Verkauft an den Highlander

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"Mein Bruder hat mich beim Kartenspiel verloren?” Sybil kann nicht fassen, was der fremde Highlander ihr verkündet. Um Wettschulden zu begleichen, hat ihr Bruder sie ohne ihr Wissen mit Rory MacKenzie verheiratet. Glück im Unglück: Gerade jetzt braucht Sybil einen starken Krieger, der ihr bei der Flucht aus der Burg hilft, wo man ihr nach dem Leben trachtet. Aber auch in den Highlands lauern zahlreiche Gefahren - nicht nur für ihr Leben, sondern auch für ihr Herz!


  • Erscheinungstag 08.03.2019
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783733758639
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Edinburgh, Schottland,

Dezember 1513

Rory MacKenzie wischte sich das eisige Regenwasser aus dem Gesicht und hinkte zur nächsten Taverne. In seinem verletzten Bein pochte es schmerzhaft, er hatte einen leeren Magen und kein Geld, doch das waren nicht seine schlimmsten Probleme.

Er trat durch die niedrige Tür, wartete, bis seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, dann ließ er den Blick durch die Schankstube schweifen. Verdammt. Nur die Wirtin und ein paar alte Männer – Stammgäste, wie er vermutete. Rory zog den Kopf ein, damit er ihn sich nicht an den rußgeschwärzten Balken der Decke stieß, und durchquerte den Raum. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit wählte er eine leere Bank an der hinteren Wand, von der aus er die Tür im Blick hatte. Als er sich vorsichtig setzte, wühlte der Schmerz in seinem Bein wie eine Klinge. Rory biss die Zähne zusammen und atmete ein paarmal tief durch.

Bei den alten Männern handelte es sich um ortsansässige Kaufleute, ihren runden Bäuchen und der in den Lowlands üblichen Kleidung nach zu urteilen. „Einen guten Abend Euch allen“, rief er ihnen auf Schottisch zu. „Ich gehöre zum Clan der MacKenzies und hoffe, einen von meinen Leuten in der Stadt anzutreffen.“

„Von den MacKenzies hat sich in der letzten Zeit niemand hier blicken lassen“, antwortete einer der Kaufleute schulterzuckend. Die anderen nickten zustimmend.

Rory hätte wetten können, dass keiner von ihnen in der Lage war, einen MacKenzie von anderen Highlandern zu unterscheiden. Gefragt hatte er ohnehin nur, weil seine eigene Suche bisher ergebnislos verlaufen war. Selbst in den Tavernen, in denen sich die Mitglieder seines Clans zu treffen pflegten, wie er aus der Zeit, da er in der Stadt gelebt hatte, noch sehr gut wusste, war er erfolglos gewesen.

Was zum Teufel sollte er jetzt machen? Er hatte einen tagelangen Fußmarsch hinter sich. Er musste nach Hause, nach Kintail. Sein Bruder brauchte ihn.

„Ihr seht aus, als wäre das Leben nicht eben sanft mit Euch umgesprungen, mein Junge.“ Der Mann, der ihm geantwortet hatte, musterte ihn mitfühlend.

„Ich war in englischer Gefangenschaft“, erwiderte Rory kurz angebunden, gleichzeitig stiegen Bilder der blutigen Schlacht bei Flodden vor seinem inneren Auge auf. Die Engländer hatten ein paar hochwohlgeborene Gefangene behalten, um Lösegeld zu erpressen, und den Rest umgebracht. „Ich konnte ihnen vor ein paar Tagen entkommen.“

Rory war nicht so dumm gewesen, darauf zu warten, dass sein Onkel für seine Freilassung zahlte.

„Entkommen?“ Einer der alten Männer stieß einen leisen Pfiff aus. „Erzählt uns davon. Ich spendiere Euch einen Krug Ale.“

Von diesem Moment an war Rory die volle Aufmerksamkeit sämtlicher Anwesender sicher. Selbst die Wirtin, eine Frau von eindrucksvoller Körpergröße, deren fettige Haarsträhnen unter ihrer schmuddeligen Haube hervorlugten, wandte sich neugierig zu ihm um.

„Wenn Ihr Euch dazu durchringen könnt, auch noch einen Teller Eintopf springen zu lassen“, Rory grinste verwegen, „bekommt Ihr eine Geschichte zu hören, bei der Euch die Augen übergehen werden vor Staunen.“

„Mir reicht dafür schon sein Anblick“, meinte die Wirtin an ihre Stammgäste gewandt. Sie zwinkerte Rory zu und stupste ihn schäkernd an, als sie sein Bier und sein Essen vor ihn hingestellt hatte. „Mir gefallen junge Männer.“

Rory machte sich nicht die Mühe, seine Geschichte auszuschmücken, wie man es zu Hause von ihm erwartet hätte. Die alten Kaufleute hatten nie an einem Gefecht teilgenommen und lauschten ihm mit großen Augen. Sie zuckten zusammen und verzogen schmerzvoll das Gesicht, als er die Anzahl der Peitschenhiebe erwähnte, die man ihm verabreicht hatte, als sein erster Fluchtversuch gescheitert war. Die Strafe selbst hatte ihm nicht sonderlich viel ausgemacht, aber die verdammten Engländer hatten ihm auch sein Pferd und sämtliche Waffen abgenommen – sein Zweihandschwert, die Streitaxt und mehrere Langdolche.

„Ich brauche ein Pferd und ein Schwert, wenn ich nach Hause gelangen will“, schloss er seine Erzählung. Die Entfernung zu Fuß zurückzulegen würde ihn zu viel Zeit kosten, und nur ein Narr hätte die Vermessenheit besessen, in die Highlands zu reisen, ohne eine Waffe mit sich zu führen, vorzugsweise mehrere.

„Die kriegt Ihr aber weder mit einer guten Geschichte noch mit Eurem guten Aussehen“, gab einer der alten Männer feixend zurück, und die anderen lachten schallend.

Rory hatte erwogen, ein Pferd zu stehlen, aber nach der schrecklichen Niederlage bei Flodden herrschte eine gespannte Atmosphäre in der Stadt. Man fürchtete einen Angriff der Engländer, und überall waren bewaffnete Reiter zu sehen. Er durfte nicht riskieren, erwischt und unter Arrest gestellt zu werden.

„Ich bin ein geschickter Kartenspieler.“ Er hatte kaum etwas anderes getan in der Geiselhaft. „Wisst Ihr von einer Möglichkeit, bei der ich die Summe gewinnen kann, die ich brauche?“

Ein kahlköpfiger Mann mit gerötetem Gesicht erhob die Stimme: „Ihr meint, genug Geld, um ein Pferd und ein Schwert zu kaufen?“

Die anderen lachten wieder laut, nur der Mann, der ihn zuerst angesprochen hatte, nicht. „Mattie“, wandte er sich stirnrunzelnd an die Wirtin. „Treffen sich diese fein gekleideten Adligen nicht heute Abend wieder zu einem ihrer Spiele in deinem Hinterzimmer?“

„Werdet Ihr wohl still sein!“ Spielerisch klatschte die Wirtin dem Gast mit einem nassen Lappen auf den Arm. „Sie lassen ein ordentliches Sümmchen dafür springen, dass ich ihnen Ungestörtheit garantiere und ein paar saubere Mädchen schicke. Sie halten gar nichts davon, sich mit uns Leuten aus dem gemeinen Volk abzugeben.“

„Ich bin der Sohn eines Stammesfürsten aus den Highlands“, meldete Rory sich rasch zu Wort, „und damit nicht schlechter als einer von diesen Flachlandadligen.“ Besser als sie, um genau zu sein. Als die Wirtin zögerte, breitete er die Arme aus und schenkte ihr sein schönstes Lächeln. „Nun komm schon, Mattie, hilf einem armen Kerl.“

„Welche Frau könnte diesem hübschen Gesicht widerstehen?“ Die Wirtin schüttelte den Kopf. „Also gut, ich bringe dich zu ihnen, du gut aussehender Satansbraten.“

Hübsches Gesicht? Sieh an. Nun brauchte er nur noch etwas Kapital, um sich an dem Spiel zu beteiligen. „Wenn einer von Euch mir eine Silbermünze borgt, zahle ich ihm das Doppelte zurück.“

Bei seinem Angebot brachen die alten Männer erneut in Gelächter aus. Rory sank der Mut. Er durfte seinen Bruder Brian nicht so lange allein lassen. Als er dem Aufruf des Königs gefolgt und in den Kampf gezogen war, hatte Rory nicht ahnen können, dass er noch zwei Monate nach der Schlacht von den Engländern gefangen gehalten werden würde.

Er rief sich ins Gedächtnis, dass sein Halbbruder sechzehn war, beinahe genauso alt wie er selbst, und allemal in der Lage, auf sich achtzugeben. Doch obwohl Rory ein halbes Jahr jünger war als Brian, hatte er sich immer wie der Ältere gefühlt. Brian war zu gutherzig. Er sah die Menschen nicht, wie sie wirklich waren, sondern wie er sie sehen wollte. Was schlimm ausgehen konnte für einen Mann, der in Kürze die Pflichten eines Stammesfürsten übernehmen sollte.

Wieder erwog Rory, ein Pferd zu stehlen, doch plötzlich ließ sich die Wirtin auf den Stuhl an seinem Tisch plumpsen und schlang ihm ihren bulligen Arm um den Nacken.

„Ich kann dir ein bisschen Geld fürs Glücksspiel borgen“, murmelte sie vertraulich und blies ihm ihren fauligen Atem ins Gesicht. Mit der freien Hand griff sie in ihr Mieder, holte eine Silbermünze zwischen ihren üppigen Brüsten hervor und hielt sie ihm hin.

„Ist das die Münze, die ich dir gegeben habe, Mattie?“, fragte der rotgesichtige Mann vorwurfsvoll.

Die Wirtin drehte sich zu ihren Stammgästen um und zwinkerte verschwörerisch. „Ihr könnt mir glauben, Jungs, ich habe sie mir redlich verdient.“

„Du wirst es nicht bereuen.“ Rory wollte nach der Münze greifen, doch Mattie zog die Hand zurück.

„Wenn du dein Versprechen nicht halten kannst“, sagte sie listig, „darf ich mir aussuchen, wie du deine Schulden zurückzahlst. Gelob mir das beim Grab deiner Mutter.“

Rory wollte sich der Magen umdrehen. Zusätzlich zu allen anderen abstoßenden Eigenschaften hatte Mattie wahrscheinlich auch noch die Lustseuche, genau wie die Mädchen, die sie den Männern im Hinterzimmer zuführte. Aber er wurde das Gefühl nicht los, dass sein Bruder in Schwierigkeiten steckte. Ihm blieb keine Wahl.

„Beim Grab meiner Mutter.“ Er zuckte zusammen, als Mattie um ihn herumgriff und eine seiner Hinterbacken umfasste. Allmächtiger, ihre Hand musste die Größe eines Schinkens haben. Kurz schloss Rory die Augen und schickte ein Dankgebet gen Himmel, dass keiner aus seinem Clan Zeuge der Szene geworden war.

Das Pochen in seinem Bein ignorierend, erhob er sich und folgte Mattie hinter einen Vorhang, der den Schankraum von einem dunklen Gang abtrennte. An dessen Ende drang Kerzenlicht durch eine angelehnte Tür.

„Nimm dich in Acht, mein Hübscher. Es sind mächtige Männer.“ Mattie senkte die Stimme, als sie bei der Tür ankamen. Sie tippte ihm mit dem Zeigefinger grob gegen die Brust. „Wenn du tot bist, nützt du mir nichts mehr.“

Angesichts des übelkeiterregenden Gestanks, den sie verströmte, hielt Rory die Luft an und spähte durch den Türspalt, um die Männer in Augenschein nehmen zu können. Es waren fünf an der Zahl, alle jung und gut gekleidet. Sie saßen um einen Tisch, auf dem sich Karten und kleine Haufen von Münzen türmten.

„Weißt du, wer sie sind?“, fragte er flüsternd und wandte sich um.

Mattie nickte „Der da drüben ist der neue Stammesführer der Douglas’, und der neben ihm sein Bruder.“ Mit ihren dicken Wurstfingern deutete sie auf zwei schwarzhaarige Männer, die beide aussahen wie Anfang zwanzig. „Ihr Vater fiel bei Flodden, genau wie der König, und ihr Großvater, der alte Bell the Cat, hat letzte Woche das Zeitliche gesegnet. Der junge Archibald ist sein Erbe.“

Rory war Archibald Douglas noch nie begegnet, aber er hatte einmal einen Blick auf seine hübschen Schwestern erhascht, als sie durch Edinburgh geritten waren. Bei der Erinnerung an eines der kichernden jungen Dinger ging ihm noch heute das Herz auf. Sie hatte blitzende blaue Augen gehabt und Haare so schwarz wie eine mondlose Nacht.

„Es geht das Gerücht, dass der junge Stammesführer der Douglas’ unsere trauernde Königin tröstet“, sagte Mattie. „Die andern Männer am Tisch sind Boyds und Drummonds, beides Clans, die eng mit den Douglas’ verwandt sind.“

Diesmal schien Archibald Douglas etwas gehört zu haben. Er hob den Kopf, sah in Richtung der Tür und rief: „Und? Wen bringst du uns heute, Mattie?“

Rory trat in den Raum. Er hatte keine Ahnung, wie schicksalhaft dieser Abend für ihn werden sollte.

1. KAPITEL

Kilspindie Castle nahe Edinburgh,

März 1522

Sybil legte ihre Zeichnung beiseite und schlug sich die eiskalten Hände vors Gesicht. Warum konnte nicht jemand kommen und sie einfach fortzaubern, so weit wie möglich außer Reichweite der Königin? Ihre Wut auf ihre Brüder, die sie so schmählich im Stich gelassen hatten, kannte keine Grenzen. Nachdem sie sie ein ums andere Mal vertröstet und aufgefordert hatten, hier, auf der Burg ihres Onkels, auszuharren, waren die beiden mitsamt dem Onkel nach Frankreich geflohen und hatten sie und die anderen der Großmut der Königin überlassen. Wenn bei dem gehässigen Frauenzimmer von Großmut überhaupt die Rede sein konnte.

Ein Schatten fiel auf sie. Wie zum Teufel hatte es James bloß wieder geschafft, sie zu finden? Dachte er, sie sei der behaglichen Wärme der Großen Halle entflohen und habe sich hier draußen auf dem gefrorenen Boden niedergelassen, weil sie Gesellschaft wünschte? Das Gegenteil war der Fall, besonders wenn es seine betraf.

„Hättet Ihr nicht längst aufbrechen sollen, James?“ Sie nahm die Hände nicht vom Gesicht. „Ich sagte Euch doch, dass ich nicht will. Also lasst mich in Ruhe.“

Als sie merkte, dass sie vergeblich auf das Geräusch sich entfernender Schritte lauschte, hätte sie James am liebsten einen Tritt verpasst. Gereizt ließ sie die Hände sinken – und schnappte überrascht nach Luft.

Ein riesenhafter Highlandkrieger ragte vor ihr auf. Das Herz begann ihr wie wild gegen die Rippen zu trommeln, als sie den Blick von seinem mächtigen Schwert losriss, dessen Spitze nur wenige Zoll über ihren Füßen schwebte, und ihn über die Langdolche und die Streitaxt an seinem Gürtel zu seinem breiten, muskelbepackten Brustkorb hinaufgleiten ließ. Sie war noch nicht bis zu seinem Gesicht gelangt, als er mit angenehm tiefer Stimme zu sprechen begann.

„Mein Name ist Rory MacKenzie“, stellte er sich vor. „Ich bin hier, um Euch zu holen.“

Um sie zu holen? Schweißperlen liefen ihr über die Schläfen. Die Königin hatte sie aufgespürt.

„Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen“, verteidigte sie sich entschlossener, als sie sich fühlte. „Was wird mir zur Last gelegt?“

Der Highlandkrieger gab einen grollenden Laut von sich und hielt ihr die Hand hin. Sybil ignorierte sie und zwang sich, ihm ins Gesicht zu sehen. Sie begegnete dem Blick eines Paars erstaunlich grüner Augen, mit denen er sie betrachtete wie eine Wildkatze ihre Beute. Was für ein attraktiver Mann. Der Gedanke schoss ihr durch den Kopf, und sie verwarf ihn augenblicklich als unpassend. Aber es stimmte – er war jung, kraftvoll und mit einem atemberaubend guten Aussehen gesegnet. Sie kannte Hofdamen, die allein für den rötlichen Ton seines Haars Morde begangen hätten.

„Wir müssen aufbrechen“, sagte er und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Gefahr, in der sie sich befand.

„Verdiene ich nicht eine komplette Eskorte?“, fragte sie in dem Versuch, Stärke zu demonstrieren. Gleichgültig wie umwerfend dieser MacKenzie aussah, es kam Sybil sonderbar vor, dass die Königin einen einzelnen Mann geschickt haben sollte, um sie zu holen.

„Wenn wir allein reisen, ist unsere Chance, nicht aufzufallen, größer.“

Vor Verblüffung klappte ihr förmlich der Unterkiefer herunter. „Nicht aufzufallen?“

„Aye.“ Er nickte. „Wir müssen uns beeilen, Mädchen.“

„Ich wähnte mich schon von allen verlassen.“ Tränen stiegen ihr in die Augen. So viele hatten sich noch vor ein paar Wochen als ihre Freunde bezeichnet.

„Nicht von allen“, widersprach er ruhig, die Hand immer noch ausgestreckt.

Die Versuchung war groß, die Röcke zu raffen und mit dem Fremden zu fliehen, aber sie hatte schon als junges Mädchen gelernt, misstrauisch zu sein.

Sie musterte den Highlander aus verengten Augen. „Hat James Euch geschickt?“

„Wer zum Teufel ist James?“

Sie tat die Frage mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. „Sagt mir einfach, wer Euch geschickt hat.“

„Niemand hat mich geschickt.“ Er klang ein wenig beleidigt. Plötzlich ging er vor ihr auf ein Knie, und sie hatte die Möglichkeit, sein Gesicht aus der Nähe zu betrachten. Er war gefährlich attraktiv.

„Wer seid Ihr?“ Ihre Stimme war ein raues Flüstern.

„Euer Ehemann, Rory Ian Fraser MacKenzie“, antwortete er selbstbewusst. „Ich bin hier, um meinen Anspruch geltend zu machen.“

Dann war der Highlandkrieger gar nicht ihretwegen gekommen. „Wie verdammt schade“, murmelte sie halb zu sich selbst.

„Eine solche Wortwahl ist einer Dame nicht angemessen“, wies er sie stirnrunzelnd zurecht. „Und ob es auch Euch nun passt oder nicht, uns bindet ein Ehevertrag.“

Da Paare sich manchmal erst am Tag ihrer Trauung kennenlernten, wunderte es Sybil nicht, dass der Highlander nicht wusste, wie seine Braut aussah. Wieder war sie versucht, mit ihm zu gehen und ihm erst nach einer ordentlichen Wegstrecke zu eröffnen, dass er die Falsche erwischt hatte. Leider musste sie damit rechnen, dass er sie einfach an der Straße stehen ließ, wenn er die Wahrheit erfuhr.

Sie seufzte unhörbar. „Ich fürchte, Ihr habt Euch geirrt.“

„Das fürchte ich auch“, erwiderte er kurz angebunden. „Aber ich bin eine Verpflichtung eingegangen. Und ein MacKenzie hält sein Wort.“

„Eine durchaus erfrischende Ausnahme bei einem Mann“, gab sie bissig zurück. „Ich wollte damit nur sagen, dass ich nicht die bin, für die Ihr mich haltet.“

Was zur Hölle tat er eigentlich hier? Er hätte den Ehevertrag schon längst in Stücke reißen sollen. Immerhin war er erst … ja, sechzehn … gewesen, als er ihn unterzeichnet hatte. Die Könige Schottlands widerriefen stets und ständig Vereinbarungen, die ihnen Nachteile brachten. Was sollte ihn davon abhalten, es ihnen gleichzutun?

Zum wiederholten Male unterzog Rory das Mädchen einer ausgiebigen Musterung. Himmel, wie schön sie war. Als er sie unter dem Baum erspäht hatte, war ihm mit einem Mal klar geworden, um wen es sich handelte, und ihre Schönheit hatte ihm den Atem geraubt. Dann hatte sie sich die Hände vor ihr hübsches Gesicht geschlagen, und ihm war Zeit geblieben, Details, wie ihre juwelenberingten Finger, die fein gearbeiteten Schuhe an ihren Füßen und den reich gefältelten Samtumhang in sich aufzunehmen. Und das war gut so, denn das Letzte, was er als Ehefrau brauchen konnte, war ein verweichlichtes Geschöpf, das nichts anderes kannte als den Hof im Flachland.

Der Stammesfürst der Douglas’ hatte die Vereinbarung vermutlich noch mehr bereut als er selbst. Oft genug in den vergangenen acht Jahren hatte Rory sich vorgenommen, zu den Douglas’ zu reisen und Archibald davon zu unterrichten, dass er bereit war, den Vertrag für null und nichtig zu erklären. Aber irgendwie war es nie der richtige Zeitpunkt gewesen. Nun endlich hatte er sich aufgerafft, um die Angelegenheit zu regeln, damit er frei war, sich eine Frau zu suchen.

Aber er brachte es nicht über sich. Verdammt. Er warf seine sämtlichen Pläne über den Haufen.

Wenn er nur früher gehandelt hätte. Bei der Ankunft in Stirling waren ihm Neuigkeiten zu Ohren gekommen, dass die Douglas’ in Ungnade gefallen waren, und seitdem wusste er, dass er seine Chance verspielt hatte. Er konnte das Mädchen nicht im Stich lassen, nicht nachdem die Männer ihrer Familie des Hochverrats beschuldigt worden waren und daraufhin die Flucht ergriffen hatten.

„Vielleicht kann ich helfen“, unterbrach sie seine verdrießlichen Gedanken. „Wer ist die junge Dame, die Ihr sucht?“

Es irritierte ihn, dass es seiner Verlobten anscheinend schwerfiel zu glauben, dass er ihretwegen gekommen war. Offenbar hielt sie ihn für ihrer nicht würdig.

„Meine mir vertraglich zugesicherte Braut ist Lady Sybil Douglas“, entgegnete er, ihren Namen betonend, „Enkelin des berühmten Bell the Cat und Schwester des gegenwärtigen Stammesfürsten Archibald Douglas, des Ehemanns der verwitweten Königin.“

Als sie ihn entsetzt anstarrte, krampfte sich Rory das Herz in der Brust zusammen. Das leuchtende Veilchenblau ihrer Augen bildete einen lebhaften Kontrast zu ihrem mitternachtsschwarzen Haar, dem elfenbeinfarbenen Teint und den vollen roten Lippen.

„Ihr seid sogar noch schöner als damals.“ Es gehörte nicht zu seinen Gewohnheiten, unüberlegt zu sprechen, doch die Worte waren ihm über die Lippen gekommen, ohne dass er darüber nachgedacht hatte.

„Ich könnte schwören, dass wir uns noch nie begegnet sind.“ Ein neckender Unterton klang in ihrer Stimme mit.

Es stimmte, sie waren einander noch nie begegnet, aber er hatte sie schon einmal gesehen, als sie zusammen mit ihren Schwestern durch Edinburgh geritten war. Sie war nicht mehr das junge Mädchen von damals. Vergeblich versuchte Rory, nicht ständig auf ihre üppigen Brüste und die verführerische Kurve ihrer Hüften zu starren. Sie war eine Frau, deren Rundungen einer anspruchsvollen Männerhand Freude zu bereiten vermochten. Die Sorte Frau, die er bevorzugte.

„Und wir sind nicht verlobt“, erklärte sie kopfschüttelnd. „Wenn wir es wären, hätte man es mir gesagt.“

Zweifellos war er nicht der Ehemann, den sie sich erträumte. Nach der langen Reise in winterlichem Wetter waren seine Stiefel und sein Plaid schlammbespritzt, und er sah in nichts aus wie einer der Höflinge aus dem Flachland, von denen sie es gewohnt war, umschwärmt zu werden.

„Hier ist der Ehevertrag mit der Unterschrift Eures Bruders.“ Rory zog das zusammengerollte Pergament, das er seit seiner Abreise aus Kintail unter seinem Hemd bei sich getragen hatte, heraus und stieß es ihr förmlich in die Hände. Sie entrollte es, und er klopfte mit dem Zeigefinger auf die ausladende Unterschrift am unteren Ende.

Als er sah, dass ihre Augen sich von rechts nach links und von Zeile zu Zeile bewegten, war er beeindruckt. Das Mädchen konnte tatsächlich lesen. Und während sie den Text gründlich studierte, öffnete sie überrascht den Mund. Himmel, selbst dann wirkte sie noch verführerisch. Als sie zu Ende gelesen hatte, heftete sie den Blick ihrer veilchenblauen Augen auf ihn.

„Ich verstehe das nicht“, sagte sie knapp. „Wie konnte mein Bruder diesen Vertrag unterschreiben?“

„Beim Glücksspiel“, antwortete Rory ebenso knapp. „Als er kein Geld mehr hatte, das er einsetzen konnte.“

„Beim Glücksspiel?“ Ihre Stimme kletterte eine Oktave höher. „Mein Bruder hat mich beim Glücksspiel eingesetzt?“

Rory zuckte mit den Schultern. „Er rechnete nicht damit zu verlieren.“

Sybil machte den Mund auf, doch für eine ganze Weile kam kein Wort über ihre Lippen. „Er verliert nie.“

„Doch, bei diesem Spiel schon.“

„Ich glaube es nicht. Wann soll das gewesen sein?“ Sichtlich erzürnt überflog sie abermals den Vertrag, ehe sie den Blick wieder auf Rory richtete. „Vor acht Jahren?“

„Aye.“ Rory nickte. „Nicht lange nach der Schlacht bei Flodden.“

„Ihr habt einen Vertrag unterschrieben, demzufolge Ihr mich heiraten wollt.“ Erneut kletterte ihre Stimme eine Oktave höher. „Und dann habt Ihr acht Jahre gewartet, ehe Ihr Anspruch auf mich erhebt?“

„Euer Bruder meinte damals, Ihr wärt zu jung und ich solle noch etwas warten.“

„Ich bin seit Längerem erwachsen“, meinte sie ungehalten. „Aber wie dem auch sei, ich habe nicht vor, Eure Gemahlin zu werden. Dieser Ehevertrag ist …“

„Kommt schon, Mädchen, wir können später entscheiden, ob wir die Vereinbarung lösen wollen oder nicht – jedenfalls solange wir die Ehe nicht vollziehen …“ Als er die Worte aussprach, fiel sein Blick abermals auf ihre Brüste, und er vergaß, was er hatte sagen wollen. Kopfschüttelnd fragte er sich, was mit ihm los war. Es war entschieden der falsche Zeitpunkt, sich ablenken zu lassen, doch angesichts der Erregung, die ihn bei ihrem Anblick durchströmte, fiel ihm das Denken schwer.

„Ihr wollt mir sagen, dass ich mein Leben in die Hände eines völlig Fremden legen soll, eines barbarischen Highlandkriegers obendrein“, sie zog die Brauen hoch, „und dass wir uns später einigen?“

„Die königliche Garde ist hinter Euch her“, erwiderte er kühl. „Wenn Ihr ihr entkommen wollt, müssen wir umgehend aufbrechen.“

Sybil sprang auf die Füße. Als Rory sah, dass ihr sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war, bereute er seine Direktheit. Doch nun, da sie die Dringlichkeit ihrer Lage endlich zu verstehen schien, kam sie rasch zu einem Entschluss.

„Ich befehle den Dienern, sofort zu packen“, erklärte sie eilig. „Wie groß ist Eure Kutsche?“

„Kutsche? Dort, wo wir hinwollen, gibt es keine Straßen, Mädchen.“ Er schüttelte den Kopf. „Und wir haben keine Zeit, Eure Sachen zu holen.“

„Aber … Ich kann doch nicht einfach verschwinden!“ Die Sybil Douglas, die ihn so gelassen gefragt hatte, war verschwunden. Die junge Frau, die nun vor ihm stand, wirkte vollkommen verängstigt. „Meine Cousine wird sich Sorgen machen. Sie muss wissen, wo ich bin.“

„Ihr werdet es niemandem sagen“, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Irgendjemand aus diesem Haushalt ließ der Königin eine Nachricht zukommen, dass Ihr Euch hier aufhaltet.“

„Das kann nur die bösartige Ehefrau meines Onkels gewesen sein.“ Sybil presste die Lippen zusammen, dann atmete sie tief durch und hob die Zeichnung vom Boden auf. „Ich werde meiner Cousine ein paar Zeilen auf dem Zeichenpapier hinterlassen, damit sie sich nicht beunruhigt.“

Rory versuchte, seiner Ungeduld Herr zu werden und ließ den Blick über die Hügel in Richtung Edinburgh schweifen. Sybil trat hinter ihn. Und dann, bei allen Heiligen, bestand die erste Berührung seiner zukünftigen Ehefrau darin, dass sie seinen Rücken als verfluchte Schreibunterlage benutzte.

„Ich wurde gerettet“, sagte sie laut, während ihre Feder sich über seinen Rücken bewegte. „Sei unbesorgt. Ich schicke so bald wie möglich Nachricht. In Liebe, S.“

Sie faltete das Papier zusammen, legte es unter den Baum und beschwerte es mit einem Stein.

„Beeilt Euch, wir haben genug Zeit verloren.“ Rory half ihr auf sein Pferd.

Er würde es bereuen, das wusste er ganz genau. Er bereute es jetzt schon. Doch als er sich hinter Sybil in den Sattel schwang und sie fest an sich zog, begann sein Herz zu rasen.

Und das hatte nichts mit den zwanzig Reitern zu tun, die soeben auf der Hügelkuppe erschienen waren.

2. KAPITEL

Der Highlandkrieger war so schnell, dass Sybil im Herrensitz auf seinem Pferd saß, ehe sie auch nur wusste, wie sie dorthin gekommen war. Überrascht schnappte sie nach Luft, als er sich hinter ihr in den Sattel schwang.

„Haltet Euch fest“, sagte er so nahe an ihrem Ohr, dass sie seinen warmen Atem in ihrem Nacken spüren konnte.

Im nächsten Moment setzte sich das Pferd in Bewegung. Der Highlander beugte sich vor, und während er das Tier zu einem Galopp anspornte, spürte sie den Körper des kraftstrotzenden Mannes an ihrem Rücken.

Unfassbar, sie ritt mit einem völlig Fremden davon. Was sie tat, war mehr als kühn, selbst für ihre Verhältnisse. Vielleicht sollte sie darauf bestehen, dass er sie zurück…

Als sie sich umwandte und über die Schulter blickte, klopfte ihr das Herz bis in die Kehle. Eine große Gruppe Reiter galoppierte in Richtung der Burg.

„Es ist die königliche Garde – ich erkenne ihr Banner.“ Sie spähte unter dem Arm des Highlanders hindurch. „Um Himmels willen, sie ändern die Richtung! Sie verfolgen uns!“

„Haltet Euren Kopf unten, verdammt“, herrschte er sie an. „Sie haben Bogenschützen dabei.“

Kaum hatte er den Satz beendet, als ein Pfeil an seinem Arm vorbei und zwischen den Ohren des Pferdes hindurchsirrte. Woraufhin der Highlandkrieger Sybil förmlich mit seinem Körper umhüllte in dem ritterlichen Versuch, sie zu schützen. Dann schwirrte ein weiterer Pfeil über ihre Köpfe.

„Wie können sie es wagen?“ Sybil hielt sich krampfhaft an der Mähne des Pferdes fest. „Am Ende treffen sie uns noch!“

Die Königin war erzürnt, aber sie konnte unmöglich wollen, dass ihre Männer Sybil umbrachten. Oder doch?

Sie hörte ein Geräusch wie von einem dumpfen Aufprall.

„Curan“, murmelte der Highlander hinter ihr und tätschelte dem Pferd beruhigend den Hals.

Im ersten Moment dachte Sybil, das arme Tier sei getroffen worden, dann sah sie, dass der Pfeil im Oberschenkel das Highlandkriegers steckte. Sie seufzte bedauernd. Ein dramatischer Fluchtversuch, dem offenbar kein Erfolg beschieden sein würde.

Obwohl reichlich Blut aus der Wunde floss, ließ der Highlander mit keiner Regung erkennen, dass er sich der Verletzung überhaupt bewusst war. Stattdessen redete er dem Pferd auf Gälisch gut zu. Das Tier begann, noch schneller zu galoppieren, doch Sybil bezweifelte, dass der Highlandkrieger lange durchhalten würde.

„Seht Ihr nicht, dass Ihr verletzt seid?“ Sie versuchte, den peitschenden Wind zu übertönen. „Wir können nicht weiterreiten.“

„Wir halten nicht an, ehe wir sie abgehängt haben.“

Der entschlossene Ton des Mannes und seine unbestreitbaren reiterischen Fähigkeiten beruhigten sie einigermaßen. Vielleicht war ihre Flucht doch noch nicht zu Ende. Sie überquerten ein Feld und setzten in atemberaubendem Tempo über einen Bach. Noch ehe sie spürte, dass er sich seitwärts lehnte oder seine Schenkel anspannte, schien das Pferd jedes Signal zu ahnen und wusste, wohin sein Reiter es lenken wollte.

„Wir sind außerhalb der Reichweite ihrer Pfeile“, rief er an ihrem Ohr. „Hier, haltet die Zügel.“

„Aber …“ Ehe sie noch Einwände äußern oder Fragen stellen konnte, hatte er ihr die Zügel in die Hand gedrückt. Glücklicherweise war sie eine gute Reiterin, aber das konnte er nicht wissen.

Das Gras unter den Pferdehufen verschwamm, während das Tier über das Gelände zu fliegen schien. Aus dem Augenwinkel bemerkte Sybil das Blitzen einer Klinge. Der Highlandkrieger hielt einen Dolch in der Hand. Um Himmels willen!

Im ersten Moment hatte sie Angst, dass er ihn ihr ins Herz rammen und sie zu Boden stoßen wollte, um ihre Verfolger von sich abzulenken. Doch ein kurzer Blick zeigte ihr, dass er einen Streifen Stoff von seiner Tunika abschnitt.

„Ich brauche für einen Augenblick beide Hände“, schrie er gegen den Wind an. „Fallt mir also nicht vom Pferd.“

Fallt mir nicht vom Pferd? „Ihr habt doch nicht etwa vor, Euer Bein bei vollem Galopp zu verbinden, oder etwa doch?“

„Entweder das, oder ich verblute“, erwiderte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch und zog den Pfeil aus der Wunde.

Er hielt das Gleichgewicht, als säße er auf einem Felsen und nicht im Sattel eines über Stock und Stein rasenden Pferdes, und band sich den Leinenstreifen um den verwundeten Oberschenkel. Das Herz schlug Sybil bis in die Haarwurzeln, und sie biss sich so fest auf die Unterlippe, dass es blutete.

Der Highlander stöhnte, als er den Knoten festzurrte. Schließlich war er fertig und nahm ihr die Zügel ab. Den provisorischen Verband anzubringen hatte ihn höchstens ein paar Minuten gekostet, auch wenn es ihr viel länger vorgekommen war. Sybil sackte gegen seine Brust, als er die Arme wieder um sie schlang.

„Das habt Ihr gut gemacht, mo rùin.“ Seine tiefe Stimme war wie ein zärtliches Donnergrollen an ihrem Ohr.

Sie verstand genug Gälisch, um zu wissen, dass er sie meine Liebe genannt hatte. Es fühlte sich merkwürdig tröstlich an.

Trotz ihrer verzweifelten Lage bewahrte der Highlandkrieger Ruhe. In jeder seiner Bewegungen lag so viel Sicherheit, dass Hoffnung in Sybil aufkeimte. Vielleicht würde es ihm tatsächlich gelingen, sie in Sicherheit zu bringen.

Darüber, wie sie ihrem Retter entkommen sollte, würde sie sich später Gedanken machen.

Das Bein tat Rory höllisch weh. Jedes Mal, wenn das Pferd auf dem unebenen Untergrund zu straucheln drohte, grub sich ihm die Pfeilspitze tiefer ins Fleisch und schickte einen schneidenden Schmerz durch den Oberschenkel, der ihm für einen kurzen Moment den Atem nahm. Obwohl er den Reitertrupp abgehängt hatte, wollte er das Risiko nicht eingehen, eine Rast einzulegen, um die Reste des Pfeils aus seinem Bein zu entfernen und einen neuen Verband anzulegen. Er brauchte Ablenkung, und zudem brannte ihm eine Frage an die junge Frau, um derentwegen er sein Leben aufs Spiel setzte, auf den Lippen.

„Wer ist James?“ Er schaffte es, gleichmütig zu klingen, obwohl er sich fragte, was zum Teufel seine ihm anverlobte Braut im Schilde geführt haben mochte.

„Welcher James?“

„Welcher James?“ Ihre Antwort besserte nicht eben seine Laune. Wenn er sie heiratete, würde er gut auf sie achtgeben müssen.

„Es gibt so viele davon.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Angefangen mit dem König.“

Er biss die Zähne zusammen. Natürlich hatte er angenommen, die ihm versprochene Braut sei eine unerfahrene Jungfrau. Was vielleicht ein Irrtum war.

„Ich meine den James, von dem Ihr spracht, als ich Euch unter dem Baum fand“, präzisierte er ungeduldig.

„Ach der.“

Der verächtliche Unterton in ihrer Stimme dämpfte seine Sorge, was diesen speziellen James anging. Andererseits war es nicht ausgeschlossen, dass eine Frau so reagierte, wenn eine Affäre ein schlimmes Ende genommen hatte.

„Wer ist er?“ Er unterdrückte einen Fluch, als das Pferd hart auftrat und ein heftiger Schmerz sein Bein durchzuckte.

„James Hamilton of Finnart, der Sohn von James Hamilton, dem Earl of Arran“, erklärte sie bereitwillig. „Er war mir, ehe Ihr kamt, in den Küchengarten gefolgt.“

Rory kannte den Kerl. Er war ein Bastard, galt jedoch als Arrans Lieblingssohn. „Ich dachte, es habe böses Blut gegeben zwischen Eurer Familie und den Hamiltons.“

„Oh ja, richtig.“ Sie lachte freudlos. „Seit der König bei Flodden fiel, gehen sich die Douglas und die Hamiltons im Kampf um die Herrschaft über die Krone gegenseitig an die Kehle.“

„Was also wollte dieser Finnart, als er Euch heute aufsuchte?“, hakte Rory noch einmal nach.

„Mich.“

Rory merkte, wie die Wut in ihm wuchs.

„Der Mann will ein Nein als Antwort nicht akzeptieren“, fuhr sie unbekümmert fort. „Seiner Meinung nach bleibt mir angesichts der Tatsache, dass die Männer meiner Familie angeklagt wurden und mir selbst eine lange Kerkerhaft droht, keine andere Wahl, als mich seinem Schutz zu unterstellen.“

Rory entspannte sich. Ihre Worte, als sie geglaubt hatte, James Finnart stünde vor ihr, fielen ihm wieder ein. Ich sagte Euch doch, dass ich nicht will. Also lasst mich in Ruhe. Es besänftigte ihn zu wissen, dass seine Braut sich geweigert hatte, ihre Tugend zu opfern, selbst angesichts ihrer Notlage.

„Ich habe meinen Handabdruck auf seiner Wange hinterlassen“, fügte sie nicht ohne Stolz hinzu.

Das war ja noch besser. Trotz der pochenden Schmerzen in seinem Bein und der Männer der Königin, die ihnen auf den Fersen waren, machte sich so etwas wie Fröhlichkeit in Rory breit.

„Wenn er mich erst gehabt hätte, wäre sein Interesse an mir spätestens nach einem Monat erloschen“, sprach sie weiter. „Was wäre dann aus mir geworden?“

„Aber andernfalls hättet Ihr Euch ihm hingegeben?“ Rory hatte, ohne dass er es wollte, die Stimme erhoben.

Das Mädchen hatte die Unverschämtheit zu lachen. Sie wandte sich im Sattel um und sah ihn an.

„Die Aussicht, wegen Hochverrats enthauptet zu werden, kann in der Tat dazu führen, dass eine Frau Dinge zu tun in Erwägung zieht, die für sie unter anderen Umständen niemals in Betracht gekommen wären.“ Ihre Augen funkelten vor Übermut. „Wie zum Beispiel mit einem völlig Fremden durchzubrennen.“

Zum wiederholten Male spähte Sybil über die Schulter. „Ich glaube, wir haben sie wirklich abgeschüttelt.“

„Kann sein“, erwiderte der Highlandkrieger, ohne das erbarmungslose Tempo zu drosseln.

Seit sie vor über einer Stunde von der Straße in einen überwucherten Feldweg abgebogen waren, hatte Sybil keine Spur von ihren Verfolgern mehr entdecken können. Außer einem Jungen, der Schafe hütete, war weit und breit niemand zu sehen gewesen.

Sie reckte den Hals und schaute nach vorn. Irgendwann mussten sie doch ein Dorf oder eine Stadt erreichen. Und wenn der Highlander anhielt, um in einer Taverne zu rasten, würde sie aus dem Fenster klettern, einen Stalljungen bestechen, damit er ihr ein Pferd gab oder ein anderes Reittier, auf dem sie entkommen konnte. Die Flucht mit dem Highlandkrieger war das Aufregendste, was sie je erlebt hatte, aber es wurde Zeit, dass sie getrennte Wege gingen.

Sie war dem Mann dankbar für alles, was er für sie getan hatte, aber nicht dankbar genug, um ihn zu heiraten. Nachdem sie in den vergangenen fünf Jahren sämtliche Versuche ihres Bruders, sie zu vermählen, vereitelt hatte, würde sie sich jetzt nicht diesem elenden Schicksal ergeben.

Sie begann sich zu fragen, ob er überhaupt noch einmal anhalten würde, als er das Pferd in ein Dickicht aus niedrigen Bäumen und Sträuchern lenkte, die einen Bachlauf säumten. Ihre Taille mit seinen großen Händen fast vollständig umfassend, hob er Sybil, ohne ein Wort zu verlieren, aus dem Sattel. Sie vermutete, dass er sich erleichtern musste, und war froh um die Möglichkeit, sich ein wenig die Beine vertreten zu können.

„Der Boden wird feucht sein. Nehmt die.“ Er reichte ihr eine zusammengerollte Decke, die er vom Sattel losgeschnallt hatte. „Wir werden unser Lager hier aufschlagen.“

„Unser Lager aufschlagen?“ Sie schüttelte langsam den Kopf. „Ihr wollt die Nacht draußen verbringen?“

„Aye, der Platz ist gut.“ Er tätschelte dem Pferd den Hals. „Und Curan muss sich ausruhen. Ich habe ihm einen harten Ritt zugemutet.“

Der Platz sollte gut sein? Hier draußen im Wald? Wo war das Fenster, durch das sie hinauskrabbeln, wo der Stallbursche, den sie bestechen wollte? Wie sollte sie unbemerkt von hier fliehen?

Wie sollte sie überhaupt fliehen?

„Es wird bald dunkel.“ Der Highlander drehte sich um und führte das Pferd ein Stück fort.

Anscheinend würde sie sich bis zum morgigen Tag gedulden müssen, um sich davonzumachen. Es sei denn, sie entschloss sich, nachts allein durch eine Gegend zu wandern, die sie nicht kannte.

Sybil hatte noch nie in der freien Natur geschlafen. Sie sah sich um, und beim Anblick des hohen Grases um sie herum musste sie wider Willen lachen. Auf dem blanken Erdboden zwischen Unkraut neben einem Fremden zu schlafen, entsprach nicht ganz der Vorstellung, die sie sich von ihrer ersten mit einem Mann verbrachten Nacht gemacht hatte.

Nach einem Moment hatte sie einen einigermaßen ebenen Platz gefunden, breitete die Decke darauf aus und setzte sich, um ihren Retter zu betrachten. Seit ihrer überstürzten Flucht aus der Burg ihres Onkels war es die erste Gelegenheit, ihn eingehend zu mustern. Ihr kam der Gedanke, dass der Mann selbst ohne die vielen tödlichen Waffen, die er an seinem Körper festgeschnallt hatte, ziemlich einschüchternd wirkte. Er war hochgewachsen, muskulös und strahlte Gefährlichkeit aus.

Bis zu diesem Moment hatte die Angst vor den Männern der Königin Sybil von der Bedrohung abgelenkt, die der Highlander für sie darstellen könnte. Sie schluckte schwer bei dem Gedanken, dass sie allein mit einem Fremden war und keine Fluchtmöglichkeit für sich sah. Zweifellos würden sich seine Männer in Kürze zu ihnen gesellen, doch das war alles andere als ein Trost. Und was, wenn er für heute Nacht mehr geplant hatte, als nur zu schlafen? Der Highlandkrieger war überzeugt, dass sie ihm gehörte, und er hatte keine Mühen gescheut, seinen Anspruch auf sie geltend zu machen.

Die Anspannung in ihren Schultern ließ ein wenig nach, als sie ihm lauschte, wie er leise und beruhigend mit dem Pferd sprach, während er das Tier absattelte. Er streichelte dem Pferd den Kopf, gab ihm einen liebevollen Klaps und ließ es in Ruhe grasen. Nein, sie hatte ihn nicht falsch eingeschätzt. Möglich, dass er versuchte, sie zu verführen – immerhin war er ein Mann –, aber sie glaubte nicht, dass er der Typ war, der sich einer Frau aufzwang.

Jedenfalls versuchte sie, sich das einzureden. Der Angst zu erliegen –, tat einer Frau nicht gut. Schlimmer noch, es war riskant. Und sie musste ihren Verstand beisammenhalten.

Als er auf sie zukam, bemerkte sie, dass er hinkte. Bei der erstaunlichen Gleichmut, die er an den Tag legte, hatte sie seine Verletzung völlig vergessen.

„Wir sollten zusehen, dass wir ein Dorf finden und einen Heiler für Euch.“ Es würde ihrer beider Probleme lösen.

„Nicht nötig.“ Der Highlander zuckte vor Schmerz zusammen, als er sich neben ihr auf der Decke niederließ.

Als sie das getrocknete Blut auf seinem provisorischen Verband sah, wurde sie von Schuldgefühlen schier überwältigt. Sie war der Grund, weswegen man auf ihn geschossen hatte.

„Am besten entferne ich jetzt den Pfeil.“ Er zog seinen Langdolch aus dem Gürtel, hielt inne und musterte Sybil. „Ihr werdet vielleicht nicht zusehen wollen, Mädchen.“

Sibyll hatte auch ihren Stolz. Wenn er mit der Klinge in der Wunde herumwühlen konnte, würde sie es auch schaffen zuzusehen, ohne in Ohnmacht zu fallen. Mit ruhiger Hand setzte der Highlander den Dolch an und schnitt den blutgetränkten Verband auf.

Dann begann er mühsam, sich seiner langen Hosen zu entledigen. Sybil nagte an ihrer Unterlippe. Wie sollte sie sich verhalten? Obwohl er zweifellos Hilfe gebrauchen konnte, wäre es zu gewagt gewesen, ihm beim Entkleiden zu helfen, und sie wollte nichts tun, das er vielleicht als Einladung verstand. Als sie hochsah, entdeckte sie ein übermütiges Funkeln in seinen Augen, ganz so, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Ich bin nicht sonderlich versiert im Verbinden von Wunden.“ In Wahrheit hatte sie keinerlei Erfahrung damit. „Aber ich kann Euch helfen, wenn Ihr mir sagt, was ich tun soll.“

„Wenn Ihr das untere Ende des Hosenbeins packt und zieht, schaffe ich den Rest allein.“

Sie tat, wie ihr geheißen, und als sie einen Blick auf seinen muskulösen nackten Schenkel und seine Hüfte erhaschte, fing ihr Puls an, wie verrückt zu rasen. Als sie jedoch die Hose so weit heruntergezogen hatte, dass die blutige Wunde zum Vorschein kam, hatte sie für nichts anderes mehr Augen.

Allmächtiger, wie hatte er mit einer solchen Verletzung nur so lange reiten können?

„Es sieht schlimmer aus, als es ist“, beschwichtigte er sie augenzwinkernd.

Dann fing er an, die gezackte Pfeilspitze aus der klaffenden Wunde herauszuschneiden. Schweißperlen sammelten sich ihm auf der Stirn, und obwohl er nicht den geringsten Schmerzenslaut von sich gab, fühlte Sybil, wie ihr die Finger steif wurden von der Anstrengung, sie so fest ineinander zu verklammern, dass sie die qualvolle Prozedur durchzustehen vermochte. Als der Highlander die abgebrochene Pfeilspitze schließlich herausgeschnitten hatte, warf er sie fort, und Sybil atmete erleichtert auf.

Er hob sich den kleinen Schlauch, den er an einem Lederband um den Hals trug, an die Lippen, entkorkte ihn mit seinen ebenmäßigen weißen Zähnen und setzte zum Trinken an. Am liebsten hätte Sybil ihn um einen kräftigen Schluck gebeten.

„Wie ich es hasse, den guten Whisky vergeuden zu müssen“, murmelte er zwischen zusammengebissenen Zähnen, als er den Schlauch absetzte. Dann goss er die bernsteinfarbene Flüssigkeit auf die offene Wunde und stieß eine Reihe kurzer gälischer Sätze aus, bei denen es sich zweifellos um saftige Flüche handelte. Sybil war versucht, ihn zu bitten, sie langsam zu wiederholen, damit sie ihren Wortschatz erweitern konnte, doch es war wahrscheinlich nicht der richtige Zeitpunkt für eine Lektion in einer Fremdsprache. Abgesehen davon riet ihr eine innere Stimme, nicht erkennen zu lassen, dass sie des Gälischen in Grundzügen mächtig war. Eine Douglas tat gut daran, ihre Geheimnisse nicht ohne triftigen Grund zu verraten.

Der Highlander wischte die Dolchklinge am Gras sauber und machte Anstalten, einen neuen Streifen Stoff von seiner Tunika abzuschneiden.

„Wartet.“ Sybil berührte seinen Arm. Dann hob sie den Saum ihres Kleides und enthüllte das Leinenhemd, das sie darunter trug. „Seht her, ich habe ein wenig mehr Stoff übrig als Ihr.“

Trotz der Tatsache, dass seine Wunde teuflisch wehtun musste, vor allem nachdem er den Whisky darauf gegossen hatte, starrte der Highlander auf ihre Wade, als hätte er noch nie ein bestrumpftes Frauenbein gesehen. Dabei war der Kerl doch so umwerfend attraktiv, dass er garantiert schon weitaus mehr von einer Frau gesehen hatte. Sybil schüttelte den Kopf. Männer.

„Gebt mir Euren Dolch.“ Sie streckte die Hand aus.

„Ihr habt keinen bei Euch?“

„Wofür sollte ich ihn brauchen?“ Schulterzuckend nahm sie die Waffe entgegen.

„Um Euch zu verteidigen natürlich“, erwiderte er fassungslos. „Als Frau sollte man immer eine Waffe dabeihaben.“

„Ich bin einundzwanzig Jahre ohne einen ausgekommen.“ Sie hielt die scharfe Klinge hoch und rief sich die Situationen, in denen sie von Männern wie James Finnart belästigt worden war, ins Gedächtnis. „Aber ich muss zugeben, dass mir eine Waffe wie diese in der Vergangenheit vielleicht hätte nützlich sein können.“

„Behaltet sie.“ Der Highlandkrieger zuckte mit den Schultern. „Ich habe noch mehr.“

Sie begegnete seinem Blick, und die sengende Hitze, die plötzlich zwischen ihnen aufflammte, vertrieb die Kälte aus ihren Knochen. Allmächtiger, was hatte ihre heftige Reaktion zu bedeuten? Sybil presste die Lippen zusammen und konzentrierte sich darauf, das Leinen für den Verband abzuschneiden. Die Klinge war so scharf, dass sie das Gewebe zerteilte, als wäre es dünnes Pergament. Als sie dem Highlander den Stoffstreifen hinhielt, berührten sich ihre Hände, und wieder traf es sie wie ein Blitzschlag.

Als sie sich schließlich erholt hatte, war er dabei, sein Bein zu verbinden. Seit er den Pfeil entfernt hatte, war er blass und schwitzte stark. Warum konnten Männer nicht zugeben, wenn sie Hilfe brauchten?

„Ihr habt doch schon bewiesen, dass Ihr es schafft, Euch einen Verband auf einem galoppierenden Pferd anzulegen“, sagte sie kopfschüttelnd. „Diesmal könnt Ihr es mich tun lassen.“

„Aye, das wäre sicher besser.“ Er ließ sich auf die Ellbogen zurücksinken.

Dass er so bereitwillig zustimmte, überraschte sie. Doch dann sah sie das Lächeln um seine Mundwinkel und das durchtriebene Funkeln in seinen Augen. Der vernünftige Teil von ihr bedauerte, ihm Hilfe angeboten zu haben, doch der andere Teil – der, der so gern mit dem Feuer spielte – erwiderte sein Lächeln. Schon ihre arme Mutter hatte vergeblich versucht, ihren Ungestüm zu zähmen.

Als sie um seine entblößte muskulöse Hüfte herumgriff, um den Verband anzubringen, war sie sich mit jeder Faser bewusst, dass sich nun, da er die blutverschmierten Hosen ausgezogen hatte, nichts als nackter Highlandkrieger unter seiner knielangen Tunika befand. Grundgütiger, im Vergleich mit seinen waren die Beine anderer Männer dürre Stelzen. Dass es sie Mühe kostete, ihn nicht mehr als notwendig zu berühren, lag allerdings nicht allein an ihr.

Sie versuchte, nicht öfter hinzuschauen als nötig, und als sie den Stoffstreifen um seinen Oberschenkel zu wickeln begann, fühlte sie mehr, als das sie sie sah, die unnatürlich glatte Haut einer Narbe unter ihren Fingern. Sie zog sich an der Außenseite seines Oberschenkels vom Knie hinauf bis – nun, egal, bis wohin. Neugier war eine andere Seite ihres Wesens, die ihre Mutter ihr vergeblich abzugewöhnen versucht hatte.

„Woher habt Ihr die?“ Mit der Fingerspitze folgte sie dem Verlauf der Narbe.

„Unwichtig.“

„Unwichtig?“ Sie hob eine Augenbraue.

„Sie stammt von einer Verwundung in der Schlacht bei Flodden.“

Die Erwähnung von Flodden erinnerte Sybil jedes Mal an ihren Vater, der in der schrecklichen Schlacht gefallen war. Tränen brannten ihr in den Augen, und sie war dankbar, dass er in der zunehmenden Dunkelheit nicht erkennen konnte, wie aufgewühlt sie plötzlich war. Sie vermisste ihren Vater immer noch.

Alles wäre anders gekommen, wenn er noch leben würde. Archie hätte den Rang ihres Großvaters als Earl und Ratgeber der Königin nicht einnehmen und all die Schwierigkeiten verursachen können, für die er verantwortlich war. Sie selbst wäre in Sicherheit gewesen und zu Hause bei ihrer Familie auf Tantallon Castle, statt bei Anbruch der Nacht mit einem ihr fremden Mann irgendwo draußen in der Wildnis zu sitzen.

„Die Engländer drohten, mir das Bein zu amputieren, um mir das Leben zu retten“, sagte er und unterbrach ihre Gedanken.

„Ich wundere mich, dass sie es nicht taten“, erwiderte sie ehrlich erstaunt. „Bereitet die alte Verletzung Euch noch Schmerzen?“

„Nein.“ Er zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls nicht oft.“

„Ich glaube, Ihr lügt“, meinte sie.

Er lachte leise in sich hinein und löste damit ein merkwürdiges Flattern in ihrer Magengrube aus.

„Ihr müsst einem Mann seinen Stolz lassen“, erklärte er immer noch lächelnd. „Aber ich gebe zu, dass die Pfeilspitze die Dinge nicht besser gemacht hat.“

Ohne den Blick von ihr zu nehmen, setzte er den Schlauch erneut an und trank einen großen Schluck. Er mochte verwundet sein, doch in seinen Augen stand unzweifelhaft Begierde. Womit ihre Gedanken sich abrupt wieder der vor ihr liegenden Nacht zuwandten.

Im nächsten Moment umfasste er ihren Arm und lehnte sich an sie. Sybil schlug das Herz bis zum Hals.

„Ich hatte nicht die Absicht, Euch zu erschrecken“, beteuerte er und sah ihr tief in die Augen. „Es ist meine Aufgabe, Euch zu beschützen. Ihr müsst keine Angst vor mir haben. Niemals.“

Er bekräftigte sein Versprechen mit einem so durchdringenden Blick, dass sie beruhigt war, wenn auch nicht ganz.

„Danke“, brachte sie zustande, „aber ich habe keine Angst vor Euch.“

Es war eine Lüge, wenn auch keine große. Sie glaubte ihm, dass sie bei ihm sicher war, jedenfalls so lange, wie er sich seiner Ehre verpflichtet fühlte. Doch der Himmel mochte ihr beistehen, wenn er erfuhr, dass ihre Brüder ihn zum Narren gehalten hatten und er sein Leben für eine Frau riskierte, die gar nicht seine Verlobte war.

„Auf der anderen Seite der Sträucher verläuft ein Bach, wenn Ihr Euch waschen wollt.“ Er rappelte sich auf die Füße und reichte ihr die Hand.

Er war verwundet, und eigentlich hätte sie ihm helfen sollen, doch er stand überraschend fest auf den Beinen. Der Mann musste aus Eisen sein. Aber was sie wirklich brauchte, war ein Plätzchen, wo sie sich erleichtern konnte. Sie machte sich auf den Weg in die Büsche.

„Geht nicht zu weit fort“, rief er ihr hinterher. „Ich warte am Bach auf Euch.“

Ihr war beklommen zumute, als sie ihn nicht mehr sehen konnte, und sie beeilte sich, an den Bach zu gelangen. Dort kniete sie Seite an Seite mit ihm am Ufer, um sich das Blut und den Schmutz von Händen, Armen und Gesicht zu waschen. Es fühlte sich eigenartig an, diese alltäglichen und doch so intimen Aktivitäten mit einem Mann zu teilen. Sie warf ihm verstohlene Blicke zu, als er sich Wasser ins Gesicht spritzte, und beobachtete fasziniert, wie es an seinen muskulösen Unterarmen hinunterperlte. Als er sie beim Starren erwischte, beendete sie hastig ihre eigene Wäsche, dann kehrten sie gemeinsam zu der Decke zurück.

„Wir werden uns mit etwas getrocknetem Wildbret und einigen Haferkeksen begnügen müssen.“ Er öffnete eine Stofftasche, die er vom Sattel abgebunden hatte. „Morgen gehe ich auf die Jagd.“

Es war so, als entschuldigte er sich dafür, dass er mit seiner Verwundung nicht jagen konnte. Grundgütiger. Sie konnte sich nicht erinnern, je den Drang verspürt zu haben, das Selbstbewusstsein eines Mannes aufzurichten, doch jetzt überkam sie das Bedürfnis mit Macht.

„Es zeugt von großer Voraussicht, dass Ihr überhaupt Essensvorräte dabeihabt.“ Sie lächelte strahlend.

Er bedachte sie mit einem verwirrten Blick. „Es wäre töricht gewesen, nichts mitzunehmen.“

Als er die Haferkekse und das getrocknete Fleisch ausgepackt hatte, merkte Sybil, wie ausgehungert sie war. Sie nahm einen der Kekse und biss hinein. Er war staubtrocken, doch sie war viel zu hungrig, als dass es ihr etwas ausgemacht hätte.

„Ich bin erstaunt, dass wir an keinem Dorf vorbeigekommen sind, wo wir hätten übernachten können.“ Irgendwie hegte sie immer noch die Hoffnung, dass er sie zu einer menschlichen Siedlung brachte. Beharrlichkeit gehörte ebenfalls zu ihren Wesenszügen.

„Ich habe einen Bogen um Ortschaften gemacht. Um zu vermeiden, dass jemand Euch sieht, solange die königliche Garde uns auf den Fersen ist.“ Er zog eine Braue hoch und musterte sie. „Ihr seid eine Frau, an die man sich erinnert.“

„Aber wie sollen Eure Männer wissen, wo sie uns finden?“ Sie wandte sich um und spähte in die zunehmende Dunkelheit. „Werden sie nicht bald da sein?“

„Ich sagte Euch doch, ich bin allein.“

Sibyl verschluckte sich an dem trockenen Keks und musste husten. „Ich dachte, Ihr meint, Ihr wärt allein auf die Burg gekommen und hättet Eure Männer irgendwo auf Euch warten lassen.“

Er schüttelte den Kopf.

„Ihr habt den ganzen Weg ohne bewaffnete Eskorte zurückgelegt?“

Er zuckte mit den Schultern. Offenbar ja.

„Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr von Anfang an geplant hattet, Eurer Braut diese lange Reise durch die Wildnis der Highlands zuzumuten, ohne bewaffnete Begleiter, die für ihre Sicherheit sorgen?“ Für einen kurzen Moment vergaß Sybil beinahe, dass sie gar nicht die vor den Kopf gestoßene Braut war. Solange ihr Retter glaubte, sie sei es, hatte sie schließlich auch das Recht, beleidigt zu sein. „Was in aller Welt habt Ihr Euch dabei gedacht? Eine solche Reise dauert Tage, wenn nicht gar Wochen, und führt durch gefährliche Landstriche.“

Der Highlander antwortete nicht, und ihr wurde klar, dass er ihr den Grund, weswegen er ohne Begleitung gekommen war, nicht preisgeben wollte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wartete auf eine Erklärung.

„Ich konnte nicht sicher sein, dass ich mit einer Braut zurückkehre“, ließ er sich schließlich zu einer Erwiderung herab. „Immerhin hätte es sein können, dass Euer Bruder Euch in der Zwischenzeit mit jemand anderem verheiratet hätte, trotz unserer Vereinbarung.“

„Ich sehe, Ihr haltet nicht viel von dem Ehrgefühl meines Bruders.“

Sein neuerliches Schulterzucken war ihr Antwort genug. Immerhin schien ihr Retter kein Narr zu sein.

Das Mädchen hatte Temperament. Als Ehefrau mochte sie in gewisser Hinsicht eine schlechte Wahl sein, doch Rory war überzeugt, dass sie im Bett gut zueinanderpassen würden. Fast vergaß er den glühenden Schmerz in seinem Bein, wenn er den Blick über die elfenbeinfarbene Haut ihres Dekolletés gleiten ließ bis dorthin, wo das Mieder den Ansatz ihrer Brüste enthüllte.

Aber mehr noch als ihre körperliche Schönheit war es ohne jeden Zweifel ihr Temperament, das die Männer in ihren Bann zog. Das Bild von Motten, wie sie um ein Licht herumtanzten, stieg vor seinem inneren Auge auf.

„Ich verhungere gleich.“ Gierig biss sie ein Stück von dem getrockneten Wildbret ab.

Er war ebenfalls hungrig, doch er schaffte es kaum zu schlucken, solange er Sybil beim Verzehren ihres bescheidenen Mahls beobachtete und den Blick die ganze Zeit auf ihre roten Lippen gerichtet hielt.

„Dieses Trockenfleisch ist köstlich.“ Sie biss ein weiteres Stück ab, dann lugte sie in die Stofftasche. „Und Äpfel zum Nachtisch!“

Für eine Frau, die an erlesene Speisen gewöhnt war, erschien sie ihm wenig pingelig. Sie verschlang ihren Apfel mit einer Begeisterung, die Bilder eines ganz anderen Appetits in ihm hervorrief. Als sie sich schließlich die Finger ableckte, entschlüpfte ihm ein Stöhnen.

Sie musterte ihn argwöhnisch. Die Fröhlichkeit in ihrer Miene war schlagartig verschwunden. „Schaut mich nicht so an.“

„Wovon redet Ihr?“ Er wusste verdammt gut, was sie meinte.

„Davon, dass Ihr Euch der Täuschung hinzugeben scheint, ich wäre bereit, meine Hochzeitsnacht auf dem schmutzigen Erdboden zu vollziehen.“ Sie sah ihn mit verengten Augen an. „Wenn Ihr das glaubt, irrt Ihr Euch gewaltig.“

„Wollt Ihr damit sagen, wir debattieren darüber, wo die Hochzeitsnacht stattfindet, und gar nicht darüber, ob sie überhaupt stattfindet?“, fragte er hoffnungsvoll.

„Ihr verspracht mir, ich könne später entscheiden, ob ich den Ehevertrag einhalten möchte oder nicht“, rief sie ihm in Erinnerung. „Darauf nagele ich Euch fest.“

„Was ich wirklich sagte, war, dass wir entscheiden können, ob wir den Vertrag einhalten. Und dass jeder von uns darauf bestehen kann, dass die Vereinbarung erfüllt wird, wenn wir zu keiner Einigung kommen.“ Das Wort erfüllt ließ er sich genussvoll auf der Zunge zergehen.

„Ich würde vorschlagen, Ihr tut nichts, was Ihr später bereuen würdet“, warnte sie ihn leise. „Denkt daran, seit Kurzem bin ich im Besitz eines Langdolchs.“

„Ihr würdet meinen eigenen Dolch gegen mich erheben?“ Rory konnte nicht anders, er musste lachen. „Ach, was seid Ihr doch für ein herzloses Frauenzimmer.“

„Die Entscheidung, ob wir die Ehe vollziehen, fälle ich erst, wenn ich Euch besser kenne.“ Drohend hob sie den Zeigefinger. „Sehr viel besser.“

„Zufällig war es genau meine Absicht, dass wir uns besser kennenlernen.“ Ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. Er hätte sie nicht necken sollen, aber sie machte es ihm so verdammt leicht.

„Wenn ich heirate“, fuhr sie unbeirrt fort, „will ich eine ordentliche Feier. Ein unvergessliches Fest, ein prächtiges Kleid und hundert Gäste, die die Trauung bezeugen.“

Diesmal lachte Rory nicht. Als Tochter einer mächtigen Familie war sie dazu erzogen, eine solche Hochzeit als ihr Recht zu betrachten. Sie stand ihr zu.

Auch sein eigener Clan hegte Erwartungen bezüglich seiner Heirat. Da er sowohl der Sohn wie auch der Bruder eines Stammesfürsten der MacKenzies war, würde sich bei seiner Hochzeit der gesamte Clan einfinden.

Genau genommen musste er davon ausgehen, dass seine Hochzeitsfeier bereits geplant wurde – wenn auch mit einer anderen Braut. Wahrscheinlich würde er sein blaues Wunder erleben, wenn er mit einer Verlobten aus dem Flachland auf Eilean Donan Castle eintraf.

3. KAPITEL

Hector MacKenzie of Gairloch blieb an der seeseitigen Ringmauer von Eilean Donan Castle stehen. Von hier aus konnte man meilenweit in jede Richtung blicken. Die Burg lag an einem strategisch günstigen Punkt, weil sich an ihm drei Meeresarme trafen: Loch Duich, Loch Alsh und Loch Long. Indem sie die Wasserwege von Kintail kontrollierten, kontrollierten die MacKenzies auch die Berge und Täler und sogar den Himmel über dem zerklüfteten Landstrich. Und was die MacKenzies kontrollierten, kontrollierte er. Denn wenn auch nicht offiziell, so war er doch der Stammesfürst des mächtigen Clans der MacKenzies.

Er beobachtete die Reiter, die sich der Burg von Loch Duich aus näherten. Als sie dicht genug herangekommen waren, erkannte er den Anführer an seiner enormen Körpergröße. Big Duncan of the Axe, wie man ihn nannte, hatte seit ihrer Jugend an Hectors Seite gekämpft. Er war der Mann, den Hector mit Aufgaben betraute, die Furchtlosigkeit und Stärke erforderten – und vor allem Skrupellosigkeit.

Seit zwei Wochen hielt Hector tagtäglich nach Big Duncan Ausschau. Warum in aller Welt hatte er so lange gebraucht, um seinen verdammten Neffen ausfindig zu machen?

Die Kehle wurde Hector eng vor Wut, wenn er an Rory dachte. Seit zehn Jahren, seit dem Tod seines Bruders – auf den er viel zu lange gewartet hatte –, führte er den Clan im Namen seines Neffen Brian. Er würde nicht zulassen, dass Rory daran etwas änderte.

Wie jedes Mal, wenn er sich das letzte Gespräch mit Brian in Erinnerung rief, wurde er über die Maßen wütend. Aber Rory sagt … in dieser Angelegenheit ist mein Bruder anderer Meinung als du … Rory wies mich an …

An sich war Brian leicht zu lenken. Hector fragte sich immer noch, wie es möglich sein konnte, dass ein vertrauensseliger Trottel wie dieser Junge den Lenden seines Bruders entsprungen war. Ihm kam es vor, als hätte ein Wolf ein Kätzchen gezeugt.

Den Wolf hatte Rory in sich. Obwohl auch er ein Charmeur sein konnte – ein Charakterzug, den er von seiner Mutter geerbt hatte –, war er von Geburt an furchtlos gewesen. Anderen jungen Männern hatte ihr erstes Gefecht Angst eingejagt, nicht so Rory. Und noch zu Zeiten, da seine beiden Neffen Kinder gewesen waren, hatte Rory sich zu Brians Beschützer ernannt.

Wann immer Rory ihn ansah, konnte Hector den Wolf in seinen Augen erkennen, ein Raubtier, das bereit war, sich auf ihn zu stürzen und ihn in Stücke zu reißen. Aber was Letzteres anging, würde Hector ihm zuvorkommen.

Es war ihm stets ein Rätsel gewesen, weshalb Rory, der eindeutig der stärkere der beiden Brüder war, Brian unterstützte, statt zu versuchen, ihn zu stürzen. Die einzige Erklärung, die ihm dazu einfiel, war, dass es sich bei Rorys Ergebenheit seinem Halbbruder gegenüber um einen Akt der Täuschung handelte. Aber wenn Rory glaubte, dass er Hectors Platz einnehmen und den Clan durch seinen schwächeren Bruder regieren konnte, täuschte er sich gewaltig.

Die Männer des Clans, Brian eingeschlossen, waren es gewohnt, Hectors Führung zu folgen. Dafür hatte er gesorgt. Noch während Brians Minderjährigkeit hatte er alles getan, um den Jungen an die Leine zu legen, statt ihn auf Führungsaufgaben vorzubereiten. Trotzdem konnte Brian sich jederzeit als Stammesführer durchsetzen, wenn er wollte. Dank Rory wurde es immer schwieriger, ihn zu beeinflussen.

Das Problem würde sich auf naheliegende Weise lösen lassen. Hector nickte bedächtig, und ein Gefühl von Gewissheit machte sich in ihm breit. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, sicherzustellen, dass er nicht unter Verdacht geriet.

So oder so, Rory musste sterben.

Pferdegetrappel von der steinernen Brücke her drang an seine Ohren. Hector begab sich in den Palas, um Big Duncan im Gemach des Burgherrn zu empfangen. Es war das größte Gelass der Burg und mit flämischen Tapisserien und schweren, reich geschnitzten Möbeln ausgestattet. Er bewohnte das Zimmer seit dem Tod seines Bruders, als er Brians Vormund geworden war, und hatte es auch nach Brians Volljährigkeit nicht geräumt. Warum auch? Immerhin war er der Mann, der den Clan der MacKenzies anführte, wie jeder wusste.

Es dauerte eine Weile, dann öffnete der Wachposten, der draußen stand, die Tür und ließ den Besucher herein. Big Duncan sah aus, als hätte er einen langen, anstrengenden Ritt hinter sich. Der Mann war so hässlich, wie er groß war, und er hatte ein paar spezielle Bedürfnisse, für deren Befriedigung Hector sorgte, um sich der anhaltenden Treue Big Duncans zu versichern.

„Welche Neuigkeiten bringst du von Rory?“, fragte er ungeduldig, als die Tür sich hinter Duncan geschlossen hatte.

„Ich habe den Trupp Männer aus Gairloch, den ich dabeihatte, geteilt, damit wir die Suche ausweiten konnten“, erwiderte Big Duncan finster. „Er blieb unauffindbar.“

„Unauffindbar?“ Hector leerte seinen Pokal und warf ihn an die Wand. „Verdammt soll er sein.“

„Seit Wochen hat ihn niemand mehr gesehen“, fuhr Duncan verdrossen fort. „Nicht seit seinem Streit mit Brian. Vielleicht sind wir ihn für immer los.“

Rory war auch früher schon hin und wieder spurlos verschwunden, doch er war jedes Mal wieder aufgetaucht wie ein Unglücksbringer. Er würde zurückkommen, um seinen Bruder zu beschützen. Und sobald er auftauchte, würde Hector zuschlagen.

4. KAPITEL

Wir sollten jetzt schlafen.“ Der Highlander streckte sich neben ihr auf der Decke aus.

Sybil fühlte sich unbehaglich mit dem Fremden so dicht neben ihr. Obwohl er bis jetzt keinen Versuch unternommen hatte, sich ihr zu nähern, machte er doch ganz den Eindruck, als würde er es gerne tun. Und selbst wenn sie sich irrte – was bestimmt nicht der Fall war –, konnte es sein, dass er auf dumme Gedanken kam, wenn sie neben ihm lag. Das wusste sie, seit sie mit vierzehn neben dem Sohn des Schmieds auf einer Wiese gelegen und die Wolken betrachtet hatte.

„Ich bin sehr geschwächt durch mein verletztes Bein“, sagte der Highlandkrieger, als könnte er ihre Gedanken lesen. „Versucht also nicht, mich zu verführen.“

Wider Willen lächelte sie. Es war anerkennenswert, dass er ihre Ängste spürte und versuchte, sie mit einem Scherz zu beruhigen. Trotzdem, mit dem Hinlegen würde sie warten, bis sie ganz sicher sein konnte, dass er schlief. Sie winkelte die Beine an, umklammerte ihre Knie und zog den Kopf ein, sodass ihr Kinn unter dem Kragen ihres Umhangs verschwand. Mit dem Einbruch der Nacht war es empfindlich kalt geworden.

„Können wir nicht ein Feuer machen?“

„Es würde uns verraten“, erwiderte der Highlander ruhig. „Wenn alles gut geht, sind wir morgen weit genug weg, aber nicht heute.“

„Ich dachte, wir hätten die königliche Garde abgehängt. Glaubt Ihr, sie sind uns immer noch auf den Fersen?“ Ängstlich spähte Sybil in die Dunkelheit.

„Man kann nicht sicher sein“, sagte er mit leiser werdender Stimme. „Legt Euch schlafen, Sybil. Wir müssen früh aufbrechen, und wir haben noch einen langen Ritt vor uns.“

Ihre gemeinsame Reise würde morgen enden. Es war merkwürdig, aber sie begann, eine echte Zuneigung zu dem Mann zu entwickeln. Doch obwohl sie für die Nacht bei ihm gut aufgehoben war, konnte sie unmöglich weiter so tun, als wäre sie seine ihm vertraglich zugesicherte Braut. Sie brauchte eine beständigere Lösung für ihr Problem.

Es dauerte nicht lange, bis sie an seinen regelmäßigen Atemzügen erkennen konnte, dass er eingeschlafen war. Sie ließ ihr Haar herunter, lockerte die Verschnürung ihres Mieders und streckte sich, ihm den Rücken zukehrend, vorsichtig am äußersten Rand der Decke aus.

Allmächtiger, in dieser Stellung würde sie niemals Schlaf finden. Obwohl sie so viel Platz zwischen ihnen gelassen hatte wie nur irgend möglich, lag sie so dicht neben ihm, dass sie ihn berühren würde, wenn sie sich auch nur ein wenig bewegte. Nicht nur hörte sie ihn atmen, sie spürte auch deutlich die Wärme, die von seinem Körper ausging.

Vorsichtig, um ihm ja nicht zu nahe zu kommen, rollte sie sich auf den Rücken und starrte in den dunklen Himmel hinauf. Was sollte sie jetzt machen? Die Maßgaben der königlichen Politik würden sich irgendwann wieder ändern. Bis dahin brauchte sie eine Zuflucht, einen Ort, an dem sie leben konnte, bis der Zorn der Königin verraucht war. Wo konnte sie hingehen?

Tiere raschelten im hohen Gras, der Wind wehte über ihren Köpfen, und von irgendwoher drang ihr der Ruf eines Käuzchens ans Ohr. Die ungewohnten nächtlichen Geräusche verursachten ihr eine schmerzliche Empfindung von Einsamkeit. Sie fühlte sich entwurzelt, fortgerissen von allem, was ihr vertraut war. Wahrscheinlich tat sie gut daran, sich auf eine lange, schlaflose Nacht einzustellen.

„Sybil.“ Der Highlandkrieger sprach ihren Namen mit leiser, benommener Stimme aus, und wieder verspürte sie ein sonderbares Flattern in der Magengrube.

„Aye?“

„Dass ich ohne Eskorte gekommen bin, muss Euch keine Sorgen bereiten“, sagte er ihr. „Ihr habt mein Wort, dass ich Euch beschützen werde.“

So dumm, einem Mann zu vertrauen, der ein solches Versprechen abgab, war sie nicht mehr. Hatten ihre Brüder ihr nicht das Gleiche versprochen? Und trotzdem überkam sie eine tiefe Ruhe, als sie den regelmäßigen Atemzügen des Highlanders lauschte. Kurz darauf war sie eingeschlafen.

Schmerzen und Begierde plagten Rory gleichermaßen, als er aus dem Tiefschlaf auffuhr. Die Wunde an seinem Bein fühlte sich an, als würde sie mit einem glühenden Eisen bearbeitet, während Sybils einladender Körper sich gegen seine Lenden schmiegte und eine ganz andere Art von Glut in ihm entfachte.

Schlaftrunken barg er sein Gesicht in ihrem schwarzen Haar. Es fühlte sich wie Seide an seiner Wange an und duftete nach Sommerblumen. Ohne zu überlegen, was er tat, streckte er die Hand aus, umfasste ihre Hüfte und zog sie dichter zu sich, presste sie an seine pochende Männlichkeit. Im nächsten Moment ertönte ein empörter Aufschrei, und er wurde vollends wach, als sie sich strampelnd und fuchtelnd aus seiner Umarmung befreite.

Verdammt! Der Schmerz explodierte hinter seinen geschlossenen Lidern, als ihr Absatz mit voller Wucht auf der Wunde landete.

Er riss die Augen auf und fand sich einer Sybil gegenüber, die wutentbrannt auf ihn herunterstarrte. Mit dem zerzausten Haar und den geröteten Wangen war sie unglaublich schön.

„Was denkt Ihr Euch eigentlich, was Ihr da tut?“, verlangte sie empört zu wissen.

Von denken konnte nicht die Rede sein, und was er getan hatte, war offensichtlich, darum verzichtete er auf eine Antwort. Bei allen Heiligen, sein Bein tat höllisch weh. Er tastete nach dem halb leeren Schlauch und trank einen großen Schluck, um den Schmerz zu betäuben. Als er den Schlauch absetzte, sah Sybil ihn immer noch finster an.

„Ihr trinkt vor dem Frühstück Whisky?“ Noch eine Frage, die sie selbst beantworten konnte. „Himmel hilf“, sie verdrehte die Augen, „ich bin mit einem Trunkenbold durchgebrannt.“

Ein Schluck am Morgen, und er war ein Trunkenbold. Allmächtiger, war sie tatsächlich die Sorte Weib? Wenn ja, würde er wohl nicht allzu viel Zeit mit ihr verbringen, jedenfalls nicht außerhalb des Betts. Er setzte den Schlauch noch einmal an die Lippen, trank, und sein Blick fiel auf ihre vollen, perfekt geformten Brüste. Ihr Mieder hatte sich so weit gelockert, dass es die rosigen Spitzen kaum noch bedeckte.

Mit einem wütenden Schnauben ließ sie sich zurücksinken und zog sich den Umhang um die Schultern. Ohne den ablenkenden Anblick ihrer Brüste bemerkte Rory auf einmal, dass der Himmel hell wurde. Wie hatte er so lange schlafen können? Die Verletzung schien einen größeren Tribut zu fordern, als er hatte wahrhaben wollen.

„Es hat angefangen zu dämmern.“ Er stupste Sybil an. „Wir müssen aufbrechen.“

Sie hätten längst unterwegs sein sollen. Er stand auf und biss die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien vor Schmerz, dann begann er zu packen.

„Ihr blutet wieder.“ Sibyl deutete auf sein Bein. „Wir müssen die Wunde versorgen, bevor wir losreiten.“

„Auf keinen Fall. Wir brechen umgehend auf.“ Er zog sie auf die Füße, um die Decke zusammenzurollen. Sein Bein tat ihm furchtbar weh, und der harte Beweis seiner Erregung zwischen seinen Schenkeln pochte ebenfalls schmerzhaft. „Wenn Ihr Euch erleichtern müsst, tut es schnell.“

„Ihr seid dickköpfig.“

„Eine wünschenswerte Eigenschaft bei einem Mann“, murmelte er zu sich selbst und hob ächzend den Sattel aufs Pferd.

Er drehte sich gerade noch rechtzeitig in ihre Richtung, um einen Blick auf sie zu erhaschen, wie sie mit wirbelnden Röcken und fliegenden Haaren davonstürmte. Wider Willen lächelte er, als er sie in das Dickicht stapfen sah. Seine Braut versprach, eine Prüfung zu werden, aber er mochte ihr Temperament.

Während er auf sie wartete, ließ er den Blick über die Hügelkuppen der Umgebung schweifen. Er konnte nicht einschätzen, wie hartnäckig die Männer der königlichen Garde sie verfolgen würden. Aber selbst wenn ihre Verfolger nicht Anlass gegeben hätten, sich zu sputen, Brian war allemal Grund genug. Der Himmel allein wusste, wozu ihr Onkel Hector seinen Halbbruder in seiner Abwesenheit überredet haben mochte. Oder was er in Brians Namen veranlasst hatte.

Rory seufzte. Er bereute den Streit mit Brian ebenso wie seinen überstürzten Aufbruch. Und am meisten bereute er, dass er seinen Halbbruder mit Hector allein gelassen hatte.

Was in Dreiteufelsnamen hielt Sybil bloß so lange auf? Ihm riss der Geduldsfaden, und er machte sich auf den Weg zum Bach.

Vorsichtig folgte Sybil dem Bachlauf auf der Suche nach einem Plätzchen, wo der Boden nicht glitschig vor Nässe war. Langsam begann sich ein Plan in ihr zu formen. Irgendwie musste sie den Highlandkrieger davon überzeugen, sie zu einer ihrer Schwestern zu bringen. Ihre Brüder mochten sie bitterlich enttäuscht haben, doch ihre Schwestern würden alles für sie tun, genau wie sie umgekehrt für ihre Schwestern. Ihr war unbehaglich zumute bei dem Gedanken, dass sie sie womöglich einer Gefahr aussetzte, doch alle drei waren mit mächtigen Männern verheiratet. Und was blieb ihr auch anderes übrig? Sie hatte niemanden sonst, an den sie sich wenden konnte.

Die Frage war, wie sie den Highlander am besten für ihr Vorhaben gewann. Noch wagte sie es nicht, ihm die Wahrheit zu sagen. Zumal er ihr nicht wie jemand vorkam, der es auf die leichte Schulter nahm, wenn man ihn an der Nase herumgeführt hatte. Nein, es stand zu viel auf dem Spiel. Doch sobald sie sich in Sicherheit befand, würde sie ihm alles beichten.

Geistesabwesend knabberte sie an ihrem Daumennagel. Eine schlechte Angewohnheit. Wie würde er reagieren, wenn er die Wahrheit erfuhr? Vermutlich würde er beleidigt sein. Wäre er einer der eitlen Pfauen am Hofe gewesen, sie hätte sich einen Spaß daraus gemacht und sich auf seine Kosten amüsiert. Doch der Highlandkrieger war alles andere als ein selbstherrlicher, verweichlichter Höfling. Sein Ehrgefühl hatte ihn veranlasst, sie holen zu kommen – warum er damit allerdings acht Jahre gewartet hatte, würde sie noch herausfinden müssen –, und er hatte sein Leben riskiert, um sie zu retten. Es gab nicht viele Männer wie ihn, jedenfalls nicht in ihrer Welt.

Der Gedanke, ihn zu täuschen, widerstrebte ihr, aber andererseits war es auch nicht so, als ob der Highlander sie wirklich heiraten wollte. Nein, er kam einer Verantwortung nach, fühlte sich dazu verpflichtet. Die Erkenntnis hätte sie nicht verdrießen sollen, doch sie tat es.

Sie gab es auf, nach einem geeigneten Platz zu suchen, zwängte sich durch die Büsche und kniete sich auf einen Flecken Moos. Geistesabwesend strich sie sich über einen Kratzer im Gesicht und dachte an all die Male, da sie lachend und mit ihren Dienerinnen plaudernd in einem dampfenden Zuber vor dem Kamin ihres Schlafgemachs auf Tantallon Castle gebadet hatte. Ob sie je wieder so leben würde?

Seufzend beugte sie sich vor, um sich mit dem Wasser aus dem Bach das Gesicht zu waschen – und erhaschte einen Blick auf ihr Spiegelbild. Grundgütiger, sie sah aus wie eine misshandelte Tavernenhure! Ihr Gesicht war schmutzig und ihr Haar vollkommen durcheinander. Als sie versuchte, die dunklen Locken mit den Fingern zu entwirren, fielen ihr Blätter in die Finger. Blätter!

Sie blickte an sich herunter und besah sich das ganze Ausmaß des Schadens – ihr schmutziges Kleid, die Risse im Saum, ihre dreckverkrusteten Schuhe und die blutverschmierten Ärmel. Dabei war ihr derangiertes Äußeres nebensächlich und bei Weitem das Geringste ihrer Probleme. Sie wusste, es war dumm von ihr, sich darüber aufzuregen, aber nicht einmal mehr über diesen so persönlichen Aspekt ihres Lebens Kontrolle zu haben, war einfach zu viel. In der Absicht, ihr Erscheinungsbild einigermaßen in Ordnung zu bringen, schöpfte sie mit beiden Händen Wasser aus dem Bach. Es war so kalt, dass sie unwillkürlich nach Luft schnappte, doch sie spritzte es sich ins Gesicht und schrubbte, was das Zeug hielt.

Rory beschleunigte seine Schritte. Es erschien ihm unwahrscheinlich, dass das Mädchen sich verirrt hatte, aber andererseits stammte sie aus dem Flachland. Als er sie schließlich fand, blieb er abrupt stehen, vergaß alle Dringlichkeit und sog ihren Anblick in sich auf. Das lange, lockige Haar immer noch offen, kniete sie am Bachufer, wusch sich das Gesicht und sah so betörend aus wie eine Waldnymphe. Es tat ihm leid, dass er sie unterbrechen musste.

„Sybil“, rief er mit gesenkter Stimme, um sie nicht zu erschrecken. „Seid Ihr so weit, Mädchen?“

„Mein Kleid ist eine Katastrophe.“ Sie hob den Kopf und sah in seine Richtung. Die Augen geweitet, berührte sie die ungebärdige Mähne ihres glänzenden schwarzen Haars, das ihr in Wellen über die Schultern fiel. „Mein Haar wohl ebenfalls.“

Sie war so schön, dass ihm der Atem stockte.

„Ihr seht … gut aus“, brachte er mühsam zustande. „Und im Übrigen kriegt Euch außer mir niemand zu Gesicht.“

Ihr finsterer Blick bestätigte ihm, dass seine Antwort nicht eben schmeichelhaft gewesen war. Normalerweise trat er Frauen gegenüber überzeugender auf.

„Wir müssen los.“ Er sah sich um, und augenblicklich befiel ihn wieder das Gefühl, dass Eile geboten war. „Auf der Stelle, Sybil.“

„Lasst mich zuvor Euren Verband erneuern.“ Sie bedeutete ihm, sich neben sie zu setzen, und zog den Dolch, den er ihr gegeben hatte, aus ihrem Gürtel, als hätte sie es schon hundertmal getan. Sie lernte schnell, das musste er ihr lassen.

„Nicht jetzt.“ Er packte sie am Arm und zog sie auf die Füße. „Wir müssen zusehen, dass wir eine ordentliche Entfernung zwischen uns und die Männer der Königin legen.“

Autor

Margaret Mallory

Margaret Mallory wuchs im US-Staat Michigan auf, studierte dort Jura und arbeitete später im juristischen Bereich. Mit dem Schreiben historischer Liebesromane begann sie, als ihre beiden Kinder auf dem College waren. Ihre gefühlvollen Geschichten haben bereits zahlreiche Preise gewonnen. Die Autorin lebt mit ihrem Mann an der wild-romantischen Pazifikküste der...

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