Landsitz

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Auf den Spuren von Georgette Heyer - die schönsten Romane des Regency.
Warum so scheu, Mylady?
ANN ELIZABETH CREE

Auf dem imposanten Landsitz ihres frisch angetrauten Gatten könnte Sarah ein herrliches Leben führen. Doch Devon St. Clair, Marquess of Huntingdon, hat sie nicht aus Liebe geheiratet, sondern um einen Skandal zu vermeiden. Er will nur eine Vernunftehe führen. Sarah hingegen träumt vom Glück in seinen starken Armen …
Zwischen Ehre und Verlangen
LOUISE ALLEN

Die Wonnen der ehelichen Liebe hat die junge, temperamentvolle Witwe Amanda Clare während ihrer kurzen Ehe nie kennen gelernt. Wie aufregend schon ein Kuss sein kann, zeigt ihr "Jay", der geheimnisvolle Fremde, der bei einem Unfall sein Gedächtnis verloren hat. Amanda will ihm helfen und quartiert ihn in der Nähe ihres Landsitzes Upper Glaven Hall ein. Doch plötzlich ist er verschwunden - angeblich um die schöne Diana zu umwerben …


  • Erscheinungstag 01.06.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783955763619
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Landsitz

Ann Elizabeth Cree

Warum so scheu, Mylady

Aus dem Englischen von Roy Gottwald

Louise Allen

Zwischen Ehre und Verlangen

Aus dem Englischen von Vera Möbius

image

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieser Ausgabe © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der englischen Originalausgaben:

The Marriage Truce

Copyright © 2000 by Annemarie Hasnain

One Night with a Rake

Copyright © 2003 by Louise Allen

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Bettina Lahrs

Titelabbildung: Harlequin Books S.A.

ISBN eBook 978-3-95576-361-9

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Ann Elizabeth Cree

Warum so scheu, Mylady

Aus dem Englischen von Roy Gottwald

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1. KAPITEL

Devon St. Clair, der fünfte Marquess of Huntington, stand am Fenster seines Schlafzimmers in Henslowe Hall und beobachtete, wie die Kutsche des Earls of Monteville auf der kreisrunden Zufahrt hielt. Die Stirn gerunzelt, ließ er den Vorhang fallen und wandte sich ab. Die Aussicht auf den bevorstehenden Ball erschien ihm ungefähr so reizvoll wie ein Aufenthalt im Newgate-Gefängnis. Insbesondere nachdem die Bewohner von Monteville House eingetroffen waren. Wie sollte er Sarah Chandlers Gesellschaft einen ganzen Abend lang ertragen?

“Devon?” Seine jüngere Schwester Jessica trat ein. Sie trug ein hellrosa Ballkleid. Aus dem dichten, hochgesteckten dunklen Haar hingen ein paar kleine Locken herab, die ihr hübsches Gesicht umrahmten. Schmerzlich krampfte sich sein Herz zusammen. Sie wirkte viel zu jung, um ihre eigene Verlobung zu feiern. “Bist du bereit?”, fragte sie. “Ich dachte, es würde dir nichts ausmachen, mich nach unten zu begleiten.”

“Natürlich nicht. Obwohl es mich überrascht, dass Adam diese Ehre nicht für sich beansprucht.” Ein Lächeln erwärmte seine normalerweise kühle Miene. “Wie zauberhaft du aussiehst.”

“Und du bist hochelegant”, meinte sie und begutachtete seinen schwarzen Frackrock und die Kniehosen aus schwarzer Seide. “O Devon, also bist du wirklich und wahrhaftig hier. Darüber freue ich mich sehr. Ich weiß, es ist nicht einfach für dich.”

“Nun ja, ich war nicht allzu begeistert, als du dich ausgerechnet in einen Vetter der Chandlers verliebt hast, dessen künftige Ländereien an das Gut Monteville grenzen.”

Zerknirscht senkte sie den Blick. “Und ich habe mich so bemüht, meine Gefühle zu bekämpfen.”

“Schon gut, ich wollte dich nur ein bisschen hänseln.” Er ging zu ihr und ergriff ihre behandschuhte Hand. “Schau nicht so beklommen drein, Jessica. Ich mag deinen jungen Mann. Und ich hätte eurer Verlobung niemals zugestimmt, wenn ich nicht glaubte, dass er dich glücklich machen will. Heute Abend werde ich mich mustergültig benehmen. Das verspreche ich dir.”

“Deshalb sorge ich mich nicht. Was immer die Leute auch behaupten – du hast nie etwas Falsches getan, und die Schuld liegt einzig und allein bei Lord Thayne.” Sekundenlang wurden ihre haselnussbraunen Augen von Zorn überschattet, dann von einem neuen Unbehagen. “Ich will nicht, dass du wieder … verletzt wirst.”

Beruhigend drückte er ihre Hand, bevor er sie losließ. “Keine Bange, das alles gehört der Vergangenheit an. Komm, ich führe dich hinunter. Sonst glaubt Adam womöglich, du hättest dich anders besonnen.”

Arm in Arm stiegen sie die geschwungene Treppe hinab. Aus dem Ballsaal drangen Gelächter und fröhliches Stimmengewirr. Ein bitteres Lächeln umspielte Devons Lippen. Es fiel ihm verdammt schwer, sich von den Chandlers fern zu halten. Vor einem Monat in London war es unmöglich gewesen, Sarah Chandler aus dem Weg zu gehen. Und nun musste er ihren Anblick einen ganzen Abend verkraften. Eigentlich sollte das keine Probleme aufwerfen, wenn er sich stets am anderen Ende des Raumes aufhielt.

Teilweise hinter einer griechischen, von Efeu und Seidenblumen umrankten Säule verborgen, stand Sarah Chandler in einer Ecke des Ballsaals und wünschte nicht zum ersten Mal an diesem Abend, sie könnte nach Hause fahren. Doch es wäre zu augenfällig gewesen, Kopfschmerzen vorzuschützen.

Wenigstens hatte niemand gestritten. Aber es lag eine fast greifbare Spannung in der Luft, und die Gäste hatten sich in zwei Lager geteilt, wie feindliche Heere auf einem Schlachtfeld. Auf einer Seite standen die Verwandten der Chandlers, neben der hohen Doppeltür, die zur Halle führte, und gegenüber, neben den gläsernen Verandatüren, die St. Clairs. Die übrigen Gäste postierten sich an den beiden anderen Wänden, und ein paar tapfere Ballbesucher wanderten hin und her. Noch schlimmer wäre es, würde Sarahs Bruder Nicholas an der Verlobungsfeier teilnehmen. Zum Glück hielt er sich in Schottland auf.

Als sie über die Köpfe der Tanzpaare hinwegspähte, entdeckte sie Adam, ihren Vetter zweiten Grades. Er tanzte gerade eine Quadrille mit seiner Verlobten, und die beiden schauten sich verliebt in die Augen. Bedauerlicherweise verabscheute Jessicas Bruder die Chandlers.

Sarah schaute zur St. Clair-Formation hinüber. Ausnahmsweise starrte Lord Huntington sie nicht an. An die Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt, schien er die Ereignisse mit sarkastischem Amüsement zu betrachten. Das war nicht ungewöhnlich. Letzten Monat hatte er in London die gleiche Miene zur Schau getragen. Anscheinend störte ihn die gedrückte Stimmung im Ballsaal nicht.

Nur ein oder zwei Mal hatte Sarah eine seltsame Verletzlichkeit in seinen attraktiven Zügen wahrgenommen und das unsinnige Bedürfnis verspürt, auf ihn zuzugehen. Natürlich wäre er sofort geflohen. Als spürte er ihr Interesse, wandte er sich in ihre Richtung und hob spöttisch die Brauen. Errötend senkte sie den Kopf. Warum hatte sich Adam ausgerechnet in Lord Huntingtons Schwester verlieben müssen? Hoffentlich würde sich der Marquess nicht verpflichtet fühlen, das Henslowe-Landgut regelmäßig zu besuchen.

“Sarah, versteckst du dich schon wieder?”

Verwirrt zuckte sie zusammen. Ihre Kusine Amelia, Lady Marleigh, hatte sich zu ihr gesellt.

“Nicht, dass ich’s dir verübeln würde”, fuhr die hoch gewachsene, anmutige Blondine mit den lebhaften blauen Augen fort. “So einen grauenvollen Ball habe ich nie zuvor besucht – und noch nirgends so viele Leichenbittermienen auf einmal gesehen.”

“Und diese Stimmung – wie die Ruhe vor einem Sturm …”

“Was glaubst du, welch ein Gewitter losbrechen wird? Ein Duell?”

“Um Himmels willen, das würde ich nicht ertragen.”

“Vielleicht sollten wir zu den St. Clairs hinübergehen und Lord Henslowe bitten, dich Huntington als nächste Tanzpartnerin zu präsentieren.” Amelia kicherte boshaft. “Damit würden wir für ein bisschen Abwechslung sorgen und die gespannte Atmosphäre auflockern.”

“Nein, besten Dank”, erwiderte Sarah schaudernd. “Wahrscheinlich würde er mir wortlos den Rücken kehren.” Oder noch schlimmer – er würde die Herausforderung annehmen. Dann müsste sie seinen höhnischen Blick und seine bissigen Kommentare während einer ganzen Tanzserie über sich ergehen lassen. So wie in London, wo Lady Ralston den unverzeihlichen Fehler begangen hatte, sie an der Dinnertafel neben dem Marquess zu platzieren … Bei dieser Erinnerung fröstelte Sarah immer noch.

“Bist du sicher? Dauernd starrt er dich an. Das ist sogar John aufgefallen. Normalerweise bemerkt er so was nie. Wäre es möglich, dass du gewisse Gefühle in Lord Huntington erregst?”

“Mach dich nicht lächerlich!”, fauchte Sarah. “Er hasst mich. Was ich ihm nicht einmal übel nehmen kann.”

Amelia verdrehte die Augen. “Wie albern! Ich finde diesen Streit grauenhaft. Gewiss, das war eine sehr unerfreuliche Affäre. Aber seither sind fast zwei Jahre vergangen. Wenn ich auch verstehe, dass er nichts mehr von Nicholas wissen will – was wirft er dir vor? Du hattest doch gar nichts damit zu tun.”

Leider täuschte sie sich. Sarah hatte sehr viel damit zu tun. Hätte sie Mary nicht eingeladen, wäre sie nicht so besorgt um Mama und so naiv gewesen, würde sie jetzt keine Schuldgefühle empfinden.

“Jedenfalls wärst du mit Huntington besser dran als mit Cedric Blanton”, bemerkte Amelia und klappte ihren Fächer zu. “Ich fürchte, er will dich wieder zum Tanz auffordern. Wenn du noch einmal mit ihm tanzt, wird man euch für verlobt halten.”

“O Gott …” Sarah drehte sich um und sah ihren unwillkommenen Bewunderer tatsächlich auf sich zukommen. Vor einem Jahr hatte der etwa 30-jährige Mann ein kleines Landgut in der Nähe gekauft und wenig später sein Interesse an ihr bekundet. Sogar in London war er aufgetaucht, wo sie einen Monat lang bei Amelia und deren Ehemann John gewohnt hatte.

“Da du’s anscheinend nicht fertig bringst, ihm einen Korb zu geben, solltest du das Weite suchen”, schlug Amelia vor. “Geh schon! Ich werde ihn mit meiner geistreichen Konversation ablenken.”

Dankbar nickte Sarah und eilte an der Wand des Ballsaals entlang. Es war wohl am besten, wenn sie durch eine der Glastüren auf die Veranda floh. Unglücklicherweise hatten sich die St. Clairs auf dieser Seite des Raums versammelt. Nun, vielleicht würde man gar keine Notiz von ihr nehmen. Plötzlich versperrte ihr eine rundliche ältere Frau den Weg. Um ihr nicht auf die Zehen zu steigen, trat Sarah beiseite, und ihr Fuß landete auf dem Schnallenschuh eines Gentleman. Verlegen blickte sie auf. “Oh, verzeihen Sie …” Als sie sein Gesicht erkannte, erstarb ihre Stimme.

Lord Huntington schaute genauso verwirrt drein, wie sie sich fühlte. Dann zog er arrogant die Brauen hoch. “Miss Chandler, allmählich gewinne ich den Eindruck, Sie legen es darauf an, unsere Bekanntschaft zu vertiefen.”

“Da irren Sie sich”, fauchte sie.

“Wieso laufen Sie mir dann immer wieder in die Arme?”

“Genauso gut könnte ich fragen, warum Sie mir dauernd im Weg stehen.”

Sein spöttischer Blick trieb ihr das Blut in die Wangen. “Vielleicht, weil ich unsere Bekanntschaft vertiefen will.”

“Versuchen Sie mich zu ärgern, Sir?”

“Aus welchem Grund sollte ich diesen Wunsch verspüren?”

“Keine Ahnung. Würden Sie mich vorbeilassen?”

“Wäre das ratsam? Dies ist die St. Clair-Seite des Saals. Kehren Sie lieber um, und bringen Sie sich in Sicherheit. Außerdem scheint es unserem Gastgeber zu missfallen, dass Sie mit mir sprechen.”

Unauffällig spähte Sarah in Lord Henslowes Richtung. In der Tat, er starrte sie mit finsterer Miene an. Seufzend wandte sie sich ab. Einfach lächerlich. Warum durfte sie nicht selbst bestimmen, mit wem sie sich unterhielt? Über Lord Huntingtons Schulter beobachtete sie Cedric, der Amelia gerade verließ und sich suchend umschaute. Ein paar Sekunden später entdeckte er sie und näherte sich zielstrebig. “Wenn Sie mich entschuldigen würden, Sir – ich kann nicht den ganzen Abend hier herumstehen und Unsinn mit Ihnen reden.”

“Wollen wir Unsinn reden, während wir tanzen?”, fragte Huntington.

Sarah schluckte krampfhaft. “Bitte, Sir, hänseln Sie mich nicht … Ich muss mich um meinen Großvater kümmern …” Während sie auf die Veranda eilte, wusste sie nicht, ob sie vor Huntington oder Blanton floh.

Devon schaute ihr nach. Wollte sie Lord Monteville im Garten suchen? Im Spielsalon würde sie ihn eher finden. Ärgerlich runzelte er die Stirn. Warum musste er sie jedes Mal verspotten, wenn sie sich begegneten? Um ihre schönen Wangen erröten zu sehen? Wenn er vernünftig wäre, würde er sich von ihr fern halten. Ihr sichtliches Entsetzen über seinen Vorschlag, sie sollte mit ihm tanzen, hatte verraten, wie schrecklich gern sie das tun würde.

“Schon wieder auf Kriegsfuß?” Lord Jeremy Pennington, sein Vetter, tauchte neben ihm auf. Womit hast du Miss Chandler in die Flucht geschlagen?”

“Ich bat sie nur um einen Tanz.”

“Darauf hat sie etwas seltsam reagiert. Aber das verstehe ich. Anscheinend bist du wild entschlossen, die arme junge Dame unablässig zu necken.”

“Was soll ich denn sonst tun, wenn sie mich für den Teufel persönlich hält?”

“Mit den Sünden ihres Bruders hat sie nichts zu tun. Vielleicht solltest du eine Versöhnung anstreben. Sonst werden immer wieder peinliche Situationen entstehen. Nachdem Jessica und Adam verlobt sind …”

“Selbst wenn ich’s wollte – Miss Chandler wäre wohl kaum damit einverstanden.”

“Von Miss Chandler habe ich gar nicht gesprochen”, erwiderte Jeremy lächelnd.

Devon wollte antworten, doch dann wurde seine Aufmerksamkeit von Cedric Blanton abgelenkt, der vor einer Terrassentür stand, in den Garten schaute und jemanden zu suchen schien. Wen – das wusste Devon nur zu gut. In London war Blantons brennendes Interesse an Sarah Chandler unübersehbar gewesen. Das beunruhigte Devon – insbesondere seit einem Picknick im letzten Sommer, bei dem er Blanton in letzter Minute daran gehindert hatte, die Tochter des Duke of Wrexton in ein Gebüsch zu zerren.

Als die Musik verstummte, erschien ein Lakai, um das Dinner anzukündigen, und Jeremy wandte sich zu Devon. “Gehen wir? Tante Beatrice hat mir befohlen, sie zu eskortieren. Wenn ich mich verspäte, handle ich mir einen Tadel ein, und dieser Gefahr will ich entrinnen.”

“Ich komme gleich nach.”

“Gut, bis dann.”

In wachsendem Unbehagen beobachtete Devon, wie Blanton in den Garten ging. War Sarah leichtsinnig genug, sich immer noch da draußen herumzutreiben? Hastig ließ er den Blick über die Gästeschar schweifen, die zum Ausgang strömte. Aber er entdeckte keine schlanke Gestalt in cremefarbenem Kleid mit hochgestecktem kastanienroten Haar.

Kurz entschlossen eilte er in den kühlen, dunklen Garten. Wolkenschleier verhüllten den Mond. Zwischen hohen Büschen drangen Stimmen hervor. Er beschleunigte seine Schritte, und wenige Sekunden später erblickte er eine Frau, die sich in Blantons Armen wand. Nachdem sie ihn abgewehrt hatte, packte er sie sofort wieder, und Devon hörte, wie die Seide ihres Kleids zerriss.

“Lassen Sie mich los!”, zischte sie.

“Nein, meine Liebe, ich muss mit Ihnen reden.”

Ohne lange zu überlegen, trat Devon vor. “Sir, ich empfehle Ihnen, den Wunsch der Dame zu erfüllen.”

Erschrocken gehorchte Blanton und fuhr herum. Als er den Marquess erkannte, kniff er die Augen zusammen. “Warum mischen Sie sich in eine private Unterredung ein, Sir?”

“Für solche Gespräche sollten Sie einen anderen Ort und Zeitpunkt wählen.” Er warf einen kurzen Blick auf Sarah, die zitternd ihre Arme vor der Brust verschränkte, um ihr zerrissenes Kleid zu verbergen. Anscheinend fühlte sie sich elend, und er bezähmte seinen Zorn nur mühsam. “Aber ich fürchte, Miss Chandler würde Ihre Konversation auch anderswo nicht sonderlich schätzen.”

“Was meinen Sie damit?”, stieß Blanton erbost hervor.

“Ist das nicht offensichtlich? Miss Chandler wollte gehen, und Sie versuchten Sie gewaltsam zurückzuhalten.”

“Keineswegs.” Blanton rückte seine Krawatte zurecht. “Außerdem ist sie meine Verlobte.”

“O nein!”, protestierte Sarah.

“Nun, Sie werden mich wohl oder übel heiraten müssen. Sonst wäre Ihr Ruf gefährdet. Huntington hat Sie in meinen Armen gesehen.”

“Deshalb müssen Sie keine so drastischen Maßnahmen ergreifen”, erklärte Devon verächtlich. “Ich werde Stillschweigen bewahren.”

“Warum sollte ich Ihnen trauen? Sie hassen die Chandlers, und Sie könnten grausame Rache üben, indem Sie den Ruf dieser jungen Dame ruinieren. Damit würden Sie der ganzen Familie schaden.”

“Auf diese Weise würde ich mich niemals rächen. Und jetzt sollten Sie ins Haus zurückkehren. Oder wollen Sie mich morgen bei Tagesanbruch zum Duell treffen?”

Erschrocken zuckte Blanton zusammen. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und lief zur Veranda.

Devon musterte Sarah, die reglos dastand, als hätte sie einen Schock erlitten. “Alles in Ordnung?”

“Ja.”

Einerseits wollte er sie schütteln, andererseits tröstend in die Arme nehmen. Dieser unerwartete Gedanke irritierte ihn. “Was zum Teufel haben Sie hier draußen mit Blanton gemacht?”

“Aber ich bin nicht mit ihm hierher gekommen. Er … er ist mir gefolgt.”

“Für eine junge Dame ist es höchst unschicklich, allein durch einen nächtlichen Garten zu wandern. Wissen Sie das nicht? Oder haben Sie versucht, Blanton zu ermutigen?”

Mit dieser Frage schien er sie aus ihrer Trance zu reißen. “Natürlich nicht! Ich wollte einfach nur ein paar Minuten allein sein. Und plötzlich stand er da … Wahrscheinlich war es mein Fehler … Entschuldigen Sie mich jetzt.” Das Oberteil ihres Kleids immer noch an sich gepresst, ging sie an ihm vorbei.

“Warten Sie, Miss Chandler!” Verwirrt drehte sie sich um. “Wie schlimm sieht der Riss in Ihrem Kleid aus?”

“Nicht so tragisch. Nur eine Rüsche ist ein bisschen ramponiert. Diesen Schaden kann man mit Nadel und Faden leicht beheben.”

“So können Sie nicht in den Ballsaal gehen.”

“Was bleibt mir denn anderes übrig? Wenigstens sitzen sie schon alle an der Dinnertafel.”

Devon zeigte auf Sarahs Brosche. “Könnten Sie den Riss damit zusammenhalten?”

“Ja – vielleicht …” Mit bebenden Fingern versuchte sie die Schließe der Brosche zu öffnen, ohne Erfolg.

“Lassen Sie mich das machen.” Seine Hand streifte ihren Busen, und sie erstarrte. Plötzlich waren seine Finger genauso ungeschickt wie ihre, und es fiel ihm schwer, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Sarah duftete viel zu süß, und da sie sich anscheinend bemühte, keine Luft zu holen, nahm sie auch ihm den Atem.

“Sir … jetzt … jetzt sollte ich hineingehen”, stammelte sie.

“Gleich …” Als er die Nadel aus der dünnen Seide zog, hörte er einen schrillen Schrei hinter sich.

“Oh, mein Gott!”

Die Brosche in der Hand, drehte er sich um. Lady Henslowe stand auf dem Gartenweg und griff sich an die Kehle. Sogar im schwachen Mondlicht sah er, wie alles Blut aus ihren Wangen wich. Und über ihrer Schulter nahm Lord Henslowes normalerweise sanftes Gesicht mörderische Züge an.

“Verdammt”, murmelte Devon. Offenbar plante das Schicksal, ihn für jede einzelne seiner zahlreichen Sünden zu bestrafen.

2. KAPITEL

Selbst wenn Sarah hundert Jahre alt werden sollte, würde sie Lord und Lady Henslowes schreckensbleiche Gesichter niemals vergessen. Sie schloss die Augen und hoffte inständig, sie würde im Erdboden versinken oder auf der Stelle sterben.

Weder das eine noch das andere geschah. Widerstrebend hob sie die Lider und sah Lord Henslowe auf Huntington zugehen. “Sir, ich nehme an, wir haben eine Verlobung zu feiern”, sagte er in eisigem Ton.

“Ja”, bestätigte Huntington kühl.

“Nein”, erwiderte Sarah gleichzeitig.

“Meine Liebe!”, rief Lady Henslowe. “Du kannst dem Marquess nicht solche Freiheiten gestatten und dich dann weigern, ihn zu heiraten!”

Lord Henslowes Blick fiel auf Sarahs zerrissene Seidenrüsche. “So danken Sie mir meine Gastfreundschaft, Sir? Indem sie über einen meiner weiblichen Gäste herfallen? Leider ist es zu spät, um die Heirat meines Sohnes und Ihrer Schwester zu verbieten. Aber ich will verdammt sein, wenn Sie je wieder einen Fuß in dieses Haus setzen.” Mit erhobener Hand ging er auf Huntington zu, und Sarah trat hastig dazwischen.

“Nein! Halt! Er … er hat nichts verbrochen. Dafür ist er nicht verantwortlich.”

“Verteidigst du den Schurken auch noch, Sarah? Hat er dich bereits verführt?”

“Natürlich nicht.”

“Und wieso ist dein Kleid zerrissen, Kindchen?”, fragte Lady Henslowe verstört. “Warum bist du mit ihm in den Garten gegangen?”

“Ich wollte nur ein paar Minuten allein sein, und dann …”, begann Sarah.

Entschlossen fiel Huntington ihr ins Wort. “Das ist weder der richtige Ort noch der passende Zeitpunkt für dieses Gespräch. Miss Chandler zittert am ganzen Körper. Bitte, Lady Henslowe, führen Sie die junge Dame ins Haus und geben Sie ihr einen Brandy.”

“Ja, gewiss”, stimmte die Gastgeberin zu und ergriff Sarahs Hand. “So ein Schock … Komm, Kindchen.”

“Aber ich will keinen Brandy”, protestierte Sarah.

“Sie bleiben hier bei mir, Huntington”, entschied Henslowe, ohne Sarah zu beachten. “Glauben Sie bloß nicht, Sie könnten davonlaufen, bevor diese Angelegenheit geregelt ist.”

“Das hatte ich auch gar nicht vor”, erwiderte der Marquess und verschränkte gleichmütig die Arme vor der Brust.

“Bitte, hört doch zu!”, flehte Sarah verzweifelt. “Lord Huntington hat mein Kleid nicht zerrissen, sondern …”

“Gehen Sie, Miss Chandler.” Warnend runzelte Huntington die Stirn.

“Nein, erst muss ich alles erklären.”

“Es gibt nichts zu erklären. Begleiten Sie Lady Henslowe ins Haus.”

Lady Henslowe zerrte an Sarahs Hand. “Komm endlich, Liebes! Du darfst nicht mehr hier herumstehen – in deinem zerrissenen Kleid. O Gott, Sarah, wie konntest du nur! Was wird Monteville sagen?”

“Nicht Großvater. Wenn du ihm davon erzählst … Er wird mich umbringen!”

“Hoffentlich hast du nichts getan, was diese Angst rechtfertigen würde …” Plötzlich erstarrte Lady Henslowe und stöhnte leise. Bestürzt wandte sich Sarah zu dem Mann, der lautlos herangekommen war und jetzt hinter ihr stand. Zum zweiten Mal an diesem Abend wünschte sie, im Erdboden zu versinken.

Kühl und ausdruckslos wanderte der Blick des Earl of Monteville von einem zum anderen und blieb schließlich an Sarahs Kleid hängen. “Ich wüsste gern, warum meine Enkelin im dunklen Garten steht, mit einem Riss in ihrem Kleid.”

“Am besten, wir sprechen unter vier Augen miteinander, Sir”, schlug Huntington vor.

“Nein, das ist nicht nötig”, mischte Sarah sich ein und schüttelte Lady Henslowes Arm ab. “Ich kann alles erklären. Was mein zerrissenes Kleid betrifft – Lord Huntington ließ sich nichts zu Schulden kommen, und er wollte mir nur helfen.”

“Dieser Schurke wollte dich verführen!”, stieß Lord Henslowe hervor.

“O nein!”, rief Sarah empört.

Als sich der Earl zu ihr wandte, wirkte sein Blick nicht unfreundlich. “Am besten gehst du jetzt ins Haus, mein Kind. Offensichtlich frierst du. Penelope wird einen Schal für dich finden.”

“Ja, gewiss.” Lady Henslowe griff wieder nach Sarahs Hand. “Komm, Liebes.”

Widerstandslos folgte Sarah ihrer Tante. Es hatte keinen Sinn, mit ihrem Großvater zu diskutieren. Nun konnte sie nur hoffen, er würde Huntington von dem albernen Entschluss abbringen, sie zu heiraten.

Lord Monteville folgte Devon in Henslowes Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich. Auf dem wuchtigen Mahagonischreibtisch verbreiteten Kerzen in einem Silberleuchter schwaches Licht. Der Earl ging zum Sideboard und füllte zwei Gläser mit Brandy. “Jetzt können wir sicher einen Drink vertragen.”

“Danke.” Devon nahm ein Glas entgegen. Offenbar beabsichtigte Monteville nicht, ihn zum Duell zu fordern. Wenigstens jetzt noch nicht. Trotz seines Alters war der Earl immer noch ein ausgezeichneter Fechter. Auch Devon wusste seinen Degen zu schwingen. Aber er wollte nicht gegen einen Mann kämpfen, der um einige Jahrzehnte älter war als er. Er nippte an seinem Glas, und nachdem der Brandy seine Kehle erwärmte hatte, wandte er sich zu Monteville.

Mit durchdringenden grauen Augen schaute der Earl ihn an. “Nun, Huntington? Würden Sie mir das kleine Drama im Garten erklären?”

“Lord und Lady Henslowe trafen Miss Chandler und mich allein zwischen den Büschen an.”

“Das war alles? Warum gewann Penelope den Eindruck, Sarah wäre kompromittiert worden?”

“Meine Hand berührte ihre Brust.”

“Ah, jetzt wird die Sache etwas delikater. Aber es gibt sicher einen Grund, warum Sie das taten.”

“Ich versuchte den Verschluss einer Brosche zu öffnen, die Miss Chandler brauchte, um einen Riss in ihrem Kleid zu kaschieren.”

“Und wie ist dieser Riss entstanden?”

Devon hatte nicht vor, Cedric Blanton zu erwähnen. “Keine Ahnung. Ich habe nichts damit zu tun. Trotzdem werde ich Miss Chandler heiraten.”

“Warum?”

“Weil mir niemand vorwerfen soll, ich hätte Ihre Enkelin verführt, Sir. Zwischen unseren Familien gibt es schon genug Spannungen. Außerdem sollen meine Sünden das Glück meiner Schwester nicht trüben. Wenn es möglich wäre, würde Henslowe die Heirat seines Sohnes verhindern.”

“Ich verstehe noch immer nicht, warum Sie mit Sarah im Garten waren, Huntington.”

“Ich sah sie hinausgehen. Als das Dinner angekündigt wurde, kam sie nicht zurück. Da beschloss ich, ihr zu folgen.”

Nachdenklich nickte der Earl. “Ich verstehe … Sagen Sie, Huntington – empfinden Sie etwas für meine Enkelin?”

Devon runzelte verwirrt die Stirn. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. “Ich kenne sie kaum. Bestenfalls könnte man unsere Beziehung als Waffenstillstand bezeichnen.”

“Ja, so könnte man’s unter diesen Umständen nennen. Nach einer kurzen Pause fuhr der Earl fort: “Dieser Abend verläuft wirklich hochinteressant. Kurz vor unserer Begegnung im Garten sprach mich ein Gentleman an, der ebenfalls behauptete, er sei mit meiner Enkelin zwischen den Büschen allein gewesen. Als er sie umarmt habe, sei er beobachtet worden. Nun scheint er zu glauben, ich wäre verpflichtet, ihn mit Sarah zu vermählen.”

Kalter Zorn stieg in Devon auf. “Seien Sie versichert, Sir – lieber würde jener Zeuge seine Seele verkaufen, als solche Indiskretionen zu verbreiten. Übrigens war Ihre Enkelin nicht sonderlich erfreut über die Umarmung.”

“Das dachte ich mir. Ich sorge mich um ihr Glück, und ich würde mir wünschen, sie könnte mit Ihnen eine bessere Ehe führen als mit jenem anderen Gentleman.”

“Wenn Sie an Miss Chandlers Wohl denken, sollten sie Blanton von ihr fern halten.” Mit ausdrucksloser Miene fügte Devon hinzu: “Ich würde sie sicher nicht unglücklich machen.”

“Hoffentlich nicht. Sie besitzt ein gütiges, großzügiges Herz. Daran soll sich nichts ändern.” Monteville schaute zur Uhr hinüber, die auf dem Kaminsims stand. “Es ist spät geworden. Setzen wir unser Gespräch morgen früh fort. Übrigens – haben Sie meine Enkelin über Ihre Absichten informiert?”

“Ja, und sie war nicht sonderlich begeistert.” Welch eine Untertreibung … Sie hatte den Eindruck erweckt, er würde ihr eine lebenslange Gefängnisstrafe androhen.

“Vielleicht sollten Sie ihr etwas konventioneller begegnen”, meinte der Earl lächelnd. Er ging zur Tür. “Kommen Sie morgen früh zu mir. Falls Sie sich fragen, wo Sie in dieser Nacht schlafen sollen – Lord Henslowe wird Sie gewiss nicht hinauswerfen.”

Verblüfft starrte Devon die Tür an, die hinter Lord Monteville ins Schloss gefallen war. Hatte er ihm soeben befohlen, Sarah Chandler einen offiziellen Heiratsantrag zu machen? Bei dieser Unterredung hatte Devon erwartet, der Earl würde ihn einen Schurken und Wüstling nennen und vielleicht sogar sein Leben bedrohen. Mit dieser widerstandslosen Einwilligung in seine Pläne hatte Devon nicht gerechnet.

Er wusste, wie sehr die Chandlers ihn hassten. Obwohl seine Frau ihn mit Nicholas betrogen hatte, gaben sie auch ihm selbst die Schuld. Einem Gerücht zufolge war es seine Gefühlskälte gewesen, die Mary in Nicholas’ Arme getrieben hatte.

Und das Duell … Er lächelte grimmig. Beinahe hätte an diesem Abend ein weiterer Kampf stattgefunden. Und nach Henslowes finsterer Miene zu schließen, bestand diese Möglichkeit immer noch. Er ging zum Sideboard und ergriff die Karaffe. Was zum Teufel hatte er getan? Wäre er bloß seiner inneren Stimme gefolgt und Sarah Chandler aus dem Weg gegangen. Doch dann würde Blanton ihr am nächsten Morgen einen Antrag machen. Er stellte die Karaffe wieder ab. Plötzlich verging ihm die Lust auf einen zweiten Brandy.

3. KAPITEL

Sarah versuchte eine Scheibe Toast hinunterzuwürgen, gab es schließlich auf und sank ins Kissen zurück. Normalerweise freute sie sich an einem so schönen, sonnigen Morgen auf die nächsten Stunden, die sie im wundervollen Garten von Monteville House verbringen würde, um zu malen oder zu zeichnen.

Aber an diesem Tag hätte sie sich am liebsten unter der Decke verkrochen oder die Zeit zurückgedreht. Dann könnte sie Kopfschmerzen vorschützen, damit sie den Henslowe-Ball nicht besuchen müsste – ganz egal, ob sich ihre Tante Penelope, Lady Henslowe, aufregen würde oder die St. Clairs beleidigt wären. Zumindest hätte sie sich an diesem Morgen nicht an die Ereignisse des vergangenen Abends erinnern müssen, mit dem Gefühl, ein böser Traum wäre Wirklichkeit geworden. Lady Henslowes sichtliches Entsetzen, Lord Henslowes Drohungen, die kühle Miene des Großvaters und – am allerschlimmsten – Lord Huntingtons eisiger Blick …

Im Vergleich dazu erschienen ihr sogar Cedric Blantons Liebeserklärung und sein widerwärtiger Kuss eher harmlos. Bis jetzt hatte sie noch keine Gelegenheit gefunden, mit ihrem Großvater zu sprechen. Lady Henslowe hatte sie nach dem Zwischenfall in einen kleinen Salon geführt und war davongeeilt, um ein Dienstmädchen zu holen. Wenig später erschien Sarahs Tante Helen, Lady Omberley, mit Amelia im Schlepptau und verkündete, sie alle müssten das Haus sofort verlassen. John, Amelias Mann, wurde vom Spieltisch geholt und beauftragt, die Damen nach Hause zu bringen. Wenn er auch kein Wort über die unerfreuliche Angelegenheit verlor – sein grimmiges Gesicht sprach Bände. Während der Fahrt fand Sarah das drückende Schweigen viel schrecklicher, als wenn die Verwandten ihr bittere Vorwürfe gemacht hätten.

Erst als sie im Bett lag, fragte Amelia besorgt: “Alles in Ordnung? Ich will deine Nerven nicht strapazieren – aber was ist passiert? Mama und ich hatten das Dinner gerade beendet, als Tante Penelope uns zu sich bat. Völlig außer sich, fast hysterisch beklagte sie sich über Schlangen an ihrem Busen und erklärte, wir müssten uns sofort um dich kümmern, weil Lord Huntington dich zu verführen versucht habe. Dann ließ Großvater uns ausrichten, wir sollten dich nach Hause bringen.” Von plötzlicher Wut erfasst, stieß sie hervor: “Wenn Huntington dir was angetan hat, fordere ich ihn selber zum Duell!”

“Nein, er … hat nichts verbrochen.” Und mich gerettet, ergänzte Sarah in Gedanken. “Er versuchte mir zu helfen. Als Lord und Lady Henslowe in den Garten kamen, öffnete er gerade meine Brosche, mit der ich einen Riss in meinem Kleid zusammenstecken wollte.”

“Wieso ist es zerrissen? Und warum warst du mit Huntington im Garten?”

“Ich ging allein hinaus, und Cedric Blanton folgte mir. O Gott, welchen Unsinn er geredet hat … Ich sei eine Vision im Mondlicht. Das mochte ich mir nicht länger anhören und sagte, ich müsste ins Haus zurückkehren. Plötzlich packte er mein Handgelenk – und küsste mich.” Beschämt wich Sarah dem Blick ihrer Kusine aus.

“Oh, wie schrecklich!”

Schaudernd erinnerte sich Sarah an den seltsamen Ausdruck in Blantons Augen. Beinahe hatte sie gefürchtet, er könnte ihr Gewalt antun. Glücklicherweise war Huntington gerade noch rechtzeitig aufgetaucht. “Er wollte mich nicht loslassen. Als ich mich aus seinen Armen befreite, zerriss er mein Kleid. Und dann kam Huntington in den Garten. Blanton behauptete, ich sei seine Verlobte, weil er hoffte, Lord Huntington würde aus lauter Rachsucht überall ausposaunen, mein Ruf sei ruiniert, und ich müsste meinen Verführer heiraten. Aber Huntington versicherte, er würde schweigen, und Blanton verschwand. Huntington öffnete meine Brosche – und im selben Augenblick erschienen die Henslowes.”

“O Sarah …”

“Lord Henslowe fragte, ob eine Verlobung stattfinden würde, was Huntington bejahte. Natürlich protestierte ich.”

“Hast du denn eine Wahl? Wenn sich das alles herumspricht!”

“Warum sollte es? Außer den Henslowes, dir, Tante Helen und Großvater weiß niemand Bescheid. Und sobald ich Großvater alles erklärt habe …”

“Leider ist es zu spät”, seufzte Amelia. “Tante Penelope hat Serena bereits eingeweiht. Und die kann kein Geheimnis für sich behalten.”

“O nein …” Lady Henslowes einzige Tochter war herzensgut, aber furchtbar geschwätzig.

Und an diesem Morgen, in der Stille ihres Schlafzimmers, fühlte sich Sarah immer noch völlig hilflos. Ihre größte Sorge galt Lord Huntington. Was er gestern Abend mit ihrem Großvater besprochen hatte, wusste sie nicht. Und sie konnte nur hoffen, er hätte nicht erneut um ihre Hand angehalten. Dieser Gedanke hatte ihr fast die ganze Nacht den Schlaf geraubt. Warum sollte er die Schuld an einem Zwischenfall auf sich nehmen, mit dem er gar nichts zu tun hatte? Und außerdem – trotz der Gerüchte, wegen seiner Herzenskälte sei seine Frau in die Arme eines anderen gesunken, hatte er allen Grund, ihre Familie zu hassen. Nun betete Sarah, ihr Großvater möge einsehen, dass Lord Huntington keine Schuld an der Szene im Garten trug. Der Earl besaß ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Und es wäre ungerecht, Huntington für den peinlichen Vorfall verantwortlich zu machen.

Deshalb musste sie möglichst bald mit ihrem Großvater sprechen. Wie sie von der Zofe erfahren hatte, war er bereits zu seinem üblichen Morgenspaziergang aufgebrochen. Inzwischen musste er zurückgekehrt sein. Sobald sie angezogen war, würde sie in sein Arbeitszimmer gehen. Bei diesem Gedanken drehte sich ihr Magen um. In den drei Jahren, die sie seit dem Tod ihrer Mutter bei ihm lebte, war er ihr stets sehr freundlich begegnet. Trotzdem schüchterte er sie immer noch ein.

Als sie ihr fast unberührtes Frühstückstablett auf die Nachtkonsole stellte und aus dem Bett stieg, öffnete sich die Tür, und Amelia spähte ins Zimmer. “Alles in Ordnung?”

“Ja, natürlich.”

“Aber du siehst so blass aus.”

“Ich bin nur müde.”

“Vermutlich hast du schlecht geschlafen”, meinte Amelia mitfühlend.

“Ich habe kaum ein Auge zugetan”, gestand Sarah und lächelte schwach. “Jetzt möchte ich mit Großvater reden.”

“Deshalb bin ich hier. Er will dich sehen. Und – Lady Beatrice ist da.” Beklommen schlang Amelia die Hände ineinander. “Mit Lord Huntington.”

Sarah stand vor dem Arbeitszimmer des Earls und holte tief Atem. Am liebsten wäre sie umgekehrt. Aber irgendwann musste sie ihm gegenübertreten. Und sie hoffte nur, Lord Huntington und Lady Beatrice, seine formidable Tante, würden sich derzeit nicht bei ihrem Großvater aufhalten.

Schweren Herzens öffnete sie die Tür. Offensichtlich meinte es das Schicksal nicht gut mit ihr. Lady Beatrice saß in einem Ohrensessel vor dem Schreibtisch, der Earl stand dahinter und Lord Huntington in der Nähe des Kamins. Mit unergründlichem Blick musterte er Sarah, die hastig zur Seite sah. “Du wolltest mich sprechen, Großvater?”

“Ja. Nur herein mit dir, mein Kind. Keiner von uns wird dich beißen.”

Zögernd betrat sie das Zimmer und bemühte sich, nicht in Lord Huntingtons Richtung zu schauen. Als sie vor dem Schreibtisch aus Kirschbaumholz stehen blieb, erhob sich Lady Beatrice. “Miss Chandler, ich nehme an, es geht Ihnen gut.” Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.

“Ja, danke.” Irgendwie gelang es Sarah, dem durchdringenden Blick der blauen Augen standzuhalten. “Und Ihnen, Lady Beatrice?”

“Den Umständen entsprechend. Kommen wir zur Sache. Je früher diese Affäre geregelt wird, desto besser. Aber ich wünschte, Sie und mein Neffe hätten einen angemesseneren Zeitpunkt gewählt, um ihre gegenseitige Zuneigung zu entdecken.”

Verwirrt zuckte Sarah zusammen. “Wie bitte?”

Lord Monteville beugte sich vor. “Wahrscheinlich war es für die beiden ein Schock, plötzlich herauszufinden, dass die unterdrückten Gefühle erwidert werden. Deshalb sollte man ihnen die kleine Indiskretion verzeihen.” Er warf Lady Beatrice einen kurzen Blick zu. “Sicher haben wir alle ähnliche Erfahrungen gemacht.”

“Also, ich gewiss nicht!”, fauchte Lady Beatrice.

“Tatsächlich nicht?” Der Earl wandte sich zu seiner Enkelin. “Nun, meine Liebe, der Marquess möchte in aller Form um deine Hand bitten. Ich habe bereits meine Zustimmung zu dieser Ehe gegeben, und ich hoffe, sie wird die Kluft zwischen unseren Familien überbrücken.”

Sarah starrte ihn entgeistert an. Durfte sie ihren Ohren trauen? Wovon redete er? Gegenseitige Zuneigung? Nach einer Weile erkannte sie, dass er auf eine Antwort wartete. “Du … du hast eingewilligt?”

“Ja.” In seinen kühlen Augen erschien ein warnender Ausdruck, und Sarah wich zurück.

“O Gott …”

Offenbar war das die falsche Antwort. “Sind Sie nicht erfreut?”, fragte Lady Beatrice in scharfem Ton.

“Sicher ist sie nur überrascht. Mir ging’s genauso.” Huntington trat an Sarahs Seite. “Natürlich hatten wir nie erwartet, Lord Monteville würde unserer Heirat so schnell zustimmen.” Er legte eine Hand auf Sarahs Schulter, und seine Finger übten einen sanften Druck aus, als wollte er sie zum Schweigen ermahnen. “Jetzt würde ich gern allein mit Miss Chandler sprechen.”

“Eine gute Idee.” Monteville ging um seinen Schreibtisch herum. “Kommen Sie, Lady Beatrice, ziehen wir uns in den Salon zurück.” Als er ihr die Tür aufhielt, musste sie ihm wohl oder übel folgen. Auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal um.

“Hoffentlich wird sich die Szene von gestern Abend nicht wiederholen. Vor der Hochzeit sollte man sich solche Freiheiten nicht herausnehmen.” Drohend starrte sie Sarah an und schien zu erwarten, die junge Dame würde sich Huntington an den Hals werfen, sobald die Tür ins Schloss gefallen war.

“Keine Bange, Tante Beatrice”, erwiderte Huntington trocken. “Miss Chandler wird nichts zustoßen. Vor dem Dinner pflege ich keine Damen zu verführen.”

“Das ist der falsche Zeitpunkt und auch kein geeigneter Ort für schlechte Scherze”, tadelte sie und verließ hinter Lord Monteville das Zimmer. Aber sie ließ die Tür offen, die Huntington energisch schloss. Dann lehnte er sich dagegen, als erwarte er, Sarah würde die Flucht ergreifen.

“Würden Sie mir bitte erklären, was hier vorgeht, Sir?” Obwohl Sarah glaubte, sie wäre in einen sonderbaren, völlig sinnlosen Traum geraten, klang ihre Stimme ruhig und gefasst.

“Allem Anschein nach sind wir verlobt, Miss Chandler”, antwortete er ebenso kühl. “Und verliebt.”

“Verliebt? Wie lächerlich …”

“Leider fiel mir keine andere Erklärung für das Debakel am letzten Abend ein – insbesondere nachdem meine Tante behauptete, Sie hätten mich zu betören versucht.”

“Was?” Der Albtraum wurde immer bizarrer.

“Komisch, nicht wahr?” Huntington lachte kurz auf. “Ihre Familie glaubt, ich hätte Sie zu verführen versucht, meine hält mich für das Opfer Ihres Charmes.”

“Wie … merkwürdig.”

“So könnte man’s nennen. Um das drohende Gewitter abzuwehren, erklärte ich, wir wären schon vor langer Zeit in geheimer, hoffnungsloser Leidenschaft füreinander entbrannt. Als wir uns gestern Abend zufällig im Garten trafen, sei unsere Vernunft von heftigen Gefühlen besiegt worden. Unglücklicherweise bestand meine Tante darauf, mich hierher zu begleiten. Aber Ihr Großvater stellte keine Fragen und spielte in meinem kleinen Drama mit. Und Sie, meine liebe Miss Chandler, haben darauf verzichtet, in Ohnmacht zu fallen oder schreiend aus dem Zimmer zu laufen. Dafür muss ich Ihnen ein Kompliment machen.”

“So albern würde ich mich nie benehmen. Und wie lange müssen wir vorgeben, wir wären verlobt, Lord Huntington?”

“Vorgeben?” Seine Stimme nahm einen scharfen Klang an. “Selbstverständlich werden wir heiraten, sobald ich die Lizenz erhalte.”

Als er auf sie zuging, schreckte sie zurück. “Nein! Das will ich nicht!”

“Bedauerlicherweise haben wir keine Wahl. Sonst wäre Ihr Ruf ruiniert.”

“Und wenn schon! Was die Leute sagen, ist mir egal.” Dann würde sie eben bei Großtante Charlotte in Northumberland leben, die dauernd andeutete, sie würde eine Gesellschafterin brauchen. Zweifellos wäre das einer Ehe mit einem Mann vorzuziehen, der sie verabscheute.

“Aber mir nicht. So etwas werde ich nicht auf mein Gewissen laden. Mit meinem Namen verbinden sich schon genug Skandale – auch ohne dass man behauptet, ich hätte Sie zu verführen versucht, um Rache zu üben.”

“Niemand käme auf solche Gedanken.”

“Da täuschen Sie sich. Man denkt es bereits.”

“Wieso? Das ist einfach nicht fair.” Verzweifelt schlang sie die Hände ineinander. “Was haben Sie meinem Großvater erzählt? Wenn er wüsste, was wirklich geschah – dass Mr. Blanton …”

“Dass Sie in den Garten gingen und von Blanton überfallen wurden? Sollte sich das herumsprechen, wird man sich fragen, warum sich eine junge Dame innerhalb weniger Minuten von zwei Männern attackieren lässt. Man wird mich einen Feigling nennen, der Blanton die ganze Schuld in die Schuhe schiebt. Außerdem muss ich Rücksicht auf meine Schwester nehmen, die nicht unter dieser unseligen Affäre leiden soll. Den Henslowes fällt es ohnehin schon schwer genug, das Mädchen zu akzeptieren.” Mit einem bitteren Lächeln fügte er hinzu: “Also werden wir beide den Bund fürs Leben schließen.”

Hastig wandte sie sich ab und trat ans Fenster, um die Tränen zu verbergen, die plötzlich in ihren Augen brannten. Sie beobachtete, wie einer der Gärtner eine Hecke stutzte – ein vertrauter Anblick, der jetzt einer anderen Welt angehörte.

“So schlimm wie ein Todesurteil wird’s schon nicht sein.”

“Was?”, fragte sie leise und drehte sich um. Zu ihrer Verblüffung stand Lord Huntington direkt hinter ihr.

“Unsere Ehe.”

Trotz ihres Kummers zwang sie sich, leichthin zu entgegnen: “Nur so schlimm wie eine Gefangenschaft im Newgate?”

“Keineswegs. Ich habe nicht vor, Sie gefangen zu halten, Miss Chandler, und unser Zusammenleben wird sich auf ein Minimum beschränken. Natürlich müssen wir den Schein wahren, damit die Klatschbasen den Mund halten. Aber ich werde Ihnen nicht zumuten, mein Bett zu teilen.”

Brennend stieg das Blut in ihre Wangen. “Ich verstehe …” Daran hatte sie noch keinen Gedanken verschwendet, und sie fühlte sich nicht einmal erleichtert – nur verwirrt.

Die Stirn gerunzelt, musterte er ihr bleiches Gesicht. “Fühlen Sie sich nicht wohl?”

“Doch. Machen Sie sich keine Sorgen, Sir, ich werde meine Fassung bewahren.”

“Hoffentlich.” Unverwandt schaute er sie an, und ihr Herz schlug immer schneller. Dann trat er abrupt zurück, als wollte er Abstand halten. “Noch etwas, Miss Chandler.”

“Was?”

“Wir sollten den Eindruck erwecken, wir würden uns lieben”, erwiderte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

“So wie Sie’s jetzt versuchen?” Seine gleichgültige, distanzierte Pose erregte ihren Zorn.

“Darf ich fragen, was Sie meinen?”

Seine verständnislose Miene erfüllte sie mit einer gewissen Genugtuung. “Da stehen Sie und starren mich so … so abweisend an. Und außerdem – ich habe Ihren Antrag gar nicht angenommen, weil Sie mir keinen gemacht haben.”

“Was erwarten Sie denn von mir?”

“Keine Liebeserklärung. Aber statt voraussetzen, diese Verlobung würde mich beglücken, könnten Sie wenigstens danach fragen.”

“Glauben Sie mir, das habe ich niemals vermutet.” Plötzlich ging er wieder zu ihr und ergriff ihre Hände. “Meine teure Miss Chandler …” In seiner Stimme schwang milde Belustigung mit. “Würden Sie mir die Ehre erweisen, mich zu heiraten?”

“Nennen Sie mich nicht so …” Warum musste er sie immer wieder verspotten? Beklommen starrte sie in seine Augen und erkannte, dass sie nicht braun waren, sondern moosgrün.

“Sie haben meine Frage nicht beantwortet”, mahnte er und drückte ihre Hände etwas fester.

“Wie bitte? Ach so … ich denke schon.”

“Also kein klares Ja?”

“Nun … eigentlich nicht.”

“Inzwischen hattet ihr Zeit genug, um alles zu klären.” Schneidend durchdrang Lady Beatrices Stimme die Stille des Zimmers.

Huntington ließ Sarahs Hände so abrupt los, als hätte er sich verbrannt, und ging zur Tür. “Ja, alles ist geregelt.”

“Gut.” Gefolgt von Lady Omberley, kam Lady Beatrice herein. “Helen teilt meine Meinung, dass die Hochzeit bald stattfinden sollte. Deshalb muss sie sofort angekündigt werden.”

“Heute Abend bei einer Dinnerparty in Henslowe Hall”, fügte Lady Omberley hinzu. “Da sich die meisten Familienmitglieder immer noch dort aufhalten.” Ihr Lächeln wirkte etwas gezwungen.

“Obwohl ich ein Verlobungsdinner in Ravensheed vorziehen würde …”, bemerkte Lady Beatrice. “Das wäre möglich gewesen, hätte sich eine gewisse junge Dame gestern Abend etwas dezenter benommen.” Vorwurfsvoll blickte sie in Sarahs Richtung und schien ihr die Alleinschuld an der Katastrophe zu geben.

Mit gutem Recht, dachte Sarah. Sie hatte nicht nur ihr eigenes, sondern auch Lord Huntingtons Leben zerstört.

4. KAPITEL

Devon betrat mit Lady Beatrice die kühle Eingangshalle von Henslowe Hall und begrub seine Hoffnung, in den Reitstall fliehen zu können, als er den Hausherrn aus dem Arbeitszimmer eilen sah. Misstrauisch starrte Lord Henslowe ihn an. “Ist alles geklärt, Sir?”

“Ja.” Devon hatte nicht vor, nähere Erklärungen abzugeben. Allmählich zerrte es an seinen Nerven, wie ein Aussätziger behandelt zu werden.

“Also wird eine Hochzeit stattfinden.”

Lady Beatrice, die bereits ein paar Stufen hinaufgestiegen war, drehte sich um und warf Lord Henslowe einen vernichtenden Blick zu. “Hoffentlich beschuldigen Sie meinen Neffen nicht, er habe Miss Chandler kompromittiert. Er wird sie selbstverständlich heiraten. Aber wie ich hinzufügen muss – sie hat sich wohl kaum untadelig benommen.”

Erbost hob Henslowe die buschigen Brauen. “Darf ich fragen, was genau Sie damit meinen, Madam?”

“Ich meine …”

“Bedauerlicherweise war meine Tante etwas konsterniert, weil Miss Chandler und ich unsere Gefühle nicht länger bezähmen konnten”, mischte Devon sich hastig ein.

Damit gelang es ihm, eine schlimmere Konfrontation zu vermeiden. “Eh … ich verstehe”, erwiderte Henslowe, und Devon lächelte kühl.

“Wenn Sie uns jetzt entschuldigen würden. Ich muss meine Tante zu ihrem Schlafzimmer begleiten. Nach den Aufregungen dieses Vormittags ist sie ziemlich erschöpft.”

“Eh … natürlich”, murmelte Henslowe und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück.

“Erschöpft?”, zischte Lady Beatrice. “Das bin ich keineswegs! Und was soll dieser Unsinn von Miss Chandlers und deinen unbezähmbaren Gefühlen.”

“Du bist zweifellos müde.” Ehe sie weitersprechen konnte, folgte ihr Devon und umfasste ihren Arm.

Nachdem er sie zu ihrem Schlafzimmer geleitet hatte, flüchtete er in sein eigenes und genoss die friedliche Stille. Was zum Teufel war geschehen? Er rieb seinen Nacken, um die verkrampften Muskeln zu lockern. Er trat zum Fenster und sah in der Ferne die Kamine von Monteville House. Dass er je wieder einen Fuß in dieses Haus setzen würde, hatte er nicht erwartet. Aber seine unmittelbar bevorstehende Hochzeit mit Sarah Chandler war noch viel absurder.

Auf dem Ball anlässlich seiner Verlobung mit Mary hatte er Sarah zum ersten Mal gesehen. Seine Braut hatte zwar oft von ihrer liebsten Freundin gesprochen. Aber auf diese ausdrucksvollen braunen Augen in einem herzförmigen Gesicht und einem Lächeln, das die bezaubernden Züge von innen her zu erleuchten schien, war er nicht vorbereitet gewesen. Als er ihre Hand ergriffen hatte, war ihm der Atem gestockt, und er hatte geglaubt, der Frau gegenüberzustehen, auf die er jahrelang gewartet hatte. Dieses Gefühl hatte ihn erschreckt und seine wohlgeordnete Welt durcheinander gebracht.

Bis zu jenem Abend hatte er seine Verlobung akzeptiert. Lady Mary Coleridge – schön, kühl und reserviert – schien von der Ehe genauso viel oder wenig erwartet zu haben wie er selbst. Die zahlreichen, teilweise skandalösen Liebschaften in seiner turbulenten Vergangenheit hatten sie offenbar nicht gestört.

Auf dem Ball und beim Picknick am nächsten Tag war er Sarah Chandler aus dem Weg gegangen. Erleichtert hatte er nach ihrer Abreise aufgeatmet. Wegen seines brüsken Verhaltens hatte sich die zögernde Freundlichkeit, mit der sie ihm begegnet war, bald in Verwirrung und schließlich in kühle Höflichkeit verwandelt. Das nächste Mal hatte er sie erst wieder gesehen, als er mit Mary verheiratet gewesen war.

Natürlich hatte er nicht erwartet, dass seine leidenschaftslose, züchtige Gemahlin vierzehn Tage nach der Hochzeit davonlaufen und dass er sie drei Wochen später in den Armen eines Mannes finden würde, der zufällig Miss Chandlers Bruder war.

Sarah gab Devon zweifellos die Schuld an Marys Tod, ebenso wie ein Großteil der Gesellschaft. Zunächst war das Gerücht kursiert, er habe seine Frau beseitigt, dann überlegte man, warum sie so kurz nach der Hochzeit aus seinem Haus geflohen war. Was mochte er ihr angetan haben?

Nur in gewissen Einzelheiten täuschten sich die Klatschbasen. Denn er hatte Mary fraglos in den Tod getrieben.

Und nun würde er wieder heiraten, eine junge Dame, die ihn hasste. Aber diesmal würde er sich von seiner Frau fern halten.

“Devon?”

Verwundert wandte er sich zu Jessica, die sein Zimmer lautlos betreten hatte. “Warum bist du nicht mit den anderen ausgeritten?”

“Wie konnte ich – nachdem ich erfahren hatte, was geschehen ist. Außerdem sorge ich mich um dich.”

“Nicht nötig, Schwesterchen.” Belustigt ging er zu ihr. “Alles in Ordnung.”

“Also wirst du Miss Chandler heiraten?”

“Ja, und ich fürchte, ich werde dich beim Wettlauf zum Traualtar besiegen”, erwiderte er leichthin. “Hoffentlich macht’s dir nichts aus.”

“Gar nichts!”, versicherte sie und schlang beide Arme um seinen Nacken. “Ich dachte, ich würde dich allein lassen. Das muss ich jetzt nicht mehr befürchten.”

“Offenbar bist du mit meiner Verlobung einverstanden.”

“O ja! Ich mochte die nette Miss Chandler schon immer. Aber das wagte ich nicht zu erwähnen, weil du bei ihrem Anblick stets so finster dreingeschaut hast. Warum, verstand ich nicht. Schließlich fragte ich mich, ob du vielleicht zärtliche Gefühle für sie verbergen wolltest – wegen ihres Bruders. Wie sich jetzt herausstellt, war meine Vermutung richtig. Und was ich am Erstaunlichsten finde, sie liebt dich auch!”

“Gewiss”, bestätigte er mit schwacher Stimme.

“Adam sagt, sie besitzt ein großzügiges Herz. Deshalb bist du gut bei ihr aufgehoben.”

“Müsstest du dich nicht eher fragen, ob ich für sie sorgen werde?”

“Unsinn!”, widersprach Jessica entschieden. “Ich weiß, du wirst sie liebevoll betreuen, so wie mich in all den Jahren. Nein – nur um dich habe ich Angst. Du sollst nie wieder verletzt werden. Und ich glaube, Miss Chandler wird dir niemals wehtun.”

Amelia berührte Sarahs Arm. “Komm, wir können nicht bis in alle Ewigkeit in deinem Schlafzimmer bleiben.” Kritisch musterte sie ihre Kusine, für die sie ein lindgrünes Kleid mit rundem, tiefem Ausschnitt und Schleifen am Saum gewählt hatte. “Sehr hübsch. Lord Huntington wird entzückt sein.”

“Aber ich will ihn nicht entzücken”, klagte Sarah und nahm ihre Handschuhe vom Toilettentisch. Stattdessen wünschte sie, der Marquess würde verschwinden und sie in Ruhe lassen.

“Wenn du die Leute von deiner leidenschaftlichen Liebe zu Seiner Lordschaft überzeugen möchtest, musst du etwas enthusiastischer dreinschauen.”

“Das war seine Idee, nicht meine”, seufzte Sarah. Je näher das Dinner rückte, desto elender fühlte sie sich. In diesem Zustand sollte sie auch noch Liebe heucheln. “O Amelia, ich habe solche Kopfschmerzen! Wäre ich doch anderswo!”

“Tut mir leid, du musst an dieser Party teilnehmen. Sonst wird man glauben, du wärst durchs Fenster geklettert und davongelaufen.”

“Wie gern würde ich das tun.” Widerstrebend folgte Sarah ihrer Kusine die Treppe hinab.

Als sie den Salon betrat, sah sie Lord Huntington am Fenster stehen, in ein Gespräch mit ihrem Großvater, Adam und Jessica vertieft. Ein flaschengrüner Abendfrack und helle Kniehosen betonten seine wohlgeformte Figur, die breiten Schultern und schmalen Hüften.

Mit ausdruckslosen Augen schaute er zu Sarah herüber, und ihr Puls beschleunigte sich. Schlimmer noch – alle Anwesenden verstummten und wandten sich zu ihr. Wie sollte sie diesen Abend überstehen?

“Ah, meine Liebe!” Lady Omberley eilte ihr entgegen. “Wir haben uns schon gefragt, wo du so lange bleibst. Hoffentlich ist alles in Ordnung.”

“Sarah konnte ihren Fächer nicht finden”, erklärte Amelia in fröhlichem Ton.

“Nun, wenn das alles ist … Komm, meine Liebe!” Energisch umfasste Lady Omberley den Arm ihrer Nichte. “Wir müssen Lord Huntington begrüßen. Aber erst einmal Lady Beatrice.”

“Ja, gewiss. Wie geht es Ihnen, Lady Beatrice?” Sarah lächelte gequält und fürchtete, man würde ihr anmerken, wie unbehaglich sie sich fühlte.

“Recht gut.” In einem violetten Kleid, mit Spitzenborten und Seidenblumen geschmückt, einem passenden Turban auf dem hoch erhobenen Kopf, wirkte Lady Beatrice formidabler denn je.

Mühsam schluckte Lady Omberley. “Oh, da drüben sehe ich die Damen Waverley. Wenn ihr mich entschuldigen würdet – ich muss sie begrüßen.” Und dann ergriff sie die Flucht, während Sarah angestrengt überlegte, was sie sagen sollte.

Lächelnd trat Lord Pennington an die Seite seiner Tante, ein hoch gewachsener, schlanker Mann mit hellbraunem Haar und humorvollen grauen Augen. “Herzlichen Glückwunsch, Miss Chandler. Wie merkwürdig … Erst gestern Abend schlug ich Devon vor, er müsste versuchen, die Beziehungen zwischen Ihrer und seiner Familie zu verbessern. Aber dass er so weit gehen würde, hatte ich nicht erwartet.”

“Ich auch nicht”, verkündete Lady Beatrice und musterte Sarah argwöhnisch. Offenbar glaubte sie immer noch, ihr Neffe wäre mit unlauteren Methoden zu dieser Verlobung gedrängt worden.

“Wie weit bin ich denn gegangen?” Unbemerkt war Lord Huntington an Sarahs Seite aufgetaucht.

“Oh, ich meinte nur die Art und Weise, wie du die Beziehungen zwischen den beiden Familien verbessert hast”, antwortete Lord Pennington.

“Anscheinend hatte ich nicht viel Erfolg”, bemerkte Huntington trocken. Seine Finger umschlossen Sarahs Arm. “Falls es gestattet ist, würde ich gern allein mit Sarah sprechen.”

Sarah? Hatte sie sich verhört? Sie schaute in sein Gesicht, das ihr wie immer unergründlich erschien. Ehe sie protestieren konnte, führte er sie zu einem anderen Fenster.

“Wollen wir den Eindruck erwecken, wir würden uns angeregt unterhalten?”, fragte er. “Sonst glaubt man womöglich, wir wären schon jetzt zerstritten.”

“Dann hätten wir wenigstens einen Grund, unsere Verlobung aufzulösen.”

“Soll ich Henslowe etwa eine Gelegenheit geben, eine Kugel in meinen Kopf zu jagen? Allerdings würde das Ihr Problem lösen.”

“Reden Sie keinen Unsinn!”, fauchte sie. “An einer solchen Lösung bin ich nicht interessiert.”

“Wirklich nicht? Soll ich mich geschmeichelt fühlen?”

“Nein. Außerdem ist Onkel George ein sehr schlechter Schütze, weil ihn seine Sehschwäche behindert – was er natürlich niemals zugeben würde.”

“Da bin ich sehr erleichtert”, erklärte Huntington belustigt. “Aber ich möchte Sie bitten – starren Sie mich nicht so missbilligend an. Ich fürchte, allmählich wird man an Ihrer heißen Liebe zu mir zweifeln.”

“Soll ich Sie etwa anschmachten, während Sie mir diesen sarkastischen Blick zumuten?”

“Meine schöne Sarah, wenn ich so kühn wäre, das ganze Ausmaß meiner Leidenschaft offen zu bekunden, würden Sie schleunigst das Weite suchen. Und ich möchte Sie natürlich nicht in die Flucht schlagen.”

“Oh …” Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sie sich bald an diesen gefährlichen Fremden binden würde – für immer.

“Runzeln Sie nicht so ängstlich die Stirn! Ich habe nicht vor, Sie zu misshandeln.”

Schaudernd wich sie seinem Blick aus. Inzwischen waren die meisten Gäste eingetroffen, und Sarah glaubte nicht zum ersten Mal, sie wäre in einem bösen Traum gefangen. Bedrückt strich sie über ihre Schläfe.

“Stimmt etwas nicht?”

Erstaunt nahm sie die Besorgnis wahr, die in seiner Stimme mitschwang. “Ich habe nur Kopfschmerzen.”

“Beruhigen Sie sich. Ich werde mein Bestes tun, um Ihnen diesen schrecklichen Abend zu erleichtern.”

“Sie sind sehr freundlich, Sir. Wenn man bedenkt, dass ich diese beklagenswerte Situation heraufbeschworen habe …”

“Wohl kaum.”

“Soeben wurde das Dinner angekündigt.” Lord Penningtons Stimme durchbrach die Spannung, die in der Luft lag. “Würden uns die beiden Turteltäubchen Gesellschaft leisten?”

Jetzt kam auch Lord Monteville hinzu. “Huntington, vielleicht wären Sie so freundlich, meine Enkelin zum Dinner zu geleiten.”

“Selbstverständlich”, stimmte der Marquess zu. Formvollendet bot er ihr den Arm. Ohne ihn anzusehen, legte sie ihre Fingerspitzen auf den Ärmel seines Fracks.

Devon stellte sein kaum berührtes Weinglas ab. Wie so oft während des scheinbar endlosen Dinners wanderte sein Blick zu Sarah hinüber, die Adam zuhörte und höflich lächelte. Aber wie ihre Blässe vermuten ließ, verstärkten sich die Kopfschmerzen. Sie hatte kaum etwas gegessen – und Devon hoffte, sie würde die Mahlzeit überstehen, ohne zusammenzubrechen.

Wenigstens schien sich ein Waffenstillstand anzubahnen. Lady Beatrice saß neben Lord Monteville, dessen Anwesenheit ihre scharfe Zunge im Zaum hielt, und alle Gäste bemühten sich eifrig, Konversation zu machen. Beinahe entstand der Eindruck, dies wäre ein ganz normales Dinner, begleitet von Stimmengewirr, Gelächter und klirrendem Geschirr. Falls man Devons beharrliches Schweigen bemerkte, gab man keinen Kommentar dazu ab.

Das verdankte er Sarah. Offenbar war sie fest entschlossen, ihre guten Manieren zu beweisen. Und wenn er sich das auch nur ungern eingestand – sie sah bezaubernd aus. In weichen Locken umgab ihr kastanienrotes Haar das hübsche Gesicht und verlieh den dunklen Augen einen sanften Glanz. Verführerisch schmiegte sich das hellgrüne Kleid an ihre weiblichen Rundungen. Aus dem unsicheren 19-jährigen Mädchen, das er vor einiger Zeit kennengelernt hatte, war eine schöne, begehrenswerte Frau geworden, und dieser Gedanke beunruhigte ihn.

Als hätte sie seinen forschenden Blick gespürt, wandte sie sich zu ihm, und ihre Wangen färbten sich rosig. Sofort schaute er weg, begegnete dem spöttischen Blick seines Vetters und nahm einen Schluck Wein. Was zum Teufel war nur los mit Ihm? Als er das Glas mit unnötiger Vehemenz auf den Tisch stellte, spritzten ein paar Tropfen heraus.

“Sir, wenn ich auch verstehe, dass Sie vor lauter Begeisterung für meine Kusine Ihre Manieren vergessen – ich lasse mich nur ungern mit Wein überschütten.”

Verlegen wandte er sich zu Lady Marleigh, die neben ihm saß. “Verzeihen Sie, Madam.”

“Ist Sarah nicht bildschön? Kein Wunder, dass sie Ihr Herz erobert hat.”

Devon hob verblüfft die Brauen. “Heißt das, Sie billigen unsere Verlobung?”

“Nicht ganz”, erwiderte sie zögernd.

“Und was haben Sie dagegen einzuwenden?”

Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt sie seinem Blick stand. “Sie ist ein herzensgutes Mädchen. Hoffentlich werden Sie stets daran denken.”

So ähnlich hatte sich auch Monteville geäußert. Und Mary … Devon lächelte sarkastisch. “Offenbar fürchten Sie, ich würde auf Sarahs gefühlvollem Herzen herumtrampeln.”

“Nicht mit Absicht. Aber Ihr Ruf macht mir Sorgen.”

“Also haben Sie gewisse Gerüchte gehört. Keine Bange, ich werde Ihre Kusine weder einsperren noch misshandeln – und ihr auch keinen Grund geben, aus meinem Haus zu fliehen.”

“Von Ihrer ersten Frau spreche ich nicht, sondern von Ihren Affären.”

“Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, Lady Marleigh. Dann will ich genauso offen sein. Im Augenblick gibt es keine Affären. Und ich werde auch in Zukunft darauf verzichten. Vielleicht wird Sie das überraschen – aber ich halte sehr viel von der ehelichen Treue.”

Überrascht lächelte sie ihn an. “Sehr gut, Sir. Also darf ich gewisse Hoffnungen in die Ehe meiner Kusine setzen.”

Ehe er antworten konnte, stand Lord Monteville auf. Er wartete, bis alle Gespräche verstummt waren, und räusperte sich. “Wie die meisten Anwesenden bereits wissen, haben wir uns heute Abend hier versammelt, um eine Verlobung bekannt zu geben, die den unglückseligen Zwist zwischen den Chandlers und den St. Clairs beenden soll. Zu meiner großen Freude werden der Marquess of Huntington, Devon St. Clair, und meine Enkelin, Sarah Chandler, demnächst heiraten.”

Plötzlich flog die Tür hinter ihm auf, und er drehte sich um. Mit langen Schritten stürmte ein Mann herein und blieb wie festgewurzelt stehen.

“O nein!”, stöhnte Sarah, und Devons Blut drohte zu gefrieren.

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