Julia Extra Band 524

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VERZAUBERT VON DEINEM KUSS von KANDY SHEPHERD
Wie verzaubert fühlt Umzugshelferin Kitty sich, als der attraktive Londoner Milliardär Sebastian Delfont sie zärtlich küsst. Aber kaum hat sie sich zu einer Liebesnacht verführen lassen, muss sie fürchten, nie wirklich in seine Welt der Reichen und Schönen zu passen …

MEHR ALS NUR BEGIERDE … von MAYA BLAKE
Sechzehn Monate ist es her, dass Tycoon Ekow Quayson den besten Sex seines Lebens mit der geheimnisvollen Evangeline hatte. Danach verschwand sie spurlos. Als er sie jetzt in Kapstadt aufspürt, entdeckt er schockiert, dass ihn mehr als nur brennende Begierde mit ihr verbindet …

ZWEITE CHANCE FÜR PRINZESSIN BELLA? von REBECCA WINTERS
Als Prinzessin Bella bei der Hochzeit ihres Bruders überraschend ihre große Jugendliebe Luca wiedertrifft, schlägt ihr Herz sofort höher. Für ein Happy End mit Luca würde Bella alles geben! Doch wird er ihr je verzeihen, dass sie einst seine Karriere als Skifahrer zerstört hat?

RISKANTES SPIEL FÜR ZWEI HERZEN von CATHY WILLIAMS
Selfmade-Milliardär Curtis Hamilton überredet seine beste Freundin Jess, bei einer Reise in die Französischen Alpen seine neue Geliebte zu spielen. Natürlich nur, um lästige Verehrerinnen loszuwerden. Aber woher kommt dann plötzlich das gefährlich erregende Prickeln in Jess’ Nähe?


  • Erscheinungstag 11.10.2022
  • Bandnummer 524
  • ISBN / Artikelnummer 0820220524
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Kandy Shepherd, Maya Blake, Rebecca Winters, Cathy Williams

JULIA EXTRA BAND 524

KANDY SHEPHERD

Verzaubert von deinem Kuss

Den Glauben an die Liebe hat Milliardär Sebastian Delfont verloren. Bis Umzugshelferin Kitty sein Leben wie ein Licht in dunkler Nacht erhellt. Doch schnell wird das Glück durch eine Intrige bedroht …

MAYA BLAKE

Mehr als nur Begierde …

Evangeline weiß, dass der attraktive Tycoon Ekow Quayson nur Sex von ihr will. Als sie ihm die Folgen ihrer so kurzen wie unvergesslichen Affäre beichtet, macht er ihr jedoch ein ungeahntes Angebot …

REBECCA WINTERS

Zweite Chance für Prinzessin Bella?

Ungewollt fühlt der Arzt Luca Torriani sich sofort wieder zu seiner großen Jugendliebe Prinzessin Bella hingezogen. Allerdings ist sie längst einem standesgemäßen Prinzen versprochen. Was jetzt?

CATHY WILLIAMS

Riskantes Spiel für zwei Herzen

Der sexy Selfmade-Milliardär Curtis Hamilton ist Jess’ bester Freund – mehr nicht! Dass sie insgeheim in ihn verliebt ist, darf er niemals erfahren! Denn sie ist offensichtlich nicht sein Typ Frau …

1. KAPITEL

Sebastian Delfont stand reglos auf der Terrasse seines Docklands Penthouse und starrte zum letzten Mal auf den morgendlichen Nebel, der von der Themse aufstieg und den Blick auf die Londoner Skyline verschleierte. Seine Hände krallten sich so fest um das kalte Metall des Geländers, dass sie schmerzten. Doch er bemerkte es kaum. Sebastian wusste, dass er der Pflicht, die sein Familienname mit sich brachte, nicht länger entkommen konnte. Hier und jetzt musste er sich von seiner Unabhängigkeit verabschieden, von der Freiheit, sein Leben zu seinen eigenen Bedingungen zu führen. Der Tod hatte einmal mehr seine Familie heimgesucht, und jetzt war er an der Reihe, Verantwortung zu übernehmen.

Er stieß einen tiefen Seufzer aus, wohl wissend, dass ihn niemand hören konnte. Selbstmitleid war nicht angesagt. Er war unendlich reich und privilegiert, gehörte zur Crème de la Crème der Gesellschaft. Das war Teil seines Erbes. Dennoch war die Geschichte seiner Familie von Tragödie und Verlust gezeichnet. Er fühlte sich darin gefangen, doch er konnte dieser Vergangenheit nicht entkommen. Er war ein Delfont, und das bedeutete Verantwortung, ob ihm das nun gefiel oder nicht.

Die Frauen, die er engagiert hatte, um alles in seinem Apartment zusammenzupacken, würden bald hier sein. Man hatte ihm die Firma PWP als die beste Packfirma in ganz London empfohlen und sie für ihre Diskretion und Effizienz gelobt. Das war genau das, was Sebastian wünschte, denn er konnte nur die besten Profis für den Umgang mit seinem Besitz gebrauchen. Von seinen Büchern, den Kunstwerken und Bildern waren manche wertvoll, andere hatten lediglich einen sentimentalen Wert für ihn. Aber alle lagen ihm am Herzen, denn in gewisser Weise stellten sie für ihn die Sicherheit dar, nach der er sich als Kind oft gesehnt hatte. Viele dieser Gegenstände würde er einlagern müssen, weil sie nicht zu dem historischen Haus am Cheyne Walk passten, wo er ab jetzt leben würde. Ein Haus, zu dem auch Sebastian nicht passte – und auch nie gepasst hatte.

Wenn die Packer eintrafen, würden sie alles mitnehmen, denn er hatte das Penthouse bereits für eine hohe Miete weitervermietet. Für ihn würde das Haus, in das er nun zog, immer das seines Großvaters sein, auch wenn es jetzt offiziell ihm gehörte. Denn er konnte einfach nicht vergessen, dass er dort keinen einzigen glücklichen Moment erlebt hatte.

Der Tag versprach, ein typischer Londoner Oktobertag zu werden, der sich nicht entscheiden konnte zwischen kühl und klar oder bewölkt und regnerisch. Als Sebastian gerade wieder reingehen wollte, durchbrach ein Sonnenstrahl die dunkle Wolkendecke und illuminierte den Himmel und das Wasser unter ihm. Seine spanische Mutter war ziemlich abergläubisch gewesen, und ein Teil von ihm konnte nicht anders, als zu hoffen, dass dieser Lichtstrahl ein gutes Omen für die Zukunft war …

Kitty Clements war eigentlich nie nervös, wenn sie einen neuen Auftrag begann. Warum auch? Als sie vor zwei Jahren zusammen mit ihrer Freundin Claudia ihre Firma PWP – People Who Pack – gegründet hatte, war dies ein toller Neustart für sie gewesen. Denn wertvolle Gegenstände für Menschen einzupacken, die umziehen wollten, fand sie unglaublich interessant. Außerdem konnte sie auf diese Weise unter dem Radar bleiben, und genau das passte ihr gut.

Aber heute fühlte sie sich unruhig, als sie den privaten Lift betrat, der sie in das Penthouse im neunten Stock bringen würde, aus dem ihr neuer Kunde Sebastian Delfont ausziehen wollte. Man hatte sie gewarnt, dass er schwierig sein konnte, und sie wusste nicht, was genau das bedeuten sollte. Aber schließlich war er ein Kunde, und das hier war einer der lukrativsten Aufträge, die sie in den letzten zwei Jahren an Land gezogen hatten. Es stand außer Frage, dass alles reibungslos verlaufen musste. Ihr Geschäftsmodell basierte auf ihrem guten Ruf, und wenn sie es richtig machten, konnte dieser Auftrag zu weiteren prestigeträchtigen Aufträgen führen.

Der Fahrstuhl brachte sie geräuschlos in das unglaublich elegante Foyer des Penthouse. Ihre Nervosität legte sich etwas, als sie die vielen Umzugskartons erblickte, die zusammengefaltet vor der Wand aufgestellt waren, zusammen mit Massen von Packpapier und Klebeband. Ein Mitglied ihres Teams hatte die Sachen gestern schon hergebracht. Dies hier war ihr Handwerkszeug, und sie würde noch mehr Kartons in den anderen Räumen finden. Kitty rechnete damit, dass Claudia und sie für den gesamten Umzug mehrere Tage brauchen würden. Sie konnte es kaum erwarten, sich die Kopfhörer einzustöpseln, ihre Lieblingsmusik anzustellen und loszulegen.

In diesem Moment öffneten sich die Doppeltüren zum Wohnbereich, und sie sah hoch. Unwillkürlich stockte ihr der Atem. Schwierig war nicht das Wort, an das sie dachte, als sie Sebastian Delfont erblickte. Unglaublich attraktiv hätte es wohl besser getroffen. Er war heiß! Ach was, er war heißer als heiß!

Hochgewachsen, mit breiten Schultern und schwarzem Haar, das zum Glück nicht zu kurz geschnitten war. Seine Gesichtszüge wirkten wie gemeißelt, er hatte einen Dreitagebart und trug schwarze Jeans und einen schwarzen Rolli.

„Mr. … Mr. Delfont“, stammelte sie. „Guten Morgen. Ich bin Kitty Clements von PWP.“

Seine dunklen Brauen zogen sich zusammen. „Ich hatte Claudia erwartet.“ Seine Stimme war tief, er hatte den typischen Akzent der Oberschicht.

Kitty spürte einen Hauch von Selbstzweifel, den sie immer noch nicht überwunden hatte. Claudia war eine hochgewachsene Rothaarige, sehr glamourös. Das konnte Kitty von sich nicht behaupten. Wie hatte dieses schreckliche Boulevardblatt sie noch beschrieben? Hübsch, mollig und draufgängerisch. Als sie daran dachte, erschauderte sie. Der Mann, der ihre PR-Karriere zerstört hatte, war der Draufgänger gewesen, nicht sie. Aber niemand hatte ihr geglaubt.

Sie zwang sich zu einem professionellen Lächeln.

„Tut mir sehr leid, Claudia wurde aufgehalten. Es gab einen Verkehrsunfall, dem nachfolgenden Stau konnte sie leider nicht entgehen. Bestimmt wird sie bald hier sein. Aber ich kann ja schon mal anfangen, wenn Sie mir zeigen, wie sie es gerne hätten.“

Er nickte. „Ja, das werde ich tun.“

„Gut“, erwidere sie ein bisschen eingeschüchtert.

Sie folgte ihm durch das Apartment, behielt aber eine gewisse Distanz zu ihm. Die riesige Wohnung bestand hauptsächlich aus Edelstahl, Glas und Designermöbeln. Die Panoramafenster boten einen spektakulären Blick auf die Themse.

„Sehr beeindruckend“, sagte sie.

„Unbedingt“, erwiderte Sebastian. „Ich ziehe nur ungern von hier weg.“

Kitty wusste, dass er in ein riesiges Haus am Cheyne Walk in Chelsea ziehen würde, einer der exklusivsten und teuersten Adressen Londons. Mehr brauchte sie nicht zu wissen, denn das Privatleben ihrer Kunden ging sie nichts an.

Er reichte ihr eine kleine Digitalkamera und bat sie, jeden Gegenstand zu fotografieren, damit er in genau derselben Reihenfolge im neuen Haus ausgepackt werden konnte.

„Das gilt besonders für die Bibliothek“, setzte er hinzu.

Sie nickte. „Kein Problem.“

Er zeigte ihr den Rest des Apartments, den Wohnbereich und die ultramoderne Küche. Die Zimmer waren alle im selben Stil eingerichtet, sehr modern, in Grau und Metallic, sehr maskulin. Gab es eine Mrs. Delfont? Wenn ja, dann hatte sie keine Spuren hinterlassen.

Die Bibliothek war eine Überraschung. Sie bestand aus Regalen voller Bücher, die bis zur Decke reichten. Claudia hatte Kitty schon gewarnt, dass es viele Bücher sein würden. Wenigstens gab es eine Leiter, sodass sie die oberen Bereiche leicht erreichen konnte. Trotzdem, es war eine Herkulesaufgabe.

„Dann sollte ich wohl besser gleich anfangen“, sagte sie mit einem schiefen Lächeln.

Doch er hielt die Hand hoch und stoppte sie. „Nein, noch nicht. Zuerst fotografieren Sie bitte jede Buchreihe einzeln. Ich möchte, dass diese Ordnung unbedingt aufrechterhalten wird.“

Kitty schluckte. Wahrscheinlich hatte Claudia das gemeint, als sie zu ihr gesagt hatte, dass ihr Kunde schwierig war. Würde er jetzt jede ihrer Bewegungen kontrollieren? Das war kein schöner Gedanke. Ihr war klar, dass sie zu ihm auf Distanz bleiben musste.

„Verstehe“, nickte sie.

„Gut“, erwiderte er. Und in seinen dunkelgrauen Augen blitzte so etwas wie Dankbarkeit auf.

Sebastian wollte die Bibliothek eigentlich verlassen, doch er konnte sich von Kitty Clements Anblick nicht losreißen. Ihr Haar, das sie locker hochgesteckt hatte, glitzerte golden im Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster fiel.

Sie war sehr hübsch, das ließ sich nicht leugnen. Mehr als das. Sie war hübscher als hübsch! Blond, ein herzförmiges Gesicht, blaue Augen. Ihre Figur war reizend feminin, mit Kurven genau an den richtigen Stellen, ihre Arbeitskleidung konnte das nicht verbergen. Sie trug schwarze Leggins und ein langes schwarzes T-Shirt mit dem pinkfarbenen Logo PWP darauf.

Aber es war mehr als ihr Äußeres, das ihn so gefangen nahm. Ihre blauen Augen strahlten Wärme und Verständnis aus, und er freute sich darüber, wie positiv sie auf seine Bitte, alles zu katalogisieren, reagiert hatte. Sein Arzt hatte ihm zwar versichert, dass er nicht unter einem Kontrollzwang litt, doch er wusste selbst, dass andere Leute diesen Charakterzug an ihm, unbedingt alles im Griff zu behalten, eher schwierig fanden.

Nicht jedoch Kitty Clements, wie es schien, und das nahm ihn gleich für sie ein.

„Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, eine professionelle Umzugspackerin zu werden?“, fragte er sie.

Sie hob den Kopf. „Nun, ich wollte unbedingt meine eigene Chefin sein.“

„Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Aber wie sind Sie zum Packen gekommen?“ Ihm fiel auf, wie durchtrainiert ihre Oberarme waren, bei diesem Job brauchte man gewiss keine Mitgliedschaft im Fitnesscenter!

„Als ich das letzte Mal umgezogen bin, musste alles ganz schnell gehen, deshalb habe ich eine Firma damit beauftragt. Doch mir hat nicht gefallen, wie sie mit meinen Sachen umgegangen sind.“

Warum hat sie denn so überstürzt umziehen müssen? fragte Sebastian sich. Doch natürlich ging ihn das nichts an.

„Verstehe“, sagte er nur und nickte.

„Claudia hat eine ähnliche Erfahrung gemacht, und wir hatten beide das Gefühl, dass wir es besser könnten. Sehr viel besser. Dann haben wir uns auf dem Markt umgeschaut und festgestellt, dass dies ein Job ist, den Leute eher Frauen als Männern zutrauen. Besonders, wenn es sich um Wertsachen und wertvolle Möbel handelt, haben die meisten das Gefühl, dass Frauen besser mit ihren Sachen umgehen.“

„Und was heißt PWP?“, fragte er neugierig.

„People Who Pack“, erwiderte sie wie aus der Pistole geschossen. „Zuerst haben wir uns ‚Ladies Who Pack‘ genannt. Aber das hat irgendwie die falschen Kunden angezogen. Deshalb haben wir den Namen geändert. Inzwischen haben wir ein ganzes Team von Mitarbeiterinnen.“

Sie sah betont auf ihre Uhr. „So, und jetzt sollte ich wohl besser mal anfangen.“

„Und Sie wollen, dass ich gehe“, sagte er.

„Sie können sich darauf verlassen, dass ich gut mit Ihren Besitztümern umgehe, Mr. Delfont! Ich rufe Sie an, falls noch etwas zu klären sein sollte!“

Kitty Clements sagte es zwar mit einem Lächeln, aber es war definitiv ein Rauswurf!

Und Sebastian stellte überrascht fest, dass es ihm nichts ausmachte, von ihr weggeschickt zu werden. Er hatte den Eindruck, dass seine Bücher bei dieser Frau in den besten Händen sein würden. Und seine Stimmung, die seit heute Morgen wirklich nicht die beste gewesen war, hob sich.

„Dann will ich Sie nicht aufhalten“, erwiderte er, drehte sich um und verließ das Zimmer.

Kitty war total fasziniert von den Büchern in Sebastians Bibliothek. Es gab eine Menge ledergebundene Folianten über die Geschichte Londons, aber sie fand auch Belletristik vor. Am liebsten hätte sie darin geschmökert, doch natürlich wurde sie dafür nicht bezahlt. Die meisten Bücher waren auf Englisch, aber es gab auch welche auf Spanisch. Womit sie nicht gerechnet hatte, war eine ganze Reihe von Liebesromanen, alle von derselben Autorin, einer gewissen Marisol Matthews. Kitty nahm eins der Taschenbücher heraus und betrachtete es versonnen, bevor sie es in die Kiste mit den anderen packte. Unversehens wurde sie von Erinnerungen überwältigt.

Nachdem ihre Eltern gestorben waren, als sie erst vierzehn gewesen war, war sie bei ihren Großeltern mütterlicherseits aufgewachsen. Ihre geliebte Großmutter hatte Liebesromane verschlungen, und Marisol Matthew war eine ihrer Lieblingsautorinnen gewesen. Am Ende ihres Lebens, als der Krebs sie zusehends geschwächt hatte, hatte sie nicht mehr die Kraft gehabt, ein Buch in der Hand zu halten, deshalb hatte Kitty ihr vorgelesen. In einem dieser Bücher war ein sehr attraktiver Spanier der Held gewesen, und ihre Oma hatte von ihm nicht genug kriegen können.

Natürlich war sie überrascht, diese Bände in Sebastian Delfonts Bibliothek vorzufinden. Nie im Leben hätte sie geglaubt, dass er Liebesromane lesen würde, auch wenn sie inzwischen gelernt hatte, dass man sich von Äußerlichkeiten nicht täuschen lassen sollte. Außerdem fand sie noch eine ganze Reihe von Thrillern vor, mit denen sie ebenfalls nicht gerechnet hatte. Doch ihr war klar, dass sie ihn nicht danach fragen würde. Denn der gute Ruf von PWP war vor allem auf Diskretion gegründet. Es gehörte sich nicht, über die Einzelheiten ihres Jobs zu sprechen, egal, wie verlockend das war.

Kitty hatte bereits die erste Hälfte der Bücher verstaut, als Claudia erschien. Ihre beste Freundin und Geschäftspartnerin eilte ihr sofort zu Hilfe.

„Tut mir echt leid, dass ich dich mit diesem neuen Kunden allein gelassen habe“, sagte sie zerknirscht. „Aber es war nicht meine Schuld, wegen des Unfalls war die Straße eine halbe Stunde lang blockiert. Wie geht’s dir denn, ist alles okay?“

Kitty wischte ihre Entschuldigung weg. Claudia hatte in einer schweren Zeit zu ihr gehalten. Als sie dem Chef der PR-Firma, für die sie gearbeitet hatte, von der sexuellen Belästigung berichtete, der sie ausgesetzt gewesen war, hatte ihr Chef ihr nämlich nicht geglaubt. Im Gegenteil, er hatte es so dargestellt, als wäre sie schuld an dem Zwischenfall gewesen. Nur Claudia hatte ihr geglaubt, und das würde sie ihr nie vergessen.

„Alles in Ordnung“, erwiderte sie.

„Und wie findest du unseren Kunden?“

„Also, er weiß, was er will. Aber schwierig war er bisher nicht.“

Claudia nickte.

Kitty lächelte. „Du hättest mich allerdings warnen können. Er ist ziemlich attraktiv, und das hat mich ein bisschen abgelenkt, muss ich zugeben.“

Ihre Freundin erwiderte das Lächeln. „Ich dachte, du hättest Männern längst abgeschworen! Sonst hätte ich es bestimmt erwähnt.“

Eine der eisernen Regeln von PWP lautete, dass sie sich nie mit einem Kunden einließen, deshalb war Sebastian tabu für sie.

Doch das war nicht der einzige Grund für Kittys Zurückhaltung. Als sie damals nicht nur ihren Job verloren hatte, sondern auch ihren guten Ruf in der gnadenlosen PR-Branche, hatte nicht einmal ihr Freund ihr geglaubt und beigestanden. Seine eigene Karriere in der Firma war ihm wichtiger gewesen, und sein Verrat hatte ihr unglaublich wehgetan.

Wie also sollte sie je wieder einem Mann vertrauen können?

2. KAPITEL

Sebastians neues Zuhause, die vierstöckige historische Villa am Cheyne Walk, konnte man nur prächtig nennen. Sie lag direkt am nördlichen Ufer der Themse und war mehrere Millionen wert. Vor einhundertachtzig Jahren war das Gebäude als Townhouse in den Besitz seiner Familie gelangt. Aber war es wirklich jemals ein Zuhause für Sebastian gewesen?

Er stand in der neuen Bibliothek, in die er eines der zahlreichen Schlafzimmer verwandelt hatte, und sah sich um. Trotz der neuen maßgefertigten Regale, trotz aller Veränderungen, glaubte Sebastian noch immer, die düstere Präsenz seines Großvaters zu spüren. Der Großvater, der Sebastians Existenz verachtete hatte, weil sein Sohn gegen seine Wünsche eine Spanierin geheiratet hatte. Seine wunderschöne, lebenslustige Mutter war hier Persona non grata gewesen, und das hatte auch für ihren Sohn Sebastian gegolten.

Er hatte sich in diesem Haus nie willkommen gefühlt. Seine Großeltern väterlicher- und mütterlicherseits waren gegen die Heirat seiner Eltern gewesen. Sebastians Geburt hatte seine spanischen Großeltern ein wenig besänftigt. Aber an der ablehnenden Haltung seiner englischen Großeltern hatte das nichts geändert.

Nach seinem Abschluss an der Universität war sein Vater ein Jahr lang in Spanien gewesen, wo er Sebastians Mutter kennengelernt hatte. Sie studierte Kunst und jobbte nebenbei in einer Bar. Als sie erfuhren, dass Sebastian auf dem Weg war, hatten sie sofort geheiratet. Am Tag der Trauung hatte Sebastians Großvater seinem Sohn den Zugang zu dessen Treuhandfonds gesperrt, und auch die Geburt seines Enkels hatte an dieser harten Haltung nichts ändern können.

Das junge Paar hatte nicht nur unter Geldmangel gelitten, Sebastians Vater hatte auch immer wieder mit Heimweh zu kämpfen. Um die Familienbande zu stärken, war er immer wieder mit seinem kleinen Sohn für ein paar Tage in das Haus am Cheyne Walk zurückgekehrt. Doch schon als Kleinkind hatte Sebastian unter dem kühlen Verhalten seiner Großeltern gelitten.

Als Sebastian neun Jahre alt war, musste er vier lange Monate in London verbringen und dort eine Privatschule für Jungen besuchen. Sein Großvater hatte seinem Vater angeboten, ihm im Gegenzug die letzten Gebühren für sein Pädagogikstudium zu finanzieren. Aber nur, wenn Sebastians Mutter darauf verzichtete, ihren Sohn nach London zu begleiten.

Es war ein traumatisches Erlebnis für Sebastian gewesen. Im Haus seines Großvaters hatte er sich nie wohlgefühlt, denn dieser führte ein strenges Regiment. Der Junge ging auf Zehenspitzen durchs Haus und versuchte, die strengen Regeln seines Großvaters zu befolgen, meist jedoch ohne Erfolg. Im Grunde hatte er sich dort immer ungeliebt und nicht willkommen gefühlt.

Als Sebastian erwachsen wurde, hatte er beruflich seine eigenen Wege eingeschlagen und sich schon bald in der Finanzwelt einen Namen gemacht. Seine Berufswahl hatte auch damit zu tun, dass Sebastian schon früh beschlossen hatte, sich nie von seinem einflussreichen Großvater abhängig zu machen.

Bis dahin hatten die Bürde des Familiennamens und die Last der Verantwortung auf den Schultern seines Onkels gelegen, sein Vater war als jüngerer Sohn immer nur ein potenzieller Erbe zweiter Klasse gewesen. Doch dann waren beide völlig unerwartet kurz nacheinander gestorben. Damit war Sebastian zum einzigen Erben geworden, auch wenn er selbst es sich anders gewünscht hätte. Vor sechs Monaten war sein Großvater gestorben, und nun stand nichts mehr zwischen ihm und dem Familienbesitz – und dem Titel.

Das alles behagte ihm ganz und gar nicht. Am liebsten hätte er auf den Titel verzichtet, das große Haus verkauft und ein unabhängiges Leben geführt. Nur sein stark ausgeprägtes Pflichtgefühl hielt ihn davon ab. Er hatte das Gefühl, es seinem Vater und seinem Onkel zu schulden, die Familientraditionen weiterzuführen.

In diesem Moment klopfte es an der Tür.

„Herein!“, rief er.

Vor ihm stand Kitty Clements, und obwohl sie in ihren Leggins und den Sneakers alles andere als glamourös wirkte, erschien sie ihm hübscher als jede Frau, die er bisher getroffen hatte.

„Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie mit allem zufrieden sind“, sagte sie. „Denn wenn nicht …“

Tatsächlich war der Umzug in das große Haus am Cheyne Walk längst nicht so traumatisch gewesen, wie Sebastian gefürchtet hatte, was einzig und allein der Kompetenz von Kitty und Claudia zu verdanken war. Besonders Kitty hatte es ihm angetan. Ihr goldenes Haar und ihre hellen Augen schienen auch noch in den letzten Winkel des düsteren Hauses Licht zu bringen. Und der warme Klang ihres Lachens verbannte die Erinnerungen an die harschen Worte seines Großvaters.

„Sie haben einen wunderbaren Job gemacht“, sagte er und meinte es auch so. „Einfach perfekt. Alles ist am richtigen Platz, genau wie ich es haben wollte. Sie glauben gar nicht, wie dankbar ich Ihnen dafür bin.“

Sie lächelte ihn erfreut an. „Vielen Dank! Ich wusste ja, wie wichtig Ihnen das war. Um ehrlich zu sein, das Ganze war eine Herausforderung, hat aber auch Spaß gemacht.“

„Das freut mich“, erwiderte er, auch wenn er sich noch immer nicht vorstellen konnte, das Packen Spaß machte.

„Heute Nachmittag müssten wir mit allem fertig sein“, fügte sie hinzu. „Bitte lassen Sie mich wissen, ob wir sonst noch irgendetwas für Sie tun können.“

Kitty würde also bald weg sein. Natürlich, ihr Job war beendet, und doch … Fieberhaft überlegte Sebastian, ob er ihren Aufenthalt in seinem Haus nicht irgendwie noch verlängern könnte.

Sie sah auf ihre Uhr. „Mir ist sehr daran gelegen, dass wir heute pünktlich aufhören.“

Musste sie etwa nach Hause? Und wer wartete dort auf sie – ein Ehemann? Oder hatte sie Kinder? Bei diesem Gedanken schnürte sich Sebastians Brust zusammen.

Er wusste nur eins: Mit Kitty würde auch das Licht verschwinden, und er würde sich wieder allein mit den Schatten der Vergangenheit herumschlagen müssen.

Nach zwei Jahren in diesem Job wusste Kitty, dass ein Umzug auch immer etwas Trauriges hatte. Oft verließen ihre Kunden ihre ehemaligen Wohnungen ja nicht freiwillig, sondern weil es wegen einer Kündigung oder Scheidung nötig wurde. Außerdem mussten sie sich entscheiden, was sie mitnehmen und wovon sie sich trennen wollten, was ebenfalls nicht so leicht war.

Andererseits war der Einzug in eine neue Wohnung oft sehr aufregend, denn damit begann stets ein neuer Lebensabschnitt.

Bei Sebastian Delfont traf dies allerdings nicht zu. Sein neues Domizil am Cheyne Walk war zweifellos eins der imposantesten Häuser, die Kitty je gesehen hatte. Und früher, als sie noch in der PR-Branche tätig gewesen war, hatte sie einige große Residenzen gesehen, in denen sie gedreht oder ein Fotoshooting gemacht hatten. Sebastians vierstöckige Stadtvilla war mehr als luxuriös mit den hohen Decken, den ausladenden Treppen und den riesigen Räumen, voll mit wertvollen Antiquitäten. Es lag direkt an der Themse und rühmte sich der Adresse London SW3, dem Stadtviertel mit den meisten Millionären.

Aber in den letzten zwei Tagen, die sie damit verbracht hatte, das Haus einzurichten, hatte sie nicht den Eindruck gehabt, als würde ihr Kunde sich über den Umzug besonders freuen. Im Gegenteil, er wirkte regelrecht deprimiert. Das konnte Kitty einfach nicht verstehen. Hatte er denn keine Ahnung, wie die meisten Leute lebten? Und wie privilegiert er war? Ihre gesamte Mietwohnung in Camberwell hätte locker in einen der Salons gepasst.

Seit dem Tag ihrer ersten Begegnung war sie neugierig auf ihn geworden. Aber war Sebastian Delfont einfach nur verwöhnt, oder steckte hinter seiner Fassade noch etwas anderes? Jedenfalls behandelte er Claudia und sie ausgesprochen gut, hatte sogar Kaffee und Tee in der großen altmodischen Küche für sie organisiert, was längst nicht alle Kunden taten.

Sie stand ihm in der renovierten Bibliothek, dem einzigen Raum, der neu gestaltet worden war, gegenüber, nachdem er geprüft hatte, ob die Bücher in der richtigen Reihenfolge eingeordnet worden waren.

„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte sie ihn. „Wenn ich richtig informiert bin, werden morgen die Leute kommen, die Ihre Bilder aufhängen.“

Er nickte. „Ja, stimmt. Normalerweise würde ich das selbst machen, aber das Hängen von Bildern ist eine Kunst für sich.“

„Da haben Sie recht.“

Kitty machte eine kleine Pause. Sie wusste, dass sie eigentlich nicht mit ihm plaudern sollte, aber sie konnte einfach nicht anders. Sebastian faszinierte sie auf eine Art und Weise, die sie sich nicht erklären konnte. Eigentlich schade, dass der Abschied kurz bevorstand! Wenn sie mit ihrer Arbeit hier fertig war, würden sie sich nicht wiedersehen, denn sie bewegte sich nicht in den gesellschaftlichen Kreisen der Menschen, die am Cheyne Walk wohnten.

Sie zeigte auf die Bilder, die Claudia und sie gegen die Wand gelehnt hatten.

„Ich liebe diese Gemälde. Sie bringen so viel Farbe in dieses Haus, einen Hauch von Mittelmeer.“

„Ja, das stimmt. Es sind Bilder von Mallorca.“

„Wunderschön!“

„Das finde ich auch.“

Sie holte tief Luft und nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Mir ist aufgefallen, dass Sie eine Menge Bücher von Marisol Matthew haben. Meine Großmutter hat Liebesromane geliebt, sie war ihre Lieblingsautorin. Sind Sie auch ein Fan von ihr?“

„Könnte man so sagen“, erwiderte er trocken.

Sie sah ihn überrascht an. „Kannten Sie sie etwa?“

Sebastian nickte. „Marisol Matthew war meine Mutter.“

Kitty war so verblüfft, dass sie ihn mit offenem Mund anstarrte.

„Ihre Mutter? Ich … ich hatte keine Ahnung“

„Woher auch?“, gab er zurück. „Ihre wahre Identität wurde immer geheim gehalten.“

Kitty wusste, dass die Autorin vor ein paar Jahren gestorben war. Ihre Großmutter war deswegen sehr traurig gewesen, weil es jetzt keine neuen Bücher mehr von ihr geben würde.

Sebastian sah sie an und lächelte. Plötzlich wurde Kitty klar, dass sie ihn zum ersten Mal lächeln sah. Es war zwar nicht mehr als das Zucken seiner Mundwinkel, aber es erhellte seine grauen Augen und ließ seinen Gesichtsausdruck weniger streng wirken. Dadurch wirkte er noch attraktiver, und ein leiser Schauer rieselte durch ihren Körper.

„Ich bin sehr stolz auf sie“, sagte er. „Oder eigentlich auf meine beiden Eltern, denn mein Vater hat ihr bei ihren Büchern immer zur Seite gestanden. Sie hatte die Idee zu einer Geschichte, und er hat ihr bei der Figurenzeichnung und mit ihrem Englisch geholfen, schließlich war das nicht ihre Muttersprache. Ihr Name war Maria, und seiner Matthew. Marisol ist eine Kombination aus Maria und sol, dem spanischen Wort für Sonne.“

„Dann war sie also Spanierin?“ Kein Wunder, dass sie so wundervoll über diese umwerfenden spanischen Helden hatte schreiben können.

Er nickte. „Ja, das war sie.“ Sein Lächeln vertiefte sich.

„Und Ihr Vater war Engländer?“

„Ja, sein Name war Matthew Delfont.“

Dabei hätte sie es eigentlich belassen sollen. Aber ihre Neugier wurde mit jeder Minute stärker, die sie mit diesem umwerfenden Mann verbrachte.

„Haben Ihre Eltern hier gelebt?“

„Nein, zuletzt hat bloß noch mein Großvater hier gelebt.“

„Und Sie?“

Er schüttelte den Kopf. „Nur für kurze Zeit.“

Das klang etwas brüsk, deshalb sagte Kitty lieber nichts und wartete, bis Sebastian weitersprach.

„Er ist vor sechs Monaten gestorben und hat mir die Villa vermacht.“

„Verstehe“, erwiderte sie verblüfft, denn irgendwie hatte sie das Gefühl, als hätte er ihr nicht alles gesagt.

„Wir hatten nicht das allerbeste Verhältnis“, setzte Sebastian hinzu. „Er war ein ziemlicher Tyrann.“

Ein Tyrann? Kittys eigener Großvater war freundlich und einfühlsam. Sie konnte sich nicht einmal vorstellen, wie es sein mochte, einen Tyrannen als Opa zu haben und hätte am liebsten noch mehr über Sebastians faszinierende Familie erfahren. Aber ihr war klar, dass Claudia jeden Moment auftauchen konnte und sie dann diesen Job abgewickelt haben mussten. Daher wechselte sie schnell das Thema.

„Haben Sie eigentlich schon Ihr Personal zusammen?“

„Nein, nach dem Tod meines Großvaters haben die meisten von ihnen gekündigt.“

Sie sah ihn erstaunt an. „Ach ja? Haben Sie nicht gesagt, Ihr Großvater wäre ein Tyrann gewesen?“

„Ja, aber was auch immer seine Fehler waren, seine Angestellten waren ihm gegenüber immer loyal. Außerdem wollten einige in Rente gehen. Die Haushälterin war hier, solange ich denken kann, ein richtiger Dinosaurier.“

Sie lachte. „Wahrscheinlich hat Ihr Großvater sie gut bezahlt.“

Sebastian nickte. „Ja, sie bekamen alle ein ordentliches Gehalt, und er hat sich auch um ihre Altersvorsorge gekümmert.“

Dann brauchte er jetzt also neue Angestellte. Vielleicht konnte sie ihm in dieser Hinsicht weiterhelfen.

„Ich kann Ihnen ‚Maids in Chelsea‘ empfehlen“, sagte sie nach kurzem Überlegen. „Das ist eine erstklassige Agentur. Sie haben tolle Leute mit ausgezeichneten Referenzen.“

„Danke, das werde ich mir merken.“

Kitty sah auf ihre Uhr. „Also, wenn es sonst nichts mehr gibt, werde ich jetzt den letzten Check machen. Vielen Dank noch mal für diesen Auftrag. Es hat uns großen Spaß gemacht!“ Sie würde Sebastian Delfont nicht so schnell vergessen.

„Sie haben all meine Erwartungen übertroffen“, erklärte er.

Kitty sah ihn an, und für einen langen Moment trafen sich ihre Blicke. Interessierte er sich etwa auch für sie? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen!

„Ich werde alle Bücher von Marisol Matthew noch einmal lesen“, sagte sie spontan. „Meine Großmutter wäre bestimmt entzückt gewesen, wenn ich ihr gesagt hätte, dass ich den Sohn der Autorin kennengelernt habe.“

„Und meine Mutter wäre entzückt darüber gewesen, einen so treuen Fan zu haben. Dann haben Sie die Bücher Ihrer Großmutter also noch bei sich zu Hause?“

Sie nickte. „Ich wohne bei meinem Großvater.“

„Sie sind nicht verheiratet?“

Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. „Äh … nein.“ Das würde so schnell auch nicht passieren, nach dem Desaster mit Neil.

„Keine Kinder?“

„Nein.“ Schließlich war sie erst achtundzwanzig, hatte also noch ein bisschen Zeit. „Und Sie? Sind Sie verheiratet?“

„Nein“, erwiderte Sebastian. „Ich bin an niemanden gebunden.“

Plötzlich hing eine Spannung in der Luft, die ihr den Atem raubte. Hatte er etwa vor, mit ihr auszugehen? Aber das war unmöglich. Sie durfte sich mit keinem Kunden einlassen, egal, wie attraktiv er war.

„Der Grund für meine Frage ist …“

O Gott, diese Stimme! So tief und so sexy.

Kitty hielt den Atem an. „Ja?“

„Nun, ich brauche unbedingt eine Haushälterin, und ich habe das Gefühl, als wären Sie perfekt für diesen Job. Daher würde ich Ihnen diese Stelle gern anbieten. Was sagen Sie dazu?“

3. KAPITEL

Sebastian glaubte, seine spontane Idee, Kitty Clements den Job als Haushälterin anzubieten, wäre großartig. Denn natürlich würde er Hilfe brauchen, um die Villa zu managen, und sie erschien ihm tatsächlich als die ideale Besetzung für diese Aufgabe. Doch kaum hatte er ihr das Angebot gemacht, kamen ihm sofort Zweifel. Hoffentlich hatte er sie damit nicht beleidigt.

Kitty riss die blauen Augen weit auf. „Ich soll bei Ihnen als Haushälterin arbeiten? Wie kommen Sie nur darauf? Dafür bin ich doch überhaupt nicht qualifiziert. Sie sollten mal sehen, wie unordentlich meine Wohnung aussieht. Ich bin schon mehrmals dazu gezwungen gewesen, mir neue Dessous zu kaufen, weil ich mit dem Waschen nicht hinterhergekommen bin. Okay, das Thema möchte ich jetzt lieber nicht weiterspinnen.“

Ein Glück! Der Gedanke an ihre Dessous machte Sebastian nämlich ziemlich nervös.

„Was für Fähigkeiten muss eine Haushälterin Ihrer Meinung nach denn mitbringen?“, fragte er sie.

Sie zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung. Ich hatte nie das Glück, eine zu haben.“

„Ich auch nicht“, erwiderte er wahrheitsgemäß.

„Ach nein? Aber Sie haben doch gerade erzählt, dass Sie hier …“

Er nickte. „Ja, das war die Haushälterin meines Großvaters. Ich habe mich immer bemüht, ihr aus dem Weg zu gehen, und sie hat auch nie Zweifel daran gelassen, dass ich ihr als kleiner Junge gehörig auf die Nerven gegangen bin. Ich hatte eine Riesenangst vor ihr.“

„Und Ihre Eltern?“

„Meine Eltern hätten sich nie im Leben eine Haushälterin leisten können. Sie müssen wissen, dass sie sehr jung geheiratet haben, gegen den erklärten Willen meines Großvaters. Zu Beginn ihrer Ehe hatten sie es finanziell sehr schwer. Meine Mutter hat immer darauf bestanden, dass mein Vater und ich ihr im Haushalt helfen.“

„Wie in jeder normalen Familie auch“, sagte Kitty, und er hatte das Gefühl, als würde sie ihn plötzlich mit anderen Augen sehen. „Aber was ist mit Ihrem Apartment in den Docklands? Dort hätte man ja vom Boden essen können, so sauber war es.“

Sebastian nickte. „Ja, das hat ein professionelles Team von Putzhilfen erledigt. Sehr effizient und völlig anonym.“

„Die Küche sah auch nicht so aus, als wäre sie häufig benutzt worden“, meint sie skeptisch.

Er zuckte mit den Achseln. „Warum hätte ich kochen sollen? In dieser Gegend wimmelt es nur so von Restaurants, und meist habe ich mir etwas zu essen bestellt.“

„Genau wie in Chelsea“, sagte sie. „Hier gibt es auch ein Restaurant neben dem anderen.“

„Ja, aber mein Leben wird ganz anders sein als in den Docklands. Hier habe ich viel mehr gesellschaftliche Verpflichtungen, das erwartet man einfach bei meiner Position. Außerdem muss die Villa auch modernisiert werden, sie ist ziemlich verstaubt, finden Sie nicht auch?“

Kitty nickte. „Ja, das ist mir auch aufgefallen.“

„Was würden Sie mit diesem Haus machen?“, fragte er sie unerwartet.

„Ich?“ Sie sah ihn überrascht an. „Aber ich bin doch keine Innendekorateurin!“

„Egal, in Ihrer Branche kommen Sie doch bestimmt viel rum und haben daher Vergleichsmöglichkeiten.“

Sie dachte einen Moment lang nach und holte dann tief Luft. „Also, dies hier ist eins der schönsten Häuser, das ich je gesehen habe. Deshalb würde ich es auch nicht auf Teufel komm raus modernisieren, es würde seinen ganzen Charme verlieren. Aber ich würde zum Beispiel die schweren Samtvorhänge durch hellere, leichtere austauschen. Und auch die Tapeten könnten heller und freundlicher sein, genau wie die Teppiche. Das würde schon einen großen Unterschied machen.“

„Ja, aber wie sollte ich das angehen?“

Sebastian hatte tatsächlich keine Ahnung, wie er das machen sollte. Das Apartment in den Docklands war brandneu gewesen, als er eingezogen war. Er hatte nur ein paar Möbel reinstellen und dafür sorgen müssen, dass seine Besitztümer alle am richtigen Platz waren. Davon abgesehen, hatte er nichts groß verändert, denn er wollte sich prinzipiell weder an Orte noch an Menschen binden. Als Kind waren er und seine Eltern öfters umgezogen, und obwohl er als Erwachsener mehr Kontrolle über sein Leben hatte, wahrte er immer eine gewisse Distanz zu seiner Umgebung. Das hatte auch seine Exverlobte Lavinia ihm oft vorgeworfen, es war einer der Punkte gewesen, über die sie häufig gestritten hatten.

Kitty lachte. „Ganz einfach – Sie müssen nur einen guten Innenarchitekten engagieren, der die Geschichte des Hauses respektiert. Meiner Meinung nach müssten eigentlich nur die Küche und die Badezimmer modernisiert werden, den Rest würde ich so lassen, wie es ist.“

„Verstehe. Sie meinen, ich sollte dem Haus meinen Stempel aufdrücken, ja?“

„Ja, genau. Und den Geist Ihres tyrannischen Großvaters dadurch vertreiben.“

„Gute Idee!“

„Dabei könnte ich Ihnen übrigens helfen“, schlug sie vor. „Wir könnten eine Räucherzeremonie machen und die bösen Geister dadurch vertreiben.“

Er grinste. „Das klingt toll!“

„Man braucht dazu nur ein bisschen Salbei, glaube ich.“ Kitty sah erneut auf ihre Uhr, und Sebastian merkte, dass er Panik bekam bei dem Gedanken, dass sie ihn verlassen würde. Natürlich hätte er sie zum Essen einladen können, doch irgendwie fühlte sich das für ihn nicht richtig an. Die Anziehung, die sie auf ihn ausstrahlte, überraschte ihn selbst, auch wenn es in den Büchern seiner Mutter von Liebe auf den ersten Blick nur so wimmelte. Aber das war eben Literatur, und nicht das wirkliche Leben.

Sebastian war in punkto Beziehung ziemlich zynisch geworden. Er hatte seine Lektion von Lavinia gelernt. Sein Onkel, der gern Partys feierte, hatte ihm damals die hübsche Brünette vorgestellt, und er hatte sich gleich Hals über Kopf in sie verliebt. Dass sie noch andere Motive haben könnte, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen. Und als sie dann plötzlich verlobt waren, war es zu spät gewesen.

Daher misstraute er auch der plötzlichen Anziehung, die er für Kitty empfand.

„Vielleicht brauche ich ja auch gar keine Haushälterin“, sagte er nachdenklich. „Sondern eher jemanden, der meinen Haushalt managt.“

Sie nickte. „Ja, aber Sie brauchen auf jeden Fall jemanden, der ihre Bäder putzt und für Sie kocht. Beides gehört nicht gerade zu meinen Spezialitäten, müssen Sie wissen. Aber ich könnte Ihnen dabei helfen, eine Köchin und eine Putzfrau zu engagieren.“

„Und einen Gärtner. Aber vor allem diese Innenarchitektin, die Sie schon erwähnt haben.“

Sie sah ihn abschätzig an. „Und Sie glauben, ich könnte die Person sein, die Sie dabei unterstützt?“

„Ja, davon bin ich fest überzeugt. Ich habe doch gesehen, wie organisiert und effizient Sie sind.“

„Kann schon sein, aber ich weiß absolut nichts über Ihre Bedürfnisse.“

„Meine Bedürfnisse?“ Plötzlich zuckte ein verbotener Gedanke durch sein Hirn, der nichts mit Möbeln oder Tapeten zu tun hatte. Kitty schien dasselbe zu denken, denn sie errötete leicht.

Interessant.

„Äh … ich meine natürlich, was die Villa betrifft“, korrigierte sie sich schnell. „Aber wie dem auch sei, das Ganze ist irrelevant, denn schließlich habe ich ja mein eigenes Business. Daher kann ich leider auch nicht Ihre Haushaltsmanagerin sein.“

In diesem Moment betrat Claudia das Zimmer. Offenbar hatte sie die letzten Worte gehört, denn die beiden Frauen tauschten einen Blick miteinander, den Sebastian nicht deuten konnte.

Kittys Partnerin räusperte sich. „Habe ich da richtig gehört? Haben Sie Kitty einen Job angeboten?“

„Nein“, sagte Kitty schnell.

„Ja“, sagte Sebastian im selben Moment. „Ich brauche jemanden, der mir bei der Haushaltsplanung hilft, und ich bin bereit, mehr als das normale Gehalt dafür zu bezahlen. Was sagen Sie dazu?“

Je länger er darüber nachdachte, desto mehr schien ihm das die ideale Lösung für all seine Probleme zu sein. Denn obwohl er Kitty noch nicht lange kannte, vertraute er ihr, und das passierte Sebastian so gut wie nie.

Kitty sah Sebastian unschlüssig an. In Wahrheit war sie ein bisschen enttäuscht darüber, dass er ihr nicht angeboten hatte, sie auszuführen. Stattdessen wollte er, dass sie für ihn arbeitete, womit er ihr indirekt ihren Platz zuwies, und zwar im unteren Bereich der sozialen Leiter. War das nicht typisch für Leute aus der Oberschicht?

Wenn sie sein Angebot annehmen würde, würde sie ihm damit Macht über sich geben, denn er wäre ihr Arbeitgeber. Und sie hatte ja gerade eine sehr schlechte Erfahrung mit einem Mann gemacht, der seine berufliche Position ausgenutzt hatte, um ihr zu schaden. Nur deshalb hatte sie die Möglichkeit, durch die Firma mit Claudia endlich ihre eigene Chefin zu sein, ja auch so willkommen geheißen.

Sie holte tief Luft und sagte: „Ihr Angebot ehrt mich, und Ihnen bei der Renovierung und Einrichtung dieser Villa zu helfen, ist auf jeden Fall eine reizvolle Aufgabe. Aber eigentlich möchte ich nicht mehr angestellt sein, und außerdem haben Claudia und ich genug mit unserer Firma zu tun.“

„Gut, aber wie wäre es dann, wenn wir den Job befristen würden?“, sagte Sebastian, der sich anscheinend nicht so schnell von seinem Plan abbringen ließ. „Sagen wir mal auf sechs Wochen, mit einer Option auf zwei Wochen Verlängerung, wenn nötig?“

Dann nannte er eine Summe für das Gehalt, die so hoch war, dass Kitty einen Moment lang ganz schwindelig wurde. Sofort fiel ihr ein, dass sie das Extrageld gut gebrauchen konnte. Denn ihr Großvater war vor einer Woche von der Leiter gefallen und hatte sich das Bein gebrochen. Jetzt war er in der Reha, und sie hatte überlegt, das Bad zu renovieren, um es seniorengerechter zu machen. Mit dem, was Sebastian ihr anbot, dürfte das kein Problem mehr sein.

„Also, ich glaube, ich könnte dich für sechs Wochen entbehren“, meinte Claudia und sah Kitty ermutigend an.

Die Vorstellung, etwas Kreativeres machen zu können, als immer nur zu packen, war durchaus verlockend. Außerdem würde wohl keiner erwarten, dass Kathryn Clements, die notorische Verführerin eines unschuldigen verheirateten Mannes, plötzlich als Haushaltsmanagerin in einem der nobelsten Viertel Londons arbeitete!

Kitty hoffte noch immer, dass sie eines Tages ihren Namen reinwaschen konnte. Vielleicht gab es ja auch noch andere Opfer von Edmund Blaine. Eines Tages würde er seine gerechte Strafe für sein schändliches Verhalten bekommen, davon war sie fest überzeugt.

Sie wandte sich zu Sebastian. „Wenn – und das ist ein großes Wenn – ich diesen Job annehme, könnte ich dann trotzdem nach der Arbeit noch die Buchhaltung für PWP machen?“

„Wir reden über ganz normale Arbeitszeiten“, erwiderte er. „Wenn Sie danach noch etwas für Ihre eigene Firma machen wollen, sehe ich darin kein Problem.“

„Stellen Sie sich vor, dass Kitty in dieser Zeit bei Ihnen wohnt?“, wollte Claudia wissen.

„Im obersten Stockwerk gibt es eine Wohnung für die Haushälterin“, erwiderte er. „Oder sie bezieht das Gästezimmer im Erdgeschoss mit einem eigenen Bad.“

Claudia nickte und sagte zustimmend: „Also, ich finde, das ist eine großartige Idee. Kitty, du hast mir doch selbst erzählt, wie viel Dreck und Unordnung die Renovierung im Haus deines Großvaters machen wird. Daher wäre doch jetzt der perfekte Zeitpunkt, woanders zu wohnen.“

Sechs Wochen mietfrei in einer Villa am Cheyne Walk leben, einer der begehrtesten Adressen in ganz London? Sie sollte die Gelegenheit ergreifen. Aber sechs Wochen an der Seite eines so attraktiven Mannes wie Sebastian Delfont arbeiten? Das könnte gefährlich werden. Es sei denn, er betrachtete sie nur als eine Angestellte.

„Ich würde es gern eine Nacht überschlafen“, sagte Kitty betont sachlich.

Aber ihre Augen leuchteten.

4. KAPITEL

Am nächsten Morgen stand Kitty vor den marmornen Stufen von Sebastians Haus. Es war Ende Oktober und so kalt, dass sie ihren Atem sehen konnte. Die ganze Nacht hatte sie nicht schlafen können, weil sie nur an sein Angebot gedacht hatte. Heute würde sie ihm ihre Antwort geben. In diesem Moment erschien ein Fahrradkurier neben ihr, und sie nickte ihm zu.

„Kann ich Ihnen Ihr Paket vielleicht abnehmen?“, bot sie ihm an.

Er schüttelte den Kopf. „Danke, sehr nett von Ihnen, aber das hier sind juristische Dokumente, die vom Empfänger persönlich unterzeichnet werden müssen.“ Er sah noch einmal auf die Adresse. „Sir Sebastian Delfont.“

Kittys Mund wurde trocken. „Sir Sebastian?“

„Ja, hier in der Gegend wohnen eine Menge Sirs und Ladys. Wollen Sie ihn auch treffen?“

„Ja, ich habe ein Bewerbungsgespräch bei ihm.“

„Viel Glück!“

In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und Sebastian stand vor ihr – Sir Sebastian. Er trug erneut Schwarz, eine maßgeschneiderte Hose und ein tailliertes Hemd, das seine breiten Schultern betonte. Bei seinem Anblick fing ihr Herz heftig zu pochen an.

Gefahr.

„Schön, dass Sie da sind, Kitty!“ Dann wandte er sich an den Kurier, der ihm einen großen Umschlag aushändigte und wartete, bis Sebastian – Sir Sebastian – die Dokumente unterzeichnet hatte. Danach nickte der Kurier beiden noch einmal zu, stieg auf sein Rad und fuhr davon.

Kitty merkte plötzlich, dass sie fröstelte. Vielleicht wegen der Kälte, vielleicht aber auch aus Beklemmung.

„Kommen Sie rein, hier draußen ist es viel zu kalt!“, forderte er sie auf.

Wohlige Wärme umfing sie, als sie ins Foyer trat, und Kitty hatte das Gefühl, als würde das alte Haus sie willkommen heißen. Wenn auch nur als Mitglied des Personals und nicht als Sebastians Gast, wie sie sich schnell wieder ins Gedächtnis rief.

Er half ihr aus dem Mantel. Bei dem engen Kontakt erschauerte Kitty erneut, aber nicht, weil sie fror. Hoffentlich bemerkte Sebastian nichts!

„Bestimmt wird Ihnen gleich ganz warm werden“, versprach er ihr. „Schließlich haben wir eine Zentralheizung.“

Glück gehabt! Sie nickte. „Danke, sehr nett von Ihnen, Sir Sebastian.“

Er erstarrte, den blauen Mantel noch über dem Arm. „Es fühlt sich komisch an, wenn Sie mich so nennen“, sagte er. „An diesen Titel muss ich mich erst noch gewöhnen.“

„Ach, wirklich?“ Sie fragte sich, warum er seinen Titel bei den Verhandlungen mit Claudia und ihr nie erwähnt hatte.

Sebastian hängte den Mantel in den Garderobenschrank und wandte sich ihr dann wieder zu.

„Mein Großvater war Sir Cyril. Eigentlich hätte der Titel an meinen Onkel als Erstgeborenen oder an meinen Vater, seinen jüngeren Bruder, gehen sollen. Leider sind beide sehr früh verstorben, daher habe ich ihn geerbt.“ Er zuckte mit den Schultern. „Er ist mein Geburtsrecht und geht zurück auf einen Vorfahren, der ein Vermögen mit Eisenbahnen gemacht hat. Weil er sein Leben lang das Parlament unterstützt hat, hat man ihm schließlich den Titel eines Baronets verliehen.“

Kitty nickte. Durch ihre Arbeit in der PR-Branche kannte sie sich im britischen Adelssystem ganz gut aus. Soweit sie wusste, lag ein Baronet vom Rang her unter einem Baron und über dem eines Ritters.

„Verstehe“, sagte sie langsam. Sebastian war in eine sehr privilegierte Position hineingeboren worden, während ihre Vorfahren ganz normale, hart arbeitende Leute gewesen waren. „Mir ist die Plakette neben der Eingangstür aufgefallen, zu Ehren von John Delfont, dem Landschaftsmaler aus dem neunzehnten Jahrhundert.“

Sebastian nickte. „Ja, es gibt anscheinend zwei Zweige in der Familie meines Vaters. Die meisten Delfonts haben sich dem Geldverdienen verschrieben, aber hin und wieder gab es auch einen Künstler, so wie John Delfont oder meine Großtante Betty, die in den Fünfzigerjahren ein bekannter Musicalstar war. Dieser Richtung gehört natürlich auch mein Vater an, mit dem Marisol Matthew Duo.“

„Und Sie?“, fragte Kitty neugierig. „Welchem Zweig schlagen Sie nach?“

Er lachte. „Oh, ich gehöre eindeutig zum monetären Zweig. Und glücklicherweise habe ich das sehr früh erkannt.“ Seine Augen verdunkelten sich. „Ich möchte nie wieder arm sein, wie ich es als Kind war, oder von jemandem wie meinem Großvater abhängig sein.“

Er zeigte auf die Porträts, die rechts von der großen Wendeltreppe an der Wand hingen. „Wissen Sie, mir ist schon klar, dass ich von all diesen Leuten abstamme. Trotzdem komme ich mir oft wie ein Hochstapler vor.“

„So sehen Sie aber gar nicht aus!“ Die Worte waren ihr entschlüpft, bevor sie sie zurücknehmen konnte.

Sebastian runzelte die Stirn. „Was wollen Sie damit sagen?“

„Dass Sie … Dass Sie aussehen wie ein Gentleman.“ Am liebsten hätte sie ihm auch ein Kompliment über sein attraktives Äußeres gemacht, doch sie wollte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, als würde sie mit ihm flirten.

Er ging nicht weiter darauf ein. „Wie dem auch sei, jedenfalls ist mir klar, dass ich Hilfe brauche, wenn ich meine Rolle so ausfüllen will, wie man es von mir erwartet. Es war ja eigentlich nicht vorgesehen, dass ich den Titel erbe! Und da kommen Sie ins Spiel, Kitty. Haben Sie über mein Angebot nachgedacht?“

Er wirkte in diesem Moment sehr verletzlich, und das ging ihr zu Herzen.

Natürlich wollte sie ihn unterstützen, aber sie wusste auch, dass sie vorsichtig sein und ihr Herz schützen musste.

Kitty blieb zwei Schritte von der Tür entfernt im Raum stehen, als ob sie selbst nicht wüsste, ob sie hier sein wollte oder nicht. Sebastian musste sie immer wieder anschauen, denn in dem schicken Wickelkleid und den High Heels wirkte sie ganz anders als die Frau, die gestern noch in Leggins und Firmenshirt seine Sachen zusammengepackt hatte. Heute war sie dezent geschminkt, und sein Blick blieb erneut an ihren vollen Lippen hängen. Sie hatte das Haar zum Knoten aufgesteckt, und er erwischte sich bei dem verrückten Wunsch, die Haarklammern herauszuziehen, damit es ihr locker auf die Schultern fallen konnte.

„Ich habe gründlich über Ihr Angebot nachgedacht“, sagte sie unvermutet ernst.

„Und?“ Gespannt auf ihre Antwort, hielt er den Atem an, obwohl er selbst nicht wusste, warum sie so wichtig für ihn war.

„Ich habe Interesse. Aber bevor wir in die Details gehen, gibt es etwas, was Sie über mich wissen müssen.“

„Etwas Schlimmes?“, fragte er scherzend, denn er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es irgendetwas Schlimmes über Kitty Clements zu wissen gab.

Sie sah ihn nur an. „Ja“, erwiderte sie schlicht.

Diese Antwort hatte Sebastian nicht erwartet, deshalb wusste er auch nicht, wie er darauf reagieren sollte. Wenn sie etwas Schlimmes getan hatte, wollte er es am liebsten gar nicht wissen. Aber als ihr Arbeitgeber würde er es wohl erfahren müssen.

„Gut, dann schießen Sie los.“

Er führte sie in den kleinen Salon, das Lieblingszimmer seiner Großmutter. Es war der femininste Raum im ganzen Haus, wo seine Großmutter ihm manchmal ein paar Pfund zugesteckt hatte, wenn sein Großvater nicht da war. Lady Enid hatte ihn zwar auch nicht gerade mit Zuneigung überschüttet, aber einmal war sie zu einer seiner Partys erschienen, und er hatte sich darüber gewundert, wie lebenslustig und locker seine Großmutter sein konnte, wenn ihr Ehemann nicht dabei war. Sie hatten zusammen gelacht und sogar getanzt, und es hatte Sebastian traurig gemacht, dass sie sich ansonsten so sehr von seinem Großvater dominieren ließ.

Erst auf der Beerdigung seines Onkels hatten sie sich wiedergesehen. Die alte Dame war untröstlich gewesen … Später hatte sie noch einmal Kontakt mit ihm aufgenommen, bevor sie kurz danach einem schweren Herzanfall erlegen war.

Kitty ließ sich auf dem blaugelben, mit Chintz bezogenen Sofa nieder, und Sebastian nahm ihr gegenüber Platz. Auf dem kleinen Tischchen zwischen ihnen stand eine leere Vase, und ihm fiel plötzlich auf, dass zu Lebzeiten seiner Großmutter immer Blumen darin gewesen waren. Jetzt war Kittys Parfum der einzige Duft, der ihm in die Nase stieg, süß und blumig.

Kitty beugte sich vor, wobei er einen kurzen Blick auf ihren Ausschnitt erhaschte. Er schluckte.

„Dann erzählen Sie mir doch mal von der schlimmen Sache, die Sie getan haben“, sagte er trocken und fragte sich im Stillen, ob er sich von ihrem offenen Wesen etwa hatte blenden lassen.

Sie holte tief Luft. „Es geht nicht um das, was ich getan habe, außer dass ich vielleicht ein bisschen naiv war. Sondern darum, was mir angetan wurde. Haben Sie eigentlich im Netz über mich recherchiert?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, nicht persönlich, nur über Ihre Packfirma PWP. Ihre Referenzen waren ausgezeichnet, mehr brauchte ich nicht zu wissen.“

„Dann wussten Sie also nicht, dass ich vor PWP für Blaine und Ball Communications gearbeitet habe?“

„Die PR-Firma?“

Sie nickte. „Damals hieß ich auch nicht Kitty, sondern Kathryn, weil mir das erwachsener und professioneller schien.“

Aber nicht so süß, dachte Sebastian sofort.

„Nach meinem Abschluss an der Uni habe ich dort ein Praktikum gemacht und hatte es mit vielen berühmten Leuten zu tun. Aber wir haben auch PR für Start-ups gemacht, deren Mittel finanziell beschränkt waren, sodass wir uns etwas Kreatives einfallen lassen mussten.“

„Klingt nach einer ziemlichen Herausforderung.“

„Ja, das war es auch, aber ich habe die Arbeit geliebt und war mir ganz sicher, dass ich in dieser Branche Karriere machen würde.“ Sie stockte, und er merkte, dass ihr das Sprechen nicht leichtfiel. „Nach ein paar Jahren hatte ich mich dann bis nach oben hochgearbeitet, mein direkter Vorgesetzter war einer der Vorstandsmitglieder, Edmund Blaine. Er war sehr charismatisch, hatte einen ausgezeichneten Ruf als PR-Guru und wurde schließlich mein Mentor. Das bedeutete, wir verbrachten eine Menge Zeit miteinander. Ich …“ Sie brach ab, und ihre Stimme zitterte. „Ich konnte mein Glück kaum fassen, dass er überhaupt von mir Notiz nahm.“

Sebastian ballte die Hände zu Fäusten, denn er ahnte schon, was jetzt kommen würde. „Er hat Ihnen nachgestellt?“

Sie nickte. „Zuerst habe ich es gar nicht bemerkt, aber dann fiel mir auf, wie nervös ich immer wurde, wenn wir im selben Raum waren. Auch seine Kommentare wurden immer persönlicher. Er machte vermehrt sexuelle Anspielungen auf eine Art und Weise, die ich gar nicht lustig fand. Aber ich war ja noch immer in einer untergeordneten Position, und die Macht lag bei ihm.“

„Haben Sie sich beschwert?“

„Bei ihm? Nein, dazu war ich viel zu eingeschüchtert. Ich habe mit der Personalchefin gesprochen, weil ich hoffte, sie würde mich verstehen. Aber sie meinte nur, so wäre er eben, und ich sollte ihm einfach keine Beachtung schenken.“

Sebastian fluchte laut. „Sind Sie ihrem Rat gefolgt?“

„Ich habe versucht, ihm aus dem Weg zu gehen, doch das war nicht so einfach.“ Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. „Dann habe ich eines Abends bis nach Feierabend gearbeitet und viel zu spät gemerkt, dass außer uns keiner mehr auf der Büroetage war. Er rief mich unter einem Vorwand zu sich, zog mich auf seinen Schoß und … und sagte mir ganz direkt, was er wollte.“ Sie erschauerte und holte tief Luft. „Einen Moment lang war ich so schockiert, dass ich mich nicht gewehrt habe, aber dann habe ich versucht, mich zu befreien. Doch er hat mich festgehalten und hat ... Er hat versucht, mich sexuell zu nötigen.“

„So ein Schwein!“

Kitty nickte. „Natürlich habe ich mich darauf nicht eingelassen, ich habe laut geschrien und versucht, zu entkommen. Aber er hat mir die Hand auf den Mund gehalten und mich mit der anderen Hand befummelt. Doch als er sich dann an dem Reißverschluss seiner Hose zu schaffen machte, habe ich ihm ganz fest gegen das Schienbein getreten und mich befreit. Als ich aus dem Zimmer gerannt bin, hat er mir noch hinterhergerufen, dass mir sowieso niemand glauben würde.“ Ihre Stimme brach. „Und genauso war es auch.“

„Das tut mir sehr leid“, sagte Sebastian betroffen. Er wusste, wie unzureichend diese Worte waren. Kittys Schmerz, ihr Unglaube, ihr Entsetzen über das, was ihr zugestoßen war, waren ihr deutlich anzusehen. „Ich glaube Ihnen.“

Sie hob den Kopf und sah ihn an. „Wirklich?“

„Natürlich. Warum sollten Sie etwas erfinden?“

„Ich wünschte, die anderen hätten mir auch geglaubt.“ Ihre Stimme klang bitter. „Am nächsten Morgen habe ich den Vorfall gemeldet, aber niemand hat mir geglaubt. Alle haben ihm seine Version abgenommen, weil er einflussreicher und mächtiger war als ich.“

„Das ist schrecklich“, sagte Sebastian erschüttert. „Aber warum mussten Sie mir das erzählen?“

„Weil das noch nicht das Ende ist. Irgendwie bekamen die Medien Wind davon, und ich wurde als üble Person bezeichnet, die nur Ärger macht und versucht hat, einen glücklich verheirateten Mann zu verführen. Ich habe meinen Job verloren, alle Türen fielen zu. Niemand aus der Branche wollte mich engagieren. Wenn Sie mich unter dem Namen Kathryn Clements googeln, werden Sie die fürchterlichsten Artikel über mich finden. Und dann überlegen Sie es sich vielleicht noch einmal, bevor Sie mich einstellen.“

Sebastian sah sie ungläubig an. „Wie bitte? Denken Sie etwa, ich würde mich von der Boulevardpresse beeinflussen lassen?“

Kitty blieb stumm.

„Meine Entscheidung steht fest. Man hat Sie schlecht behandelt, und es wird Zeit, dass Ihnen Gerechtigkeit widerfährt.“

„Vielen Dank“, erwiderte sie aufatmend. „Meine einzige Hoffnung besteht darin, dass die Wahrheit irgendwann ans Licht kommen wird. Vielleicht bin ich nicht die Einzige, die er angegriffen hat …“

Er beugte sich vor. „Wenn Sie die Stelle in meinem Haus annehmen, verspreche ich Ihnen, dass Sie hier sicher sind.“

Sie sah ihn an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Das bedeutet mir wirklich sehr viel. Und ich nehme Ihr Angebot gern an.“

Eine Welle der Erleichterung überwältigte Sebastian, und erst da erkannte er, wie sehr er sich gewünscht hatte, dass Kitty Ja sagte.

„Ausgezeichnet. Wann können Sie anfangen?“

5. KAPITEL

„Danke, aber ich kann meine Taschen selbst tragen“, sagte Kitty zu Sebastian am Montagmorgen, nachdem sie das Wochenende bei ihrem Großvater in Kent verbracht hatte.

Er schüttelte den Kopf und nahm sie ihr ab. „Kommt gar nicht infrage. Das geht gegen meine Ehre als Gentleman.“

Sie lächelte ihn an. „Tut mir leid, doch das geht gegen meine Ehre als unabhängige junge Frau.“

Er zögerte und nickte. „Gut, wie Sie wünschen.“

„Danke“, erwiderte sie. Einen langen Moment an trafen sich ihre Blicke, und sie las in seinen Augen ein solches Verständnis und Mitgefühl, dass es sie mitten ins Herz traf.

Verwirrt schlug sie die Augen nieder.

„Folgen Sie mir.“ Er führte sie zu dem kleinen Aufzug mitten im Foyer, der sie nach oben zu dem Apartment brachte, in dem die frühere Haushälterin gewohnt hatte.

„Ach, wie hübsch“, meinte Kitty und sah sich staunend um. Die Blümchentapete, die cremefarbenen Vorhänge und die einfachen, aber eleganten Holzmöbel ließen es sehr wohnlich und gemütlich erscheinen. Außerdem hatte sie aus dem Fenster einen wunderbaren Blick auf die Straßen von Chelsea.

„Freut mich, dass es Ihnen gefällt“, meinte Sebastian. „Das Apartment ist vor Kurzem noch renoviert worden. Wie ich Ihnen ja schon sagte, hat mein Großvater die Leute, die für ihn gearbeitet haben, sehr gut behandelt.“

Nur seinen Enkel nicht, dachte sie.

Das Schlafzimmer war in Hellblau gehalten, und auch das geräumige Bad und die Küchenzeile sagten Kitty sehr zu.

Nie im Leben hätte sie es sich leisten können, in Chelsea zu wohnen. Sie hatte an den Wochenenden frei, und obwohl sie bestimmt oft ihren Großvater besuchen würde, würde sie sicher noch Zeit haben, diesen exklusiven Stadtteil Londons zu erforschen.

„Außerdem haben Sie im Erdgeschoss noch ein eigenes Büro“, setzte er hinzu und sah auf seine Uhr. „Wie siehts aus, möchten Sie vielleicht in einer halben Stunde herunterkommen?“

„Warum nicht sofort?“, gab sie zurück. „Auspacken kann ich auch später noch. Am besten, wir machen uns gleich an die Arbeit. Schließlich engagieren Sie mich nur für sechs Wochen.“

„Mir gefällt Ihre Haltung“, sagte er und wandte sich zur Tür.

„Einen Moment noch, ich muss nur meinen Laptop holen“, sagte sie schnell. „Damit ich mir Notizen machen kann.“

Ihr Arbeitszimmer war einst das Zimmer seiner Großmutter gewesen. Im Gegensatz zum restlichen düsteren Haus herrschten hier Pastellfarben vor. Alles wirkte freundlich und einladend, und Kitty konnte es kaum erwarten, mit ihrem Job zu beginnen.

„Was genau hat Ihre Großmutter denn hier gemacht? Und wie hieß sie eigentlich?“

„Lady Enid.“

„Ja, genau. Was hat Lady Enid hier getan?“

Er zuckte mit den Achseln. „Also, ich weiß es gar nicht so genau. Bestimmt hat sie den Haushalt von hier aus gemanagt, und dann saß sie auch noch im Vorstand verschiedener Wohltätigkeitsorganisationen. Sie war nämlich selbst eine reiche Erbin und kam aus einem sehr vermögenden Elternhaus. Seit sie vor einem Jahr gestorben ist, hat sich niemand um ihre Stiftung gekümmert. Diese Aufgabe fällt jetzt mir zu.“

Kitty sah ihn fragend an. „Das ist bestimmt nicht ganz einfach.“

„Aber schließlich ist es für einen guten Zweck. Mein Großvater saß im Vorstand verschiedener Firmen, und jetzt muss ich mich auch da entscheiden, welche seiner Tätigkeiten ich übernehmen will.“

Erneut fiel ihr auf, dass er nicht besonders scharf darauf zu sein schien. Doch schließlich ging sie das nichts an.

„So, und jetzt zeigen Sie mir bitte, wo ich anfangen soll“, sagte sie munter.

„Gern. Vorher aber noch eines – Sie haben doch diese Rauchzeremonie erwähnt. Ich habe mir das im Internet angeschaut und wäre durchaus offen dafür.“

Kitty starrte ihn erstaunt an. „Im Ernst?“

Er nickte.

„Um die Präsenz des Tyrannen zu verbannen?“

„Exakt.“

Sebastian meinte es durchaus ernst. Bei der Beerdigung seiner Mutter hatte seine verstörte Großmutter, seine abuela, gesagt, sie glaube, dass ein Fluch auf den Delfonts läge. Denn warum waren seine Eltern so jung gestorben? Und warum hatten sie nur ein Kind?

Als sein Vater bei einem Bootsunfall ums Leben kam, war seine Mutter am Boden zerstört gewesen. Danach hatte sie sich völlig vom Leben zurückgezogen und war sechs Monate später an einem Herzanfall gestorben. Aber seine abuela schwor, dass sie an gebrochenem Herzen gestorben war, weil sie den Mann verloren hatte, den sie geliebt hatte, seit sie achtzehn war.

Auch für Sebastian war es schwer gewesen. Als vor eineinhalb Jahren auch noch sein Onkel Oliver durch eine Lawine ums Leben gekommen war, hatte er angefangen, die Möglichkeit eines Fluchs für durchaus möglich zu halten.

„Gut, ich kümmere mich darum“, erwiderte Kitty, ohne eine Miene zu verziehen. „Doch bis dahin sollten wir mit der Renovierung beginnen.“

Sebastian nickte. „Ich zeige Ihnen als Erstes das Esszimmer. Dort hat Lady Enid jedes Jahr eine Dinnerparty für den Vorstand ihrer Stiftung und deren Partner gegeben. Diese Tradition würde ich gern wiederaufnehmen.“

Bei seinem letzten Gespräch mit seiner Großmutter hatte diese ihn gebeten, sich mehr für die Stiftung zu engagieren, die vor allem Organisationen unterstützte, die sich der Heilung kranker Kinder widmeten. Jetzt, da seine beiden Großeltern tot waren, lag es an ihm, diese Arbeit fortzuführen.

Kitty sah sich staunend in dem großen Raum um. Die massiven Möbel waren aus Rosenholz, an der Decke hing ein prächtiger Kronleuchter. Auch hier gab es schwere Samtvorhänge, die Wände waren in einem tiefen Dunkelrot gestrichen. Aus den hohen Fenstern hatte man einen schönen Blick auf den Garten und den Springbrunnen.

„Das ist ein großartiger Ort für eine Dinnerparty“, erklärte sie mit leuchtenden Augen.

„Aber auch ein bisschen bedrückend, finden Sie nicht?“

Sebastian schauderte noch im Nachhinein, als er daran dachte, wie sein strenger Großvater ihn beim Essen immer gemaßregelt hatte.

Sie nickte. „Ja, es ist alles ein bisschen düster. Doch das lässt sich leicht ändern. Wie ich Ihnen schon gesagt habe, bin ich keine Innenarchitektin. Aber Evelyn Lim ist eine der Besten ihres Fachs, ich kenne sie persönlich und kann sie Ihnen nur wärmstens ans Herz legen. Möchten Sie, dass ich sie kontaktiere?“

„Ja, bitte. Ich möchte in zwei Wochen eine Dinnerparty geben. Glauben Sie, sie könnte in dieser kurzen Zeit etwas bewirken?“

Sie lächelte. „Wahrscheinlich können Sie sich gar nicht vorstellen, was sich mit genügend Geld alles machen lässt.“

„Und woher wissen Sie das alles?“

Sie zuckte mit den Achseln. „Ach, in der PR-Branche trifft man alle möglichen Leute.“

Etwa einen Vorgesetzten, der einem nachstellt, dachte Sebastian und schwor sich, Kitty gegenüber nie die Trennungslinie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin zu überschreiten.

Sie machte sich ein paar Notizen auf ihrem Laptop und schlug dann vor, sich die Küche anzusehen.

In Sebastians Kindheit war die Köchin der einzige Mensch gewesen, der freundlich zu ihm war. Nach der Schule flüchtete er sich immer zu ihr, und sie gab ihm einen Snack oder ließ ihn etwas probieren. Das würde er ihr nie vergessen.

Auch hier war alles wie früher – der Boden war schwarz-weiß gekachelt, es gab einen riesigen alten Eisenherd und einen großen Holztisch in der Mitte.

Kitty sah sich alles genauer an. „Die Haushaltsgeräte sind aber neueren Datums, oder?“

Sebastian nickte. „Ja, das ist richtig. Ich mag diesen Raum genau so, wie er ist.“

„Ich auch, er ist wunderbar viktorianisch und gemütlich. Man meint, all die köstlichen Speisen, die hier zubereitet wurden, förmlich riechen zu können. Was dachten Sie eigentlich in Bezug auf die Köchin? Möchten Sie jemanden fest engagieren, oder soll ich mich lieber nach einer guten Cateringfirma umschauen für die formellen Essen, die Sie hier geben wollen?“

„Darüber muss ich noch nachdenken. Vielleicht wäre eine Köchin für den Anfang gar nicht verkehrt, dann wären Sie auch versorgt!“

„Oh, mich brauchen Sie nicht zu berücksichtigen“, sagte Kitty hastig. „Oben in meinem Apartment gibt es eine Küchenzeile, das reicht mir völlig.“

„Kann schon sein“, erwiderte Sebastian. „Trotzdem wird sich bestimmt die eine oder andere Gelegenheit ergeben, hier im Haus gemeinsam zu essen!“

„Gut, wie Sie meinen“, stotterte sie und wurde ein bisschen rot. „Ich werde auf jeden Fall die Maids in Chelsea anrufen. Wegen der Küchensituation, aber auch wegen des anderen Personals, das Sie benötigen.“

Sebastian wartete einen Moment, bevor er weitersprach. Ihm war klar, dass er seine folgenden Worte sorgsam wählen musste, um nicht missverstanden zu werden.

„Bevor Sie mit der Inneneinrichterin sprechen, würde ich Ihnen gern noch ein weiteres Zimmer zeigen, nämlich das Hauptschlafzimmer. Ich fürchte, es muss komplett neu gestaltet werden.“

Er stöhnte innerlich auf. Wenn er gedanklich Kitty mit einem Schlafzimmer in Verbindung brachte, führte das in eine völlig verkehrte Richtung!

6. KAPITEL

Als Kitty das große holzgeschnitzte Himmelbett mitten im Schlafzimmer sah, blieb sie wie gebannt stehen. Sebastian stand direkt hinter ihr. Ungebetene Bilder von ihm drängten sich ihr auf, wie er nackt in diesem Bett lag und sie aufforderte, sich zu ihm zu legen. Die Vorstellung war so mächtig, dass sie ihr fast real erschien.

Was, zum Teufel, war nur mit ihr los? Ihre Libido, die so lange wie erstarrt gewesen war, schlug anscheinend Purzelbäume. Sebastian hatte ihr keinen Grund für diese Fantasien geliefert. Er hatte sie nicht berührt oder gar geküsst. Und doch …

Abrupt drehte sie sich um, um nicht mehr den Blick auf das Bett zu haben, das ein solches Verlangen in ihr auslöste. Verlangen auf einen Mann, den sie nicht haben konnte. Prompt stieß sie mit ihm zusammen, und einen Moment lang lag ihre Hand auf seiner breiten Brust. Sein herber männlicher Duft stieg ihr in die Nase, und sie errötete.

„Sorry“, stammelte sie und trat einen Schritt zurück.

„Sorry“, erwiderte er schnell und wich ebenfalls zurück.

Wie unglaublich peinlich!

Schließlich war er ihr Boss, wenn auch nur vorübergehend. Und sie durfte auch nicht vergessen, dass sie aus völlig anderen Welten kamen. Welten, die einander nicht berührten. Außerdem kam für sie eine Affäre mit einem der begehrtesten Junggesellen Londons sowieso nicht infrage, und das nicht nur wegen ihrer Vergangenheit.

Kitty entfernte sich einen weiteren Schritt von ihrem Boss und versuchte, sich zu sammeln.

„Sie haben recht, dieses Zimmer muss unbedingt renoviert werden“, sagte sie betont sachlich. „Es wirkt unglaublich düster, mit den dunklen Wandfarben und den schweren Holzmöbeln.“

Er nickte. „Ja, das sehe ich genauso. Deshalb habe ich auch noch nie hier geschlafen.“

„Ach nein? Ich dachte, das wäre Ihr Schlafzimmer.“

„Nein, dieses Zimmer war das Schlafzimmer meines Großvaters.“

Deshalb wirkte es auch so altmodisch.

„Wie ein Museum, oder?“, fragte er, als ob er ihre Gedanken lesen konnte. „Aber immerhin hat es ein großes Badezimmer, und das angrenzende Ankleidezimmer ist auch nicht zu verachten. Dazu kommt noch dieser fantastische Blick auf die Themse. Das Schlafzimmer meiner Großmutter ist übrigens direkt nebenan.“

„Nun, ich bin sicher, wenn es uns gelingt, Evelyn Lim zu engagieren, wird sie hieraus bestimmt ein wunderschönes Zimmer machen, das ganz Ihrem Geschmack entspricht.“

Hoffentlich wollte er es nicht im gleichen Stil halten wie sein Schlafzimmer in den Docklands, wo alles in dunklem Grau gestrichen war. Das funktionierte gut in einem modernen Apartment, aber nicht in einer historischen Villa.

Er nickte. „Klingt gut. Vielleicht sollten wir uns heute Nachmittag noch einmal genauer über meine Vorlieben und Abneigungen unterhalten. Sagen wir um drei Uhr in meinem Arbeitszimmer?“

„Prima, wir haben ein Date.“ Kitty errötete erneut und verhaspelte sich. „Natürlich kein Date, so habe ich das nicht gemeint. Einen Termin, wollte ich sagen.“

„Ich weiß, was Sie sagen wollten“, erwiderte Sebastian, und sie hatte das Gefühl, als könnte er sich nur schwer das Lachen verkneifen. „Gut, dann also bis später!“

Als Kittys Freundin Claudia sie in der Mittagspause anrief, um zu fragen, wie ihr erster Tag mit Sir Sebastian bisher verlaufen war, konnte sie nur erwidern: „So weit, so gut.“

Nicht einmal ihrer besten Freundin hätte sie gestehen wollen, dass sie erotische Fantasien über ihn hatte. In der Nähe eines so attraktiven Mannes zu sein, löste in ihr offenbar Wünsche und Sehnsüchte aus, die schon viel zu lange in ihr geschlummert hatten. Seit zwei Jahren hatte sich Kitty keinen einzigen Flirt mehr erlaubt!

Unwillkürlich musste sie an das Desaster mit ihrem Freund Neil denken. Sie hatten sich kennengelernt, als sie beide ein Praktikum bei Blaine und Ball absolviert hatten. Er war zwar extrem ehrgeizig, doch es machte Spaß, mit ihm zusammen zu sein, außerdem sah er ziemlich gut aus. Im Nachhinein dachte Kitty aber, dass er sich nur deshalb mit ihr eingelassen hatte, weil sich auch andere Männer aus der Firma für sie interessiert hatten und er als eine Art Sieger dastehen wollte.

Von jetzt auf nachher befand sie sich in einem Strudel von Partys und Freizeitaktivitäten, und als ihre Mitbewohnerin auszog, schien es ihr nur natürlich, dass sie und Neil zusammenzogen. Sie hatten lange Gespräche über ihre Zukunft, daher ging sie auch davon aus, dass sie sich bald verloben würden. Natürlich entging ihr nicht, dass Neil immer ein Auge auf andere Frauen hatte, doch dass er ihr treu war, bezweifelte sie nicht. Am Ende war es sein Ehrgeiz, der ihre Beziehung killte und sie am Boden zerstört zurückließ – enttäuscht, verbittert und betrogen.

Um Punkt fünfzehn Uhr saß sie mit ihrem noblen Chef in seinem Arbeitszimmer. Sie bewunderte die Bilder von Mallorca an den Wänden und war froh, dass der Schreibtisch eine gewisse Distanz zwischen ihnen schaffte.

„Ich habe ein paar gute Neuigkeiten“, begann sie. „Evelyn Lim ist interessiert, und sie hat auch Zeit, was ein wirklicher Glückfall ist. Wenn Sie möchten, können Sie sie morgen früh treffen. Passt Ihnen das?“

Sebastian nickte. „Ja, das ist super. Aber ich möchte, dass Sie ebenfalls dabei sind.“

„Wie Sie wünschen. Was die Küchensituation angeht, hätte ich einen ziemlich unorthodoxen Vorschlag.“

„Nämlich?“

„Ich habe zwei exzellente junge Köchinnen gefunden, die infrage kämen. Beide haben Kinder und würden sich den Job daher gern teilen, wenn das möglich ist.“

„Halten Sie das denn für praktikabel?“

Kitty nickte. „Ja, wie sie ihre Kinderbetreuung organisieren, würde ich ihnen überlassen. Sie wissen beide, dass es hier nur um das Mittag- und das Abendessen geht, und dass sie manchmal auch für eine größere Dinnergesellschaft kochen müssten. Möchten Sie sie vielleicht kennenlernen?“

„Nein, nicht nötig. Das überlasse ich Ihnen.“

Da war sie schon wieder, diese Gleichgültigkeit von ihm. Am liebsten hätte sie Sebastian geschüttelt. Wenn sie selbst die Möglichkeit gehabt hätte, eine Köchin für sich zu engagieren, hätte sie einen Freudentanz aufgeführt.

„Danke für Ihr Vertrauen. Aber mir wäre es lieber, wenn Sie die Entscheidung treffen würden. Warum lassen wir sie nicht beide mal zur Probe kochen? Dann können Sie sehen, ob es Ihnen schmeckt. Ich habe sie bereits gefragt. Alice könnte morgen kommen und Josie übermorgen. Passt Ihnen das?“

„Ich lege all das in Ihre fähigen Hände.“

Fähige Hände? Bestimmt hatte er es als Kompliment gemeint. So sah er sie also? Als fähige Angestellte? Das hatte absolut nichts mit ihren Fantasien zu tun.

„Eine gute Haushälterin zu finden, könnte länger dauern“, fuhr sie fort. „Aber außer den Maids in Chelsea habe ich noch eine andere sehr gute Agentur für Haushaltspersonal angefragt. Sobald wir eine Haushälterin gefunden haben, kann sie uns dann auch mit dem restlichen Personal helfen.“

„Wunderbar! Es ist unglaublich, was Sie in nur einem Tag zustande gebracht haben.“

„Danke“, erwiderte Kitty und freute sich insgeheim über sein Lob.

Sebastian lächelte sie an. „Ich danke Ihnen. Sie übertreffen all meine Erwartungen.“

„Das hört man gerne“, sagte sie verlegen und setzte hastig hinzu: „Jetzt brauchen wir nur noch einen guten Gärtner. Leider kenne ich mich auf diesem Gebiet nicht aus, im Gegensatz zu meinem Großvater. Er liebt seinen Schrebergarten in Kent und verbringt jede freie Minute dort.“

Ob jemand, der so vornehm wie Sebastian war, überhaupt wusste, was ein Schrebergarten war?

„Es gab einmal jemanden, der sich um unseren Garten und um unser Landhaus in Dorset gekümmert hat“, sagte er. „Aber leider ist er nach dem Tod meiner Großmutter in den Ruhestand gegangen und in den Norden gezogen.“

Es gab ein Landhaus in Dorset? Natürlich gab es das.

„Hieß er vielleicht Albert?“, erkundigte sie sich. „Wenn ja, habe ich ein Notizbuch von ihm gefunden, in dem er alles aufgeschrieben hat, was in jeder Jahreszeit im Garten zu tun ist. Darin befinden sich sogar Zeichnungen, ich habe es im Arbeitszimmer von Lady Enid gefunden.“

Sebastian nickte. „Meine Großmutter hat viel von ihm gehalten und ihn auch in ihrem Testament bedacht.“

„Ach ja?“, sagte sie überrascht. „Glauben Sie, sie waren Freunde?“ Oder vielleicht sogar mehr als Freunde?

Er runzelte die Stirn. „Das glaube ich kaum. Die Delfonts freunden sich nicht mit dem Personal an. Das hätte mein Großvater nie zugelassen.“

Okay, damit wusste sie, wo sie hingehörte.

„Verstehe“, erwiderte Kitty knapp.

Sie verstand nur zu gut …

Sebastian erkannte sofort, dass er einen Fehler gemacht hatte, das sah er Kitty deutlich an.

„Bitte entschuldigen Sie, das bezog sich natürlich nur auf die Generation meines Großvaters“, sagte er hastig. „Nicht auf meine.“ Er strich sich frustriert durchs Haar. „Es braucht Zeit, mich daran zu gewöhnen, dass ich der einzige verbliebene Delfont bin. Und mein Großvater ist ganz bestimmt nicht mein Vorbild.“

Als er den Titel angenommen hatte, hatte er sich geschworen, von Anfang an ein anderer Baronet als sein Großvater zu sein, das betraf auch seine Arbeit bei der Stiftung.

„Verstehe“, wiederholte Kitty schmallippig.

Verstand sie es wirklich? Das konnte er sich kaum vorstellen. Dazu hätte er ihr viel mehr über sich erzählen müssen, und dazu war er nicht bereit.

„Keine Frau wird je mit dir zusammenleben wollen!“, hatte seine ehemalige Verlobte Lavinia ihn angeschrien, nachdem er die Verlobung aufgelöst hatte.

Ihrer Meinung nach war er obsessiv, interessierte sich nur für seine Arbeit und war außerdem ein Geizkragen, der sich weigerte, ihren aufwendigen Lebensstil zu finanzieren.

„Du weißt, was jeder Penny wert ist, das steht fest“, hatte sie höhnisch zu ihm gesagt.

Und damit hatte sie gar nicht so unrecht, denn er war in einer Familie aufgewachsen, wo jeder Penny wichtig gewesen war. Doch darüber hinaus hatte Lavinia ihm auch noch vorgeworfen, dass er nicht lieben könnte. Allerdings hatte sie das womöglich auch aus Enttäuschung darüber gesagt, dass aus ihr nun doch keine vermögende Lady wurde …

Er beugte sich vor. „Für mich gehören Sie nicht einfach zum Personal, Kitty. Wir beide haben einen Zeitvertrag miteinander. Und wenn wir danach Freunde sind, würde mich das sehr glücklich machen.“

Eines war sicher, als sie im Schlafzimmer beinahe mit ihm zusammengestoßen war: an Freundschaft hatte er in diesem Moment nicht gedacht. Sie hatte sich so gut angefühlt! Er hatte all seine Willenskraft aufbringen müssen, die Situation nicht auszunutzen. Denn nur zu gern hätte er Kitty in seine Arme geschlossen.

„Äh … Das fände ich auch sehr schön“, erwiderte sie, auch wenn sie nicht besonders überzeugt klang.

Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte Kitty etwas angesprochen, das Sebastian bereits geahnt hatte, als er Lady Enid einmal mit dem Gärtner Albert zusammen gesehen hatte. Zwischen den beiden schien es mehr als nur Freundschaft gegeben zu haben. Seine Großmutter hatte ihm einmal erzählt, dass sie und ihr Mann getrennte Wege gingen und immer gegangen waren, was ihn nicht überraschte. Wie hätte ein so tyrannischer Mann auch zu einer tiefen, partnerschaftlichen Bindung fähig sein können?

Aber was war mit ihm selbst, konnte er sich an jemanden binden? Oder hatte Lavinia recht gehabt, als sie ihm vorgeworfen hatte, dass er nicht lieben könnte?

Er räusperte sich. „Also, was meine Großmutter angeht, glaube ich schon, dass sie Albert als ihren Freund betrachtete, zumal ihre Ehe nicht besonders glücklich war. Vielleicht war ja auch mehr zwischen ihnen, aber davon weiß ich nichts. Denn auch wenn ich der Sohn von Marisol Matthew bin, kenne ich mich mit Romanzen nicht aus.“

Kitty riss die Augen auf. „Also, ich muss schon sagen, je mehr ich über Ihre Familie erfahren, desto faszinierender finde ich sie. Vielleicht könnten Sie eines Tages ja mal ein Buch über sie schreiben?“

Er schnaubte. „Das würde mir bestimmt niemand glauben.“

Außerdem hatte er bereits ein Buch geschrieben, oder eigentlich sogar zwei. Keines über den Fluch, der über seiner Familie hing, sondern dunkle Thriller mit einem gequälten Detektiv als Helden. Beide Manuskripte lagen in seiner Schreibtischschublade, denn seine neuen gesellschaftlichen Pflichten ließen ihm keine Zeit zum Schreiben mehr.

In diesem Moment bekam er eine Textnachricht. „Bitte entschuldigen Sie, ich muss schnell nachschauen.“

„Na klar.“

Nachdem er die Nachricht gelesen hatte, sagte er erleichtert zu Kitty: „Gute Neuigkeiten. Es sieht so aus, als bekäme ich endlich einen Assistenten. Guy Perrint hat jahrelang mit meinem Onkel Oliver zusammengearbeitet und ist genau die Person, die ich brauche. Ich werde ihn gleich zurückrufen und die Einzelheiten mit ihm besprechen.“

„Jetzt gleich?“

„Ja, warum?“

„Weil morgen Evelyn Lim kommt und wir eigentlich heute darüber sprechen wollten.“

„Könnten wir das nicht vielleicht beim Abendessen machen?“

Es war das erste Mal, dass Kitty in seiner Gegenwart in Verlegenheit geriet.

„Ähm … Ich weiß nicht …“, stammelte sie und brach ab.

Er sah sie betroffen an. „Bitte verzeihen Sie, wahrscheinlich kann ich nicht gleich an Ihrem ersten Arbeitstag von Ihnen verlangen, dass Sie Überstunden machen.“

Kitty biss sich auf die Lippe. „Darum geht es nicht. Aber ich … Ich kann nicht riskieren, mit Ihnen in einem Restaurant gesehen zu werden.“ Ihre Wangen röteten sich. „Wie ich Ihnen ja schon gesagt habe, muss ich mich bedeckt halten. Schließlich sind Sie einer der begehrtesten Junggesellen Londons. Wenn die Presse Sie bemerkt, bemerkt sie auch mich.“

Er runzelte die Stirn. „So habe ich mich nie gesehen.“

„Die Außenwelt und die Medien sehen Sie aber so.“

Plötzlich erkannte er, dass sie zitterte. Und er dachte wieder an die hässlichen Geschichten, die er im Netz über Kathryn Clements gelesen hatte.

„Das müssen wir selbstverständlich vermeiden“, sagte er und dachte nach. Dann erhellte sich seine Miene. „Ich habe eine Idee! Wie fänden Sie es, wenn wir eins der ausgezeichneten Restaurants hier in der Gegend anrufen und uns von ihnen etwas liefern lassen?“

Kitty nickte erleichtert. „Ja, das wäre sehr viel besser.“

Er lächelte. „So, nachdem wir das geklärt haben, bin ich an der Reihe, Sie nach Ihren Vorlieben und Abneigungen zu fragen.“

Ungebeten drängten sich ihm Bilder davon auf, was Kitty wohl im Bett mochte und was nicht. Auch wenn sie heute einen dunkelblauen Hosenanzug trug, wirkte sie deshalb nicht weniger weiblich und sinnlich. Am liebsten hätte er ihr das Jackett abgenommen, damit angefangen, ihre Bluse aufzuknöpfen und sie …

Überrascht sah sie ihn an. „Meine Vorlieben?“

Er verbannte die Bilder aus seinem Kopf und räusperte sich. „Was Essen angeht, meine ich natürlich. Was mögen Sie denn? Italienisch? Französisch? Indisch? Vegane Küche?“

„Lassen Sie mich nachdenken“, erwiderte sie hastig.

Ahnte sie etwa, woran er gedacht hatte? Und hatte sie vielleicht sogar dasselbe gedacht?

Das würde er wohl nie erfahren. Denn schließlich hatte Sebastian sich geschworen, die Linie zwischen Arbeitgeber und Angestellter niemals zu überschreiten.

7. KAPITEL

Kitty war froh darüber, dass Sebastian vorgeschlagen hatte, das Dinner in der Küche einzunehmen, dort fand sie es viel gemütlicher als in dem ehrwürdigen Esszimmer. Oder hing es vielleicht damit zusammen, dass die Küche ihr angestammter Platz war? Auf der unteren, nicht auf der oberen Sprosse der sozialen Leiter?

Wobei die Küche ja auch riesig ist, dachte Kitty, als sie an dem großen Tisch aus Eichenholz in der Mitte Platz nahm. Sebastian und sie hatten ihn zusammen gedeckt. Jetzt lag eine blauweiße Tischdecke darauf, und sie hatten das Geschirr genommen, das das Personal jahrelang benutzt hatte. Wie angenehm es war, solch eine alltägliche Arbeit gemeinsam zu erledigen!

Trotzdem konnte Kitty eigentlich immer noch nicht fassen, dass sie gleich das Abendessen in einer großen Villa in Chelsea zusammen mit Sir Sebastian Delfont einnehmen würde. Sie hatte das Gefühl zu träumen und hoffte nur, aus diesem Traum nie aufzuwachen.

Denn sie brauchte ihn nur anzuschauen, und sofort schlug ihr Herz schneller. Sebastian hatte unglaublich sinnliche Lippen, und seinen Dreitagebart fand sie ebenfalls sehr sexy. Bestimmt konnte er gut küssen! Ob Sebastian nicht doch eine Freundin hatte? Kitty verkniff sich nur mit Mühe ein lautes Seufzen.

Eigentlich geht dich das gar nichts an, ermahnte sie sich im Stillen.

Nach längerem Überlegen hatten sie sich für italienisches Essen entschieden. Sebastian hatte erklärt, dass er nie im Leben spanische Speisen aus einem Restaurant bestellen würde, weil sie sich mit Sicherheit nicht mit der Küche seiner abuela messen könnten. Kitty hatte das sehr gut verstanden, denn niemand konnte es mit dem Roastbeef und Yorkshire Pudding ihrer Großmutter aufnehmen. Das war also wenigstens etwas, was sie gemeinsam hatten, auch wenn ihre Welten sonst nicht unterschiedlicher hätten sein können.

Nachdem sie sich die köstlichen Vorspeisen geteilt hatten, nahm Sebastian den Gesprächsfaden wieder auf.

„Warum wohnen Sie eigentlich bei Ihrem Großvater?“, fragte er Kitty.

Überrascht sah sie ihn an und legte das Crostini, in das sie gerade beißen wollte, auf ihren Teller zurück.

„Wieso fragen Sie?“

„Nun ja, in Spanien ist es durchaus üblich, dass mehrere Generationen unter einem Dach leben. Aber Sie sind ja eine sehr attraktive Frau, daher würde es doch naheliegen, dass Sie …“

„Dass ich mit einem Mann zusammenlebe?“

„Ja, genau.“

Sie schüttelte den Kopf. „Das habe ich bereits hinter mir. Und ich habe nicht vor, diese Erfahrung so schnell zu wiederholen.“ Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme bitter klang, wie immer, wenn sie an Neil dachte.

Er nickte. „Verstehe.“

Fand Sebastian sie wirklich attraktiv? Nun, sie fand ihn auch sehr attraktiv, soviel stand fest.

Sie zwang sich zu einem neutralen Ton. „Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen, nachdem meine Eltern gestorben sind, als ich vierzehn war.“

„Oh, das tut mir leid“, erwiderte er betroffen.

Sie zuckte mit den Achseln. „Nach dem Skandal hatte ich keinen Job mehr und konnte auch meine Miete nicht bezahlen. Da lag es nahe, dass ich wieder zu ihnen zog. Und ich fand heraus, dass nicht nur meine Großeltern mir helfen konnten, sondern ich ihnen auch. Deshalb wohne ich immer noch bei meinem Opa.“ Dann wechselte sie das Thema. „Wieso ist italienisches Essen eigentlich so köstlich? Die Vorspeisen würden mir eigentlich schon reichen, mehr brauche ich nicht zum Glück.“

Er lächelte sie an. „Aber dann würden Sie doch die Hauptspeise verpassen, und das wäre echt schade.“

Sein Lächeln ließ Kitty dahinschmelzen. Sie konnte gar nicht anders, als es zu erwidern. Allerdings hoffte sie, dass Sebastian ihr keine weiteren privaten Fragen stellen würde. Denn das Ende ihrer Beziehung mit Neil hatte sie immer noch nicht überwunden. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass ihm sein Job wichtiger gewesen war als sie. Wenn er sie geliebt hätte, wie hätte er da weiter mit dem Mann zusammenarbeiten können, der versucht hatte, Kitty zu missbrauchen?

„Aber der nächste Gang sieht auch gut aus“, setzte er hinzu und zeigte auf die leckeren Tagliatelle Bolognese. Es duftete köstlich, und Kitty lief das Wasser im Mund zusammen.

„Wir haben bisher noch gar nicht über das Treffen mit Evelyn Lim gesprochen“, sagte sie.

„Stimmt. Oder über die beiden Köchinnen.“

„Eins weiß ich jedenfalls jetzt schon – Sie sind kein Kostverächter, Sebastian.“

„Ich liebe gutes Essen! Und Sie?“

„Ist das so wichtig?“

„Natürlich“, gab er zurück. „Denn ich hoffe doch sehr, dass dies nicht das einzige Dinner sein wird, das wir teilen. Wenn ich die beiden Köchinnen einstelle, werde ich sie bitten, jeden Mittag zu kochen, und zwar für alle, die hier arbeiten, also für Sie und für Guy, meinen neuen Assistenten.“

Ah, dann ist das hier für ihn also so etwas wie das Personalessen, dachte Kitty mit einem Anflug von Enttäuschung.

„Nett von Ihnen“, erwiderte sie steif. „Aber ich erwarte nicht …“

„Sie müssen es nicht essen, wenn Sie nicht wollen. Auf jeden Fall besteht aber die Möglichkeit.“

Sebastian war wirklich großzügig. Erneut fragte sie sich, warum er nicht längst verheiratet war. Bestimmt standen die Frauen doch Schlange bei ihm. Andererseits hätte er ihr dann nie im Leben diesen Job angeboten. Denn seine Ehefrau hätte es bestimmt nicht zugelassen, dass er die berüchtigte Kathryn Clements anstellte.

„Wir sollten jetzt wirklich über Ihr Treffen mit der Inneneinrichterin sprechen“, sagte sie. „Denn schließlich haben wir nicht mehr viel Zeit, wenn sie das Esszimmer für das Dinner mit dem Vorstand Ihrer Stiftung renovieren soll.“

Sebastian nickte und gab ihnen beiden eine großzügige Portion Tagliatelle auf den Teller. Nach zwei Löffeln mit Soße hob Kitty die Hand.

Autor

Kandy Shepherd

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