr.“

Ihr Puls flatterte, als sie sich umdrehte und den berühmten, auf die Rolle des Bad Boys abonnierten Schauspieler am Tresen lehnen sah, während eine Gruppe attraktiver Frauen versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Ihr Magen zog sich zusammen. Wie sollte sie damit konkurrieren?

Aber es nützte nichts, so eine Gelegenheit würde sich ihr nie wieder bieten.

„Sehe ich gut aus?“, fragte sie Lazzero und strich sich mit der Hand über die Haare.

Seine dunklen Augen funkelten amüsiert. „Definitiv. Zehn Minuten, mehr hast du nicht, Chloe. Auf meinen Partys gibt es eine Regel: Niemand belästigt dich. Nur so kommen die Leute wieder.“

„Verstanden.“

Chloe nahm noch einen Schluck Wein, atmete tief ein und zwang sich, in gerader Linie auf den Schauspieler zuzugehen, bevor sie kneifen konnte. Sie ignorierte die abfälligen Blicke der anderen Mädchen und streckte Eddie die Hand hin. „Eddie, ich bin Chloe Russo. Meiner Familie und mir gehört Evolution. Ich würde gerne mit dir über einen Duft sprechen, den ich mit dir im Hinterkopf entwickelt habe.“

Der Schauspieler ließ seinen Blick abwertend über sie schweifen, bis er an ihren Beinen ankam und dort verweilte. „Was sagtest du, wer du bist?“, fragte er gedankenverloren.

Chloe wiederholte ihren kleinen Vortrag und ignorierte das flaue Gefühl im Magen.

Eddie hob seinen Schlafzimmerblick zu ihr und bedeutete dem Mädchen auf dem Barhocker neben sich aufzustehen. „Setz dich.“

Nach einem harten Tag voller Meetings wollte Nico nur noch nach Hause. Ein Bier und ein heißes Bad riefen ihn, genauso wie die täglichen Telefonate mit seinen Brüdern, um zu hören, wie es ihnen ging.

So war es seit dem Zusammenbruch der Firma seines Vaters, als Nico noch ein Teenager gewesen war. Da die Ehe gleich mit kaputt gegangen war, hatte Nico die Rolle des Beschützers für seine Brüder gespielt, nachdem seine Mutter einfach gegangen war. Wenn das Leben, wie man es kannte, sich vor den eigenen Augen auflöste, stellte man sicher, dass das nicht noch mal passierte.

Noch im Auto auf dem Heimweg wählte er Lazzeros Nummer und hörte nach dem Abheben erst einmal nur laute Musik.

„Sorry.“ Lazzero schien sich an einen ruhigeren Ort zurückzuziehen. „Heute ist der Launch von Blaze.“

Nico massierte sich die Schläfe. „Mi dispiace. Mein letztes Meeting ging erst vor wenigen Minuten zu Ende.“

„Kein Problem“, erwiderte sein Bruder amüsiert. „Du hast mir gar nicht gesagt, dass du mir dein kleines Vögelchen schickst.“

„Mein kleines Vögelchen?“

„Chloe. Sie ist hier und quatscht Eddie Carello wegen irgendeines Deals an.“

Nico blinzelte. „Chloe ist da und spricht mit Eddie Carello?“

„Und das macht sie ziemlich gut. Das scheint an dem Kleid zu liegen. Ich habe ihr gesagt, dass Eddie auf Beine steht.“

Nico biss die Zähne zusammen. „Geh dazwischen, Lazzero. Du weißt genau, dass sie es nicht mit ihm aufnehmen kann.“

„Ach, für mich sieht es so aus, als gelänge ihr das ganz gut. Im Moment hat sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit.“

„Lazzero“, knurrte Nico. „Tu was.“

„Ich muss los“, entschuldigte sich sein Bruder. „Gerade ist ein Kunde eingetroffen. Du solltest auch vorbeikommen.“

Fluchend riss Nico das Lenkrad herum und unternahm ein waghalsiges Wendemanöver. Promis anzusprechen war Aufgabe des PR-Teams. Es tat ihm bereits leid, dass er Chloe bei dem Vorstandstreffen eine so harte Lektion hatte erteilen müssen, denn trotz ihrer scharfen Zunge war sie sehr verletzlich. Doch es hatte funktioniert, sie aus ihrer Starre zu reißen, und daher verbuchte er es als Erfolg.

Trotzdem musste sie im Moment noch mit Samthandschuhen angefasst werden. Sie war der Schlüssel zu Evolutions Erfolg. Sie musste glauben, dass sie den Platz ihrer Mutter einnehmen konnte. Doch Chloes Schwachstelle war immer ihr Selbstbewusstsein gewesen.

An dem schien es ihr jedoch nicht zu mangeln, als Nico ins Di Fiori stürmte und Chloe mit dem berüchtigtsten Frauenhelden Hollywoods an der Bar schäkern sah.

Ihr dunkles Haar fiel glänzend um ihr hübsches Gesicht, und das champagnerfarbene Kleid betonte jede Kurve ihres schlanken, perfekten Körpers. Ihre Beine, die sie auf dem Barhocker übereinandergeschlagen hatte, waren ein umwerfendes Kunstwerk, bei dessen Anblick ihm der Mund trocken wurde.

Und das war noch, bevor er zu ihren unglaublichen Augen kam – dunkle Seen, die von den längsten Wimpern umgeben waren, die er je gesehen hatte. Augen, die ihn einst den gesunden Menschenverstand hatten verlieren lassen.

Carello hatte eine Hand auf seinem Oberschenkel liegen und hielt mit der anderen seinen Drink. Er redete lebhaft auf Chloe ein, und ihr helles Lachen schwebte durch den Lärm in dem Raum. Nico spannte die Kiefermuskeln an, als der Schauspieler seinen Arm über die Lehne ihres Barhockers legte und näher rückte.

Anstatt zu ihr zu gehen und sie sofort von dem Hocker zu heben, hob Nico nur die Hand und bedeutete dem Barkeeper, ihm etwas zu trinken zu bringen.

„Findest du, dass das eine gute Idee war?“, knurrte er dann Lazzero an, der in diesem Moment auf ihn zukam.

Sein Bruder hob die Schultern. „Ich bin nicht ihr Babysitter, sondern du. Wie auch immer du an diese Rolle gekommen bist.“

„Das weißt du sehr gut. Martino hat es mir unmöglich gemacht abzulehnen.“

Lazzero nippte an seinem Bier. „Wann wirst du ihr von seiner Krebserkrankung erzählen? Das würde ihr das Leben einfacher machen, weißt du?“

Das würde es. Aber Martino hatte ihm das Versprechen abgenommen, den Mädchen nichts von der seltenen Krebsform zu erzählen, die ihn irgendwann das Leben gekostet hätte. Stattdessen sollte Nico sich um sie kümmern, indem er die Leitung der Firma übernahm und sicherstellte, dass sie weiter florierte. Es Chloe jetzt zu sagen würde den emotionalen Aufruhr, in dem sie steckte, nur verstärken. Und das konnte er im Moment nicht gebrauchen.

Er schaute wieder zu Carello und sah, dass der eine Hand auf Chloes nackten Oberschenkel legte. Sie zuckte nicht einmal zusammen, sondern warf nur ihre Haare über die Schulter und lachte über etwas, was er sagte.

Nico schluckte. Sein Herz sank ihm in die Magengrube.

Dann bahnte sich ein großer Mann mit kurz geschorenen Haaren seinen Weg zu Eddie und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Schauspieler bedachte Chloe mit einem bedauernden Blick und sagte etwas, woraufhin sich Enttäuschung in ihrer Miene abzeichnete. Doch dann strahlte sie wieder, als Carello etwas aus seinem Portemonnaie nahm und es auf die Bar legte.

Nicos Finger schlossen sich automatisch fester um seine Bierflasche, als Eddie sich vorbeugte und Chloe auf beide Wangen küsste. Dann verschwand er mit seiner Entourage in der Menge.

Ein Triumphgefühl ergriff Chloe, als sie mit Eddies Visitenkarte in der Hand dasaß. Seine letzten Worte hallten in ihren Ohren nach. Ruf meinen Agenten an. Nenn ihm die Einzelheiten und sag ihm, dass ich dabei bin, wenn er es gut findet.

Ha, von wegen unantastbar! Sie rutschte vom Barhocker. Von dem Glas Champagner, auf dem Eddie bestanden hatte, war ihr ein wenig schwindelig, aber vielleicht war das auch nur die Freude über ihren Sieg.

Sie drehte sich um und wollte zu Lazzero gehen, um sich bei ihm zu bedanken, doch dann blieb sie stehen, als sie Nico neben seinem Bruder an der Bar stehen sah.

Ihr Puls raste. Warum passierte das jedes Mal? Und warum sah er in Hemd und Krawatte so gut aus? Er wirkte sogar jünger als damals, als sie sich das erste Mal getroffen hatten.

Aber dieser Nico existiert nicht mehr, ermahnte sie sich. Und sie täte gut daran, das nicht zu vergessen.

Sie straffte die Schultern und ging an der Bar entlang auf die beiden Männer zu. Lazzero winkte ihren Dank ab und verschwand in der Menge. Nico richtete seinen durchdringenden Blick auf sie.

„Ich habe dich gebeten, die Deals mit den Promis sicherzustellen. Das bedeutet, die PR-Abteilung soll sich darum kümmern, nicht du.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Die PR-Abteilung hatte keine Verbindung zu ihm. Mireille meinte, er sei unantastbar. Also haben wir Lazzero um Hilfe gebeten.“

Er lehnte sich gegen die Bar. „Was hat er gesagt?“

Ein siegreiches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Das hier war vermutlich der beste Moment ihres Lebens. „Er hat zugesagt.“

Nico riss die Augen auf. „Wirklich?“

„Ja. Aber“, ergänzte sie, „es hängt noch von der Zustimmung seines Agenten ab.“

In Nicos Blick trat etwas, was wie Bewunderung aussah. „Ich bin beeindruckt. Wie hast du ihn überzeugt?“

„Ich habe ihm die Kampagne erklärt. Warum er die Inspiration für Soar war. Er war geschmeichelt und meinte, es gefiele ihm, ein eigenes Parfüm zu haben. Wie sich herausstellt“, schloss sie gedankenverloren, „mögen Männer es wirklich, wenn man ihr Ego streichelt. Das ist ihre Achillesferse.“

Die Andeutung eines Lächelns umspielte seine Lippen. „Das mag sein“, gab er zu. „Aber mit Carello spielt man nicht. Sein Ruf eilt ihm voraus. Bring seinen Agenten dazu, den Deal zu unterschreiben, und dann mach einen weiten Bogen um ihn.“

„Das weiß ich.“ Sie klang genervt. „Deshalb habe ich ihm erzählt, ich hätte einen Freund. Ehrlich, Nico, hältst du mich für eine totale Anfängerin?“

„Manchmal schon.“

Sie schüttelte den Kopf. „Tja, du kannst jetzt nach Hause gehen. Die Show ist vorbei, und deine Babysitterdienste werden heute Abend nicht mehr benötigt.“

Er nickte in Richtung ihres Glases. „Trink das aus, dann fahre ich dich nach Hause.“

Oh nein. Sie würde sich nicht wie ein Teenager von ihm heimfahren lassen. Sie hatte den heutigen Abend gerockt und würde selber bestimmen, wann sie ging!

Sie reckte das Kinn. „Ich will noch nicht gehen. Es war so nett von Lazzero, mich einzuladen. Es ist eine tolle Party und ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal getanzt habe. Ich denke, ich bleibe noch ein wenig.“

„Gut, dann tanzen wir“, sagte er.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Sie wusste, wie gut es sich anfühlte, diesen Muskeln und dieser Männlichkeit nahe zu sein. Denn sie hatte es schon erlebt – bevor er sie für eine andere fallenließ.

„Ich habe nicht gesagt, dass ich jetzt sofort tanzen will.“ Sie hob ihr halb volles Champagnerglas. „Ich habe ja noch das hier.“

„Ich denke, du hattest genug.“ Er nahm ihr das Glas aus der Hand, packte ihr Handgelenk und führte sie durch die Menge auf die volle Tanzfläche, bevor sie noch protestieren konnte. Sie wusste, was für eine schlechte Idee das war. Eddie hatte ihren nackten Oberschenkel berührt und nicht das kleinste Kribbeln ausgelöst. Doch Nicos Finger um ihr Handgelenk fühlten sich an, wie an eine Starkstromleitung angeschlossen zu sein.

Mit einer geschmeidigen Bewegung zog Nico sie an sich. Eine Hand in seiner, die andere an seiner Hüfte, waren sie nicht eng aneinandergeschmiegt, aber das hier war Nico. Jeder Zentimeter ihrer Haut erhitzte sich, als sie in Kontakt mit seinem großen, kraftvollen Körper kam. Dann stieg ihr sein Duft in die Nase und elektrisierte alle ihre Sinne.

Vetiver, das indische Süßgras, bekannt für seinen irdenen Duft, war die Kopfnote in Voluttuoso, dem letzten Parfüm ihrer Mutter gewesen. Chloe hatte es schon immer sexy gefunden, aber an Nico mit seiner überbordenden Männlichkeit, ließ es ihr die Knie weich werden.

Ein Tanz. Sie hielt den Blick fest auf den Knoten seiner eleganten silberfarbenen Krawatte gerichtet. Nico war ein exzellenter Tänzer, der sie zu dem sinnlichen Jazzstück leichtfüßig in dem kleinen Bereich, der ihnen gehörte, führte. Sofort schossen ihre Gedanken zurück zu jener schwülen Nacht. Zurück zur Feier des vierten Julis, die alles verändert hatte.

Sie in Nicos Armen … die verbotene Leidenschaft, die zwischen ihnen entflammt war … Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich wahrhaftig lebendig gefühlt.

Sie hob den Blick und suchte in seinen Augen einen Hinweis darauf, dass das, was sie einst geteilt hatten, nicht nur die Fantasie einer Achtzehnjährigen gewesen war. Dass sie ihm auch etwas bedeutet hatte. Aber sein kühler Blick war mit einer kalkulierenden Eindringlichkeit auf sie gerichtet, die ihre irrationale, naive Hoffnung sofort zerstörte.

„Wir haben auf dem falschen Fuß angefangen, Chloe“, murmelte er. „Wir müssen als Team zusammenarbeiten, nicht gegeneinander, wenn wir es irgendwie schaffen wollen, das zu erhalten, was deine Eltern aufgebaut haben.“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Ist das eine Entschuldigung?“

„Wenn du magst“, erwiderte er. „Ob es dir gefällt oder nicht, wir stecken hier zusammen drin. Wir haben gemeinsam Erfolg oder wir scheitern gemeinsam. Das liegt ganz bei dir.“

Sie senkte den Blick. „Ich stimme dir zu, wir brauchen eine bessere Arbeitsbeziehung. Aber das hier ist meine Firma, Nico. Du musst auch mir zuhören und mich nicht ständig einfach überrennen. Ich weiß, was Evolution zu einem Erfolg macht. Und das ist Vivre.“

„Wenn der Rest des Plans steht, stimme ich dir vielleicht zu. Und“, er neigte den Kopf, „ich verspreche, dir mehr zuzuhören.“

„Also Waffenstillstand?“

Seine Augen blitzten amüsiert auf. „Waffenstillstand. Den wir feiern können, indem wir gemeinsam auf die Palm Beach Spendengala gehen. Das zeigt, dass wir eine gemeinsame Front bilden.“

Die Lieblingsveranstaltung ihrer Eltern in Palm Beach zur Unterstützung des Kampfes gegen Brustkrebs – eine Krankheit, der die beste Freundin ihrer Mutter erlegen war. Der Gedanke, mit Nico dort aufzutauchen, ließ ihren Magen einen kleinen Salto schlagen.

„Du meinst, du hast noch kein heißes Date dafür arrangiert?“, fragte sie und sah ihn direkt an.

Sie konnte sich nicht erinnern, Nico jemals zwei Mal mit der gleichen Frau gesehen zu haben.

„Ich hatte seit sechs Monaten kein heißes Date mehr“, erwiderte er. „Das muss warten, bis Evolution aus dem Gröbsten raus ist.“

Sie schloss die Augen unter seiner Anspielung, dass sie für die Probleme mit verantwortlich war.

Das Lied endete, und sie löste sich schnell aus seinen Armen und strich ihr Kleid über den Hüften glatt. Nico sah sie an. „Bereit, zu gehen?“

Sein angespannter Kiefer verriet ihr, dass es keinen Sinn hatte, ihm zu widersprechen. Er würde sie nicht allein hierlassen.

„Ja“, erwiderte sie mit einem hilflosen Seufzen.

Er führte sie durch die Menschen zu Lazzero, um sich zu verabschieden. Dann fuhren sie schweigend in seinem luxuriösen Wagen nach Hause. Sie war so müde, dass sie auf dem Weg zur Haustür stolperte und den Schlüssel nicht auf Anhieb ins Schloss bekam.

Seine Finger streiften ihre, als er ihr den Schlüssel abnahm und die Tür öffnete. Kleine Hitzefunken explodierten auf ihrer Haut, und ihre Wangen röteten sich, als sie zu ihm aufschaute, um sich zu bedanken. Sofort verlor sie sich in seinen rauchigen Augen.

„Geh ins Bett, Chloe“, sagte er mit rauer Stimme. „Und schließ hinter dir ab.“

Sie befeuchtete sich ihre mit einem Mal trockenen Lippen. Dafür zu sorgen, dass sie nicht Eddie Carello in die Hände fiel, war das Einzige, was er heute Abend im Sinn gehabt hatte. „Mission erledigt. Ich werde um Mitternacht im Bett sein. Aber du bekommst ja immer, was du willst, nicht wahr, Nico?“

Sein Blick war schwer und blieb für den Bruchteil einer Sekunde an ihren Lippen hängen. „Nicht immer“, sagte er leise.

Dann verschwand er in der Nacht.

3. KAPITEL

Das war der Champagner, sagte Chloe sich, als sie am nächsten Morgen zur Arbeit ging. Dieser kryptische Kommentar von Nico auf ihrer Treppe, die Chemie, die so greifbar zwischen ihnen gehangen hatte. Denn in den Jahren nach ihrem Sommerflirt hatte er sie nicht ein einziges Mal so angesehen.

Sie war nichts weiter als ein winziger Punkt auf seinem Radar. Mehr zu glauben würde sie zu einer Idiotin machen, und die war sie schon lange nicht mehr.

Was für ein fehlgeleitetes Pflichtgefühl ihn auch antrieb, das Einzige, was Nico wirklich interessierte, waren seine Ambitionen. Und sie täte gut daran, das nicht zu vergessen. Sie hatte diesem Waffenstillstand nur zum Wohle der Firma zugestimmt. Denn Evolution zu retten war das Einzige, das ihr wirklich wichtig war.

Während der Fahrt mit dem Fahrstuhl zu ihrem Büro ging sie noch einmal durch, was sie zu Eddies Agenten sagen wollte. Dann begrüßte sie Clara und nahm die Nachrichten entgegen, die ihre Assistentin ihr reichte.

Ihr Büro hatte einst ihrer Mutter gehört, und sie hatte an der Einrichtung mit Antiquitäten und Seidenvorhängen nichts geändert. Doch sie verfing sich nicht in Erinnerungen, sondern nahm sofort den Hörer ab und rief Eddies Agenten an. Was gut war, denn er sagte ihr, dass er am Nachmittag die Stadt verlassen würde, aber vorher noch Zeit für einen gemeinsamen Lunch hätte.

Weil sie befürchtete, dass Eddie seine Meinung ändern könnte, wenn sie wartete, nahm Chloe die Einladung an. Anfangs war der Agent von der Idee des Parfüms nicht sonderlich angetan, aber schlussendlich gab er nach, weil Eddie wirklich erpicht auf das Projekt wirkte und außerdem sein neuer Film kurz vor Weihnachten erscheinen sollte, zum gleichen Zeitpunkt wie die große Kampagne für Soar.

Chloe schwebte förmlich ins Büro zurück und verkündete Mireille ihren Sieg, die sich genauso darüber freute wie sie.

„Und ich“, sagte sie zu Chloe, „habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Die gute Nachricht ist, dass Lashaunta Interesse hat. Sie liebt die Kampagne.“

Chloes Herz wurde ganz weit. Lashaunta war ein Megastar. „Das ist großartig!“

„Die schlechte Nachricht ist, Carrie Taylor bekommen wir nicht. Sie steht kurz davor, ein anderes Parfüm zu bewerben. Und an Desdemona arbeite ich noch“, schloss sie.

Was für Chloe bedeutete, dass sie auf Plan B, Supermodel Estelle Markov, zurückgreifen mussten. Hoffentlich gab Nico trotzdem grünes Licht, wenn sie nur drei statt der vier ursprünglichen Promis unter Vertrag nehmen würden.

Hurrikan Chloe hatte das Gebäude betreten.

Nico lächelte schwach, als er sie am späten Freitagnachmittag in sein Büro winkte, während er eine Telefonkonferenz beendete.

Sie trat ans Fenster und strahlte die gleiche Energie aus, mit der sie die ganze Woche ihre Kampagne befeuert hatte, ihm zu beweisen, dass er unrecht hatte.

Der Tritt in den Solarplexus, den er bei ihrem Anblick in dem weichen weißen Pullover, der dunklen Jeans und den kniehohen Stiefeln bekam, war nicht unerwartet. Seit er das erste Mal das Haus der Russos betreten hatte, kämpfte er gegen ihre Anziehung an.

Damals war er zwanzig gewesen, Chloe süße sechzehn. Seine Erfahrungen hatten ihn früh hart und verbittert gemacht. Aber etwas an der ruhigen, leidenschaftlichen Chloe hatte diese harte Schale durchdrungen. Vielleicht hatte er einen Teil von sich in ihr entdeckt – das Bedürfnis, sich hinter Mauern zu verstecken, um sich gegen die Welt zu schützen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie ihre subtile Schönheit immer unter den Scheffel gestellt hatte, obwohl er sie weit attraktiver fand als ihre umwerfende Schwester.

Er hatte sich gesagt, dass er sie nicht haben könne. Dass er nie seine Position als Martinos Protegé in Gefahr bringen würde – die Karriere, die ihm alles bedeutete. Bis auf der jährlichen Party zum vierten Juli die Anziehung zwischen Chloe und ihm explodiert war.

Martino, der den Kuss beobachtet hatte, hatte ihn nach seinen Absichten in Bezug auf seine Tochter gefragt. Entweder, du meinst das mit Chloe ernst, oder du lässt sie in Ruhe, hatte er gesagt, wohl wissend, was Nico war – ein Mann, der wegen der Narben, die seine frühen Jahre hinterlassen hatten, niemals vertrauen und sich niemals an eine Frau binden würde.

Also war er gegangen. Hatte es auf die harte Tour getan, damit es einen klaren Bruch gab und er nicht von dem verlockt wurde, was er nie haben konnte. Denn Martino hatte recht gehabt – er hätte Chloes Herz noch viel schlimmer gebrochen, als er es so schon getan hatte.

Auch wenn Martino nicht mehr am Leben war, so trug er jetzt doch eine neue Verantwortung. Nämlich sie zu beschützen – und nicht mit ihr ins Bett zu gehen. Sie zu hegen, wie Martino ihn gebeten hatte. Das war ein Versprechen, das er nicht brechen würde.

Als sein Telefonat beendet war, stand er auf und ging zu ihr ans Fenster.

Erwartungsvoll sah sie ihn an. „Hast du dir den Plan angeguckt?“

„Ja.“ Er sah auf die Uhr. „Ich habe noch Zeit, ihn vor meiner Verabredung zum Dinner durchzugehen, wenn du magst.“

Als sie bejahte, schickte er seine Assistentin nach Hause und schenkte sich einen Scotch ein. Chloe lehnte sein Angebot eines Drinks ab und folgte ihm in die Lounge. Mit den italienischen Kronleuchtern, dem Esstisch für zehn Personen und dem Blick über den nächtlich erleuchteten Central Park war sie perfekt, um zu arbeiten und Gäste zu unterhalten.

Chloe drehte sich zu ihm um. „Also, was denkst du?“

„Ich denke, du hast sehr überzeugend klargemacht, dass der Fokus zum Weihnachtsgeschäft auf Vivre liegen sollte. Der Plan ist ausgezeichnet.“ Er lächelte leicht. „Außerdem war es unmöglich, deiner Kampagne, die du hier im Haus gefahren hast, aus dem Weg zu gehen. Sehr clever, allen Angestellten und Vorstandsmitgliedern eine Probe zu schicken.“

Sie lächelte ebenfalls. „Ich habe doch gesagt, dass ich sie überzeuge. Aber wichtiger noch“, fügte sie aufgeregt an. „Die Presse schwärmt schon von Vivre, Nico. Ich habe auch an sie Proben verschickt, und die Chefredakteurin des einflussreichsten Modemagazins der USA ist ganz verrückt nach Soar. Sie will es als Must-have-Geschenk für Weihnachten promoten. Ich denke, es wird ein großer Hit.“

Er hob eine Hand, um ihre Begeisterung zu dämpfen. „Das habe ich gesehen, trotzdem macht mir das Timing noch große Sorgen. Ich bin mir nicht sicher, ob das zu schaffen ist.“

„Stimmt, der Zeitplan ist eng“, gab sie zu. „Ich werde vermutli...

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