Julia Platin Band 16

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VERSUCHUNG AUF KENDRICK HALL von JESSICA HART
Elegante Kleider, ein herrlicher Landsitz und vornehme Gäste: Pandora hat sich bereit erklärt, für ihren Nachbarn Jay Masterson die Ehefrau zu spielen – zumindest für einige Tage. Nächte der Versuchung beginnen für Pandora, denn sie haben ein gemeinsames Schlafzimmer!

MEIN SEXY NACHBAR von LAURA WRIGHT
Trent muss heiraten, sonst verliert er sein Erbe. Seine unscheinbare Nachbarin wäre die perfekte Kandidatin. Aber wie macht man einer Frau, mit der man noch nie gesprochen hat, einen Heiratsantrag?

NUR FREUNDSCHAFT – ODER LIEBE? von ANNE WEALE
Liz weiß, dass ihr Nachbar ein Frauenheld und Herzensbrecher ist. Seiner erotischen Ausstrahlung kann selbst sie sich kaum entziehen. Eigentlich wollte die schöne Künstlerin in dem südspanischen Dorf ihren Garten Eden finden. Und nun kostet sie fast vom Baum der Versuchung …


  • Erscheinungstag 05.08.2022
  • Bandnummer 16
  • ISBN / Artikelnummer 8005220016
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Jessica Hart, Laura Wright, Anne Weale

JULIA PLATIN BAND 16

1. KAPITEL

„Sie brauchen was?“ Pandora Greenwood traute ihren Ohren nicht. Ungläubig schaute sie Jay Masterson an.

„Ich brauche eine Frau“, wiederholte er ungeduldig.

Argwöhnisch betrachtete sie ihn. Er schien es absolut ernst zu meinen. Die Hände lässig in den Hosentaschen, stand er hoch aufgerichtet vor dem Tisch und sah sie ärgerlich an. Mit Schaudern erinnerte sie sich an ihre erste und bisher einzige Begegnung, als er eine fast schon mörderische Wut auf sie entwickelt hatte. Aber warum kam er dann heute, an diesem regnerischen Junitag, in ihr Atelier und machte ausgerechnet ihr einen Heiratsantrag? Das musste ein Scherz sein. Pandora lächelte unsicher, während sie sich die Hände an einem Stofflappen abwischte. Sie wollte Jay nicht noch weiter reizen, indem sie seinen Sinn für Humor nicht würdigte, aber für ein spontanes Lachen war es jetzt zu spät. „Das meinen Sie nicht ernst!“

Finster schaute er sie an. „Ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt.“

„Aber Sie können mich nicht wirklich heiraten wollen?“, erwiderte sie stockend und sah, wie sich Entsetzen in seinem Gesicht abmalte.

Sie heiraten? Wohl kaum!“

Pandora glaubte, in irgendeinem merkwürdigen Traum gefangen zu sein. Barfuß hatte sie am Tisch gestanden und ihre Schalen bearbeitet und dabei verzweifelt überlegt, wie sie Tausende von Pfund herbeizaubern könnte, als Jay plötzlich aufgetaucht war und ihr erklärt hatte, dass sie ihre erdrückenden Schulden abbezahlen könnte, indem sie seine Frau würde. War der Stress der letzten Tage zu groß gewesen, sodass sie sich jetzt schon Dinge einbildete? „Aber sagten Sie nicht …“

„Ich sagte, ich bräuchte eine Frau. Aber ich sagte nicht, dass ich heiraten wollte. Und schon ganz bestimmt nicht Sie.“

Pandora resignierte. „Es tut mir leid, aber ich verstehe absolut nicht“, gestand sie. „In der einen Minute sagen Sie, Sie möchten, dass ich Sie heirate, und in der nächsten, dass Sie das nicht möchten.“

„Das ist doch ganz einfach“, meinte Jay, von ihrer Begriffsstutzigkeit genervt. „Sie sollen einen Tag meine Frau spielen. Das ist alles.“

„Oh, das ist alles?“, erwiderte Pandora sarkastisch. „Wie dumm von mir, das nicht gleich zu erraten.“ Sie warf den Lappen auf den Tisch, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Aufmerksam beobachtete sie Jay, der gereizt im Atelier auf und ab ging. „Ist es zu viel verlangt, mir zu erklären, warum? Oder ist das auch wieder so offenkundig?“

Jay blieb unvermittelt stehen, als hätte ihn diese scharfe Reaktion überrascht. Pandora sah, wie sich die Falten auf seiner Stirn noch vertieften, und wurde sich angstvoll bewusst, dass sie sich angesichts der Tatsache, dass sie diesem Mann dreißigtausend Pfund schuldete, ihren Sarkasmus besser gespart hätte. Jay betrachtete sie einen Moment finster, stieß dann verärgert den Atem aus und zog sich ebenfalls einen Stuhl heran.

„Na schön“, sagte er ungeduldig, als er sich ihr gegenüber hinsetzte. Er legte die Hände auf den Tisch, verschränkte die Finger ineinander und schaute darauf, während er seine Gedanken ordnete.

Pandora betrachtete ihn nervös. Ihre letzte Begegnung war absolut katastrophal verlaufen, sodass sie außer seinen finster blickenden grauen Augen und seiner furchterregenden Wut nichts wirklich in sich aufgenommen hatte. Und nun schaute sie ihn an, als sähe sie ihn das erste Mal.

Die junge Frau hinter dem Postschalter in Wickworth hatte ihr erzählt, dass er seit Jahren in Afrika arbeite, weshalb sein Teint wohl auch so sonnengebräunt sei und sich um die Augen feine Fältchen gebildet hätten. Er hatte einen vollen, sinnlichen Mund und ein energisches Kinn.

„Sie wissen, dass ich Kendrick Hall von meinem Onkel geerbt habe?“ Jay blickte unvermittelt auf und ertappte sie, wie sie ihn betrachtete.

Pandora errötete. Sie nickte und schaute dann schnell beiseite. „Wie ich gehört habe, wollen Sie das Anwesen verkaufen.“ Auch diese Information hatte sie in der Post aufgeschnappt.

Jay lachte trocken auf. „Ich wünschte, ich könnte. Aber leider ist es ein Fideikommiss. Ich bin zwar der nächste männliche Erbe meines Onkels, kann es aber nur verkaufen, wenn ich erhebliche Anwalts- und Gerichtskosten zahle, um die Fideikommissbindung zu lösen.“

„Warum wohnen Sie nicht einfach dort?“, fragte sie und dachte, dass die meisten Leute sich freuen würden, einen so herrlichen alten Landsitz in Northumbria zu besitzen. „Die Gegend ist bezaubernd.“

„Aber etwas weit entfernt von meinem Arbeitsplatz in Ostafrika.“

„Könnten Sie nicht hier arbeiten?“

„Nein, könnte ich nicht“, antwortete Jay kühl. „Ich bin Bodenbewirtschaftungsberater der mandibischen Regierung und habe den Spezialauftrag, ein ganz neues Ressort für einige landwirtschaftliche Probleme aufzubauen. Mandibia kann einmal ein sehr bedeutendes Land werden, und die Regierung investiert viel Geld und setzt große Hoffnungen in dieses Ressort. Ich habe einige Monate Urlaub bekommen, um die Dinge hier zu regeln. Aber ehrlich gesagt, wäre ich lieber dort, als mich hier um ein riesiges Haus zu kümmern, das ich gar nicht haben will.“

Jay verstummte und schaute Pandora finster an. Ja, dachte sie, ich kann mir gut vorstellen, dass ein Land seine Zukunft einem Mann wie ihm anvertraut. Er wirkte ausgesprochen kompetent und dynamisch und strahlte eine enorme Tüchtigkeit und Durchsetzungskraft aus. So einen Menschen wünschte man sich an seiner Seite, er schien jemand zu sein, der jedes Problem lösen konnte. Aber er war ganz bestimmt nicht der Mann, den man gegen sich aufbringen wollte, indem man eines seiner unbezahlbaren Familienerbstücke kaputt machte.

Mit Schaudern erinnerte sich Pandora an das Fiasko. Aber sie verstand nicht, warum sie diese horrende Summe dadurch zurückzahlen sollte, dass sie vorgab, Jays Frau zu sein. Gedankenverloren betrachtete sie seinen zusammengekniffenen Mund, und plötzlich beschlich sie ein ausgesprochen seltsames Gefühl. Diese ganze Idee war absurd. Absurd und gefährlich und beunruhigend.

„Was hat das alles mit mir zu tun?“, fragte sie mit etwas unsicherer Stimme.

„Dazu komme ich gleich“, antwortete er scharf. „Da ich eine wichtige Aufgabe in Afrika zu erfüllen habe und Kendrick Hall nicht einfach so verkaufen kann, halte ich es für das Beste, ein exklusives Gästehaus daraus zu machen. Man hat mir gesagt, dass ausländische Touristen gut dafür zahlen würden, auf einem Landsitz abzusteigen, auf dem sie wie ganz persönliche Gäste empfangen würden. Außerdem ist das auch leichter und kostensparender, als ein Hotel zu eröffnen. Heute Morgen waren die Direktorinnen einer amerikanischen Agentur da, die solche Reisen organisiert.“ Jay verstummte und zögerte weiterzureden.

„Und?“ Pandora wusste nicht, worauf er hinauswollte.

„Kendrick Hall gefiel ihnen“, antwortete Jay bedächtig. „Natürlich müssen an dem Haus noch erhebliche Renovierungsarbeiten durchgeführt werden, aber sie schienen es für ihre Kunden geeignet zu finden.“ Wieder schwieg er und sah Pandora an. „Es gab da nur ein einziges wirkliches Problem.“

„Und das wäre?“, fragte sie und hatte das ungute Gefühl, dass jetzt sie ins Spiel käme.

„Sie meinten, ihre Kunden würden es vorziehen, wenn ich eine Frau hätte, die als Gastgeberin fungieren könnte.“ Jay schien seine Worte sorgsam auszuwählen. „Wenn das Haus fertig ist, will ich ein Ehepaar einstellen, das sich um die Buchungen kümmert, für die Gäste kocht und so weiter. Leider nahmen Myra und Elaine – die beiden Direktorinnen – an, ich würde selbst als Gastgeber auftreten. Sie wollen, dass sich ihre Kunden so fühlen, als wären sie Gäste der Familie. Als sie herausfanden, dass ich unverheiratet bin, merkte ich, wie ihr Interesse schwand. Aber nachdem ich schon einmal so weit gekommen war, wäre ich verrückt gewesen, einfach aufzugeben. Ich habe ihnen also gesagt, dass ein Missverständnis vorliege und ich sehr wohl verheiratet sei, meine Frau nur momentan nicht hier sei.“

Pandora sah ihn skeptisch an. „Das muss aber etwas merkwürdig geklungen haben.“

Jay zuckte die Schultern. „Ich habe ihnen erklärt, dass wir gerade erst aus Afrika zurückgekommen seien und sie unbedingt ihre Familie besuchen wolle. Sie fanden das sehr verständlich. Allerdings habe ich dann den Fehler begangen zu sagen, dass sie nächste Woche hier sein würde und es schade wäre, dass sie sie nicht kennenlernen könnten.“ Jay seufzte ärgerlich. „Prompt schlug Elaine vor, auf dem Rückweg von Edinburgh noch einmal hier Station zu machen, um Sie kennenzulernen.“

„Mich?“

„Ich habe ihnen erzählt“, fuhr Jay nach kurzem Zögern gelassen fort und sah ihr direkt in die Augen, „dass meine Frau Pandora heiße.“

Pandora fühlte ihr Herz bis zum Hals schlagen. „Was, in aller Welt, hat Sie veranlasst, ihnen meinen Namen zu nennen?“, fragte sie mit hoher Stimme.

Jay wirkte zum ersten Mal verunsichert. „Sie fielen mir gerade so ein“, antwortete er, und ein merkwürdiger Ausdruck trat kurz in seine Augen, als er sich an das Bild von der ausgesprochen schlanken, dunkelhaarigen jungen Frau mit dem herzförmigen Gesicht und den veilchenblauen Augen erinnerte, das er in jenem Moment vor sich gesehen hatte. Doch dann kehrte er in die Wirklichkeit zurück und schaute Pandora missbilligend an. Ihre rechte Wange war tonverschmiert, das lange Haar achtlos nach hinten gebunden, und die alte beigefarbene Strickjacke hatte an beiden Ellbogen Löcher.

„Ich weiß auch nicht, warum ich gerade an Sie gedacht habe“, fuhr er naserümpfend fort. „Sie sind wahrlich nicht meine Idealvorstellung von einer Ehefrau. Aber auf die Schnelle fiel mir kein anderer Name ein.“

„Wie reizend“, erwiderte Pandora leise und fühlte sich irgendwie gekränkt. Sie wollte gar nicht, dass er sie besonders mochte, aber wenn sie schon seine Frau spielen sollte, hätte er sich wirklich etwas zuvorkommender äußern können.

„Na ja“, meinte er dann forsch, „als ich später darüber nachdachte, fand ich meine Idee gar nicht so schlecht. Ich bin erst eine Woche hier und kenne noch niemanden in dieser Gegend, und die einzige andere Frau, die ich fragen könnte, ist momentan in den Staaten. Außerdem sind Sie auch fremd hier – oder haben Sie schon einen Freund, der die Dinge verkompliziert?“ Seinem Ton nach zu schließen, hielt er es für höchst unwahrscheinlich, dass sich ein Mann für eine verschmierte Töpferin mit löchriger Strickjacke interessieren könnte.

Unbewusst zog Pandora die heißgeliebte Jacke enger um sich. „Ich hatte bis jetzt noch keine Zeit, mich umzuschauen“, antwortete sie und wünschte, sie könnte von einer langen Reihe glühender Verehrer reden, wie es die junge Frau bestimmt konnte, die Jay eben angesprochen hatte.

„Nun denn“, sagte er, als wäre die Sache perfekt, und sah auf seine Uhr. „Es ist vielleicht etwas schwerer für Sie, wie eine ganz normale Ehefrau aufzutreten, aber es ist ja nur für vierundzwanzig Stunden, und das dürften selbst Sie schaffen.“

„Können Sie niemand anderen bitten?“, fragte Pandora noch immer verärgert. „Ich habe im Moment sehr viel zu tun.“ Sie zeigte auf die Töpferwaren, die alle noch gebrannt werden mussten. „Ich habe in knapp drei Wochen eine Ausstellung“, erklärte sie nicht ohne Stolz. Jay Masterson sollte ruhig wissen, dass sie gut genug für eine eigene Ausstellung war.

Er zeigte sich unbeeindruckt. „Ich bitte Sie nicht, meine Frau zu spielen, Pandora“, sagte er mit gefährlich leiser Stimme, „sondern ich befehle es Ihnen.“

„Das können Sie nicht!“, protestierte sie und wollte aufstehen, als Jay unverfroren über den Tisch hinweg ihr Handgelenk umfasste. Pandora fühlte seine warmen, starken Finger, und obwohl er keinen Druck ausübte, setzte sie sich wieder hin. Sofort ließ Jay sie los, aber sie meinte, noch immer seine Hand an ihrem Arm zu spüren.

„Und Sie können die dreißigtausend Pfund nicht aufbringen, die Sie mir schulden“, erwiderte er ruhig. „Oder haben Sie das kleine Unglück vergessen?“

Wenn sie das doch nur könnte!

Es war ihre eigene Schuld gewesen, denn sie hatte den Hund von der Leine genommen. Celia hatte sie ausdrücklich gewarnt, ihn nicht in die Gartenanlage von Kendrick Hall zu lassen! Aber nachdem Homer sie über die Feldwege gezerrt hatte und sie endlich wieder in Sichtweite der umgebauten Stallungen angekommen waren, hatte sie ihn – geschafft von dessen ständigem Geziehe – freigegeben und gedacht, er würde zur Haustür laufen, doch stattdessen war er die Auffahrt von Kendrick Hall hinaufgerannt. Vergebens hatte sie die riesige Promenadenmischung von Hund zurückgerufen und war ihr dann gefolgt, nicht ahnend, dass dieser Ausflug ihr Leben völlig verändern würde.

Pandora war nicht sonderlich besorgt, dass Homer großes Unheil anrichten könnte. Seit dem Tod von Eustace Masterson war Kendrick Hall verwaist. Wie es hieß, hatte ein Neffe das Anwesen geerbt, aber der war bis jetzt noch nicht aufgetaucht.

Erstaunt bemerkte sie, dass das Portal offen war, und lief beunruhigt darauf zu, als sie Homer im Haus bellen hörte. „Homer! Bei Fuß!“

Auf der Schwelle zu einer riesigen Halle blieb sie stehen und schaute sich um. Niemand war zu sehen. Erneut ließ sie den Blick durch den Raum schweifen. Die hohen Wände schmückten staubige Geweihe, ausgestopfte Fische und Tierköpfe sowie zahlreiche Waffen. Ein gewaltiger Lüster hing von der Decke, und auf dem gefliesten Boden standen wuchtige Holzmöbel, aufgelockert durch eine alte Ritterrüstung, eine chinesische Vase und einen Baumstamm, um den eine abscheulich realistisch wirkende Pythonschlange gewickelt war. Und inmitten dieser außergewöhnlichen Ansammlung von Gegenständen bellte Homer wütend einen lebensgroßen, ausgestopften Bären an.

„Homer!“, rief Pandora streng und ging auf den Hund zu, der schnell zurückwich und fast mit einem Mann kollidierte, der plötzlich durch eine der hinteren Türen die Halle betreten hatte.

„Was ist denn hier los?“, fragte er zornig.

Flüchtig nahm Pandora den hochgewachsenen dunkelhaarigen Mann wahr, während sie vergeblich versuchte, Homer zu fassen. „Es tut mir leid …“, stieß sie keuchend hervor und richtete sich auf. Verlegen strich sie sich das lange Haar aus dem Gesicht und begegnete dem wütenden Blick aus den stahlgrauen Augen. Pandora schluckte. „Es tut mir leid“, sagte sie erneut und wollte einen Schritt auf Homer zugehen, aber der Fremde kam ihr zuvor. Er griff den Hund am Halsband und befahl ihm, sich zu setzen. Und das tat er zu Pandoras grenzenlosem Erstaunen auch.

„Oh, vielen Dank.“ Sie lächelte den Fremden erleichtert an, doch das zeigte kaum Wirkung auf ihn.

„Wer sind Sie?“, fragte er schroff. „Und was tun Sie in meinem Haus?“

Ihrem Haus? Dann sind Sie Eustace Mastersons Neffe?“

„Ja. Ich bin Jay Masterson“, antwortete er kühl. „Allerdings weiß ich, wer ich bin, aber noch immer nicht, wer Sie sind.“

„Ich heiße Pandora Greenwood.“ Einen Moment überlegte sie, ihm die Hand zu reichen, doch sein Gesichtsausdruck war wenig ermutigend, und so entschied sie sich dagegen. „Wir sind Nachbarn. Ich wohne in den umgebauten Stallungen.“

Jay runzelte die Stirn, schien nicht unbedingt erfreut, eine Nachbarin kennenzulernen. „Der Anwalt sagte mir, dass die Stallungen einem Ehepaar Williams gehörten.“

„John und Celia.“ Sie nickte. „Celia ist meine Patentante. Sie sind zurzeit in Texas, wo John eine Gastprofessur hat. Ich kümmere mich derweil um Homer.“ Sie zeigte auf den struppigen Hund, den Jay noch immer am Halsband festhielt.

„Offenbar nicht allzu erfolgreich.“

Pandora errötete. „Es tut mir leid. Er rannte hierher, bevor ich ihn daran hindern konnte. Ich lasse ihn normalerweise in der Nähe von Kendrick Hall nicht frei herumlaufen.“

„Hoffentlich“, erwiderte er mit einem missbilligenden Blick auf Homer. „Ein herumstreunender Hund hätte mir hier gerade noch gefehlt.“

„Es wird nicht wieder vorkommen“, versprach sie leise und bewegte sich langsam auf die Tür zu.

„Sorgen Sie dafür.“ Jay ließ das Halsband los. „Hier, nehmen Sie ihn lieber an die Leine, bevor er noch etwas anstellt.“

Pandora beugte sich hinunter, aber bevor sie Homer fassen konnte, hatte dieser erneut den Bären hinter ihr entdeckt und sprang bellend davon.

Jay fluchte. „Haben Sie denn überhaupt keine Kontrolle über das Tier?“

„Homer!“, rief sie flehentlich. Doch der Hund machte einen weiteren Satz – direkt in den Ständer mit der chinesischen Vase. Pandora erstarrte zur Salzsäule und sah einen Augenblick schreckensbleich zu, wie das kostbare Stück hin und her schwankte, bevor sie es endlich schaffte, ihre Lähmung abzuschütteln und mit ausgestreckten Armen darauf zuzustürzen. Doch sie kam zu spät, um die Vase aufzufangen, und landete selbst auf allen vieren, genau in dem Moment, als die Kostbarkeit auf dem Steinboden zersprang.

Dann herrschte bedrohliche Stille im Raum. Pandora schloss die Augen und wagte es nicht, sich zu rühren oder zu sprechen.

„Wissen Sie, was Sie getan haben?“, fragte Jay schließlich so grimmig, dass sie zusammenzuckte und die Augen wieder öffnete. Er hockte unweit von ihr auf dem Boden und sammelte mit wütender Miene die größeren Scherben ehrfürchtig ein.

„Es … es tut …“, stammelte sie, und Jay fuhr herum.

„Was? Leid?“, brüllte er.

Sie nickte unglücklich.

„Ihr Hund hat gerade eine dreißigtausend Pfund teure Vase zerbrochen, und das tut Ihnen leid?“

Sie wurde ganz blass. „D…dreißig …“

„Richtig, dreißigtausend Pfund“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. „Erst gestern war ein Händler hier. Ich wollte die Vase verkaufen, um so die Hausrenovierung zu finanzieren. Aber jetzt werde ich wohl nicht mehr viel für sie bekommen, oder?“

Natürlich bot ihm Pandora an, die Summe zurückzuzahlen, ohne jedoch zu wissen, wie. Ihre Töpferarbeiten warfen kaum Gewinn ab, und ihre Eltern zu bitten stand außer Frage. Es war ihnen schon schwer genug gefallen, sie durch die Kunsthochschule zu bringen.

Jay musterte sie genau, registrierte den alten Rock und die abgetragene Strickjacke und kannte ihre finanzielle Situation. Kurz und knapp beschied er ihr, dass er das Ehepaar Williams kontaktieren werde, da Homer ihr Hund sei und sie zumindest ein Haus zu verkaufen hätten. Verzweifelt bat sie ihn, ihr eine Woche Zeit zu geben, damit sie versuchen konnte, das Geld selber aufzutreiben. Sie verdankte ihrer Patentante so viel, da wäre es ein schlechter Lohn, ihr eine solche Forderung aufzuhalsen.

Vier Tage war dieses schreckliche Unglück jetzt her, und obwohl Pandora sich das Hirn zermartert hatte, war ihr noch keine Lösung für ihr Problem eingefallen. Und nun saß Jay vor ihr und erwartete allen Ernstes von ihr, wildfremden Leuten seine Frau vorzuspielen.

„Was ist?“, fragte er hart. „Zahlen Sie Ihre Schulden zurück, oder soll mein Anwalt das Ehepaar Williams anrufen?“

„Ich verstehe Sie richtig“, meinte sie nach kurzem Zögern, „dass Sie die Sache mit der Vase vergessen, wenn ich den beiden Amerikanerinnen gegenüber als Ihre Frau auftrete.“

„Genau.“

„Können Sie es sich denn leisten, eine solche Summe einfach vom Tisch zu wischen?“, erkundigte sie sich, wohl wissend, dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schaute, aber unfähig, ihren Argwohn zu zügeln.

Jay zuckte die Schultern. „Ich habe erst durch den Kunsthändler erfahren, wie wertvoll die Vase war. Der Erlös hätte den Großteil der Renovierungskosten gedeckt. Da ich keine eigenen Mittel in das Haus stecken will, muss es irgendwie für sich selbst aufkommen. Dank Ihnen und Ihrem Hund muss ich nun eben einige Bilder mehr verkaufen, als ich beabsichtigt hatte. Und ich finde ein paar Stunden Ihrer Zeit und Schauspielkunst als Gegenleistung nicht zu viel verlangt, oder? Eine Tasse Tee am Nachmittag, später einen Aperitif, und nach einem Abendessen und ein oder zwei Glas Wein gehen wir ohnehin alle zu Bett. Was ist daran problematisch?“

„In welches Bett Sie gehen!“

„Das also beunruhigt Sie.“ Jay lehnte sich auf dem Stuhl zurück und betrachtete sie süffisant. „Halten Sie das wirklich für einen raffinierten Trick, Sie ins Bett zu bekommen?“

Sein Ton ließ sie erröten. „Natürlich nicht.“

„Dann ist es ja gut. Ich habe im Moment auch Wichtigeres im Kopf als eine dumme, verschmierte und verantwortungslose Frau“, meinte er schneidend, und Pandora errötete umso mehr. „Sie haben vielleicht einen herrlichen Körper unter all den folkloristischen Stofflagen versteckt, aber ich glaube kaum, dass er dreißigtausend Pfund wert ist. Und offen gestanden, interessiert mich das auch nicht. Das Gästehausprojekt ist das Einzige, was mich zurzeit interessiert, denn ich will so schnell wie möglich nach Afrika zurück. Und wenn ich dafür eine Nacht mit Ihnen verbringen muss, tue ich das. Ich bin sicher, dass wir es beide vorziehen, nicht miteinander zu schlafen, aber Myra und Elaine könnten sich wundern, wenn sie ein angeblich glücklich verheiratetes Paar in getrennten Schlafzimmern verschwinden sehen. Und die beiden davon zu überzeugen, ihre Kunden hierherzuschicken, ist mir letztlich wichtiger als Ihr Zartgefühl.“

„Schon gut! Schon gut!“, erwiderte Pandora ärgerlich und stand auf. „Ich habe begriffen, worum es geht.“

„Also tun Sie es?“

„Ich habe ja wohl kaum eine Wahl“, antwortete sie mit einem Anflug von Bitterkeit. „Sie wissen genau, dass ich keine dreißigtausend Pfund auftreiben kann, und John und Celia will ich das nicht aufladen.“

„Warum nicht? Schließlich ist es deren Hund.“

„Ja, aber sie haben ihn mir anvertraut. Die Sache ist die: Ich wollte herausfinden, ob ich als Töpferin Erfolg hätte, hatte aber keinen Ort zum Arbeiten, und so hat Celia mir vorgeschlagen, während ihrer Abwesenheit hier zu wohnen und ihr Atelier zu benutzen und mich um Homer zu kümmern. Sie war es auch, die mich zur Töpferei gebracht hat. Sie hat mich immer ermutigt. Ohne sie wäre ich heute bestimmt nicht so weit. Es wäre ein schlechter Lohn, ihr diese Forderung aufzuhalsen!“

„Daran hätten Sie denken sollen, bevor Sie Homer von der Leine abgemacht haben“, erklärte Jay gefühllos.

„Und Sie hätten an streunende Hunde denken sollen, bevor Sie die Haustür öffneten und dreißigtausend Pfund teure Vasen so ungeschützt herumstehen ließen“, erwiderte Pandora, von ihm provoziert, und blitzte ihn an.

„Ich hatte eigentlich gedacht, Sie wären dankbar, so leicht aus der Sache herauszukommen.“

„Wenn Sie es ‚leicht‘ nennen, das Schlafzimmer mit einem völlig Fremden zu teilen!“

Unvermittelt stand er auf. „Sie können mir auch das Geld geben“, sagte er gleichgültig. „Davon kann ich bestimmt eine gelernte Schauspielerin engagieren.“ Er ging zur Tür.

„Nein“, rief Pandora. Jay drehte sich um und zog fragend die Augenbrauen hoch. „In Ordnung“, erklärte sie etwas mürrisch, „ich tue alles, was Sie wollen.“

„Das klingt schon besser“, meinte er kurz angebunden und kam zurück. „Ich weiß gar nicht, warum Sie so viel Aufhebens darum machen.“

„Das Ganze ist einfach eine so verrückte Idee.“ Nervös strich sie sich über die abgewetzte Jeans und schob die Ärmel ihrer alten Jacke etwas höher, damit die Löcher am Ellbogen nicht so auffielen. „Sie haben selbst gesagt, dass ich gammelig aussähe. Niemand wird glauben, dass ich Ihre Frau bin.“

„Doch, wenn Sie sich ein bisschen herrichten.“ Jay fasste ihre Schultern, um Pandora kritisch zu betrachten. „Sie sind eigentlich eine hübsche junge Frau“, stellte er dann in einem unpersönlichen Ton fest, während er den Blick über ihr seidig schimmerndes langes Haar den schlanken Körper hinuntergleiten ließ. „Tatsächlich könnten Sie ausgesprochen schön sein“, fügte er nachdenklich hinzu, als er ihre klaren Gesichtszüge studierte, „wenn Sie nur ein wenig aus sich machten.“

Pandora merkte, wie ihr heiß wurde. Überdeutlich spürte sie seinen Blick, seine Hände auf ihren Schultern. Sie schienen sie förmlich zu elektrisieren, ihren ganzen Körper unter Strom zu setzen. Starr schaute sie auf seine Wange und vermied es ängstlich, ihn direkt anzusehen.

Bis jetzt war Jay für sie ein Ärgernis gewesen, ein Quell der Entrüstung und Sorge. Doch nun erlebte sie ihn plötzlich als beunruhigend attraktiven Mann – mit dem sie in wenigen Tagen auch noch das Schlafzimmer teilen sollte.

„Myra und Elaine werden Sie ohne Weiteres für meine Frau halten, wenn Sie zur Abwechslung einmal ein ordentliches Kleid anziehen“, fuhr er in dem gleichen unpersönlichen Ton fort, ohne ihre Verwirrung zu bemerken, und nahm auch endlich die Hände von ihren Schultern. „Sie müssen doch noch etwas Schickeres haben als das, was Sie im Moment tragen.“

„Eigentlich nicht“, erwiderte Pandora leise und wunderte sich, dass sie noch immer die Wärme seiner Hände zu spüren meinte, obwohl er sie doch wieder in die Hosentaschen gesteckt hatte. „Ich habe ein Kleid für den Abend, aber ansonsten nur Arbeitsklamotten. Es ist ziemlich sinnlos, in schicken Sachen zu töpfern.“

„Augenscheinlich“, meinte Jay mit einem verächtlichen Blick auf ihr Outfit. „Dann müssen wir Ihnen eben etwas kaufen, wenn wir das Foto machen lassen.“

„Welches Foto?“, fragte sie erstaunt.

„Unser Hochzeitsfoto. Ein gerahmtes Bild von uns auf dem Kaminsims leistet bestimmt zusätzliche Überzeugungsarbeit, glauben Sie nicht?“

„Vermutlich“, bestätigte Pandora. Er hatte offenbar alles überlegt. „Und wann sollen wir das machen lassen?“, erkundigte sie sich, während sie bewusst lässig zwei Schritte zur Seite trat, um seiner beunruhigenden Nähe zu entkommen.

„Morgen. Ich vereinbare heute Nachmittag einen Termin und hole Sie morgen früh ab.“

„Aber ich dachte, meine Dienste wären nur vierundzwanzig Stunden gefragt“, protestierte sie. „Wann soll ich denn meine Schalen brennen?“

„Am Nachmittag.“

„Ich habe wirklich nicht die Zeit, den ganzen Vormittag in Wickworth zu verbringen.“

„Sagten Sie nicht eben, Sie würden alles tun, was ich will?“

Pandora gab sich geschlagen. „Wenn Sie schon dabei sind“, meinte sie mürrisch, „informieren Sie mich doch lieber jetzt gleich, was sonst noch so ansteht.“

„Sie sollten vor den beiden Amerikanerinnen in Kendrick Hall sein, damit Sie sich dort zurechtfinden. Und wenn Sie schon da sind, können Sie sich auch etwas nützlich machen, indem Sie die beiden Zimmer herrichten und das Haus wohnlicher gestalten. Zum Beispiel das Silber putzen, Blumen hinstellen und Ähnliches.“

Pandora seufzte. Sie hasste Hausarbeit. „Ist das alles?“, fragte sie mit leidgeprüfter Miene.

„Sie müssen auch für das leibliche Wohl sorgen. Myra und Elaine erwarten eine gute Köchin.“

„Aber ich habe keine Ahnung vom Kochen!“

„Dann müssen Sie sich eben sehr anstrengen“, sagte Jay und kam ihr gefährlich nahe, ohne dass sie vor ihm zurückweichen konnte, denn der Brennofen versperrte ihr den Weg. „Ich lösche eine Summe von dreißigtausend Pfund nicht für nichts! Sie spielen den beiden nicht nur überzeugend meine Frau vor, sondern auch die perfekte Gastgeberin, damit sie keinen Zweifel haben, dass ihre Kunden hier bestens aufgehoben sein werden. Und wenn Sie glauben, das nicht zu können, dann sagen sie es mir lieber jetzt und überlegen sich, wie Sie das Geld auftreiben.“

Pandora sah in zwei unerbittlich blickende graue Augen und wusste, dass er jedes einzelne Wort wirklich meinte. „Ich kann das.“

2. KAPITEL

Es war nur ein Job. Das jedenfalls redete sich Pandora ein. Jay hatte recht, ihre Dienste waren eine vergleichsweise kleine Gegenleistung für die wertvolle Vase. Aber immer wenn sie an ihn dachte oder daran, mit ihm im gleichen Zimmer zu schlafen, fühlte sie eine merkwürdige Mischung aus Beunruhigung und Aufregung. Natürlich ist es absolut normal, nervös zu sein, sagte sie sich und wünschte nur, ihre Nervosität wäre nicht so eng mit der Erinnerung an seine warmen Finger an ihrem Handgelenk und starken Hände auf ihren Schultern verknüpft.

An jenem Abend fand sie nur schwer in den Schlaf und sprang am nächsten Morgen nach einem Blick zur Uhr entsetzt aus dem Bett, es war schon fünf nach neun. Jay hatte sie am Tag zuvor noch angerufen und so kühl und knapp wie immer informiert, dass er sie um halb zehn abholen würde. „Und vielleicht könnten Sie sich kleidungsmäßig etwas mehr Mühe geben“, hatte er scharf hinzugefügt.

Eilig putzte sie sich die Zähne und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht. Dann stand sie vor dem Kleiderschrank. Sie hatte wirklich nichts Schickes anzuziehen. Schließlich schlüpfte sie in einen schwarz, braun und grün gemusterten Rock und kombinierte einen weiten rehbraunen Pulli dazu. Zumindest hatten diese Sachen keine – sichtbaren – Löcher.

Zum Frühstücken blieb ihr keine Zeit, denn sie musste mit Homer noch vor die Tür. Sie pfiff den Hund herbei und ging mit ihm hinaus in den sonnigen Morgen. Nachdem sie weit genug von Kendrick Hall entfernt war – ansonsten gab es hier draußen kein weiteres Anwesen – ließ sie ihn von der Leine, damit er sich ordentlich austoben konnte, bevor sie ihn für den restlichen Vormittag im Haus einsperrte.

Pandora blickte zur Uhr. Es war besser, jetzt umzukehren, denn Jay wirkte nicht so, als hätte er für Unpünktlichkeit Verständnis. Sie schaute sich nach Homer um und sah gerade noch, wie er schwanzwedelnd in einem Dickicht verschwand. Ihn zu rufen war zwecklos. Schnell folgte sie ihm, bahnte sich einen Weg durch das Gestrüpp und bekam ihn glücklicherweise noch zu fassen, denn er war offenbar von einem besonders scharfen Geruch abgelenkt worden. Mit Mühe zerrte sie ihn am Halsband zurück auf den Weg, nahm dabei diverse Zweige mit und legte ihn dann an die Leine. Im Eilschritt ging es nach Hause.

Jay wartete schon an der Tür. Er trug einen grauen Anzug mit weißem Hemd und blassgrauer Krawatte und wirkte darin noch beherrschter und härter als sonst. Pandora wurde es ganz anders.

„Wo, zum Teufel, sind Sie gewesen?“

„Homer brauchte noch etwas Auslauf, bevor ich ihn jetzt einsperre.“

„Gibt es einen Grund, warum sie den halben Wald mit sich herumschleppen?“, fragte er dann bissig, während er ein Blatt von ihrer Schulter entfernte.

Es war nur eine flüchtige Berührung gewesen, aber Pandora spürte sie immer noch überdeutlich. Verärgert über ihr blödes Gefühl, strich sie sich über das Haar und den Pulli. „Ich musste Homer aus einem Gebüsch zerren“, erklärte sie kurz angebunden. „Ich bringe ihn ins Haus, und dann können wir.“

„Wollen Sie sich nicht umziehen?“

Pandora sah ihn erstaunt an. „Was soll das heißen?“

„Ich dachte, ich hätte Ihnen gesagt, etwas Schickes zu tragen.“

„Das ist schick.“

Jay runzelte die Stirn. „Sie haben doch bestimmt noch etwas Besseres! Selbst Sie würden wohl nicht in einem sackähnlichen Aufzug heiraten wollen!“

„Ich hatte nicht damit gerechnet, zu heiraten, als ich herkam“, erwiderte Pandora leicht sarkastisch, während sie die Tür aufmachte. „Natürlich hätte ich sonst mein langes weißes Brautkleid mitgebracht, das schon fix und fertig bei mir zu Hause im Schrank für den Eventualfall hängt.“

„Niemand erwartet, dass Sie ein Brautkleid griffbereit haben. Aber Sie müssen doch etwas Geeigneteres für ein Hochzeitsfoto haben als diesen braunen Pulli!“

„Nein, habe ich nicht.“

Jay stöhnte genervt. „Nun, dann werden Sie sich in Wickworth eben etwas kaufen müssen. Es ist zwar nicht die Modestadt des Nordens, aber etwas Besseres, als Sie momentan tragen, wird sich dort wohl finden lassen.“

„Ich verstehe nicht, warum?“, meinte Pandora gekränkt und sperrte Homer in die Küche, nachdem sie alles aus seiner Reichweite entfernt hatte, das er ankauen konnte. „Was spricht gegen eine Aufnahme, auf der nur Kopf und Schultern zu sehen sind?“

„Ich habe dem Fotografen gesagt, dass wir ein Erinnerungsbild an unsere Hochzeit machen lassen wollen“, erklärte Jay, während sie zum Auto gingen. „Und es wirkt wohl reichlich seltsam, wenn ich im Anzug daherkomme, während Sie so aussehen, als wollten Sie gerade im Garten Unkraut jäten.“

Pandora setzte sich in den Wagen und knallte die Beifahrertür zu. Es kümmerte sie gewöhnlich nicht sonderlich, was sie trug, aber merkwürdigerweise fühlte sie sich durch seine abfälligen Bemerkungen irgendwie getroffen. „Das alles klingt sowieso seltsam. Warum haben wir nicht gleich ein Hochzeitsfoto machen lassen, wenn wir eines haben wollen?“

„Wir könnten ganz spontan geheiratet haben“, antwortete er ungeduldig, war offenbar ärgerlich, dass sie seine Geschichte anzweifelte.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie so etwas Romantisches tun würden“, meinte Pandora provokant.

„Und ich kann mir nicht vorstellen, so etwas Dummes zu tun“, erwiderte er, während er den Wagen zurücksetzte, und warf ihr einen bösen Blick zu. „Aber wir müssen dem Fotografen ja nicht auf die Nase binden, dass es für mich praktisch undenkbar ist, überhaupt zu heiraten, geschweige denn spontan und so jemand total Unpassenden wie Sie, oder?“

„Was haben Sie gegen das Heiraten?“, fragte Pandora und ignorierte seine hässliche Äußerung.

„Andere Leute können das gern machen, aber ich bin nicht gewillt, in diese Falle zu tappen.“

Verstohlen schaute Pandora ihn von der Seite an. Warum war er wohl ein solcher Heiratsgegner? Sie sah sein markantes Profil, die irgendwie arrogant hervorstehende Nase und dann den beunruhigend sinnlichen Mund. Schnell senkte sie den Blick. „Unsere Geschichte ist also die“, meinte sie betont forsch, „dass wir so verliebt ineinander waren und die ganzen Hochzeitsvorbereitungen nicht abwarten konnten.“

„So in der Art“, bestätigte er widerwillig.

„Aber wenn wir damals kein Foto wollten, warum dann jetzt?“

„Was weiß denn ich! Um es Ihrer kranken Mutter nach Kanada zu schicken oder so.“

„Aber meine Mutter lebt in Dorset!“

„Das ist doch ganz egal“, erwiderte er gereizt. „Und außerdem geht das den Fotografen gar nichts an. Er soll nur ein Bild von uns machen, auf dem wir verliebt aussehen.“

„Na hoffentlich ist er kreativ“, sagte Pandora nicht ohne Schärfe. „Sie als verliebten Mann abzulichten dürfte ihm große Probleme bereiten. Ich bin noch niemandem begegnet, der weniger wie ein Verliebter dreinschaute als Sie.“

„Wie hätten Sie’s denn gern?“, fragte er unwirsch.

„Sie könnten etwas … freundlicher blicken.“

„Würden Sie freundlich blicken, wenn jemand eines Ihrer kostbaren Erbstücke zertrümmert hätte?“

„Das war nicht ich, sondern Homer“, erinnerte sie ihn. „Warum haben Sie eigentlich nicht ihn als Braut bestellt? In seiner Gesellschaft könnten Sie vielleicht ein erfreuteres Gesicht aufsetzen.“

„Seien Sie nicht albern“, erwiderte er schroff. „Beim Fotografen müssen wir beide schauspielern. Es wäre hilfreich, wenn Sie Ihrer Rolle entsprechend aussähen. Da ich erst noch einen Termin beim Anwalt habe, könnten Sie die Zeit nutzen und sich etwas zum Anziehen besorgen.“

Pandora seufzte. Sie hasste es, Kleidung einzukaufen. „Und an was haben Sie gedacht?“

„Ich bin kein Fachmann.“

„Das wundert mich aber nach allem, was Sie zu meinen Sachen gemeint haben.“

Jay schaute sie durchdringend an. „Kaufen Sie sich etwas Geeignetes. Ein Kleid, ein Kostüm … etwas, das Sie tragen würden, wenn Sie tatsächlich heirateten.“

Leichter gesagt als getan, dachte Pandora eine gute halbe Stunde später, nachdem sie schon diverse Geschäfte in der Innenstadt abgeklappert und noch immer nichts Passendes gefunden hatte. Jay hatte ihr ein ganzes Bündel Zwanzigpfundnoten in die Hand gedrückt und sie für „Punkt elf Uhr“ brautmäßig hergerichtet ins Hotel bestellt. „Ja, Sir“, hatte sie hinter ihm salutiert und sich des Gedankens nicht erwehren können, dass er sich wahrscheinlich recht mühelos eine zweite chinesische Vase leisten könnte, wenn er ihr so viel Geld für ein einziges Kleid zustecken konnte.

Langsam drängte die Zeit. Pandora gab sich einen Stoß und betrat eine dieser vornehmen Boutiquen, um die sie normalerweise einen großen Bogen machte. Eine Verkäuferin kam auf sie zu, zog einen Moment missbilligend die Augenbrauen hoch, um dann freundlich zu fragen: „Kann ich Ihnen helfen?“

„Ich heirate morgen und habe noch nichts zum Anziehen gefunden.“

„Was in etwa suchen Sie?“

„Mein Verlobter möchte, dass ich schick aussehe“, antwortete sie und war froh, dass sie in dieses Geschäft wohl nie wieder würde gehen müssen.

Bevor sie noch recht wusste, wie ihr geschah, hatte die Verkäuferin sie mit diversen sündhaft teuren Outfits in eine Umkleidekabine gebeten und traktierte sie beim Anprobieren mit neugierigen Fragen zu der Hochzeitsfeier, der Hochzeitsreise und ihrem Verlobten. Schon bald schwirrte ihr der Kopf. Ganz so schwierig hatte sie sich die Rolle der glücklichen Braut nicht vorgestellt.

„Das steht Ihnen ausgezeichnet. Hier, ziehen Sie noch dieses Jäckchen darüber.“

Zweifelnd schaute Pandora ihr Spiegelbild an. Sie sah in dem schlichten blassgelben Kleid mit der kurz geschnittenen gleichfarbenen Jacke völlig verändert aus. „Ich weiß nicht, ob das wirklich ich bin.“

„Es ist wie für Sie gemacht“, erklärte die Verkäuferin im Brustton der Überzeugung. „Raffiniert einfach, aber elegant. Jetzt fehlen Ihnen nur noch die passenden Schuhe und ein Hut.“

Gleich das erste Paar saß wie angegossen. Doch den Hut, so geschmackvoll er auch war, lehnte Pandora entschieden ab. „Ich nehme den“, sagte sie und zeigte auf einen im Schaufenster, der ihr schon von draußen aufgefallen war. Er hatte eine extravagante große Schleife und eine breite Krempe, die über einem Auge heruntergezogen war. Jay würde entsetzt sein.

Zufrieden mit sich, verließ Pandora die Boutique, nachdem sie fast das ganze Geld ausgegeben hatte. Aber es reichte noch allemal, um den Rat der Verkäuferin umzusetzen, einen Lippenstift zu benutzen. Wenn Jay sie verwandelt haben wollte, sollte er sie auch verwandelt bekommen!

Als sie das Foyer des einzigen Viersternehotels vor Ort betrat, saß er schon in einem der vielen bequemen Ledersessel. Er ließ die Zeitung etwas sinken und schaute sie über den Rand hinweg missbilligend an. „Sie haben sich verspätet.“

„Nur zehn Minuten.“

„Vierzehn“, korrigierte er sie nach einem Blick zur Uhr und stand auf.

„In Ordnung, vierzehn Minuten.“ Sie schwenkte ihre Plastiktüten. „Möchten Sie sehen, was ich gekauft habe?“

„Ich will es angezogen sehen“, antwortete er und schaute erneut zur Uhr. „Um halb zwölf müssen wir beim Fotografen sein.“

Pandora verließ fast der Mut, als sie sich auf der Damentoilette in das neue Outfit hüllte. Sie schlüpfte in die Schuhe und zog sorgfältig die Lippen nach. Zumindest würde er sich nicht beklagen können, dass sie noch genauso aussähe wie vorher. Zögerlich griff sie nach dem Hut. Er war wirklich etwas übertrieben. Nervös strich sie die Jacke glatt und beschloss, ihn nicht sofort aufzusetzen, sondern Jay allmählich daran zu gewöhnen.

Er bemerkte ihr Kommen gar nicht, hatte sich wohl in dem Glauben, sie würde Ewigkeiten brauchen, ganz in die Zeitung vertieft.

„Na, was meinen Sie?“

Ihm stockte der Atem, als er aufschaute und die grazile, elegante Gestalt mit dem verrückten Hut in der Hand neben seinem Sessel erblickte. Langsam stand er auf.

„Sehe ich in Ordnung aus?“, fragte Pandora unsicher, als er noch immer nichts sagte.

„Warum, ja …“ Jay räusperte sich, seine Stimme hatte irgendwie merkwürdig geklungen. „Sie sehen … gut aus.“

Gut? Ist das alles?, dachte Pandora enttäuscht und wurde sich zum ersten Mal richtig bewusst, wie sehr sie ihn beeindrucken wollte. Aber dazu brauchte es wohl mehr als ein teures Outfit.

Seelenruhig stand er da und konzentrierte sich ganz darauf, seine Zeitung zusammenzufalten. Dann schaute er Pandora noch einmal an, und ihr Herz schien einen Moment zu schlagen aufzuhören. Es war kein bewundernder oder ermutigender Blick, aber da lag so ein Ausdruck in seinen grauen Augen, der ihr kurz den Atem raubte. Um ihre Verwirrung zu verbergen, nahm sie den Hut in beide Hände und setzte ihn sich keck auf den Kopf. „Auf meiner Hochzeit hätte ich bestimmt auch einen Hut getragen, meinen Sie nicht?“ Fast schon erleichtert, registrierte sie seinen entsetzten Gesichtsausdruck, der ihr wesentlich vertrauter war.

„Haben Sie dafür etwa auch noch was bezahlt?“

„Gefällt er Ihnen nicht?“, fragte sie unschuldig unter der breiten Krempe hervor.

„Hätten Sie keinen etwas Dezenteren finden können?“

„Ich bin mir sicher, wenn ich Sie geheiratet hätte, hätte ich unvergesslich aussehen wollen.“

„Man könnte auch absolut lächerlich dazu sagen“, erwiderte er bissig, und Pandora meinte, Erleichterung bei ihm zu spüren, dass sie zu der ihm vertrauten nervenaufreibenden Art zurückgekehrt war.

„Ich habe ihn extra für Sie gekauft.“

„Wenn Sie glauben, ich würde so mit Ihnen durch Wickworth gehen, irren Sie sich gewaltig.“

Widerwillig nahm sie den Hut ab und strich zärtlich über die breite Krempe. „Und ich hatte gedacht, er würde Ihnen gefallen“, seufzte sie enttäuscht und schaute gerade noch rechtzeitig auf, um Jays amüsierten Blick zu sehen.

„Doch wohl eher, dass er mich auf die Palme bringen würde“, stellte er richtig, und wenngleich er nicht lächelte, fühlte sich Pandora, als hätte sie einen großen Sieg errungen.

„Ehrlich, das kam mir nicht eine Sekunde in den Sinn.“ Sie legte die Hand aufs Herz und sah ihn treuherzig an.

Jay verzog leicht den Mund. „Und da habe ich doch einen Moment lang geglaubt, Sie wären auf wundersame Weise verwandelt worden! Aber wie es scheint, sind Sie letztlich ganz die Alte geblieben.“

„Ich fürchte, ja“, erwiderte sie mit einem Seufzer und bückte sich, um die Tüten mit den anderen Sachen aufzuheben.

„Da hängt noch ein Preisschild raus“, sagte er, als sie sich wieder aufrichtete. „Halten Sie mal still.“

Stocksteif stand sie da, während er das Preisschild aus dem Jackenkragen entfernte. Sie war sich seiner unmittelbaren Nähe überaus bewusst, spürte seine Hände in ihrem Haar, seine Finger an ihrem Hals. Ihre Blicke begegneten sich fast widerwillig, als er einen Schritt zurücktrat, und Pandora vergaß einen Moment zu atmen. Schweigend sahen sie sich den Bruchteil einer Sekunde an. Dann wandte er sich ab. „Wir machen uns besser auf den Weg“, meinte er schroff.

Die Spannung zwischen ihnen war zum Greifen, als sie stumm nebeneinander zum Auto gingen und die Tüten hineinstellten. Pandora suchte fieberhaft nach einem Gesprächsthema, aber ihr fiel absolut keines ein. Überhaupt fühlte sie sich in ihrem eleganten Kleid fehl am Platz, denn selbst ohne den Hut aufgesetzt zu haben, erregte sie fast jedermanns Aufmerksamkeit. Immer wieder drehten sich Leute nach ihr um, und sie war froh, als sie endlich beim Fotoatelier angekommen waren.

Unvermittelt blieb Jay davor stehen. „Wir sollten uns ab jetzt duzen“, erklärte er kurz angebunden. „Oder kennen Sie ein Ehepaar, das sich siezt?“ Und bevor Pandora noch in irgendeiner Weise reagieren konnte, hielt er ihr schon galant die Tür auf.

Der Fotograf war ein schlanker junger Mann mit künstlerischen Ambitionen. Nach einem missbilligenden Blick auf ihren Hut äußerte er sich entzückt über das elegante Kleid, das farblich so hervorragend zu ihrem dunklen Haar passte, und bat die beiden in sein Studio. „Wenn Sie sich dann fertig machen wollen“, sagte er zu Pandora, wies zum Frisiertisch, auf dem Kamm, Bürste und einige Schminkutensilien bereitlagen, und entschwand, um die Lampen einzustellen.

„Was meint er mit ‚fertig machen‘?“, fragte sie Jay. „Ich bin fertig.“

„Nicht ganz.“ Er entfernte ein kleines Blättchen aus ihrem Haar, das offenbar vom Morgenausflug mit Homer übrig geblieben war, und hielt ihr die Bürste hin. „Die meisten Bräute richten zumindest noch einmal ihre Frisur.“

Ergeben setzte sie sich auf den Hocker und bürstete flüchtig die lange Mähne. Kopfschüttelnd trat Jay neben sie und nahm ihr die Bürste wieder ab. „Au, das tut weh“, schrie sie auf, als er energisch ihr Haar bearbeitete.

„Stell dich nicht so an!“ Er zupfte noch einige Locken auf ihrer Schulter zurecht und betrachtete sein Werk dann von vorn. „Jetzt schaust du wie eine junge Frau aus, in die ich mich verlieben könnte.“

Pandora sah ihn fragend an. Ihre Augen waren übernatürlich groß. Jays Blick war weniger gut zu deuten, aber das Leuchten darin ließ sie den Atem anhalten, und aus irgendeinem Grund begann ihr Herz plötzlich, dumpf in der Brust zu klopfen. Er stand noch immer sehr nah.

„Fertig?“

Sie schreckten mit schuldbewussten Mienen hoch – der Fotograf war wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht. Verzweifelt bemühte sich Pandora, ihre innere Ruhe zurückzugewinnen. Jay hatte sie noch nie angelächelt, war ausgesprochen widerlich zu ihr und sie nur hier, weil Homer eine sündhaft teure Vase umgeworfen hatte.

Da sie ihrem Gesichtsausdruck nicht traute, setzte sie zur Bestürzung des Fotografen den Hut auf und ließ sich auch nicht überzeugen, dass er auf den Bildern nur stören würde. Schließlich schaltete sich Jay genervt in die sinnlose Diskussion ein und schlug vor, erst einige Aufnahmen von Pandora allein, aber mit Hut zu machen und dann die gemeinsamen Fotos ohne das Corpus Delicti. Huldvoll stimmte sie dieser Lösung zu, denn sie fühlte sich schon ruhiger und würde sich gleich wieder ganz unter Kontrolle haben.

Die Erleichterung war dem Fotografen förmlich anzumerken, als er Jay endlich bitten konnte, sich zu Pandora zu setzen. „Vielleicht könnten Sie den Arm um Ihre Frau legen“, meinte er nach einem Blick durch den Sucher. „Und Sie, Mrs. Masterson, lehnen sich bitte etwas zurück an Ihren Mann … Ja, das ist gut! Bleiben Sie so.“

„Entspann dich“, flüsterte Jay, als sie sich steif gegen ihn lehnte. „Du sollst wie eine liebende Frau aussehen.“

„Das ist gar nicht so einfach.“ Seine Nähe machte ihr entsetzlich zu schaffen.

„Denk an deine Schulden. Dann klappt es. Und vergiss nicht zu lächeln.“

„Sind die Bilder für jemand Bestimmten oder für Sie?“

„Sie sind für Pandoras Mutter“, antwortete Jay kurz angebunden.

„Sie lebt in Kanada“, fügte Pandora hinzu und fand dann, dass diese Aussage etwas dürftig war. „Sie ist bettlägerig und konnte deshalb nicht zur Hochzeit kommen. Und da sie Jay noch nicht kennengelernt hat, möchte sie natürlich gern wissen, wie er aussieht.“ Pandora fühlte, wie er sich versteifte, aber der Fotograf schien ihr zu glauben.

„Selbstverständlich, und eine Atelieraufnahme ist so viel schöner als ein Schnappschuss von der Hochzeit.“

„Es gibt gar keine Hochzeitsfotos“, erwiderte sie lässig und riskierte einen Seitenblick auf Jay, der sie warnend ansah. „Wir wollten unsere Hochzeit ganz besonders feiern, nur wir zwei … stimmt’s, Darling?“

Jay wagte nicht, darauf zu antworten. „Machen Sie doch noch einige weitere Aufnahmen“, meinte er ablenkend.

Das brauchte er nicht zweimal zu sagen! Von dem Wunsch beseelt, möglichst interessante und künstlerisch wertvolle Bilder zu kreieren, wies der Fotograf ihnen immer verdrehtere Sitzpositionen zu. „Was glaubt der Typ, wer wir sind?“, stieß Jay, am Ende seiner Geduld, leise hervor, „Mr. und Mrs. Houdini?“

Die ganze Situation war so absurd, dass Pandora einfach lachen musste. „Wenn Sie sich jetzt bitte in die Augen schauen könnten“, rief der Fotograf, und sie bemühte sich, wieder ernst zu werden. Aber je stärker sie versuchte, Jay innig anzusehen, umso mehr musste sie lachen, und schließlich hatte sie auch ihn angesteckt.

Ihr Herz begann, wild zu klopfen. Sein Gesicht wirkte plötzlich so anders, fremd und doch gleichzeitig vertraut. Hatte sie nicht gewusst, dass seine Zähne strahlend weiß wären und sich die sonnengebräunten Wangen so in Falten legen würden? Fasziniert betrachtete sie sein markantes Kinn und meinte fast, die Konturen unter den Fingerspitzen fühlen zu können. Und seine Augen leuchteten, blickten plötzlich so freundlich, hatten jede Kühle verloren.

„Fantastisch!“ Der Fotograf war absolut begeistert.

„War’s das?“, fragte Jay.

„Vielleicht noch eines. Ein Romantisches für Ihre Schwiegermutter. Was halten Sie von einem Kuss?“

Pandora erstarrte innerlich und wagte es nicht, Jay anzuschauen, während er nach einer Ausrede suchte.

„Gute Idee“, antwortete er da ruhig.

Gute Idee? Entsetzt sah sie ihn an, aber sein Blick war unergründlich.

„Meinst du nicht auch, Darling?“ Er wollte es ihr offenbar heimzahlen.

„Ich … ich weiß nicht …“, begann sie, als er sie auch schon an sich zog.

„So?“, fragte er den Fotografen, ohne sie aus den Augen zu lassen.

„Das ist perfekt!“

Zärtlich strich er ihr das dunkle Haar aus dem Gesicht, ließ dann die Hände unter die Lockenpracht gleiten und liebkoste mit den Fingern ihren Nacken, während er mit den Daumen sanft die Konturen ihres Kinns nachfuhr und den Blick auf ihren Mund senkte.

Pandora erbebte, empfand Angst vor dem Kuss und gleichzeitig eine tiefe, gefährliche Sehnsucht. Sie spürte seine streichelnden Hände auf ihrer Haut, ihr Herz, das wild in der Brust klopfte, und vergaß alles um sich her. Sie vergaß zu atmen, vergaß den Fotografen, sah und fühlte nur noch Jay und ihr glühendes Verlangen.

Unendlich langsam beugte er sich über sie, kam immer näher, bis er schließlich seine Lippen sanft auf ihre legte. Unwillkürlich seufzte Pandora auf, die zarte Berührung setzte ihren ganzen Körper unter Strom. Sie hörte ihr Blut in den Adern rauschen und gab sich völlig dem erregenden Kuss hin. Wie von selbst hoben sich ihre Hände, umfassten Jays Handgelenke und umklammerten sie. Und gleichsam als Antwort vergrößerte er den süßen Druck seiner Lippen.

Doch dann zog er sich plötzlich zurück. Er ließ die Hände über ihren Nacken gleiten und hielt Pandora einen schier endlosen Moment so fest, während er ihr tief in die Augen blickte, um sie dann lächelnd ganz freizugeben.

3. KAPITEL

Wie aus weiter Ferne hörte Pandora Jay mit dem Fotografen über die Anzahl der Abzüge und das Abholdatum reden und fragte sich nicht ohne Groll, wie er nach diesem Kuss nur so normal klingen konnte, während sie am ganzen Körper zitterte. Ihr Puls raste, die Lippen brannten, und sie meinte, noch die feinen Härchen auf seiner Haut unter ihren Fingern zu spüren. Erst nachdem sie das Atelier verlassen hatten und ihr draußen der frische Wind ins Gesicht wehte, fand sie langsam wieder ein wenig zu sich.

„Gehen wir etwas essen“, schlug Jay ruhig vor und hatte sie schon in ein kleines Restaurant gleich um die Ecke geführt, bevor sie noch so recht wusste, wie ihr geschah.

Sofort entschuldigte sie sich und verschwand auf die Damentoilette, um einen Moment allein zu sein und sich wieder in den Griff zu bekommen. Sie ließ kaltes Wasser über ihre Hände laufen und presste sie dann gegen das Gesicht. Du reagierst absolut lächerlich, schimpfte sie sich im Stillen. Jeder musste denken, dass sie noch nie geküsst worden wäre. Und dabei war es nicht einmal ein richtiger Kuss gewesen. Wie lange hatte er eigentlich gedauert? Dreißig Sekunden? Eine Minute?

Eine Ewigkeit, antwortete ihr eine innere Stimme, bevor Pandora sie energisch zum Schweigen brachte. Sie hatte Besseres zu tun, als sich den Kopf über einen dummen Kuss zu zerbrechen, egal, wie lange er gedauert hatte. Er gehörte nur zu dem Theater, das Jay inszenierte, um so schnell wie möglich nach Afrika zurückzukehren. Je schneller er verschwindet, dachte Pandora, desto besser. Dann könnte sie sich wieder ungestört ihrer Töpferei widmen und vergessen, wie warm und sinnlich sein Mund gewesen war und wie unerwartet sein Lächeln. Und jetzt würde sie zum Tisch zurückgehen und so tun, als wäre nichts geschehen. Denn was er konnte, konnte sie auch.

Sie war richtig stolz auf sich, mit welcher Gelassenheit sie die Speisekarte entgegennahm, die Jay ihr reichte, kaum hatte sie sich hingesetzt. Als er sich dann wieder in seine vertiefte, betrachtete sie ihn verstohlen über den oberen Rand hinweg. Ihr Blick erfasste die leicht gerunzelte Stirn, streifte die gerade Nase und senkte sich wie von selbst auf den erregenden Mund.

Schnell schaute sie in die Karte, ohne jedoch etwas zu lesen, denn das rote Lippenpaar tanzte weiter vor ihrem geistigen Auge herum. Was hatte Jay nur an sich, das sie immer so merkwürdig unruhig machte? Sicher, er sah gut aus, aber das taten Söhne anderer Mütter auch. Lag es vielleicht an dem Flair subtiler Kompetenz und Stärke, das ihn umgab und ihn von jedem anderen Mann im Raum unterschied? Aber schließlich hatten sie doch alle zwei Augen, eine Nase, einen Mund … nur eben keinen, der sie so verwirrte.

Nun hör auf, über seinen Mund nachzudenken, ermahnte sie sich stumm, du wolltest dich doch so verhalten, als wäre nichts passiert! Verzweifelt versuchte sie, sich auf die Speisekarte zu konzentrieren, aber ihr Blick irrte immer wieder ab und schweifte zu seinen Händen, seinem Haar, seiner Nase …

Unvermittelt legte Jay die Karte weg und ertappte Pandora, wie sie ihn ansah. „Hast du dich schon entschieden?“

„Entschieden?“, wiederholte sie verständnislos.

„Was du essen willst“, meinte er ungeduldig.

„Oh, ja …“ Hastig schaute sie in die Karte. „Ich nehme … das Hähnchen.“ Es war das erste Wort, das nicht vor ihren Augen verschwamm.

„Bist du in Ordnung?“, fragte er, nachdem er bestellt hatte.

„Natürlich“, erwiderte sie schnell und merkte erst jetzt, dass er sie immer noch duzte. Doch momentan hatte sie nicht den Nerv, dagegen zu protestieren, und vielleicht war es auch besser, bei der vertrauten Anrede zu bleiben, sonst versprach sie sich am Ende womöglich noch vor Myra und Elaine.

„Du wirkst irgendwie ziemlich verwirrt – oder ist das bei dir normal?“

Pandora spielte nervös mit ihrer Serviette und wünschte, er wäre kein so guter Beobachter. „Mir geht zurzeit viel durch den Kopf“, erklärte sie kurz angebunden und hoffte, er würde sich mit der Antwort zufriedengeben.

„Was denn so?“

„Zum Beispiel … die Ausstellung. Es ist meine erste, und da möchte ich natürlich gut abschneiden. Mir bleiben nur noch zwei Wochen, um alles fertig zu bekommen. Und eigentlich kann ich es mir gar nicht leisten, die Hände untätig in den Schoß zu legen.“

„Aber du kannst es dir auch nicht leisten, eine neue chinesische Vase zu kaufen, oder?“

„Nein.“ Wie hatte sie nur eine Sekunde annehmen können, er würde Mitleid mit ihr haben.

„Wo ist die Ausstellung?“

„Ganz in der Nähe. In der Galerie am Marktplatz.“

Er runzelte die Stirn. „Die hast du ja schnell arrangiert. Ich dachte, du wärst noch nicht lange hier?“

„Etwa sechs Wochen“, sagte Pandora und lehnte sich zurück, damit der Kellner ihr Wein einschenken konnte. „Eigentlich sollten Celias Sachen ausgestellt werden. Sie ist nämlich auch Töpferin. Aber dann erhielt John kurzfristig die Gastprofessur in Texas.

Nach meiner Zeit an der Kunsthochschule hatte ich keinen festen Ort zum Arbeiten. Freunde haben mir immer mal wieder ihre Ateliers überlassen, und dann hat Celia mir angeboten, während ihrer Abwesenheit das Haus zu hüten und ihre Werkstatt zu benutzen. Kostenlos hier zu wohnen bedeutet, dass ich mich ganz aufs Töpfern konzentrieren kann, was ich mir sonst nie leisten könnte. Und als Celia mich dem Galeriebesitzer vorstellte und vorschlug, ich sollte ihren Platz einnehmen … Es war zu schön, um wahr zu sein.“

Jay trank einen Schluck Wein und schaute Pandora über den Rand seines Glases hinweg mit unergründlicher Miene an. „Einen Tag lang meine Frau zu spielen wird ja wohl nicht die Ausstellung schmeißen, oder?“

Pandora zögerte. Es ging nicht so sehr um die Zeit, die sie mit ihm verbrachte, sondern viel mehr um die Zeit, die sie verlor, weil ihre Konzentration unterbrochen wurde und sie sich in Gedanken mit ihm beschäftigte. „Nein“, antwortete sie schließlich widerwillig.

„Nun, dann überlegen wir uns jetzt besser eine Geschichte, wie wir uns kennengelernt haben, sollten Myra und Elaine fragen“, sagte er energisch, hatte offenbar die Ausstellung als größeres Problem abgehakt. „Warst du schon einmal in Afrika?“

Der plötzliche Themenwechsel verwirrte sie. „Nein, aber in Italien.“

„Das ist nicht ganz dasselbe.“

„Mehr kann ich nicht bieten“, erwiderte Pandora mürrisch. Sie war noch etwas beleidigt, weil er sich so wenig für die Ausstellung interessierte.

„Hmm. War vielleicht schon jemand aus deiner Familie dort?“

Sie schüttelte den Kopf. „Warum müssen wir uns denn unbedingt in Afrika kennengelernt haben. Wir könnten doch einfach erzählen, wie es wirklich war. Zumindest hätten wir dann keine Probleme, uns an die Geschichte zu erinnern, und wir müssen ja gar nicht sagen, wann das war.“

„Leider wissen Myra und Elaine, dass ich erst seit einer knappen Woche in Kendrick Hall bin. Und so schnell pflegen die Leute im Allgemeinen nicht zu heiraten, oder? Außerdem wissen sie auch, dass wir zusammen in Afrika waren. Wir müssen also etwas erfinden. Hast du Geschwister?“

„Zwei Brüder. Ben geht noch zur Schule, und Harry hat gerade seinen Ingenieur gemacht und arbeitet jetzt in London.“

„Wunderbar. Dann arbeitet Harry eben in Afrika, und wir beide haben uns kennengelernt, als du ihn besucht hast.“

„Und was ist, wenn sie mich über Afrika befragen? Ich bin noch nie dort gewesen!“

„Myra und Elaine vermutlich auch nicht. Du hast doch sicher schon irgendwelche Safarifilme im Fernsehen gesehen. Äußere dich einfach nur vage. Das dürfte dir nicht allzu schwer fallen.“

Pandora schaute ihn feindselig an. „Wir haben also in Afrika gelebt und sind zurückgekommen, als du Kendrick Hall geerbt hast?“

Jay nickte. „Und freuen uns jetzt darauf, amerikanische Hausgäste zu begrüßen“, ergänzte er. „Eine einfache Geschichte, und ganz leicht zu merken.“

„So leicht wird die Sache bestimmt nicht werden“, erwiderte sie düster. „Sie werden mich sicher etwas fragen, das ich nicht weiß. Zum Beispiel, was du gern isst oder wie ich mich mit deiner Mutter verstehe.“

„Sie werden dich kaum ins Kreuzverhör nehmen“, sagte er leicht ungehalten. „Und wenn sie dich etwas fragen, worauf du die Antwort nicht weißt, musst du eben erfinderisch sein.“

„Dennoch wäre es hilfreich, wenn ich irgendwas über dich wüsste.“

Jay sah verärgert aus. „Was willst du denn wissen?“

Wie es sich anfühlte, die Hand an seine Wange zu legen. Wie es wäre, ihn anzulächeln und sicher zu sein, er würde das Lächeln erwidern. Ob sie seinen Kuss je vergessen könnte.

„Oh, dieses und jenes“, antwortete Pandora und mied seinen Blick. „Wann dein Geburtstag ist, ob du Geschwister hast, ob du schon immer übellaunig warst, und Ähnliches.“

„Ich bin kein bisschen übellaunig“, erklärte er übellaunig. „Zumindest nicht, bis ich dreißigtausend Pfund auf dem Boden zerspringen sah“, fügte er hinzu, als sich Pandora am Wein verschluckte.

„Ich hätte es ahnen müssen, dass das meine Schuld ist.“

„Na gut, bis ich Kendrick Hall erbte“, sagte er schroff, während der Kellner das Essen servierte.

Leicht besänftigt, griff sie zum Besteck. „Die meisten Leute würden sich freuen, ein so herrliches altes Haus zu erben.“

„Was soll ein Haus, wenn man nicht darin wohnen kann? Und außerdem ist es auch zu groß für einen allein.“

Pandora konzentrierte sich auf ihr Hähnchen. „Vielleicht hast du ja eines Tages eine Familie.“

„Nein“, erklärte er so kategorisch, dass sie beschloss, dieses Thema besser nicht weiterzuverfolgen. Was kümmerte es sie, ob er eine Frau oder Kinder haben wollte?

„Aber es sieht so romantisch aus und steckt voller Geschichte“, meinte sie und war in Gedanken bei dem imposanten Gemäuer, dessen Seitenflügel erst im Laufe der Jahrhunderte in willkürlicher Weise an das mittelalterliche Herrenhaus angebaut worden waren.

„Es steckt jedenfalls voller Feuchtigkeit“, erwiderte Jay nüchtern. „Hast du eine Vorstellung, wie viel die Renovierung kosten wird?“

„Dreißigtausend Pfund?“

Er sah sie durchdringend an, während sie mit Unschuldsmiene einen Schluck Wein trank. „Damit käme man schon recht weit“, bestätigte er. „Du findest Kendrick Hall romantisch, aber für mich ist das Anwesen nur eine teure Last. Es bedeutet mir nichts. Letzte Woche habe ich es zum ersten Mal im Leben betreten.“

„Hat dich dein Onkel denn nie eingeladen?“, fragte Pandora überrascht.

Jay lachte freudlos auf. „Für meinen Onkel war mein Vater das schwarze Schaf der Familie. Er wollte noch nicht einmal seinen Namen hören und weigerte sich auch, etwas mit mir zu tun zu haben, als ich hier in England im Internat und später auf der Universität war.“

„Er muss seine Meinung geändert haben, wenn er dir das Haus jetzt hinterlassen hat.“

„Er hatte keine Wahl. Laut Erbfolge muss es an den nächsten männlichen Verwandten gehen, und Eustace hatte keine Kinder.“

„Und was wird aus Kendrick Hall, wenn du keine Nachkommen hast?“

Jays Miene verschloss sich. „Das interessiert mich nicht.“

„Hast du keine Brüder?“, fragte sie und hatte das Gefühl, irgendwie taktlos gewesen zu sein.

„Nein, ich bin ein Einzelkind.“

„Warst du nie einsam?“, erkundigte sie sich, denn ohne ihre Brüder wäre sie sich bestimmt oft allein vorgekommen.

Jay zuckte die Schultern. „Ich bin in Ghana aufgewachsen. Als kleiner Junge habe ich immer mit den Kindern in der Nachbarschaft gespielt und Geschwister nicht vermisst. Afrika ist viel eher meine Heimat als England.“

Pandora nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Hast du nie geheiratet?“

„Was ist das – ein Verhör?“, fragte er ärgerlich.

„Ich versuche nur, etwas über dich zu erfahren“, erklärte sie beleidigt. „Wie kann ich deine Frau spielen, wenn ich nicht einige grundlegende Dinge von dir weiß? Und ob du schon einmal verheiratet warst oder nicht, scheint mir etwas ziemlich Grundlegendes zu sein, das man gern über seinen Ehemann wüsste.“

„Sicher, wenn man den Rest seines Lebens miteinander verbringen will. Aber bei uns sind es nur vierundzwanzig Stunden.“

„Warum machst du so ein Geheimnis daraus?“

„Das tue ich nicht“, antwortete er unfreundlich. „Aber wenn es dich so sehr interessiert, nein, ich war noch nie verheiratet und gedenke, auch ledig zu bleiben. Ich habe eine offene, unkomplizierte Beziehung mit einer Amerikanerin in Mbuzi, die uns beiden so passt, wie sie ist. Gibt es sonst noch etwas, das du aus meinem Privatleben wissen möchtest, oder können wir jetzt weiteressen?“

„Wie heißt sie?“ Sie konnte sich die Frage einfach nicht verkneifen.

Jay stöhnte. „Cindy.“

Cindy? Was für ein blöder Name! Pandora starrte finster auf ihren Teller. Vermutlich war sie süß und lieb und sagte zu allem, was er wollte, Ja und Amen. „Wie ist sie?“, erkundigte sie sich, war sich aber nicht sicher, ob sie das wirklich wissen wollte.

„Sie ist ausgesprochen intelligent, gepflegt, tüchtig und wahnsinnig nett“, antwortete er und verglich sie offenbar mit Pandora, die ihr wohl in keinster Weise das Wasser reichen konnte.

„Und vermutlich ist sie auch hübsch“, meinte sie eingeschnappt.

„Sehr.“

„Oh.“ Hätte sie doch nur nicht gefragt! „Wie hast du sie kennengelernt? Ist ihr Hund in deiner Wohnung Amok gelaufen?“

„Wenn Cindy einen Hund hätte, würde sie ihn bestens im Griff haben“, erklärte er mit vorwurfsvollem Blick. „Sie arbeitet für eine der großen Hilfsorganisationen und macht ihren Job hervorragend.“

Pandora spießte ein Hähnchenstück auf die Gabel. „Wenn sie so super ist, warum ist sie dann nicht hier bei dir?“

„Sie ist auf Urlaub daheim in den Staaten. Außerdem ist unsere Beziehung nicht so geartet. Cindy ist karriereorientiert und weiß, dass ich an einer Ehe nicht interessiert bin. Wir haben es schön, wenn wir zusammen sind, möchten aber beide keine feste Bindung.“

„Dann liebt ihr euch auch nicht“, erwiderte Pandora verärgert und wollte nicht darüber nachdenken, warum sie so verärgert war. Aber es hatte ganz bestimmt nichts mit der vollkommenen Cindy zu tun.

Jay funkelte sie über den Tisch hinweg an. „Wie ich zu Cindy stehe, geht dich gar nichts an“, meinte er wütend. „Ich dachte, du wolltest nach meinem Geburtstag fragen und nicht meine Beziehungen analysieren.“

„Okay, und wann ist er?“ Schmollend stocherte sie im Reis herum.

„Am siebenundzwanzigsten April. Und erzähl mir jetzt nicht, ich sei Löwe, Zwilling oder sonst etwas.“

„Stier“, stellte sie kühl fest.

„Ich habe mir schon gedacht, dass du das weißt“, sagte er höhnisch. „Ihr Künstlertypen neigt doch alle zu solchen Spinnereien. Und vermutlich wirst du nun mein Sternzeichen analysieren.“

Geräuschvoll legte Pandora die Gabel auf den Teller. „Das brauche ich nicht. Mir ist bereits klar, dass wir nicht zueinander passen.“

Schweigend sahen sie sich an. Jay blickte streng, während Pandora trotzig an ihrem Weinglas nippte und ihn herausfordernd anschaute.

„Pandora?“

Sie brauchte erst einen Moment, um den Mann zu erkennen, der vor dem Tisch stand und offenbar nicht genau wusste, ob sie es auch war. Er sah sehr gut aus, war groß und blond und wirkte ausgesprochen weltmännisch und aristokratisch.

„Hallo Quentin.“

„Sie sind es wirklich“, sagte er mit bewunderndem Blick. „Als ich hereinkam, war ich mir nicht sicher. Sie schauen umwerfend aus.“

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Jay die Stirn runzelte, und lächelte Quentin strahlend an. „Danke!“

Sie war nicht überrascht, dass er sie nicht gleich wiedererkannt hatte, denn sie waren sich erst einmal in der Galerie begegnet, als Celia sie ihm vorgestellt hatte. Und damals hatte sie abgetragene Jeans und ein verwaschenes T-Shirt getragen. Einladend bot sie ihm ihre rechte Wange zum Kuss. Sollte Jay doch ruhig sehen, dass sie nicht im Mindesten auf die perfekte Cindy eifersüchtig war.

Nur zu gern folgte Quentin der Aufforderung, während Jay das Ganze mit steinerner Miene beobachtete. „Na, wie geht’s?“, fragte er dann mit weit größerem Interesse als bei ihrer ersten Begegnung. „Wird alles rechtzeitig für die Ausstellung fertig?“

„Das hoffe ich doch. Zurzeit werde ich zwar ein wenig abgelenkt“, meinte sie und sah aus den Augenwinkeln, wie Jays Schläfenmuskel zuckte, „aber keine Sorge, es ist nichts von Bedeutung …“

„Stellst du uns nicht vor, Darling?“, unterbrach Jay sie schroff.

Finster schaute sie ihn an. Was blieb ihr jetzt noch anderes übrig! „Quentin Moss, Jay Masterson“, sagte sie unwillig. „Quentin gehört die Galerie, wo meine Ausstellung stattfindet“, fügte sie dann hinzu und verzichtete bewusst darauf, zu erklären, wer Jay war.

Höflich gaben sie sich die Hand und beäugten sich kritisch. Quentin hatte offenbar sowohl Jays „Darling“ als auch Pandoras finsteren Blick registriert, denn er wandte sich ihr fast umgehend wieder zu. „Wir müssen uns wirklich mal zum Mittagessen treffen“, meinte er mit einer beinahe zärtlich klingenden Stimme. „Ich habe Sie vernachlässigt und Celia doch versprochen, mich etwas um Sie zu kümmern. Wie wär’s mit nächster Woche? Wir besprechen noch einige Dinge wegen der Ausstellung, und dann führe ich Sie in ein gemütliches kleines Restaurant.“

„Hast du nicht nächste Woche ziemlich viel zu tun?“ Jay schaute sie warnend an.

Pandora dachte an Cindy. „Ich bin sicher, ich kann Quentin noch irgendwo dazwischenschieben.“ Sie funkelte Jay an und wandte sich dann lächelnd an Quentin. „Am Montag?“

„Großartig.“ Mit triumphierendem Blick in Jays Richtung beugte er sich zu ihr hinunter, um ihr die Wange zu küssen. „Ich freue mich.“

Strahlend lächelte sie ihn an und registrierte zufrieden Jays säuerliche Miene. Sie fühlte sich in absoluter Hochstimmung. Wenn sie gewusst hätte, dass ein Kleid so viel bewirken konnte, hätte sie schon früher eines angezogen.

„‚Ich bin sicher, ich kann Quentin noch irgendwo dazwischenschieben‘“, äffte Jay sie nach, kaum hatte der Kellner die Teller abgeräumt.

Pandora sah ihn erstaunt an. „Gibt es ein Problem?“, erkundigte sie sich zuckersüß.

„Hast du vergessen, dass du nächste Woche meine Frau spielst?“

„Aber doch nur vierundzwanzig Stunden lang“, erinnerte sie ihn. „Was ich die restliche Zeit mache, sollte dich doch nicht kümmern.“

„Und wenn Myra und Elaine am Montag kommen?“, fragte er boshaft. „Wie willst du den guten Quentin dann dazwischenschieben?“

„Ich bin sicher, dass ich ihn auch auf einen anderen Tag vertrösten kann.“ Wütend sahen sie sich an. „Aber wieso interessiert dich überhaupt, was ich tue? Ich dachte, dich interessierte alleinig, so schnell wie möglich zu deiner heißgeliebten Cindy zurückzukehren.“

„Das werde ich nicht können, wenn du deine Rolle nächste Woche nicht ordentlich spielst“, antwortete er bissig. „Und du wirst dich weit mehr anstrengen müssen als heute, um Myra und Elaine davon zu überzeugen, dass du meine Frau bist und nicht die dieses schleimigen Galeristen.“

„Ich wusste nicht, dass ich schon im Dienst war“, erwiderte sie scharf.

„In Anbetracht der Tatsache, dass du ein von mir bezahltes Kleid trägst und auf meine Kosten isst, hätte dir das doch wohl dämmern können, oder?“

Zornig schlug Pandora die Dessertkarte auf. „Schaust du bei Cindy auch so auf die Ausgaben?“

„Lass Cindy da raus!“

„Das tue ich, wenn du Quentin da raus lässt.“

„Warum sorgst du dich so plötzlich um ihn? Er hätte gar keine Notiz von dir genommen, wenn ich dich nicht so ausstaffiert hätte.“

„Das weißt du doch gar nicht.“ Lautstark klappte sie die Karte wieder zu. „Nur weil du dich nicht für mich interessierst, heißt das noch lange nicht, dass das keiner tut.“

„Mich überrascht vielmehr, dass du dich für diesen schleimigen, raffinierten Typ erwärmen könntest.“ Jay verstummte, denn der Kellner näherte sich dem Tisch. „Du möchtest kein Dessert, oder?“

„Ich nehme die Schokoladensahnerolle“, erklärte sie dem Kellner mit einem strahlenden Lächeln, wartete noch, bis Jay seinen Kaffee bestellt hatte, und legte dann los. „Quentin ist nicht schleimig. Er ist charmant, kultiviert und rücksichtsvoll – im Gegensatz zu manchen anderen Leuten.“

„Kultiviertheit und Rücksichtnahme? Ist das alles, was du von einem Mann erwartest?“

„Es ist offenbar mehr, als Cindy erwartet.“

„Cindy ist viel zu vernünftig, um ihre Zeit damit zu verschwenden, von einem Mann zu träumen, der einem durch die Finger gleiten würde, versuchte man, ihn hochzuheben. Ich hatte dir schon nicht allzu viel Verstand zugetraut, aber ein bisschen mehr doch.“

„Nun, wir Künstlertypen müssen eben zusammenhalten, oder? Und noch etwas – es wäre mir lieb, wenn du mich nicht mehr mit ‚Darling‘ anredetest.“

„Du schuldest mir zumindest ein paar ‚Darlings‘“, meinte er mit finsterem Blick.

„Homer hat nur eine Vase zerbrochen“, erinnerte Pandora ihn mürrisch. „Vor den Amerikanerinnen kannst du mich so nennen, aber ansonsten nicht. Schließlich lebe ich noch ein ganzes Jahr hier. Was soll ich übrigens Quentin sagen, wer du bist?“

„Erzähl ihm, ich sei ein eifersüchtiger Liebhaber.“

Gerade hatte sich ihr Herzschlag einigermaßen normalisiert, da schnellte er auch schon wieder in die Höhe. Ihre Fantasie spielte ihr einen üblen Streich und gaukelte ihr Bilder vor, wie Jay sie langsam in die Arme zog, ihr den Reißverschluss des Kleides öffnete, sie anlächelte, seine Hände über ihren nackten Rücken gleiten ließ …

„Und was sage ich ihm, wenn du wieder weg bist?“ Ihre Stimme klang gepresst.

„Zum Beispiel, dass ich dich verlassen habe.“

„Vielen Dank. Das beeindruckt ihn bestimmt.“

„Wenn er sich wirklich etwas aus dir macht, wird er so froh sein, dich für sich zu haben, dass ihm alles egal ist“, erklärte er gleichgültig.

Was für ein egoistischer, arroganter, gemeiner Kerl, dachte Pandora und nickte dankend dem Kellner zu, der gerade den Kuchen brachte. Schweigend begann sie zu essen, und auch Jay trank stumm seinen Kaffee. Es herrschte absolute Funkstille. Nur einmal begegneten sich ihre Blicke, doch sie beide waren sofort darum bemüht, den Kontakt zu unterbrechen.

Auch während der Rückfahrt sagte keiner ein Wort. Gedankenverloren betrachtete Pandora Jays sonnengebräunte Hände am Lenkrad. Es waren die gleichen Hände, die sie vorhin den Reißverschluss ihres Kleides hatte öffnen sehen oder über ihren nackten Rücken …

Das muss aufhören, dachte sie verzweifelt, dieses Schweigen macht mich ganz verrückt. Schnell schaute sie weg und suchte fieberhaft nach einem Gesprächsthema. „Muss ich noch etwas anderes tun, bevor die Amerikanerinnen eintreffen?“, fragte sie schließlich mit piepsiger Stimme, die gar nicht wie ihre klang.

„Du kannst dir überlegen, was du kochst“, antwortete er, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. „Sobald ich weiß, wann sie kommen, gebe ich dir Bescheid, und dann kann ich dich auch zum Einkaufen fahren.“

„Das kann ich allein.“

„Du erzählst mir immer, wie beschäftigt du seist“, erwiderte er ruhig. „Ich bin sicher, dass es schneller geht, wenn ich dabei bin. Zumindest bist du dann nicht versucht, einen zeitraubenden Umweg über die Kunstgalerie zu machen.“

Ärgerlich verschränkte Pandora die Arme vor der Brust. „Tu doch, was du willst.“

„Das tue ich auch.“

Er hielt vor den Stallungen, ließ den Motor aber weiterlaufen, während Pandora ausstieg. „Ich überlasse dir die Planung des Menüs“, sagte er boshaft zum Abschied und fuhr in Richtung Kendrick Hall davon. Wütend schaute sie ihm nach.

4. KAPITEL

Zwei Tage hörte Pandora nichts von Jay, sah aber umso mehr von ihm. Egal, was sie tat, ob sie sich einen Tee zubereitete, mit Homer draußen war oder töpferte, immer wieder schob sich sein Gesicht vor ihr geistiges Auge, und sein Mund erinnerte sie an diesen kurzen, bedeutungslosen, blöden Kuss.

Die Arbeit ging nur schleppend voran, zu groß war ihre innere Unruhe. Doch heute schaffte sie es endlich einmal, sich richtig darauf zu konzentrieren. Selbstvergessen stand sie am Tisch und modellierte eine Schale nach der anderen, während Homer zufrieden neben ihr lag und genüsslich an einem Schuh kaute. Pandora merkte es gar nicht, so sehr war sie ins Töpfern vertieft. Die Sonne schien warm durch das geöffnete Fenster ins Atelier herein und tauchte es in ein goldenes Licht. Leise summte sie vor sich hin, steckte die Hände immer wieder in die Schüssel mit lauwarmem Wasser und formte dann weiter den Ton.

Ein Klopfen an der Tür schreckte sie aus ihrer Arbeit hoch, und ihr stockte der Atem, als sie Jay auf der Schwelle stehen sah. Homer sprang sofort auf und bellte ihn wütend an, er liebte es gar nicht, überrascht zu werden. Zum ersten Mal war Pandora dankbar für den Lärm, den er veranstaltete, so hatte sie zumindest einen Moment Zeit, sich zu fassen.

„Hallo“, meinte sie schließlich und war entsetzt, wie piepsig ihre Stimme klang.

„Kein besonders guter Wachhund“, erwiderte Jay anstatt einer Begrüßung sarkastisch, nachdem er Homer einigermaßen beruhigt hatte. „Seit fünf Minuten stehe ich hier und warte, dass mich jemand bemerkt.“

„Du hättest etwas sagen sollen.“ Sie hatte sich inzwischen geräuspert und hörte sich wieder fast normal an.

„Das habe ich.“ Ein seltsamer Ton schwang in seiner Stimme mit, als würde sich Jay gerade wieder an sie in dem goldenen Licht der Nachmittagssonne erinnern. „Du warst meilenweit entfernt.“

Pandora spürte, wie ein merkwürdiges Kribbeln sie erfasste bei der Vorstellung, dass er sie minutenlang beobachtet hatte. Schnell wandte sie sich ab, um ihre Hände zu säubern. „Ich habe gearbeitet.“

„Homer nicht“, erklärte er streng, um sich dann hinunterzubeugen und den Hund zu tätscheln, der sich unverständlicherweise freute, ihn zu sehen. „Und da könnte man meinen, er wäre für etwas zu gebrauchen.“

Autor

Laura Wright
Laura hat die meiste Zeit ihres Lebens damit verbracht, zu singen, an Tanzturnieren teilzunehmen oder als Schauspielerin zu arbeiten. Erst als sie begann, Romane zu schreiben, hat sie ihre wahre Leidenschaft und Berufung entdeckt!
Geboren und aufgewachsen ist sie in Minneapolis, Minnesota. Danach lebte Laura für einige Zeit in New York,...
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