Stürmisches Wiedersehen auf der Hazienda

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Lady Elizabeth Fane hat zwei Möglichkeiten: Entweder sie verliert ihr Familienanwesen in Schottland. Oder sie schluckt ihren Stolz herunter und bittet den vermögenden Brasilianer Chico Fernandez um Hilfe. Dass er sie damals ohne Erklärung verließ, obwohl sie sich so nach ihm sehnte - daran darf sie jetzt nicht denken! Aber als sie dem arroganten Polo-Champion auf seiner Hazienda gegenübersteht, spürt Lizzie sofort: Chico hat nichts von seiner männlichen Faszination eingebüßt. Wenn sie sich nicht vorsieht, könnte der Preis für seine Hilfe unermesslich hoch sein: ihr Herz …


  • Erscheinungstag 15.03.2016
  • Bandnummer 2223
  • ISBN / Artikelnummer 9783733706609
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Rache ist ein Gericht, das man am besten kalt serviert.

Lizzie kamen die Worte ihres Vaters in den Sinn, als das Frachtflugzeug den Sinkflug begann und sie ihrem Ziel immer näher brachte. Seine übliche, gespielte Zuversicht gründete sich auf nichts Handfesteres als Vorahnungen und einer Flasche Scotch Whisky, dennoch hatte er ihr eingeschärft, dass Entschlossenheit eine bewundernswerte Eigenschaft sei. Und seine Lizzie war sehr entschlossen. Sie würde den Familienstolz wiederherstellen, an der Stelle, an der er versagt hatte.

Schon seit Jahren plante Lizzie, diese Fortgeschrittenen-Ausbildung als Pferdepflegerin in Brasilien zu absolvieren. Sie hoffte nur, dass sie sich nicht zu viel davon versprach. Ja, sie war entschlossen, das Familienunternehmen wieder auf Vordermann zu bringen, aber der stundenlange Flug über unbewohnte brasilianische Einöde hatte sie verunsichert. Sie kam sich so weit weg von zu Hause vor, und es beruhigte sie auch nicht gerade, dass sie gleich nach so vielen Jahren Chico Fernandez wieder begegnen würde.

„Wie kommt es, dass du gar nicht nervös bist?“, fragte ihre Freundin Danny Cameron, die genauso wie Lizzie Pferdepflegerin war. Als der Flieger mehrere Sekunden lang wie ein Stein vom Himmel zu fallen schien, packte sie ängstlich Lizzies Hand.

Konnte man es ihr wirklich nicht ansehen? Es war nicht so, dass ihr das Reisen im Blut lag, und vermutlich ging es ihr genauso wie Danny. Als der Boden immer näher kam, hatte sie ein ganz flaues Gefühl im Magen.

„Es wird schon alles gut gehen“, tröstete sie Danny und hoffte auf das Beste.

Ob sie es schaffen würden?

Oder genauer: Würde sie, Lizzie, es schaffen? Natürlich: Die Landebahn war zwar kurz und der Flieger voller Pferde, Pfleger und Equipment, das für die renommierte Ausbildungsranch des berühmten Polospielers Chico Fernandez bestimmt war. Doch sie würden die Landung schon heil überstehen. Aber würde sie es auch schaffen, ihr Herz und ihren Ruf zu schützen? Es kam ihr an diesem Tag völlig unwirklich vor, dass Chico ihr einmal so viel bedeutet hatte. Aber sie war ja auch gerade mal fünfzehn gewesen, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. In jenem wundervollen Sommer war er ihr engster Freund und Vertrauter gewesen. Bis ihre Eltern begannen, in einem Ton von ihm zu sprechen, als handle es sich um den Teufel persönlich.

Chico Fernandez galt der Fane-Familie, Lizzies Familie, als Inbegriff des Bösen. Und dennoch befand sie sich nun auf dem Weg zu ihm, um ihm, wie ihr Vater es wünschte, all sein Fachwissen über Pferde zu entlocken. Danach würde sie nach Hause zurückkehren und das Familienunternehmen – die Fane-Pferdezucht und – ausbildung – wieder aufbauen, die Chico Fernandez nach den Worten ihres Vaters zerstört hatte. Das College, das ihr ein Stipendium für das Training bei Chico gewährt hatte, zahlte viel Geld dafür, genau wie bei allen anderen Studenten. Vermutlich wollten auch die anderen Studenten alles aufsaugen, was der berühmte Polospieler ihnen beibringen konnte.

Doch wenn ihr Vater glaubte, dass dies eine wunderbare Gelegenheit für Lizzie wäre, an dem Mann Rache zu üben, den er für seinen Feind hielt, dann täuschte er sich nicht nur gewaltig. Es war geradezu lächerlich. Trotzdem hatte sie geduldig zugehört, wie sie es immer tat, wenn ihr Vater sich in seinen Wahn steigerte und ihr versicherte, dass es ausgleichende Gerechtigkeit sei, weil Chico ihm alles genommen habe: seinen guten Namen, seine berufliche Existenz, seinen Reichtum und Erfolg und seine Pferde. „Chico hat mich bestohlen. Er hat mir alles geklaut – alles, Lizzie, sogar deine Mutter! Vergiss das nie.“

Wie hätte sie das vergessen können, wo er sie doch ständig daran erinnerte, dass er dank Chico zu einem alkoholkranken Versager geworden sei, während ihre Mutter sie verlassen hatte, um in Südfrankreich mit einem ihrer wesentlich jüngeren Liebhaber zu leben?

Aber war ihre Mutter zuvor wirklich von Chico verführt worden? Die Gerüchte, die ihre Eltern in Umlauf gebracht hatten, waren sogar noch schlimmer. Sie besagten, dass Chico ihre Mutter gezwungen hatte, Sex mit ihm zu haben. Lizzie konnte das nicht mit dem Mann in Einklang bringen, den sie kannte, auch wenn ihre Mutter, die sie Serena nennen musste, alles dafür getan hatte, ihre Freundschaft zu Chico zu zerstören. Ständig impfte sie ihrer Tochter ein, dass er nur ein armer Junge aus den brasilianischen Slums sei, wohingegen sie Lady Elizabeth Fane war.

Lizzie war in Chico verliebt gewesen und scherte sich nicht um ihren Stand. Das tat sie bis heute noch nicht, aber sie war auch kein leichtgläubiger Teenager mehr und wusste längst um die Fehler ihrer Eltern. Egal was ihr Vater sagte, Lizzie bezweifelte, dass Chico am Ruin ihrer Familie schuld war. Wie ihre Großmutter, die sich um Lizzie gekümmert hatte, nachdem ihre Eltern das Interesse an ihr verloren hatten. Diese ging sogar so weit, dass sie Lizzie gegenüber behauptete, ihre Eltern bräuchten keine Hilfe, wenn es darum ging, die Familie zu ruinieren.

Was Lizzie jedoch am meisten verletzt hatte, war die Tatsache, dass Chico ihr damals versprochen hatte, sie von einem Zuhause zu befreien, das sie fürchtete. Hauptsächlich deshalb, weil ihre Eltern ständig Partys feierten, bei denen alle sich betranken und hinter verschlossener Tür Dinge taten, über die sich Lizzie lieber keine Gedanken machen wollte. Von ihren Vermutungen hatte sie Chico nichts erzählt, nur von ihrem Unbehagen und wie sehr sie das Leben bei ihren Eltern hasste. Chico hatte daraufhin mit jugendlichem Eifer versprochen, sie zu retten, nur um dann, ohne sich von ihr zu verabschieden, nach Brasilien zurückzukehren.

Als Lizzie jetzt aus dem Fenster des Frachtflugzeugs blickte, entschied sie, dass sie nur dann mit ihren gemischten Gefühlen klarkommen würde, wenn sie sich auf das einzig Wichtige konzentrierte: sein magisches Händchen für Pferde. Diese Gabe hatte ihn schon als Teenager zu ihrem Helden gemacht, und wenn sie alles lernte, was Chico ihr in seinem weltbekannten Gestüt beibringen konnte, dann wäre das möglicherweise tatsächlich der Schlüssel, um das Familien-Unternehmen wieder aufzubauen.

Ihre Gedanken wurden durchbrochen, als Danny bei der Landung einen erschreckten Schrei ausstieß.

Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Lizzie warf einen Blick aus dem Fenster und spürte, wie ihr Selbstvertrauen einen weiteren Dämpfer erhielt. Alles sah so viel größer und wilder aus, als sie es sich vorgestellt hatte – und gefährlicher.

So wie Chico?

Draußen brannte die Sonne. Laut Wettervorhersage musste außerhalb des Flugzeugs eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit herrschen. Nach dem langen Eingesperrtsein waren die Pferde bestimmt voller Unruhe. Sie würden eine feste und doch einfühlsame Hand von ihren Pflegern brauchen. Genau darin war Lizzie besonders gut.

Sie blieb bei dem widerspenstigsten Pferd, bis sich die Frachtklappe des Fliegers öffnete, Sonnenlicht hereinströmte und die Rampe abgesenkt wurde – und sie eine tiefe, männliche Stimme hörte, die ihr so vertraut war, dass sie auf der Stelle erstarrte.

„Quem é que na parte de trás congeladas em pedra? Tremos trabalho a fazer!“

Seine Stimme hatte an Autorität gewonnen. Chico schien daran gewöhnt zu sein, dass man ihm sofort gehorchte. Kein Wunder, immerhin war er sehr erfolgreich. Für Lizzie war es eine nostalgische Erinnerung an die Vergangenheit.

„Lizzie!“

Danny schüttelte sie am Arm. Erst jetzt merkte Lizzie, dass sie immer noch stocksteif dastand. „Was hat er gesagt?“

Da Danny besser Portugiesisch sprach als sie, übersetzte sie rasch: „Er hat gesagt: Wer ist das, der da hinten im Flugzeug wie zur Salzsäule erstarrt ist? Wir haben eine Menge Arbeit vor uns! – Lizzie“, murmelte sie eindringlich, „er meint dich!“

„Oh …“ Lizzie errötete und blickte sich rasch um, doch von Chico war nichts mehr zu sehen.

Er war noch nie der Typ gewesen, der lange irgendwo rumhing, dachte sie, als sie gerade noch einen Blick auf eine große männliche Gestalt ganz in Schwarz erhaschte, die in einen Jeep kletterte. Er war so viel größer als in ihrer Erinnerung, und seine Körpersprache hatte sich verändert. Er wirkte jetzt so selbstsicher und dominant …

Nun, natürlich hatte er sich verändert. Immerhin hatte sie Chico zwölf lange Jahre nicht gesehen. Der eine kurze Blick, der ihr auf ihn vergönnt gewesen war, reichte jedenfalls aus, um ihr Herz höher schlagen zu lassen.

Lizzie starrte in die braunen Augen des Pferdes, das sie betreute, und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass es eher neugierig die Ohren aufstellte als Angst zu zeigen. Wenn es ihr doch nur genauso ginge …

„Komm schon, mein Schöner“, murmelte sie. „Es ist an der Zeit, dass wir zwei brasilianische Luft schnappen.“

Er war zufrieden. Zurück auf seiner Fazenda in Brasilien, dem Herzstück seines weltweiten Pferdeimperiums. Hier herrschten Kontrolle und Ordnung. Seine Kontrolle. Seine Ordnung. Pferde liebten die Sicherheit, und er liebte Pferde, deshalb stand außer Frage, dass seine Ranch reibungslos laufen musste.

„Neue Rekruten, Maria“, sagte er knapp.

Als er sein makelloses Büro durchquerte, reichte ihm die ältere Sekretärin eine Liste mit den neuen Studenten.

Er warf Maria einen warmen Blick zu. Sie war die einzige Frau in der Welt, der er vertraute. Maria war von Anfang an bei ihm gewesen. Sie beteten einander an. Es handelte sich eher um eine Mutter-Sohn-Beziehung als um ein Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis. Maria war seine Nachbarin im barrio gewesen, dem brutalen Slum, aus dem sie beide stammten und wo durchschnittlich alle zwanzig Minuten jemand ermordet wurde. Marias Sohn Felipe und Chicos Bruder Augusto waren in derselben Gang gewesen und vor Chicos Augen kaltblütig erschossen worden. Chico war damals erst zehn gewesen. Sein Vater saß im Knast, und seine Mutter ging auf den Strich. Damals schwor er sich, dass er sich um Maria kümmern würde, genauso wie er sich schwor, dass er für Gerechtigkeit und Bildung im barrio sorgen würde. Beides hatte er getan.

„Also“, sagte er mit einem Blick auf die Liste, „wen haben wir denn da?“ Bei einem Namen stockte er. Gott sei Dank bemerkte Maria nichts davon. Den Fane-Namen zu lesen und die ihm nur allzu bekannte Adresse verdarb ihm den Tag. Er hatte geglaubt, mit dieser Familie fertig zu sein.

„Dieses Jahr hatten wir mehr Bewerber als jemals zuvor, Chico.“

Er wollte Maria nicht beunruhigen. Sie war so stolz auf ihn. Behandelte ihn wie den Sohn, den sie verloren hatte, und er vergalt es ihr damit, dass er sie liebte und auf jede erdenkliche Weise schützte. Deshalb würde er sie jetzt ganz bestimmt nicht aufregen. Als sie zu jedem einzelnen Studenten einen kleinen Vortrag hielt, nickte er nur kurz.

„Und der hier ist aus dem barrio, Chico …“

„Gut“, murmelte er, während er immer noch mit sich haderte, was er mit einer bestimmten Studentin auf der Liste tun sollte. Was aber das barrio anging, so war das ein fortdauerndes Projekt, das ihm sehr am Herzen lag. Er hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, jungen Leuten aus ärmlichen Verhältnissen zu helfen.

„Und dieses Jahr beehrt uns sogar ein Mitglied der britischen Aristokratie …“

Das wusste er bereits. Was ihn weit weniger beeindruckte als Maria.

„Kein Wunder“, schwärmte Maria und wedelte mit einem offiziell aussehenden Dokument. „Die Fazenda Fernandez ist dieses Jahr für eine weitere Auszeichnung nominiert worden. Sogar in Schottland, wo diese junge Lady herkommt, sind wir berühmt.“

„Wirklich? Das ist gut, Maria.“

Er stellte sich bewusst neben seine kleine Sekretärin, um über ihre Schulter hinweg den Brief zu lesen und Interesse zu bekunden. Das Schreiben bestätigte, dass Lizzie Fane ein Mitglied der diesjährigen Studentengruppe war. Lächelnd erinnerte er sich, wie Lizzie ihn erst wegen seines gebrochenen Englischs aufgezogen und ihm dann geduldig Sprachunterricht gegeben hatte. Ihr bester Schüler sei er, hatte sie versichert.

Ihr einziger Schüler, dachte er jetzt, und bei dem Gedanken an ihre Eltern stellten sich seine Nackenhaare auf. Den Fanes gefiel es nicht, dass Lizzie Freunde hatte – vermutlich weil sie Angst hatten, dass sie über das reden könnten, was sie in Rottingdean House sahen. Dummerweise konnten die Fanes ihn nicht loswerden, weil er mit Eduardo da war, aber sie richteten die schlimmsten Anschuldigungen gegen ihn in der Hoffnung, dass Eduardo ihn freikaufen würde.

Obwohl er damals furchtbar wütend auf Eduardo und Lizzies Großmutter gewesen war, die ihn fortgebracht hatten, ehe er seinen Namen reinwaschen konnte, war ihm heute klar, dass sie ihn vor einer Auseinandersetzung bewahrt hatten, die er niemals hätte gewinnen können. Das Einzige, was er nicht verstand, war, warum Lizzie ihn damals nicht verteidigt hatte. Er dachte, sie wären Freunde gewesen, aber schlussendlich war Blut dicker als Wasser, und sie hatte sich eben für ihre verlogene, betrügerische Familie entschieden.

Und jetzt war Lizzie hier auf seiner Ranch und hoffte, von seiner Ausbildung zu profitieren? Das war so unfassbar, dass es ihn beinahe amüsiert hätte. Dummerweise war ihm nicht nach Lachen zumute.

„Meinen Erfolg verdanke ich dir, Maria, und den wundervollen Mitarbeitern, die du ausgesucht hast“, sagte er und fasste den Entschluss, nach vorne zu blicken und nicht zurück.

Maria schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Und dir selbst, Chico“, beharrte sie stolz. „Ohne dich würde niemand von uns an diesem weltbekannten Ort arbeiten. Bis hierhin sind wir einen langen Weg gegangen, Chico.“

Ihr Blick sagte einiges: Er hätte auch leicht einen ganz anderen Weg wählen können. Die Wendung zum Guten hatte an dem Tag begonnen, an dem er zufällig in Eduardos Rekrutierungsaktion geraten war. Noch so ein Gutmensch, dachte er damals zornig. Er hielt Eduardo für eines dieser reichen Schweine, die nur in die Slums kamen, um ein paar Almosen zu verteilen und damit ihr Gewissen zu beruhigen. Bastardo! Chico war zehn Jahre alt und voller Wut. Er befand sich auf dem Weg zu den Drogendealern, die seinen Bruder und Marias Sohn getötet hatten. Ein geladener Revolver steckte in seinem Gürtel und Mordgedanken in seinem Kopf. Eduardo musste das in seinen Augen erkannt haben, weshalb er ihn zu sich rief. Chico weigerte sich, doch Eduardo ließ sich nicht so leicht abwimmeln. Er war groß, hart und stark, und auch wenn Chico ihn noch so hasserfüllt anstarrte, Eduardo packte ihn und hielt ihn fest. Schnell landete der Revolver in seiner Tasche. An diesem Tag wurde kein Mord begangen.

„Maria, ich verdanke alles dir und Eduardo“, erklärte er jetzt. „Alles, was ich habe, besitze ich, weil ihr beiden an mich geglaubt habt.“

„Und wir haben uns nicht getäuscht, oder?“ Maria stemmte die Hände in die Hüften. „Trotz aller Widrigkeiten hat es der arme Junge aus dem barrio bis hierher geschafft.“ Bei ihr klang es so, als würden sie in einem Palast leben und nicht auf einer Ranch. Sie lächelte breit.

Auch sein Gesichtsausdruck wurde weicher. Jeden Tag war er dankbar für sein Leben. Es wäre nicht möglich gewesen, wenn Eduardo ihn nicht wie einen Sohn behandelt und an ihn geglaubt hätte, egal wie schwer es Chico ihm am Anfang auch gemacht hatte. Und Chico hatte sich alle Mühe gegeben, ihn in den Wahnsinn zu treiben, obwohl er seinen Mentor schnell vergötterte. Auch jetzt fiel es ihm noch manchmal schwer zu glauben, dass er für einen derart berühmten Polospieler hatte arbeiten dürfen. Der ihn aus dem barrio holte und ihm zeigte, dass es im Leben noch so viel mehr gab als Drogen und Waffen und Gewalt, und als Eduardo starb, hinterließ er seinen gesamten Besitz Chico, weil er wusste, dass sein Schützling da weitermachen würde, wo er selbst aufgehört hatte.

Chico hatte Eduardos Geld benutzt, um sich eine kleine Ranch im Buschland zu kaufen, die er durch jahrelange harte Arbeit in das renommierteste Polo-Zentrum des Landes verwandelte. All das gelang ihm, weil er unnachgiebig war, und weil er – wie Eduardo festgestellt hatte – ein besonderes Händchen für Pferde besaß.

„Chico …?“, murmelte Maria vorsichtig, weil sie sah, dass er tief in Gedanken versunken war.

„Maria?“ Er lächelte sie warm an.

„Möchtest du, dass ich die diesjährigen Stipendiaten mit dir durchgehe?“

„Nein, danke, Maria, ich nehme die Liste mit und schaue mir deinen Bericht später an.“

Er wollte nicht, dass irgendjemand dabei war, wenn er das tat, und schon gar nicht die leicht zu beeindruckende Maria. Als er jenen einen Namen gelesen hatte, da hatte er das Gefühl gehabt, jemand drücke ihm die Kehle zu. Er brauchte einen Moment, um das Gefühl zu beherrschen, dass irgendjemand für diesen Lapsus bezahlen musste.

Ja, er selbst sollte dafür bezahlen. Er selbst hätte überprüfen sollen, welche Studenten sie dieses Jahr aufnahmen, ehe er auf Polo-Tour gegangen war. Dann wäre das nämlich nie passiert.

Sein Magen zog sich zusammen, wenn er an den Tag zurück dachte, an dem Serena Fane ihn der Vergewaltigung bezichtigt hatte. Es war eine absurde Lüge, aber wer würde ihm glauben, dem armen Jungen aus den brasilianischen Slums? Gegen die britische Aristokratie hatte er keine Chance. Unzählige Male hatte er nach jenem ersten Brief an Lizzie geschrieben und sie um eine Erklärung gebeten. Er war sich so sicher gewesen, dass sie antworten würde. Schließlich hatten sie sich so nahegestanden. Sie war die einzige Freundin, die er je gehabt hatte, und er vertraute ihr bedingungslos. Und ja, sie war wunderschön, doch so weit außerhalb seiner Reichweite, dass er es erst wagte, mit ihr zu reden, nachdem sie ein Interesse bekundet hatte, sich mit ihm anzufreunden.

Vergewaltigung war ein Wort, das er mit den Mördern assoziierte, die seinen Bruder umgebracht hatten, und sein Schock, als Lizzie seine Briefe ignorierte, war unbeschreiblich. Er konnte es sich nur so erklären, dass sie beschlossen hatte, sich auf deren Seite zu schlagen – auf die Seite ihrer niederträchtigen Mutter und ihres versoffenen Vaters, die er von Anfang an im Verdacht gehabt hatte, es auf „Schweigegeld“ von Eduardo abgesehen zu haben. Er wusste nicht, ob Geld geflossen war, aber als Chico sich einen Namen in der Polowelt machte, tauchte Serena wieder auf. Sie drohte ihm, den Skandal neu aufzurollen, wenn er sie nicht „günstig ausstattete“.

Er warf sie hinaus und brachte sie nur deshalb nicht wegen Erpressung vor Gericht, weil Lizzies Großmutter so gut zu ihm gewesen war und er der alten Dame nicht zusätzlichen Kummer bereiten wollte. Sie war die einzige Person – abgesehen von Eduardo – gewesen, die ihm geholfen hatte, davonzukommen, als Lord Fane seine ungeheuerlichen Anschuldigungen im Namen seiner Frau vorbrachte. Chico beglich seine Schulden immer, er vergaß nichts, doch wenn Lizzie damals den Mut gehabt hätte, für ihn einzutreten, wäre nichts davon passiert. Also gut, sie war damals erst fünfzehn gewesen, aber heute wusste er, dass ihre Freundschaft ihr nichts bedeutet hatte.

Weil er es in seinem Büro plötzlich unerträglich heiß fand, ging er hinaus, um seine Ranch zu inspizieren. Das tat er jedes Jahr, wenn er von einer Polo-Tour zurückkehrte. Es dauerte eine ganze Weile, weil ihm mehrere zehntausend Morgen Land gehörten – einige Wochen brauchte er, um überall nach dem Rechten zu schauen. Außerdem galt es, einige Vorbereitungen zu treffen, ehe er aufbrach. Solange seine Studenten sich noch einrichteten, konnte er es sich leisten, noch einmal fort zu sein. Es gab andere Tutoren, die sich bis dahin um sie kümmern und das Training beginnen konnten. Wenn er dann zurückkehrte, würde er Lady Elizabeth Fane unter die Lupe nehmen und herausfinden, was zur Hölle sie hier machte. Er vermutete, dass die Zeitspanne von der Befragung bis zum Nachhauseschicken bei Weitem nicht so lange dauern würde wie die Inspektion seiner Ranch.

2. KAPITEL

„Ein kalter Wickel war genau das, was du gebraucht hast, nicht wahr?“ Lizzie trat einen Schritt zurück und warf einen nachdenklichen Blick auf ihren Patienten. Erleichtert sah sie, dass es dem Pony schon wieder so gut ging, dass es die Nase ins Heu streckte. „Die Schwellung wird bald abklingen, und dann wirst du wieder so streitsüchtig wie eh und je sein und mich jedes Mal in den Arm zwicken, wenn ich mit dir rede.“

„Bekommst du von den Pferden eigentlich eine Antwort?“, fragte Danny und warf ihre Arme ins Heu. „Und könnte ich bitte auch einen kalten Wickel haben? Um meinen ganzen Körper, wenn es geht? Mir ist furchtbar heiß.“

Es war ein langer, harter Arbeitstag für die beiden jungen Frauen gewesen, die die Pferde von den entfernt liegenden Koppeln zurückgebracht hatten. Dennoch würde Lizzie erst Schluss machen, wenn sie ihre Aufgabe beendet hatte. Wenn es um Pferde ging, kannte sie keinen Feierabend.

„Ja, es ist heiß“, stimmte sie zu und warf ihrer Freundin eine Rolle Minzbonbons zu. „Hier.“

„Meinst du, dass wir unseren Ausbilder jemals kennenlernen werden?“, fragte Danny und steckte sich gleich mehrere Bonbons in den Mund. „Ich fange allmählich an zu bezweifeln, dass es ihn überhaupt gibt.“

„Wir wissen doch, dass er existiert“, wandte Lizzie sachlich ein, wobei sie sich insgeheim wünschte, Danny hätte das Gespräch nicht auf Chico Fernandez gebracht. „Er ist das Flugzeug geflogen, mit dem wir hergekommen sind.“

„Und wo ist er dann jetzt?“, konterte Danny.

„Ich weiß es nicht. Ich habe keine Eile, ihm zu begegnen. Du etwa?“

„Lügnerin“, schalt Danny. „Du bist ganz rot geworden, und deine Augen sind geweitet. Ich werde jetzt keine weiteren anatomischen Details benennen, aber tu bitte nicht so, als wärst du nicht völlig aufgeregt, Chico wiederzusehen.“

„Da täuschst du dich. Ich gebe Chico die Schuld daran, dass ich so pferdeverrückt bin, das ist alles.“ Was auch wieder eine Lüge war, aber das musste Danny nicht wissen.

Saug alles auf, was du aus ihm rauskriegen kannst, Lizzie, und dann bring sein Wissen nach Schottland, damit wir ihm ordentlich Konkurrenz machen und ihn zerstören können.

Sie hasste Chico nicht so sehr, wie ihr Vater hoffte. Genau genommen, hasste sie ihn überhaupt nicht, aber sie war enttäuscht von ihm. Sie hätte es ihm nicht mal zum Vorwurf machen können, wenn er mit ihrer Mutter geflirtet hätte, auch wenn sie vermutete, dass die Initiative von Serena ausgegangen war. Ob Chico sich ihrer Mutter aufgedrängt hatte? Nein. Sie vergewaltigt hatte? Nie und nimmer. Aber Serena war immer noch eine sehr attraktive Frau und Chico ein Freigeist. Zumindest hätte er Lizzie gegenüber ehrlich sein können und ihr nicht versprechen dürfen, sie aus Rottingdean House zu retten, nur um dann wortlos zu verschwinden.

„Was denkst du gerade?“, fragte Danny, die sich genüsslich im Heu ausstreckte.

Das werde ich dir nicht verraten, dachte Lizzie. Diese Sache konnte sie ihrer Freundin nicht anvertrauen. „Hängst du bitte das Zaumzeug für mich auf? Danach können wir reden. Es ist brütend heiß hier drin. Ich schwitze am ganzen Leib.“ Sie fächelte sich Luft zu und begann, Reithose und Bluse auszuziehen. Dann griff sie nach ihrer Jeans. „Die Hitze macht einem ganz schön zu schaffen, wenn man so hart gearbeitet hat wie wir.“

„Das ist nicht das Einzige hier, was heiß ist“, bemerkte Danny mit verschmitztem Grinsen.

„Du meinst die Männer?“ Lizzie gab sich betont gleichgültig. Mit einem Arm wischte sie sich den Schweiß von der Stirn, dann band sie ihr leuchtend kupferrotes Haar zu einem Knoten zusammen.

Danny kniff die Augen zu. „Tu nicht so, als hättest du sie nicht bemerkt. Die Gauchos sind verdammt sexy und die Polospieler die pure Sünde.“

„Wirklich?“ Lizzie presste die Lippen zusammen. „Ich kann nicht behaupten, dass mir das aufgefallen wäre.“

„Pah, wer’s glaubt!“, schnaubte Danny verächtlich.

Es gab nur einen Mann, der Lizzie interessierte, doch ihre Wege hatten sich noch nicht gekreuzt. Sie vermutete, dass Chico sich derzeit um all das kümmerte, was in seiner Abwesenheit liegen geblieben war. Wahrscheinlich würde er sie nicht mal erkennen, wenn sie sich begegneten. Immerhin war sie keine fünfzehn mehr. Vor allem war sie kein leicht zu beeindruckendes Mädchen mehr, das für einen Mann schwärmte, der wie ein Barbar aussah. Nein, schwor sich Lizzie und griff nach ihrem Top, sie würde Chico nicht noch einmal verfallen.

Als Chico einen unerwarteten Blick auf nackte Haut erhaschte, erstarrte er für einen Moment. Die junge Frau mühte sich ab, das Top über ihre vollen Brüste zu streifen und fluchte dabei leise. Er hatte nach dem Pony schauen wollen, das während seiner Abwesenheit bei einem Polomatch einen üblen Tritt abbekommen hatte. Zunächst hatte er zwei Pferdepflegerinnen reden hören, doch die eine war aus dem Hinterausgang geschlüpft und in die Sattelkammer gegangen, in der sie das ganze Zaumzeug aufbewahrten. Wenn sich Pferdepfleger um die Uhrzeit noch im Stall aufhielten, dann entweder weil sie nichts Gutes im Schilde führten oder weil sie tatsächlich noch so lang arbeiteten. Das konnte nur eines bedeuten: Entweder waren sie so schlecht, dass er sie schleunigst loswerden sollte, oder sie gehörten zu den Besten der Besten. Chico brannte darauf, herauszufinden, mit welcher Kategorie er es hier zu tun hatte. Also griff er nach einer Heugabel und schlenderte die Stallboxen entlang.

Als er die Fülle an rotgoldenen Locken sah, die ihm die Identität der Pferdepflegerin verrieten, spürte er einen Stich in der Magengegend. Er hätte sie überall erkannt, selbst nach all den Jahren. Der halbnackte Körper gehörte Lizzie Fane. Na, großartig!

„Sofort raus hier“, befahl er mürrisch.

„Wie bitte?“, versetzte sie und klang dabei kein bisschen eingeschüchtert. „Wer ist da?“

Es war ein Schock, dass die erwachsene Lizzie genauso wie ihre Mutter klang. Das war gar nicht gut.

„Ich sagte“, wiederholte er mit drohendem Unterton, „sofort raus hier!“

„Ich muss doch sehr bitten“, entgegnete sie honigsüß. „Ihr Tonfall verängstigt das Pferd.“

Sie hatte vielleicht Nerven! Niemand sorgte sich mehr um die Pferde als Chico.

Hatte er wirklich geglaubt, er wüsste, wie es sich anfühlen würde, einem Mitglied der Fane-Familie auf seiner Fazenda zu begegnen? Himmel, er hatte nicht mal den Hauch einer Ahnung! Dass ihn schlagartig die Vergangenheit einholte, machte ihn unglaublich wütend.

„Ich bin gleich fertig“, murmelte sie.

Sollte er etwa darauf warten?

„Da sind noch ein paar Sachen, die ich aufheben und verstauen muss“, erklärte sie weiter – immer noch mit derselben sanften Stimme und größtenteils durch die Stallwand verdeckt.

„Die Uhr tickt“, warnte er sie.

Autor

Susan Stephens
Das erste Buch der britischen Schriftstellerin Susan Stephens erschien im Jahr 2002. Insgesamt wurden bisher 30 Bücher veröffentlicht, viele gehören zu einer Serie wie beispielsweise “Latin Lovers” oder “Foreign Affairs”.

Als Kind las Susan Stephens gern die Märchen der Gebrüder Grimm. Ihr Studium beendete die Autorin mit einem MA in...

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