Tiffany Exklusiv Band 103

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… UND ES HAT ZOOM GEMACHT! von JULIE KENNER
Tausendmal berührt, und plötzlich knistert es heiß zwischen ihnen! Alyssa versteht die Welt nicht mehr. Chris ist doch ihr bester Freund! Nur deshalb hat sie ihn gebeten, sie auf die Weihnachtsparty zu begleiten – wo sie eigentlich einen anderen erobern wollte …

FEST DER LIEBE, FEST DER LUST vonCARA SUMMERS
Polizistin Fiona ist weder ein Weihnachtsfan noch glaubt sie an die romantische Liebe. Doch sie ändert ihre Meinung, als sie kurz vor dem Fest ihrem sexy Kollegen D. C. Campbell begegnet: Bei der Suche nach einem gestohlenen Diamanten sprühen zwischen ihnen die Funken …

LIEBE MICH – WILD UND HEMMUNGSLOS von DEBBI RAWLINS
„Liebe mich, bleib für immer …“ Verführerische Worte flüstert Evan, während er Liza in seinen Armen hält. Und wie gern würde sie ihm seine sinnlichen Wünsche gerade zu Weihnachten erfüllen! Aber noch bindet sie ein gefährliches Geheimnis an einen anderen …


  • Erscheinungstag 06.12.2022
  • Bandnummer 103
  • ISBN / Artikelnummer 8066220103
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Julie Kenner, Cara Summers, Debbi Rawlins

TIFFANY EXKLUSIV BAND 103

1. KAPITEL

Wann immer das trabende Pferd schnaubte oder wieherte, seufzten die sechs Fahrgäste in der offenen Kutsche selig auf.

Ganz hinten, in der letzten Sitzreihe, zog Alyssa Chambers sich die Decke etwas höher und umklammerte mit beiden Händen ihren Becher Glühwein. Aus den Lautsprechern in den Seitenwänden der Kutsche erklang leise Bing Crosbys „Winter Wonderland“, und die neblige Abendluft schimmerte in allen Farben durch die bunten Lichterketten.

Es war die perfekte Dezemberstimmung.

Die Kutsche bewegte sich langsam die Straße entlang. Alyssa und den anderen Fahrgästen bot sich der idyllische Anblick der weihnachtlich geschmückten Häuser in Dallas’ wohlhabendem Stadtviertel Highland Park.

„Oh, Mann.“ Claire Daniels seufzte. „Ist das nicht ein wunderbar romantischer Abend?“

Alyssa, die neben ihr saß, drehte sich fragend zu ihr. „Wie bitte? Wir haben beide kein Date! Schon vergessen?“

Sie sah zu den beiden Sitzreihen vor ihnen. Vier Personen je Sitzreihe, jeweils zwei Pärchen, eng umschlungen unter Decken gekuschelt. Von den bunten Lichtern und der Musik bekamen diese Menschen nichts mit, sie hatten nur Augen füreinander.

Alyssa schluckte vor Neid. Sie wurde sie sich der Tatsache nur allzu bewusst, dass sie hier mit ihrer besten Freundin saß statt mit einem festen Partner. „Versuchst du’s neuerdings mit positivem Denken, Claire? Klappt das bei dir?“ Trotz der Atmosphäre rings umher empfand sie nichts von der weihnachtlichen Stimmung.

„Nein, es funktioniert nicht“, gab Claire zu. Ein paar Monate zuvor hatte ihr Freund Joe sich von ihr getrennt, und ihr Stolz war durch den Verlust immer noch verletzt.

Missmutig lehnte Alyssa sich in ihrem Sitz zurück und schmiedete Rachepläne gegen denjenigen, der einst entschieden hatte, dass Weihnachtsaktivitäten nur etwas für Pärchen waren.

Auf jeder Party wurde zu dieser Jahreszeit erwartet, dass man mit Partner erschien. Im Theater gab es Pärchen-Tickets für Show und Dinner, und selbst für die Kutschfahrten durchs weihnachtlich beleuchtete Highland Park wurden die Tickets nur im Zweierpack verkauft, so als sei man als Single ein Niemand.

Kein Wunder, dass zu dieser Jahreszeit die Selbstmordrate anstieg, oder?

Die Trennung von Bob im Sommer war besonders unschön gewesen, weil sie ursprünglich einfach nur gute Freunde gewesen waren. Irgendwann hatten sie abends ein richtiges Date gehabt, und bevor Alyssa sich versah, waren sie miteinander im Bett gelandet und hatten auf einmal einer Zukunft mit Ehe, Kindern und Hund entgegengesehen.

Zuerst war ihr alles perfekt vorgekommen, doch dann hatte sie sich an immer neuen Kleinigkeiten gestört, und es hatte nicht lange gedauert, bis weder Alyssa noch Bob hätten sagen können, wieso sie einmal so gut befreundet gewesen waren.

Sie hatten einfach nicht zusammengepasst.

Weil sie sich nicht nur vom Liebhaber, sondern gleich auch vom Freund getrennt hatte, war Alyssa dieser Schlussstrich sehr schwer gefallen. Und seitdem hatte sie kein Date mehr gehabt.

„Nimm doch Chris mit, wenn du das nächste Mal auf eine Party gehst“, schlug Claire vor.

Alyssa nickte. Sie würde denselben Fehler kein zweites Mal begehen. Chris, ihr Nachbar, war zwar ausgesprochen sexy. Aber er trug von Anfang an den Stempel „Guter Freund“ auf der Stirn, und obwohl er so süß, klug und sexy war, würde sie diese Freundschaft niemals wegen Sex aufs Spiel setzen. Auf gar keinen Fall. Diese Lektion hatte sie, Bob sei Dank, gründlich gelernt.

Allerdings stand Sex bei Chris und ihr auch gar nicht zur Debatte. Als sie ihn zum ersten Mal getroffen hatte, hatte sie sich zu ihm hingezogen gefühlt, doch diese warme Empfindung hatte sie schnell unterdrückt, nicht zuletzt, weil Chris dieses Prickeln offenbar nicht gefühlt hatte.

In den zwei Jahren, die sie sich jetzt kannten, hatte er nie auch nur den kleinsten Annäherungsversuch unternommen.

Das hatte Alyssa anfangs ein bisschen gekränkt, zumal das gewisse Knistern sich bei ihr manchmal eher wie eine Feuersbrunst angefühlt hatte.

Andererseits machte Chris’ mangelndes Interesse vieles leichter, denn mit seiner lässigen Lebenseinstellung als freier Autor kam er als möglicher Partner für sie ohnehin nicht infrage.

Auch wenn Alyssa zugeben musste, dass es schon Situationen gegeben hatte – etwa wenn sie abends zusammen fernsahen und ein paar Margaritas getrunken hatten –, in denen sie sich wünschte, Chris möge irgendetwas unternehmen, um nicht mehr als Mann tabu für sie zu sein.

Ihr Vater war genauso gewesen wie Chris: Als freier Journalist immer auf der Jagd nach der nächsten Story, um wieder etwas Geld nach Haus zu bringen.

Als Kind hatte Alyssa sich oft nach ihrem Vater gesehnt, wenn er wieder wochenlang fort gewesen war. Sie hatte ihn angefleht, er möge sie mitnehmen, und wenn er zurückgekehrt war, hatte sie sich seine Fotoreportagen angesehen und sich ausgemalt, wie sie das alles mit ihm gemeinsam erlebte.

Aber sie war zur Schule gegangen, und er war wieder auf seine nächste Reise verschwunden.

Er hatte Alyssa und ihrer Mutter gesagt, er müsse reisen, um die Rechnungen bezahlen zu können, doch Alyssa hatte die ständigen Streitereien ihrer Eltern ums Geld mitbekommen. Ihre Mutter hatte sich beklagt, dass ihr Mann das Angebot einer festen Anstellung bei einer Lokalzeitung ausgeschlagen hatte.

Für eine Festanstellung war McCarthy Chambers zu reiselustig, doch obwohl er immer wieder hoffte, mit seiner nächsten Story einen Volltreffer zu landen, gelang ihm nie der ganz große Erfolg.

Als Alyssas Mom dann noch ihre Anstellung als Lehrerin verlor, musste die Familie aus ihrem hübschen kleinen Haus in der idyllischen Allee ausziehen. Mit elf Jahren musste Alyssa Abschied von ihren Freundinnen aus der Nachbarschaft nehmen und mit ihren Eltern in ein ärmliches Ein-Zimmer-Apartment mit papierdünnen Wänden ziehen.

In jenem Monat hatte sie ihren Vater gehasst, obwohl sie ihn zugleich über alle Maßen liebte. Wenn er zu Hause war und alles gut lief, war das Leben mit ihm das reinste Paradies, aber wenn gerade wenig Geld da war und er keine guten Ideen hatte, wurde der Alltag mit ihm unerträglich.

Seit einiger Zeit konnte ihr Dad aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr reisen, und so kamen ihre Eltern finanziell kaum noch über die Runden. Sie lebten von Sozialhilfe, und das war ein Leben, das Alyssa sich für ihre Zukunft auf keinen Fall vorstellte.

Seit sie erwachsen war, konnte sie nachvollziehen, was ihren Dad antrieb. Er liebte seine Familie, aber er hatte auch sein unstetes Junggesellenleben geliebt. Eigentlich hätte er niemals eine Familie gründen dürfen.

Alyssa liebte und verstand ihn, mittlerweile hatte sie ihm sogar ihre ärmliche Kindheit verziehen, aber niemals wollte sie so wie ihre Mutter enden oder gar eigenen Kindern ein solches Leben zumuten.

An ihren zukünftigen Partner stellte Alyssa Chambers eine ganze Reihe von Ansprüchen. Ganz oben auf der Liste stand, dass er sich seiner finanziellen Verantwortung bewusst war und dass er regelmäßig zu Hause war.

Chris besaß nicht einmal ein Sparkonto, geschweige denn eine Krankenversicherung. Er reiste wochenlang durch die Welt und verfasste Reiseberichte.

Selbst als Freund raubte er Alyssa mit seiner Sorglosigkeit oft den letzten Nerv. Dabei war er ein außergewöhnlich guter Journalist und besaß erstklassige Verbindungen zu „Tourist and Travel“, einem der bekanntesten Reisemagazine der Welt. Soweit Alyssa wusste, konnte Chris mit Leichtigkeit genug Artikel verkaufen, um ein solides Jahreseinkommen zu erzielen. Doch stattdessen arbeitete er nur, wenn ihm das Geld ausging, und dann nahm er gleich drei bis fünf Aufträge an und verschwand für zwei Monate.

Die übrige Zeit zog er sich in sein Apartment zurück und arbeitete an einer Romanreihe, die er irgendwann zu veröffentlichen hoffte.

Einerseits bewunderte sie seine Kreativität, doch andererseits verstand sie nicht, wie er diesen Lebensstil ertragen konnte. Einmal hatte sie ihn dazu gedrängt, mit ihr über dieses Thema zu sprechen, und dabei hatte er zugegeben, dass er seine Gehaltsschecks auf ein Konto einzahlte und davon lebte, bis die Summe aufgebraucht war. Erst dann nahm er einen neuen Auftrag an, um wieder an neues Geld zu kommen. Ein paar Monate lang hatte er tatsächlich ausschließlich von Bohnen, Reis und Spaghetti gelebt, weil er anstatt an einem neuen Auftrag zu arbeiten lieber zu Hause an seinem Buch geschrieben hatte.

Es war nicht ihr Leben, und trotzdem machte Alyssa allein die Vorstellung jedes Mal nervös.

Das Fazit lautete: Ein Mann wie Chris würde niemals als Partner infrage kommen. Chris begleitete sie manchmal zu Partys, aber ein richtiges Date mit ihm war tabu.

Die beiden Pärchen vor Alyssa und Claire kuschelten sich noch enger aneinander und merkten gar nicht, dass die übrigen und weniger glücklichen Gäste in der Kutsche von diesen Zuneigungsbekundungen lieber nichts mitbekommen wollten.

Das Pferd bog nach links in eine Allee ab, in der der alte Geldadel von Dallas wohnte. Für diese Bürger war ein Ball noch immer ein wichtiges gesellschaftliches Ereignis, und sie konnten ihre Vorfahren bis in eine Zeit zurückverfolgen, als Texas noch eine eigenständige Republik war.

Solche Leute blieben entweder zu Hause, oder sie nahmen die gesamte Familie mit, wenn sie verreisten.

Claire deutete auf ein großes Haus im Kolonialstil. „Das hier war immer mein Lieblingshaus in der Gegend. Sieh doch! Die kleinen Buchsbäume sind wie Elfen geschnitten!“

Alyssa betrachtete die kunstvoll gestutzten Büsche. Sie wusste, dass hier Russell Starr wohnte.

Russell würde mit Sicherheit einen hervorragenden Kandidaten für ihre Partnerliste abgeben.

Die Starrs gehörten zu den wichtigsten Familien in Texas, seit sie vor über einem Jahrhundert die Starr Resorts gegründet hatten. Die heute weltweit vertretene Luxushotelkette war vor sieben Jahren nach dem Tod von Thomas Starr ins Straucheln geraten, als die Leitung dem damals 23-jährigen Russell übertragen worden war.

Alyssa war mit Russell zur Schule gegangen, daher hatte sie mitverfolgt, welchen Aufruhr es in der Geschäftswelt gegeben hatte, als einem so jungen Mann eine so große Verantwortung übertragen wurde. Alle hatten einen Niedergang der Hotelkette vorausgesagt, doch Alyssa hatte fest an Russells Erfolg geglaubt.

Und sie hatte sich nicht getäuscht. Seit Russell vor sieben Jahren die Führung übernommen hatte, waren die Starr Resorts gewachsen wie nie zuvor. Die Fünf-Sterne-Hotels gab es jetzt auf vier Kontinenten, und zahllose Prominente gehörten zu den Stammgästen.

„Ich hoffe, ich kann ihn bekommen“, murmelte sie. „Ich meine, Starr Industries.“

„Wirklich?“

„So lautet der Plan.“ Leider wusste Alyssa noch nicht, wie sie diesen Plan in die Tat umsetzen sollte. Allerdings musste ihr bald etwas einfallen, denn obwohl sie im ausklingenden Jahr hervorragenden Umsatz gemacht hatte, hatte sie für „Prescott and Bayne“ im letzten Quartal keine neuen Klienten gewinnen können. Damit lag sie deutlich im Schatten von Roland Devries, ihrem Konkurrenten um den Platz des Teilhabers der Anwaltskanzlei.

Direkt nach den Weihnachtsferien würden die Partner der Kanzlei sich treffen und beraten, wen sie zum Juniorpartner ernennen würden.

Alyssa musste unbedingt noch einen neuen Klienten auftreiben, damit nicht letztlich Roland das Ziel erreichte, auf das sie so hart hingearbeitet hatte. Schon während des Jurastudiums hatte sie sich geschworen, mit Dreißig Teilhaberin in einer Kanzlei zu sein, und nach dem Studium hatte sie bei Prescott angefangen, weil die Kanzlei einen ausgezeichneten Ruf hatte und weil es hieß, dass man dort schnell Karriere machen könne. Teilhaber einer Anwaltskanzlei, das bedeutete finanzielle Absicherung, und schon deshalb war es Alyssas Traum.

„Glaubst du, du hast eine Chance? Die Anwälte umschwirren Russell doch bestimmt wie Bienen den Honig.“

„Sein Unternehmen hat sogar eine eigene Rechtsabteilung.“

„Und wieso sollte er dann eure Kanzlei beauftragen?“

„Erinnerst du dich noch an die Wohltätigkeitsveranstaltung Anfang des Jahres? Da wurde Geld für Waisenhäuser in China gesammelt. Russell saß mit mir im Komitee und sagte, er spiele mit dem Gedanken, sich eine Kanzlei zu suchen, damit seine Rechtsabteilung sich mehr auf ihre Aufsichtsfunktion konzentrieren könne.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Was spricht da gegen Prescott and Bayne?“

„Nichts, nehme ich an.“ Prüfend sah Claire sie an. „Ein Mann wie Russell Starr wird sicher von vielen Kanzleien angesprochen. Was spricht für euch?“

„Wir haben einen ausgezeichneten Ruf. Außerdem hatte ich wirklich den Eindruck, dass er sich gern mit mir zusammensetzen würde, um eine mögliche Kooperation mit Prescott zu besprechen.“ Sie wurde rot. „Eigentlich wollte ich direkt nach der Wohltätigkeitsgala einen Termin mit ihm ausmachen, aber … da kam es mir etwas unpassend vor.“

Claire runzelte die Stirn. „Wieso?“

Alyssa holte tief Luft. „Weil er mich geküsst hat. Am Abend der Gala.“

„Nicht zu glauben. Was Ernstes?“

„Kommt drauf an. Ist ein siedendheißer Kuss etwas Ernstes?“

Jetzt sah Claire sie mit offenem Mund an. „Wieso weiß ich davon nichts?“

Wieder zuckte Alyssa mit den Schultern. „Damals war ich noch mit Bob zusammen. Es ist einfach so passiert, und ich habe mich danach entsetzlich gefühlt.“

„Ich will jedes Detail hören, und zwar sofort.“

„Da gibt es nicht viel zu erzählen.“ Alyssa bereute bereits, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben.

„Fang ganz von vorn an.“ Auffordernd wedelte Claire mit der Hand. „Schieß schon los!“

Seufzend gab Alyssa nach. „Ich war mit ihm auf der Highschool. Wir kennen uns also schon eine Ewigkeit.“

Ungläubig hob Claire die Augenbrauen. „Du warst mit Russell Starr auf der Highschool?“

„Ehrlich gesagt bin ich fast sicher, dass seine Familie mir mein Stipendium bezahlt hat.“ Sie blickte wieder zum Haus der Starrs und seufzte. So eine Familie brauchte sich keine Gedanken darüber zu machen, wann der nächste Gehaltsscheck eintraf.

„Wart ihr befreundet?“

„Damals nicht. Er war eine Klasse über mir, aber alle Mädchen haben von ihm geschwärmt. Du weißt schon, er war der Typ, den alle haben wollten.“

„Verstehe. Aber kommen wir zurück zu diesem Kuss. Was ist genau passiert? Hat er dich um ein Date gebeten?“

„In gewisser Weise. Mein Auto hatte einen Platten, und da hat er mich nach Hause gebracht. Auf dem Weg schlug er vor, wir könnten doch noch etwas trinken gehen.“

Der Abend war wunderbar gewesen. Sie hatten Wein getrunken, gelacht und sich zwischendurch tiefe Blicke zugeworfen. Als Russell sie anschließend heimgefahren hatte, hatte sie ihn noch hereingebeten, aber er hatte abgelehnt.

Stattdessen hatte er sich zu ihr gebeugt, sich für den wundervollen Abend bedankt und sie sehr zart, aber auch sehr vielversprechend geküsst. Sie hatte das Prickeln bis in die Zehenspitzen gefühlt, selbst als Russell sich bereits abgewandt hatte und zurück zum Wagen ging.

Wie ein Idiot hatte sie vor ihrer Apartmenttür gestanden.

Am nächsten Morgen war Bob zum Frühstück gekommen, und Alyssa hatte ihre Träumereien vom Märchenprinzen verdrängt. Sie war mit Bob zusammen, der Drink war nicht mehr gewesen als ein Drink, und der Kuss war nichts als eine süße Erinnerung.

Ab und zu hatte sie sich dann aber doch der Fantasie hingegeben, was hätte passieren können, wenn Russell mit in ihr Apartment gekommen wäre.

Sie seufzte, und ihr Atem kondensierte in der kalten Luft.

„Wow“, stellte Claire fest. „Mist, dass dir dieser Vogel entwischt ist.“

Entnervt verdrehte Alyssa die Augen. „Ich hatte diesen Vogel nie in der Hand.“

„Dafür ärgerst du dir sicher ein Loch in den Bauch. Er hat dir einen Abschiedskuss gegeben, und du hast dich nicht wieder bei ihm gemeldet? Ihm nie gezeigt, dass du auch interessiert bist?“

„Ich war mit Bob zusammen.“ Alyssa sprach es nur leise aus, weil sie genau wusste, dass Claire sich sofort auf diesen Punkt stürzen würde.

„Und das hast du ihm gesagt?“

„Claire, Bob und ich waren fest zusammen. Es war ihm ernst, zumindest dachte ich das. Ja, ich habe es Russell gegenüber erwähnt.“

Jetzt verdrehte Claire die Augen. „So was darfst du niemals tun. Die Kerle dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, bis du verheiratest bist.“ Obwohl Alyssa unwillig das Gesicht verzog, fuhr Claire fort: „Hast du dich denn nach der Trennung von Bob bei Russell gemeldet?“

„Nein, natürlich nicht!“

Verständnislos schüttelte Claire den Kopf. „Wenn Joe nicht so ein Idiot wäre und du nicht so gehemmt, dann könnten wir hier heute Abend als zwei Pärchen sitzen und nicht als zwei Freundinnen, die miteinander Kutsche fahren.“

Alyssa seufzte. Claire hatte absolut recht.

Sie betrachtete die funkelnden Lichter an den Häusern. Die Kinder gingen von Tür zu Tür und sangen Weihnachtslieder, und Pärchen spazierten Arm in Arm und küssten sich.

Überall lag Romantik in der Luft, nur nicht hier auf der hintersten Kutschbank.

2. KAPITEL

„Lass das Messer fallen.“

„Niemals.“ Max-Dalton umklammerte das kleine Taschenmesser und ließ den Lauf von Eli Whitackers Pistole keine Sekunde aus den Augen. Er war in dieses verlassene Lagerhaus eingebrochen, weil er gehofft hatte, hier einen Hinweis darauf zu finden, wohin Whitacker das Mädchen verschleppt hatte. Leider hatte er Whitacker selbst gefunden.

„Ich sagte, lass das Messer fallen“, wiederholte Eli.

Max überdachte seine Chancen. Das alles lief nicht wie geplant. Resigniert ließ er das Messer fallen.

„Gut so. Und jetzt sei so nett und knie dich hin.“

„Das werde ich nicht.“

Elis Grinsen wurde stärker. „Kein Problem, dann stirbst du eben im Stehen.“

Langsam krümmte Eli den Finger, und Max rechnete damit, jeden Moment eine Ladung Blei in den Bauch zu bekommen.

Das Einzige, was ihm in dieser Situation einfiel, war, sich nach links auf den Boden zu werfen.

Noch während er das tat, wurde er durch einen lauten Knall fast taub, und er zuckte zusammen, weil jetzt der Schmerz kommen würde.

Doch er spürte keinen Schmerz.

Dort stand Eli, und auf seiner Brust breitete sich ein roter Fleck aus. Er öffnete den Mund, und blutiger Schaum trat zwischen seinen Lippen hervor.

Dann sank Eli auf die Knie, und hinter ihm sah Max eine Frau stehen, die eine Waffe in ihren zitternden Händen hielt.

Sie war es.

Dunkles Haar fiel ihr in sanften Wellen bis auf die Schultern, ihre vollen Lippen waren fest aufeinandergepresst, und ihre grünen Augen schimmerten. Die langen schlanken Beine hatte sie leicht gespreizt, und sofort malte Max sich aus, diese Schenkel an seinen Hüften zu spüren.

Er sah sie, und in demselben Moment begehrte er sie. Sie war seine Fantasie und Inspiration.

„Alyssa“, flüsterte er. „Alyssa, du lebst.“

Christopher Hyde blickte auf seinen Monitor und runzelte die Stirn. Dann löschte er die letzte Zeile aus und ersetzte den Namen Alyssa durch Alicia.

Unzufrieden schüttelte er den Kopf. Nein, das war immer noch zu nah an der Wirklichkeit. Wieder löschte er die Zeile und nannte die Femme fatale in seinem zweiten Max-Dalton-Roman Natalia.

Schon besser.

Die Beschreibung ähnelte zwar immer noch sehr stark Alyssa, aber er brachte es nicht fertig, daran etwas zu ändern. Vielleicht würde er, wenn der Roman erst fertig war, die Haarfarbe von Schwarz in Rot ändern, doch im Moment sah er in Gedanken sowieso nur immer Alyssa vor sich, wenn er sich Natalia vorstellte.

Ja, sie war tatsächlich das Mädchen seiner Träume.

Schon bevor er Alyssa kennengelernt hatte, hatte er an seinem ersten Max-Dalton-Roman geschrieben. Seit Jahren ging ihm dieser Charakter durch den Kopf. Max-Dalton war reich und unabhängig, reiste um die Welt und nahm die Aufträge an, die ihm das meiste Geld einbrachten. Max war genauso reiselustig wie Chris, und obwohl Chris noch nie ein Kind befreit hatte, das von Terroristen entführt worden war, und auch noch nie in Berghöhlen nach alten Artefakten gesucht hatte, schmückte er Max’ Charakter mit all seiner Fantasie aus.

Seine eigene Kindheit war langweilig und eintönig gewesen. Bis zu seinem zwanzigsten Lebensjahr war er nie aus dem kleinen Ort in Texas herausgekommen. Doch er hatte jede Ausgabe des „National Geographic“ gelesen und sich ausgemalt, wie er all die beschriebenen Orte selbst bereiste und dort Abenteuer erlebte.

Das Journalistikstudium war seine Chance gewesen, aus der Enge seines Heimatorts zu fliehen, und jetzt reiste er um die Welt und schrieb über seine Erlebnisse. Mit ein bisschen Glück würde er eines Tages zusätzlich zum Einkommen aus seinen Reiseberichten mit seinen Max-Dalton-Romanen noch viel mehr Geld verdienen.

Mit dem ersten Band war es ihm bereits gelungen, eine Agentin zu finden, die unermüdlich versuchte, seinen Roman bei einem Verlag unterzubringen.

Das alles dauerte Zeit, und um sich abzulenken, stürzte Chris sich in Max-Daltons zweites Abenteuer. In dieser Geschichte trat eine Frau in Max’ Leben. Ob sie auf seiner Seite stand oder nicht, war nicht ganz klar, aber auf jeden Fall war sie seine Geliebte.

In Chris’ Fantasie trug sie Alyssas Züge.

Er konnte sich noch genau an den Tag erinnern, als sie ins Nachbarapartment gezogen war. Sie hatte versucht, einen alten hässlichen Sessel vom gemieteten Lieferwagen in ihr Apartment zu schleppen, und Chris hatte ihr seine Hilfe angeboten, entweder beim Schleppen oder beim Verbrennen, ganz wie sie wollte. Einen Moment lang hatte sie ihn fassungslos angesehen, und er hatte schon befürchtet, zu weit gegangen zu sein, doch dann hatte sie sich erschöpft in den Sessel fallen lassen und laut zu lachen angefangen.

Der Sessel sei ein Geschenk ihres Vaters, hatte sie erklärt und mit den Schultern gezuckt. „Also wird dieser Sessel in meinem Wohnzimmer einen Ehrenplatz bekommen.“

Sie war sexy und witzig. Das war eine Kombination, die Chris überwältigend fand.

Doch das hatte er Alyssa nie gesagt. Sie sah in ihm einen Freund, keinen leidenschaftlichen Liebhaber, und daran trug ganz allein er selbst die Schuld.

In der ersten Zeit war sie mit einem anderen Mann zusammen gewesen. Ob er Bob oder Bill hieß, wusste Chris nicht mehr, aber er war ganz offensichtlich nicht gut für sie gewesen. Doch Chris machte sich nun mal nicht an Frauen heran, die in festen Händen waren, auch wenn sie noch so sexy waren.

Aber selbst an jenem wunderbaren Tag, als sie Bob den Laufpass gegeben hatte, hatte Chris seine Chance nicht genutzt. Er hatte nicht einmal angedeutet, was er empfand.

Sie war zu ihm gekommen, hatte ihm von der Trennung erzählt und vorgeschlagen, sie könnten sich doch zusammen irgendeinen Actionfilm ansehen, bei dem man nicht nachdenken musste.

Während Alyssa gebannt die Ganovenjagden und Explosionen verfolgt hatte, hatte Chris die ganze Zeit überlegt, wie er ihr erklärte, dass er sich in sie verliebt hatte. Am Ende des Films hatte sie ihn bedrückt angelächelt und nach seinen Händen gegriffen.

In diesem Moment hätte er tun sollen, was Max-Dalton getan hätte. Er hätte sich vorbeugen und sie küssen sollen, um ihr anschließend in klaren Worten zu sagen, dass er sich mehr von ihr wünschte als nur Freundschaft.

Doch wenn es um Frauen ging, schaffte Chris es einfach nicht, so draufgängerisch zu sein wie Max-Dalton.

„Danke, dass ich bei dir sein durfte“, hatte sie gesagt. „Ich habe wirklich einen wahren Freund gebraucht.“

Er hatte geschluckt, weil ihre Worte sich wie Messerstiche angefühlt hatten. In dem Augenblick war ihm klar geworden, dass er bei dieser Frau keine Chance hatte, nicht mal als Mann zur Ablenkung vom Trennungsschmerz.

Aber irgendetwas musste er unternehmen. Alyssa war in seinen Gedanken, in seinen Träumen, und jetzt auch noch in seinen Büchern. Max-Dalton war ein Frauenheld, verdammt, und wechselte mit jedem Auftrag die Frau. Er verliebte sich nicht!

Chris ahnte, dass er Alyssa aus seiner Fantasie vertreiben musste, wenn er nicht wollte, dass Max sich anstatt durch einen actiongeladenen Spionagethriller durch einen Liebesroman kämpfte.

Max-Dalton würde es nicht zulassen, dass die Gedanken an eine Frau ihn so quälten. Er würde ihr etwas ins Ohr flüstern und mit ihr im Bett landen.

Schöne Fantasie.

Chris wollte mehr. Er sehnte sich nach Wärme und Wirklichkeit. Er wollte am Sonntagmorgen lange im Bett liegen und Zeitung lesen. Er wollte Jeans und T-Shirts in seinen Rucksack stopfen und nach Paris fliegen, wenn ihm danach war. Er wollte im Sonnenuntergang an einem Strand entlanglaufen, am liebsten an einem exotischen mit weißem feinen Sand.

Und all das wollte er zusammen mit Alyssa tun.

Entnervt stand Chris hinter seinem Schreibtisch auf und reckte sich. Er musste seine Sachen packen, schließlich musste er morgen ganz früh zum Flughafen.

Das Telefon klingelte, und am liebsten wäre er nicht rangegangen, aber es konnte schließlich auch Greg sein, sein Verleger von „Tourist and Travel“.

Im Display stand eine New Yorker Nummer, und als Chris den Hörer abnahm, hörte er die heisere Stimme von Lilian Ashbury, seiner Agentin.

„Wie schnell kannst du den zweiten Max-Dalton-Roman fertig bekommen und mir ein Exposé für den dritten schicken?“, fragte sie ohne jede Einleitung.

„Ich wünsche dir auch eine frohe Weihnachtszeit, Lil.“

„Unsinn. Hier gibt’s nur Kälte und Schneematsch, also keinen Grund zur Freude.“

„Arbeitest du deshalb heute, am Samstag?“

„Ich bin unermüdlich in meinen Anstrengungen, deine Romane an die Leute zu bringen“, erwiderte sie trocken. „Ich hatte ein Lunch mit Roger Eckhard.“ Das war der Herausgeber von Main Street Books, dem Verlag, bei dem Chris seinen Roman am liebsten veröffentlichen wollte. „Ich habe ihm das Buch vorgestellt, und das Grundkonzept gefällt ihm. Am fünften fliegt er für zwei Wochen nach Italien, und ich möchte ihm beide Manuskripte und einen ersten Entwurf für den dritten Roman mitgeben. Er soll es gleich als Serie lesen und in dir den neuen Ian Fleming sehen. Wenn das klappt, werden wir ein Angebot bekommen, das dich zu einem sehr glücklichen Mann macht.“

„Ich …“

„Sag einfach: ‚Danke, Lil.‘ Und: ‚Kein Problem, Lil.‘“

„Kein Problem, Lil.“ Er musste lächeln. Irgendwie würde er es schaffen. Dies war nicht der geeignete Zeitpunkt, um seiner Agentin zu erzählen, dass er immer nur an seine Nachbarin denken und sich deshalb nicht auf Max-Dalton konzentrieren konnte. Er würde eine Woche in New Mexico in einem exklusiven Hotel verbringen und dort abwechselnd an einem Artikel für „Tourist and Travel“ und an seinem Roman schreiben. Die ganze Zeit würde er sich im Hotelzimmer einigeln und Seite um Seite mit einer fantastischen und spannenden Geschichte ausspucken.

Warum sollte ihm das nicht gelingen, wenn ihn über 600 Meilen von Alyssa trennten?

3. KAPITEL

„George Bailey, ich werde dich lieben, so lange ich lebe.“

„Aah.“ Alyssa ließ sich in den Sessel sinken und tupfte sich die Augen mit einem Taschentuch trocken.

Claire bewarf sie mit Popcorn. „Hör auf, der Film hat ja gerade erst angefangen.“

„Ich weiß.“ Alyssa schniefte. „Aber ich weiß doch schon, was passieren wird.“ Sie schnäuzte sich. „Das macht mich jedes Mal fertig. Und der Alkohol verschlimmert es noch.“

„Du warst es doch, die unbedingt Kakao mit Pfefferminzschnaps wollte.“

Dagegen konnte Alyssa nichts einwenden. Eigentlich hatten sie beide nach der Kutschfahrt auf irgendeine Party gehen wollen, aber dann waren sie in Alyssas Apartment gelandet und hatten versucht, ihre Depressionen mit Kakao und Schnaps und einem alten rührseligen Spielfilm zu bekämpfen.

„Warum kann ich nicht auch so einen Kerl bekommen wie im Film?“

Claire runzelte die Stirn. „Ich kenne den Film auch. Du würdest ihn gar nicht wollen. Er reist ständig umher und hat nie genug Geld, um sein Haus zu reparieren.“ Sie lehnte sich zurück und sah Alyssa mit einem selbstgewissen Lächeln an. „Du brauchst einen Mann wie Russell Starr.“

„Wie bitte?“

„Vorhin hast du mir selbst erzählt, dass er dein Traummann ist.“

„Na und?“

„Dann unternimm was.“

Alyssa sah ihre Freundin mit offenem Mund an. „Du bist verrückt, weißt du das? Wir waren nur etwas trinken, und dann war da ein einziger Kuss.“

„Ein überwältigender Kuss.“

„Aber nur ein Kuss.“ Alyssa schüttelte den Kopf. „Wir sprechen hier nicht von einer großen Romanze, Claire.“

„Weil du ihn am nächsten Tag nicht angerufen hast, um ihn dazu zu bringen, dich zu einem Date auszuführen.“

Das stimmte, und dafür hätte Alyssa sich immer noch am liebsten selbst geohrfeigt. Es war völlig klar, dass Russell sie nicht angerufen hatte, weil sie ihm von Bob erzählt hatte. Letztlich hatte auch sie ihn aus demselben Grund nicht angerufen. Doch nachdem sie sich ein paar Monate später von Bob getrennt hatte, hätte sie sich das Ganze vielleicht noch einmal überlegen sollen.

„Wenn du etwas willst, dann musst du es dir holen.“ Angestrengt dachte Claire über ihre eigenen Worte nach. In ihren Bechern war fast mehr Pfefferminzschnaps als Kakao, und sie waren beide ziemlich beschwipst. „Wenn es zwischen Russell und dir an jenem Abend gefunkt hat, dann solltest du es noch mal bei ihm versuchen.“

„Im Moment ist mir die Teilhaberschaft wichtiger. Wenn ich der Kanzlei in den nächsten Wochen keinen neuen Klienten beschaffe, ist meine Chance vertan. Ich weiß, dass Bayne den Posten an Roland vergeben will, weil er einen Teilhaber mit Erfahrung im Wertpapiergeschäft sucht. Meine Spezialisierung auf Mediation findet er nutzlos.“

Alyssa vertrat eine ganze Reihe von Klienten auch vor Gericht, doch ein Großteil ihrer Arbeit bestand aus Mediation, einem Schlichtungsverfahren, bei dem sie versuchte, die Parteien von einer außergerichtlichen Einigung zu überzeugen. Diesen Teil ihrer Arbeit liebte sie, und es machte sie rasend vor Wut, dass Roland sich Vorteile verschaffte, indem er sich aufs Wertpapierrecht konzentrierte.

Leider konnte sie die Tatsachen nicht ignorieren, und wenn sie bei Prescott nicht zum Teilhaber aufstieg, würde sie sich nach einer neuen Stelle umsehen müssen, denn sie wollte auf keinen Fall beruflich in einer Sackgasse landen. Bei der Vorstellung, auf Stellensuche gehen zu müssen, bekam sie eine Gänsehaut.

Schnell trank sie noch einen Schluck, um den Schock zu dämpfen, den dieser Gedanke in ihr auslöste.

„Wer sagt denn, dass du das eine nicht mit dem anderen verbinden kannst?“ Claire zog die Brauen hoch. „Ein bisschen Geschäft und ein bisschen Spaß.“

„Claire!“

„Willst du’s nicht wenigstens versuchen?“

„Na gut, vielleicht. Russell Starr wäre wirklich ein guter Fang. Aber er ist vergeben. Soweit ich weiß, ist er mit der Tochter von einem Senator zusammen.“

„Nicht mehr.“ Belustigt trank Claire einen Schluck, und an ihrer Oberlippe blieb ein brauner Kakaoschnurrbart zurück. „Letzte Woche haben sie sich getrennt. Dein Goldjunge ist wieder Single.“

„Oh.“ In Alyssas Magen ging es drunter und drüber. „Bist du sicher?“ Die Frage war im Grunde überflüssig. Claires Vater war ebenfalls Senator in Texas, und daher war sie immer bestens informiert.

„Interessante Neuigkeit, stimmt’s?“

Alyssa runzelte die Stirn. Wie sollte sie einen Mann wie Russell auf sich aufmerksam machen? Die Chancen, dass er sich für eine ganz durchschnittliche Frau wie sie interessierte, standen schlecht. Er verkehrte mit Stars und Prominenten und spielte in einer völlig anderen Liga.

Sie trank noch einen Schluck und versuchte, sich auf ihre Freundin zu konzentrieren, die mit sehr ernsthafter Miene einen Finger hob.

„Was ist?“

Verwirrt runzelte Claire die Stirn. „Ich wollte etwas sagen, aber das habe ich jetzt vergessen. Es war in jedem Fall sehr bedeutsam. Und brillant. Ich wünschte, ich könnte mich erinnern. Es war die Lösung, wie wir beide den perfekten Mann finden und bis ans Ende unserer Tage glücklich werden könnten.“

„Bis Weihnachten sind es nur noch fünf Tage. Kann uns der Weihnachtsmann nicht helfen und uns unser Glück in den Schoß fallen lassen?“

„Wie soll dein Traummann denn aussehen? Was würdest du auf deinen Wunschzettel schreiben?“ Claire setzte sich aufrechter hin. „Mal im Ernst. Sag mir fünf Dinge.“ Vertraulich beugte sie sich vor. „Erzähl der guten Claire alles, was du dir erträumst.“

„Also schön! Ja! Russell Starr. Er würde mein Weihnachen perfekt machen.“ Schließlich hatte Russell Humor, und er war finanziell abgesichert. Außerdem konnte sie mit ihm als Klienten ihren Job retten.

Claire stellte ihren Becher ab, ehe sie den restlichen Kakao noch verschüttete. „Ich will noch mehr hören. Zu Weihnachten geht’s ja nicht nur darum, den perfekten Mann zu bekommen. Wodurch würden die Feiertage für dich perfekt werden? Fünf Dinge.“

Angestrengt dachte Alyssa nach. „Gute Freunde“, sagte sie schließlich lächelnd. „Und für dich?“

Claire erwiderte das Lächeln. „Gute Freunde.“

„Das zählt nicht. Das hatte ich schon. Was anderes.“

„Keine Ahnung. Können wir die Liste auf zwei Punkte verkürzen?“

„Kommt drauf an. Was wäre das zweite?“

„Der perfekte Mann.“

Alyssa schleuderte ein Kissen in ihre Richtung. „Das habe ich doch schon gesagt.“

„Dann lass uns etwas unternehmen. Du musst Russell anrufen.“

„Tue ich ja. Wegen der Partnerschaft. Um ihn als Klienten zu gewinnen.“

„Wegen eines Dates, Alyssa. Du musst ihn anrufen, damit er dich zu einem Date einlädt. Immerhin hat er dich geküsst. Vertrau mir. Russell hat dir den Ball zugespielt.“

„Ja, aber …“

„Kein Aber. Vom Weihnachtsmann bekommst du keinen Partner. Wenn du eine Beziehung willst, musst du dich selbst darum bemühen.“

„Und was ist dein Plan?“ Alyssa versuchte, sich etwas aus der Schusslinie zu bringen. „Auf wen hast du es abgesehen? Auf Joe? Oder steht der auf der Schwarzen Liste?“

„Auf der Liste wird er nicht mehr stehen, sobald er zu mir zurückkommt.“

„Claire …“ Alyssa hatte Joe noch nie gemocht, aber das konnte sie ihrer besten Freundin schlecht sagen. Die Sache mit Joe war Claire sehr ernst gewesen, und Alyssa wollte ihrer Freundin nicht sagen, wie wenig sie von ihrem Ex-Freund hielt, nur um irgendwann zu erfahren, dass Claire und Joe wieder zusammen waren.

„Dann ist das also abgemacht.“ Claire nickte bekräftigend. „Weihnachtsschwur: Wir angeln uns unsere Traummänner.“

Alyssa schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass ich …“

„Doch, du kannst. Wo ist denn die Frau, die Bob gesagt hat, dass es reicht?“

„Die sitzt vor dir.“ Alyssas Magen fühlte sich bleischwer an. „Aber das war ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was du jetzt von mir verlangst.“

„Probieren solltest du es zumindest. Wann wäre ein besserer Zeitpunkt dafür als Weihnachten?“

Ich will nicht für immer Single bleiben, und wenn ich noch so viel Geld auf dem Konto habe, dachte Alyssa. Sie wollte ein Zuhause und eine Familie, allerdings ohne die Dramen, die sich bei ihren Eltern abgespielt hatten. Und sie wollte sicher sein können, dass die Hypotheken immer pünktlich abbezahlt werden konnten.

„Du weißt genau, dass ich recht habe.“ Claire musterte sie eingehend. „Also fangen wir an und nehmen uns, was wir brauchen. Packen wir den Stier bei den Hörnern, den Mann bei den …“

„Schon gut, schon gut, Claire!“ Alyssa atmete tief durch. Der Abend mit Russell war wirklich sehr schön gewesen. Sie hatten gelacht und sich unterhalten, und es hatte nicht den kleinsten Moment der Verlegenheit gegeben. „Vielleicht hast du recht.“ Sie holte noch einmal tief Luft. „Es sind schließlich die Feiertage, und es ist unser Leben.“

„Und unsere Männer.“ Claire griff nach ihrem Becher und hob ihn in die Höhe. „Trinken wir darauf, dass dies die besten Weihnachtsferien werden, die wir jemals hatten. Auf ein neues Jahr mit neuen Männern an unserer Seite.“

Alyssa dachte an Russell und daran, wie er sie angelächelt hatte, als sie gemeinsam die Wohltätigkeitsveranstaltung organisiert hatten. Als sie sich eine Maraschinokirsche in den Mund gesteckt hatte, hatte sein Blick einen sehr leidenschaftlichen Ausdruck bekommen. Und dann hatte er sie vor der Haustür so gefühlvoll geküsst. Ja, dachte sie entschieden und stieß mit Claire an. Darauf trinke ich.

Resigniert blickte Alyssa auf die Website. Russell war im Moment nicht mal in Dallas, sondern eröffnete das Santa Fe Starr, ein Fünf-Sterne-Hotel keine zwanzig Meilen außerhalb von Santa Fe. Laut einiger Artikel, die Alyssa gefunden hatte, war diese Hotelanlage der neue Maßstab für Luxus und alle erdenklichen Annehmlichkeiten. Während der Weihnachtswoche logierten dort die Reichen und Berühmten, darunter sogar ein paar Oscar-Preisträger. Die gesamten Einkünfte der ersten Woche sollten an „Love without Boundaries“ gehen, eine Wohltätigkeitsorganisation, von der Alyssa wusste, dass Russell sie von ganzem Herzen unterstützte.

„Du musst da hin“, stellte Claire fest.

„Bist du verrückt? Dafür braucht man eine Einladung.“ Sie deutete auf den Artikel.

„Du hast die ganze Woche frei, Alyssa, es ist der perfekte Zeitpunkt.“

„Claire, was erwartest du von mir? Dass ich mich zum Idioten mache?“

„Du sollst herausfinden, ob zwischen Russell und dir etwas ist. Das hier ist deine zweite Chance, die du einfach nutzen musst. Du hast den perfekten Vorwand. Du sagst Russell, du seist dort, um mit ihm darüber zu sprechen, in welchem Umfang Starr Industries sich Hilfe von einer externen Kanzlei holen möchte. Immerhin brauchst du einen neuen Klienten, stimmt’s? Gibt es dafür einen besseren Weg, als wenn du sexy und umwerfend im kleinen Schwarzen vor ihm stehst?“

„Mit ihm außerhalb seines Büros zu sprechen, wäre tatsächlich von Vorteil“, gab Alyssa zu. „Vielleicht könnte ich sogar mit ihm essen. Das wäre viel besser, als wenn er mir nur eine halbe Stunde zwischen seinen Geschäftsterminen zugestehen kann.“ Doch dann schüttelte sie den Kopf. „Aber Geschäftliches und Privates miteinander zu vermischen führt immer zu Problemen.“

Entnervt verdrehte Claire die Augen. „Überstürzt du da nichts? Bisher ist der Mann weder dein Klient noch dein Freund. Mach schon und sieh, was passiert. Das schuldest du dir selbst.“

„Ich weiß noch nicht genau, ob das verrückt ist oder brillant.“

„Brillant“, versicherte Claire und reichte Alyssa das Telefon, während sie gleichzeitig ihr Handy zückte und eine Kurzwahl eingab. „Wähl schon.“

Zuerst rief Alyssa die Auskunft an und ließ sich mit der Rezeption des Hotels verbinden.

„Es tut mir leid, aber wir haben keine Zimmer mehr frei. Während der Feiertagswoche sind alle Zimmer für die Gäste der Galaeröffnung reserviert.“

„Oh! Verstehe. Nun, das trifft auf mich zu. Ich komme zur Gala.“

„Ihr Name, bitte.“

Alyssa zögerte, doch da ihr nichts anderes einfiel, nannte sie ihren richtigen Namen. „Chambers. Alyssa Chambers.“

Einen Moment herrschte Stille, während die Frau am anderen Ende der Leitung in ihrem Computer nachsah. „Es tut mir leid, Miss Chambers, aber Sie stehen nicht auf der Gästeliste. Vielleicht sollten Sie sich mit der Unternehmenszentrale in Verbindung setzen, falls es sich um ein Missverständnis handelt.“

Obwohl die Frau höflich blieb, hörte Alyssa die Anschuldigung deutlich heraus: Vielleicht solltest du jetzt besser auflegen, du verlogenes Stück!

„Möchten Sie, dass ich Sie direkt durchstelle, Miss Chambers?“

„Ja. Ja, das wäre sehr nett.“ Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: „Wenn die Frage meiner Einladung geklärt ist, habe ich dann ein Zimmer? Oder werde ich dann wieder an Sie verwiesen, um mir einen Schlafplatz zu suchen?“

„Für die Galagäste stehen automatisch Zimmer zur Verfügung.“

„Wunderbar. Danke.“

Alyssa landete in der Warteschleife, und als sich jemand mit „Starr Industries, wie kann ich Ihnen helfen?“ meldete, legte sie auf.

Sie saß in der Klemme. Im Hotel standen nur für die geladenen Gäste Zimmer zur Verfügung, und sie sah keine Möglichkeit, auf die Gästeliste zu gelangen.

„Vielleicht solltest du Russell anrufen und fragen, ob du eine Einladung bekommst.“

Ungläubig sah Alyssa ihre Freundin an. „Bis du verrückt? Selbst wenn seine Sekretärin mich zu ihm durchstellt, wie soll ich ihm das erklären? Ach, Russell, ich möchte mich gern zu deiner Gala einladen, damit ich dich zu einer Zusammenarbeit überreden kann.“

„Geh lieber über die private Schiene.“

„Und das macht’s besser? Hey, Russell, ich habe mich an unserem Abend damals glänzend amüsiert. Bitte reservier mir doch eine Suite in Santa Fe. Nein, Claire, auf keinen Fall!“

Claire zog eine Grimasse. „Okay, du hast recht.“ Sie stand auf und schwang sich die Handtasche über die Schulter.

„Wo willst du hin?“

„Ich bin mit Joe auf einen Drink verabredet. Er holt mich ab.“ Triumphierend hielt sie ihr Handy hoch. „Mein Teil des Weihnachtsschwurs läuft gut an.“

„Aber …“

„Du schaffst das schon. Ganz sicher.“

Benommen sah Alyssa Claire nach und wünschte, sie wäre sich da genauso sicher. Eine Einladung zur Gala würde sie nur bekommen, wenn sie Russell ganz direkt darum bat. Aber er sollte in ihr die fähige Frau sehen, die seine geschäftlichen Interessen vertreten konnte, und das erreichte sie bestimmt nicht, indem sie ihn um ein Zimmer anbettelte.

Vielleicht konnte sie sich ein Zimmer in irgendeinem Motel mieten und dann zur Abendveranstaltung zum Starr Resort hinübergehen.

Dieser Plan starb aber schon im Ansatz, als sie sich im Internet die genaue Lage von Russells Hotelkomplex ansah. Das Anwesen lag so abgelegen, dass in der näheren und weiteren Umgebung überhaupt keine Bleibe zu finden war. Obendrein war auch noch Schneefall angekündigt, und über kurvige vereiste Straßen eine kleine Ewigkeit von einem billigen Motel zum Starr Resort zu fahren, gefiel Alyssa auch nicht.

Verdammt, es musste doch eine Lösung geben!

Seufzend lehnte sie sich zurück und umfasste voller Selbstmitleid ihren Kakaobecher. Die Aussicht auf Traummann und Beförderung rückte in weite Ferne.

Die Realität war echt verdammt hart.

Sie trank noch einen Schluck und beschloss, nicht mehr länger ihren Wunschträumen nachzuhängen, sondern sich ein bisschen in Weihnachtsstimmung zu bringen. Der kleine grüne Weihnachtsbaum in der Zimmerecke schrie förmlich nach Schmuck.

Entschlossen zog sie einen Stuhl zum Schrank im Flur, wobei ihr ein bisschen schwindlig wurde. Nur Alkohol und keine feste Nahrung, das stieg zu Kopf.

Das Apartment war ein Altbau mit hohen Decken. Der maßgefertigte Schrank im Flur besaß folglich Regalböden, die normal großen Menschen zugänglich waren, und darüber noch welche, an die nur Riesen gelangen konnten. Genau der richtige Platz für Dinge, an die man selten heranmusste.

Mit einem Besen bewaffnet stieg Alyssa auf den Stuhl und riss die oberen Schranktüren auf. Dann zerrte sie die riesigen Plastikbeutel mit den Sommerkleidern heraus. Der Karton mit dem Weihnachtsschmuck befand sich dahinter.

Sie schob den Besen ganz nach hinten in das Schrankfach, drehte ihn hin und her und versuchte dann, die Schachtel nach vorn zu ziehen.

Es ging nicht. Anscheinend war der Karton irgendwo verkantet. Erst als sie mit aller Kraft zerrte, löste sich der Widerstand, und der Karton schoss nach vorn.

Alyssa schaffte es gerade noch, den Karton, der sich bereits gefährlich über die Regalkante neigte, mit beiden Händen abzustützen. Gleichzeitig versuchte sie, trotz des alkoholbedingten Nebels in ihrem Kopf das Gleichgewicht zu halten.

Wer hätte gedacht, dass es so gefährlich sein konnte, beschwipst den Weihnachtsbaum zu schmücken?

Vielleicht konnte sie sich vom Hausmeister eine richtige Leiter leihen und es damit probieren. Sie versuchte, den Karton zurück in den Schrank zu schieben – vergebens. Er ließ sich keinen Zentimeter weit bewegen.

Anscheinend war es ihr Schicksal, für alle Zeiten hier auf dem Stuhl zu balancieren und den Karton über dem Kopf zu stützen, bis sie vor Erschöpfung oder Hunger bewusstlos wurde.

Genau in diesem Moment klopfte es an der Tür, und Alyssa war so erleichtert, dass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. „Chris! Chris, komm rein!“

Der Türknauf wurde gedreht, und erst in diesem Augenblick fiel ihr ein, dass sie abgeschlossen hatte.

„Es ist abgeschlossen, Alyssa.“

Der Karton wackelte, und sie konzentrierte sich darauf, ihn zu stützen, obwohl ihr erneut schwindlig wurde. „Chris!“

„Halte aus!“

Sie hörte, wie er die Tür zu seinem Apartment zuknallte, und ein paar Sekunden später erklang das Geräusch eines Schlüssels in ihrem Türschloss. In diesem Moment war Alyssa unendlich dankbar, dass sie sowohl Chris als auch Claire einen Ersatzschlüssel gegeben hatte. „Hilfe!“ stieß sie leise aus, gerade als die Tür aufflog.

„Was in aller …“

Sie hörte, wie sich seine Schritte näherten. Sie konnte sich nicht zu ihm umdrehen, aber das war auch gar nicht nötig. Sie spürte seine Hände an der Taille, und diese Berührung gab ihr ein so beruhigendes Gefühl der Geborgenheit, dass sie fast losgeweint hätte. Chris war gekommen, und jetzt würde alles gut werden.

„Was machst du bloß für Sachen?“

Erst als er den Arm bewegte, merkte sie, dass er kurze Ärmel trug. Durch das Stemmen des Kartons war ihr Pyjama-Oberteil hochgerutscht, sodass seine warme Haut nun ihren nackten Bauch streifte. Einen Moment lang empfand sie die Berührung als wirklich sinnlich. Ihre Brustspitzen richteten sich auf, und ihr stockte der Atem. Verdammt, es muss am Schnaps liegen, beruhigte sie sich. Ganz bestimmt liegt es am Schnaps.

Das hier ist Chris! Mein guter Freund Chris. Nein, ich werde bei ihm niemals schwach werden, dazu bedeutet mir seine Freundschaft zu viel. Eine flüchtige Berührung wird daran nichts ändern!

Aber in diesem Moment sehnte sie sich fast unsagbar nach einem zärtlichen Kuss von ihm.

„Alyssa!“

„Ja? Was ist?“

„Ich habe gefragt, wie schwer der Karton ist.“

„Oh. Nicht sehr schwer.“

„Dann lass ihn los.“

„Auf keinen Fall. Da ist mein gesamter Weihnachtsschmuck drin. Alles zerbrechliches Glas. Das lasse ich nicht kaputtgehen. Wieso, glaubst du, stehe ich sonst hier rum und balanciere das Mordsding über meinem Kopf?“

Der Arm an ihrem Bauch bewegte sich, und Alyssa unterdrückte ein Stöhnen. Alkohol und vertrauliche Berührungen waren eine fatale Mischung.

„Vertraust du mir?“ Seine tiefe, volle Stimme klang verführerisch und warm.

„Ich …“ Sie musste sich räuspern. Es war ihr peinlich, dass ihr das Sprechen so schwer fiel. Der Alkohol und der romantische Zauber machten es ihr wirklich nicht leicht, sich auf ihr Ziel zu konzentrieren – und das hieß Russell Starr! „Doch, ich vertraue dir.“

„Dann lass los.“

Sie atmete tief durch und löste die Hände vom Karton. Im nächsten Augenblick krallte sie sich an der Schranktür fest, während Chris sie losließ und den Karton auffing.

„Ich hab ihn. Und jetzt helfe ich dir.“

Mit einem Blick über die Schulter sah sie, dass der Karton sicher den Boden erreicht hatte, und als sie sich zurück zum Schrank wandte, spürte sie Chris’ Hände erneut an der Taille. „Dreh dich um“, sagte er leise.

„Nein, ich …“

„Dreh dich um.“

Langsam wandte sie sich zu ihm und ließ es zu, dass er sie vom Stuhl hob und langsam an sich hinabgleiten ließ. Es kam ihr wie eine sinnliche Reise vor, und obwohl es bestimmt nur einige Sekunden dauerte, erschien es ihr wie eine kleine Ewigkeit. Sie spürte Chris’ Körper an ihrem. Ihre Brüste streiften seine feste muskulöse Brust, während er sie langsam, ganz langsam hinabließ.

Sobald ihre Füße festen Boden berührten, neigte sie den Kopf zurück, um Chris zu danken, doch als sie seine Lippen so dicht vor sich sah, mit den leicht belustigt noch oben gezogenen Mundwinkeln, wurde ihr klar, dass sie sich nichts so sehr wünschte, wie diese Lippen zu schmecken.

Der Wunsch war stärker als der Drang zu atmen. Und obwohl der Verstand ihr sagte, dass sie gerade einen gewaltigen Fehler beging, stellte Alyssa sich in Chris’ Umarmung auf die Zehen und drückte ihre Lippen auf seinen Mund.

Endlich fing sie damit an, sich das zu nehmen, was sie sich ersehnte!

4. KAPITEL

Es dauerte ungefähr zwei Sekunden, bis Chris sich vergewissert hatte, dass er noch am Leben war, obwohl er ganz offenbar direkt im Himmel gelandet war. Im nächsten Moment wurde ihm bewusst, dass Alyssa, seine Alyssa, ihre Lippen auf seinen Mund presste und die Arme um seinen Nacken verschränkte.

Chris war ganz bestimmt kein Idiot, und so öffnete er den Mund und ließ Alyssa gewähren. Als sie mit der Zunge verlangend in seinen Mund eindrang, konnte er nur mühsam ein Aufstöhnen unterdrücken.

Alyssas Zunge schmeckte nach Kakao und Pfefferminz, und obwohl er keine Ahnung hatte, was in sie gefahren war, sah er in diesem Kuss seine Chance.

Er erwiderte ihren Kuss voller Leidenschaft. Fordernd umspielte er ihre Zunge mit seiner, saugte verlangend und biss ihr spielerisch in die Unterlippe, während er ihr mit beiden Händen unablässig über den Rücken strich. Begehrlich zog er sie näher an sich, jede Berührung durchschoss ihn wie ein Blitzstrahl.

Alyssa trug nur ein dünnes Pyjama-Oberteil. Ihr Körper drängte sich seinem entgegen, und Chris spürte deutlich ihre erregten Brustspitzen. Alles in ihm sehnte sich danach, sie zu berühren und jeden Zentimeter ihres Körpers zu erkunden, doch das tat er nicht, aus Angst, schon die kleinste falsche Berührung könne sie dazu bringen, sich von ihm abzuwenden.

Trotzdem war er fast bereit, das Risiko einzugehen. Max-Dalton hätte es bestimmt nicht dabei belassen, Alyssa über den Rücken zu streicheln. Er hätte an ihrem Körper hinaufgestrichen und mit den Daumen sachte die Unterseiten ihrer Brüste berührt. Er hätte die Hände bewegt, bis er mit den Daumen Alyssas Brustspitzen berührt hätte. Er hätte ihren Mund noch inniger erkundet und gleichzeitig die Hände zum Gummisaum ihrer dünnen Pyjamahose sinken lassen.

Er hätte jedes kleine Zögern gespürt, doch Alyssa würde ihm signalisieren, dass er weitermachen sollte, und allein diese Tatsache hätte ihn mehr erregt als alles, was er je mit einer Frau erlebt hatte.

Seine Männlichkeit wäre fast schmerzhaft spürbar, und wenn er zwischen ihre Beine strich und dort die Feuchte ihrer Erregung spürte, würde er aufstöhnen. Dann würde er sie dort reizen und streicheln, bis sie in seinen Armen erzitterte, den Rücken durchdrückte und nur das eine Wort flüsterte: Ja.

Nein.

Die Wirklichkeit holte Chris ein. „Was?“ Benommen sah er Alyssa an.

„Nein“, wiederholte sie, „es tut mir leid.“ Sie trat einen Schritt zurück.

Wie schaffte sie das, gleichzeitig so erregt und verlegen auszusehen?

„Es tut mir wirklich leid“, wiederholte sie. „Das … ich hätte nie … es tut mir leid.“

„Schon gut.“ Das war gelogen. Sein Körper brannte vor Lust, und er wollte nichts mehr, als Alyssa wieder an sich zu ziehen. Er wollte beenden, was sie begonnen hatten.

Aber hatten sie denn tatsächlich irgendetwas begonnen? Nur in seiner Fantasie hatte Alyssa sich ihm rückhaltlos hingegeben. Im Moment stand sie vor ihm und schien schon den einen Kuss zu bereuen, den sie ihm gegeben hatte.

Sehr schade, dachte Chris. Wirklich sehr, sehr schade.

„Es tut mir leid“, wiederholte sie. Vielleicht, dachte Alyssa, muss ich es nur oft genug sagen, um selbst daran zu glauben.

Sie war unglaublich erregt, und das war alles andere als gut.

Sie wandte sich ab und strich sich übers Gesicht. „Ich meine, das war wirklich unangemessen, stimmt’s?“ Sie hatte Chris geküsst!

Es war ein Wahnsinnskuss gewesen. Zärtlich, aber verlangend, süß, aber doch glutvoll. Ein solcher Kuss elektrisierte sie nicht nur, sondern ließ sie gleichzeitig an Romantik und Händchenhalten denken.

Was hatte sie sich nur dabei gedacht! Chris hatte ihr nie auch nur mit der kleinsten Geste zu verstehen gegeben, dass er irgendwie an ihr interessiert wäre.

Zumindest nicht bis vor fünf Minuten.

Und doch hatte er den Kuss voller Leidenschaft erwidert. Er hatte sie gestreichelt, und als er sich an sie gepresst hatte, hatte sie seine Erregung gespürt.

Entweder war er ein hervorragender Schauspieler, oder er hatte tatsächlich ein viel größeres Interesse an ihr, als sie bisher geglaubt hatte.

Alyssa versuchte sich einzureden, dass sie diesen Kuss auf keinen Fall wiederholen wollte, doch gleichzeitig sagte ihr Körper, dass sie sich damit selbst belog. Ihr Slip war feucht, und all ihre Sinne schienen plötzlich geschärft. Bei jedem Atemzug rieb der Stoff ihres Pyjamas über ihre erregten Brustspitzen.

Nein, das war alles überhaupt nicht gut.

Da sie jetzt keine Unterhaltung darüber führen wollte, was für ein Fehler der Kuss gewesen war, während ihr Körper sich noch immer nach mehr sehnte, lief sie ins Bad und zog sich ihren Morgenmantel über, bevor sie zu Chris zurückkehrte. „Ich … ich habe Schnaps getrunken.“ Sie hoffte, ganz ruhig und sachlich zu wirken.

„Ah.“ Es klang, als sei damit alles erklärt.

„Vorhin war Claire hier, wir haben getrunken und über Sex gesprochen und …“ Sie verstummte einen Moment, weil sie die Situation mit ihrem Geplapper sicher nicht entschärfte. „Jedenfalls habe ich mich danebenbenommen, und es tut mir wirklich leid. Es ist mir sehr peinlich und …“

„Alyssa.“ Er lächelte. „Es ist okay. Ich hab’s verstanden.“

Erleichtert ließ sie die Schultern sinken. „Wirklich? Es ist … nur der Schnaps gewesen, und …“

„Im Ernst, ich hab’s begriffen.“

„Richtig, das sagtest du.“ Bestimmt ist ihm das Ganze genauso peinlich wie mir, dachte sie. Er ist ein Mann, da ist es ganz natürlich, wenn sein Körper auf so einen Kuss mit Erregung reagiert. Wahrscheinlich ist er froh, wenn wir diesen Vorfall so schnell wie möglich vergessen können.

Er deutete auf den Schrank im Flur. „Was genau hattest du denn vor?“ Bevor sie antworten konnte, verschwand er in ihrer Küche.

Sie hörte Wasser laufen, und als sie ihm folgte, sah sie, dass er sich Wasser ins Gesicht gespritzt hatte und sich abtrocknete. „In der Thermoskanne ist noch heißer Kakao.“ Sehnlichst wünschte sie sich, dass die Verlegenheit verschwand, damit sie wieder so ungezwungen miteinander umgehen konnten wie früher.

„Klingt gut.“ Chris kannte sich in Alyssas Küche bestens aus. Also nahm er sich einen Becher und mixte sich Kakao mit Pfefferminzschnaps. „Was ist mit dir? Möchtest du auch einen?“

„Ich weiß nicht. Alkohol ist für mich ganz offenbar gefährlich.“

Genau wie sie gehofft hatte, fing er an zu lachen. Doch in seinem Blick lag noch immer dieser verlangende Ausdruck, als er sagte: „Ich bin noch nie vor einer Gefahr davongelaufen.“

„Chris …“

Er hob die Hände. „Nur ein Scherz.“

„Entschuldige, ich bin etwas angespannt.“ Sie strich sich durchs Haar. Es ist nur Chris, sagte sie sich. Er ist ein guter Freund, ich brauche bei ihm nicht verlegen zu sein. „Das liegt wohl an der Jahreszeit.“ Prüfend sah sie ihn an. „Wieso bist du eigentlich so spät noch hier? Es ist Samstag, da solltest du doch ein heißes Date haben, genau wie der Rest der Menschheit, mal abgesehen von mir.“

„Ich habe gearbeitet.“

„Schreibst du an einem Artikel? Letzten Monat hast du erwähnt, dass dir im neuen Jahr das Geld für die Miete ausgehen wird, und …“

„Alles bestens. Ja, ich habe einen neuen Auftrag, aber im Moment schreibe ich am nächsten Max-Dalton-Roman.“

„Oh.“

Chris lachte. „Sag mir ganz offen, was du denkst.“

Sie spürte, dass sie rot wurde. „Ich liebe dein Buch, das weißt du. Aber wäre es nicht sinnvoll, ein paar Artikel mehr zu schreiben, um erst mal dein Konto zu füllen?“

„Deine Sorge um mein finanzielles Auskommen ist wirklich rührend.“ Sein Lächeln wirkte nachsichtig. „Aber wenn ich die ganze Zeit nur arbeiten würde, wann hätte ich da noch Zeit für ein bisschen Spaß?“

Sie verdrehte die Augen. „Du hast nie Spaß. Entweder schreibst du, um Geld zu verdienen, oder du schreibst für dich. Ich finde wirklich, du solltest …“

„Mehr für Geld schreiben, ich weiß.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe, dass ich das gerade tue. Meine Agentin macht mir große Hoffnungen.“

„Ja? Das ist toll, aber …“ Sie atmete tief durch und hob die Hände. „Schluss jetzt, sonst sagst du mir noch, ich würde wie deine Mutter klingen. Also lassen wir das Thema. Nur eines noch: Was ist mit deiner Altersvorsorge?“

Er nickte. „Alles geklärt, keine Bange.“

Sie war zwar fest davon überzeugt, dass das nicht stimmte, doch sie wollte ihn nicht weiter bedrängen. Im Grunde war sie von seiner Arbeitshaltung fasziniert. Sie beschloss, sich an seinem Ehrgeiz ein Beispiel zu nehmen und ihr Ziel genauso hartnäckig zu verfolgen wie er seines. Ja, sie würde mit aller Kraft versuchen, Starr Industries als Klienten zu bekommen.

Lächelnd prostete sie Chris mit ihrem Kakaobecher zu. „Auf dich.“

Fragend hob er die Augenbrauen. „Was? Einfach so? Ohne Blick auf mein Sparkonto?“ Belustigt kam er näher. „Ich bin ganz dein. Frag mich, was immer du willst.“

Er ist ganz mein? Sie schluckte. Bildete sie sich das ein, oder klang sein Tonfall verführerisch? Bestimmt meinte er das nur scherzhaft.

Nervös wandte sie sich ab und konzentrierte sich darauf, einen kleinen Glasanhänger aus dem Karton mit dem Weihnachtsschmuck zu nehmen, bevor sie Chris wieder ansah. „Meine Großmutter hat diese Figur zum ersten Weihnachtsfest meiner Mom gekauft. Sie hat die Figuren ein Leben lang gesammelt.“

„Ich weiß. Du hast mir mal erzählt, dass ihre erste Figur ein kleiner gläserner Weihnachtsbaum war.“

„Stimmt.“ Sie nickte. „Erstaunlich, dass du dich daran erinnern kannst.“

„Tja.“ Er wich ihrem Blick aus. „Ich sollte jetzt gehen. Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, du könntest mir bei meinem Vorhaben, mir das erste Honorar des nächsten Jahres zu erarbeiten, behilflich sein.“

„Wie das denn?“

Er lächelte. „Indem du meinen Briefkasten leerst. Ich sagte doch, dass ich einen Auftrag für einen Artikel habe. Morgen geht’s los. Kannst du auch Horatio und Charles füttern?“ Die beiden Goldfische hatte er sich in der Woche gekauft, in der Alyssa in ihr Apartment gezogen war. Die beiden Fische hatten damals zusammen 49 Cent gekostet und ihr Leben bei Chris in einem Weinglas begonnen. Weder er noch Alyssa hatten damit gerechnet, dass die beiden überlebten, aber sie hatten es geschafft, und immer wenn Chris sie in ein größeres Goldfischglas setzte, wuchsen sie noch ein Stück. Alyssa war fest davon überzeugt, dass die beiden Fische eines Tages ein eigenes Apartment brauchten.

„Kein Problem.“ Behutsam hob sie einen gläsernen Weihnachtsmann aus der Schachtel. „Schreibst du wieder für das Reisemagazin über irgendeinen exotischen Urlaubsort?“

„Ehrlich gesagt, ja.“

Stirnrunzelnd sah sie ihn an. „Aber die Dezemberausgabe ist bereits erschienen.“

„Es geht um eine neue Hotelanlage. Ich schreibe über das Hotel, die verschiedenen Angebote und die Umgebung. Da die Eröffnung während der Feiertage stattfindet, haben sie mich gebeten, darüber einen Artikel für die Website zu verfassen und einen täglichen Beitrag für den Blog.“

„Wirklich? Das muss ich lesen. Darf ich meine Kommentare auch online stellen?“

„Selbstverständlich.“ Er erwiderte ihr Lächeln.

„Musst du ins Ausland?“ Obwohl Alyssa das Fliegen hasste, machte es sie immer neidisch, wenn er Städte wie Tokio oder Paris bereiste, während sie nie weiter kam als bis nach Texarkana und Brownsville.

„Nein, ganz so weit ist es zum Glück nicht, aber es bedrückt mich, an Weihnachten nicht zu Hause zu sein.“

„Du bist nicht hier?“ Erst jetzt wurde ihr klar, wie fest sie damit gerechnet hatte, die Weihnachtstage mit ihm zu verbringen. „Ich wollte uns etwas kochen und so, zumal ich dieses Jahr nicht nach Austin zu meinen Eltern fahre.“

Ihre Mom und ihr Dad reisten zu Verwandten nach Kansas, und im Grunde hatte Alyssa sich darauf gefreut, zum ersten Mal an Weihnachten zu Hause zu bleiben. Aber dabei war sie davon ausgegangen, mit Claire und Chris zu feiern.

„Tut mir leid, ich komme nicht vor Samstag zurück. Ich werde dich auch vermissen. Auf angekohlte Pute mit eingetrockneter Soße hatte ich mich schon gefreut.“

Sie bewarf ihn mit Packpapier. „Ehrlich? Wolltest du selbst kochen? Oder wagst du es etwa, meine Kochkünste zu beleidigen?“

„Das käme mir nie in den Sinn.“ Er räusperte sich. „Oh, ehe ich’s vergesse: Da ich an Weihnachten nicht hier bin, könntest du dein Geschenk eigentlich jetzt schon aufmachen. Wenn du willst.“

„Du schenkst mir etwas?“ Schlagartig fühlte sie sich federleicht. „Ich habe für dich aber noch nichts besorgt.“ Seit drei Wochen suchte sie jetzt schon ein Geschenk für Chris, aber bislang hatte sie noch nichts entdeckt, was für ihn geeignet schien.

„Du brauchst mir nichts zu schenken.“ Er holte eine kleine Schachtel, die er auf dem Tisch im Flur abgelegt hatte, und ging zum Sofa, wo Alyssa sich neben ihn setzte.

„Es ist nur eine Kleinigkeit.“ Er legte ihr die hübsch verpackte Schachtel in die Hände. „Als ich es gesehen habe, dachte ich sofort an die Sammlung deiner Großmutter und … tja …“

Als er verstummte, sah sie ihm glücklich in die Augen. „Das ist süß von dir. Vielen Dank. Ehrlich.“ Sie riss das Papier ab und entdeckte darunter eine weiße Schachtel. Als sie sie öffnete, fand sie darin einen Weihnachtsbaum aus grünem Glas mit einem goldenen Stern auf der Spitze. Unwillkürlich hielt sie den Atem an, als sie die Glasfigur heraushob und an der kleinen Goldkordel an einem Finger baumeln ließ. „Das ist wunderschön, Chris!“ Der Baum war ganz offensichtlich von Hand gefertigt, und jeder einzelne Zweig war ein bisschen anders gearbeitet als die anderen.

„Ich habe ihn auf einem Basar in Austin entdeckt.“

Ohne darüber nachzudenken, beugte sie sich zu ihm und zog ihn in die Arme. Zärtlich küsste sie ihn auf die Wange. „Ich freue mich riesig.“ Zu spät bemerkte sie, dass Chris sich in ihrer Umarmung anspannte, und hastig zog sie sich wieder zurück.

Jetzt hatte sie innerhalb eines Abends schon zwei Annäherungsversuche bei einem Mann gestartet, der nicht im Mindesten an ihr interessiert war. „Ganz im Ernst, er ist wunderschön.“

„Das freut mich.“ Er zog ein Kissen auf seinen Schoß und trommelte darauf herum, als sei ihm gerade klar geworden, dass er schleunigst von hier fortmusste.

Alyssa ärgerte sich schrecklich über sich selbst. Nie wieder, schwor sie sich, nie wieder werde ich diesen Pfefferminzschnaps trinken. „Wenn … wenn du gehen musst … also, ich schätze, du musst noch packen und so.“

„Nein“, erwiderte er sofort. „Alles bestens.“

Sie räusperte sich, stand auf und hängte sein Geschenk an ihren Weihnachtsbaum. „Sieht toll aus, findest du nicht?“

„Auf jeden Fall.“

Sie wandte sich zu ihm um, doch er musterte nicht den Baum, sondern sie. Seine Musterung machte sie verlegen, und sie wandte sich wieder dem Baum zu. „Und wohin verreist du? Gibt’s dort Schnee? Ist es weihnachtlich?“

Er legte das Kissen weg und griff wieder nach seinem Becher. „Es ist ein Hotel, das in der Nähe von Santa Fe neu eröffnet wird. Ziemlich luxuriöser Schuppen. Wenn ich nicht meinen zweiten Max-Dalton-Roman zu Ende schreiben und den Entwurf für einen dritten anfertigen müsste, während ich obendrein den Artikel schreibe, könnte es fast so etwas wie ein Kurzurlaub werden.“

„Du wirst mit deinem zweiten Roman fertig?“ Sie sah sich zu ihm um und bemerkte sein zufriedenes Lächeln.

„Lil hat vor einer Stunde angerufen. Sie sieht eine gute Chance, dass sie einen Verlag für die Romanserie gefunden hat.“

Alyssa jauchzte vor Freude auf und musste sich beherrschen, um Chris nicht schon wieder um den Hals zu fallen. Gleichzeitig bedrückte es sie, dass sie sich ihm gegenüber auf einmal so gehemmt verhielt. „Das ist toll.“ Es war eine maßlose Untertreibung.

„Ich will mir noch nicht zu viel erhoffen, solange nicht alles unter Dach und Fach ist.“

„Es klappt bestimmt. Das Buch ist fantastisch.“ Sein erstes Buch hatte ihr sehr gefallen. Der Held war einfallsreich, sexy und gefährlich. In Max-Dalton hatte sie einiges von Chris wiedererkannt, und es hatte ihr Spaß gemacht, sich auszumalen, wie ihr unbekümmerter Freund über einen harten, düsteren Spion schrieb.

„Die Atmosphäre wird auf jeden Fall stimmig sein“, versicherte er ihr. „In dem Hotel findet eine Gala statt, und …“

„Moment mal.“ Sie presste sich die Fingerspitzen an den Hals, wo ihr Puls schneller schlug. Auf einmal fügte sich alles, was Chris ihr über dieses Hotel erzählt hatte, zu einem Bild zusammen.

„Chris.“ Sie sprach jetzt langsam und ernst. „Wirst du an der Starr-Gala in Santa Fe teilnehmen?“

Überrascht sah er auf und nickte. „Ja, genau.“

„Kann ich mitkommen?“ Sie hatte es ausgesprochen, bevor sie es verhindern konnte. Zutiefst beschämt sah sie ihn an. Sie hatte gerade versucht, sich selbst auf seine Geschäftsreise einzuladen, nachdem sie ihn zuvor zweimal geküsst hatte. Dabei wollte sie doch eigentlich einen ganz anderen verführen!

Es spielte keine Rolle, dass Chris ein guter Freund war. Es gehörte sich einfach nicht, einen Mann auszunutzen, um einen anderen für sich zu gewinnen.

Chris stand auf und ging in Richtung Küche. „Wieso willst du mit nach Santa Fe?“

Sie sah ihm nach und hörte, wie er in ihrem Kühlschrank herumkramte. Gleich würde er mit einer Diät-Cola und Käsesticks zurückkommen, darauf hätte sie ein Monatsgehalt verwettet. „Ich werde arbeiten.“ Sie schluckte. „Bring mir auch was mit, ja? Von beidem.“

Er kam mit zwei Colas und Käsesticks wieder. „Wolltest du über Weihnachten nicht Urlaub nehmen?“

„Den würde ich hier allein verbringen“, erwiderte sie. „In Santa Fe hätte ich zumindest Gesellschaft. Du bleibst bis nach Weihnachten dort, richtig?“ Weihnachten war am kommenden Donnerstag. Hatte er nicht gesagt, er bleibe bis Samstag?

„Wieso willst du während deines Urlaubs unbedingt arbeiten?“

Sie stieß die Luft aus und ließ sich ins Sofa zurückfallen. „Ich bin allmählich verzweifelt“, gab sie widerwillig zu. Chris kannte sie gut genug, um zu wissen, wie wichtig ihr die Teilhaberschaft in der Kanzlei war. „Ich muss noch einen Klienten für die Kanzlei gewinnen, wenn ich mir Chancen auf die Teilhaberschaft ausrechnen will.“

„Und du glaubst, du kannst Russell Starr als Klienten gewinnen?“

„Ja.“ Auf den Kuss mit Russell ging sie jetzt lieber nicht ein. „Ich bin nicht gerade begeistert, während meiner Ferien arbeiten zu müssen, aber die Vorstellung, nicht zum Teilhaber ernannt zu werden, ist auch nicht erfreulich.“

„Aber das Hotel ist ausgebucht.“

„Stimmt.“

„Ich würde dir also einen Gefallen tun.“

„Einen riesigen.“ Alyssa ahnte, auf was für ein Risiko sie sich einließ. Sie hatte Chris geküsst, und es hatte sich großartig angefühlt. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war ein gemeinsames Zimmer mit ihm. Schwer genug, sich immer wieder zu sagen, dass er nur ein guter Freund war. Wenn dieser gute Freund im selben Zimmer in der anderen Hälfte des Doppelbetts lag, würde das noch viel schwerer werden. Doch er war ihre einzige Chance auf Santa Fe, und sie brauchte Santa Fe. Sie brauchte Russell. „Chris?“

Er trank einen großen Schluck. „Ich wohne in einer Suite und habe für die Gala ein zweites Ticket.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wir … werden bestimmt Spaß haben.“

Wie hatte sie auch nur den Bruchteil einer Sekunde zögern können, Chris zu fragen? Das klang ja alles zu perfekt!

Abgesehen vom Spaß. Dieser Teil war überhaupt nicht perfekt. Ohne nachzudenken band sie sich den Morgenmantel enger und steckte die Hände in die Taschen. „Du sagtest, du wohnst in einer Suite? Wir hätten also separate Zimmer?“

„Das verstehe ich unter einer Suite.“

Richtig. Damit war dieser Punkt also geklärt. Es würde keine peinlichen Momente geben. Chris war in gewisser Weise immer noch ihr Nachbar.

„Aber du musst doch arbeiten. Werde ich dich nicht ablenken?“

„Ach, mach dir darüber keine Sorgen. Du lenkst mich nicht ab. Kein bisschen.“

5. KAPITEL

Chris stopfte Socken in seine ohnehin schon übervolle Reisetasche und fragte sich, wie er sich gestern bloß darauf hatte einlassen können. Er hatte einfach nicht nachgedacht, sondern war lediglich seinem Trieb gefolgt. Verdammt, dieser Trieb hatte sich in dem Moment bemerkbar gemacht, als Alyssa ihn geküsst hatte. Und seitdem sehnte er sich nach einer Wiederholung.

Wie immer, wenn er auf seine Lust hörte und nicht auf seinen Verstand, hatte er eine schlechte Entscheidung getroffen. Eine sehr schlechte.

Allerdings bereute er das nicht im Mindesten.

Bestimmt würde er es jedoch bereuen, wenn er erst im Hotelzimmer vor seinem Laptop saß und sich zu konzentrieren versuchte, während Alyssa in der Nähe war.

Sie würde ihn unglaublich ablenken.

Noch immer konnte er sich genau daran erinnern, wie es sich angefühlt hatte, ihre nackte Haut zu berühren. Alyssa hatte sich unter seiner Berührung angespannt, sich an ihn geschmiegt und verlangend den Mund auf seinen gepresst. Es hatte sich perfekt angefühlt.

Wie sollte er sie jetzt eine ganze Woche lang um sich haben, ohne vor Lust verrückt zu werden? Zum Schreiben würde er in ihrer Nähe sicher nicht kommen. Vielleicht konnte er sich mit dem Laptop in eine Bar zurückziehen. Hatte nicht Hemingway immer mit einem Drink in der Hand geschrieben? Vielleicht bekamen Max-Daltons Abenteuer dadurch noch einen zusätzlichen Kick.

„Das ist ein großer Fehler“, sagte er leise zu sich selbst, während er die Reisetasche zuzog. „Ein gigantischer, weltmeisterlich riesiger Fehler.“

„Vorsicht“, sagte eine tiefe Stimme hinter ihm, „wer zu oft mit sich selbst spricht, fängt irgendwann an, sich selbst zu antworten.“

Chris fuhr herum. „Verdammt, David. Ich schwöre, du bekommst noch mal eine Kuhglocke von mir. Hast du’s nicht nötig, anzuklopfen, bevor du irgendwo reinplatzt?“

„Ich habe geklopft.“ Chris’ jüngerer Bruder grinste. „Aber du hast offenbar so laut mit dir selbst diskutiert, dass du davon nichts mitbekommen hast. Schreibst du im Kopf ein neues Buch zusammen?“

„Ich wünschte, es wäre so.“ Chris atmete tief aus.

Fragend sah David ihn an, während er sich einen Stuhl heranzog und sich rittlings darauf setzte. „Was ist passiert? Hat dir einer das Spielzeug aus dem Happy Meal geklaut?“

„Eigentlich will ich lieber nicht darüber reden. Wir müssen bald zum Flughafen.“ Er runzelte die Stirn. „Du bist doch nicht etwa mit dem Mini gekommen? Wir nehmen nämlich Alyssa mit, und …“

„Aha.“

Mehr als das eine Wort sagte David nicht, aber das reichte. Chris sank auf die Bettkante und sah seinen Bruder an, der ihn abwartend musterte. „Eine Woche zusammen in einer Hotelsuite. Ich bin am Ende, das weiß ich genau.“

Davids Grinsen verstärkte sich. „Das hoffe ich doch stark. Du bist schon seit zwei Jahren scharf auf sie.“

Sofort warf Chris einen Blick zur Tür, weil er fürchtete, David könne sie offen gelassen haben und Alyssa könnte sie belauschen. Doch die Tür war zu. Erleichtert seufzte er auf.

„Sehr interessant.“ David nickte. „Du leugnest es nicht mal.“

„Irgendwann muss man sich die Wahrheit eingestehen.“ Chris erwiderte Davids Blick. „Ich bin am Ende, richtig?“

„Absolut richtig.“ David lachte auf. „Aber wieso genau jetzt?“

„Weil ich ihr, wann immer ich sie sehe, die Kleider vom Leib reißen will. Und jetzt lasse ich mich darauf ein, mit ihr in einer Suite zu wohnen. Wahrscheinlich wird sie die ganze Zeit im Pyjama oder in engen Tops herumlaufen, und ich verbringe die Woche voller Qualen.“ Er strich sich durchs Haar. „Aber nach dem, was gestern Abend passiert ist, könnte es auch gut sein, dass sie ihren dicken Parka die ganze Woche über nicht auszieht.“

„Das klingt ja spannend. Spuck’s aus.“

„Es war nur ein Kuss.“ Chris seufzte. „Aber was für einer.“

David runzelte die Stirn. „Moment mal! Ihr zwei habt euch geküsst, und jetzt fürchtest du, sie zieht den Parka nicht aus, wenn ihr in derselben Suite wohnt? Hab ich da was verpasst?“

„Nicht du, sondern ich hab was verpasst. Nämlich die Chance, vom Freundschafts- auf den Loverzug aufzuspringen. Du hättest mal ihr bedauerndes Gesicht sehen sollen, als sie den Kuss beendet hat.“

„Wer hat den ersten Schritt gemacht?“

Autor

Julie Kenner

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