Mit einem Tanz fing es an

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Dr. Tyler Donaldson traut seinen Augen kaum! Ist die Schöne, die in dem sexy Kleid über den Flur stöckelt, wirklich die sonst so scheue Kinderärztin Eleanor Aston? Tyler kann es kaum erwarten, sie auf der Eröffnungsgala für die Frühchenstation zum Tanzen aufzufordern ...


  • Erscheinungstag 24.10.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728106
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Das ziehe ich nicht an, niemals!

Ungläubig betrachtete Dr. Eleanor Aston den glamourösen Fetzen, ein Nichts von Kleid, das ihre Schwester ihr für heute Abend geschickt hatte.

„Nimm es wieder mit“, sagte sie zu Norma. Die liebenswerte ältere Frau führte seit zwanzig Jahren den Astons den Haushalt und bedeutete für Eleanor mehr Familie als … nun ja, ihre leibliche Familie.

Norma schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, aber das kann ich nicht. Brooke hat mir genaue Anweisungen gegeben. Du sollst dieses Kleid und diese Schuhe bei der Eröffnungsfeier tragen.“

Falls ich es schaffe, mich hineinzuzwängen, dachte Eleanor und schauderte allein bei der Vorstellung. „Dann gebe ich dir auch genaue Anweisungen. Bring es zurück. Selbst wenn ich es anziehen kann, ohne dass es aus den Nähten platzt …“ Sie warf einen skeptischen Blick auf das Kleid und die passenden Stilettos, die Brooke ausgesucht hatte, und seufzte. „Es ist nicht mein Stil, Norma.“

Norma sah sie mit ihren kohlschwarzen Augen an und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht denkt deine Schwester, dass dein Stil mehr Pep braucht.“

Ihr Tonfall ließ vermuten, dass Brooke nicht als Einzige so dachte.

Ist ja klar. Medienliebling Brooke Aston machte keinen Hehl daraus, dass sie ihre Schwester für das hässliche Entlein inmitten einer Familie herrlicher Schwäne hielt. Vor allem, weil OP-Kleidung für Brooke unterste Fashion-Schublade war.

Aber Eleanor liebte OP-Kleidung und konnte sie von morgens bis abends tragen. Was sie meistens auch tat.

Aus vielerlei Gründen. Sie erinnerte sich oft daran, wie stolz sie war, als sie sie zum ersten Mal anziehen durfte, nachdem sie ihre Anerkennung als Neonatal-Spezialistin erhalten hatte. Außerdem konnte man unter den formlosen Sachen sehr gut üppige Kurven verstecken.

Eleanor würde nie in Größe 34 passen wie ihre zierliche Schwester, und sie hatte es schon vor Jahren aufgegeben, sich deshalb mit Diäten und Hungerkuren zu quälen.

Wieder musterte sie das rote Kleid. „Tut mir leid, dass sie dich umsonst geschickt hat, aber das trage ich nicht. Und auch nicht diese Folterwerkzeuge, die meine Schwester als Schuhe bezeichnet.“ Eleanor blickte auf ihre Uhr. „Norma, ich muss zurück zur Intensivstation, meine Patienten brauchen mich.“

„Brooke wird nicht glücklich sein.“

Natürlich nicht. Ihre kleine Schwester war nur dann glücklich, wenn sie im Rampenlicht stand. Zu dumm, dass sie eine neue Schönheitscreme ausprobiert und prompt allergisch darauf reagiert hatte. Deshalb konnte sie sich nicht im Licht der Öffentlichkeit sonnen, wenn Senator Cole Astons neuestes Projekt dem Wohl der Allgemeinheit zugeführt wurde.

Dieses Mal war Eleanor allerdings einverstanden damit, wofür ihr Vater sein Geld ausgab. Mehr noch, sie war begeistert und hatte deshalb auch zugestimmt, bei der Einweihung das Band durchzuschneiden. Erst die großzügige Spende ihres Vaters ermöglichte die Einrichtung der neuen Frühchenstation im Angel Mendez Children’s Hospital, wo Eleanor arbeitete.

Sie liebte ihre Arbeit im Angel’s, wie New Yorks größtes und bestes Kinderkrankenhaus von allen genannt wurde. Wenn sie sich um die Frühchen kümmerte, erfüllte sie ein Gefühl von Zufriedenheit, das sie sonst in ihrem Leben nicht verspürte. Sie wurde gebraucht, und was sie tat, half nicht nur einem winzigen Menschen, sondern machte ganze Familien glücklich.

Und ihren Patienten war es völlig schnuppe, ob sie nach der neuesten Pariser Mode gekleidet war oder nicht. Sie störten sich nicht daran, dass sie ihr langes schwarzes Haar zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammenband und kein Make-up trug. Oder ob sie ihre Kontaktlinsen einsetzte, damit ihre dunkelbraunen Augen besser zur Geltung kamen, statt sie hinter einer Brille zu verstecken.

Sie würde nie so schön und schlank sein wie ihre Schwester. Statt eine frustrierende Diät nach der anderen auszuprobieren, ernährte sie sich gesund und versuchte ansonsten, die Medien zu ignorieren, die in ihren Klatschspalten die Unterschiede zwischen ihr und ihrer perfekt gestylten Schwester süffisant kommentierten.

Es gelang ihr nicht immer, und dann taten die gehässigen Bemerkungen, die sie in all den Jahren gelesen oder gehört hatte, weh. Jetzt fragte sich Eleanor, was sie geritten hatte, als sie anbot, heute Abend für Brooke einzuspringen.

Vor Dutzenden von Kameras, umgeben von zahlreichen Menschen, musste sie ihre Familie würdig vertreten. Sie musste gut aussehen, charmant wirken und durfte sich keinen einzigen peinlichen Fehler leisten. Schon bei dem Gedanken daran brach ihr der kalte Schweiß aus. Ihre Hände fingen an zu zittern.

Eleanor holte tief Luft, um die nahende Panikattacke in den Griff zu bekommen. „Brooke ist sowieso nicht glücklich, Norma“, antwortete sie. „Weil sie nicht das Band durchschneiden darf.“

Norma, die die beiden besser kannte als die eigene Mutter ihre Töchter, lächelte, weil Eleanor genau ins Schwarze getroffen hatte. „Schön, aber du bringst ihr das Kleid selbst zurück.“

Ungeduldig blickte Eleanor wieder zur Uhr. Sie war schon viel zu lange von der Intensivstation weg. „Okay, ich kümmere mich später darum.“

Eleanors Herz zog sich zusammen, als Rochelle Blackwood die winzige Faust um ihren Finger schloss. Wie süß sie ist.

Selbst mit all den Schläuchen und Leitungen, unter denen das Frühchen fast verschwand, erschien ihr nichts wundervoller und kostbarer als dieses neue Leben.

Vor wenigen Jahren noch hätte Rochelle mit ihren sechsundzwanzig Wochen außerhalb der Gebärmutter nicht überlebt. Dank moderner Medizin jedoch stiegen ihre Überlebenschancen mit jedem Tag. Und Eleanor war entschlossen, ihrer kleinen Patientin alles zu geben, was sie brauchte.

„Was meinst du, Eleanor?“ Scarlet Miller, die Stationsschwester, stand neben dem beheizten Inkubator. „Wird sie es schaffen?“

Rochelle war mit unterentwickelten Lungen zur Welt gekommen, ihre Lider waren papierdünn, und sie hatte die Augen noch kein einziges Mal geöffnet. Sie musste künstlich beatmet und ernährt werden, weil sie allein dazu nicht in der Lage war. Doch das kleine Mädchen besaß einen starken Lebenswillen, das spürte Eleanor.

„Ich denke schon. Sie ist eine Kämpfernatur.“

Rochelles Mutter war von einem betrunkenen Autofahrer angefahren worden und hatte schwerste Verletzungen erlitten. Weil es auch für ihr Baby nicht gut aussah, wurde es mit einem Notkaiserschnitt auf die Welt geholt. Leider hatte die Mutter die Nacht nicht überlebt.

„Stimmt“, ertönte eine tiefe Männerstimme mit texanischem Akzent hinter ihr. „Ich hoffe, es stört Sie nicht, aber ich habe genau beobachtet, wie sich der kleine Schatz entwickelt hat.“

Wie immer, wenn Dr. Tyler Donaldson in ihrer Nähe auftauchte, fingen Eleanors Wangen an zu brennen. Natürlich nicht wirklich, aber sie fühlten sich unangenehm heiß an.

Damit nicht genug, versagte ihr auch noch die Zunge den Dienst, schien am Gaumen festgeklebt, sodass Eleanor keine Antwort herausbrachte. Wie ein unbeholfener Teenager, der sich zum ersten Mal verliebt hat, dachte sie ärgerlich auf sich selbst.

Wie konnten zwei Schwestern so verschieden sein? Brooke hätte sofort mit ihm geflirtet. Sie war bekannt dafür, dass sie toll aussehende Männer in Nullkommanichts um ihren perfekt manikürten Finger wickelte. Eleanor hingegen hätte sich am liebsten verkrochen, nur weil ein attraktiver Mann sie angesprochen hatte. Und dabei war es nicht einmal um etwas Persönliches, sondern um einen Patienten gegangen! Du bist wirklich jämmerlich.

Sie hatte keine Ahnung, wie er ihr Schweigen deutete. Oder was er von ihr dachte, da er sie sonst völlig ignorierte. Tyler trat näher an den Brutkasten. „Ich hatte Dienst, als sie zur Welt kam. Sie ist eine ganz Süße, was?“

Die warme Stimme mit dem weichen Südstaatenakzent ging ihr unter die Haut – wie wahrscheinlich jedem weiblichen Wesen im Angel’s. Sie war einladend wie ein Kaminfeuer an einem eisigen Winterabend. Eleanor ertappte sich dabei, dass sie sich in der sinnlichen Wärme, die dieser Mann ausstrahlte, zu verlieren drohte. Was wirklich verrückt war. Er war ein Frauenheld, wie er im Buche stand. Selbst seine Exgeliebten beteten ihn an.

Eleanor wagte es, ihn anzusehen, und wünschte augenblicklich, sie hätte es nicht getan. Flammende Hitze stieg ihr ins Gesicht. Gäbe es eine Pille, die dieses peinliche Erröten verhinderte, Eleanor wäre sofort in die nächste Apotheke gerannt. Sie hasste es, dass alle sehen konnten, wie nervös sie war.

„War der Vater schon hier?“

Immer noch unfähig, einen Ton herauszubringen, schüttelte Eleanor den Kopf.

„Der arme Kerl muss völlig fertig sein.“ Tyler seufzte. „So seine Frau zu verlieren … und dann die Angst um diesen kleinen Schatz. Wundert mich gar nicht, dass er sich hier noch nicht hat blicken lassen.“

Eleanor nickte nur.

„Ich bin froh, dass sie Ihre Patientin ist, Eleanor. Sie hat Glück gehabt und die Beste bekommen.“ Ohne aufzublicken, strich er sanft über die Hand des Babys, die immer noch Eleanors Finger umklammert hielt.

Prickelnde Funken zuckten durch ihren Arm, nahmen ihr für einen Moment den Atem.

Oh …

Oh!

Ob ihre Zunge ihr endlich gehorchen würde? Eleanor wandte sich ihm zu, wollte etwas Geistreiches sagen, aber da lächelte er, dieses schiefe Lächeln, das kein anderer so charmant beherrschte wie er. Es galt jemandem, der an ihnen vorbeiging.

Einer hübschen Krankenschwester.

Und warum? Weil Dr. Tyler Donaldson so war, wie er war.

Bei jedem weiblichen Wesen auf der Säuglingsintensivstation – nur nicht bei Eleanor Aston, die ihre üppigen Rundungen unter weiter OP-Kleidung verstecken musste und so langweilig war, dass sie den Mund nicht aufkriegte.

Wo war das schwarze Kleid, das sie heute Morgen mit zur Arbeit genommen hatte?

Eleanor blieb fast das Herz stehen, als sie in ihren Spind starrte.

Jemand hatte darin herumgewühlt.

Ihre Sporttasche fehlte und mit ihr das schwarze Kleid, das sie heute Morgen hier ordentlich aufgehängt hatte, und die schwarzen Ballerinas. An einem Kleiderbügel hing ein Zettel mit vertrauter Handschrift.

Du wirst heiß aussehen, Schwesterchen. Dank mir später, B.

Brooke danken? Ha! Eleanor war eher danach, sie zu erwürgen. Wie war ihre Schwester ins Arztzimmer gekommen? An den verschlossenen Schrank? Nein, sie war sicher nicht persönlich hier gewesen. Brooke würde niemals riskieren, mit ihrem schuppigen geröteten Gesicht von Paparazzi erwischt und abgelichtet zu werden.

Trotzdem hatte sie es geschafft, sie auszutricksen.

Sogar Eleanors Handtasche war verschwunden.

Stattdessen befanden sich neben der Notiz drei Dinge im Schrank, die vorher nicht da gewesen waren: das rote Kleid, die High Heels und eine schimmernde weiße Schachtel, die fast den gesamten Schrankboden einnahm.

Eleanor sah zur Uhr, und ihre Panik wuchs. Ihr lief die Zeit davon. Widerstrebend hob sie den Deckel der Schachtel und betrachtete sprachlos den Inhalt.

Unterwäsche. Und was für welche. Durchsichtig, hauchdünn. Wenig Stoff, genau wie bei dem Kleid.

Dazu eine leuchtend rote Clutch, passend zum Kleid und zu den Schuhen. Und eine Haarspange, viel zu groß und viel zu auffällig. Da hatte sicher nicht der praktische Aspekt im Vordergrund gestanden.

Und Make-up. In rauen Mengen.

Eleanor bekam Magenschmerzen, so sauer war sie auf Brooke. Das ist mein Arbeitsplatz, mein Schrank, hier hat sie nichts zu suchen!

Okay, sie würde schnell duschen und beten, dass ihre Sachen wieder da waren, wenn sie zurückkam.

Waren sie nicht.

„Was ist?“, fragte Scarlet, die in Windeseile ihr Make-up auffrischte, bevor sie sich für die Eröffnung umzog.

„Diesmal ist meine Schwester zu weit gegangen.“ Eleanor steckte das Handtuch, das sie sich umgewickelt hatte, fest. „Mich nimmt doch niemand mehr ernst, wenn ich das trage.“

Scarlet betrachtete erst das Kleid und dann Eleanor von oben bis unten. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass dich viele ernst nehmen werden. Vielleicht einer ganz besonders.“

„Wie meinst du das?“

„Tu nicht so unschuldig. Ich habe gesehen, wie du ihn angeblickt hast.“

„Wen?“ Hatte ihre Stimme wirklich so gequetscht geklungen?

Scarlet lachte hell auf. „Dr. Donaldson.“

„Der weiß kaum, dass ich existiere.“

Die Freundin deutete auf das Kleid. „Zieh das an, und kein Mann wird dich mehr übersehen.“

Das gab ihr zu denken. Brooke war zuzutrauen, dass sie sie in ein Kleid steckte, das sie nicht tragen konnte. Aber auf Scarlet hatte sie sich bisher immer verlassen können. „Im Ernst?“, fragte sie trotzdem zweifelnd.

Scarlet verdrehte nur die Augen. „Komm, beeil dich, ich helfe dir beim Schminken und mit der Frisur. Du hast tolle Haare und Augen. Die betonen wir, und dann wirst du der Star des Abends sein.“

Tolle Haare und Augen? Hatte Brooke ihre Freundin bestochen? Gleich sagt sie, ich habe einen tollen Körper …

„Obwohl, bei deiner Oberweite wird es nicht einfach sein, die Aufmerksamkeit von deinem Dekolleté abzulenken.“

Genau. Deshalb trug sie nie tief ausgeschnittene oder eng anliegende Kleidung. Ihre Brüste waren zu groß, und sie passten zu ihren breiten Hüften.

Dennoch hatte Scarlet recht, die Zeit drängte, und etwas anderes hatte sie nicht anzuziehen. Eleanor musterte die Sachen im Schrank. Wenn sie es schon riskierte, sich zum Narren zu machen, dann konnte sie gleich alles auf eine Karte setzen.

„Na schön.“ Sie lächelte ihre Freundin an. „Beeilen wir uns. Da mein Vater nicht in der Stadt und Brooke verhindert ist, ist meine Wenigkeit sozusagen der Ehrengast.“

„Du wirst Dr. Donaldson vom Hocker hauen.“ Scarlet lachte leise vor sich hin, als Eleanor in das Kleid schlüpfte. „Es passt perfekt!“

Eleanor blinzelte, setzte ihre Brille auf und betrachtete sich im Spiegel. „Ja, schon, aber … ist das alles an Stoff?“

Sie zupfte daran, versuchte, den Ausschnitt höher zu ziehen, und erreichte damit nur, dass der Rock ihre Oberschenkel noch mehr entblößte.

Du lieber Himmel, wenn sie sich bückte, hatte wahrscheinlich jeder freie Sicht auf das Nichts von Spitzenhöschen, das Brooke ihr ach, so gnädig dazugelegt hatte!

Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. „So kann ich mich nicht in der Öffentlichkeit zeigen.“

Scarlet musterte sie kritisch. „Stimmt. Gib sie her.“

„Wie bitte?“

„Deine Brille.“

Abwehrend schüttelte Eleanor den Kopf. „Dann sehe ich nichts.“

„Warum schaffst du dir keine Kontaktlinsen an? Du hast wunderschöne Augen.“

„Ich habe ja welche.“ Sie trug sie beim Sport, aber im Krankenhaus fühlte sie sich wohler mit der Brille. „Leider sind sie in der Handtasche, die von meinem Schwesterchen entführt wurde.“

„Kein Problem.“ Ehe Eleanor protestieren konnte, hatte Scarlet ihr die Brille von der Nase geraubt und gab sie nicht wieder her. „Jetzt aber los, du bist spät dran, schon fünf Minuten.“

Eleanor blickte auf ihren Arm und merkte erst dann, dass sie ihre Uhr nicht trug. Zu spät? Der Senator wäre gar nicht zufrieden mit seiner Tochter.

Während sie den Flur entlang zur neuen Abteilung ging, versuchte sie, die vielen Blicke zu ignorieren. Sie würden jeden anstarren, der in dem Kleid durch die Kinderstation läuft, sagte sie sich.

Doch sie wusste es besser. Denen blieb fast der Mund offen stehen, weil Dr. Eleanor Aston in einem engen roten Kleid durch die Pädiatrie lief …

Zum Glück war sie auf die Idee gekommen, ihre Stilettos in der Hand zu tragen. Niemals hätte sie es geschafft, auf diesen schwindelnd hohen Absätzen an ihr Ziel zu gelangen, ohne auf die Nase zu fallen – und sich das Kleid aufzureißen.

„Beruhige dich“, sagte Scarlet, die ihre Nervosität spürte. „Du siehst hinreißend aus.“

Nein, ich mache mich hier gerade völlig lächerlich. Sie arbeitete hier, geachtet von Patienten und Kollegen. Eleanor zitterte innerlich. Der Respekt war jetzt für immer dahin.

Dr. Tyler Donaldson schenkte der zierlichen Krankenschwester, die auf der Entbindungsstation arbeitete, ein charmantes Lächeln und fragte sich, ob er bei ihr Chancen hätte.

Ihrem Blick nach zu urteilen, dachte sie an das Gleiche wie er.

Natürlich kannte sie seinen Ruf. Jeder im Angel’s wusste, dass er nie lange bei einer Frau blieb.

Tyler hatte Spaß am Leben, und Abwechslung gehörte für ihn dazu. Er war sicher, dass es vielen Frauen ähnlich ging. Sie hätten es nur nie zugegeben.

Und der süße Blondschopf schien nicht abgeneigt, ihn heute Nacht zu beschäftigen …

„Kaum zu glauben, dass Dr. Aston noch nicht hier ist“, schnatterte sie unbekümmert, aber Ty interessierte mehr, was ihre Augen sagten: Du bist heiß, ich bin heiß, lass uns ins Bett gehen.

Allerdings langweilten ihn Frauen in letzter Zeit mehr, als er sich eingestehen wollte.

„Ich hätte nie gedacht, dass sie zu spät kommt.“

Dr. Aston? Nein, auf die Idee wäre er auch nicht gekommen. So zugeknöpft wie die Kinderärztin war, achtete sie bestimmt genau darauf, immer pünktlich zu sein. Wahrscheinlich gab es bei einem ihrer Frühchen Probleme. Tyler traute Dr. Aston durchaus zu, deshalb die Eröffnungsfeier sausen zu lassen. Er kannte keine Ärztin, die sich so intensiv, ja, fast aufopfernd um ihre Patienten kümmerte.

„Es ist schwer zu glauben, dass sie und Brooke Aston Schwestern sind.“

Er hätte schon in einem anderen Land leben müssen, um nicht zu wissen, wer Brooke Aston war. Die Medien liebten sie. Vor seinem inneren Auge erstand das Bild einer heißen Blondine, die überall die Blicke auf sich zog. Ja, es war wirklich kaum vorstellbar, dass die beiden Frauen dieselben Eltern hatten.

„Eigentlich wollte Brooke die neue Abteilung eröffnen, aber sie hat sich wohl einen Virus eingefangen … bei irgendeinem Wohltätigkeitsevent für kranke Kinder“, plauderte die Krankenschwester munter weiter. „Ich hoffe, es ist nichts Ernstes.“

Nach allem, was Ty von der glamourösen Senatortochter gehört hatte, kam sie kranken Kindern bestimmt nicht so nahe, dass sie sich irgendetwas einfangen könnte.

„Vielleicht hat sie eins der Kinder adoptiert“, versuchte er, höflich Konversation zu machen. Um die neue Abteilung wurde so viel Wirbel gemacht, dass selbst ihm nicht entgangen war, welch große Rolle die Familie Aston dabei spielte. Da Eleanor jedoch auf seinem Radarschirm potenzieller Eroberungen nie auftauchte, hatte er nicht auf den Tratsch geachtet.

Trotzdem war etwas an ihr, das ihn irritierte. Tyler konnte zwar nicht genau sagen, was, aber in ihrer Nähe beschlich ihn immer dieses unbestimmte Gefühl.

„Ach, herrje!“

Der unterdrückte Ausruf der Entbindungsschwester lenkte ihn von der Frau ab, die sich viel zu oft in seine Gedanken schlich – dafür, dass sein männliches Radar sie nicht erfasste. Tyler blickte über die Schulter in die Richtung, in die der Blondschopf starrte.

Auch er schnappte nach Luft.

Er brauchte nur eine Sekunde, um zu erkennen, wer da den Flur entlangstöckelte. Dennoch musste er ein zweites Mal hinsehen, weil er seinen Augen nicht traute. Als er sich vergewissert hatte, dass sie es wirklich war, holte er noch einmal tief Luft.

„Das glaube ich nicht“, murmelte die Schwester.

Ty auch nicht.

Wie hatte ihm nur entgehen können, was für heiße Kurven Dr. Eleanor Aston unter der weiten OP-Kleidung verbarg, die sie immer trug? Wow.

Biep. Biep. Biep.

He, was war mit seinem Radar los? Eleanor interessierte ihn nicht. Weder in OP-Kleidung noch in einem eng anliegenden roten Kleid, das einem Mann den Verstand wegpustete. Auch nicht mit ihren braunen Augen, die – einmal nicht hinter einem hässlichen Brillengestell versteckt – groß und etwas unsicher in die Menge blickten. Geschweige denn mit ihren langen schwarzen Haaren, die ihr schimmernd auf die Schultern fielen statt in einen strengen Knoten oder Pferdeschwanz gezwängt zu sein.

Und sie interessierte ihn doch. Vielleicht schon länger, als er ahnte.

Biep.

2. KAPITEL

„Es tut mir leid, dass ich zu spät bin“, entschuldigte sich Eleanor beim Krankenhausdirektor, dem Leiter der Neugeborenen-Intensivstation und einigen anderen hohen Häuptern des Angel’s. „Ich … ich habe gearbeitet, und dann musste ich noch duschen und mich umziehen.“ Sie blickte auf ihr knappes Kleid, als erkläre das alles. „Und dann hat meine Schwester …“

Sie unterbrach sich. Nicht nur, weil ihr bewusst wurde, dass sie daherplapperte, sondern weil alle sie anstarrten, als wäre ihr ein zweiter Kopf gewachsen. Vielleicht starrten sie aber auch auf ihr pralles Dekolleté.

Eleanor war sich nicht sicher, da sie ohne Brille nicht so gut sah. Aber sie hatte immer noch das Gefühl, sich nur kneifen zu müssen, dann würde sie aus diesem Albtraum aufwachen.

„Dr. Aston, wie stehen Sie zu der Spende Ihres Vaters für diese neue Abteilung?“ Der Reporter stieß ihr das Mikrofon fast ins Gesicht.

Das Brennen in ihrem Magen verstärkte sich. Die Presse. Die würde die ganze Zeit dabei sein, nicht nur bei der Eröffnung, sondern auch hinterher beim Empfang. Am liebsten hätte sie sich ganz klein, ja, unsichtbar gemacht, damit die Journalisten und Fotografen sie nicht mehr bemerkten und verschwanden.

Leider war sie der Ehrengast.

Nun, eigentlich nicht sie persönlich, sondern Senator Cole Astons Tochter. Die sie zwar war, aber wenn ihr jemand erzählt hätte, dass sie bei der Geburt vertauscht worden war, sie hätte es auf Anhieb geglaubt. Sie hatte weder Ähnlichkeit mit ihrer mondänen Mutter, die auf allen Hochzeiten tanzte, noch mit ihrem machthungrigen Vater oder ihrer Schwester, die von den Medien vergöttert wurde.

Sie zog es vor, einfach Dr. Eleanor Aston zu sein, und darauf war sie die meiste Zeit sehr stolz.

Im Moment allerdings nicht.

Eleanor fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut und war so nervös, dass sie Angst hatte, sich gleich zu übergeben.

Sie sah den Reporter an und wünschte zum hundertsten Mal, sie könnte wie Brooke lächelnd und mit charmantem Esprit verkünden, wie stolz sie auf ihren Vater sei, dass er dem Krankenhaus und den Menschen diese wichtige Einrichtung ermöglichte.

Doch sie war nicht Brooke, und selbst unter günstigen Umständen bewies sie selten Esprit.

Halb nackt und von Leuten umgeben zu sein, die sie bei früheren Gelegenheiten als „Wabbel-Ellie“ bezeichnet hatten, zählte nicht als günstiger Umstand.

Warum musste gerade jetzt die Erinnerung daran ihr hässliches Haupt heben? Seit Jahren verbannte sie die hämischen Kommentare der Klatschpresse aus ihrem Kopf, und sie wollte sich das mühsam erarbeitete Selbstbewusstsein nicht wieder kaputt machen lassen. Sie war nie gertenschlank gewesen und würde es auch in Zukunft nicht sein. Ihr Gewicht lag im Normbereich, und dank der Stunden, die sie wöchentlich im Fitnessstudio verbrachte, waren ihre ausladenden weiblichen Kurven einigermaßen in Form.

Zum Glück nahm der Direktor sie nun beim Ellbogen und führte sie zu dem Band, das den neuen Gebäudeflügel vom Rest des Krankenhauses trennte. Es war breit, knallrot und passte genau zu ihrem Kleid. Ob Brooke danach ihr Outfit ausgesucht hatte? Zuzutrauen war es ihr. Ihre Schwester achtete sehr auf solche Details.

„Wir hinken dem Zeitplan etwas hinterher.“ Der Direktor sprach nicht offen aus, dass es ihre Schuld war, aber für Eleanor hörte es sich so an. „Lassen Sie uns anfangen.“

Schön. Je eher es losging, umso schneller hatte sie es hinter sich. Zu Hause konnte sie sich dann überlegen, wie sie ihren Kolleginnen und Kollegen jemals wieder unter die Augen treten sollte.

Eleanor fragte sich, ob die Anwesenden merkten, wie sehr ihr die Beine zitterten, während der Krankenhausleiter die Vorzüge und Leistungen des Angel’s lobte.

Dann tat er etwas Schreckliches. Er wandte sich Eleanor zu und bat sie, ein paar Worte zu sagen.

Augenblicklich machte sich die Panikattacke, die sie den ganzen Tag lang unter dem Deckel gehalten hatte, mit Zähnen und Klauen über sie her. Ihre Herzfrequenz verdoppelte sich. Schweiß bildete sich auf ihrer Haut, ihre Handflächen wurden feucht. Ihre Zunge klebte am Gaumen und schien für immer dort bleiben zu wollen.

Eleanor atmete tief durch. Du bist nur ein bisschen aufgeregt, sagte sie sich. Dir wird das Herz nicht aus der Brust fliegen, und du wirst nicht in Ohnmacht fallen.

Die blonde Krankenschwester schwatzte leise weiter, doch Ty hatte nur Augen für die Frau, die neben ihren Chefs stand. Seinen Chefs.

Sie trug ein Kleid, das ihre langen, wohlgeformten Beine betonte. Auch der Ausschnitt und die Signalfarbe Rot verrieten eine Frau, die ihre Reize selbstbewusst zur Schau stellte. Doch ihr Gesicht sagte etwas anderes. Bleich, fast durchscheinend, wollte es nicht recht zu dem gewagten Outfit passen.

Autor

Janice Lynn

Janice Lynn hat einen Master in Krankenpflege von der Vanderbilt Universität und arbeitet in einer Familienpraxis. Sie lebt mit ihrem Ehemann, ihren 4 Kindern, einem Jack-Russell-Terrier und jeder Menge namenloser Wollmäuse zusammen, die von Anbeginn ihrer Autorenkarriere bei ihr eingezogen sind.

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