Julia Saison Band 82

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  • Erscheinungstag 26.10.2024
  • Bandnummer 82
  • ISBN / Artikelnummer 8091240082
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Kate Hardy

1. KAPITEL

„Advent, Advent, ein Lichtlein brennt, erst eins, dann zwei, dann drei, dann …“

Wie vom Donner gerührt unterbrach Sam Taylor seinen Rundgang durch die Kinderstation. Empört öffnete er die Tür zu dem kleinen Zimmer, lehnte sich an den Pfosten und beobachtete die junge Ärztin, die gerade ein kleines Mädchen mit dem Zeigefinger am Bauch kitzelte. Das Kind jauchzte vor Vergnügen.

Wie konnte sie es wagen, sich hier zu amüsieren, während die Arbeit auf der Station kaum zu schaffen war?

Sam konnte Dr. Jodie Price nur von hinten sehen. Ihre langen blonden Locken fielen über ihre Schultern, während sie sich über das Gitter des Bettchens zu der kleinen Patientin hinunterbeugte.

Jetzt räusperte er sich beherrscht und versuchte, seine Wut zu unterdrücken. „Dr. Price, haben Sie einen Moment Zeit?“

Jodie blickte auf, und ihr fröhlicher Gesichtsausdruck verschwand, als sie seine grimmige Miene sah. „Selbstverständlich, Dr. Taylor.“ Noch einmal wandte sie sich an das kranke Mädchen und tippte ihn zärtlich auf die Nasenspitze. „Bis morgen, Amy. Schenkst du mir noch ein Lächeln?“

„Okay“, sagte Amy und verzog tapfer die Mundwinkel, obwohl sie enttäuscht war, nun wieder allein sein zu müssen.

Sam ließ Jodie den Vortritt und schloss die Tür. „Die Hälfte der Visite ist noch zu machen“, setzte er vorwurfsvoll an.

„Ich weiß“, gab Jodie ruhig zurück.

Seine stahlgrauen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Trotzdem spielen Sie in aller Seelenruhe mit Amy Simcox?“

Sie nickte, scheinbar ungerührt. „Unzählige Untersuchungen haben gezeigt, wie wichtig es ist, dass kranke Kinder auch mal lachen. Und davon abgesehen ist heute mein freier Tag.“

Der Punkt ging an sie. Sam fluchte innerlich. Doch so schnell gab er nicht auf. „Tut mir leid, das wusste ich nicht. Leider weigern Sie sich ja hartnäckig, bei der Arbeit einen weißen Kittel zu tragen. Und deshalb“, fuhr er fort, und seine Stimme war gefährlich sanft, „ist es ziemlich schwierig zu erkennen, ob Sie Dienst haben oder nicht.“

Nun schoss Jodie das Blut in die Wangen. Aber sie ließ sich nicht einschüchtern. „Nach meiner Erfahrung flößt ein weißer Kittel Kindern noch mehr Furcht ein, als die Krankenhausatmosphäre es ohnehin schon tut.“

„Und wie können die Eltern dann sicher sein, dass Sie sich nicht nur als Ärztin ausgeben?“, schoss er zurück. „Mit einem Stethoskop um den Hals und Akten unter dem Arm kann jeder herumlaufen.“

„Zugegeben.“ Sie schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln, das ihn nur noch mehr in Rage brachte. „Einen Arztkittel kann sich aber auch jeder besorgen – einen Dienstausweis dagegen nicht.“ Sie fischte die kleine Plastikkarte aus der Tasche ihrer Jeans.

Sam wusste, er müsste die junge Assistenzärztin eigentlich darauf hinweisen, dass sie sich ihm gegenüber im Ton vergriff. Doch der angriffslustige Glanz in ihren Augen sagte ihm, dass sie genau darauf wartete. Er war höchstens sechs oder sieben Jahre älter als sie, doch im Moment fühlte er sich, als läge eine ganze Generation zwischen ihnen.

„Was machen Sie überhaupt hier, an Ihrem freien Tag?“, wechselte er jetzt das Thema. „So viel Engagement ist doch ziemlich ungewöhnlich. Denken Sie, dass Sie auf diese Weise schneller Karriere machen?“ Er wusste, dass er ihr Unrecht tat. Sie war nicht der Typ, der mit unfairen Mitteln die Kollegen ausstach.

„Ich wollte nur ein wenig Zeit mit Amy verbringen.“ Jodie biss sich auf die Lippen. „Sie tut mir leid. Nicht nur, dass die Kleine in einem Alter ist, wo sie eigentlich putzmunter herumlaufen sollte, statt mit dem Hüftgips zur Bewegungslosigkeit verurteilt zu sein. Ihr Vater ist angeblich viel zu beschäftigt, um sie zu besuchen. Und die Mutter bricht jedes Mal in Tränen aus, wenn sie kommt.“

„Warum?“, fragte Sam Taylor verblüfft. Natürlich wusste er, dass einem guten Arzt das Schicksal seiner Patienten nicht gleichgültig war. Aber dennoch erstaunte ihn Jodies große Betroffenheit.

„Amys Mutter ist überzeugt, dass sie schuld ist an dieser Fehlstellung der Hüfte, weil sie während der Schwangerschaft einmal ein Glas Champagner getrunken hat.“ Jodie zuckte die Achseln. „Ich habe ihr unzählige Male erklärt, dass eine Hüftfehlstellung häufig vorkommt, wenn das Baby im Bauch der Mutter nicht richtig liegt. Der Kinderarzt hätte die Fehlentwicklung eigentlich schon bei der Routineuntersuchung mit sechs Wochen erkennen müssen, spätestens aber, als Amy mit anderthalb Jahren noch immer nicht richtig laufen konnte. Aber das Problem ist erst hier im Krankenhaus erkannt worden. Dabei wäre es bei einem Neugeborenen so einfach und schmerzfrei zu behandeln gewesen.“

Sie seufzte und fuhr fort: „Die Krankenschwestern sind sehr lieb zu der Kleinen, aber sie haben wenig Zeit. Deshalb bin ich manchmal in der Mittagspause oder nach Feierabend noch kurz bei Amy.“

„Machen Sie das bei all Ihren Patienten so?“, fragte Sam.

Jodie reckte das Kinn, und zum ersten Mal fiel ihm auf, dass sie kaum kleiner war als er.

„Nur bei denjenigen, die besondere Zuwendung brauchen“, entgegnete sie trotzig.

Ohne nachzudenken, erwiderte Sam: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr Freund dafür Verständnis hat.“ Im nächsten Moment hätte er sich für diese allzu direkte Frage verfluchen können.

Jodie errötete. „Nein, das hatte er nicht.“ Sie blickte Sam direkt an. „Ich will Sie nicht länger aufhalten, Sie müssen zur Visite.“

Nein, das hatte er nicht. Bedeutete das, dass sie keinen Freund mehr hatte? Plötzlich bemerkte Sam, dass Jodie ihn noch immer ansah und auf eine Antwort wartete. „Oh, ja. Ich muss gehen. Gute Nacht, Dr. Price.“

Sam setzte seine Patientenbesuche fort und machte sich sorgfältig Notizen zu jedem Fall. Doch er konnte das Bild der blonden Assistenzärztin nicht aus seinen Gedanken verdrängen. Verrückt. Nach dem unglücklichen Ausgang seiner Ehe mit Angela hatte er keinerlei Interesse an einer neuen Beziehung. Und wenn doch, dann ganz gewiss nicht mit Jodie. Er wollte nicht, dass die Kollegen im Krankenhaus einen Grund hatten, über ihn zu reden. Als Angela ihn damals wegen eines anderen Mannes verlassen hatte, war das Gerede schon schlimm genug gewesen. So etwas wollte er ganz gewiss nicht noch mal erleben.

Außerdem war Jodie überhaupt nicht sein Typ. Jung, schön und eine Spur zu selbstbewusst für eine Ärztin in ihrer Position. Sie musste noch eine Menge lernen, sowohl im Beruf als auch im Leben. Doch wenn er ehrlich war, faszinierte ihn genau das an ihr.

Energisch rief er sich zur Ordnung. Er wollte nicht einmal mit ihr befreundet sein, geschweige denn mehr. Doch warum hatte er sie dann nach ihrem Freund gefragt?

Sam zwang sich zur Konzentration und beendete die Visite. Doch als er die Station gerade verlassen wollte, hörte er plötzlich Jodies fröhliches Lachen. Ein Lachen, das ihm unter die Haut ging. Einen Moment lang wünschte er, er selbst hätte ein Lächeln auf ihr Gesicht gezaubert.

„Bis später bei Mario, Jodie“, sagte gerade Fiona Ferguson, die Stationsschwester. „Um acht Uhr.“

„Ich werde pünktlich sein“, versprach Jodie, schwang sich auf den Rand des Schreibtisches und ließ die langen Beine baumeln.

„Niemals! Ihr Ärzte seid alle gleich. Ihr glaubt, die Zeit, die Freunde und die Pizza warten nur auf euch“, neckte Fiona sie. „Wenn du zu spät kommst, werden wir dein Dessert aufessen.“

„Das könnt ihr einer armen, hungrigen Assistenzärztin nicht antun“, flehte Jodie theatralisch. „Marios Desserts sind göttlich.“

„Du traust uns das nicht zu?“, fragte Fiona ungläubig und lachte.

„Dr. Price, Sie sind ja immer noch hier“, stellte Sam betont gleichgültig fest, während er schlendernd näher kam.

„Oh, Dr. Taylor.“ Sofort verblasste Jodies Lächeln. „Ich wollte gerade …“, ihre Stimme erstarb. Warum nur fühlte sie sich in Sam Taylors Gegenwart so unwohl? Sie hatte bisher nie Probleme mit ihren Vorgesetzten gehabt, doch er war vollkommen unnahbar. Kein Wunder, dass die Kollegen ihm den Spitznamen „Dr. Frost“ gegeben hatten. Hinter seiner Unnahbarkeit steckte mehr als nur professionelle Distanz.

Man musste ihn aus der Reserve locken, beschloss sie kurzerhand.

„Warum kommen Sie heute Abend nicht einfach mit?“, schlug sie vor.

„Mit Ihnen?“ Er sah sie irritiert an.

„Ja, wir treffen uns bei Mario, dem Italiener am Ende der Straße.“ Er sah sie an, als habe sie ein Dinner zu zweit bei Kerzenschein und romantischer Musik vorgeschlagen, dachte sie bei sich. „Dort gibt es die beste Pizza der Stadt, und donnerstags spielt immer eine Jazzband. Es gibt auch köstliches Risotto, falls Sie keine Pizza mögen“, fügte sie schnell hinzu.

„Ich …“

„Und wir reden auch nicht den ganzen Abend über die Arbeit. Also, um acht Uhr?“

„Ich …“

„Gut“, sagte sie und schenkte ihm ein Lächeln. „Wir sehen uns dann dort.“ Sie verabschiedete sich von Fiona und ging hinaus, während Sam Taylor ihr nachblickte und die Stationsschwester ihr mit hochgezogenen Brauen hinterhersah.

Nachdem Jodie die bequemen Gesundheitsschuhe gegen ihre Sportschuhe getauscht hatte, machte sie sich auf den Weg zum Fahrradschuppen am Rand des Parkplatzes.

Was hatte sie nur getan? fragte sie sich entgeistert, als sie nach Hause radelte. Aus einer Laune heraus hatte sie den attraktivsten Oberarzt des Krankenhauses zu ihrem wöchentlichen Treffen eingeladen. Natürlich glaubte er jetzt, sie wolle sich bei ihm anbiedern. Oder, noch schlimmer, sie sei auf der Suche nach einem erfolgreichen Ehemann.

Dabei mochte sie Sam Taylor nicht einmal besonders.

Obwohl er durchaus anziehend war, ein starker, ruhiger Mann, groß, dunkelhaarig und ehrgeizig. Seine grauen Augen erinnerten sie an einen trüben Himmel voller Regenwolken, und er wirkte einsam. Sie bevorzugte den sportlichen Typ, blond und gebräunt, mit ungezähmten Locken. Männer, die nicht zu ernst waren, sondern auf der Sonnenseite des Lebens standen. Mit Lachfältchen um die meerblauen Augen und einem freundlichen, großzügigen Mund. Taylor aber war blass, vernünftig und strich sein glattes Haar ordentlich aus dem Gesicht.

Hör auf, darüber nachzudenken, sagte sie sich, als sie bei ihrer Wohnung angekommen war. Vermutlich wird er heute Abend gar nicht auftauchen.

2. KAPITEL

Als Jodie um Viertel nach acht das kleine italienische Restaurant betrat, winkte Fiona ihr fröhlich zu. „Du bist zu spät. Danke, dass wir jetzt dein Dessert essen dürfen“, witzelte sie.

Jodie trat an den Tisch und begrüßte die fröhliche Runde ihrer Kollegen. Dann erstarrte sie für einen Moment – Sam Taylor saß am Ende des Tisches und lächelte ihr zu. Er trug schwarze Jeans und ein dunkles Poloshirt und deutete einladend auf den einzigen freien Stuhl ihm gegenüber.

Tagsüber der Halbgott in Weiß, abends schlichtes Schwarz. Widerwillig musste sie zugeben, dass es ihm verdammt gut stand.

Ihr wild pochendes Herz ignorierte sie, setzte sich und schenkte Sam ein höfliches Lächeln. „Sie sind also tatsächlich gekommen.“

Er nickte nur.

„Habt ihr schon bestellt?“, fragte Jodie in die Runde.

„Ja, für dich die gleiche Pizza wie immer“, erwiderte Mick Salmond, einer der wenigen männlichen Krankenpfleger auf der Station. „Margherita mit Muscheln, schwarzen Oliven und Avocado.“

„Avocado? Auf der Pizza?“ Sam runzelte die Stirn.

Zum ersten Mal entdeckte Jodie einen Anflug von Heiterkeit in seinem Blick. Die grauen Regenwolken schienen wie weggeblasen, an ihre Stelle war ein hell glänzender Silberstreif getreten. Das Lächeln, das er ihr schenkte, war zurückhaltend und dennoch faszinierend. Wie es wohl wäre, diese Lippen zu küssen? fragte Jodie sich insgeheim. Doch sofort rief sie sich zur Vernunft. Sie wollte nicht über Sam Taylor in diesem Zusammenhang nachdenken. Niemals.

Ist er umwerfend oder ein Langweiler? würde ihr Bruder fragen. Er ordnete alle Verehrer seiner Schwester in diese beiden Kategorien. Heute Morgen noch hätte Jodie Sam den Langweilern zugeordnet. Mittlerweile war sie nicht mehr so sicher.

Um ihre Verwirrung zu überspielen, griff Jodie nach der Rotweinflasche, schenkte sich ein und nahm einen Schluck. „Mmm, der Wein schmeckt wunderbar“, äußerte sie zufrieden.

„Es ist dieser sizilianische Syrah, den du letztes Mal entdeckt hast“, erklärte Fiona.

„Wenn man eine Frau auswählen lässt, hat man plötzlich einen Wein mit Schokoladenaroma“, brummte Mick und rollte mit den Augen.

„Rotwein und Schokolade ergänzen sich schließlich perfekt“, gab Jodie unbeirrt zurück. „Außerdem ist es erwiesen, dass Menschen, die genießerisch leben, ein besseres Immunsystem haben.“

Mick stöhnte. „Jetzt wirst du uns gleich wieder mit deinem Beitrag zum Thema Spielen langweilen.“

„Spielen?“, fragte Sam irritiert.

„Sie schreibt einen Fachartikel für die Ärztezeitschrift, wie wichtig Spielen für die Genesung von Kindern ist“, erklärte Mark.

„Deshalb also verbringen Sie Ihre freie Zeit auf der Station“, vermutete Sam.

Jodie errötete. „Ja … Nein. Nicht nur deshalb. Ich liebe die Arbeit mit Kindern, das ist alles.“

Die Pizza kam und erlöste sie aus ihrer Verlegenheit. Jodie widmete sich voller Genuss dem Essen, bis sie spürte, dass Sam sie unverwandt ansah. Fragend blickte sie auf.

„Ich kann nicht glauben, dass Sie das essen“, Sam verzog das Gesicht.

„Sie sollten es probieren, es ist wirklich köstlich.“ Ohne zu zögern, schnitt sie ein Stück von ihrer Pizza ab und bot ihm ihre Gabel an.

Als er sich vorbeugte, traf sein Blick den ihren. Jodie spürte, wie ihr Mund trocken wurde. Vermutlich war ihr der Alkohol zu Kopf gestiegen. Wie kam sie dazu, ihn mit ihrer Gabel zu füttern?

Erschrocken zog sie die Hand wieder zurück.

„Schmeckt besser, als ich dachte“, gab er zu.

Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, und beugte sich verlegen über ihren Teller.

„Warum haben Sie sich für Kinderheilkunde entschieden?“, fragte Sam interessiert.

„Ich mag Kinder.“

„Aber Sie sind nicht verheiratet. Wollen Sie keine eigenen Kinder?“

Jodie runzelte die Stirn. Warum fragte er? Wollte er wissen, ob es sich lohnte, auf sie als Ärztin zu zählen, oder ob sie sich irgendwann gegen eine Karriere und für Familie entscheiden würde?

Nein, so war er nicht. Vermutlich wollte er nur ein simples Gespräch mit ihr führen, ohne Hintergedanken. Er konnte ja nicht ahnen, dass er ihren wunden Punkt getroffen hatte. Es war nämlich gerade einmal drei Monate her, dass ihr Ex-Freund Graham ihr eröffnet hatte, sie kümmere sich zu viel um ihren Beruf, und sie deswegen verlassen hatte.

„Nein, ich bin nicht verheiratet, und ich plane auch kein Haus voller Kinder“, erklärte sie kurz. „Nicht alle Frauen träumen davon, eine Familie zu gründen.“

„Nein?“, gab er zurück. Seine Miene war unergründlich.

„Nein“, betonte Jodie energisch. „Ich habe einen kleinen Patensohn, Billy, und ich genieße es sehr, Zeit mit ihm zu verbringen.“ Das war nur ein Teil der Wahrheit. Sie wünschte sich Kinder, nur jetzt noch nicht. Sie wollte einen Weg finden, Mutter zu sein und dennoch ihren Beruf nicht aufzugeben. Und dann war da noch das kleine, aber nicht unwichtige Problem, zunächst den Vater ihrer Kinder zu finden …

„Warum arbeiten Sie auf der Kinderstation?“, wechselte sie das Thema und gab die Frage von vorhin zurück.

„Ich …“, er zögerte. „Nach dem Studium habe ich in der Kardiologie und in der Onkologie gearbeitet, doch die Arbeit mit Kindern liegt mir am meisten.“ Während er sprach, schien es, als wappne er sich gegen einen inneren Schmerz.

„Kardiologie“, wiederholte sie gedankenverloren. „Das wäre fast auch mein Spezialgebiet geworden, wegen Sadie.“

„Sadie?“

„Meine jüngere Schwester.“ Ihre fröhlichen grünen Augen verdüsterten sich. „Sie hatte ein Loch im Herzen. Damals konnte man es noch nicht heilen. Sie starb zwei Wochen nach der Geburt.“

„War sie sehr viel jünger als Sie?“, wollte Sam wissen.

Jodie schüttelte den Kopf. „Ich war damals knapp drei. Mein Bruder Matt war sieben, er kann sich besser an die Zeit damals erinnern. Trotzdem hat gerade er mich überzeugt, nicht nur wegen Sadie Kardiologin zu werden, sondern meinen eigenen Weg zu finden.“

Sie lächelte. „Er hat mir gerade erzählt, dass er sich verloben wird. Annie und er kennen sich schon seit der Schulzeit, doch ihre Liebe füreinander haben sie erst jetzt entdeckt. Und nun wollen sie keine Zeit mehr verlieren. Die Party ist am nächsten Wochenende“, fügte sie wenig begeistert hinzu.

„Und Sie haben Dienst und können nicht dabei sein?“, vermutete Sam.

Jodie nickte.

„Können Sie nicht mit jemandem tauschen?“

„Nein, dafür ist die Station zu schlecht besetzt. Aber wir werden nachfeiern, nur Annie, Matt und ich.“

Also war der Freund endgültig aus dem Rennen, stellte Sam fest und spürte, dass ihn diese Tatsache freute. Warum? Er konnte sich nicht in Jodie verlieben. Schließlich war sie seine Kollegin.

Sie hatte mittlerweile den Platz gewechselt und trank gemeinsam mit Fiona einen Kaffee an der Bar. Doch er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Er nahm jede ihrer Bewegungen in sich auf – die Art, wie sie die blonden Locken über die Schultern warf, wie ihr Mund sich zu einem Lächeln verzog, wie sie die Hand nach der Tasse ausstreckte. Er stellte sich vor, wie es wäre, ihren schlanken Körper zu berühren, mit den Fingern durch ihr seidiges Haar zu streichen, ihre Lippen zu küssen und ihr danach tief in die lebhaften grünen Augen zu schauen.

Sam atmete tief durch. Was hatte Jodie Price an sich, dass ihm ihr Anblick so sehr unter die Haut ging? Es war ihm immer gelungen, Job und Privatleben strikt zu trennen. Dabei hatte er eigentlich gar kein Privatleben. Es gab nur die Katze, die ihm zugelaufen war, als er nach Norfolk zog. Er hatte sich immer vorgestellt, mit Anfang dreißig Kinder zu haben. Einen Sohn, der auf Bäume kletterte und mit dem Stethoskop seines Vaters dem Klopfen seines Herzens lauschte. Eine kleine Tochter, die auf unsicheren Beinen die ersten wackligen Schritte auf ihn zu machte und „Da-da“ zu ihm sagte.

Doch tatsächlich war sein Leben eine gähnende Leere. Ein Vakuum, das er auch mit noch mehr Arbeit nicht füllen konnte.

Er ertappte sich dabei, dass er Jodie erneut beobachtete. Sie gab jedem Menschen das Gefühl, wichtig zu sein. Er sah, wie sie mit ernster Miene zuhörte, während Mick etwas erzählte. Dann lachte sie unbeschwert und warf dabei den Kopf in den Nacken.

Nach dem Kaffee löste sich die fröhliche Runde auf. Schließlich blieben Sam und Jodie allein vor der Tür der Restaurants.

„Wie kommen Sie nach Hause?“, fragte er.

„Mit dem Fahrrad.“

Er runzelte die Stirn. „Bei diesem Regen?“

Sie zuckte die Achseln. „Es ist nicht weit. Ich brauche höchstens eine Viertelstunde.“

„Aber Sie werden bis auf die Haut nass, wenn Sie bei diesem Wetter aufs Rad steigen.“

„Das wird mich nicht umbringen. Man holt sich nicht gleich eine Grippe, wenn man ein bisschen nass wird, Doktor“, neckte sie ihn und schlang sich ein Tuch um die hellen Locken.

„Wo steht Ihr Rad?“

„Warum?“, fragte sie irritiert.

„Weil wir Ihr Fahrrad in den Kofferraum meines Wagens laden werden und ich Sie heimbringe. Das ist das Mindeste, was ich tun kann“, fügte er hinzu. „Schließlich haben Sie mir zu einem ausgesprochen netten Abend verholfen. Also, wo steht Ihr Fahrrad?“

„Dort, an dem Laternenpfahl“, erklärte sie und zeigte auf ihr uraltes Rennrad.

Sie schloss die Kette auf und schob das Fahrrad bis zu seinem Wagen. Das Auto war groß genug für den Transport, aber es war makellos und ziemlich neu.

„Sind Sie sicher, dass Sie sich Ihren Kofferraum ruinieren wollen?“, vergewisserte Jodie sich.

„Absolut sicher.“ Er öffnete die Heckklappe und verstaute ihr Rad. „Steigen Sie ein.“

Plötzlich fühlte sie sich unwohl dabei, auf engem Raum mit Sam Taylor allein zu sein. Sie müsste nur die Hand ausstrecken, um seine Finger zu berühren. Er ging so behutsam mit den Patienten um. Wie mochte es sein, diese Hände auf ihrer Haut zu spüren?

Hör auf, ermahnte sie sich und stellte erschrocken fest, dass er mit ihr gesprochen hatte.

„Entschuldigung, ich war ganz in Gedanken“, sagte sie.

„Können Sie mir den Weg erklären?“, bat er.

Seine Stimme klang vollkommen ruhig und entspannt. Ganz offensichtlich empfand er nicht das Gleiche für sie wie sie für ihn. Sie musste sich Sam Taylor aus dem Kopf schlagen.

Bei ihrem Haus stellte Sam den Motor ab und hievte das Fahrrad aus dem Kofferraum.

„Vielen Dank, dass Sie mich nach Hause gebracht haben.“

„Kein Problem.“

Sollte sie ihm noch einen Kaffee anbieten? Es wäre höflich, nachdem er sie heimgefahren hatte. Doch sie wollte nicht, dass er das Angebot missverstand.

Sam nahm ihr die Entscheidung ab. „Gute Nacht, Jodie.“ Es war das erste Mal, dass er sie beim Vornamen nannte. Ihr Herz klopfte heftig.

„Gute Nacht“, erwiderte sie. Dann schaute sie ihm nach, wie er in den Wagen stieg und davonfuhr. Obwohl sie sich fast den ganzen Abend mit ihm unterhalten hatte, wusste sie nichts von ihm. Er war so rätselhaft und unnahbar. Nur einen Moment lang hatte sie geglaubt, seinen Schutzwall durchbrochen zu haben. Sie hatte einen Blick durch die Wolkendecke erheischt. Und dieser Silberstreif sagte ihr, dass sie nicht aufgeben sollte. Jedenfalls noch nicht.

Auf dem Heimweg machte Sam sich Vorwürfe. Warum hatte er angeboten, sie nach Hause zu bringen? Fast hätte er seine Regel gebrochen, sich nie mit Kolleginnen einzulassen. Wie sie ihn angesehen hatte, als er das Rad aus dem Auto geholt hatte! Ihre Augen hatten geglänzt, ihr Mund so weich und verführerisch … Am liebsten hätte er sie in die Arme geschlossen und geküsst – zur Hölle mit allen Regeln.

Aber er wollte sich nicht wieder auf eine Frau einlassen.

Doch was hatte er eigentlich zu verlieren? Angela war schließlich das genaue Gegenteil von Jodie.

Angela war zierlich, fast mager, und überaus gepflegt. Sie trug grundsätzlich Kostüme mit passenden Designerschuhen und Handtaschen. Jodie dagegen war groß, wohl proportioniert und lässig gekleidet. Angela war stets perfekt geschminkt, während Jodie vermutlich kaum mehr Make-up trug als einen dezenten Lippenstift. Angela hätte sich niemals ihre Frisur im Regen ruinieren lassen, und wenn sie überhaupt jemals auf ein Rad gestiegen wäre, hätte es ein trendiges Mountainbike sein müssen.

Jodie war tatsächlich genau das Gegenteil von Angela – nein, das stimmte nicht. Jodie ähnelte der Angela, in die Sam sich während des Studiums verliebt hatte. Die junge Jurastudentin mit dem Funkeln in den Augen und dem Humor, der ihn aus seiner Ernsthaftigkeit gerissen hatte.

Doch das Leuchten in ihren Augen war verloschen, als Angela merkte, dass er ihr nicht das geben konnte, was sie von einem Ehemann erwartete. Und mit Jodie würde es genauso enden. Er hatte nicht das Recht, jemanden in sein Leben zu lassen. Seine Vergangenheit würde immer präsent sein.

Auch wenn Jodie sagte, sie wäre damit zufrieden, Patentante zu sein, irgendwann würde sie sich eigene Kinder wünschen. Dafür liebte sie Kinder einfach zu sehr.

3. KAPITEL

Jodie sah von der besorgten Mutter zu dem etwa sieben Wochen alten Baby, das diese in den Armen hielt.

„Hallo, ich bin Jodie Price“, stellte sie sich vor. Dann zeigte sie auf Sam. „Mein Kollege Dr. Taylor … Und das ist Harry, nicht wahr?“ Sie strich dem Kleinen behutsam über den Kopf.

Die Mutter, Mrs. Bartlett, nickte kummervoll. „Ich dachte zunächst, es sei nur eine Erkältung. Aber plötzlich bekam er überhaupt keine Luft mehr …“

„Jetzt sind Sie ja hier, und wir werden diesem kleinen Burschen schon helfen“, beruhigte Jodie sie. Dann ging sie in die Hocke und sah sich das Baby an. „Wann haben Sie denn zum ersten Mal bemerkt, dass Harry ernsthaft krank ist?“

„Vor zwei Tagen. Seine Schwester ist erkältet, und ich dachte, er hätte sich angesteckt. Aber dann hat er immer weniger gegessen und begonnen zu husten. Und heute war er plötzlich so still. Ich bin zur Kinderärztin gegangen, und sie hat mich sofort hierher geschickt.“

„Das war richtig“, versicherte Jodie ihr. „Jetzt werde ich mir den Kleinen mal ansehen.“

Mit wenigen Handgriffen hatte sie dem Säugling seinen Strampelanzug und die Windel ausgezogen, horchte Brust und Rücken ab, maß Fieber und blickte in seine Ohren. Geduldig ließ er alles über sich ergehen, hustete nur einmal kurz und weinte heiser auf.

„Es scheint, als habe er seine Stimme verloren“, erklärte Jodie.

Mrs. Bartlett nickte. „Er ist allgemein ein sehr ruhiges Baby, aber durch die Erkältung kann er überhaupt nicht mehr schreien.“

Nach einem weiteren Blick auf das Kind stellte Jodie an Sam gewandt fest: „Verschleppte Bronchitis.“ Dann wandte sie sich wieder an die Mutter. „Er kann den Schleim nicht richtig abhusten“, erklärte sie. „Deshalb atmet er so schwer.“

Vorsichtig tastete sie den Bauch des Babys ab. „Hier ist alles wunderbar“, beruhigte sie Mrs. Bartlett.

„Also doch nur eine Erkältung?“, fragte die Mutter hoffnungsvoll.

„Ich befürchte, es ist mehr als ein kleiner Husten“, musste Jodie zugeben. „Es ist eine Virusinfektion der Atemwege. Ältere Kinder und Erwachsene bekommen davon nur einen Husten und eine heftige Erkältung, doch bei Babys wird diese Infektion schnell schlimmer. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden ihn ein paar Tage hierbehalten, und dann geht es ihm wieder besser.“ Sie lächelte Mrs. Bartlett beruhigend an. „Wir haben schon sechs Säuglinge mit den gleichen Symptomen hier, der kleine Harry ist also in bester Gesellschaft. Spätestens in einer Woche wird er wieder gesund sein.“

Mrs. Bartlett sah sie besorgt an. „Kann ich bei ihm bleiben?“

„Selbstverständlich. Er bekommt sowieso ein Einzelzimmer, weil der Virus sehr ansteckend ist. Wir werden Ihnen ein Bett mit hineinstellen. Wer kümmert sich um seine Schwester?“

Darüber hatte Mrs. Bartlett anscheinend noch nicht nachgedacht. Sie stockte. „Im Moment ist sie bei einer Freundin. Ich hoffe, mein Mann kann Urlaub nehmen.“

Jodie sah die Mutter freundlich an. „Wir kümmern uns jetzt um Harry, und Sie können in der Zwischenzeit Ihrem Mann Bescheid sagen.“

Als sie sah, dass Mrs. Bartlett nervös ihre Hände knetete, legte sie ihr behutsam die Hand auf die Schulter. „Regeln Sie alles in Ruhe, Mrs. Bartlett. Harry ist bei uns in guten Händen. Ich habe heute bis zum späten Abend Dienst, ich werde also auf jeden Fall auch selbst noch einmal nach dem kleinen Kerl sehen.“

Mit blassem Gesicht sah die Mutter sie dankbar an. „Danke, Dr. Price.“

Als sie hinausgegangen war, um ihren Mann anzurufen, blickte Sam von seinen Notizen auf. „Sie sind sehr einfühlsam im Umgang mit den Eltern.“

„Danke.“ Sie war erstaunt über dieses Kompliment. Sam hatte kaum mit ihr gesprochen, seit er sie vom Restaurant nach Hause gebracht hatte. Das war nun fast eine Woche her. Und seit sie wusste, dass sie heute gemeinsam zum Dienst eingeteilt waren, hatte sie sich auf einen anstrengenden Tag voller Kritik eingestellt. Tatsächlich aber war er bisher ausgesprochen freundlich zu ihr gewesen.

„Sie sind eine gute Ärztin“, fügte er hinzu und wechselte dann rasch das Thema. „Haben wir noch mehr neue Patienten?“

„Ein Mädchen mit einem Asthmaanfall, einen kleinen Jungen mit Hautausschlag und einen Zwölfjährigen mit einem gebrochenen Arm.“

„Ich sehe, Sie haben alles im Griff.“ Lächelnd lehnte er sich zurück.

Jodie sah ihn einen Moment lang irritiert an. Eine Woche lang hatte er jeden Kontakt mit ihr vermieden. Und gerade, als sie beschlossen hatte, keinen Gedanken mehr an ihn zu verschwenden, schenkte er ihr dieses atemberaubende Lächeln.

„Lassen Sie uns an die Arbeit gehen“, erwiderte sie höflich distanziert.

Die Weihnachtsfeier der Station war für Mitte Dezember geplant. Wie in jedem Jahr waren auch dieses Mal die Partner der Mitarbeiter ebenfalls eingeladen. Für die Singles im Team jedoch gab es einen Brauch, der immer wieder mit Spannung erwartet wurde: Die Hälfte der alleinstehenden Kollegen schrieb ihren Namen auf einen Zettel und warf ihn in einen alten Strohhut. Am Tag vor der Party zog dann die andere Hälfte den Namen ihres jeweiligen Begleiters aus dieser einfachen Lostrommel.

Es muss Schicksal sein, dachte Jodie, als sie Sams Namen auf ihrem Zettel las. Sollte sie ihm die Möglichkeit geben, einen Rückzieher zu machen? Sie wusste, dass er solche Feste hasste. Andererseits – es war die Weihnachtsfeier. Und verlieh die Vorweihnachtszeit nicht allem einen ganz besonderen Zauber?

Als Sam die Visite beendet hatte, trat Jodie auf ihn zu. „Haben Sie einen Augenblick Zeit, Dr. Taylor? Vielleicht … in Ihrem Büro?“

„Selbstverständlich.“

Sams Büro war groß, aber vollkommen nüchtern und unpersönlich. Keine Grünpflanze, keine Bilder. Selbst die Weihnachtskarten lagen ordentlich auf einem Stapel am Rand des Schreibtisches.

Sam setzte sich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch. „Was kann ich für Sie tun, Dr. Price?“

Jodie atmete tief durch, nahm allen Mut zusammen und schluckte. „Es ist wegen der Weihnachtsfeier auf der Station.“

„Ja?“

„Ich … ich habe Ihren Namen aus dem Hut gezogen.“

Nicht die Spur eines Gefühls. Er war vollkommen undurchschaubar.

„Und?“

„Ich …“, sie zögerte. „Wenn es Ihnen lieber wäre, könnte ich mir eine Entschuldigung ausdenken und morgen Abend nicht kommen.“

„Warum sollte mir das lieber sein?“

„Mein Gott, Männer sind manchmal wirklich schwer von Begriff!“

Jodie stockte der Atem. Das hatte sie jetzt nicht wirklich gesagt!

Doch zu ihrer Erleichterung lachte er herzlich. „Ich schätze, Sie haben nur laut gedacht, oder?“

Erschrocken hielt sie eine Hand vor den Mund. „Es tut mir so leid. Was ich meinte, war …“

„… dass Sie keine Lust haben, mit Dr. Frost zur Weihnachtsfeier zu gehen?“

Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen.

„Sie wissen …?“

„… dass man mich hier so nennt? Ja, und es stört mich nicht. Also, warum möchten Sie morgen auf der Party nicht von mir begleitet werden?“

„Es ist … Sie sind immer so, so …“, verzweifelt suchte sie nach dem passenden Wort.

„Schwierig?“, half er mit gleichgültiger Miene aus.

Jodie nickte. „Als Sie mit uns zu Mario gekommen sind, hatte ich das Gefühl, Sie tauten ein bisschen auf. Aber danach …“

„… wurde ich wieder Dr. Frost.“

Röte überzog ihr Gesicht. „Ich schätze, Fiona hat Sie nicht gefragt, ob Sie überhaupt kommen möchten, bevor sie einen Zettel mit Ihrem Namen in den Hut geworfen hat?“

„Nein, das hat sie nicht.“

„Also, wenn Sie nicht kommen möchten, werde ich nicht gekränkt sein.“

„Und wenn ich kommen will?“

„Dann werden Sie die Show mit verschiedenen Sketchen und Parodien zum Krankenhausalltag überstehen müssen. Und auch Sie werden nicht verschont.“ Jodie wandte sich zur Tür. „Ich muss jetzt gehen, auf mich wartet noch viel Arbeit.“

Sie hatte die Hand schon an der Türklinke, als seine Frage sie zurückhielt.

„Soll ich Sie morgen zu Hause abholen oder treffen wir uns hier?“

„Ich komme mit dem Rad. Die Party beginnt um sieben.“

„Zehn vor sieben, unten am Fahrstuhl?“

„Okay.“ Jodie verließ das Büro. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, seufzte sie erleichtert auf. Es war nicht so schlimm gewesen, wie sie erwartet hatte. Allerdings wusste sie noch immer nicht, ob er gern kam oder nicht. Doch der Sketch über „Dr. Frost“, der ihn morgen erwartete, würde ihn schon aus der Reserve locken.

Sam lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er bewegte sich auf dünnem Eis. Jodie hatte ihm jede Möglichkeit gegeben, morgen nicht zu dieser Feier zu gehen. Warum hatte er die Gelegenheit nicht ergriffen?

Resigniert stöhnte er auf. Er hatte erkannt, dass es auf Dauer keine Lösung war, den Kollegen gegenüber kühl und unnahbar zu sein. Dafür arbeiteten sie zu eng zusammen. Vielleicht konnte er ihnen morgen Abend zeigen, dass Dr. Frost auch Humor hatte.

Wie lange hatte er schon nicht mehr von ganzem Herzen gelacht? An jenem Abend im Restaurant hatte er sich seit langer Zeit zum ersten Mal amüsiert. Und das nur, weil Jodie in sein Leben geplatzt war und ihn förmlich gezwungen hatte mitzugehen.

Er hätte Jodies Angebot annehmen und morgen nicht zur Party kommen sollen. Wie sollte er es ertragen, mit ihr zu tanzen, ihren Körper eng an seinem zu spüren in der Gewissheit, dass sie niemals ihm gehören konnte? Viele Menschen hatten ein weitaus härteres Schicksal, doch das war in diesem Moment kein Trost.

Morgen früh, beschloss er, würde er mit schrecklichen Halsschmerzen aufwachen und keinesfalls zur Weihnachtsparty kommen können. Dann käme Jodie zumindest nicht auf die Idee, er wolle ein Zusammentreffen mit ihr vermeiden. Sie könnte ohne schlechtes Gewissen zur Weihnachtsfeier gehen und ihm danach vollkommen unbefangen gegenübertreten – und er wäre nicht der Qual ausgesetzt, einen Abend mit dieser Frau zu verbringen, die für ihn unerreichbar war.

4. KAPITEL

Sam hätte am nächsten Tag Gelegenheit genug gehabt zu verbreiten, es gehe ihm nicht gut und er werde nicht zur Party kommen. Doch er erwähnte seine angeblichen Halsschmerzen mit keinem Wort, sondern betrat pünktlich um zehn vor sieben den Eingangsbereich des Krankenhauses. Die Aussicht auf einen Abend mit Jodie war einfach zu verlockend.

Als er sie erblickte, war er von ihrem Anblick wie verzaubert. Jodie war atemberaubend schön. Ihr Haar hatte sie hochgesteckt, doch hier und da hatte sich eine blonde Strähne gelöst und verlieh der strengen Frisur eine weiche Note. Das Make-up war dezent – gerade stark genug, um ihre ausdrucksvollen Augen und ihren sinnlichen Mund zu betonen –, und das dunkelrote Kleid aus Wildseide brachte ihr helles Haar und die grünen Augen perfekt zur Geltung und umschmeichelte ihre langen Beine.

Sie lächelte, und Sam fühlte sich, als ramme ihm jemand ein Messer in den Bauch – denn ihr Lächeln galt nicht ihm, sondern dem Mann, mit dem sie gerade ins Gespräch vertieft war: Mick Salmond, der Pfleger, der auch im Restaurant dabei gewesen war.

Das Lächeln, das sie Mick schenkte, war voller Wärme … Waren die beiden mehr als Kollegen? Aber Mick war verheiratet. Hatte Jodie etwa eine heimliche Affäre mit ihm?

„Dr. Price“, begrüßte er sie steif, „ich hoffe, ich bin nicht zu spät.“

„Nein, ich war schon ziemlich früh hier“, gab sie zurück.

„Ausnahmsweise“, mischte sich Mick neckend ein.

„Das stimmt nicht, ich bin nicht immer zu spät“, protestierte sie, doch sie lachte dabei. „Komm schon, Mick, erzähl Dr. Taylor deine tollen Neuigkeiten.“

„Neuigkeiten?“, wiederholte Sam stirnrunzelnd.

Mick strahlte. „Ich werde Vater.“

„Ich gratuliere.“ Sam musste sich um einen freundlichen Ton bemühen. Er hatte es noch immer nicht verwunden, dass er diese drei Worte nie, niemals in seinem Leben selbst würde sagen können. Obwohl er es seit Jahren wusste, schmerzte ihn diese Gewissheit immer noch wie am ersten Tag.

„Shelley wird eine wundervolle Mutter sein“, meinte Jodie herzlich. „Sie hat mich gefragt, ob ich Patin werden möchte.“

„Wenn du selbst Mutter bist, wird vermutlich der gesamte Haushalt im Chaos versinken, weil du den ganzen Tag nur mit deinen Kindern spielst.“ Mick grinste schelmisch. „Und gleichzeitig nutzt du sie als Studienobjekte und schreibst abends, wenn sie im Bett sind, Fachartikel über Kinderpsychologie.“

Jodie verdrehte die Augen. „Das werde ich nicht tun. Ich bin nicht so verrückt, Mick.“

Er lachte. „Doch, das bist du. Ich kann mir gut vorstellen, dass du mit einem halben Dutzend Kindern durch den Garten tollst.“

„Ja, das kann ich mir allerdings auch vorstellen“, gab sie zu.

Also wünschte sie sich doch Kinder, stellte Sam ernüchtert fest, ganz gleich, was sie ihm damals im Restaurant versichert hatte. Und es war für sie selbstverständlich, dass sie eines Tages Kinder haben würde.

„Sie wird eine tolle Mutter sein, nicht war, Dr. Taylor?“, wandte Mick sich nun an ihn.

„Ja, vermutlich“, erwiderte Sam kurz. Er malte sich aus, wie Jodie auf dem Sofa saß, einen Dreijährigen im Arm, dem sie eine Geschichte vorlas, während ein Baby auf ihrem Schoß friedlich schlief. Die Vorstellung war so klar, dass sie ihm ins Herz schnitt. Für jeden außer ihm schien es so selbstverständlich, eine Familie zu gründen. Doch wenn man ihn nach seinen Zukunftsplänen fragen würde, müsste er antworten: Ich werde nie eine Familie gründen. Ich kann keine Kinder zeugen.

Er zwang sich, diesen Gedanken beiseitezuschieben, und beteiligte sich wieder an dem lebhaften Gespräch zwischen Jodie und Mick.

„Heute Abend ging es ihr ziemlich schlecht. Sie hat die Morgenübelkeit am Abend“, erzählte der Krankenpfleger gerade. „Ich habe angeboten, bei ihr zu bleiben, doch sie hat mich gebeten, die Party zu filmen und ihr später vorzuspielen.“

Jodie sah auf die Uhr. „Wir sollten gehen und uns einen Platz suchen, Dr. Taylor.“

Ja, das kann ich mir auch vorstellen. – Sie wird eine tolle Mutter sein …

Sam konnte die Worte nicht aus seinem Kopf verbannen. Jodie wünschte sich Kinder. Und damit hatte er kein Recht, sich ihr zu nähern, denn er könnte ihr niemals geben, was ihrem Leben den größten Sinn gäbe.

In Gedanken versunken saß er da, bis er merkte, dass Jodie unruhig auf ihrem Stuhl herumrutschte. Nervös verfolgte sie das Treiben auf der Bühne.

Bisher hatte er gar nicht wahrgenommen, dass die Show bereits begonnen hatte. Doch als er jetzt aufschaute, sah er sofort, warum sie so angespannt war: Dr. Frost war auf der Bühne. Ein Oberarzt mit weißem Kittel und dem Kopf eines Schneemannes, der Mund ausdruckslos, die grauen Augen stumpf. In der Mitte prangte eine Karotte als Nase.

Stuart Henderson, einer der leitenden Angestellten der Klinik, spielte die Rolle des Dr. Frost, und er hatte Sams Angewohnheiten anscheinend bis ins Detail studiert. Er bewegte sich wie Sam, sprach wie er, und jedes Mal, wenn eine Krankenschwester sich ihm näherte, um ihn mit Wärmflaschen oder Heizdecken aufzutauen, gefroren ihre Bewegungen. Als Jodie sah, dass Sam lachte, entspannte sie sich.

Doch im nächsten Sketch wurde Jodie selbst aufs Korn genommen. Sie hatte nicht gewusst, dass die Kollegen ihren Drang, mit den Kindern zu spielen, zum Thema der Show machen würden.

Sam wandte sich ihr zu. „Anscheinend hat es nicht nur Dr. Frost getroffen, sondern auch Sie.“

Jodie hatte sich köstlich über das kurze Stück amüsiert und erwiderte lachend: „Ich habe es wohl verdient.“

Sam sah sie bewundernd an. Diese Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, hatte Angela nie gehabt. Jodie war tatsächlich vollkommen anders als sie.

Als die Show beendet war, half Sam Mick, die Stühle zusammenzustellen.

„Ich … ich hoffe, Sie fühlen sich nicht beleidigt“, fragte Mick vorsichtig. Schließlich hatte er die kleinen Sketche maßgeblich mitentwickelt.

„Wenn ich nicht wüsste, dass Sie bald Vater werden, würde ich Ihnen vorschlagen, das Krankenhaus zu verlassen“, entgegnete Sam kühl.

Mick sah ihn entsetzt an. Jodie, die Sams Antwort gehört hatte, wollte Mick gerade verteidigen, als Sam fortfuhr: „Ihr Wortwitz ist brillant, und Sie haben ein Gespür für Details und Gesten. Sie hätten Bühnenautor werden sollen, Sie haben wirklich Talent.“ Kameradschaftlich schlug er Mick auf die Schulter.

Dieser starrte ihn mit offenem Mund an. „Für einen Moment dachte ich, …“

„… Dr. Frost wollte Sie entlassen?“ Sam schüttelte den Kopf. „Ich habe die Botschaft verstanden und verspreche, mich zu bessern.“

„Danke, dass Sie es mit Humor nehmen“, entgegnete Mick erleichtert. „Und jetzt werde ich mir etwas zu essen besorgen und dann nach Hause fahren und mich um Shelley kümmern.“

Verlegen blieben Sam und Jodie zurück.

„Ist es wirklich so anstrengend, dass ich die Kinder ständig bei Laune halten will?“, fragte Jodie unsicher.

Er lächelte sanft. „Nein, es ist wunderbar. Ihre Energie gibt allen auf der Station Kraft.“

Jodie spürte, wie ihr Herz schneller schlug, und wandte den Blick ab.

In diesem Moment begann die Band zu spielen. Sam sah zur Bühne. „Ist der Sänger nicht Stuart Henderson, der eben noch Dr. Frost gespielt hat?“

„Ja, er ist ein großer Schauspieler, Sänger und Gitarrist – und ganz nebenbei der Schwarm fast aller Krankenschwestern.“ Sie zuckte die Achseln. „Er ist noch verdammt jung.“

Sam brach in ein befreiendes Lachen aus. „Sie klingen schon so ernst wie ich.“

„Sie meinen wohl: alt“, verbesserte sie ihn schelmisch.

„So alt bin ich gar nicht“, widersprach er. „Ich war kaum im Kindergarten, als Sie geboren wurden.“

„Entschuldigung.“ Jodie sah ihn mit ernster Miene an, doch um ihren Mund spielte ein Lächeln. „Ich wusste nicht, dass man damals so lange auf einen Kindergartenplatz warten musste.“

Sam genoss das Geplänkel. Es war unendlich lange her, dass er so viel Spaß gehabt hatte. Nach der Scheidung hatte er sich in der Arbeit vergraben und sein Privatleben völlig außer Acht gelassen. Doch das wollte er nun ändern. Und wenn Jodie glaubte, er sei ein alter Langweiler, würde er sie eines Besseren belehren.

„Kommen Sie, lassen Sie uns tanzen“, schlug er vor.

„Tanzen?“

„Die Füße bewegen, ein bisschen mit der Hüfte wackeln, und das am besten im Takt zur Musik.“

Sprach da wirklich Sam Taylor, Dr. Frost? fragte sich Jodie verblüfft. Doch der Vorschlag war zu gut, um ihn abzulehnen. „Also los“, stimmte sie zu und ließ sich von ihm ins Getümmel ziehen.

Jodie hatte erwartet, dass sich Sam Taylor mehr schlecht als recht zur Musik bewegen würde wie die meisten Partygäste. Doch erstaunt stellte sie fest, dass er ein begnadeter Tänzer war, der seine Partnerin gezielt, aber charmant und weich führte.

Als die Band eine Pause machte, war Jodie völlig außer Atem. Sie sah sich um und bemerkte erstaunt, dass Sam und sie das einzige Paar auf der Tanzfläche waren. Alle anderen hatten sich an den Rand gestellt und ihnen zugeschaut. Jetzt applaudierten und jubelten sie. „Ihr seid ein tolles Paar“, stellte eine Kollegin neidlos fest, und die anderen nickten zustimmend.

„Das war nur Sams Verdienst, ich habe zwei linke Füße“, berichtigte Jodie.

„Davon habe ich nichts gemerkt“, widersprach Sam.

„Sie führen sehr gut.“ Jodie hielt einen Moment inne. „Ich habe nicht geahnt, dass Sie so gut tanzen können“, gab sie zu.

„Oh, Dr. Taylor …“, ließ sich in diesem Augenblick eine rauchige Stimme vernehmen. Melissa, der männermordende Vamp von der Neugeborenen-Station, dachte Jodie seufzend und musterte die brünette Krankenschwester in ihrem äußerst knapp geschnittenen Kleid.

„Sie haben mich schwer beeindruckt, Dr. Taylor“, fuhr Melissa fort und bedachte ihn mit einem verführerischen Blick aus ihren dunklen Augen. „Schenken Sie mir den nächsten Tanz?“ Auffordernd stellte sie sich vor ihn und fuhr sich mit der Hand durch ihr langes, glänzendes Haar.

„Es tut mir leid, aber ich bin heute Abend mit Dr. Price hier“, entgegnete Sam und trat näher zu Jodie.

„Oh, Jodie wird es bestimmt nichts ausmachen, nicht wahr, meine Liebe?“ Melissa schenkte ihr ein zuckersüßes Lächeln.

Jodie rechnete es Sam hoch an, dass er Melissa so höflich abgewiesen hatte. Doch sie wusste, dass sie gegen Frauen wie Melissa immer den Kürzeren zog. Männer standen auf verführerische Frauen mit Kurven an den richtigen Stellen. Sie selbst, sportlich, schlank und ohne aufreizende Formen, konnte damit nicht konkurrieren. Also verschränkte sie die Arme und gab nach.

„Selbstverständlich nicht“, erwiderte sie lächelnd und zog sich zurück. Dann setzte sie sich an einen Tisch nahe dem Parkett und sah zu, wie Sam Melissa zur Musik herumwirbelte. Jodie wurde aus diesem Mann nicht schlau. In der einen Minute war er der unnahbare Dr. Frost, im nächsten Moment schüchtern und zurückhaltend, und jetzt war er der Star des Abends.

Als die Band nach vier Stücken eine Pause einlegte, war Sam wieder an ihrer Seite. „Mir wurde versprochen, dass Sie meine Begleiterin für diesen Abend sind. Also, halten Sie Wort und tanzen Sie mit mir“, bat er lächelnd.

„Haben Sie nicht gerade eine wunderbare Tanzpartnerin gehabt?“, gab sie zurück.

„Bitte, tanze mit mir, Jodie.“ Der silberne Glanz war wieder in seine Augen zurückgekehrt, aber da war noch mehr – Temperament und eine innige Wärme. Fasziniert nickte sie und begleitete ihn zur Tanzfläche.

Als die Musik erklang, wünschte Jodie, sie hätte sich nicht auf einen weiteren Tanz eingelassen. Die Band spielte die ersten Takte eines Liebesliedes, und Stuart sang dazu mit weicher, schmeichelnder Stimme. Sam zog sie dichter zu sich heran, und sie legte ihre Arme um seinen Nacken. Seine Haut verströmte einen frischen, klaren Duft, seine starken Arme hielten ihren Körper fest und sicher, und Jodie ließ sich verführen vom Zauber der Musik. Ohne nachzudenken, ließ sie den Kopf auf seine Brust sinken und genoss den Augenblick.

Sam spürte ihr weiches, lockiges Haar an seiner Wange. Er hatte Angst gehabt, diese Nähe nicht ertragen zu können, doch es war einfacher, als er gedacht hatte. Es schien, als gehöre sie hierher, an seine Seite. Ihre Haut war so weich und warm und …

Auf einmal konnte er nicht anders. Ganz sanft berührten seine Lippen ihre Halsbeuge. Und er konnte nicht aufhören, sie zu küssen. Sein Mund liebkoste ihr Ohr, ihre Schläfe. Doch sie schien es ebenso zu genießen wie er.

„Jodie“, murmelte er atemlos.

Als sie ihn nun mit ihren großen, grünen Augen ansah, umspielte ein liebevolles, warmes Lächeln ihren Mund. Er wollte diese Lippen küssen, wollte ihre zarte Haut spüren.

Ihre Lippen waren nur noch Millimeter von seinen entfernt, als die Band ein neues Lied anstimmte – temperamentvoll und rockig. Erschrocken lösten sich Jodie und Sam voneinander und blickten sich verwirrt an. Beinahe hätten sie sich geküsst, vor allen Kollegen.

„Dr. Taylor?“

„Äh, ja, Megan?“ Sam zwang sich, die junge Krankenschwester freundlich anzulächeln.

„Würden Sie mit mir tanzen, bitte?“

Er sah Jodie an, die lachend die Achseln zuckte. „Dies ist eine Party, also sollten Sie tanzen.“

„Dann lassen Sie uns tanzen, Megan.“

Mit zitternden Knien ging Jodie zu den Waschräumen, um sich frisch zu machen. Fast hätten sie sich geküsst! Wie hatte sie so leichtsinnig sein können? Welch ein Glück, dass Megan die Situation gerettet hatte. Wenn Sam sie vor der gesamten Belegschaft geküsst hätte, wären sie beide zum Gespött des Teams geworden.

Aber wie hätte sich sein Kuss wohl angefühlt? Als er sie in den Armen gehalten hatte, hatte sie seinen Körper mit jeder Faser gespürt. Und seine Lippen auf ihrer Haut hatten ein Verlangen in ihr aufflammen lassen, das sie erschreckte. Wenn er sie geküsst hätte …

Jodie lehnte sich gegen das kühle Porzellan der Fliesen und starrte in den Spiegel. Ihre Augen strahlten, und ihre Lippen waren voll und warm, als seien sie tatsächlich gerade geküsst worden. „Du bist verrückt, Price“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „Was hast du dir dabei gedacht?“

„Geht’s dir gut, Jodie?“, fragte Fiona, die gerade hereinkam.

„Ich bin ziemlich müde“, log Jodie.

„Ja, ja, die jungen Ärzte heutzutage sind nicht mehr belastbar“, neckte Fiona sie. „Übrigens, was hast du mit Dr. Frost angestellt?“

„Nichts!“

Ihre Antwort kam viel zu hastig. Dadurch würde sie erst recht Verdacht erregen.

Doch Fiona ging nicht weiter darauf ein. „Nun, was du auch immer zu ihm gesagt hast, er ist richtig menschlich heute Abend. Mach weiter so, wir werden dir alle dankbar sein.“

„Es hat nichts mit mir zu tun“, beteuerte Jodie, doch Fiona lachte nur.

Jodie riss sich zusammen und ging mit ihrer Freundin zurück in den Saal. Sofort war Sam wieder an ihrer Seite.

„Endlich“, sagte er. „Ist alles in Ordnung?“

„Ja, ich bin nur müde“, antwortete Jodie. „Ich werde jetzt gehen.“

„Ich bringe Sie heim.“

Doch Jodie wollte sein Angebot nicht annehmen. Sie sah Fiona an, die immer noch neben ihnen stand und das Gespräch verfolgte. Wenn Sam sie nach Hause begleitete, würden sie für ausreichend Gesprächsstoff und Gerüchte sorgen.

„Bleiben Sie ruhig noch und genießen Sie den Abend“, entgegnete sie freundlich. „Ich fahre allein.“

„Das werden Sie nicht“, erklärte Sam bestimmt. „Sie können unmöglich in diesem Kleid mit dem Rad fahren.“

„Ich nehme ein Taxi“, erwiderte sie.

Doch er schüttelte den Kopf. „Ich werde nicht draußen in der Kälte mit Ihnen auf ein Taxi warten, wenn mein Auto direkt vor dem Krankenhaus steht.“

„Sie müssen nicht mit mir warten.“

„Oh doch. Sie sind meine Begleiterin für diesen Abend. Schon vergessen?“

Jodie gab auf. „Also gut, Chef“, lenkte sie lachend ein.

Auf dem Weg zum Auto schwiegen sie. Sam fuhr sie sicher nach Hause, ohne auch nur einmal nach dem Weg fragen zu müssen. Er erinnerte sich genau an den Weg.

Als er vor dem Haus stoppte, wandte Jodie sich um und sah ihn an. „Möchten Sie noch auf einen Kaffee mitkommen?“

Seine Miene war ausdruckslos. „Vielen Dank, aber ich sollte besser auch heimfahren.“

„Natürlich.“ Jodie hoffte, er würde nicht die Enttäuschung auf ihrem Gesicht erkennen. Er hatte ja recht. Wenn er sie noch begleiten würde und das Feuer zwischen ihnen wieder aufflammte und er sie küsste …

„Danke, dass Sie mich nach Hause gebracht haben“, sagte sie leise.

„Es war mir ein Vergnügen“, er hielt inne. „Jodie …“

Sie war wie elektrisiert. Würde er sie doch noch küssen? Mit großen Augen sah sie ihn an und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.

Er wollte sie küssen. Sie sah das Verlangen in seinem Blick. Sogar im Halbdunkel des Wagens konnte sie den silbernen Glanz in seinen Augen erkennen. Also begehrte er sie ebenso sehr wie sie ihn. Langsam würde er sich zu ihr herüberbeugen und sie behutsam zu sich ziehen. Dann würde er ihr Gesicht in seine starken Hände nehmen und ihre Lippen küssen und dann …

„Bis Montag, Jodie. Gute Nacht.“

„Gute Nacht.“ Es schien, als würde ihr der Boden unter den Füßen fortgezogen. Wie naiv von ihr zu glauben, er ließe sich von einer kurzen Leidenschaft mitreißen! Er hatte niemals vorgehabt, sie zu küssen. Vorhin, auf der Tanzfläche, war es ein kurzes, sentimentales Gefühl gewesen. Sanfte Musik, Weihnachtsstimmung, das war alles. Doch in diesem kalten, ungemütlichen Auto hatte er keinerlei Bedürfnis mehr, sie zu küssen. Er hatte ja nicht einmal ihre Einladung zum Kaffee angenommen.

„Bis dann“, sagte sie leichthin und bemühte sich, locker zu klingen. Jodie stieg aus dem Auto und schloss die Tür behutsam, obwohl ihr eigentlich danach zumute war, sie mit voller Wucht zuzuknallen.

Sam wartete vor ihrer Haustür, bis sie aufgeschlossen hatte und im Haus verschwunden war. Dann schloss er die Augen und ließ den Kopf aufs Lenkrad sinken. Beinahe hätte er sich nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Er hatte sie in die Arme schließen und bis zur Besinnungslosigkeit küssen wollen. Noch immer spürte er das Gefühl ihrer Haut an seinen Lippen. Es hatte ihn so viel Kraft gekostet, ihr Angebot, noch mit hineinzukommen, abzulehnen. Doch dann hätte er sein Verlangen nicht mehr zügeln können.

Allein der Gedanke an Jodie in ihrer Wohnung ließ seinen Körper erbeben. Noch könnte er seine Meinung ändern. Er müsste nur aussteigen, klingeln und fragen, ob ihr Angebot noch gültig sei. Und dann würde er sie in den Armen halten und ihre weichen, warmen, einladenden Lippen küssen …

Doch was dann? Er ahnte, dass ihm eine Nacht mit Jodie nicht reichen würde. Aber er hatte nicht das Recht, mehr zu verlangen. Und sie verdiente mehr – viel mehr. Sie verdiente einen Mann, der ihre Zukunftswünsche erfüllen und ihr eine Familie schenken konnte. Und das konnte er nicht sein. Deshalb durfte er seinen Gefühlen nicht nachgeben.

Von jetzt an musste er ihr aus dem Weg gehen.

Sam setzte sich aufrecht, zündete den Motor und fuhr nach Hause.

5. KAPITEL

Die nächsten Tage mied Sam ganz offensichtlich Jodies Nähe. Vielleicht hatte er ihre Einladung zum Kaffee als zweideutiges Angebot verstanden und war dadurch abgeschreckt.

Dieser Gedanke erfüllte sie mit Scham. Selbstverständlich hatte sie ihm nur einen Kaffee anbieten wollen, damit er fit für die Heimfahrt am späten Abend war. Wenn sie ehrlich war, hatte sie aber insgeheim gehofft, er werde sie küssen – und vielleicht mehr. Viel mehr. Doch diese Tagträume musste sie sich aus dem Kopf schlagen. So sehr sie sich auch wünschte, nur noch einmal seine starken Arme um ihren Körper zu fühlen, seine Lippen auf ihrer Haut …

Jodies beste Freundin Ellen war nie um einen ehrlichen und guten Rat verlegen, und nachdem Jodie sich bei dieser das Herz ausgeschüttet hatte, beschloss sie, sich nach Weihnachten mit Sam auszusprechen. Vor den Feiertagen würde sie viel arbeiten müssen, sodass ihr keine Zeit bleiben würde, über Sam nachzudenken. dann würde sie für ein paar Tage zu ihrer Familie fahren. Doch Jodie war fest entschlossen, Sam gegenüberzutreten, sobald sie aus Yorkshire zurückkehrte.

Bis dahin konzentrierte sie sich noch intensiver auf ihre Arbeit als gewöhnlich. Die kleine Amy Simcox hatte einen Termin zur Untersuchung, und Jodie war erleichtert, als sie feststellte, dass ihre Mutter sich mittlerweile besser unter Kontrolle hatte und nicht in Tränen ausbrach.

„Doc Jodie“, begrüßte Amy sie strahlend. „Mummy, schau, Doc Jodie ist heute hier.“

„Hallo, Amy.“ Jodie fuhr dem Mädchen durchs Haar und setzte sich auf die Bettkante. „Wie geht es ihr?“, wandte sie sich dann an Mrs. Simcox.

„Der Chirurg sagt, sie macht große Fortschritte. Die Röntgenbilder zeigen, dass die Operation erfolgreich verlaufen ist.“

„Das freut mich.“

„Sie wird Weihnachten ohne Hüftgips verbringen können.“ Amys Mutter blinzelte und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. „Das ist das schönste Weihnachtsgeschenk meines Lebens. Ich danke Ihnen von Herzen.“

„Ich habe nicht viel getan“, wehrte Jodie verlegen ab.

„Oh doch. Schwester Ferguson hat mir erzählt, wie viel Zeit Sie bei Amy verbracht haben.“

„Das habe ich gern gemacht“, versicherte Jodie. „Und jetzt will ich mich von dir verabschieden, Amy. Ich wünsche dir schöne Weihnachten. Und warte ab, bald rennst du schneller als alle anderen.“

„Ganz bestimmt. Mach’s gut, Doc Jodie.“

Jodie lächelte, dann legte sie Mrs. Simcox eine Hand auf die Schulter. „Es wird alles gut werden.“

Ihr nächster Patient war die kleine Poppy Richardson, ein vierzehn Wochen altes Baby, das mit einer starken Bronchitis eingeliefert worden war. Sie war bereits das achte Kind auf der Station, das kurz vor einer Lungenentzündung stand, und sie würde in diesem Winter nicht das letzte sein. Jodie hasste diesen trockenen, keuchenden Husten, der den kleinen Patienten ihre Kraft raubte und die Eltern mit Sorge erfüllte.

Die kleine Poppy war vor drei Tagen mit einem hartnäckigen Husten und Atembeschwerden vom Kinderarzt überwiesen worden, doch ihr Zustand hatte sich bisher nicht gebessert. Das Mädchen lag in einem der eisernen Gitterbettchen, über ihrem Bett hing ein Mobile, und die Eltern hatten das Kopfende mit roten Schleifen verziert, um der Umgebung eine freundlichere Atmosphäre zu verleihen.

„Arme Kleine, du hast es schwer“, sprach Jodie dem kleinen Mädchen liebevoll zu, während sie die leichte Decke wieder zurechtzog.

Jodie untersuchte Poppy mit schnellen, routinierten Handgriffen und nahm sich dann die Akte, um den Befund und die weitere Behandlung einzutragen. Gerade als sie fertig war und das Zimmer verlassen wollte, piepte der Überwachungsmonitor. Der Sauerstoffschlauch an der Nase des Kindes hatte sich gelöst. Jodie befestigte den Schlauch sorgfältig und stellte den Alarmton aus.

„Danke, Jodie“, sagte Mick, der mit schnellen Schritten ins Zimmer trat. „Was war denn passiert?“

„Die Sauerstoffzufuhr saß nicht mehr fest“, antwortete sie. „Hoffentlich geht es ihr bald besser. Für die Eltern ist es auch nicht einfach, so kurz vor Weihnachten“, fügte sie mit einem Blick auf die schlafende Poppy hinzu.

„Die Richardsons wohnen zwanzig Meilen entfernt, ...

Autor

Jackie Braun
Nach ihrem Studium an der Central Michigan Universität arbeitete Jackie Braun knapp 17 Jahre lang als Journalistin. Regelmäßig wurden dabei ihre Artikel mit Preisen ausgezeichnet. 1999 verkaufte sie schließlich ihr erstes Buch ‚Lügen haben hübsche Beine‘ an den amerikanischen Verlag Silhouette, der es im darauf folgenden Jahr veröffentlichte. Der Roman...
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Alison Kent
<p>Mit ihren prickelnden Liebesgeschichten und den spannenden Thrillern schrieb sich Alison Kent auf Anhieb in die Herzen der Leser. Ihre Romane wurden mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Romantic Times Award für das beste Romandebüt. Zusammen mit ihren drei Kindern, einem Hund und ihrem ganz persönlichen Helden lebt Alison...
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