Romana Exklusiv Band 348

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MEIN SPANISCHER SOMMER DER SEHNSUCHTvon HOLLY BAKER
„Glücklich ohne Mann“ – mit diesem Titel landet Ratgeberautorin Jenna einen Bestseller. Tatsächlich spielen Männer in ihrem Leben keine Rolle … bis Ricardo vor ihr steht. Der aufregende Spanier weckt Sehnsüchte in ihr, die für die Single-Ikone streng verboten sind …

LIEBE, MEER – UND AUSGERECHNET ERvon NICOLA MARSH
Als der Bau einer Luxussiedlung den Strand in ihrer Heimatstadt bedroht, setzt Gemma alles daran, das Paradies zu retten! Der Boss der Baufirma scheint ein typischer Immobilienhai zu sein: reich, machtgierig – aber leider auch unwiderstehlich attraktiv!

WILDE ROSEN, SÜSSE KÜSSEvon REBECCA WINTERS
Der gut aussehende Schlossbesitzer Alex Martin ist der Mann, den Dana sich immer gewünscht hat! Seine Küsse im Rosengarten sind süß und voller Verheißung. Schon träumt Dana davon, für immer bei Alex in Frankreich zu bleiben. Doch der hat offenbar ganz andere Pläne …


  • Erscheinungstag 06.05.2022
  • Bandnummer 348
  • ISBN / Artikelnummer 0853220348
  • Seitenanzahl 512

Leseprobe

Holly Baker, Nicola Marsh, Rebecca Winters

ROMANA EXKLUSIV BAND 348

1. KAPITEL

„Dann glauben Sie nicht an die wahre Liebe?“, fragte die spanische Talkshow-Moderatorin ungläubig und sah Jenna mit ihren großen dunklen Augen an.

„Das würde ich so nicht sagen“, antwortete Jenna lächelnd. „Die wahre Liebe kann man zum Beispiel auch in einer Freundschaft finden.“

„Aber wollen Sie denn keine Kinder haben?“

Jenna hatte schon damit gerechnet, denn diese Frage kam fast immer, wenn sie ein Interview gab. „Heutzutage braucht man doch keinen Mann mehr, wenn man Kinder haben will, oder?“ Aus dem Publikum, das hauptsächlich aus Frauen bestand, waren begeisterte Pfiffe zu hören.

Jenna setzte ein verschmitztes Lächeln auf, was gar nicht so leicht war. Überhaupt war es früher leichter gewesen, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. Trotzdem beantwortete sie weiter professionell die Fragen der Moderatorin. Sie hatte es so gewollt, also musste sie jetzt auch da durch.

Zum Glück war die Sendezeit kurz darauf vorbei. Jenna gab wie immer noch ein paar Autogramme und verschwand dann hinter der Bühne.

Betty Caruthers, Jennas Freundin und Agentin, wartete dort schon auf sie. „Und? Ist doch gut gelaufen, oder nicht?“, fragte sie sofort.

Jenna zuckte die Achseln. „Ich denke schon. Wenn man einmal davon absieht, dass ich immer dieselben Fragen beantworten muss. Egal ob London, Paris oder wie jetzt Madrid. Ich wünschte, die Journalisten würden sich mal was anderes einfallen lassen.“

„Sei vorsichtig, was du dir wünschst“, erwiderte Betty lachend und nahm Jenna am Arm, um sie durch das Labyrinth der Gänge zu ihrer Garderobe zu führen. „Es könnte wahr werden. Wer weiß, vielleicht ist dieser Montgomery ein ganz Pfiffiger.“

„Montgomery?“

Betty nickte. „Dieser Journalist, der uns auf der Lesetour durch Spanien begleiten wird. Er will doch für die spanische Zeitung El Observador eine Reportage über dein Leben als Bestseller-Autorin schreiben, du erinnerst dich?“

Jenna verdrehte die Augen. „Stimmt, da war was.“

Warum hatte sie damals nur zugestimmt, als die Anfrage gekommen war? Richtig, wegen Betty. Sie hatte behauptet, so eine Reportage sei tolle PR. Immerhin schrieb Jenna seit Jahren Ratgeber darüber, wie man auch ohne Mann glücklich werden konnte. Damit war sie sehr erfolgreich und hatte es weltweit zur Ikone unter den Single-Frauen gebracht. Nichtsdestotrotz gab es Kritiker, die ihr ihren Erfolg nicht gönnten. Und da konnte gute PR nicht schaden. Auch wenn Jenna überhaupt keine Lust hatte, wochenlang von einem Journalisten begleitet zu werden.

„Er wartet schon in deiner Garderobe auf dich, um sich vorzustellen.“

„Montgomery, sagtest du?“ Jenna sah Betty an und war wieder ganz die Professionelle. Sie hatte vielleicht keine Lust, sich von diesem Journalisten begleiten zu lassen, aber das würde sie sich nicht anmerken lassen. Darin, sich nichts anmerken zu lassen, war sie mittlerweile richtig gut geworden.

Betty nickte. „Genau. Ricardo Montgomery.“

Ricardo? Jenna zuckte unwillkürlich zusammen. Sie hatte mal einen Ricardo gekannt, aber das war schon lange her, und der Journalist war mit Sicherheit nicht ihr Ricardo. Sofort verbot sie sich den Gedanken. Er war nie ihr Ricardo gewesen.

Mittlerweile hatten sie die Garderobe erreicht. „Bereit?“, fragte Betty.

Jenna atmete einmal tief durch und strich ihr Kleid glatt, bevor sie nickte. Dann folgte sie Betty durch die offene Tür in die Garderobe.

Der Journalist saß mit dem Rücken zu ihnen auf einem Stuhl vor einem großen beleuchteten Schminkspiegel. Neugierig sah er in den Spiegel, als die beiden Frauen eintraten. Sein Blick und Jennas trafen sich für einen Moment, bevor er sich zu ihr umdrehte. Er lächelte, während Jenna erstarrte. Sie brauchte einen Moment, um sich zu fangen. Er war es. Er war tatsächlich ihr Ricardo von früher. Okay, er war männlicher geworden und auch kräftiger. Durch die weiße Husse auf dem Stuhl wirkte er irgendwie deplatziert, wenn auch nicht albern. Er ist noch genauso attraktiv wie vor zehn Jahren, dachte Jenna und musste sich zwingen, ihren Blick von seinen dunklen Haaren und den kräftigen Schultern zu wenden. Sie zögerte kurz. Sollte sie ihm zeigen, dass sie ihn wiedererkannte? Doch auch er schien sich an sie zu erinnern. Sein Lächeln sprach Bände.

„Jenna Jones“, sagte er grinsend und stand auf. Er musterte sie mit geübtem Blick von oben bis unten und steckte die Hände in seine Hosentaschen. Er trug einen anthrazitfarbenen Anzug, der wie angegossen saß. Sein Hemd war blütenweiß und nicht bis obenhin zugeknöpft. So konnte Jenna einen Blick auf seinen braungebrannten Oberkörper erhaschen. Auf eine Krawatte hatte Ricardo verzichtet. „Lang ist es her.“

Beim Klang seiner vertrauten Stimme wurden ihre Knie sofort weich und ihr Herz schlug schneller. Wie konnte es sein, dass ihr Körper nach so langer Zeit immer noch auf ihn reagierte? Sie schluckte und nickte. „Ja, ist schon eine Weile her.“

Betty sah überrascht von einem zum anderen. „Ihr beiden kennt euch?“

Doch eine Antwort bekam sie nicht.

Jenna stand vor dem Spiegel und umrundete ihre braunen Augen mit einem Kajalstift. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie es sich in ihrem Zimmer bequem gemacht und sich etwas beim Zimmerservice bestellt. Aber Betty hatte darauf bestanden, mit Ricardo essen zu gehen. Sie wollte die Einzelheiten der kommenden Lesetour besprechen, und da konnte Jenna sich leider nicht ausklinken. Aber wahrscheinlich hätte sie das ohnehin nicht getan, wenn sie ehrlich zu sich selbst war. Sie wollte nicht, dass Ricardo dachte, sie würde ihm aus dem Weg gehen. Und das wäre in den nächsten Wochen ohnehin nicht möglich.

Seufzend legte sie den Kajal weg und griff nach der Wimperntusche. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass Ricardo Montgomery ihr Ricardo von damals war. Er war nie mein Ricardo, rief sie sich zum wiederholten Male in Erinnerung. Warum dachte sie das nur immer wieder?

Betty unterbrach Jennas Gedanken, indem sie nach kurzem Klopfen ins Zimmer gestürmt kam. Ihre kurzen blonden Locken wippten bei jedem Schritt. „Erzähl“, kam sie sofort zur Sache. „Ich will alles wissen.“

„Und ich will nicht darüber reden“, antwortete Jenna.

Betty stemmte die Hände in die Hüften. „Nun komm schon, ich bin deine beste Freundin. Lass mich nicht in der Luft hängen.“ Sie machte eine kurze Pause und inspizierte Jennas Ohrringe, die auf der kleinen Frisierkommode ausgebreitet lagen. Schließlich griff sie nach einem silbernen Paar und reichte sie Jenna. „Da war doch mal was zwischen euch, oder nicht?“

Jenna seufzte. „Na schön“, gab sie nach, während sie die Ohrringe anlegte. „Du hast recht, wir hatten mal was zusammen.“

„Und?“

„Nichts und. Es ist schon Jahre her und ich will wie gesagt nicht darüber reden.“

Jenna wollte nicht einmal darüber nachdenken. Allerdings befürchtete sie, dass das gar nicht so einfach werden würde. Ricardo war ein attraktiver Mann, und damit er seine Reportage schreiben konnte, musste sie zwangsweise viel Zeit mit ihm verbringen. Alleine der Gedanke daran bescherte ihr heftiges Herzklopfen.

Betty grinste. „Was soll’s. Du wirst es mir früher oder später schon noch erzählen.“

Jenna wusste, dass das die Wahrheit war, aber im Moment verspürte sie keine große Lust, an die Vergangenheit zu denken. Sie musste sich konzentrieren, um das bevorstehende Abendessen zu überstehen. Doch dann musste sie über sich selbst lachen. Sie war doch keine sechzehn mehr. Die Lesetour mit Ricardo an ihrer Seite würde sie ja wohl meistern können. Sie hatte weiß Gott schon mehr geschafft. Sie würde so viel Zeit wie nötig mit Ricardo verbringen und danach verschwand er wieder aus ihrem Leben. Ganz einfach.

Sie sprühte sich jeweils einen Spritzer ihres Lieblingsparfums auf ihren Hals und die Handgelenke. Dann straffte sie ihre Schultern, setzte ihr professionelles Lächeln auf und drehte sich zu Betty um. „Und, wie sehe ich aus?“

Sie ist genauso hübsch wie früher, dachte Ricardo, der in dem schicken Restaurant, in dem er sich mit Jenna und ihrer Agentin verabredet hatte, saß und wartete. Doch das war keine große Überraschung. Nachdem ihm ein Arbeitskollege vor ein paar Wochen erzählt hatte, dass die Erfolgsautorin Jenna Jones auf Lesetour nach Spanien kommen würde, hatte er sofort nach Fotos von ihr im Internet gesucht. Allerdings musste er zugeben, dass sie in natura noch schöner war.

Bilder vergangener Tage flammten vor ihm auf und ließen sein Herz schneller schlagen. Er und Jenna knutschend am Strand, tobend im Meer oder kuschelnd im Schein des Mondlichts. Zehn ganze Jahre war es bereits her, doch es fühlte sich nicht so an. Jenna schien sich in der Zeit kaum verändert zu haben. Ob sie wohl immer noch so gut küssen konnte? Energisch schüttelte Ricardo den Kopf und nahm einen Schluck von seinem Wasser, das er bereits bestellt hatte. An so etwas sollte er nicht einmal denken. Er hatte einen Auftrag zu erledigen, deshalb war er hier. Eine Liaison mit dem Feind war nicht hilfreich, auch wenn er in diesem Fall der Feind war. Es ging einzig und allein um die Arbeit und nicht darum, Jenna wiederzusehen. Außerdem machte er sich schon lange nichts mehr aus Beziehungen. Es war besser so, das wusste er.

Trotzdem kam er nicht umhin zu bemerken, wie bezaubernd Jenna in ihrem saphirblauen Kleid aussah. Das Kleid lag eng an und gewährte nicht nur einen Blick auf ihre langen Beine, sondern auch auf ihre weiblichen Rundungen. Er spürte wieder dieses Kribbeln auf der Haut, dass er schon damals gespürt hatte, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Und auch in der Garderobe war dieses Gefühl sofort wieder da gewesen. Als sie nun das Restaurant mit ihrer Agentin im Schlepptau betrat, schienen sie alle Männer für einen Moment anzustarren. Ihre Agentin Betty war ebenfalls hübsch, aber Jenna hatte etwas Besonderes an sich. Ricardo konnte selbst nicht so genau sagen, was es war, aber es war da. Sie hatte Stil und Eleganz. Erhobenen Hauptes schritt sie auf ihren silbernen High Heels auf seinen Tisch zu, ohne dabei arrogant zu wirken.

Ricardo stand auf und reichte beiden Damen die Hand. „Jenna, Miss Caruthers.“

Betty winkte ab. „Sagen Sie doch bitte Betty zu mir.“

Ricardo nickte höflich. „Sehr gerne, wenn Sie mich Ricardo nennen.“ Er zog erst Betty und dann Jenna den Stuhl zurück, bevor er sich selbst wieder setzte. „Ich war so frei, uns schon einmal Wasser zu bestellen“, sagte er und deutete auf die vollen Gläser und die gefüllte Karaffe.

„Sehr zuvorkommend“, antwortete Betty und nahm einen Schluck. „Also, dann erzählen Sie doch erst einmal ein bisschen von sich.“

„Was wollen Sie wissen?“

„Alles“, meinte Betty lachend. „Spaß beiseite. Ich würde mir gerne ein Bild von Ihnen als Mensch machen und natürlich von Ihrer Arbeit.“

Ricardo nickte. „Eigentlich gibt es nicht viel über mich zu wissen. Mein Vater ist Engländer, meine Mutter Spanierin. Ich habe vier Schwestern und bin auf Mallorca aufgewachsen.“ Er warf Jenna einen Seitenblick zu, doch sie verzog keine Miene.

„Sie Glücklicher.“

Ricardo grinste. „Ja, das hör ich immer wieder. Nach wie vor verbringe ich viel Zeit auf Mallorca, allerdings ist mein Hauptwohnsitz hier in Madrid. Ich bin gelernter Journalist und habe schon für alle namenhaften Zeitungen in England und Spanien geschrieben. Seit einigen Jahren arbeite ich sowohl im Printbereich als auch fürs Fernsehen als Freier. Die Reportage ist vorerst für El Observador geplant.“

Betty nickte. „Das klingt sehr beeindruckend, muss ich sagen.“

Ricardo winkte ab und wandte sich an Jenna. „Was ist mit dir? Ich hab zwar im Internet über deinen Werdegang recherchiert, aber da ich selbst Journalist bin, weiß ich, dass man nicht alles glauben darf, was die Medien schreiben. Erzähl doch mal ein bisschen von dir.“

Jenna lächelte ihn an, ohne ihre Gefühle zu zeigen. Sie ist reservierter als früher, dachte Ricardo. Das war ihm schon in der Garderobe des spanischen Fernsehsenders aufgefallen. Im Fernsehen erweckte sie den Eindruck, glamourös und offen zu sein. Glamourös war sie, das konnte er nicht bestreiten, aber sie war verschlossen. Man konnte nur erahnen, was sie wirklich dachte oder fühlte. Vielleicht hatte sie sich in den zehn Jahren doch verändert. Was wohl passiert war?

Ein Kellner trat an ihren Tisch und verteilte Speisekarten. „Darf ich Ihnen schon etwas zu trinken bringen?“

„Ich würde uns eine Flasche Gran Reserva bestellen, wenn Sie einverstanden sind.“ Ricardo sah bewusst nur Betty an.

Die nickte. „Gerne, warum nicht?“

Ricardo bestellte den Rotwein, danach vertieften sich die drei in ihre Speisekarten. Nachdem sie auch das Essen ausgewählt hatten, wandte sich Ricardo jedoch wieder an Jenna. So leicht wollte er sie nicht davonkommen lassen. „Also, Jenna, erzählst du mir ein bisschen von dir?“

Jenna setzte erneut ihr professionelles Lächeln auf. „Möchtest du dir keine Notizen machen?“

„Ich habe ein gutes Gedächtnis“, antwortete Ricardo und verschränkte die Arme vor der Brust, ohne sie aus den Augen zu lassen.

„Nun, wie fast immer sind auch bei mir die Eltern schuld“, begann Jenna. „Vielleicht erinnerst du dich, dass sich meine Eltern früh getrennt haben. Meine Mutter kümmerte sich nicht viel um mich und meinen kleinen Bruder Harry, sondern vertiefte sich lieber in neue Beziehungen. Sie machte sich von den Männern abhängig, aber leider hatte sie kein gutes Händchen, was die Wahl ihrer Partner anging.“ Sie machte eine kurze Pause. „Das scheine ich von ihr geerbt zu haben.“

Ihre Stimme klang neutral, doch Ricardo wusste, dass ihr letzter Satz ein Seitenhieb auf ihn war. Er lächelte und verkniff sich jeglichen Kommentar seinerseits.

„Und so kam es, dass ich meinen ersten Ratgeber schrieb. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“

„Und, bist du es?“, fragte er.

„Bin ich was?“, fragte sie zurück.

„Glücklich ohne Mann. Darum geht es doch in deinen Ratgebern.“

„Ja, das bin ich in der Tat.“

Ricardo nickte, obwohl er vom Gegenteil überzeugt war. Wollte sie ihm wirklich weismachen, dass sie seit damals keinen Mann mehr gehabt hatte und mit der Situation auch noch glücklich war? Jenna sah so verdammt gut aus und sie hatten damals wirklich viel Spaß gehabt. Darauf verzichtete sie doch nicht wirklich freiwillig? Das konnte nicht sein und er würde es herausfinden. Viel interessanter fand er jedoch den Gedanken, dass sie seit ihm mit keinem Mann mehr zusammen gewesen war. Er versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen, doch sie war verschlossen wie eine Auster. Dich werde ich schon noch knacken, dachte er und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Nun“, riss Betty die Unterhaltung wieder an sich. „Bevor wir das vertiefen, würde ich gerne wissen, wie Sie sich die Reportage über Jenna vorstellen. Man sagt zwar, jede PR sei gute PR, aber wir sind ausschließlich an positiver Berichterstattung interessiert. Wenn Sie wissen, was ich meine.“

Ricardo grinste immer noch. „Haben Sie etwa irgendwas zu verbergen?“ Er war sich sicher, dass es so war, aber um das herauszufinden, brauchte es mehr Zeit.

Betty schien ihm die Frage nicht übel zu nehmen, und auch Jenna regte sich nicht. „Selbstverständlich nicht, aber Sie wissen ja, wie das ist. Es gibt viele Kritiker, die nur auf eine Chance warten, schlecht über Jenna zu berichten. Unabhängig davon, ob es gerechtfertigt ist.“

Ricardo winkte ab. „Ich verstehe schon.“ Er nahm einen Schluck von dem Wein, der mittlerweile gebracht worden war, und nickte dem Kellner zu, der daraufhin alle Gläser füllte. „Jenna Jones ist eine Ikone und wird von vielen Frauen bewundert.“ Vorzugsweise von Emanzen oder solchen Frauen, die temporär unter Liebeskummer leiden, verkniff er sich hinzuzufügen. „Jenna Jones ist aber auch ein Mysterium. Wer ist sie privat? Wie sieht das Leben einer Bestseller-Autorin aus? Fühlt sie sich abends nicht doch manchmal einsam, wenn sie nach einem anstrengenden Tag zurück ins Hotel kehrt und niemand auf sie wartet? Die Leser wollen wissen, wer hinter Jenna Jones steckt. Sie wollen wissen, wie der Alltag der Ikone aussieht. Und da wollen wir mit der Reportage ansetzen.“ Das ist zwar nicht die ganze Wahrheit, aber es ist auch nicht direkt gelogen, versuchte Ricardo sich einzureden.

Betty nickte. „Das klingt vernünftig. Oder was meinst du, Jenna?“

Jenna nickte ebenfalls. „Ich denke schon. Wobei mein Alltag nur halb so interessant ist, wie es vielleicht auf den ersten Blick aussieht.“ Sie griff nach ihrem Rotwein und sah Ricardo über den Rand des Glases hinweg an.

„Das bleibt abzuwarten.“ Er griff ebenfalls nach seinem Glas und prostete Jenna und Betty zu.

Betty holte anschließend ein paar Unterlagen aus ihrer Tasche und legte sie vor sich auf den Tisch. „Gut, nachdem wir das geklärt haben, können wir die Einzelheiten der Lesetour besprechen.“

„Sehr gerne“, antwortete Ricardo, ohne die Augen von Jenna zu lassen. Einen Moment betrachtete er ihr haselnussbraunes Haar, das ihr bis über die Schultern fiel, die braunen Augen und die vollen Lippen, die nur ein wenig glänzten. Schon früher hatte sie auf kräftigen Lippenstift verzichtet, was ihm gefallen hatte. Lippenstift konnte zwar gut aussehen, hinterließ aber unliebsame Spuren. Der Anblick ihres sinnlichen Mundes bescherte ihm eine Gänsehaut und Herzklopfen. Es war schon eine Weile her, dass eine Frau solche Gefühle in ihm ausgelöst hatte.

Nun wandte Ricardo doch seinen Blick ab und konzentrierte sich auf Betty. Während des Essens berichtete sie, wie die kommenden zwei Wochen aussehen würden. Bereits am nächsten Tag würde es von Madrid nach Barcelona gehen. Danach würden sie weiterreisen nach Valencia, Granada, Sevilla und Palma de Mallorca. Auf dem Programm standen verschiedene Punkte. Lesungen und Autogrammstunden nahmen den größten Teil der Veranstaltungen ein, aber es würde beispielsweise auch einen Fototermin für eine spanische Frauenzeitschrift geben.

„Ein ganz schön volles Programm“, sagte Ricardo, nachdem Betty geendet hatte. Er tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab und lehnte sich zufrieden in seinem Stuhl zurück. „Ist das Ganze immer so straff organisiert?“

Betty nickte. „Der neue Ratgeber ist bereits vor zwei Monaten erschienen und Spanien ist nicht das einzige Land, in dem wir Lesungen halten. Der neue Ratgeber muss geplant werden, und zwischendurch brauchen wir auch mal ein paar Tage Urlaub, nicht wahr, Jenna?“ Sie lachte.

„Das stimmt“, meinte Jenna und legte ihre Serviette auf ihren leeren Teller. „Ich hab vielleicht keinen Mann, aber deshalb besteht mein Leben nicht nur aus Arbeit.“

Ricardo hätte gerne nachgehakt, doch in diesem Moment kamen zwei Kellner und räumten das dreckige Geschirr ab. „Darf ich Ihnen noch etwas bringen?“, fragte einer der Kellner.

„Un cortado, por favor“, antwortete Ricardo und sah Jenna und Betty an. „Auch noch einen Espresso?“

„Gerne“, sagte Jenna mit ihrem professionellen Lächeln.

Betty verneinte. „Für mich nichts mehr, danke.“

Der Kellner nickte und verschwand, um den Espresso zu holen. Ricardo überlegte gerade, ob er das Gespräch auf den Urlaub zurückbringen sollte. Er brauchte ein paar private Informationen über Jenna und fürchtete, dass er sich diese hart erkämpfen musste. Doch Betty leerte ihr Weinglas und verstaute ihre Unterlagen wieder in ihrer Tasche.

„Ich fürchte, ich muss euch zwei jetzt alleine lassen“, sagte sie und blickte in die Runde.

„Warum?“, fragte Jenna und starrte Betty alarmiert an. Es war das erste Mal an diesem Abend, dass sie Gefühle zeigte. Offensichtlich wollte sie nicht mit Ricardo alleine sein. Die Vorstellung ließ ihn schmunzeln.

Betty zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ein Telefontermin mit Barnes & Noble. Es geht um deine Lesung in New York nächsten Monat.“

„Um diese Uhrzeit?“

„Zeitverschiebung“, erklärte Betty und stand auf.

„Richtig, hatte ich ganz vergessen. Soll ich dich begleiten?“

Betty winkte ab. „Ach was, trinkt nur in aller Ruhe euren Espresso.“ Sie gab Jenna ein Küsschen auf die rechte Wange und reichte Ricardo die Hand, der sich ebenfalls erhob. „Hat mich sehr gefreut, Ricardo. Auf gute Zusammenarbeit.“

„Auf gute Zusammenarbeit“, wiederholte er lächelnd und setzte sich wieder, nachdem Betty verschwunden war.

Er sah Jenna an und musste sich ein Grinsen verkneifen, als sie ihr Lächeln aufsetzte. Die Fassade bröckelte, die Unsicherheit war ihr deutlich anzumerken. „Und wie ist es dir ergangen in den vergangenen Jahren?“, fragte er.

Sie zuckte mit den Schultern und versteckte sich hinter ihrem Wasserglas. „Ganz gut. Und dir?“

„Ich kann nicht klagen.“ Er zögerte. „Dann geht es dir gut?“

Sie nickte. „Sicher.“

Er unterdrückte ein Seufzen. Es würde in der Tat nicht leicht werden, an Informationen zu kommen. Bevor er einen weiteren Versuch starten konnte, kam der Kellner und servierte den Espresso.

Jenna bedankte sich höflich beim Kellner und trank ihren Espresso in schnellen Schlucken. „Tja, es ist schon spät und wir müssen morgen sehr früh aufstehen“, sagte sie und stand auf.

Ricardo erhob sich ebenfalls und griff nach ihrem Arm. Die Berührung war merkwürdig vertraut und er spürte ein Prickeln auf der Haut. Schnell ließ er sie wieder los. „Sollten wir nicht darüber reden?“, fragte er, ohne nachzudenken. Im selben Moment hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Warum tat er das? Es war nie darum gegangen, die Vergangenheit auszupacken oder ihr wieder näherzukommen. Das konnte er sich gar nicht leisten. Hier ging es einzig und allein um den Job. Das konnte er, darin war er gut.

Auch Jenna war bei seiner Berührung zurückgezuckt, zwang sich aber zu einem Lächeln. „Was sollte es bringen, darüber zu reden? Passiert ist passiert, wir können ohnehin nichts mehr daran ändern.“ Sie atmete einmal tief durch. „Wir sehen uns morgen.“

Ricardo blickte ihr hinterher, als sie das Restaurant mit schnellen Schritten durchquerte. Er war erleichtert, dass sie nicht über die Vergangenheit reden wollte. Und enttäuscht.

„Und? Wie war dein erstes Treffen mit Jenna Jones?“, fragte Sam.

„Gut“, antwortete Ricardo einsilbig und ließ sich auf einen der schwarzen Sessel in der Sitzecke von Sams Büro fallen. Sam war ein Arbeitskollege. Bevor es schon in kurzer Zeit nach Barcelona ging, hatte Ricardo versprochen, noch einmal vorbeizuschauen.

„Gut? Mehr hast du nicht zu sagen?“ Sam erhob sich von seinem Schreibtischstuhl und ging hinüber zu seiner sündhaft teuren Kaffeemaschine, um sich einen Kaffee zu machen. „Auch einen?“, fragte er.

Ricardo schüttelte den Kopf. „Keine Zeit, ich muss gleich wieder los.“

„Dann erzähl“, sagte Sam und setzte sich mit seiner Kaffeetasse in die Sitzecke.

Ricardo zögerte kurz. Der Gedanke, Jenna vor aller Welt bloßzustellen, gefiel ihm ganz und gar nicht. Warum hatte er sich von Sam nur dazu überreden lassen, der Sache nachzugehen? Sam hatte etwas von Einschaltquoten und Exklusivrechten erzählt, und Ricardo hatte einfach zugestimmt, ohne genauer darüber nachzudenken. Die Geschäfte liefen in letzter Zeit nicht so gut, deshalb brauchten sie mal wieder eine richtig gute Story. Und jetzt gab es kein Zurück mehr. „Sie hat etwas zu verbergen, da bin ich mir ziemlich sicher.“

Sam nahm einen Schluck Kaffee und nickte zufrieden. „Also bleiben wir bei unserem Plan?“

Ricardo verspürte das schlechte Gewissen, das ihn plagte, seit er Jenna wiedergesehen hatte. Trotzdem bejahte er. „Sicher bleiben wir bei unserem Plan.“

„Das darf doch nicht wahr sein!“, meinte Sam und stellte die Kaffeetasse energisch auf dem kleinen Glastisch ab, der vor ihnen in der Sitzecke stand. „Hängst du etwa immer noch an ihr?“

„Was für ein Blödsinn“, wehrte Ricardo sofort ab. Tja, das war das Problem, wenn der Arbeitskollege gleichzeitig ein guter Freund war. Sam durchschaute ihn immer. Hier gab es allerdings nichts zu durchschauen. „Glaub mir, Sam, das ist vorbei. Und ich hab ganz sicher nicht vor, es wieder aufzuwärmen.“

„Jetzt vielleicht noch nicht, aber es steht zu viel auf dem Spiel. Soll ich die Sache lieber übernehmen?“

„Warum das denn?“, fragte Ricardo. „Ich hab alles im Griff.“

„Hör zu, ich will nicht, dass alles in die Hose geht, also sei vorsichtig. Große Gefühle können wir jetzt gar nicht gebrauchen.“

„Ich bin immer vorsichtig“, sagte Ricardo und ignorierte den Kommentar mit den Gefühlen. Er stand auf. „Ich muss jetzt los, die warten sicher schon auf mich.“

Sam stand ebenfalls auf und betrachtete seinen Freund nach wie vor skeptisch.

„Vertrau mir, ich hab alles im Griff“, versicherte Ricardo noch einmal. Wenn da nur nicht dieser kleine Zweifel wäre, der an ihm nagte.

2. KAPITEL

Jenna und Ricardo standen auf der Plaza Catalunya und sahen sich an. Jennas erste Lesung in Barcelona war ein voller Erfolg gewesen, doch daran verschwendete sie in diesem Moment keinen Gedanken. Sie hatte alle Mühe, nicht in seinen Augen zu versinken, die intensiv blau waren. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wie das sein konnte. Ricardo war von Kopf bis Fuß der südländische Typ, nur seine hellen Augen passten nicht ganz zum Bild. Das machte ihn allerdings nur noch attraktiver, als er ohnehin schon war. In seiner legeren Kleidung erinnerte er Jenna in diesem Moment mehr denn je an früher. Bisher hatte er immer einen schicken Anzug getragen. Er ließ grundsätzlich die Krawatte weg und trug sein Hemd ein wenig offen, was extrem sexy aussah, wie Jenna fand. Aber auch in Cargohosen, T-Shirt und Sportschuhen machte er eine überaus gute Figur. Genau die richtige Kleidung, um einen schönen Tag am Strand zu verbringen.

Jenna biss sich auf die Lippe. Warum musst du nur immer noch so verdammt gut aussehen? dachte sie und zwang sich, ihren Blick von ihm abzuwenden. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hätte sie nichts gegen einen heißen Flirt mit Ricardo Montgomery gehabt. Sie hatte schon lange nicht mehr geflirtet und es fehlte ihr ein wenig. Okay, vielleicht auch ein bisschen mehr. Ricardo weckte Empfindungen in ihr, die sie schon lange vergessen geglaubt hatte. Und dazu musste er nicht einmal groß etwas machen. Allein bei seinem Anblick verspürte sie dieses Kribbeln in tieferen Regionen. Sie war definitiv zu lange mit keinem Mann mehr zusammen gewesen. Aber es ging einfach nicht. Sie konnte nicht mit ihm flirten, das war viel zu gefährlich. Sie war nicht die, die sie zu sein schien, und er war Journalist. Außerdem kannte sie ihn zu gut. Sich einmal auf ihn einzulassen, war bereits ein Fehler gewesen. Sie wagte einen erneuten Blick in seine Augen, und er grinste sie an.

„Also, was tut eine Bestseller-Autorin so in ihrer Freizeit?“

Das war eine gute Frage. „Tja, das würdest du wohl gerne wissen“, erwiderte sie, um Zeit zu schinden. Jenna hatte nicht viel Freizeit. Wenn sie nicht gerade dabei war, einen neuen Ratgeber zu schreiben, war sie auf Promotion-Tour, wo sie Lesungen hielt oder Interviews gab. Und wenn sie mal Urlaub hatte, was nicht allzu oft vorkam, tat sie in der Regel nichts, oder zumindest nichts Spannendes. Sie las ein Buch, pflegte ihren Garten in Cornwall oder ging spazieren. Ihr Leben war nicht ansatzweise so glamourös, wie Ricardo offensichtlich zu glauben schien. Jetzt musste sie sich allerdings etwas überlegen – und zwar schnell. Immerhin wollte er eine Reportage über sie schreiben, da musste sie ihm schon etwas bieten.

„Tu einfach so, als ob ich nicht da wäre“, sagte Ricardo.

Leichter gesagt als getan, dachte sie. Er war so präsent, dass es schwer war, ihn zu ignorieren. Ständig spürte sie dieses Kribbeln auf der ganzen Haut. Doch ihr blieb wohl keine Wahl. Sie setzte ihr professionelles Lächeln auf und sah ihn unverwandt an. „Ich könnte ein neues Kleid gebrauchen“, sagte sie und unterdrückte ein Grinsen. Der Gedanke, Ricardo ein bisschen zu necken, gefiel ihr. Denn er hatte mit Sicherheit Besseres zu tun, als ihr beim Bummeln zuzusehen. Außerdem war shoppen glamourös und sie hatte schon lange keine richtige Einkaufstour mehr gemacht.

„Tu dir keinen Zwang an“, meinte Ricardo und trat beiseite.

Jenna warf ihre Haare nach hinten und marschierte einfach drauflos. Ricardo folgte ihr.

„Gehst du gerne einkaufen?“, fragte er.

Sie zuckte mit den Schultern. „Normalerweise hab ich gar nicht so viel Zeit, um auf Shopping-Tour zu gehen. Und ich bekomme viele Sachen geschenkt, das bringt der Beruf so mit sich.“

„Bist du gerne Autorin?“

Sie lächelte. „Sehr gerne sogar. Was ist mit dir? Bist du gerne Journalist?“

„Sehr gerne sogar“, wiederholte er.

Jenna lief an einigen Geschäften vorbei und betrat die erste Boutique, die etwas exklusiver aussah. Sie konnte schließlich nicht bei einer x-beliebigen Kette einkaufen, wo man die Shirts für zwanzig Euro hinterhergeworfen bekam. Wobei sie überhaupt kein Problem mit günstiger Ware hatte. Sie war weit davon entfernt, nur Marken zu tragen. Das tat sie nur bei öffentlichen Veranstaltungen, und jetzt stand sie ja gewissermaßen auch in der Öffentlichkeit. Sie musste Ricardo etwas bieten. Das erwarteten die Leser einfach von ihr. Sie unterdrückte ein Seufzen. Die Leser erwarteten viel von ihr. Manchmal zu viel.

„Buenos días“, begrüßte eine der beiden Verkäuferinnen sie und erstarrte für einen Moment. „¡Dios mío! Sind Sie nicht Jenna Jones?“

Jenna nickte verlegen. Sie schrieb vielleicht schon seit vielen Jahren Ratgeber, hatte sich aber immer noch nicht daran gewöhnt, dass man sie fast überall erkannte. „Ja, das bin ich.“ Sie warf einen Seitenblick auf Ricardo und stellte ihn schließlich als Journalisten vor, der sie ein paar Tage begleitete. Sonst dachten die Verkäuferinnen womöglich noch, er wäre ihr Freund oder etwas in der Art, und das konnte sie jetzt gar nicht gebrauchen.

„Ich habe alle ihre Bücher gelesen“, sagte die Verkäuferin mit ihrem spanischen Akzent.

„Das ist sehr nett“, antwortete Jenna und räusperte sich. „Wir würden uns gerne ein wenig umschauen.“

„Claro que sí. Und wenn ich Ihnen helfen kann, sagen Sie bitte Bescheid.“

Jenna nickte abermals und tauchte zwischen den Kleiderstangen ab. Ricardo folgte ihr grinsend.

„Passiert dir das oft?“, fragte er leise.

„Zum Glück nicht.“

Überrascht sah er sie an. „Ist dir das etwa unangenehm?“

„Das würde ich so nicht sagen, aber ich weiß meistens nicht, wie ich reagieren soll.“ Warum erzählte sie ihm das? Sie musste wirklich aufpassen, was sie sagte. Sie wollte doch nicht unsicher wirken. „Außerdem hat es auch was für sich, unbeobachtet einkaufen zu gehen.“ Sie nickte unauffällig zu den beiden Verkäuferinnen, die sie kaum aus den Augen ließen.

„Ja, ich sehe das Problem. Nur gut, dass du eine ehrliche Seele bist und nie auf die Idee kommen würdest, etwas zu klauen.“

Einen kurzen Augenblick sah sie ihn ungläubig an, dann musste sie lachen. „Ich habe in der Tat noch nie etwas geklaut. Du etwa?“

Er grinste. „Ich doch nicht.“

„Ricardo Montgomery, du lügst. Aber ich will es gar nicht wissen. Nachher werde ich noch als Mittäterin zur Rechenschaft gezogen.“

„Das bezweifle ich, denn die Sache ist mit Sicherheit schon längst verjährt.“

„Du bist unmöglich“, sagte sie und griff nach einem roten Kleid. Sie wusste, dass sie ein schlechtes Gewissen haben würde, wenn sie die Boutique verließ, ohne etwas anprobiert zu haben. Das Dumme war nur, dass sie auch ein schlechtes Gewissen haben würde, wenn sie die Boutique verließ, ohne etwas zu kaufen. „Ich probier das mal an“, sagte sie an Ricardo gewandt und nahm noch ein paar weitere Kleider, bevor sie Richtung Umkleidekabinen verschwand.

„Lass mal sehen“, hörte sie irgendwann Ricardos Stimme durch den geschlossenen Vorhang.

Jenna zögerte, öffnete dann aber den Vorhang und trat einen Schritt hinaus. „Etwas kurz, oder was meinst du?“ In dem grünen Kleid, das sie gerade trug, drehte sie sich einmal um die eigene Achse und sah Ricardo fragend an.

Er musterte sie von oben bis unten, wie er es schon bei ihrer ersten Begegnung getan hatte, und Jenna wurde ganz warm. „Zu kurz gibt es gar nicht bei Kleidern“, sagte er grinsend.

Sie verdrehte die Augen und verschwand wieder in der Umkleidekabine, um das nächste Kleid anzuprobieren. Bevor sie jedoch den Vorhang zuziehen konnte, steckte Ricardo den Kopf herein und hielt ihr ein weiteres Kleid entgegen.

„Probier das doch mal. Ich bin sicher, das würde dir gut stehen.“

Jenna nahm das Kleid und sah Ricardo für einen kurzen Moment an. Ihr Herz schlug schneller und sie spürte schon wieder dieses Kribbeln unterhalb des Bauchnabels, als sie den Vorhang zuzog und kurz dachte, dass sie schon lange keine Unterwäsche mehr im Geschäft gekauft hatte. Kopfschüttelnd schlüpfte sie in das champagnerfarbene Kleid, das Ricardo ihr gegeben hatte. Es war eng und hatte einen tiefen Rückenausschnitt. Sie musste zugeben, dass es elegant war und trotzdem verdammt sexy aussah. Ricardo bewies guten Geschmack.

Sie atmete einmal tief durch und schob dann den Vorhang beiseite. Belustigt registrierte sie, dass ihr Anblick Ricardo die Sprache verschlagen hatte. Sie drehte sich wie zuvor einmal im Kreis. Doch dann verschlug es auch ihr die Sprache und sie bekam eine Gänsehaut. Für einen Moment schaute er sie genauso an wie früher.

„Ich würde mir gerne noch ein wenig die Stadt ansehen“, sagte Jenna, nachdem die Shopping-Tour beendet war.

Ricardo nahm ihr die Einkaufstüten ab. „Sollen wir die erst ins Hotel bringen?“

„Keine schlechte Idee, dann würde ich auch meine Schuhe wechseln.“ Sie warf einen Blick auf ihre hohen Absätze.

Ricardo grinste. „Ich hab mich gleich gefragt, warum du so unbequeme Schuhe angezogen hast. Nicht, dass sie nicht sexy wären.“

Die Frage war leicht zu beantworten. Jenna hatte sich hübsch machen wollen. Das war allerdings nicht ihr bester Einfall gewesen. Sie zog ihre große Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie auf. Mit Komplimenten von Ricardo konnte sie einfach nicht umgehen. Sie wusste nicht, wie sie diese einordnen sollte. „Warst du schon mal in Barcelona?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln.

„Na hör mal, ich bin Spanier!“

„Was willst du denn damit sagen?“

Gespielt empört sah er sie an. „Also bitte. Da könnte ich ja genauso gut einen Engländer fragen, ob er schon mal in London war.“

Sie musste lächeln. „Geografie war ja vielleicht nicht mein bestes Fach in der Schule, aber war nicht Madrid die Hauptstadt von Spanien?“

Ricardo sah sich verstohlen um und antwortete leise: „Das schon, aber Barcelona ist viel schöner.“

Jenna lachte. „Wie wär’s, wenn du mir die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigst?“

„Also gut, señorita, ich zeige dir bella Barcelona. Aber nur, wenn ich im Gegenzug ein paar Fotos von dir machen darf. Ich brauche ja schließlich Bildmaterial für die Reportage“, schob er hastig hinterher.

Nachdem sie das überflüssige Gepäck ins Hotel gebracht und Jenna ihre hohen Sandaletten gegen flache getauscht hatte, zeigte Ricardo ihr die schönen Seiten der Stadt. Sie flanierten über die Ramblas, kauften sich auf dem großen Markt frisches Obst und aßen am Hafen ein Eis. Jenna betrachtete abwechselnd das Kolumbusdenkmal und das Meer, während sie in der Sonne saßen und ein wenig ausruhten. Über das gotische Viertel ging es wieder zurück Richtung Plaza Catalunya.

„Das war wirklich schön“, sagte Jenna, als sie an dem großen Platz angekommen waren, auf dem es zu jeder Tages- und Jahreszeit von Menschen nur so wimmelte.

Ricardo grinste. „Und das war noch lange nicht alles. Du kannst Barcelona nicht verlassen, ohne etwas von Gaudí gesehen zu haben. Na komm, oder hast du noch was anderes vor?“

Jenna zögerte ganz kurz. Pläne hatte sie keine mehr, aber sie war sich nicht sicher, ob es gut war, so viel Zeit mit Ricardo zu verbringen. Andererseits war der Tag mit ihm bisher sehr schön gewesen. Es gab also keinen Grund, sich bei dem schönen Wetter aufs Hotelzimmer zurückzuziehen oder die Sightseeing-Tour alleine fortzuführen.

„Also dann“, sagte sie und hakte sich bei ihm unter. „Was zeigst du mir als Nächstes?“

„Casa Batlló natürlich, was sonst? Ist auch gar nicht weit von hier. Ich fürchte nur, wir werden keine Zeit haben, um uns das Haus von innen anzusehen. Da muss man schon mindestens zwei Stunden einplanen, und wir wollen uns ja heute noch mehr ansehen.“

„Ich glaube, ich weiß, was du meinst“, sagte Jenna, als sie kurz darauf die lange Menschenschlange vor der Casa Batlló, einem der berühmtesten Werke Gaudís, sah. „Wow“, entfuhr es ihr, als sie näher kamen. „Das ist wunderschön.“

Begeistert blickte Jenna an der Fassade des Hauses hoch, die in den schönsten Farben schillerte. Kleine Balkone, die gewisse Ähnlichkeit mit venezianischen Masken hatten, ragten hervor. Es gab große Fensterfronten, die weder eckig noch rund waren, Säulen, einen Turm und ein Dach, das in der Sonne schimmerte wie die Haut eines Reptils.

„Hier würde ich sofort einziehen“, sagte Jenna.

„Ja, doch“, erwiderte Ricardo. „Könnte man drüber reden. Sofern die Touristen nicht wären, denn glaub mir, irgendwann würde dir das Getrampel auf den Keks gehen.“

„Mit Sicherheit, und wahrscheinlich könnte ich mir die Miete eh nicht leisten.“

„Sag das nicht, wenn wir zusammenlegen.“

Sie sah ihn von der Seite an und lachte. „Willst du mir etwa sagen, dass du als freier Journalist so viel Geld verdienst?“

Für einen kurzen Moment schien sich sein Gesicht zu verdunkeln, doch dann zuckte er die Schultern und grinste sie an. „Das nicht gerade, aber ich habe ein Händchen für Aktien, wenn du weißt, was ich meine.“

„Soso.“

Eine Weile blieben sie noch vor dem Haus stehen und genossen den außergewöhnlichen Anblick, dann liefen sie weiter Richtung Casa Milà. Über die stark befahrene Straße hinweg blickten sie auf das zweite Haus, das Gaudí gebaut hatte. Auch hier gab es eine lange Menschenschlange, die offenbar anstand, um das Haus von innen zu sehen.

Jenna erkannte sofort den Stil von Gaudí wieder. Auch Casa Milà war ein architektonisches Meisterwerk mit wellenförmiger Fassade. „Schade, dass wir keine Zeit haben, es uns von innen anzusehen.“

„Wir können uns die Zeit schon nehmen“, meinte Ricardo. „Aber dann verpasst du die Sagrada Familia.“

„Auf keinen Fall. Man fährt ja auch nicht nach London, ohne sich den Buckingham Palace anzusehen.“

Und so liefen sie ein paar Meter weiter zur nächsten Metrostation und fuhren zu der Kirche. Hier nahmen sie sich die Zeit, wenigstens ein Mal durch das Kirchenschiff zu laufen, bevor sie weiter Richtung Park Güell fuhren, der letzten Station für diesen Tag. Ricardo fotografierte Jenna dabei, wie sie einen Kuss auf die berühmte Eidechse drückte, die in der Nähe des Eingangs thronte und die vielen Besucher empfing. Dafür mussten sie allerdings eine Lücke zwischen zwei Gruppen japanischer Touristen abpassen. Als sie schließlich die mit bunten Mosaiksteinchen verzierten Bänke erreichten, die sich rund um eine Plattform schlängelten, ließ Jenna sich erschöpft fallen. Ihre Füße taten weh, aber sie war trotzdem rundherum glücklich und genoss den Ausblick auf die Stadt, den man von dort oben hatte.

„Barcelona ist wirklich schön“, sagte sie. Sie senkte die Stimme und beugte sich hinüber zu Ricardo, der neben ihr saß. „Sogar schöner als Madrid.“

Er lachte und lehnte sich entspannt zurück. Die Augen geschlossen, hielt er sein Gesicht den letzten Sonnenstrahlen des Tages entgegen. Jenna musste bei diesem Anblick einfach lächeln. Sie hatte ganz vergessen, wie viel Spaß man mit Ricardo haben konnte. Er war nach wie vor ein toller Mann. Gerne hätte sie die Hand ausgestreckt und die Konturen seines Gesichts nachgezeichnet. Das Grübchen in seinem Kinn schien mit den Jahren noch tiefer geworden zu sein.

Als er die Augen wieder öffnete und sie dabei erwischte, wie sie ihn beobachtete, sah sie schnell weg. Ihr Herz klopfte und sie versuchte krampfhaft, das Kribbeln in ihrem Bauch zu ignorieren. „Warum wohnst du eigentlich in Madrid, wenn dir Barcelona so viel besser gefällt?“

„Wegen des Jobs. Die wichtigsten Medien haben nun mal ihren Hauptsitz in Madrid. Aber ich muss viel reisen, deshalb ist es eigentlich egal, wo ich wohne.“ Er sah sie an. „Was ist mit dir? Du wohnst in London?“

Sie nickte, ohne den Blick von der Aussicht zu wenden. „Richtig, aber dort verbringe ich gar nicht so viel Zeit. Wenn ich schreibe, ist mir der ganze Trubel zu viel. Die meiste Zeit bin ich in meinem Cottage in Cornwall.“ Nun sah sie Ricardo doch an. „Meine Großeltern haben es mir vererbt, da meine Mutter es nicht haben wollte.“

„Schreibst du wirklich nur wegen deiner Mutter Ratgeber?“

Seufzend lehnte sie sich zurück. „Nicht nur, ich schreibe einfach gerne. Und ich war damals auch nicht sicher, was ich sonst hätte machen sollen.“ Sie grinste. „Eigentlich wollte ich ja immer Polizistin werden, aber da ich leider nicht die Beste im Sportunterricht war, musste ich die Idee verwerfen.“

Er lachte. „Ich kann mich dich gar nicht als Polizistin vorstellen.“

Sie musste ebenfalls lachen. „Ich auch nicht. Was ist mit dir? Was war dein Traumberuf, als du noch jünger warst?“

Er musterte sie kurz. „Kannst du schweigen? Es weiß nämlich niemand davon und ich möchte nicht, dass es sich herumspricht. Das könnte meinem Image schaden.“

„Geheimnisse sind bei mir sicher“, antwortete sie und verspürte für einen kurzen Moment das bekannte Ziehen in der Nähe ihres Herzens. Auch sie hatte ein Geheimnis, das sie schon viel zu lange mit sich herumtragen musste.

„Ich wollte früher immer als Clown mit dem Zirkus durchbrennen.“

Jenna starrte ihn an, ihr Herz war wieder vergessen. „Nicht dein Ernst!“

„Ich fürchte doch. Aber wehe, du erzählst es jemandem.“

„Du machst Witze!“

Ricardo legte eine Hand auf seine linke Brust. „Ich schwöre. Oder glaubst du ernsthaft, ich würde so was erfinden? Da gäbe es doch viel coolere Sachen, zum Beispiel Superheld oder so was.“

„Stimmt auch wieder. Sag mal, was ich dich noch fragen wollte.“ Jenna sah sich kurz um, ob ihnen jemand zuhörte. „Hast du wirklich schon mal etwas geklaut?“

„Bist du sicher, dass du das wissen willst?“, fragte er lachend.

„Jetzt sag schon. Hast du?“

„Indirekt schon.“ Als er ihr fragendes Gesicht sah, fuhr er fort: „Ich war erst sechs Jahre alt und hab in einem Tante Emma-Laden einen von den Lutschern mitgenommen, die an der Kasse lagen. Ich dachte, die wären umsonst. Als Geschenk für die Kinder, du verstehst schon.“

Erleichtert entspannte Jenna sich wieder. Sie war froh, dass Ricardo ihr kein schlimmeres Vergehen gestand. „Und, hat man dich erwischt?“

„Hat man. Ich musste den Lutscher von meinem Taschengeld bezahlen, und damit war die Sache im wahrsten Sinne des Wortes gegessen. Aber seitdem hab ich nie wieder einen Lutscher angerührt.“ Sie lachte und er fiel mit ein.

Eine ganze Weile saßen sie noch auf der Bank im Park Güell, unterhielten sich über Gott und die Welt und sahen dabei zu, wie sich der blaue Himmel allmählich rot verfärbte. Jenna fühlte sich seit Langem mal wieder richtig entspannt. Wenn sie ehrlich war, hatte sie es vermisst, sich ausgelassen mit jemandem zu unterhalten. Außer Betty und ihrem jüngeren Bruder Harry gab es niemanden, der ihr wirklich wichtig war. Das war der Preis, den sie für ihr Leben zahlen musste.

Es war schön, dass Ricardo Interesse für sie zeigte. Trotzdem hatte sie nicht das Gefühl, dass er sie ausfragte und nur hinter einer Story her war. Er wollte wirklich wissen, wie es ihr in den letzten zehn Jahren ergangen war, und er erzählte ihr auch viel von sich. Das schaffte Vertrauen, auch wenn sie sich nicht sicher war, wie gut es war, jemandem zu vertrauen, den sie ja eigentlich kaum kannte. Sie unterdrückte ein Seufzen und wünschte sich, es wäre damals alles ganz anders gekommen. Vielleicht wäre ihr Leben dann auch anders verlaufen. Vielleicht müsste sie dann jetzt nicht aller Welt etwas vorlügen.

3. KAPITEL

Tosender Applaus brandete auf und Jenna klappte wie immer etwas verlegen ihr Buch zu. Damit war ihre letzte Lesung in Barcelona beendet. Sie sah in die Runde, in all die Gesichter der vielen Frauen, die hier saßen und sie bewunderten. An manchen Tagen genoss sie das Gefühl. An anderen Tagen fragte sie sich, ob sie diese Bewunderung überhaupt verdiente. Glanz und Glamour konnten einen nicht trösten, wenn man sich alleine fühlte. Und sie war alleine. Nicht einmal ein Haustier hatte sie, wenn man von dem Igel absah, der jeden Winter bei ihr im Garten die kalten Tage verschlief.

„Vielen Dank für diese wunderbare Lesung“, sagte die Inhaberin des Buchladens, der mitten in der Innenstadt lag. Sie reichte Jenna einen Strauß Blumen, dessen herrlicher Duft Jenna sofort in die Nase stieg, und schüttelte ihr die Hand.

„Danke, dass ich bei Ihnen lesen durfte“, antwortete Jenna.

Die Inhaberin nickte freundlich und wandte sich wieder dem Publikum zu. „Miss Jones hat sich dazu bereiterklärt, noch einige Bücher zu signieren.“ Sie deutete auf eine andere Ecke des großen Raumes, wo bereits ein großer Tisch bereit stand. Rechts und links auf dem Tisch stapelten sich die verschiedenen Ratgeber von Jenna in die Höhe. „Dort können Sie sich anstellen. Vielen Dank fürs Kommen.“

Die Damen im Publikum klatschten noch einmal kurz, dann war das Geräusch von über den Boden geschobener Stühle zu hören und die Schlange vor dem bereitgestellten Tisch wurde immer länger.

„Darf ich Ihnen noch einen Kaffee oder etwas anderes zu trinken bringen?“, fragte die Inhaberin an Jenna und Betty gewandt, die sich beide erhoben hatten.

„Gracias, sehr freundlich. Ich nehme ein Wasser“, sagte Jenna.

„Für mich auch“, schloss sich Betty an. „Und würden sie dem Journalisten, der uns begleitet, bitte auch etwas zu trinken bringen?“ Sie zeigte in Richtung Ricardo, der sich bereit machte, um Fotos von Jenna beim Signieren zu schießen.

„Selbstverständlich“, antwortete die Inhaberin und verschwand im Getümmel.

Jenna und Betty bahnten sich ihren Weg hinüber zum Tisch. „Eine Stunde noch, dann hast du es geschafft und hast den Rest des Tages frei“, raunte Betty ihr zu.

Doch Jenna war darüber nicht so froh, wie sie hätte sein können. Es war noch nicht einmal zwölf Uhr. Was sollte sie nur mit dem langen Tag anfangen?

Ricardo beobachtete, wie Jenna und Betty auf den beiden Stühlen hinter dem riesigen Tisch Platz nahmen und den Frauen in der langen Schlange zulächelten. Während Betty die gewünschten Bücher aus den Stapeln zusammensuchte, signierte Jenna sie und fand für jede ihrer Leserinnen noch ein freundliches Wort. Ricardo bewunderte sie für ihre Freundlichkeit und Ausdauer. Er hatte auch schon das ein oder andere Mal darüber nachgedacht, ein Buch zu schreiben. Lesungen und Signierstunden sprachen seiner Meinung nach dagegen. Und dabei war es ihm nicht einmal fremd, im Mittelpunkt zu stehen.

Die Inhaberin des Buchladens tauchte mit einem Tablett auf und brachte Jenna und Betty ein Glas Wasser, bevor sie zu ihm kam und ihm ebenfalls ein Glas gab. Ricardo bedankte sich und nahm einen großen Schluck. Er machte ein paar Fotos und schrieb sich noch einige Notizen auf, dann hieß es abwarten. Es sah nicht so aus, als ob die Signierstunde so bald beendet werden würde. Er hätte gehen können, denn er hatte bereits jetzt genügend Fotos und Notizen für fünf Reportagen zusammen. Aber er blieb.

Er mochte Jennas Nähe und hatte ohnehin nichts Besseres vor. Viel wichtiger aber war, dass ihm die Zeit davonlief. Er brauchte Informationen über Jennas Privatleben, und dafür musste er ihr Vertrauen gewinnen. Das schlechte Gewissen ignorierte er. Was blieb ihm auch für eine Wahl? Sam wartete schon ungeduldig auf Infos und es war nun mal sein Job, Geheimnisse zu lüften. Er war auf einem guten Weg, das wusste er. Deshalb musste er auch unbedingt am Ball bleiben. Wie konnte er sie dazu überreden, heute noch einmal etwas mit ihm zu unternehmen?

Ricardo nahm noch einen Schluck Wasser, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete Jenna bei ihrer Arbeit. Es schien ihr Spaß zu machen, obwohl die Schlange nicht kürzer wurde und es draußen ziemlich heiß war. Fast ein bisschen zu heiß, um erneut die Stadt zu erkunden. Doch da kam ihm eine Idee. Er nahm sich einen von Jennas Ratgebern und nutzte die Gelegenheit, um ein bisschen darin zu lesen, während er wartete. Als Jenna die letzte Leserin glücklich gemacht hatte und ein wenig erschöpft ihre Sachen zusammenpackte, stand er sofort auf und ging zu ihr und Betty hinüber.

„Ganz schön heiß heute“, sagte Jenna in diesem Moment und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte. Sie sah Betty an. „Hast du nicht Lust, mit mir zusammen zum Strand zu fahren? Ich wollte mir ja eigentlich die Casa Battló von innen ansehen, aber bei dem Wetter ist mir eine Abkühlung lieber.“

Das darf doch nicht wahr sein, dachte Ricardo. Warum musste sie ausgerechnet Betty fragen? Dabei hatte er doch sie fragen wollen, mit ihm den Tag am Meer zu verbringen. Und er hatte sich schon so darauf gefreut, sie in einem knappen Bikini zu sehen. Allein der Gedanke daran ließ sein Herz schneller schlagen und seine Hände feucht werden.

Doch zu seinem Glück sagte Betty ab. „Ich würde echt gerne mit zum Strand, aber ich kann leider nicht. Ich muss mir unbedingt noch die aktuelle Show von Pete Peterson ansehen, die der süße Hotelrezeptionist mir netterweise besorgt hat.“

Jennas Gesichtsausdruck veränderte sich und Ricardo horchte auf, als sie sagte: „Du versetzt mich wegen Pete Peterson? Das ist jetzt nicht dein Ernst. Warum siehst du dir diesen Quatsch überhaupt noch an?“

Ricardo hatte plötzlich ein ganz ungutes Gefühl in seiner Magengegend. Warum reagierte sie so heftig auf Pete Peterson und warum wusste er nichts davon? Dies war wahrscheinlich nicht der richtige Augenblick, um nachzuhaken. Trotzdem fragte er so beiläufig wie möglich: „Pete Peterson?“

Betty sah ihn kurz an. „Ein bekannter Fernsehjournalist, der anonym Skandale ausgräbt und dann in seiner Show ausschlachtet.“ Sie wandte sich ihrer Freundin zu und legte ihr eine Hand auf den Arm. „Du weißt, warum ich es mir ansehe. Aus Recherchegründen. Ich muss doch wissen, mit was für Themen er sich gerade so beschäftigt. Es kann jedenfalls nie schaden, auf dem Laufenden zu sein.“

„Na dann viel Spaß bei der Show“, meinte Jenna. Sie sah gekränkt aus.

Ricardo schluckte und versuchte, möglichst lässig auszusehen, indem er die Hände in seinen Hosentaschen vergrub. „Soll ich dich zum Strand begleiten? Eine Abkühlung könnte ich auch gut vertragen und ich hatte sowieso vor, zum Meer zu fahren.“

Jenna zögerte. „Ich weiß nicht.“

„Warum denn nicht?“, fragte Betty und zog den Reißverschluss ihrer Tasche zu. „Für die Reportage ist es doch eine tolle Gelegenheit, wenn ihr noch ein bisschen Zeit abseits der Lesungen und sonstigen Veranstaltungen zusammen verbringt. Und zu zweit ist es am Strand sicher lustiger als alleine.“

„Also, was sagst du?“, fragte Ricardo noch einmal.

Jenna trank den letzten Schluck aus ihrem Wasserglas und schulterte ihre Tasche. „Na schön, dann lass uns schnell die Badesachen aus dem Hotel holen.“

Ricardo lächelte zufrieden. Jetzt brauchte er nur noch einen Plan, um so schnell wie möglich an Informationen zu kommen. Vor allem musste er wissen, was sie gegen Pete Peterson hatte. Dumm nur, dass er eigentlich viel lieber ein bisschen Spaß mit Jenna hätte.

Jenna streifte das leichte Sommerkleid ab und trug nur noch den roten Bikini, den sie bereits im Hotelzimmer angezogen hatte. Ricardos Blick, der sie unauffällig musterte, entging ihr nicht. Ein warmer Schauer lief ihr über den Rücken. Es wäre hilfreich, wenn er nicht ganz so attraktiv wäre, dachte sie und breitete eines ihrer Handtücher neben ihm aus. Sie war immer noch ganz fasziniert davon, dass Barcelona einen Strand hatte. Zugegeben, es war vielleicht kein Traumstand, wie man ihn in der Karibik finden würde, aber er war trotzdem ganz schön. Es gab feinen Sand, Palmen und sogar eine Promenade. Die Touristen jedenfalls brieten in der Sonne oder kühlten sich im Wasser ab.

Eine Abkühlung könnte ich auch gebrauchen, dachte Jenna, der Ricardos Blick nicht aus dem Kopf ging. Sie spürte dieses wohlig warme Gefühl im Bauch, das sich langsam in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Sie war einfach zu lange nicht mehr mit einem Mann zusammen gewesen. Zehn Jahre war es mittlerweile her. Sie verstand sich selbst nicht ganz. Nur weil sie Ratgeber darüber schrieb, wie man ohne Mann glücklich wurde, hieß das doch noch lange nicht, dass sie sich nicht für ein paar Stunden mit einem vergnügen konnte. Aber irgendwie hatte es sich so ergeben, dass sie den Männern völlig entsagte. Anfangs war sie zu verletzt gewesen, und ein bisschen Sorgen um ihren Ruf hatte sie sich natürlich auch gemacht. Schließlich wollte sie nicht als Männer mordender Vamp verschrien werden. Und irgendwann war die Angst dazu gekommen. Die Angst, sich zu blamieren. Flirten war noch nie ihre Stärke gewesen und nun war sie völlig aus der Übung.

„Einen Penny für deine Gedanken“, sagte Ricardo und lehnte sich lässig zurück.

„Ähm, ich hab nur gedacht, wie schön der Strand ist“, antwortete sie und versuchte, nicht rot zu werden. Sie wusste nicht, ob Ricardo ihr glaubte, jedenfalls wechselte er das Thema.

„Du solltest dich eincremen. Die Sonne ist ganz schön heiß heute.“

„Ich hab mich schon im Hotel eingecremt. Allerdings kam ich nicht richtig an den Rücken heran. Vielleicht könntest du …?“

Während sie noch überlegte, ob das wirklich eine gute Idee war, griff Ricardo bereits nach der Sonnencreme und hockte sich hinter sie. Sanft glitten seine warmen Hände über ihren Rücken und die Schultern. Jenna schloss die Augen und unterdrückte ein genüssliches Seufzen. Wie gut sich das anfühlte. Wenn da nur nicht schon wieder dieses verräterische Kribbeln wäre.

„Du bist immer so ernst“, flüsterte er nahe bei ihrem Ohr, sodass ihre ganze Haut prickelte. Er begann, sie ein wenig zu massieren. „Entspann dich doch einfach mal und hab ein bisschen Spaß.“

Er hatte recht, das wusste sie. Viel zu oft versank sie in Grübeleien und war es allmählich selbst leid. Vielleicht sollte sie diese Gelegenheit nutzen, sich mal wieder ein wenig im Flirten zu üben. „Was schlägst du denn vor?“, fragte sie und legte dabei so viel Charme wie möglich in ihre Stimme.

„Ich weiß nicht“, antwortete er rau. „Gibt es etwas, dass du schon lange nicht mehr getan hast?“

Ihr wurde ganz heiß, als sie antwortete: „Na ja, da gäbe es schon einiges. Aber ich weiß nicht, ob sich das so gut für den Strand eignet.“

„Möchtest du das noch etwas spezifizieren?“

„Setz deine Fantasie ein.“

Er lachte leise. „Das werde ich. Und jetzt brauche ich erst mal eine Abkühlung.“

Und schon war er aufgesprungen und rannte Richtung Wasser. Jenna sah ihm einen Moment lächelnd hinterher, bevor sie ihm ins Wasser folgte. Das war doch gar nicht mal so schlecht gelaufen.

Den ganzen Tag verbrachten Jenna und Ricardo am Strand. Als es auf den Abend zuging, packten sie ihre Sachen zusammen und spazierten an der Promenade entlang. Obwohl so viel zwischen ihnen passiert war und sie sich fast zehn Jahre nicht gesehen hatten, war es beinahe so, als wären sie alte Freunde. Sie hatten sich so viel zu erzählen, und wenn sie mal eine Weile lang schwiegen, war es kein unangenehmes Schweigen. Jenna war schon lange nicht mehr so glücklich und unbeschwert gewesen. Sie genoss die Zeit mit Ricardo und ließ sich sogar von ihm zum Essen einladen. Er war ein bekannter Journalist, mit ihm durfte sie sich ruhig alleine in der Öffentlichkeit zeigen. Jeder würde vermuten, dass er für eine Geschichte recherchierte, und so war es ja auch. Das versuchte sie sich zumindest einzureden, als sie Ricardo im Restaurant gegenübersaß und sie sich im Schein des Kerzen- und Mondlichts immer wieder verstohlene Blicke zuwarfen. Es war ein kleines Tapas-Restaurant an der Promenade und alles andere als fein, und doch war die Stimmung unglaublich romantisch.

„Hast du noch ein bisschen Zeit?“, fragte Ricardo, nachdem er die Rechnung bezahlt hatte und sie das Restaurant verließen. „Ich würde dir gerne noch etwas zeigen.“

Sie nickte. „Auf mich wartet nur ein einsames Hotelzimmer.“ Sie versuchte zu lachen, um die Wehmut zu überspielen, die deutlich zu hören gewesen war. Doch so ganz wollte es ihr nicht gelingen.

„Bist du einsam?“, fragte Ricardo und sah sie mit einem Blick an, den sie nicht deuten konnte. War es Mitleid, echtes Interesse oder gar Neugier?

Jenna schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und zuckte mit den Schultern. „Ist nicht jeder von uns manchmal einsam?“ Als sie von Ricardo keine Antwort bekam, fuhr sie fort: „Warum bist du eigentlich nicht verheiratet?“

Grinsend schob Ricardo die Hände in seine Cargohose. „Warum gehst du davon aus, dass ich nicht verheiratet bin?“

Jenna spürte die Hitze auf ihren Wangen und war froh, dass es bereits dunkel war. „Oh, tut mir leid. Ich dachte nur … du trägst keinen Ring.“

„Ich bin nicht verheiratet“, antwortete Ricardo und Jenna spürte so etwas wie Erleichterung. Dabei konnte es ihr im Grunde völlig egal sein.

Sie überlegte eine Weile. Gerne hätte sie ihn gefragt, ob er mit jemandem zusammen war, aber das war wohl keine so gute Idee. Sie wollte nicht, dass er den Eindruck bekam, sie hätte Interesse an ihm. „Wärst du es denn gerne? Also verheiratet, meine ich?“, fragte sie schließlich.

Er schwieg eine Weile, bevor er antwortete: „Ich weiß nicht. Es wäre der Frau gegenüber wahrscheinlich nicht fair, da ich viel auf Reisen bin und viel arbeite.“

Wich er ihr aus oder bildete sie sich das nur ein? „Das ist sehr nobel von dir, aber das beantwortet nicht meine Frage. Wärst du gerne verheiratet?“

„Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht.“ Einen Moment sah er sie an. Im Mondlicht waren seine Augen noch blauer als sonst. „Was ist mit dir?“

Sie zögerte nur ganz kurz. „Es ist egal, was ich will. Eine Hochzeit würde das Ende meiner Karriere bedeuten, das ist dir doch wohl klar, oder?“

„Schon, aber das beantwortet nicht meine Frage.“

Nun war es an ihr zu grinsen. „Ich weiß.“

„Willst du denn immer alleine bleiben? Was ist mit Kindern?“

„Du hast doch mein Interview in Madrid verfolgt, oder nicht?“, antwortete sie so cool wie möglich. Sie musste das Thema wechseln, allmählich wurde es ihr zu brenzlig. Sie konnte und durfte ihm nicht blind vertrauen. „Sag mal, wohin gehen wir eigentlich?“

„Lass dich überraschen. Du, Jenna“, meinte er nach einer Weile. „Darf ich dir eine Frage stellen?“

Sie nickte. „Sicher darfst du.“

„Was hast du gegen diesen Pete Peterson? Es klang so, als ob da mal irgendetwas vorgefallen wäre.“

Es dauerte, bis sie antwortete. Sie dachte nur ungern an diese Sache zurück. „Ich hasse Sensationsjournalisten, mehr musst du nicht wissen.“

Er steckte die Hände in seine Hosentaschen und sah ein wenig geknickt aus. „Okay, wenn du meinst. Aber wenn du mal drüber reden willst oder ich dir irgendwie helfen kann. Ich hab einige Kontakte in der Medienbranche.“

„Danke, ich werde es mir merken. Kennst du ihn denn?“

„Peterson? Niemand kennt ihn.“

„Klar, dann könnte er ja auch schlecht seiner Arbeit nachgehen. Ich dachte nur, so unter Kollegen.“

„Ich hab bisher nicht viel für den Sender gemacht, bei dem er ist“, antwortete Ricardo. „Stehst du eigentlich gerne im Mittelpunkt?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Man gewöhnt sich an alles und ich mag meine Leserinnen.“

„Ja, du machst das auch wirklich toll. Ich weiß nicht, ob ich das könnte.“

Sie antwortete nicht und den Rest des Weges schwiegen sie. Jenna war ganz froh darüber, dass er sie nicht zu Antworten drängte, die sie nicht geben wollte. Schließlich erreichten sie den Nationalpalast am Fuße des Montjuïc, wie Ricardo ihr erklärte. Er griff sie wie selbstverständlich bei der Hand, und gemeinsam bahnten sie sich einen Weg durch die Menschentraube, die sich dort gebildet hatte. Vor einem Brunnen blieben sie stehen.

„Und jetzt?“, fragte sie verwundert.

„Jetzt sei doch nicht immer so ungeduldig“, meinte Ricardo. „Glaub mir, manchmal kann sich das Warten lohnen.“

Und damit hatte er recht. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Töne von Celine Dions My heart will go on erklangen. Gleichzeitig wurde der Brunnen vor ihnen lebendig. Im Takt der Musik bewegten sich die Wasserfontänen in den buntesten Farben. Wie gebannt schaute Jenna auf das Wasserspiel. Sie spürte, wie Ricardo einen Arm um ihre Schulter legte und lehnte sich gegen ihn. Es war eine zauberhafte Stimmung, die auch noch anhielt, nachdem das Wasserspiel beendet war und sich die Menschentraube langsam auflöste. Jenna wandte sich Ricardo zu und sah ihm direkt in die Augen. Er war wirklich ein toller Mann, zumindest heute. Damals hatte er sich nicht gerade vorbildlich verhalten. Ob er sich geändert hatte? Wie sehr sie sich das in diesem Augenblick wünschte.

„Das war wirklich wunderschön“, sagte sie mit belegter Stimme.

„Genau wie du“, antwortete er leise.

Sanft zog er sie in seine Arme und strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. Jede seiner Berührungen löste so etwas wie einen elektrischen Schlag in ihr aus. Sie waren sich so nahe wie schon lange nicht mehr, und das nicht nur körperlich. Er fuhr ihr mit einer Hand durchs Haar, griff in ihren Nacken und beugte sich langsam zu ihr herunter. Sie spürte seinen Atem, roch seinen Duft nach Salzwasser und Sonne. Sein Herz schlug mindestens genauso schnell wie ihres, und das Prickeln, das sie in sämtlichen Adern spürte, war kaum mehr auszuhalten. Für einen Wimpernschlag schloss Jenna die Augen und hätte am liebsten auf ihr Herz gehört, dass ihn so sehr küssen wollte, dass es fast wehtat.

Doch wie so oft übernahm ihr Verstand wieder die Kontrolle. Jenna löste sich von Ricardo, bevor er sie küssen konnte, und räusperte sich etwas verlegen. „Es ist schon spät, ich sollte langsam zurück ins Hotel.“

Ricardo nickte. Seine Enttäuschung ließ er sich nicht anmerken, falls er überhaupt enttäuscht war. Sie jedenfalls war es. Wie gerne hätte sie sich dem Moment hingegeben, aber es ging einfach nicht. Sie durfte nichts mit Ricardo anfangen. Vielleicht hatte er sich geändert und vielleicht würde er ihr Geheimnis bewahren. Und trotzdem würde sie ihre Karriere aufs Spiel setzen. Sie, die Ikone der Single-Frauen, die immer wieder predigte, wie toll das Leben ohne Mann war, konnte nicht einfach mit einem Mann an ihrer Seite auftauchen. Auch wenn Jenna genau das wollte. Wie die meisten anderen Frauen auch wünschte sie sich nichts sehnlicher als einen Ehemann und Kinder, eben eine richtige kleine Familie. Und allmählich lief ihr die Zeit davon, immerhin war sie bereits Ende zwanzig.

Aber wahrscheinlich brachte es ohnehin nichts, sich jetzt Gedanken darüber zu machen. Vielleicht hatte Ricardo sie gerade eben küssen wollen, aber das hieß noch lange nicht, dass er eine Beziehung mit ihr wollte. Als treusorgenden Vater und liebevollen Ehemann konnte sie sich ihn einfach nicht vorstellen.

4. KAPITEL

Eine Gruppe überzeugter Feministinnen hatte Jenna in Valencia zu einer Diskussionsrunde eingeladen. Ricardo hatte überhaupt keine Lust auf den Termin gehabt, war aber trotzdem mitgekommen. Jenna sah nicht so aus, als ob sie sich in dieser Runde sonderlich wohl fühlte. Deshalb bereute er auch nicht, sie begleitet zu haben. Auch wenn das alles andere als leicht war, denn die Feministinnen warfen ihm die ganze Zeit über böse Blicke zu. Selten hatte er sich so deplatziert gefühlt, und dabei hatte er bisher noch nicht einmal etwas zur Diskussion beigetragen.

Und die Feindseligkeit Ricardo gegenüber wurde auch nicht besser, als sein Handy den Empfang einer SMS vermeldete. Da er anscheinend ohnehin nichts richtig machen konnte, zog er das Handy aus seiner Hosentasche und öffnete die Nachricht. Sam erkundigte sich nach dem aktuellen Stand der Dinge. Ricardo überlegte einen Moment, sich zu entschuldigen und Sam kurz zurückzurufen, doch er verwarf den Gedanken sofort wieder. Er hatte keine Lust, sich Sams Vorwürfe anzuhören, dass er immer noch nichts Brauchbares herausgefunden hatte. Er antwortete nur knapp, dass er alles im Griff habe. Dabei wurde er dieses nagende Gefühl einfach nicht los, dass ihm die Sache immer mehr entglitt. Er spürte zwar, dass er kurz davor war, Jennas größtes Geheimnis zu enthüllen. Doch genau davor hatte er Angst. Er war sich nicht mehr sicher, ob er das wirklich wollte.

So unauffällig wie möglich beobachtete er Jenna aus den Augenwinkeln. Er konnte einfach nicht vergessen, dass er sie am Abend zuvor fast geküsst hatte. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Sicher, sie war eine tolle Frau, und in den letzten Tagen hatte sich der Wunsch verstärkt, etwas mit ihr anzufangen. Aber genau deshalb musste er aufpassen. Er konnte es sich nicht erlauben, sich zu verlieben. Das war auch nicht der Grund, warum er mit Jenna auf diese Lesetour gegangen war. Es ging einzig und allein um den Job. Ein Kuss hätte ihre ohnehin schon komplizierte Beziehung nur noch mehr verkompliziert. Sie sollte ihm vertrauen, mehr nicht.

Wenigstens ließ sie sich bisher nichts anmerken, es schien alles in Ordnung zu sein. Wenn man einmal davon absah, dass sie sich zwischen diesen Feministinnen alles andere als wohl fühlte. Ihr Lächeln wirkte gezwungen und man sah ihr an, dass sie stets nach den richtigen Worten suchte, um nicht falsch verstanden zu werden. Die Frauen nahmen sie ganz schön ins Kreuzverhör und dabei stand sie doch eigentlich auf deren Seite.

„Denken Sie denn nicht, dass das alles nur Heuchelei ist?“, fragte nun eine der Frauen an Jenna gewandt. „Ihre Leserinnen nehmen Ihre Ratgeber doch gar nicht ernst. Sie trösten sich damit über den schlimmsten Liebeskummer hinweg und laufen dann doch wieder dem Nächstbesten in die Arme.“

„Ganz genau, so ist das Prinzip des Feminismus nicht zu verstehen“, mischte sich nun die Vorsitzende ein.

„Nun ja …“ Jenna räusperte sich und zwang sich offensichtlich, nicht unwohl auf ihrem Stuhl hin und her zu rutschen. „Das kann natürlich vorkommen, aber ich denke nicht, dass der Großteil meiner Leserinnen …“

Weiter kam sie gar nicht, da sie von der Vorsitzenden rüde unterbrochen wurde. „Solche Frauen zerstören unser Lebenswerk.“

Ricardo unterdrückte ein Stöhnen. Mit einem Mal spürte er Wut in sich aufsteigen. Was dachten die sich eigentlich? Okay, vielleicht hatte er schon einmal dasselbe gedacht, aber es war ein Unterschied, ob er es dachte oder sie es aussprachen. Er wünschte sich, diesen Teil der Lesetour doch ausgelassen zu haben. Einen Moment überlegte er, ob er einfach aufstehen und gehen sollte, aber dann hätte er Jenna zurücklassen müssen und das wollte er auf keinen Fall. Und dann kam ihm eine Idee. Er beschloss, den Spieß umzudrehen.

„Entschuldigen Sie bitte“, unterbrach er die Vorsitzende einfach, so wie sie es zuvor bei Jenna getan hatte. „Ich denke nicht, dass Miss Jones das zu verantworten hat. Sie hat keinen Einfluss darauf, wie ihre Leserinnen reagieren.“

„Selbstverständlich hat sie das“, erwiderte die Vorsitzende, während sie Ricardo vernichtende Blicke zuwarf. „Sie ist eine Ikone und kann während ihrer Veranstaltungen Einfluss auf Ihre Leserinnen nehmen. Diesen Einfluss muss sie unbedingt nutzen.“

Ricardo lachte, auch wenn ihm nicht danach zumute war. „Das klingt ja fast wie bei einer Sekte, und das wollen sie doch nicht sein, oder?“ Die Vorsitzende schnappte empört nach Luft und wollte etwas erwidern, doch Ricardo ließ sie nicht zu Wort kommen. „Überhaupt, haben Sie den Faden des radikalen Feminismus einmal weitergesponnen? Gehen wir einmal davon aus, Sie erreichen Ihr Ziel und sämtliche Frauen emanzipieren sich und gebären keine Kinder mehr, weil diese Abhängigkeit bedeuten. Was soll dann werden?“ Er tat einen Moment so, als würde er nachdenken. „Richtig, ich würde sagen, dann stirbt die Menschheit aus.“

„Das entspricht so nicht der Wahrheit. Auch eine emanzipierte Frau kann Kinder bekommen. Ohne Mann, wie Miss Jones schon richtig erkannt hat. Und in nicht allzu langer Zeit wird es künstliche Uteri geben.“

Ricardo grinste überheblich. „Tatsächlich? Aber auch nach der Geburt bleibt es weiterhin schwierig, gleichzeitig Geld zu verdienen und ein Kind aufzuziehen. Fragen Sie mal die ganzen alleinerziehenden Mütter.“

„Haben Sie sich überhaupt schon einmal umfassend mit dem Thema Feminismus beschäftigt, Mister …?“ Die Vorsitzende sah Ricardo herausfordernd an.

Das Spiel kann man auch zu zweit spielen, dachte Ricardo und verschränkte die Arme vor der Brust. Er war sich sicher, dass sie sich an seinen Namen erinnerte. „Montgomery, Ricardo Montgomery. Und natürlich habe ich das, ich bin immerhin preisgekrönter Journalist. Frauen sind nicht dazu gedacht, die Welt zu regieren. Sie gehören hinter den Herd, so hat die Natur das nun mal eingerichtet.“ Gott, was redete er hier nur für einen Stuss? Aber tatsächlich war es ihm egal, wenn die Feministinnen ihn als Chauvinisten abstempelten, denn Jenna war aus der Schusslinie. Und um noch eins obendraufzusetzen, fügte er hinzu: „Glauben Sie mir, der Feminismus ist genauso tot wie der Kommunismus.“

Einen kurzen Augenblick herrschte Stille in dem viel zu heißen Raum. Dann ging ein empörtes Raunen durch die Runde und alle Frauen begannen, gleichzeitig zu reden. Betty sah ein wenig verärgert aus, aber Jenna hielt sich die Hand vor den Mund und räusperte sich. Ihrer und Ricardos Blick trafen sich und sie mussten sich beide zusammenreißen, um nicht zu lachen.

„Frauen gehören also hinter den Herd, ja? Ist das wirklich deine Meinung?“

Jenna strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die der laue Abendwind ihr ins Gesicht geweht hatte. Zum Glück war diese schreckliche Diskussionsrunde endlich beendet und allmählich wurde sie wieder ruhiger. Sie war Ricardo unendlich dankbar, denn nur ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie heil da rausgekommen war. Die ganze Zeit über hatte sie das Gefühl gehabt, die Feministinnen hätten ihr angesehen, dass sie sich heimlich einen Mann und Kinder wünschte. Sie wusste, dass sie sich das nur eingebildet hatte. Und doch nahm sie sich vor, sich nie wieder von Betty überreden zu lassen, an so einer Diskussion teilzunehmen. Das war einfach nichts für sie, denn sie war ja gar keine Feministin. Und sie wollte auch nicht mit denen in einen Topf geworfen werden.

„Natürlich ist das nicht meine Meinung. Zumal viele Männer ja auch besser kochen können als ihre Frauen. Oder warum sind die meisten Sterneköche Männer?“ Jenna sah ihn empört an, doch er winkte grinsend ab. „Nein, Spaß beiseite. Ich konnte einfach nicht widerstehen. Hast du das Gesicht der Vorsitzenden gesehen, als ich meinte, Frauen haben ihre Bedürfnisse hinter die des Mannes zu stellen?“

Er lachte und Jenna musste mitlachen. Sie konnte einfach nicht anders. Als sie ihm einen Seitenblick zuwarf, wurde ihr ganz warm ums Herz. Nur für sie hatte er sich bei den Feministinnen zum Affen gemacht. „Hab ich mich schon bei dir bedankt? Du hast mir echt das Leben gerettet.“

Erneut winkte er ab. „Schon okay. Ich hoffe nur, Betty ist nicht allzu böse auf mich. Sie hat ein wenig sauer ausgesehen.“

„Mach dir darüber keinen Kopf, ich rede mit ihr.“ Jenna blieb unvermittelt stehen und sah Ricardo an. Sie war total aufgekratzt und wollte jetzt nicht alleine zurück ins Hotel gehen. „Was machen wir noch? Oder bist du schon müde?“

Er grinste. „Ich doch nicht. Nachts werde ich erst so richtig munter, daran hat sich nichts geändert.“

Sie ignorierte seinen Kommentar und das Prickeln auf ihrer Haut. Einen Moment stellte sie sich vor, wie sie beide sich in den weißen Laken ihres Hotelzimmers wälzten. Sie wünschte, sie hätte den Mut, ihrem Verlangen einfach nachzugeben, doch den hatte sie nicht. Trotzdem wollte sie für einen Abend mal ihre Vorgeschichte mit Ricardo und ihre total verwirrten Gefühle vergessen und einfach nur Spaß haben.

„Zeigst du mir die Ciudad de las Artes y las Ciencias? Ich nehme an, die sollte man gesehen haben, wenn man schon in Valencia ist.“

„Mit dem größten Vergnügen.“ Er hielt ihr den Arm hin und sie hakte sich bei ihm ein.

Die Frauen in dem kleinen Buchladen klatschten begeistert Beifall, nachdem Jenna den letzten Satz des ersten Kapitels gelesen hatte. Fast etwas schüchtern strich sie sich die Haare hinters Ohr. Die Geste war Ricardo mittlerweile genauso vertraut wie das Atmen. Nur mit Mühe wandte er seinen Blick von ihr ab, als alles für die nun folgende Autogrammstunde hergerichtet wurde. Betty und Jenna postierten sich hinter einem großen Tisch und begannen, die Bücher der Leserinnen zu signieren. Wie immer bestand die Runde ausschließlich aus Frauen. Ricardo musste an die gestrige Diskussionsrunde denken. Wie Hardcore-Feministinnen sahen diese Frauen hier tatsächlich nicht aus. Sie machten eher den Eindruck, als ob sie ein wenig Hoffnung und Halt in ihrem Leben brauchten, und Jenna schien es ihnen geben zu können.

Unwillkürlich fragte er sich, warum Jenna sich in der Diskussionsrunde so unwohl gefühlt hatte. Im Grunde teilte sie doch dieselbe Meinung wie die Feministinnen. „Glücklich ohne Mann“ hatte immerhin das erste Buch von ihr geheißen, und an dem Thema hatte sich im Laufe ihrer Ratgeber nichts geändert. Sie entsagte den Männern, wollte ihr Leben alleine meistern und gleichgestellt sein. Entgegen seiner gestrigen Behauptung hatte er sich zwar noch nicht allzu intensiv mit dem Feminismus auseinandergesetzt, aber wenn er es recht wusste, war das doch auch das Ziel dieser Frauen. Warum also hatte Jenna so ausgesehen, als ob sie so gar nicht dazugehörte?

Ricardo wurde abrupt aus seinen Gedanken gerissen, als ein kleiner stämmiger Mann in den Buchladen gestürmt kam und direkt auf den Büchertisch zuhielt. Er schubste ein paar Frauen in der vorderen Reihe beiseite und baute sich vor Jenna auf.

„Wie können Sie nachts eigentlich noch ruhig schlafen?“, polterte er in schlechtem Englisch los. „All diesen Frauen reden Sie ein, ihre Männer zu verlassen.“ Er machte eine allumfassende Geste. Dann stützte er sich mit beiden Händen auf den Tisch auf und funkelte Jenna an. „Sie haben meine Ehe ruiniert.“

„Entschuldigen Sie bitte“, ging nun Betty dazwischen, „aber ich denke, das ist weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt …“

Weiter kam sie nicht, denn der Mann schrie einfach weiter: „Es war alles in bester Ordnung, bis meine Frau plötzlich auf die Idee kam, Ihre Bücher zu lesen. Nur, weil Sie selbst frustriert sind, müssen Sie nicht die Ehen anderer ruinieren.“

Fast gleichzeitig erreichten Ricardo und der Inhaber des Buchladens den Büchertisch.

„Verlassen Sie bitte auf der Stelle diesen Laden“, sagte der Inhaber auf Spanisch und griff den Mann am Arm. Dieser riss sich los und schimpfte weiter auf Jenna ein, dieses Mal ebenfalls auf Spanisch. Ein paar Mitarbeiter kamen auf Zeichen des Inhabers herbeigeeilt und versuchten, den Mann unter Kontrolle zu bringen. Währenddessen kümmerte Ricardo sich um Jenna, die wie ein Häufchen Elend auf ihrem Stuhl saß und den Mann anstarrte.

„Bring sie hier raus“, bat Betty ihn leise, ohne zu merken, dass sie ihn plötzlich duzte. „Ich kümmere mich um die Leserinnen und versuche, die Wogen zu glätten.“

Autor

Holly Baker

Holly Baker dachte sich bereits Geschichten aus, noch ehe sie richtig schreiben konnte. Mit zwölf Jahren stand ihr Traum fest: Sie wollte eines Tages als Schriftstellerin arbeiten! Sie lebte ein halbes Jahr lang in Spanien, reiste durch das Land und sammelte Eindrücke für ihren ersten Roman „Mein spanischer Sommer...

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