Bitte sag Ja zum Glück

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Sie genießt seine romantischen Annährungsversuche, auch wenn sie das niemals zugeben würde! Denn Holly weiß genau, dass sie dem Werben ihres Chefs Dr. Ryan Murphy nicht nachgeben darf. Doch dann macht er ihr ein Angebot, das sie einfach nicht ablehnen kann …


  • Erscheinungstag 15.05.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506779
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war nur ein leichtes Zittern. Für Außenstehende kaum wahrnehmbar, doch es reichte aus, um Holly Willams’ Selbstvertrauen zu erschüttern. Vor ihr lag das freigelegte Herz eines dreijährigen Jungen, das es zu operieren galt. Wenn sie auch nur den geringsten Fehler machte, konnte dies fatale Folgen für das Leben dieses Kindes haben. Holly atmete tief durch und konzentrierte sich auf ihre Arbeit, doch die Angst, einen Schwächeanfall zu erleiden, blieb. Was, wenn sie nicht mehr in der Lage war, diesen Eingriff zu beenden?

„Sehr gut, Holly, weiter so.“

Ryan Murphys Stimme verfehlte ihre Wirkung nicht. Der plötzliche Schwindel ließ nach, und ihre Hände wurden wieder ruhig. Holly sucht Ryans Blick und nickte. Ja, sie würde es schaffen! Sie würde das Vertrauen, das er in sie setzte, nicht enttäuschen, denn auf diese große Chance hatte sie sehr lange und hart hingearbeitet. Schon häufig hatte Holly bei einem solchen Eingriff assistiert, und nun war sie es selbst, die diese schwierige Operation zu meistern hatte. Ja, sie würde allen beweisen, dass sie das Zeug dazu hatte, eine hervorragende Herzchirurgin zu werden!

„Fang an der rechten Seite an und arbeite dann entgegen dem Uhrzeigersinn, um das Loch in der Herzkammerscheidewand zu schließen“, fuhr Ryan fort.

Holly folgte seiner Anweisung und setzte die Stiche in höchster Konzentration, bis das Gewebe sauber vernäht war.

„Perfekt“, lobte Ryan. „Soll ich jetzt übernehmen, oder willst du weitermachen?“

Holly sah ihm in die Augen, und sein Blick verriet, dass er stolz auf ihre Leistung war. Da machte ihr Herz vor Freude einen Sprung. „Natürlich mach ich weiter. Danke, Ryan!“

Sie fuhr mit ihrer Arbeit fort, und Ryan kommentierte jeden Schritt, um Holly Sicherheit zu geben. Schließlich kam der entscheidende Moment, in dem die Klemme abgenommen wurde und das kleine Herz wieder selbstständig schlagen sollte.

Holly wartete mit höchster Spannung. Was, wenn etwas schiefgelaufen war? Wenn sie doch nicht alles richtig gemacht hatte? Sie blickte auf das kleine Herz, und endlich nahm sie das erste leichte Zucken wahr, das Sekunden später zu einem gleichmäßigen Herzschlag wurde. Holly atmete erleichtert auf. Dann konzentrierte sie sich erneut und bereitete die letzten Schritte vor, um die Brust des Kindes zu verschließen.

Wenig später war der Eingriff beendet, und alle Anspannung fiel schlagartig von Holly ab. Sie war unglaublich froh, dass sie durchgehalten hatte und das leichte Zittern ihrer Hände den Kollegen offenbar entgangen war. Ryan hatte es jedoch bestimmt bemerkt, doch er sagte nichts, sondern wandte sich an den Anästhesisten.

„Alles okay?“

„Ja, alles im grünen Bereich. Blutdruck okay, Sauerstoffsättigung bei achtundneunzig Prozent.“

Ryan lächelte. „So gute Werte hat der Junge wahrscheinlich noch nie gehabt. Gratuliere, Holly, das war hervorragende Arbeit.“

Das Operationsteam applaudierte, und Holly lächelte befreit. Dies war der erste Eingriff, den sie eigenständig durchgeführt hatte und der einen weiteren großen Schritt hin zu ihrem Ziel bedeutete. Sie bedankte sich bei den Kollegen und brachte dann gemeinsam mit Ryan den kleinen Patienten auf die Intensivstation, wo er die nächsten vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden verbleiben sollte.

Nun machte sich die körperliche Erschöpfung bei Holly erst richtig bemerkbar. Ihre Beine fühlten sich an wie aus Blei, und ihr Kopf schmerzte. Ob ihre Kollegen gemerkt hatten, wie belastend diese OP für sie gewesen war? Hatten sie sich möglicherweise sogar gefragt, ob Ryan ihr nicht doch zu viel zugemutet hatte?

„Sie sehen aber gar nicht gut aus“, riss Kate, eine der Krankenschwestern auf der Intensivstation, Holly aus ihren Gedanken. „Ist alles in Ordnung?“

„Ja, ja, natürlich“, versicherte sie schnell, obwohl dies ganz und gar nicht der Wahrheit entsprach. Sie fühlte sich völlig ausgebrannt und sehnte sich danach, sich wenigstens ein paar Minuten auszuruhen.

Kate, die sich schon wieder den Neuanmeldungen zugewandt hatte, blickte kurz auf. „Callums Eltern sind sehr aufgeregt und warten schon auf Sie. Nach dem Gespräch dürfen Sie sie gern zu ihrem Sohn hineinschicken.“ Dann wandte sie sich an Ryan. „Es ist doch alles gut gelaufen, nicht wahr?“

„Da sollten Sie die Chirurgin fragen.“

Holly lächelte, als sie die respektvolle Anerkennung in den Gesichtern des Pflegepersonals sah.

„Es hat alles gut geklappt“, sagte sie bescheiden.

„Wie aus dem Lehrbuch“, fügte Ryan lächelnd hinzu. „Nun komm, Holly, Callums Eltern sitzen sicher schon auf glühenden Kohlen. Und nach dem Gespräch gönnen wir uns eine Tasse Kaffee, ja?“

„Ich fürchte, darauf werden Sie verzichten müssen“, meinte Kate bedauernd. „Gerade eben wurde ein blaues Baby eingeliefert. Sie sollten unbedingt nach ihm schauen.“

Holly stöhnte innerlich auf. Sie war schon jetzt so müde, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Wie sollte sie es da noch schaffen, sich um ein schwer krankes Neugeborenes zu kümmern?

Ryan dachte einen Moment nach. „Weißt du was?“, sagte er schließlich zu Holly. „Ich kann auch allein mit Callums Eltern sprechen. Danach sehe ich schnell nach dem Baby, und du gehst solange vor und kochst uns Kaffee, einverstanden?“

Holly stimmte erleichtert zu. Sie war unendlich froh, dass Ryan ihr diese Aufgaben abnahm und ihr eine kurze Verschnaufpause gönnte. Im Aufenthaltsraum ließ sie sich seufzend in einen der bequemen Sessel sinken und fragte sich, wie lange sie dieses Tempo wohl noch durchhalten würde.

Als Ryan eine knappe Stunde später in den Sozialraum kam, war Holly in ihrem Stuhl eingeschlafen. Nach dem Gespräch mit Callums Eltern hatte er sofort nach dem Neuzugang gesehen. Das Baby war in kritischem Zustand und eine Behandlung umgehend erforderlich gewesen. Nun wurden eine Echokardiografie vorgenommen und mehrere Röntgenaufnahmen gemacht, sodass Ryan sich endlich die ersehnte Pause gönnen konnte. Er freute sich auf frischen Kaffee und wollte dabei die Gelegenheit nutzen, um mit Holly zu sprechen.

Doch nun saß sie da und schlief, und Ryan brachte es kaum übers Herz, sie zu wecken. Ryan betrachtete ihr ebenmäßiges Gesicht, die langen dichten Wimpern und die weichen vollen Lippen, die er nur zu gern geküsst hätte. Holly war das, was man eine echte Schönheit nannte, und sie hätte ebenso gut Model werden können, hätte nicht ihre ganze Leidenschaft der Medizin gegolten.

Doch nun fielen Ryan auch die dunklen Schatten unter Hollys Augen auf und dass sie in den letzten Wochen deutlich abgenommen hatte. Vielleicht war die Belastung, diese schwierige OP ganz allein durchzuführen, doch zu viel für sie gewesen. Natürlich hatte er das leichte Zittern ihrer Hände sofort bemerkt, doch zum Glück hatte der kritische Zustand nicht lange angehalten.

Trotz allem hatte Ryan keine Sekunde daran gezweifelt, dass Holly es schaffen würde. Mut und Entschlossenheit waren ihre großen Stärken, und Ryan wusste, wie sehr sie danach strebte, ihre Fachausbildung zur Herzchirurgin erfolgreich zu beenden. Wie lange sie dem damit verbundenen Stress und Leistungsdruck jedoch noch gewachsen war, wusste er nicht.

Ryan füllte Kaffee in zwei Tassen und stellte sie auf den Tisch. Dann berührte er Holly sanft am Arm. „Holly?“

Sie öffnete schläfrig die Augen. „Ryan … du bist ja schon zurück.“

Er lächelte. „Fühlst du dich jetzt besser?“

Holly richtete sich langsam auf und nickte verlegen. Es war ihr peinlich, dass Ryan sie schlafend vorgefunden hatte. Sie trank einen Schluck Kaffee, und dabei fiel ihr Blick auf die Uhr an der Wand. „Ach du meine Güte!“, rief sie entsetzt. „Ich hab ja ewig lang geschlafen!“

„Kein Problem. Anscheinend hast du es gebraucht.“

„Und ob das ein Problem ist! Ich kann doch nicht einfach am Arbeitsplatz einschlafen!“ Holly war nun völlig aufgelöst, und die Angst, ihre Leistung irgendwann einfach nicht mehr bringen zu können, legte sich wie eine kalte Hand um ihr Herz. „Ach Ryan, immer musst du für mich in die Bresche springen. Warum tust du dir das an?“

Er lächelte erneut und setzte sich zu ihr. „Wie heißt es so schön in der Werbung: Weil du es mir wert bist!“

Da musste Holly lachen, und ihre Sorgen waren mit einem Mal verflogen. Das war typisch Ryan! So müde oder deprimiert sie auch war, er schaffte es immer, sie aufzumuntern. Und genauso war er auch zu seinen kleinen Patienten. Ryan brachte jedes Kind zum Lachen, ganz gleich, wie schlecht es ihm ging. Und er besaß die Gabe, Menschen das Gefühl zu geben, dass sie ihm vertrauen konnten.

Trotzdem durfte Holly ihre kleinen Aussetzer nicht auf die leichte Schulter nehmen. „Jetzt aber mal im Ernst“, fuhr sie fort. „Ich habe sowieso schon ein schlechtes Gewissen, weil du so viel für mich tust. Meinetwegen musst du immer wieder den Bereitschaftsdienst umstellen, Nachtschichten kann ich gar nicht übernehmen, ich habe mehr freie Tage als jeder andere hier auf der Station, und nun schlafe ich auch noch während der Arbeitszeit ein.“

„Die OP war auch sehr anstrengend“, gab Ryan zu bedenken. „Ein Ventrikelseptumdefekt ist keine Kleinigkeit. Und du hast ihn perfekt behoben.“

„Das konntest du nicht wissen. Wie konntest du so sicher sein?“ Sie sah Ryan fragend an. „Warum hast du es mich machen lassen?“

„Weil ich einfach wusste, dass du es kannst. Du bist eine hervorragende Ärztin und hast weit größere Fähigkeiten, als du bisher zeigen konntest. Du musst nur den Mut haben, die Flügel auszubreiten und allen zu beweisen, was in dir steckt.“

„Trotzdem hätte es schiefgehen können, das weißt du.“

„Natürlich. Jede Operation hat ihre Risiken, und jedem Operateur können Fehler unterlaufen. Diese Angst begleitet uns ein Leben lang. Als Chirurg muss man solche Risiken auf sich nehmen und die Verantwortung dafür tragen. Und ich weiß, dass du das kannst. Du hast das Zeug dazu.“

„Ich spreche nicht von allgemeinen Risiken, Ryan. Dass jeder Fehler machen kann, ist klar, aber bei mir gibt es noch ganz andere Probleme. Du weißt, dass ich deutlich weniger belastbar bin als andere. Stell dir nur mal vor, ich würde während eines Eingriffs einen Schwächeanfall erleiden oder gar ohnmächtig werden. Das wäre gar nicht auszudenken. Dir ist vollkommen klar, dass so etwas passieren kann, und trotzdem lässt du mich eigenständig operieren und trägst dafür das Risiko. Das solltest du nicht mehr machen, Ryan, es ist einfach zu gefährlich.“

„Lass das meine Sorge sein.“

Doch Holly schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht. Es belastet mich, dass andere ständig für mich einstehen müssen. Und mir ist vollkommen klar, dass die Chancen, mein großes Ziel zu erreichen, denkbar schlecht stehen.“

Da wurde Ryan ernst. „Das kann man nicht so sagen, Holly. Bisher hast du immer alles geschafft, was du dir vorgenommen hast. Was ist auf einmal los mit dir? Habe ich dich heute zu stark unter Druck gesetzt? Es tut mir leid, wenn das der Fall war. Es war nie meine Absicht …“

„Nein, nein, das ist es ganz bestimmt nicht. Im Gegenteil, du hast mich motiviert und mir bei der OP genau die Sicherheit gegeben, die ich brauchte. Überhaupt verstehst du es sehr gut, die Fähigkeiten anderer Menschen zu erkennen und ihr Selbstvertrauen zu stärken.“

„Und woher kommen dann die Zweifel? Oder bist du heute einfach nur müde?“

Holly lächelte traurig. „Ich bin doch immer müde, Ryan.“

Ryan spürte einen Stich im Herzen, da er sehr gut wusste, wie schwierig es für Holly war, ihren Alltag zu bewältigen. Am liebsten hätte er sie in den Arm genommen, doch als ihr Vorgesetzter hielt er sich geflissentlich zurück. „Wie oft musst du an die Dialyse?“, fragte er behutsam.

„Vier Abende die Woche.“ Holly trank ihren Kaffee aus und lächelte genauso traurig wie zuvor. „Andere haben einen Partner aus Fleisch und Blut, und ich gehe mit einer Maschine ins Bett.“

Ryan sah sie an, und der Drang, sie in den Arm zu nehmen, wurde immer stärker. „Hab noch ein bisschen Geduld“, versuchte er ihr Mut zu machen. „Wenn du erst mal eine Spenderniere hast, wird sich dein Leben von Grund auf ändern.“

„Die Betonung liegt auf wenn“, erwiderte Holly resigniert. „Du weißt so gut wie ich, wie schlecht meine Chancen sind.“

„Das ist es also, was dir so zu schaffen macht.“ Ryan atmete tief ein. „Ich hätte es mir denken können. Die Enttäuschung, dass es letzten Monat doch nicht klappte, war einfach zu groß, nicht wahr?“

Holly nickte. „Ja. Ich hatte mich schon voll und ganz auf die Transplantation eingestellt, doch der Spender hatte eine Zystenniere, genau wie ich. Welche Ironie des Schicksals …“

Ryan nahm ihre Hand und drückte sie sanft. „Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Irgendwann wird die passende Niere für dich gefunden, das weiß ich genau.“

Die Geste war so zärtlich, dass Holly nur mit Mühe die Tränen unterdrücken konnte. Am liebsten hätte sie sich Ryan in die Arme geworfen und ihrem Kummer freien Lauf gelassen. Aber Ryan war der leitende Oberarzt und ihr Chef, und sie wollte keinesfalls vor ihm weinen. Und sie konnte es sich auch nicht leisten, in Selbstmitleid zu versinken, das würde ihr nicht weiterhelfen.

Bisher war es ihr immer gut gelungen, ein fast normales Leben zu führen und sich von ihrer Krankheit, so schwer sie auch sein mochte, nicht beherrschen zu lassen. Das sollte auch weiterhin so bleiben.

„Ich stehe seit zwei Jahren auf der Warteliste – seit ich mit der Dialyse angefangen habe“, fuhr sie fort. „Das Problem besteht darin, dass ich Blutgruppe 0 habe. Ich kann zwar jedem spenden, kann aber selbst eine Spende nur von jemandem erhalten, der die gleiche Blutgruppe hat wie ich. Wie du weißt, kommt es bei einer Organspende außerdem nicht nur auf die Blutgruppe an, sondern auf viele andere Faktoren, zum Beispiel übereinstimmende Gewebetypen. Apropos – mir fällt gerade ein, dass ich meine Probe für diesen Monat noch nicht abgegeben habe. Könntest du mir nachher Blut abnehmen?“

„Natürlich.“ Ryan dachte an das Thema, über das er mit Holly sprechen wollte, und überlegte, wie er es am besten angehen sollte, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen. „Hör mal Holly, ich hab mir in letzter Zeit Gedanken über dich gemacht“, begann er vorsichtig und wartete auf ihre Reaktion.

Hollys Herz begann schneller zu schlagen, und ein ungutes Gefühl stieg in ihr auf. Darauf hatte sie schon die ganze Zeit gewartet. Jetzt würde Ryan ihr bestimmt sagen, dass sie den Anforderungen ihres Jobs gesundheitlich nicht mehr gewachsen war und dass sie auf Teilzeit reduzieren sollte, um sich zu schonen.

„Ich habe mir gedacht, dass …“

Weiter kam er nicht, denn im nächsten Moment ging die Tür auf, und Sue kam herein. Sie war eine der Krankenschwestern von der Intensivstation und Hollys beste Freundin.

„Hi, Sue!“, rief sie erleichtert, weil sie das unangenehme Gespräch mit Ryan nun nicht fortsetzen musste. „Wie geht es Callum? Ist alles in Ordnung?“

„Ja, bestens.“ Sue setzte sich zu den beiden an den Tisch und packte ihr Sandwich aus. „Ich wusste gar nicht, dass ihr hier seid. Ich dachte, ihr kümmert euch um unser blaues Baby.“

Holly suchte beschämt Ryans Blick. Vor lauter Müdigkeit und ihren eigenen Sorgen hatte sie ganz vergessen, ihn nach dem Neugeborenen zu fragen. Während sie hier seelenruhig schlief, hatte er sich um das Kind gekümmert.

Ryan stand auf und stellte die Tassen ins Spülbecken. „Es ist ein Mädchen, das termingerecht zur Welt kam, im Ultraschall waren keine Anomalien zu erkennen. Dafür konnten wir ein zweites Herzgeräusch feststellen, und sie war immer noch zyanotisch bei hundert Prozent Sauerstoff.“

„Transposition der großen Arterien?“, fragte Holly.

„Das ist im Moment unsere Vermutung. Das Echokardiogramm müsste inzwischen fertig sein. Mal sehen, was sie herausgefunden haben.“

Holly stand auf. „Na, dann lass uns keine Zeit verlieren.“

Ryan nickte, und Holly war froh, dass das Gespräch von vorhin nun tatsächlich ausfallen musste. Sie würde noch früh genug von Ryan zu hören bekommen, dass ihre Leistungsfähigkeit allmählich nachließ und es immer schwerer für sie wurde, den Ansprüchen am Arbeitsplatz zu genügen. Doch egal, wie schwer es war, Holly wollte so lange ganztags arbeiten wie nur möglich.

„Muss die Kleine operiert werden?“, fragte sie Ryan auf dem Weg zur Intensivstation, um das zuvor angeschnittene Thema zu vermeiden.

„Nicht sofort, aber es wäre ratsam, den Eingriff in der ersten oder zweiten Lebenswoche durchzuführen, bevor die linke Herzkammer dem Druck des Blutkreislaufs nicht mehr gewachsen ist. Möchtest du zusehen? Du könntest bestimmt eine Menge dabei lernen.“

„Und ob!“ Hollys Müdigkeit war mit einem Mal wie weggeblasen, denn sie wollte keine Gelegenheit verpassen, um neue, wertvolle Erfahrungen zu sammeln.

„Ich kann leider nicht dabei sein, denn ich will die Visite auf keinen Fall verschieben. Es wartet nämlich noch ein zweiter VSD auf mich. Das Kind leidet zudem unter pulmonaler Hypertonie.“

„Wie alt ist es?“

„Achtzehn Monate“

„Meinst du vielleicht Leo?“

„Sag bloß, du hast ihn schon gesehen?“

Holly lächelte. „Ja, das ist der goldige kleine Kerl, mit dem ich gestern Abend noch Verstecken gespielt habe. Eigentlich hätte ich mich stattdessen um den Stapel Entlassungsscheine kümmern sollen, der auf meinem Schreibtisch lag.“

Ryan lachte. „Ach, darum bist du jetzt so müde! Tja, wenn man stundenlang mit kleinen Kindern spielt, braucht man sich nicht zu wundern, wenn man bis in die Nacht hinein arbeiten muss. Und unser Tag heute ist noch lange nicht zu Ende.“ Da wurde er wieder ernst und blieb kurz stehen. „Meinst du, du schaffst das?“

Holly hob entschlossen das Kinn. „Selbstverständlich.“

Ryan sah Holly deutlich an, wie erschöpft sie war, doch er wusste, dass sie niemals freiwillig vor Dienstschluss nach Hause gehen würde. Jeden Tag versuchte sie aufs Neue, ihr Bestes zu geben, auch wenn sie dafür ihre letzten Kräfte mobilisieren musste. Im Moment widmete sie sich gerade den Eltern der kleinen Grace und versuchte ihnen anhand einer Skizze zu erklären, weshalb ihr Kind ein sogenanntes „blaues Baby“ war.

„Schauen Sie hier“, begann Holly in ruhigem, sachlichem Ton. „Bei Grace sind Aorta und Lungenschlagader vertauscht. Wie Sie sehen können, ist die Aorta, die das Blut vom Herzen in den Körper transportieren soll, an der rechten Herzkammer angeschlossen, und die Lungenschlagader an der linken. Für Grace bedeutet dies, dass das Blut, das Sauerstoff aus ihrer Lunge enthält, nicht direkt in den Körper gelangen kann. Deshalb sind ihre Lippen und Finger so blau.“

Graces Vater sah Holly besorgt an. „Aber das kann man doch beheben, nicht wahr?“

Holly nickte. „Ja. Bei der OP werden die beiden Arterien an die jeweils richtige Herzkammer angebracht.“

„Und warum wird das nicht sofort gemacht? Ihr Kollege hat uns vorhin was von irgendeinem Ballon erklärt, der …“

„Das ist eine sehr lange und schwierige Operation“, unterbrach Holly ihn sanft, um ihm die Aufregung zu nehmen. „Vor einem solchen Eingriff müssen viele Tests und Untersuchungen vorgenommen werden. Außerdem müssen wir sichergehen, dass Grace schon kräftig genug ist, um die Operation gut zu überstehen.“

Graces Mutter, die neben dem Brutkasten saß, stand auf und sah Holly hoffnungsvoll an. „Dürfen wir noch ein bisschen bei ihr bleiben, oder müssen wir jetzt gehen?“

„Sie dürfen gern noch etwas bleiben. Die Krankenschwestern erklären Ihnen gleich, was Sie auf der Intensivstation beachten und wie Sie sich verhalten sollten. Und die Untersuchungen werden nicht sehr lange dauern.“

„Werden Sie auch dabei sein?“

„Ja. Machen Sie sich keine Sorgen, wir tun für ihr Baby alles, was in unserer Macht steht.“

Holly war mit ins Labor gegangen, um alle Untersuchungen an Grace genau mitzuverfolgen. Es war der jungen Ärztin sehr wichtig, nicht nur zu ihren kleinen Patienten, sondern auch zu deren Eltern eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Auf diese Weise sollte es ihr gelingen, die bevorstehende Operation für alle Beteiligten so wenig belastend wie möglich zu machen.

Auch mit dem kleinen Leo, den sie später bei der Visite gemeinsam mit Ryan besuchte, hatte sie schon am ersten Tag Freundschaft geschlossen. Der Kleine saß auf dem Schoß seiner hochschwangeren Mutter, als Holly auf ihn zu trat. Bevor sie mit der Untersuchung begann, zeigte sie ihm ihr Stethoskop und machte damit lustige schlängelnde Bewegungen.

„Sieh mal, das ist eine lustige Schlange“, sagte sie lächelnd. „Sie liebt es, kleine Jungs zu kitzeln. Wollen wir sie mal unter dein T-Shirt lassen?“

Leo sah Holly mit großen Augen an und nickte.

„Schlängel-schlängel“, sagte Holly, und Leo kicherte, als sie das Stethoskop unter sein T-Shirt schob und ihn ein wenig damit kitzelte. Dann hörte sie das Herz des Kindes gründlich ab und zog schließlich das Stethoskop behutsam zurück.

„Was hast du gehört?“, erkundigte sich Ryan.

„Systolische und diastolische Herzgeräusche und einen pulmonalen Ausstoß. Letzterer war laut.“

„Und was bedeutet das?“, fragte Leos Vater.

„Das sind anormale Herzgeräusche, mit denen wir nach dem gestrigen Kathetertest gerechnet haben“, erklärte Ryan. „Wie Sie bereits wissen, hat sich das Loch in der Kammerscheidewand noch nicht in dem Ausmaß geschlossen, wie wir es gehofft hatten.“ Er wies auf das Röntgenbild an der beleuchteten Wand. „Leos Herz und seine Lungenarterien sind deutlich vergrößert, und diese Entwicklung sollten wir unbedingt stoppen. Trotz Medikation hat er stärkere Symptome entwickelt, nicht wahr?“

Autor

Alison Roberts
Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde.
Sie fand eine Stelle...
Mehr erfahren
Rose Richards
Mehr erfahren