Verzaubert von der Stimme des Milliardärs

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Zanders tiefe Telefonstimme geht Charlotte unter die Haut – dabei sprechen sie nur über Geschäftliches. Trotzdem kommen die Sekretärin und der griechische Tycoon sich immer näher. Bis Zander zu einem Treffen einfliegt – und Charlotte ihren Augen nicht traut …


  • Erscheinungstag 09.09.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513050
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Auf seine Anrufe freute sie sich viel mehr, als sie es sollte.

Darüber war sie sich vollkommen im Klaren.

Sie sollte im Umgang mit diesem einflussreichen Mann zurückhaltend, professionell und höflich sein, aber der Klang seiner Stimme und die Art, wie er mit ihr sprach, brachten Charlotte dazu, sich wohlig im Bett zu rekeln. Wie er nach einer Bemerkung von ihr innehielt, bevor er antwortete. Wie sie einfach wusste, dass er über etwas lächelte, was sie gesagt hatte.

Inzwischen hatten sie mehrmals miteinander telefoniert. Beim ersten Anruf war Zander kurz angebunden gewesen. Sein griechischer Akzent hatte Charlotte so verwirrt, dass sie wirklich geglaubt hatte, es sei ihr Chef Nico, der schlecht gelaunt war.

Als er das erste Mal angerufen hatte, war sie vom Klingeln ihres Telefons um sechs Uhr morgens geweckt worden, und sie hatte einen Moment gebraucht, um zu merken, dass es tatsächlich der schwer fassbare Immobilienbesitzer war, auf den Nico sie angesetzt hatte. Bisher hatte sie immer nur mit seinen Anwälten oder der mürrischen persönlichen Assistentin Kontakt gehabt.

„Hier Zander“, fuhr er sie an. „Ich dachte, Sie wollten mich sprechen. Anscheinend habe ich mich geirrt.“

Bevor er auflegen konnte, stammelte Charlotte eine Entschuldigung. Nico würde es nicht gut aufnehmen, wenn sie diesen Berührungspunkt verlor. „Die Verwechslung t…tut mir leid. Schön, dass Sie zurückrufen.“ Obwohl sie in Versuchung war, fügte sie nicht sarkastisch „endlich“ hinzu. Stattdessen blickte sie auf den Nachttischwecker. „Es ist nur, dass ich um sechs Uhr morgens …“

Zander schwieg lange, und danach klang er zwar nicht versöhnlich, aber ein bisschen weniger schroff.

„Ich dachte, bei Ihnen ist es acht Uhr. Sie sind doch in Athen? Auf Xanos?“

„London.“

„Ich spreche mit Charlotte Edwards? Der persönlichen Assistentin von Nico Eliades?“

„Ja. Ich arbeite von London aus.“

Und dann, völlig unerwartet, entschuldigte er sich.

„Verzeihen Sie mir. Ich bin in Australien und habe angenommen, dass Sie wie ihr Chef in Griechenland sind. Ich rufe während der Geschäftszeit wieder an.“

„Das ist nicht nötig“, sagte Charlotte schnell. Sie wollte Nico nicht berichten, dass der schwer fassbare Zander endlich angerufen hatte und sie zu verschlafen gewesen war, um mit ihm zu telefonieren. „Bleiben Sie dran, ich bin jetzt wach. Na ja, nicht aufgestanden …“

Du liebe Zeit!

Beide schwiegen sie diesmal lange. Charlotte wurde rot vor Verlegenheit. Weit davon entfernt, als tüchtige persönliche Assistentin rüberzukommen, hatte sie klipp und klar zugegeben, dass sie im Bett lag. Die leichte Heiserkeit in Zanders Stimme nach seiner Pause ließ Charlotte noch mehr erröten, und nicht, weil sie verlegen war. Es hatte ganz andere Gründe.

„Möchten Sie sich einen Kaffee machen?“, fragte Zander. „Ich rufe wieder an.“

„Nein, mir geht’s gut“, log sie und griff nach einem Kugelschreiber, fest entschlossen, alle Zahlen mitzukriegen, die er ihr hinwarf, gelassen und voll engagiert zu sein. Selbst wenn sie nach ihrer Mutter sehen musste und, ja, dringend einen Kaffee brauchte, sie würde es nicht verraten.

Bei seinen nächsten Worten war ihr, als würde seine Stimme sie liebkosen. Irgendwie sprach der Milliardär nicht zu ihr, sondern mit ihr.

„Charlotte, ich rufe Sie in zehn Minuten wieder an. Kochen Sie sich Kaffee, nehmen Sie die Tasse mit ins Bett, und dann reden wir.“

Zuerst wollte sie ihn verbessern, denn nur Nico nannte sie bei der Arbeit Charlotte. Ms Edwards wahrte die Form, schuf sofort Distanz, allerdings schien es ihr kleinlich zu sein, wo sie doch vielleicht schon unhöflich auf Zander gewirkt hatte. Ob es tüchtig klang oder nicht, Charlotte antwortete ehrlich.

„Das wäre großartig, Mr …?“

„Zander“, hatte er erwidert und aufgelegt.

So hatte es angefangen.

Ja, sie freute sich auf seine Anrufe viel mehr, als sie es sollte. Die Gespräche am frühen Morgen waren zur Gewohnheit geworden. Immer rief er zu einer unchristlichen Zeit an, redete einen Moment und legte auf. Charlotte kochte Kaffee, nahm die Tasse mit ins Bett, wartete auf das Klingeln ihres Diensthandys und lauschte dann seiner volltönenden, tiefen Stimme. Erst schrieb Charlotte auf, was sie Nico ausrichten musste, und dann redeten Zander und sie.

Nicht viel.

Nur ein bisschen mehr, als sie es vielleicht sollte.

„Also arbeiten Sie nicht wirklich mit Nico zusammen?“, hakte Zander eines Sonntagabends nach.

Das Timing hatte sie überrascht, aber natürlich, bei ihm war es Montagmorgen. Sie hatte sich unter die Decke gekuschelt. Das Wetter war scheußlich, Regen prasselte an die Fensterscheiben, und Zanders Stimme hielt Charlotte warm.

„Ich arbeite für ihn.“

„Nicht an seiner Seite.“

„Ich arbeite zu Hause“, erklärte Charlotte. „Nico ist oft auf Reisen, und ich organisiere die Dinge von hier aus.“

„Macht es Ihnen Spaß?“

Und sie zögerte. Nicht lange, höchstens eine Sekunde. „Ich finde es toll.“

Das tue ich wirklich, sagte sich Charlotte. Es war ein großartiger Job, auch wenn es eben nur das für sie war: ein Job eher als eine Leidenschaft, ein Mittel zum Zweck statt des Berufs, den sie geliebt hatte. „Stewardess“, hatte sie von Kindesbeinen an unerschütterlich geantwortet, wann immer sie gefragt worden war, was sie einmal werden wollte. Sie hatte in der Schule Sprachen gelernt, sich beworben und war von der Fluggesellschaft eingestellt worden, die ihre erste Wahl gewesen war. Schnell war sie zur Chefstewardess aufgestiegen.

Wie sie sich danach sehnte, in der Luft bei ihren Erste-Klasse-Passagieren zu sein, den Piloten ihr Frühstück zu bringen und im Cockpit zu verweilen, während sie in zehntausend Meter Höhe der Morgendämmerung entgegenflogen.

„Vermissen Sie nicht den Kontakt mit anderen Leuten?“, fragte Zander.

Damit hatte er so ins Schwarze getroffen, dass Charlotte nicht antworten konnte. Tränen stiegen ihr in die Augen, weil ja, sie vermisste nicht nur das Fliegen, sondern auch den sozialen Gesichtspunkt.

„Natürlich ist es ideal, wenn Sie kleine Kinder haben.“

„Oh, ich habe keine Kinder“, erwiderte sie, ohne zu überlegen. Einen Moment später erkannte sie, dass Zander nicht Small Talk machte, dass er sie abschätzte, und ihr wurde ganz warm. „Sie?“

„Nicht doch! Ich bin viel zu verantwortungslos.“

Die Art, wie er das sagte, veranlasste sie, sich auf die Lippe zu beißen. Sie beschloss, ihm nicht zu erzählen, dass sie ihre Mutter pflegte und Amandas Alzheimerkrankheit schlimmer wurde. Dass die alles andere als harte Arbeit für Nico die einzige war, die sie leisten konnte. Sie musste nur zu jeder Zeit am Computer oder Telefon verfügbar sein. Was ihr zusammen mit dem großzügigen Gehalt, das Nico zahlte, ermöglichte, ihr Versprechen zu halten und sich zu Hause um ihre Mutter zu kümmern.

„Und? Vermissen Sie den Kontakt mit anderen?“ Zander ließ nicht locker.

„Überhaupt nicht.“ Weil es sicherer war, log Charlotte. Weil sie vielleicht einfach zusammenbrechen würde, wenn sie mit der Wahrheit herausrückte. Deshalb erzählte sie ihm von Mittagessen mit Freunden und Cocktails am Freitag, erzählte sie von der Charlotte, die sie früher gewesen war, als sie noch um die Welt geflogen war.

„Ich verkaufe dieses Grundstück nur ungern“, lenkte Zander das Gespräch wieder aufs Geschäftliche. „Ihr Chef ist sehr hartnäckig. Er will den Landungssteg haben, klar, denn damit würde ihm der ganze Abschnitt der Bucht gehören.“

Charlotte schwieg. Sie sollte nichts besprechen oder verhandeln. Ihre Aufgabe war es, Nachrichten von Zander an Nico weiterzugeben.

„Haben Sie es gesehen? Sind Sie schon einmal auf Xanos gewesen?“

Zweimal, jeweils nur für einen Tag, und sie konnte verstehen, warum ihr Chef ein Stück davon haben wollte. „Ja, und das Resort ist fantastisch.“

Es war ein exklusiver Schlupfwinkel für die Reichen und Berühmten. Zu einem überhöhten Preis hatte Nico von Zander eines der noch nicht abgerissenen alten Häuser gekauft, aber jungverheiratet und an das Beste gewöhnt, wollte er mehr für seine Ehefrau und seinen Sohn. Seit Wochen konzentrierte sich Nico hauptsächlich darauf, das Nachbargrundstück zu erwerben. Zander sträubte sich jedoch, es zu verkaufen.

„Haben Sie ihm ausgerichtet, dass ich ihm einen Pachtvertrag anbiete?“

„Ja, und er ist nicht interessiert. Er möchte mit Ihnen selbst sprechen.“

„Ich spreche lieber mit Ihnen.“

Zwar ging Zander nicht zu weit, doch die Andeutung, dass er ihre Gespräche ebenso genoss wie sie, ließ Charlotte erröten.

„Ich sollte aufstehen“, sagte er.

„Oh.“ Sie hatte ihn sich am Schreibtisch vorgestellt, weil er immer so angezogen und kompetent klang. Bei dem Gedanken, dass Zander auch im Bett lag, durchlief sie ein prickelndes Gefühl. „Ich dachte, Sie arbeiten.“

„Tue ich. Ich kann flach auf dem Rücken genauso tüchtig arbeiten.“

Und sie fühlte sein verführerisches Lächeln, ohne es zu sehen.

Zander lächelte tatsächlich, weil er sie tief einatmen hörte, wie sie es gelegentlich tat, wenn sie miteinander sprachen. Während der vergangenen Tage hatte er angefangen, sich nach diesem Geräusch zu sehnen. So sehr, dass er die Frau, mit der er ausgegangen war, vor ihrer Wohnung abgesetzt hatte, anstatt sie mit zu sich nach Hause zu nehmen. Er hatte sich lieber gleich nach dem Aufwachen an Charlottes Stimme erfreuen wollen.

„Sie klingen müde, Sie sind früh im Bett.“

„Ja.“ Es war einfacher, zu behaupten, dass sie am Samstagabend auf einer Hochzeit gewesen war. Viel einfacher, als zu erzählen, dass sie um zwei Uhr morgens durch dunkle Straßen ihrer Mutter nachgelaufen war und sie zu überreden versucht hatte, zurück ins Haus zu kommen.

Es war einfacher, diesem glamourösen, aufregenden Mann ihr Leben eher toll als trist zu schildern. Was machte es schon aus? Wahrscheinlich würden sie sich nie begegnen. Mit Zander am Telefon konnte Charlotte eine kostbare kurze Zeit lang das Leben führen, das sie erfand.

„War die Hochzeit schön?“

„Sie war wunderschön“, erwiderte Charlotte und dachte an die Hochzeit ihres Chefs vor einigen Wochen, die sie organisiert hatte. „Alles ging reibungslos über die Bühne.“

„War es eine sehr förmliche Feier? Haben Sie einen Hut getragen?“

„Ja“, sagte Charlotte, und das war glatt gelogen. Nico hatte auf der griechischen Insel Xanos am Strand vor seinem Grundstück geheiratet. Nur zwei Trauzeugen und sie hatten an der schlichten Trauung teilgenommen.

„Haben Sie morgen etwas vor?“

„Nur ein Mittagessen mit Freunden.“ Charlotte wünschte, es würde stimmen, aber Mittagessen mit Freundinnen gehörten der Vergangenheit an. Trotzdem, es war nett, dazuliegen und zu träumen, und noch netter, im Bett mit Zander zu reden und zu wissen, dass er auch im Bett lag.

„Okay. Richten Sie Ihrem Chef aus, dass ich mir die Sache noch immer überlege. Er hat Glück, Sie zu haben.“

„Glück?“

„Wenn ich nicht so gern mit seiner persönlichen Assistentin reden würde, hätte ich sein Angebot abgelehnt.“

Ihr wurde ganz heiß vor Freude, aber Charlotte bremste sich, denn sie arbeitete für Nico.

„Sie halten ihn nicht nur hin?“

„Charlotte …“ Zander klang sehr ruhig, vielleicht ein bisschen streng. „Ich habe Besseres zu tun, als Ihren Boss hinzuhalten. An jenem ersten Tag habe ich angerufen, um sein Angebot abzulehnen. Sie waren es, die mich veranlasst hat, es mir noch einmal zu überlegen.“

Damit legte Zander auf, und sie lag da und ging das Gespräch immer wieder durch. Du bist albern, schimpfte sie mit sich. Er machte bloß Konversation, flirtete, wie er es wahrscheinlich mit den meisten Frauen tat. Zum vielleicht hundertsten Mal zog sie ihren Laptop herüber, umso viel wie möglich über Zander herauszufinden.

Um ihn zu sehen.

Wie schon so oft verzichtete sie darauf. Seine Stimme, die Art, wie er ihren Namen sagte und sich manchmal nach ihrem Befinden erkundigte, die Gefühle, die er in ihr weckte … Charlotte wollte nicht entdecken, dass er ein übergewichtiger Ehemann war, der am Telefon flirtete. Wollte nicht, dass diese Gefühle endeten.

Sie träumte von ihm, hörte seine tiefe, volltönende Stimme und erwachte lächelnd. Als sie aufstand, blickte sie in den Spiegel. Ihr langes blondes Haar brauchte einen guten Schnitt, der ausgeleierte Pyjama war nichts für Männeraugen, und sie sah einfach nur total fertig aus, überhaupt nicht wie die glamouröse Frau, die sich Zander vorstellte.

Im Schlafzimmer ihrer Mutter roch es nach nassen Laken. Mit leerem Blick starrte Amanda ihre Tochter an.

„Guten Morgen, Mum.“ Wie meistens bekam Charlotte keine Antwort, deshalb probierte sie es in der Muttersprache Amandas. „Bonjour, maman.“ Noch immer keine Reaktion. „Ich helfe dir beim Aufstehen und Duschen.“

Leichter gesagt als getan. Charlotte wurde geschlagen, gekratzt und beschimpft. Während sie ihre Mutter wusch, hätten die Nachbarn, wenn sie nicht Bescheid gewusst hätten, die Polizei gerufen, denn Amanda schrie, als würde sie in ihrem Haus überfallen.

Zwar war Charlotte noch immer im Pyjama, aber zumindest saß ihre Mutter schließlich geduscht, gekämmt und angekleidet in ihrem Sessel im Wohnzimmer.

„Wir könnten einen Strandspaziergang machen.“

Endlich sprach ihre Mutter. Charlotte fütterte sie mit einem weich gekochten Ei, das sie zusammen mit Butter zerdrückt hatte, damit es ein paar Kalorien mehr waren. Ihre Mutter baute nicht nur geistig stark ab. Obwohl ihre Worte vernünftig klangen, obwohl es sich wie ein normales Gespräch anhörte, lag die Sache natürlich völlig anders: Sie waren meilenweit vom Strand entfernt. Nur war es der Lieblingsplatz ihrer Mutter, und wenn sie davon redete, schien sie sich wirklich an die Zeiten zu erinnern, als sie in Charlottes Kindheit Urlaub am Meer gemacht hatten.

„Gute Idee“, sagte Charlotte. „Wir füttern die Seemöwen.“ Und sie sah ihre Mutter lächeln, sah ihre Augen aufleuchten. Selbst wenn sie nie wieder an den Strand kommen, nie wieder zusammen die Seemöwen füttern würden, Amandas Lächeln war die Schwindelei wert.

Und es lohnte sich, ihr Leben auf Eis zu legen, um ihre Mum zu pflegen. Das sagte sich Charlotte, während sie sich durch noch eine Woche schleppte, doch im Grunde wusste sie, dass es nicht viel länger so weitergehen konnte.

Dass sie nicht mehr lange so weitermachen konnte.

Aber dann kam der Anruf.

Am Nachmittag, eine völlig unübliche Zeit. Charlottes Herz schlug höher, als sie sah, dass es Zander war. Lächelnd meldete sie sich, weil sie hoffte, dass seine Worte sie aufheiterten, nur war sein Ton schroff und geschäftsmäßig.

„Würden Sie bitte eine Nachricht an Nico weitergeben?“

„Natürlich.“ Charlotte versuchte, den Zeitunterschied auszurechnen. Bei Zander musste es vier Uhr morgens sein.

„Ich bin nächste Woche auf Xanos. Ich fliege spät am Sonntag ein und habe sehr viele Termine. Am Montagmorgen um acht wäre es möglich, dass ich mich mit Ihrem Chef treffe. In den kommenden Wochen gehen wir in den nächsten Bauabschnitt über. Bevor wir mit dem Grundstückskauf Ernst machen, möchte ich die Pläne für das Gebiet durchsprechen. Vielleicht ist er nicht allzu begeistert davon, und er soll nicht nachher mit Baustoppanträgen meine Zeit verschwenden.“

„Ich werde es ihn wissen lassen.“ Diesmal wartete Charlotte vergeblich darauf, dass sie noch miteinander plauderten. Zander legte auf, und sie rief Nico an und gab die Nachricht weiter. Danach war ihr zum Heulen zumute. Wenn sich Zander und Nico erst einmal trafen, war es vorbei mit den kleinen Alltagsfluchten, die Zanders Anrufe ihr gebracht hatten.

Wenige Minuten später rief Nico zurück. „Wie gut kennen Sie sich mit griechischen Baugenehmigungsgesetzen aus?“

„Gibt es so etwas?“, fragte Charlotte lächelnd.

„Eben. Ich habe Paulo darauf angesetzt. Nächste Woche brauche ich Sie auf Xanos, Charlotte.“

„Mich?“ In diesem Moment sah sie ihre Mutter aus dem Wohnzimmer in die Diele wandern. Rasch ging Charlotte zur Haustür und erwischte Amanda dabei, wie sie an der Sicherheitskette herumfummelte. „Brauchen Sie mich wirklich dort?“

„Sonst würde ich es nicht sagen. Ich möchte, dass Sie ein paar Heime besuchen, Dokumente durchsehen …“

Seit Nico entdeckt hatte, dass er adoptiert war, half Charlotte ihm dabei, seine leibliche Mutter zu finden, bisher jedoch ausschließlich per Telefon und online. Sie hatte ihm nichts von ihren Problemen mit ihrer Mutter erzählt: Persönliche Assistentinnen befassten sich mit den Problemen ihres Chefs, nicht umgekehrt.

Die beiden Male, die er darum gebeten hatte, dass sie nach Xanos kam, war sie nur einen Tag weg gewesen und hatte eine Pflegerin bezahlt. Bei ihrer Rückkehr von Nicos Hochzeit vor einigen Wochen hatte die Pflegerin ihr erklärt, Amanda benötige so viel Betreuung, dass sie bei allen zukünftigen Reisen in einem Heim versorgt werden müsse.

„Lässt sich das nicht machen?“

Charlotte wusste, dass Nico jetzt die Stirn runzelte. Das Wort „nein“ zu hören, war er nicht gewohnt, und bestimmt nicht von seiner persönlichen Assistentin.

„Doch, natürlich. Ich muss hier nur ein paar Dinge regeln. Ich werde mein Bestes tun, um am Montag dort zu sein.“

„Kommen Sie schon am Wochenende, dann können wir einiges vorab durchgehen. Buchen Sie ein Zimmer im Ravels, und rufen Sie mich an, wenn Sie da sind.“

„Sicher“, sagte Charlotte, aber Nico hatte bereits aufgelegt. Auf Xanos musste sie mit ihm reden, ihrem Chef irgendwie erklären, dass zu reisen so gut wie unmöglich war. Und wenn er darauf bestand? Sie brauchte den Job, das Geld, die flexible Arbeitszeit zu Hause. Vielleicht musste sie eine gelegentliche Reise einplanen.

Charlotte hatte eine Liste mit Pflegeheimen aufgestellt und sich mehrere angesehen. Jedes Mal von Schuldgefühlen geplagt, weil ihre Mutter sie bei ihrer Diagnose angefleht hatte, sie niemals in ein Heim zu bringen.

Jetzt rief Charlotte eins nach dem anderen an und fragte, ob ein Kurzzeitpflegeplatz frei war. Ihre Besorgnis nahm zu, während sie sich durch die Liste arbeitete und immer dieselbe Antwort erhielt. Eine viel frühere Anmeldung sei erforderlich.

Schließlich fand Charlotte ein Heim. In der Nacht war ein Bewohner gestorben, deshalb hatten sie ein Zimmer frei. Es fühlte sich falsch an, erleichtert zu sein. Falsch, die Sachen ihrer Mutter einzupacken. Falsch, ihre verstörte Mutter zu dem Ort zu fahren, vor dem sie sich am meisten fürchtete.

„Nur für ein paar Tage, Mum.“

„Bitte …“, schluchzte Amanda. „Bitte verlass mich nicht. Bitte.“

„Ich muss arbeiten.“ Charlotte weinte auch. „Ich verspreche dir, dass es nur für kurze Zeit ist.“

Alles fühlte sich nur falsch an. Im Kosmetikstudio zu sitzen für ein Waxing und Nagelpflege, sich Strähnchen in das dichte blonde Haar machen zu lassen. An ihre schluchzende Mutter im Pflegeheim zu denken, während sie sich in die glamouröse Flugbegleiterin zurückverwandelte, die Nico damals eingestellt hatte.

Trotzdem erschauerte sie vor Begeisterung, als sie die Garderobe von früher herausholte und ihren Koffer packte. Und Charlotte hatte dieses angenehme Kribbeln im Bauch, als sie die vertraute Strecke raus nach Heathrow fuhr und die Jets landen und starten sah.

Dann saß sie auf ihrem Platz, das Flugzeug hob ab und stieg hoch in den Himmel. Und erst da wurde es ihr bewusst: Sie würde Zander kennenlernen.

2. KAPITEL

Athen war genauso grau wie London gewesen, aber auf dem Flug nach Xanos sah es so aus, als wäre die Zeit auf Herbst zurückgedreht worden. Sommerlich warm war es wohl nicht, doch der Himmel leuchtete so blau wie das Meer, und die Insel erstreckte sich in der Ferne wie ein bunter Teppich in Grün- und Brauntönen.

An der Küste stand das fantastische Hotel, wunderschöne Häuser mit riesengroßen Swimmingpools waren in den Felshang gebaut, dahinter ragten die Berge auf. Charlotte konnte es kaum erwarten, mit den Zehen in den feinen weißen Sand einzusinken und Xanos in sich aufzunehmen.

Das Wasserflugzeug steuerte nicht den kleinen Landungssteg an, den Nico unbedingt besitzen wollte, sondern den neu gebauten, wo eine Rampe das Aussteigen viel leichter machte. Und weil jeder, der im Ravels wohnte, jemand Wichtiges sein musste, wurde nicht von Charlotte erwartet, dass sie den kurzen Weg vom Landungssteg zum Hotel zu Fuß ging, obwohl sie es gern getan hätte. Man fuhr sie in einer Luxuslimousine bis vor den Eingang, begleitete sie zum Einchecken an die Rezeption und teilte ihr mit, ihr Gepäck werde bereits auf ihr Zimmer gebracht.

Normalerweise ließ sich Charlotte von einer vornehmen Umgebung nicht einschüchtern. Während ihrer Arbeit bei der Fluggesellschaft und danach für Nico hatte sie oft genug in Fünfsternehotels gewohnt. Aber dieses fand sie ziemlich überwältigend. Einige der Gäste, die durch die Halle gingen, erkannte sie aus den Zeitschriften wieder, die sie mit Begeisterung las. Neben der eindrucksvollen Treppe waren, getrennt durch einen Springbrunnen, die Fahrstühle. Auf Schritt und Tritt verschwenderische Blumengestecke, überall Reichtum im Überfluss.

Problemlos checkte Charlotte ein. Sie hatte eine Nachricht von Paulo, Nicos Anwalt in Griechenland. Er bat sie, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Als die Empfangsdame ihr eine Tischreservierung im Restaurant anbot, lehnte Charlotte ab und zog sich auf ihr Zimmer zurück.

Einen Moment wippte sie auf dem großen Bett auf und ab und schwelgte, wenn auch schuldbewusst, in dem Gedanken, in dieser Nacht ruhig schlafen zu können, ohne ständig darauf gefasst zu sein, dass ihre Mutter aufwachte. Hier ein bisschen Zeit für sich selbst zu haben.

Trotzdem, sie war hier, um zu arbeiten. Charlotte rief Nico an, bekam seine Voicemail und teilte ihm mit, sie sei angekommen. Dann rief sie Paulo an.

„Ich kann Nico nicht erwischen“, sagte der Anwalt. „Ich möchte vor diesem Treffen am Montag noch mit ihm sprechen.“

„Ich habe ihm gerade eine Nachricht hinterlassen.“

„Wenn Sie ihn erreichen, sorgen Sie dafür, dass er sich bei mir meldet. Er will mich am Montag nicht dabeihaben, aber er soll ohne mich nicht mit diesem Bauunternehmer reden. Er ist ein unangenehmer Zeitgenosse.“

„Wirklich?“ Normalerweise hätte Charlotte es an Nico weitergegeben und das Gespräch nicht fortgeführt. Nur interessierte sie sich viel zu sehr für den geheimnisvollen Zander, um sich die Gelegenheit entgehen zu lassen, mehr über ihn zu erfahren. „Zander scheint unnachgiebig zu sein, aber …“

Der Anwalt sagte etwas auf Griechisch, dann übersetzte er. „Hier auf Xanos heißt es, er ist jemand, der seine eigene Mutter an den Meistbietenden verkaufen würde. Nico muss aufpassen. Sorgen Sie dafür, dass er mich anruft.“

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands.

Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester...
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