Sehnsucht gegen jede Vernunft

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In ihrer Villa am Comer See will Gianna nach einer gescheiterten Beziehung zur Ruhe kommen. Nur wie, wenn bei ihrer Ankunft überraschend ein attraktiver Fremder in der Küche steht? Durch einen Irrtum des Vermieters muss sie für vier Wochen mit dem berühmten Schriftsteller Dario Marchello zusammenwohnen – dabei will sie nur allein sein! Bis Dario sie nach einem nächtlichen Bad im Pool spontan in die Arme zieht und zärtlich küsst. Statt sich loszureißen, will sie mehr, viel mehr! Doch Dario gilt als unverbesserlicher Playboy …


  • Erscheinungstag 21.09.2021
  • Bandnummer 192021
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719029
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Endlich wieder zu Hause.

Doch lächeln konnte Gianna Cappellini trotzdem nicht.

Heute wollte sich die Euphorie nicht einstellen, die sie üblicherweise empfand, wenn sie in das kleine italienische Dorf Gemma zurückkehrte. Dabei war ihr Zuhause eigentlich ihr Zufluchtsort, heute jedoch fühlte es sich anders an. Sie fühlte sich anders.

Während das Taxi sie ihrem Zielort näher brachte, sah sie aus dem Fenster. Kein Wölkchen trübte den Himmel an diesem warmen Junitag. Als sie endlich den Comer See erblickte, seufzte sie nur erleichtert auf.

Kurz fiel ihr Blick auf ihren Ringfinger. Nichts. Wieder eine Beziehung, die in einem Desaster geendet hatte. Doch wenn sie ehrlich war, wie hätte es anders ausgehen können? Sie sehnte sich so sehr danach, geliebt zu werden, dass sie sich in jemanden verwandelt hatte, der sie überhaupt nicht war.

Dabei war es nicht die ganze Zeit so gewesen. Es hatte damit angefangen, dass sie und Naldo sich nach frisch gescheiterten Beziehungen nähergekommen waren. Er hatte mit ihr geflirtet, und sie hatte sich leicht von seinen schönen, wenn auch nicht besonders originellen, Worten bezirzen lassen. Als sie begonnen hatten, die Zukunft zu planen – er würde weiter seine erfolgreiche Fernsehsendung moderieren, während sie sich als Kamerafrau im Hintergrund halten und ihm um den Globus folgen würde –, hatten sich die Dinge zwischen ihnen rasch in etwas Ernstes verwandelt.

Und dann hatte er sie plötzlich fallenlassen, ohne jede Vorwarnung. Nur ein schlichtes: „Ich kann das nicht länger. Es ist vorbei.“ Dieser Mistkerl!

Nachdem sie die rosarote Brille abgenommen hatte, begann sie allerdings klarer zu sehen. Sie war so sehr damit beschäftigt gewesen, ihm zu gefallen, es ihm recht zu machen, dass sie sich kaum noch wiedererkannte. Wie hatte es so weit kommen können? Was war aus all den Dingen geworden, die ihr wichtig waren?

Doch jetzt lag das alles hinter ihr – das meiste jedenfalls. Heute Nacht würde sie in ihrem eigenen Bett schlafen, keine ruhelosen Nächte in einem einfachen Zelt mehr. Über den ganzen restlichen Luxus, auf den sie in den letzten Wochen verzichtet hatte, wollte sie gar nicht erst nachdenken.

Und morgen nach dem Aufstehen würde sie überlegen, wie es nun weitergehen sollte.

Dazu gehörte auch, dass sie ihrer Cousine alles erklären musste. Sie war zum Glück der einzige Mensch, dem Gianna von ihrer stürmischen Beziehung und der anstehenden Verlobung erzählt hatte. Und selbst ihr hatte sie nur das Nötigste anvertraut.

Was sollte sie ihrer Cousine nun sagen, nachdem Naldo sich von ihr getrennt hatte? Dass er nicht der Richtige war oder dass sie, wenn es um Männer ging, schlichtweg eine Katastrophe war, was eher der Wahrheit entsprach?

Sie bat den Taxifahrer, sie am Dorfeingang herauszulassen, sodass sie noch in dem kleinen Supermarkt einkaufen konnte, bevor sie zur Villa ging. Sie war seit über einem Monat nicht zu Hause gewesen. Während dieser Zeit hatte sie das Haus über einen ortsansässigen Makler vermieten lassen. Sie arbeitete als Kamerafrau für einen Sender, der Naturfilme zeigte, und konnte das Geld, das die Vermietungen einbrachten, gut gebrauchen. Es war zwar nicht ideal, half ihr aber, die Zeit zu überbrücken, bis ihr Agent einen neuen Auftrag für sie hatte.

Nachdem sie ihren Einkaufskorb mit ein paar Lebensmitteln gefüllt hatte, ging sie an die Kasse und danach zum Ausgang. Dort klebte ein Aushang. Der Botanische Garten Fiorire machte auf seinen angesehenen Fotowettbewerb aufmerksam. Daran hatte Gianna schon immer teilnehmen wollen, aber nie die Zeit dafür gehabt. Für die Abgabe eines Fotos blieben noch einige Tage. Sie speicherte den Termin in ihrem Gedächtnis ab.

Mit ihrer Einkaufstasche in der einen und dem Rollkoffer in der anderen Hand trat sie vor die Tür. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie den Taxifahrer nicht gebeten hatte, auf sie zu warten, und sie nun den Rest des Weges zu Fuß würde zurücklegen müssen. Nicht dass es besonders weit gewesen wäre, fünfzehn Minuten vielleicht. Doch ein Teil des Weges führte bergauf über eine holprige unbefestigte Sackgasse, an der nur wenige Häuser lagen. Ihres war das letzte.

„Gianna!“

Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es ihre Cousine war, die nach ihr rief – genau der Mensch, dem sie gerade nicht begegnen wollte. Dabei war es nicht etwa so, dass sie Carla nicht mochte, vielmehr liebte sie ihre Cousine von ganzem Herzen. Aber Gianna war noch nicht bereit zuzugeben, dass ihre Beziehung gescheitert war. Wieder einmal.

Sie tat, als hätte sie nichts gehört, und setzte ihren Weg eilig fort. Obwohl ihr schlechtes Gewissen schwer auf ihr lastete, zwang sie sich, erhobenen Hauptes zu gehen.

Sie brauchte nur ein wenig Zeit für sich, um herauszufinden, wie es weitergehen sollte. Sobald sie die richtigen Worte gefunden hätte und in der Lage wäre, sie auszusprechen, ohne sich wie eine Totalversagerin zu fühlen, würde sie sich ihrer reichen, schönen und erfolgsverwöhnten Cousine stellen, die ihr Leben im Griff hatte und immer die richtigen Männer kennenlernte. Warum konnte sie selbst nicht so sein wie Carla? Einfach ein bisschen netter und schöner? Etwas mehr von dem, was dafür sorgte, dass sich jeder Mann, der Carla kennenlernte, sofort in sie verliebte?

Aber jetzt war ohnehin alles egal. Gianna wollte mit Männern nie wieder etwas zu tun haben. Sie hatte in ihrer letzten Beziehung zu viel aufgegeben – auch das, was sie zum Glücklichsein brauchte –, und das würde sie nie wieder zulassen.

Als sie den Ortskern verlassen hatte, senkte sie den Kopf und versprach ihrer Cousine im Stillen Wiedergutmachung. Sie konzentrierte sich auf die Furchen, aus denen die Straße bestand, an deren Rändern üppige Blumen und Büsche wuchsen. Die kleinen Räder des Koffers ratterten laut über den Schotter und blieben regelmäßig stecken.

Am Ende der Straße lag ihr Zuhause, eine stattliche hellrosa Villa mit weißen Fensterläden und Dachziegeln aus Terracotta. Gianna hatte sie von ihrer Großmutter geerbt. Das zeitlos schöne Haus lag auf einem Hügel und bot einen atemberaubenden Ausblick über den Comer See.

Was der Villa an Modernität fehlte, machte sie mit ihrem rustikalen Charme wieder wett. Mit ihren sieben Schlafzimmern und fünf Bädern war sie viel zu groß für eine Person, doch Gianna hätte sich niemals von ihr trennen können. Ebenso wie ihre Großmutter vor ihr liebte sie das alte Gebäude.

Wuff! Wuff!

Ein mittelgroßer Hund mit kurzem, hellbraunem Fell kam aus dem Gebüsch hervor. Er lief auf die Straße und verstellte ihr den Weg.

Gianna blieb stehen. Was sollte sie jetzt tun?

Angespannt umklammerte sie den Griff ihres Koffers. Sie sah den Hund an und er sie. Dann besann sie sich auf das, was sie bei den Dreharbeiten in der Wildnis gelernt hatte, und wandte langsam den Blick ab. Sie wollte nicht, dass das Tier sich bedroht fühlte, weil sie ihm fest in die Augen schaute.

Diesen Hund hatte sie hier noch nie gesehen. Sie hatte keine Ahnung, ob er harmlos war, doch sie konnte nicht ewig hier stehen bleiben und versuchen, ihn nicht anzusehen.

„Na, Kleiner?“ Sie rang sich ein Lächeln ab.

Seine Rute schwang hin und her. Das war schon mal ein gutes Zeichen.

Er näherte sich ihr. Da Gianna nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte, tat sie erst einmal gar nichts. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

Als der Hund immer weiter auf sie zukam, wurden ihre Handflächen feucht. Wahrscheinlich roch er ihre Nervosität schon von weitem. Doch je näher er ihr kam, desto heftiger wedelte er mit dem Schwanz.

Und dann blieb er vor ihr stehen. Er setzte sich und sah sie an. Ihr fiel auf, wie freundlich seine großen braunen Augen waren. Sie streckte ihm eine Hand hin, damit er daran schnuppern konnte, und streichelte ihm dann den Kopf. Der Hund drückte sich dagegen, bevor er anfing, sie begeistert zu umkreisen.

Anscheinend hatten sie sich schnell angefreundet. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Er war zwar recht groß, doch aus seinen leuchtenden Augen und seinem verspielten Verhalten schloss Gianna, dass er noch nicht besonders alt sein konnte.

„Hey, Süßer, was machst du denn hier? Hast du kein Halsband?“

Sie kniete sich nieder und fuhr fort, ihn zu streicheln. Dort, wo eigentlich das Halsband sein sollte, sah man nur noch einen Abdruck davon.

Es war offensichtlich, dass der Hund ein Zuhause hatte, eines, in dem gut für ihn gesorgt wurde. Sein Fell war sauber und gepflegt, und er war gut genährt. Irgendwo vermisste also jemand seinen vierbeinigen Freund, und wahrscheinlich war dieser Jemand außer sich vor Sorge.

Vorsichtig nahm sie das Handy aus ihrer Tasche. Sie wollte keine hektischen Bewegungen machen und damit den Hund erschrecken.

Der Akku war fast leer. Vielleicht würde sie es gerade noch schaffen, ein paar Fotos zu machen.

„Ich mache jetzt ein Bild von dir. Halt schön still.“

Der Hund tat alles, nur das nicht. Er beschnupperte sie, dann das Telefon. Nach dem fünften Versuch hatte sie endlich ein brauchbares Foto, das sie auf der Suche nach seinen Besitzern posten konnte.

Gianna sah den Hund an, der sich nun brav hingesetzt hatte. „Mach dir keine Sorgen. Bis deine Besitzer dich wiederhaben, kommst du erst einmal mit zu mir.“

Sie nahm ihren Koffer, ohne den Blick von dem Hund abzuwenden. „Komm. Ich mache ein paar Anrufe, und im null Komma nichts bist du wieder da, wo du hingehörst.“

Sie ging los und hoffte inständig, er würde ihr folgen, denn der Gedanke, ihn hier draußen sich selbst zu überlassen, behagte ihr nicht. Irgendwie fühlte sie sich verantwortlich für ihn, und sie wollte nicht, dass ihm etwas passierte.

Als sie sich nach ihm umdrehte, sah sie den Hund noch immer an derselben Stelle sitzen. Sie versuchte sich einzureden, dass das nicht ihr Problem sei. Sie sollte einfach weitergehen. Vielleicht kannte er ja den Nachhauseweg.

Doch dann musste sie an das fehlende Halsband denken. Was hatte das zu bedeuten? Hatte ihn jemand am Straßenrand ausgesetzt? Bei dieser Vorstellung zog sich ihr das Herz zusammen.

„Ich habe etwas zu essen zu Hause. Bist du hungrig?“

Der Hund legte den Kopf schief.

„Komm, mein Junge. Ich gebe dir etwas Leckeres.“

Er erhob sich und kam auf sie zu. Gianna musste lächeln. Seite an Seite gingen sie die Straße entlang, bis er auf einmal loslief.

„Kleiner Hund! Hündchen! Komm zurück!“

Er verschwand um eine Ecke. Die Vegetation war hier so dicht, dass sie ihn nicht mehr sehen konnte. Sie versuchte ihm hinterherzulaufen, doch ihr Koffer blieb stecken, und sie musste stehen bleiben, um ihn aus einer tiefen Furche zu befreien. Danach war der Hund verschwunden. Gianna konnte nur hoffen, dass ihm nichts passierte.

Als ihr Haus endlich vor ihr auftauchte, seufzte sie erleichtert auf. Sie hatte schon geglaubt, sie würde niemals ankommen, doch endlich war sie da. Sie öffnete das Tor und trat in den Garten. Hier, zu Hause, könnte sie ihre Wunden lecken und sich überlegen, wie es mit ihr weitergehen sollte. Denn abgesehen davon, dass ihr Fast-Verlobter sich von ihr getrennt hatte, hatte sie auch ihren Job aufgegeben. Es gab also einiges, worum sie sich kümmern musste.

Erst als sie die Tür erreichte, entdeckte sie den Hund davor. Wie war er durch das Tor gekommen?

Sie setzte den Koffer ab und sprach zu dem Hund. „Woher wusstest du, wo ich wohne? Bist du ein Hellseher?“

Wuff! Wuff, wuff!

„Ich weiß zwar nicht, was du mir sagen willst, aber komm doch einfach mit rein. Ich werde sehen, was ich Gutes für dich habe.“

Sie schloss die Tür auf, und der Hund huschte vor ins Haus. Drinnen ließ sie den Blick über das geräumige Wohnzimmer und die große moderne Küche schweifen, um sich zu vergewissern, dass alles an seinem Platz war. Eigentlich fühlte sie sich nicht besonders wohl dabei, das Haus zu vermieten, doch sie brauchte das Geld. Sie liebte ihr Zuhause, mit dem sie einige ihrer schönsten Kindheitserinnerungen verband.

Lächelnd sah sie den Hund an, der sich neben ihr niedergelassen hatte, als gehörten sie schon seit Jahren zusammen. Er erwiderte ihren Blick mit unglaublicher Wärme in den großen braunen Augen. Was hatte sie nur getan, um ein solches Vertrauen zu verdienen? Und doch saß er hier neben ihr und wartete auf die Leckereien, die sie ihm versprochen hatte.

Sie ging zu der Einkaufstasche, die sie um den Griff ihres Koffers geknotet hatte, und holte frisch gebackenes Brot, Wurst und Käse hervor. Auch wenn sie nicht wusste, was Hunde fressen durften, konnte sie sich nicht vorstellen, dass in einer Notlage ein Sandwich schaden konnte. Also machte sie sich daran, eines für ihren neuen Freund und eines für sich zuzubereiten. Ihr knurrte der Magen, denn sie hatte den ganzen Tag über noch nichts gegessen.

Sie war versucht, als Erstes von ihrem Sandwich abzubeißen, doch dann sah sie in die hungrigen Augen ihres neuen Gefährten.

„Bitte sehr.“ Sie brach ein Stück von ihrem Brot ab und hielt es ihm hin.

Unendlich vorsichtig nahm der Hund es ihr aus den Fingern. Er kaute … und kaute … und kaute … und dann schluckte er endlich. Gianna dachte schon, es hätte ihm nicht geschmeckt, aber dann sah sie ihm an, dass das Gegenteil der Fall war. Sie nahm selbst einen Bissen. Gar nicht übel. Ungeduldig stupste der Hund sie mit seiner kühlen, feuchten Nase an.

„Okay, okay. Ich habe verstanden.“ Sie nahm den Teller, auf dem die Sandwiches lagen. „Wenn du mir hier die Haare vom Kopf frisst, muss ich noch einmal in den Laden und einkaufen.“ Sie hielt ihm ein weiteres Stück hin. „Da, für dich …“

„Was tun Sie da?“

Beim Klang der fremden Stimme erschrak sie beinahe zu Tode. Der Teller fiel ihr aus der Hand und zerbrach am Boden in tausend kleine Stücke.

Was um alles in der Welt …? Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Jemand stand hinter ihr. Was sollte sie nur tun?

2. KAPITEL

Gianna hörte das Blut in ihren Ohren rauschen.

Von Einbrechern in dieser Gegend hatte sie noch nie gehört. In Gemma kannte jeder jeden, aber die Stimme dieses Mannes war ihr unbekannt. Wer war er? Und was hatte er in ihrem Haus zu suchen?

Sie brauchte etwas, womit sie sich verteidigen konnte. Also nahm sie eine schwere Eisenpfanne vom Herd, mit der man einigen Schaden anrichten konnte.

Sie hob sie über den Kopf und drehte sich um. „Sie gehen jetzt besser. Sofort.“

Die Augen des Mannes weiteten sich. Er sah zur Pfanne, bewegte sich aber keinen Millimeter. Ihre Blicke kreuzten sich.

„Ich gehe nirgendwohin.“

„Dann rufe ich die Polizei.“

„Ihnen ist aber schon klar, dass Sie die Pfanne abstellen müssen, wenn Sie jemanden anrufen wollen?“ Seine Augen funkelten vor Belustigung.

Sie sah ihn finster an. Das hier war überhaupt nicht komisch! Er sollte sich vor ihr fürchten und sich nicht über sie amüsieren!

„Gehen Sie. Jetzt.“ Sie sprach so drohend, wie sie konnte, und deutete mit dem Kopf zur Tür, weil die Pfanne zu schwer war, um sie mit einer Hand zu halten.

Der Fremde verschränkte die Arme vor der Brust, wobei sein Bizeps eindrucksvoll zur Geltung kam. Noch immer bewegte er sich nicht von der Stelle.

Er war so groß, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen zu blicken. Sein braunes Haar war mittellang und leicht gewellt. Unter seinem Dreitagebart verbarg sich ein markanter Unterkiefer.

Sein blaues T-Shirt schmiegte sich eng an die breiten, durchtrainierten Schultern und den muskulösen Oberkörper. Gianna schluckte. Sie hatte gar nicht vorgehabt, ihn genauer anzusehen. Er war in ihr Haus eingebrochen, egal, ob er nun sexy war oder nicht.

Sein Telefon summte. Er zog es aus der Hosentasche, sah aufs Display und steckte es wieder weg.

Als ihre Blicke sich wieder trafen, sah sie Belustigung in seinen Augen aufblitzen. Ihre prüfende Musterung war ihm nicht entgangen. Innerlich stöhnte sie auf. Das war nicht gut – gar nicht gut!

Trotzdem konnte sie nicht leugnen, dass er ziemlich attraktiv war. Nicht dass es sie interessiert hätte. Zum einen war er ein Eindringling, zum anderen brachte es sie auf die Palme, dass er sie nicht ernst nahm. Und drittens war sie fertig mit Männern, ob sie nun gut aussehend waren oder nicht.

Sie versuchte, die Pfanne nur mit einer Hand festzuhalten, um mit der anderen nach dem Telefon zu greifen, doch sie war zu schwer. Vielleicht hätte sie mehr Zeit in einem Fitnessstudio verbringen sollen, statt einem Süßholzraspler hinterherzulaufen, der sich nichts aus ihr gemacht hatte und nur die Zeit überbrücken wollte, bis seine Ex zu ihm zurückkehrte.

„Ich habe einen Hund“, sagte sie mit einem Blick auf den Streuner, den die Kücheninsel vor dem Blick des Mannes verbarg.

Der Fremde lächelte. „Reden Sie von meinem Hund?“

Seinem Hund?

Der Mann trat einen Schritt vor. „Tito, mein Junge. Komm her.“ Sofort schoss der Hund auf ihn zu. Der Mann ging in die Knie, um den Hund zu streicheln. „Wieso lässt du denn eine Fremde in unser Haus …?“

„Unser Haus?“

Der Mann redete weiter mit seinem Hund, als hätte er sie nicht gehört. „Du bist hier, um aufzupassen. Stattdessen bist du einfach weggelaufen. Ich habe dich überall gesucht.“

Der Hund winselte leise auf, dann ließ er sich zu Füßen des Mannes nieder. Er legte den Kopf auf den Boden und bedeckte die Schnauze mit seinen Vorderpfoten.

Gianna hätte schreien können, doch sie ließ den Fremden nicht aus den Augen. Er hatte ihr einiges zu erklären. Etwa, warum er in ihr Haus spaziert kam, als gehörte es ihm.

Er richtete sich auf und sah sie an. „Wenn Sie die Pfanne beiseitelegen, können wir vielleicht darüber reden, was Sie in meinem Haus zu suchen haben.“

Langsam ließ sie die Arme sinken – nicht, weil sie ihm vertraut hätte, sondern weil ihre Kräfte nachließen. Sie durchforschte seine auffallend gut aussehenden Gesichtszüge nach einem Anzeichen dafür, dass er einen Witz gemacht hatte, doch er sah sie todernst an. Wie konnte er nur glauben, er hätte irgendwelche Ansprüche auf ihre Villa? Das Gebäude befand sich seit Generationen im Besitz ihrer Familie.

Sie stellte die Pfanne auf die Arbeitsplatte. „Okay. Ich warte auf Ihre Erklärung.“

Wieder funkelten seine Augen, als fände er die ganze Situation überaus komisch. Dieses Gefühl war einseitig.

„Ich heiße Dario Marchello.“

Warum kam ihr der Name so bekannt vor? Sie hatte ihn schon einmal gehört, wusste ihn jetzt aber nicht einzuordnen.

„Nun, Mr. Marchello, Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was Sie hier zu suchen haben.“

„Nennen Sie mich Dario. Und ich habe das Haus für letzten und diesen Monat gemietet.“

Ihr klappte der Mund auf. Daher kannte sie seinen Namen: Er war ihr Mieter! Ein Mieter, der zugegebenermaßen sexy war, aber trotzdem gehen musste.

„Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“

„Gianna Cappellini. Mir gehört das Haus.“

Dario sah sich um, als suche er jemanden. „Und Sie leben ganz allein in dieser großen Villa?“

„Ja“, erwiderte sie voller Stolz. Doch sobald sie das gesagt hatte, fiel ihr ein, dass sie mit einem Fremden sprach, und so fügte sie hastig hinzu: „Aber meine Familie wohnt in der Nachbarschaft.“ Das war immerhin die Wahrheit. „Meine Cousine ist auf dem Weg, sie wird jeden Moment hier sein.“ Das war vielleicht ein bisschen übertrieben, aber wie sie ihre Cousine kannte, würde sie früher oder später auftauchen. „Und Sie haben ein so großes Haus nur für sich gemietet?“

Er nickte. „Und für Tito.“

Gianna hatte genug von dem Schlagabtausch, schließlich hatte sie noch einiges zu tun. Sie sah auf die Scherben auf dem Fußboden. „Ich sollte hier besser aufräumen, bevor sich noch jemand verletzt.“

„Ich helfe Ihnen.“

„Warum sollten Sie das tun?“

„Weil ich Sie so erschreckt habe, dass Sie den Teller haben fallen lassen. Und das tut mir leid.“

Seine Manieren gefielen ihr. Gemeinsam machten sie sich daran, alles aufzufegen und gleichzeitig den Hund aus der Gefahrenzone zu halten.

Darios Telefon summte von Neuem. „Gehen Sie ruhig dran …“

„Das kann warten.“ Er klang, als wollte er dem Anrufer unbedingt aus dem Weg gehen.

Sobald alles wieder sauber war, wandte Gianna sich zu ihm. „Vielen Dank für Ihre Hilfe, aber ich verstehe immer noch nicht, warum Sie hier sind.“

Er zog die dunklen Augenbrauen hoch. „Sie sind diejenige, die eigentlich nicht hier sein sollte.“

„Und Sie sind derjenige, der sich irrt. Der Mietvertrag galt nur für einen Monat.“

„Ich habe mit dem Maklerbüro gesprochen und gefragt, ob ich noch einen Monat bleiben könne. Sie haben gesagt, es sei kein Problem.“

Gianna stöhnte innerlich auf. Sie erinnerte sich, dass das Büro mehrmals versucht hatte, sie anzurufen, aber damals hatte sie sich in einem entlegenen Teil Frankreichs befunden, wo es nur selten Netz gab. Es war nur ein einziges Gespräch zustande gekommen, das wegen eines Funklochs aber immer wieder unterbrochen worden war. Sie hatte herausgehört, dass es um die Villa ging, aber kaum ein Wort verstanden. Sie vertraute den Maklern und hatte ihnen deshalb gesagt, dass sie entscheiden sollten. Anscheinend war sie zu voreilig gewesen.

„Sie haben sich geirrt.“

„Ich habe aber einen Vertrag. Und schon bezahlt.“

„Das Durcheinander tut mir sehr leid. Aber ich gebe Ihnen das Geld für den zweiten Monat zurück.“

Furchen bildeten sich in seinem viel zu attraktiven Gesicht. „Es geht mir nicht um das Geld.“

„Worum dann?“

In seinem Gesicht zuckte ein Muskel, und er stemmte die Hände in die Hüften. „Ich habe bei der Anmietung alles richtig gemacht. Ich habe die Miete bezahlt und alle Papiere unterschrieben. Ich sehe nicht ein, warum ich jetzt einfach gehen soll.“

„Es gibt doch sicher noch ein anderes Haus, das Sie mieten könnten.“

Er schüttelte den Kopf. „Das hier ist genau das, was ich brauche. Außerdem ist alles andere ausgebucht. Es ist schließlich Sommer. Außerdem habe ich, ganz ehrlich, auch nicht die Zeit, mir eine neue Unterkunft zu suchen, zumal ich ja bis zum Ende des Monats eine habe.“

Im Geiste ging sie Möglichkeiten durch, wie sie diesen Mann aus ihrem Leben befördern könnte. Wenn es sich nicht mit Geld regeln ließ, musste sie ihm das geben, was er wollte.

Sie hob den Kopf und begegnete seinem Blick. „Na schön. Wenn ich ein vergleichbares Haus in der Nähe für Sie finde, ziehen Sie dann hier aus?“

Sein Telefon meldete sich erneut. Als er aufs Display sah, runzelte er die Stirn. „Den Anruf muss ich annehmen. Entschuldigen Sie mich bitte.“

Sie nickte verständnisvoll, auch wenn sie diese ganze Angelegenheit gerne schnell hinter sich gebracht hätte. Auf gar keinen Fall würde er hierbleiben – zusammen mit ihr. Selbst wenn es reichlich Platz gab.

Dario trat in den Patio. Er ließ die Tür angelehnt, und obwohl sie versuchte, nicht zu lauschen, sprach er so laut, dass er noch in der Küche zu hören war.

Sie hätte sich zurückziehen können, doch das hier war ihr Haus, und er war ein unwillkommener Gast. Sie würde ihren Platz behaupten.

„Ja, ich habe deine Anmerkungen bekommen.“

Einen Moment herrschte Stille.

„Nein, ich weiß noch nicht, wann ich mich wieder bei dir melde. Ich brauche Zeit.“

Erneutes Schweigen.

„Zwei Wochen sind unmöglich. Wie wäre es mit sechs?“

Es interessierte sie, worum es bei dieser Verhandlung ging. Gianna setzte sich auf einen Barhocker und sah Dario zu, wie er im Patio, gefolgt von seinem Hund, auf und ab lief.

Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. „Na schön. Du bekommst es Ende des Monats.“ Dann beendete er das Gespräch.

Gianna wandte sich zur Arbeitsplatte, als wolle sie ihr Sandwich zu Ende essen, doch der Knoten in ihrem Magen machte jede Nahrungsaufnahme unmöglich.

„Ist alles in Ordnung?“ Die Worte waren heraus, bevor sie daran dachte, dass sie Fremde waren.

„Alles bestens“, behauptete er, dabei war ihm anzuhören, dass das Gegenteil der Fall war. „Wo waren wir stehen geblieben?“

Sie hätte ihn wirklich gerne gefragt, was los war, aber sie ließ es, weil es sie nichts anging. „Dabei, dass ich Ihnen eine andere Unterkunft suche.“

„Richtig.“ Er zögerte. „So könnte es funktionieren, aber ich müsste sie mir erst anschauen.“

Die kleine Pause hatte ihr gutgetan, endlich konnte sie wieder tief durchatmen. „Gut.“ Sie lächelte leise triumphierend. „Ich mache mich gleich an die Arbeit.“

„Machen Sie sich keine Hoffnungen, es ist alles ausgebucht. Ich habe selbst schon gesucht, bevor ich wusste, dass ich noch einen Monat länger hierbleiben kann.“

Ihr Lächeln wich einem Stirnrunzeln. „Vielleicht haben Sie ja etwas übersehen.“

„Vielleicht“, räumte er ein. Überzeugt klang er allerdings nicht. „Ich bringe nur eben meine Sachen vom Schlafzimmer ins Gästehaus und suche das Loch im Zaun, durch das Tito weggelaufen ist.“

„Oh. Na schön.“ Sie wusste nicht, wie es sich anfühlen würde, ihr Zuhause mit einem Fremden zu teilen, aber wenigstens war das Gästehaus völlig abgetrennt von der Villa. Dazwischen lagen der Patio und der Swimmingpool.

Ohne ein weiteres Wort machte er sich auf den Weg ins Schlafzimmer – ihr Schlafzimmer. Er hatte in ihrem Bett geschlafen! Auf einmal sah sie im Geiste vor sich, wie er – mit nichts als seiner Boxershorts bekleidet – unter ihre Bettdecke glitt. Im Haus war es plötzlich unangenehm warm.

In der Hoffnung auf eine kühle Brise trat sie nach draußen. Es musste einfach ein anderes Haus für ihn geben, denn auf gar keinen Fall würden sie einen Monat hier zusammen verbringen. Niemals.

3. KAPITEL

Diese Entwicklung war höchst unerfreulich.

Dario Marchello hatte keine Lust, sein idyllisches Versteck mit jemandem zu teilen. Wenn es sich allerdings nicht vermeiden ließ, so war Gianna immerhin eine sehr schöne Mitbewohnerin. Sobald ihm dieser Gedanke kam, schob er ihn auch schon wieder beiseite. Immerhin ging es hier um seine Zukunft. Er durfte sich nicht ablenken lassen.

Zudem ließ er sich nie länger als zwei Wochen mit einer Frau ein, denn er hatte herausgefunden, dass Frauen gleich davon ausgingen, es wäre etwas Festes, wenn eine Beziehung länger dauerte. Und das war es für ihn nie.

Er war der tiefen Überzeugung, dass langfristige Beziehungen nicht funktionieren konnten. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, als er noch sehr jung gewesen war, und sie hatten nicht nur einander fallenlassen, sondern auch ihre beiden Söhne.

Bei der Erinnerung daran, wie er und sein Bruder bei den Großeltern väterlicherseits abgegeben worden waren, als wären sie lästige Haustiere, spannte sich seine Kiefermuskulatur an. Dario vermied es, an die Vergangenheit zu denken, die nur wenige gute Erinnerungen bereithielt, und kümmerte sich lieber um die Zukunft.

Es dauerte nicht lange, seine Sachen vom Schlafzimmer ins Gästehaus zu bringen. Danach machte er sich auf die Suche nach dem Loch im Zaun, durch das sein geliebter Hund ausgebüxt war. Bald hatte er es gefunden, ebenso wie Titos Halsband, und das Loch geflickt.

Autor

Jennifer Faye
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