Erobert durch eine sinnliche Liebeslist?

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Lady Phoebe Batten ist jung, bezaubernd - und mit einem grausamen Schicksal geschlagen: Sie ist blind. Weder Ball noch Tanz gibt es für sie. Dass ihr besorgter Bruder auf einem Leibwächter besteht und den höchst einsilbigen Captain James Trevillion einstellt, ist für die lebenslustige Schönheit ein ständiges Ärgernis. Doch als auf sie ein mysteriöser Entführungsversuch verübt wird, rettet der Captain sie. Plötzlich nimmt Phoebe seine männliche Nähe erregend anders wahr! Verwegen beschließt sie: Auch wenn sie blind ist, hat sie Hände, Arme und einen süßen Mund, um James zu verführen. Aber noch immer lauern ihre Feinde im Dunkeln …


  • Erscheinungstag 25.09.2020
  • Bandnummer 125
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748685
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nun, es war einmal ein König, der lebte am Meer. Er hatte drei Söhne und der jüngste hieß Corineus …

Aus: Die Kelpie

Juni 1741

London, England

Captain James Trevillion, ehemals vom 4. Dragonerregiment, war gefährliche Orte gewöhnt. Er hatte Straßenräuber in den Hurenvierteln von St. Giles gejagt, Schmuggler an den Kliffen von Dover verhaftet und die Galgen in Tyburn mitten in einem Aufruhr bewacht. Bis jetzt hätte er allerdings niemals die Bond Street dazugerechnet.

Es war ein sonniger Mittwochnachmittag und die mondäne Gesellschaft Londons war vielzählig versammelt, fest entschlossen ihren Reichtum für Firlefanz auszugeben, wobei man sich offenbar gänzlich in Sicherheit wähnte.

Genau wie auch Trevillions Schützling.

„Haben Sie das Paket von Furtleby’s?“, fragte Lady Phoebe Batten.

Lady Phoebe, die Schwester des Duke of Wakefield, war üppig, so schön, dass es ihn ablenkte, und zu beinahe jedem außer ihm nett. Sie war auch blind, daher lag ihre Hand auf Trevillions linkem Unterarm, und das war auch der Grund, warum Trevillion überhaupt hier war: Er war ihr Leibwächter.

„Nein, Mylady“, antwortete er geistesabwesend, während er einen – nein, drei – Grobiane beobachtete, die auf sie zukamen und sich von der buntgekleideten Menge abhoben. Einer hatte eine hässliche Narbe auf der Wange, ein anderer war ein massiger Rothaariger und der Dritte schien keine Stirn zu haben. Sie sahen bedrohlich fehl am Platz aus in ihrer Arbeiterkleidung. Ihre Blicke waren entschlossen auf seinen Schützling gerichtet.

Interessant. Bis jetzt hatten sich seine Pflichten als Leibwächter darauf beschränkt, sicherzustellen, dass Lady Phoebe nicht in einer Menschenmenge verloren ging. Es hatte nie eine besondere Bedrohung ihrer Person gegeben.

Trevillion lehnte sich schwer auf den Stock in seiner rechten Hand und drehte sich um, um hinter sich zu blicken. Wunderbar. Ein vierter Mann.

Er spürte, wie sich seine Brust mit grimmiger Entschlossenheit zusammenzog.

„Weil die Spitze so besonders zart war“, fuhr Lady Phoebe fort, „und auch zu einem günstigen Preis, den ich so schnell sicher nicht wieder finden werde, und wenn ich sie in einem der Läden, in denen wir bereits waren, vergessen habe, werde ich sehr verärgert sein.“

„Werden Sie das?“

Der Schläger, der am nächsten war – der ohne Stirn – hielt etwas neben sich an der Seite – ein Messer? Eine Pistole? Trevillion nahm den Stock in die linke Hand und ergriff seine Pistole, eine von zweien, die in den zwei schwarzen Lederholstern steckten, die kreuzweise vor seine Brust geschnallt waren. Sein rechtes Bein protestierte angesichts des plötzlichen Verlusts der Stütze.

Zwei Schüsse, vier Männer. Die Chancen standen nicht besonders gut.

„Ja“, erwiderte Lady Phoebe. „Und Mr. Furtleby hat mir erzählt, dass die Spitze von der Isle of Man stammt. Sehr exklusiv.“

„Ich höre Ihnen zu, Mylady“, murmelte Trevillion, während der erste Schläger einen ältlichen Dandy mit einer weißen Allongeperücke beiseiteschubste. Der Dandy fluchte und schüttelte eine welke Faust.

Der Schläger wandte nicht einmal den Kopf.

„Tun Sie das?“, fragte sie süßlich. „Denn …“

Der Kerl hob die Hand und richtete eine Pistole auf Phoebe, und Trevillion schoss ihm in die Brust.

Lady Phoebe umklammerte seinen Arm. „Was …?“

Zwei Frauen – und der Dandy – schrien.

Die drei anderen Männer rannten los. Auf sie zu.

„Lassen Sie mich nicht los“, befahl Trevillion und sah sich rasch um. Er konnte nicht gegen drei Männer kämpfen, wenn er nur noch einen Schuss hatte.

„Wieso um alles in der Welt sollte ich Sie loslassen?“, fragte Phoebe recht ungehalten.

Aus dem Augenwinkel sah er, dass ihre Unterlippe wie die eines kleinen Kindes nach vorne geschoben war. Beinahe musste er lächeln. Beinahe. „Nach links. Sofort!“

Er drängte sie in diese Richtung, und sein rechtes Bein schmerzte höllisch. Das verdammte Ding gab besser nicht unter ihm nach – nicht jetzt. Er steckte die erste Pistole ins Holster und zog die zweite.

„Haben Sie da hinten jemanden erschossen?“, fragte Lady Phoebe, als eine kreischende Matrone sie unsanft streifte. Lady Phoebe stolperte und fiel gegen ihn. Er legte ihr den linken Arm um die schmalen Schultern und zog sie eng an seine Seite. Die verängstigte Menge drängte um sie herum und machte ihnen das Vorankommen schwerer.

„Ja, Mylady.“

Dort. Ein paar Schritte entfernt in der Straße hielt ein kleiner Junge die Zügel eines hochgewachsenen, rotbraunen Wallachs. Die Augen des Pferds zeigten angesichts des Aufruhrs etwas vom Weiß, aber es war beim Schuss nicht durchgegangen. Das war ein gutes Zeichen.

„Warum?“ Sie hatte das Gesicht ihm zugewandt, und ihr warmer Atem strich ihm übers Kinn.

„Es schien mir eine gute Idee zu sein“, antwortete Trevillion grimmig.

Er blickte zurück. Zwei ihrer Angreifer, der Narbige und ein anderer, waren von einer Horde kreischender Damen der Gesellschaft aufgehalten worden. Aber der Rothaarige bahnte sich mit den Ellbogen entschlossen einen Weg durch die Menge – geradewegs in ihre Richtung.

Sie sollten verdammt sein. Er würde sie nicht in ihre Nähe lassen.

Nicht während er Wache hielt.

Nicht dieses Mal.

„Haben Sie ihn getötet?“, fragte Lady Phoebe interessiert.

„Vielleicht.“ Sie waren beim Pferd und dem Jungen. Das Pferd drehte den Kopf, als Trevillion den Steigbügel nahm, blieb aber ruhig. Guter Junge. „Hinauf. Sofort!“

Wo hinauf?“

„Pferd“, zischte Trevillion und klatschte ihre Hand auf den Sattel des Pferds.

„Hey!“, rief der Junge.

Lady Phoebe war ein kluges Mädchen. Sie tastete hinunter zum Steigbügel und stellte ihren Fuß hinein. Trevillion legte ihr die Hand direkt auf ihren üppigen Hintern und schob sie kräftig auf das Tier.

„Uff.“ Sie klammerte sich an den Hals des Pferds, sah aber kein bisschen verängstigt aus.

„Danke“, sagte Trevillion zu dem Jungen, der ihn jetzt mit großen Augen ansah, nachdem er die Pistole in seiner anderen Hand gesehen hatte.

Er ließ seinen Stock fallen und kletterte unelegant hinter Lady Phoebe in den Sattel. Er riss dem Jungen die Zügel aus der Hand. Mit der Pistole in der rechten Hand schlang er ihr den linken Arm um die Taille und zog sie fest an seine Brust. Dabei hielt er immer noch die Zügel.

Der Rothaarige erreichte das Pferd und griff nach der Trense, eine hässliche Grimasse schneidend.

Trevillion schoss ihm direkt ins Gesicht.

Ein Schrei ertönte in der Menge.

Das Pferd bäumte sich leicht auf und warf Lady Phoebe in das V von Trevillions Schenkeln, aber er zwang das Pferd mit festem Druck seiner Knie in einen leichten Galopp, während er die leere Pistole in das Holster steckte.

Er mochte an Land ein Krüppel sein, aber bei Gott, im Sattel war er ein Dämon.

„Haben Sie den getötet?“, rief Lady Phoebe, als sie einem Karren auswichen. Ihr Hut war heruntergefallen. Hellbraune Locken wehten ihm ins Gesicht.

Er hatte sie. Sie war in Sicherheit, und das war alles, was zählte.

„Ja, Mylady“, flüsterte er ihr ausdruckslos, beinahe gleichgültig ins Ohr. Auf gar keinen Fall durfte sie etwas von den Gefühlen merken, die ihn erfüllten, jetzt, da er sie im Arm hielt.

„Oh, gut.“

Er lehnte sich nach vorne, sog den süßen Duft von Rosen in ihrem Haar ein – unschuldig und verboten – und trieb das Pferd mitten im Herzen Londons zu einem Galopp an.

Und als er das tat, warf Lady Phoebe den Kopf zurück und lachte in den Wind.

Phoebe ließ den Kopf – recht ungehörig – auf Captain Trevillions Schulter fallen und spürte den Wind in ihrem Gesicht, während das Pferd unter ihnen voranpreschte. Sie bemerkte nicht einmal, dass sie lachte, bis der Laut freudig und frei zurück an ihr Ohr drang.

„Sie lachen über den Tod, Mylady?“ Die mürrischen Worte ihres Leibwächters reichten aus, um dem fröhlichsten Gemüt einen Dämpfer zu versetzen, aber Phoebe hatte sich in den letzten sechs Monaten an Captain Trevillions düstere Stimme gewöhnt. Sie hatte gelernt, sie und ihn zu ignorieren.

Nun ja, mehr oder weniger.

„Ich lache, weil ich seit Jahren nicht mehr geritten bin“, antwortete sie nur ein bisschen vorwurfsvoll. Schließlich war sie auch nur ein Mensch. „Und ich lasse mir das von Ihnen nicht durch ein falsches Schuldgefühl verderben – schließlich waren Sie derjenige, der den armen Mann getötet hat, nicht ich.“

Er fluchte leise, als das Pferd um eine Ecke galoppierte und ihre Körper sich wie einer zur Seite neigten. Hinter sich spürte sie seine Brust breit und stark, und die Pistolen im Holster in ihrem Rücken waren harte Erinnerungsstücke an die Gewalt, die auszuüben er fähig war. Sie hörte einen entrüsteten Schrei, als sie vorbeifegten und unterdrückte den Drang zu kichern. Seltsam. Sie mochte den Mann lästig finden, aber sie hatte niemals irgendwelche Zweifel gehabt, dass sie bei Captain Trevillion in Sicherheit war.

Auch wenn er sie nicht besonders mochte.

„Er wollte Ihnen etwas antun, Mylady“, erwiderte Trevillion. Seine Stimme war staubtrocken, als er den Griff um ihre Taille festigte und das Pferd über ein Hindernis sprang.

Oh, dieses Gefühl! Das Herabstürzen ihres Magens, die kurze Schwerelosigkeit, der dumpfe Schlag, als das Pferd landete, die Bewegung der kräftigen Pferdemuskeln unter ihr. Sie hatte nicht übertrieben: es war Jahre her, seit sie das gespürt hatte. Phoebe war nicht blind geboren worden. Tatsächlich war ihre Sehkraft bis zum Alter von zwölf Jahren ganz normal gewesen – sie hatte nicht einmal eine Brille gebraucht. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann es angefangen hatte, aber an einem bestimmten Punkt hatte ihre Sehkraft begonnen zu verschwimmen. Helles Licht hatte sie geschmerzt. Damals war es nichts gewesen, um das man sich hätte Sorgen machen müssen.

Zumindest nicht am Anfang.

Jetzt … jetzt, im reifen Alter von einundzwanzig, war sie seit einem Jahr oder länger so gut wie blind. Oh, sie konnte vage Formen im sehr hellen Sonnenlicht erkennen, aber an einem bedeckten Tag wie heute?

Nichts.

Nicht die Vögel am Himmel, nicht die einzelnen Blütenblätter einer Rose, nicht die Fingernägel ihrer eigenen Hand, ganz gleich, wie nah sie sich die Finger vors Gesicht hielt.

All diese Anblicke waren jetzt für sie verloren und mit ihnen viele andere der einfachen Freuden des Lebens.

So wie ein Pferd zu reiten.

Sie schob die Hände in die raue Mähne des Pferds und genoss Captain Trevillions souveräne Reitkunst. Die mühelose Anmut, mit der er das Tier lenkte, überraschte sie überhaupt nicht. Er war ein Dragoner gewesen – ein berittener Soldat – und er hatte sie oft bei ihren frühmorgendlichen Besuchen des Wakefield-Stalls begleitet.

Um sie herum ertönte weiterhin, ewig unvermindert, die Kakophonie Londons: das Rumpeln von Wagen- und Karrenrädern, das Trampeln Tausender Füße, das Stimmengewirr von Gesang und Streitereien, von Menschen, die kauften und verkauften und stahlen, von Marktschreiern und das Kreischen kleiner Kinder. Pferde klapperten vorbei und Kirchenglocken läuteten zur vollen Stunde, zur halben Stunde und manchmal sogar zur Viertelstunde.

Während sie ritten, schrien die Leute sie wütend an. Selbst ein leichter Galopp war in Londons Straßen ziemlich ungewöhnlich, und den Bewegungen des Pferdes und plötzlichen Richtungswechseln zufolge, musste Trevillion sich in den Verkehr hinein und wieder hinausfädeln.

Sie drehte den Kopf in seine Richtung und atmete ein. Captain Trevillion trug keinen Duft. Manchmal konnte sie Kaffee oder den leichten Geruch von Pferden an ihm wahrnehmen, aber sonst nichts.

Es war ein wenig unbefriedigend. „Wo sind wir jetzt?“

Ihre Lippen mussten skandalös nahe an seiner Wange sein, aber sie konnte ihn nicht sehen, also war sie nicht sicher. Sie wusste, dass der Captain ein lahmes rechtes Bein hatte, wusste, dass sie ihm bis zum Kinn reichte und dass er Schwielen zwischen dem Mittelfinger und dem Ringfinger seiner linken Hand hatte, aber sie wusste nicht, wie er aussah.

„Können Sie es nicht riechen, Mylady?“, entgegnete er.

Sie hob den Kopf ein wenig, schnupperte und rümpfte dann sofort die Nase, als sie den markanten Gestank wahrnahm – Fisch, Abwasser und Fäulnis. „Die Themse? Warum hierher?“

„Ich sorge dafür, dass sie uns nicht folgen, Mylady“, antwortete er, so ruhig wie immer.

Manchmal fragte Phoebe sich, was Captain Trevillion tun würde, wenn sie ihn ohrfeigte.

Oder ihn küsste. Sicherlich würde er dann diese Zurückhaltung, die sie wahnsinnig machte, aufgeben?

Natürlich wollte sie diesen Mann nicht wirklich küssen. Grauenhaft! Seine Lippen waren vermutlich so kalt wie die einer Makrele.

„Würden sie uns denn so weit folgen?“, fragte sie zweifelnd. Die ganze Sache erschien ihr recht unglaublich, wenn sie jetzt darüber nachdachte – ausgerechnet in der Bond Street angegriffen zu werden! Recht spät erinnerte sie sich an ihre Spitze und bedauerte den Verlust eines wirklich guten Schnäppchens.

„Ich weiß es nicht, Mylady“, gab Trevillion zurück, der es irgendwie schaffte, gleichzeitig herablassend und emotionslos zu klingen. „Darum nehme ich diese Route.“

Sie hielt die Mähne des Pferds fester. „Nun, wie sahen sie aus, meine Angreifer?“

„Wie gemeine Straßenräuber.“

„Vielleicht waren sie das auch?“, sagte sie. „Ich meine, gewöhnliche Straßenräuber. Vielleicht hatten sie es gar nicht auf mich persönlich abgesehen.“

„In der Bond Street. Am helllichten Tag.“ Seine Stimme war tonlos.

Es würde ihm recht geschehen, wenn sie sich umdrehte und ihn küsste, ja wirklich.

Sie waren langsamer geworden, und Phoebe tätschelte den Hals des Pferds. Sein Fell fühlte sich glatt und ein wenig ölig unter ihren Fingern an. Es schnaubte, als stimmte es mit ihrer Meinung über Captain Trevillion überein. „Ich weiß nicht, was sie überhaupt von mir wollten.“

„Da fällt mir auf der Stelle einiges ein: Sie entführen, um ein Lösegeld zu bekommen, Sie zu einer Ehe zu zwingen oder einfach nur Raub, Mylady“, meinte er gedehnt. „Schließlich sind Sie die Schwester eines der reichsten und mächtigsten Männer Englands.“

Phoebe krauste die Nase. „Hat man Ihnen schon einmal gesagt, dass sie sehr direkt sind, Captain Trevillion?“

„Nur Sie, Mylady.“ Er schien seinen Kopf gedreht zu haben, denn sie spürte seinen Atem an ihrer Schläfe. Er roch ein wenig nach Kaffee. „Bei vielerlei Gelegenheiten.“

„Nun, dann lassen Sie mich diese Gelegenheit nutzen, um es nochmals zu tun“, sagte sie. „Wo sind wir jetzt?“

„Wir nähern uns Wakefield House, Mylady.“

Und bei diesen Worten erkannte Phoebe plötzlich die ganze Grässlichkeit der Situation. Maximus.

Sie fing sofort an zu plappern. „Oh! Sie wissen, mein Bruder ist heute schrecklich beschäftigt. Er muss Unterstützung für das neue Gesetz …“

„Das Parlament tagt nicht.“

„Manchmal dauert es Monate“, erklärte sie ernst. „Sehr wichtig! Und … und das Anwesen in Yorkshire ist überflutet. Ich bin sicher, er war deswegen die halbe Nacht wach. War es Yorkshire?“, fragte sie mit unaufrichtiger Verzweiflung. „Oder Northumberland? Ich kann mich nie erinnern, sie liegen beide so weit nördlich. Wie dem auch sei, ich glaube wirklich, wir sollten ihn nicht belästigen.“

„Mylady“, sagte Captain Trevillion mit sturer, männlicher Entschiedenheit. „Ich werde Sie zu Ihrem Zimmer begleiten, wo sie sich erholen können …“

„Ich bin kein kleines Kind“, unterbrach Lady Phoebe ihn rebellisch.

„Vielleicht trinken Sie Tee …“

„Oder ich esse Brei. Den hat mein Kindermädchen uns immer in der Kinderstube gegeben, und ich habe ihn verabscheut.“

„Und dann werde ich Seiner Gnaden von den heutigen Ereignissen berichten“, beendete Trevillion den Satz unbeeindruckt von ihren Unterbrechungen.

Und das war genau das, was sie verhindern wollte. Wenn Maximus von der Katastrophe heute Morgen erführe, würde es zur Folge haben, dass er ihre Freiheit nur noch weiter einschränkte.

Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie nicht den Verstand verlieren würde, falls das geschah. „Manchmal kann ich Sie nicht leiden, Captain Trevillion.“

„Ich bin überaus dankbar, dass es nur manchmal der Fall ist, Mylady“, entgegnete er und brachte das Pferd mit einem gemurmelten Befehl zum Stehen.

Verflixt. Sie mussten bereits bei Wakefield House sein.

Sie nahm eine seiner Hände in einem letzten, verzweifelten Versuch und hielt sie zwischen ihren wesentlich schmaleren Händen. „Müssen Sie es ihm erzählen? Es wäre mir lieber, wenn nicht. Bitte? Um meinetwillen?“ Es war dumm, eine so persönliche Bitte zu äußern – der Mann scherte sich um niemanden und um sie schon gar nicht – aber sie wusste sich nicht anders zu helfen.

„Es tut mir leid, Mylady“, erklärte er und es klang überhaupt nicht so, als täte es ihm leid, „aber ich arbeite für Ihren Bruder. Ich werde mich meiner Pflicht nicht entziehen, indem ich ihm etwas so Wichtiges verheimliche.“

Er löste seine Hand aus den ihren, und ihre Finger hielten nur noch Luft.

„Oh, wenn es Ihre Pflicht ist, dann“, erwiderte sie und gab sich keine Mühe, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, „liegt es mir fern, Ihnen im Weg zu stehen.“

Es war ohnehin zu viel der Hoffnung gewesen. Sie hätte wissen müssen, dass Captain Trevillion zu kalt war, um von ihrem Bitten um sein nichtexistentes Mitleid gerührt zu werden.

Er ignorierte ihre Verdrießlichkeit.

„Bleiben Sie sitzen“, sagte er, als wäre sie ein besonders dummer Hund und fügte verspätet hinzu: „Mylady.“ Und sie spürte die plötzliche Abwesenheit seiner Wärme, als er hinter ihr abstieg.

Sie schnaubte, gehorchte aber, da sie nicht annähernd so eine Närrin war, wie er gelegentlich zu denken schien.

„Cap’n!“ Das war die Stimme von Reed, ihrem neuesten Diener, der immer wieder in seinen Cockney-Dialekt verfiel, wenn er in Eile war.

„Holen Sie Hathaway und Green“, befahl Captain Trevillion.

Phoebe hörte den Diener rennen – vermutlich zurück ins Haus – dann einige laute männliche Stimmen und mehr Schritte, die nach hier und dort gingen. Es war alles so verwirrend. Sie saß immer noch auf dem Pferd, hilflos, unfähig, allein abzusteigen, und plötzlich fiel ihr auf, dass sie Trevillions Stimme seit einer Weile nicht mehr gehört hatte. War er bereits hineingegangen?

„Captain?“

Das Pferd bewegte sich und trat einen Schritt zurück.

Sie ergriff seine Mähne, fühlte sich ein wenig wacklig und ängstlich. „Captain.“

„Ich bin hier“, sagte er, seine tiefe Stimme recht nahe an ihrem Knie. „Ich habe Sie nicht allein gelassen, Mylady. Ich würde sie nie allein lassen.“

Erleichterung durchströmte sie, auch wenn sie schnippisch bemerkte: „Nun, ich kann nicht sehen, ob Sie in der Nähe sind, und riechen kann ich Sie auch nicht.“

„Mich riechen, so wie Sie die Themse riechen?“ Sie spürte Trevillions große Hände um ihre Taille. Mit sicheren Bewegungen und sehr sanft hob er sie aus dem Sattel. „Generell ziehe ich es vor, nicht nach Fisch zu stinken, nur damit Sie mich identifizieren können.“

„Dann wäre Parfum die naheliegende Lösung.“

„Ich finde den Gedanken, in Patschuli getränkt zu werden, ähnlich ekelhaft, Mylady.“

Kein Patschuli. Es müsste etwas Maskulineres sein“, antwortete sie und ihre Gedanken drifteten ab zu den verschiedensten Duftrichtungen und welche wohl zu ihm passen würde, als er sie auf dem Boden absetzte. „Vielleicht etwas recht Dunkles.“

„Wenn Sie das sagen, Mylady.“ In seiner Stimme lag höflicher Zweifel.

Trevillion schlang ihr den linken Arm um die Schultern. Wahrscheinlich hielt er eine seiner schrecklichen, großen Pistolen in der Hand. Sie spürte ihn leicht taumeln, als er einen Schritt nach vorne machte, und begriff plötzlich, dass er seinen Stock verloren haben musste. Verflixt! Er sollte nicht ohne ihn gehen. Sie wusste, dass sein Bein ihn schrecklich schmerzte.

„Phoebe!“ Oje, das war die Stimme von Cousine Bathilda Picklewood. „Was ist passiert?“

Sie hörte ein schrilles Bellen und dann das Tapsen von Pfoten, bevor Phoebe spürte, wie Mignon, Cousine Bathildas geliebter kleiner Spaniel, an ihren Röcken emporsprang.

Cousine Bathildas „Platz Mignon!“ überschnitt sich mit Trevillions tieferer Stimme, die sagte: „Wenn ich sie nun hineinbringen dürfte, Madam.“

Und dann stiegen sie die Vordertreppe zu Wakefield House hinauf.

„Es geht mir gut“, sagte Phoebe, damit Cousine Bathilda sich keine unnötigen Sorgen machte. „Aber Captain Trevillion hat seinen Stock verloren, und ich denke wirklich, er sollte einen anderen bekommen.“

„Was …?“

„Sir.“ Das war wieder Reed.

„Reed“, sagte Trevillion gebieterisch und ignorierte Phoebe und Cousine Bathilda völlig. Männer. „Ich will, dass Sie und Hathaway Lady Phoebe zu ihren Räumen geleiten und mit ihr dort bleiben, bis ich etwas anderes befehle.“

„Ja, Sir.“

„Oh, um Gottes willen“, meinte Phoebe, als sie bei der Türschwelle ankamen und Mignon aus irgendeinem Grund anfing, aufgeregt zu kläffen. „Ich brauche wohl kaum zwei …“

„Mylady …“, begann Trevillion gewichtig. Oh, sie kannte diesen Tonfall.

„Ich verstehe nicht“, sagte Cousine Bathilda.

Und dann drang eine Baritonstimme durch den Tumult, der Phoebe einen Schauer der Furcht über den Rücken rieseln ließ.

„Was zum Teufel geht hier vor?“, fragte ihr Bruder Maximus Batten, der Duke of Wakefield.

Der Duke of Wakefield, groß und schlank mit schmalem faltigen Gesicht, trug seinen Rang so, wie ein anderer ein Schwert tragen würde – ganz gleich, wie kunstvoll es aussehen mochte, die Klinge war scharf und tödlich, wenn sie benutzt wurde.

Trevillion verbeugte sich vor seinem Arbeitgeber. „Lady Phoebe ist unverletzt, Euer Gnaden, aber ich habe einiges zu berichten.“

Wakefield hob eine dunkle Augenbraue unter seiner weißen Perücke.

Trevillion wich seinem Blick nicht aus. Wakefield mochte ein Duke sein, aber Trevillion war es mehr als gewohnt, mit wütenden Vorgesetzten fertigzuwerden. In der Zwischenzeit tat ihm der rechte Unterschenkel weh, und der Schmerz schoss ihm bis zur Hüfte hinauf. Er betete, dass sein Bein ihn nicht ausgerechnet jetzt im Stich lassen würde.

In der vorderen Eingangshalle war es, kaum war der Duke eingetreten, still geworden. Sogar Miss Picklewoods Schoßhund hatte aufgehört zu bellen.

Lady Phoebe verlagerte unter seinem Arm das Gewicht. Ihr kleiner Körper war warm neben seinem, dann seufzte sie schwer in das allgemeine Schweigen hinein.

„Nichts ist passiert, Maximus. Wirklich, es gibt keinen Grund …“

„Phoebe.“ Wakefield unterbrach streng ihren Beschwichtigungsversuch.

Trevillion drückte sie kurz an sich, dann ließ er den Arm sinken. „Gehen Sie mit Miss Picklewood, Mylady.“

Wäre es möglich gewesen, seine Stimme sanft klingen zu lassen, hätte er es jetzt getan. Ihr hellbraunes Haar hatte sich gelöst und fiel ihr auf die schmalen Schultern, ihre runden Wangen waren rosig vom Wind ihres Ritts, ihr Mund eine rote Rosenknospe. Sie sah jung und ein wenig verloren aus, obwohl sie sich in ihrem Familiensitz befand. Er wäre so gerne zu ihr gegangen und hätte sie wieder in die Arme genommen. Hätte ihr gerne den Trost angeboten, der weder gebraucht noch gewollt wurde. Etwas versetzte ihm einen Stich – nur einmal, kurz – bevor er es beiseiteschob und mit all den Gründen bedeckte, warum sein tiefes Sehnen unmöglich war – und töricht obendrein.

Stattdessen wandte er sich an den Diener. „Reed.“

Reed war früher Soldat unter seinem Kommando gewesen. Er war groß und eher dünn, und seine schmale Brust füllte seine Livree nicht ganz aus. Seine Hände und Füße waren zu groß für seinen Körper, seine Knie und Ellbogen knubbelig und ungelenk. Aber die Augen in seinem unansehnlichen Gesicht waren aufmerksam. Reed nickte. Er hatte den Befehl bekommen und verstanden, ohne dass er weitere Anweisungen brauchte. Er nickte mit dem Kinn in Hathaways Richtung, eines jungen Grünschnabels von nur neunzehn Sommern. Beide folgten den Damen, als Miss Picklewood Lady Phoebe fortführte.

Lady Phoebe murmelte etwas von anmaßenden Gentlemen, als sie ging, und Trevillion musste sich ein Lächeln verkneifen.

„Captain.“ Die Stimme des Dukes vertrieb jeglichen Wunsch zu lächeln aus Trevillions Gedanken. Wakefield deutete mit dem Kopf zum hinteren Teils des Hauses, in dem sich sein Arbeitszimmer befand, bevor er sich in diese Richtung umdrehte.

Trevillion folgte ihm.

Wakefield House war eine der größten privaten Residenzen in London, und der Gang, durch den sie nun gingen, war lang. Trevillions Bein wurde immer schlimmer, als sie an eleganten Statuen, der Tür zur kleinen Bibliothek und einem Salon vorbeikamen, bis sie das Arbeitszimmer des Dukes erreichten. Das Zimmer war nicht groß, aber mit dunklem Holz vertäfelt, und auf dem Boden lag ein weicher, farbenprächtiger Teppich.

Wakefield schloss die Tür, bevor er um den riesigen, mit Schnitzereien verzierten Schreibtisch herumging und sich setzte.

Normalerweise wäre Trevillion vor Seiner Gnaden stehen geblieben, aber heute war es unmöglich, zum Teufel mit dem Rang. Er ließ sich recht ungeschickt in dem Moment in einen der Stühle vor dem Schreibtisch fallen, als sich die Tür zum Arbeitszimmer wieder öffnete, und Craven erschien.

Der Diener sah aus wie eine wandelnde Vogelscheuche: groß, dünn und von undefinierbarem Alter – er hätte dreißig oder auch sechzig Jahre alt sein können. Er war offiziell der Kammerdiener des Dukes, aber kurz nachdem er in Wakefields Dienste getreten war, hatte Trevillion erkannt, dass dieser Mann viel mehr war.

„Euer Gnaden“, sagte Craven.

Wakefield nickte dem Mann zu. „Lady Phoebe.“

„Ich verstehe.“ Der Kammerdiener zog die Tür hinter sich zu und stellte sich neben den Schreibtisch.

Beide sahen Trevillion an.

„Vier Männer in der Bond Street“, berichtete Trevillion.

Craven hob die Brauen beinahe bis zur Haarlinie.

Wakefield fluchte leise. „Bond Street?“

„Ja, Euer Gnaden. Ich habe zwei erschossen, ein Pferd beschafft und Lady Phoebe außer Gefahr gebracht.“

„Haben die Kerle etwas gesagt?“ Der Duke blickte wütend drein.

„Nein, Euer Gnaden.“

„Irgendetwas, wodurch man sie identifizieren könnte?“

Trevillion überlegte einen Augenblick und ließ die Ereignisse des Nachmittags vor seinem geistigen Auge noch einmal Revue passieren, um sich zu vergewissern, dass ihm kein Detail entgangen war. „Nein, Euer Gnaden.“

„Verdammt.“

Craven räusperte sich sehr leise. „Maywood?“

Wakefield starrte ihn finster an. „Sicher nicht. Der Mann müsste verrückt sein.“

Der Kammerdiener hustete. „Seine Lordschaft waren ungewöhnlich beharrlich, als er Ihr Land in Lancashire kaufen wollte, Euer Gnaden. Wir haben gerade erst gestern einen Brief mit ziemlich unhöflichem Ton erhalten.“

„Der Narr glaubt, ich weiß nicht, dass es dort Kohleflöze gibt.“ Wakefield sah angewidert aus. „Warum der Mann so gierig nach Kohle ist, weiß ich nicht.“

„Soweit ich das verstehe, glaubt er, sie kann benutzt werden, um große mechanische Maschinen anzutreiben.“ Craven betrachtete die Decke.

Einen Moment lang wirkte Wakefield interessiert. „Wirklich?“

„Wer ist Maywood?“, fragte Trevillion.

Wakefield wandte sich ihm zu. „Viscount Maywood. Einer meiner Nachbarn in Lancashire und ein Spinner. Vor ein paar Jahren redete er über Rüben, ausgerechnet Rüben.“

„Spinner oder nicht, man hat gehört, wie er Drohungen gegen Sie ausgestoßen hat, Euer Gnaden“, erinnerte Craven ihn sanft.

„Gegen mich. Drohungen gegen mich, nicht gegen meine Schwester“, erwiderte Wakefield.

Trevillion massierte sein rechtes Bein und versuchte zu denken. „Wie würde es ihm bei seinem Kohlevorhaben helfen, wenn er Ihrer Schwester etwas antäte?“

Ungeduldig winkte Wakefield ab. „Das würde es nicht.“

„Ihr etwas anzutun würde ihm nichts bringen, Euer Gnaden“, sagte Craven leise, „aber wenn er sie entführen und festhalten würde, bis Sie zustimmen, das Land zu verkaufen … oder schlimmer, wenn er sie zwänge, seinen Sohn zu heiraten …“

„Maywoods Erbe ist bereits verheiratet“, knurrte Wakefield.

Craven schüttelte den Kopf. „Der Junge hat eine Frau katholischen Glaubens geheiratet und, so wie ich es verstehe, wurde die Verbindung von der anglikanischen Kirche nicht anerkannt. Daher hat Maywood die Ehe seines Sohnes für ungültig erklärt.“

Beim Gedanken daran, dass jemand Phoebe zu einer lieblosen Ehe zwingen könnte – ganz zu schwigen von einer bigamistischen, lieblosen Ehe – wurde Trevillions Mund schmal. „Wäre Maywood verrückt genug, so etwas zu versuchen, Euer Gnaden?“

Wakefield lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und starrte, tief in Gedanken versunken, auf die Papiere auf seinem Schreibtisch.

Plötzlich schlug er knallend mit seiner Faust auf den Tisch. „Ja. Ja, Maywood könnte so wahnsinnig sein – und so dumm. Verdammt, Craven, ich werde nicht zulassen, dass Phoebes Leben meinetwegen in Gefahr gerät.“

„Nein, Euer Gnaden“, stimmte der Kammerdiener zu. „Soll ich der Sache nachgehen?“

„Ja. Ich will definitive Antworten, bevor ich Maßnahmen bezüglich des Mannes ergreife“, erklärte Wakefield.

Trevillion verlagerte unruhig sein Gewicht. „Wir sollten in der Zwischenzeit gegen andere Verdächtige ermitteln. Hinter dem Angriff könnte auch ein anderer als Maywood stecken.“

„Sie haben recht. Craven, wir wollen auch eine allgemeine Ermittlung.“

„Sehr wohl, Euer Gnaden.“

Wakefield hob plötzlich den Blick und fokussierte Trevillion. „Danke, Trevillion, dafür, dass Sie meine Schwester heute gerettet haben.“

Trevillion neigte den Kopf. „Das ist meine Aufgabe, Euer Gnaden.“

„Ja.“ Der Blick des Dukes war durchdringend. „Können Sie sie trotz des Beins weiter beschützen?“

Trevillion erstarrte. Er hatte seine Zweifel, aber er würde sie hier nicht verlauten lassen. In seinen Augen war niemand anders gut genug, um Lady Phoebe zu bewachen. „Ja, Euer Gnaden.“

„Sind Sie sicher?“

Trevillion sah dem anderen Mann in die Augen. Beinahe zwölf Jahre lang hatte er Männer bei den Dragonern Seiner Majestät befehligt. Trevillion zog vor niemandem den Kopf ein. „Sollte ich jemals das Gefühl haben, meine Pflicht nicht erfüllen zu können, dann werde ich kündigen, bevor Sie mich darum bitten müssen, Euer Gnaden. Darauf haben Sie mein Wort.“

Nun nickte Wakefield. „Nun gut.“

„Mit Ihrer Erlaubnis würde ich gerne Reed und Hathaway anweisen, Ihre Ladyschaft jederzeit zu bewachen, bis wir die momentane Gefahr eliminiert haben.“

„Ein vernünftiger Plan.“ Wakefield erhob sich in dem Moment, als es an die Tür klopfte. „Herein!“

Die Tür öffnete sich, und dort stand Powers, Lady Phoebes Zofe. Die zierliche Zofe trug ihr schwarzes Haar in einer komplizierten Frisur und hatte ein besticktes gelbes Kleid an, in dem sich eine Prinzessin nicht geschämt hätte.

Sie knickste sofort und sprach mit einer sorgfältig kultivierten Stimme, in der nur ein Hauch von dem, was einmal ein irischer Akzent gewesen war, mitschwang. „Ich bitte um Verzeihung, Euer Gnaden, aber Ihre Ladyschaft wünscht, dass Captain Trevillion den hier bekommt.“

Sie streckte ihm einen Stock entgegen.

Trevillion spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss, stand aber vorsichtig auf und ließ die Hand auf dem Stuhlrücken liegen. Es kostete ihn einiges – bei Gott, einiges – aber er bat mit ruhiger Stimme: „Wenn Sie ihn mir bringen könnten, Miss Powers.“

Sie eilte zu ihm und gab ihm den Stock.

Er dankte ihr und zwang sich, seinen Arbeitgeber anzusehen. „Wenn das alles ist, Euer Gnaden?“

„Ja.“ Gott sei Dank war Wakefield kein Mann, der zu Mitleid neigte. In seinen Augen lag keine Spur von Mitgefühl. „Bewachen Sie meine Schwester, Captain.“

Trevillion reckte das Kinn und sprach aus vollstem Herzen. „Mit meinem Leben.“

Und dann drehte er sich um und hinkte aus dem Zimmer.

2. KAPITEL

Eines Tages schickte der König nach seinen Söhnen und sagte: „Es ist an der Zeit, dass ich euch euren Erbteil gebe.“

Seinem ältesten Sohn gab er eine glänzende Kette aus Gold. Seinem zweiten Sohn gab er eine dicke Kette aus Silber. Aber als der König sich an Corineus wandte, hatte er nur noch eine dünne Kette aus Eisen. Er legte sie seinem jüngsten Sohn um den Hals und sagte: „Auch wenn sie nur aus Eisen ist, so gebe ich sie dir als Zeichen meines Vertrauens in dich. Geh und finde dein Glück …“

Aus: Die Kelpie

Liebes, ich kann es einfach nicht glauben!“, rief Lady Hero Reading am nächsten Nachmittag. „Ein Angriff am hellichten Tag und ausgerechnet in der Bond Street? Wer würde das tun?“

Phoebe lächelte ein wenig matt, als sie die Worte ihrer älteren Schwester hörte. „Ich weiß es nicht, aber Maximus wollte mich heute nicht einmal zu dir nach Hause gehen lassen. Man sollte meinen, er würde das Heim seiner eigenen Schwester für sicher halten.“

„Er macht sich Sorgen um dich, Liebes“, ertönte die etwas heisere Stimme ihrer Schwägerin Artemis. Sie alle drei waren gezwungen gewesen, ihren wöchentlichen Tee in Wakefield House einzunehmen, da Phoebe tatsächlich im Stadthaus eingesperrt war.

Phoebe schnaubte. „Er nutzt den Angriff, um das zu tun, was er schon immer tun wollte: mich einsperren.“

„Oh, Phoebe“, antwortete Hero ruhig, mit sanfter Stimme. „Das ist nicht Maximus’ Absicht.“

Sie und Hero teilten sich ein Sofa, das mit Samt bezogen war, im Achilles-Salon, der so genannt wurde, weil die Decke mit einer Darstellung des jugendlichen Achilles bemalt war, der von den Zentauren unterrichtet wurde. Als kleines Mädchen hatte Phoebe Angst vor den mythischen Wesen gehabt. Ihre Gesichter waren ihr so streng erschienen. Jetzt … nun, jetzt war sie sich nicht ganz sicher, ob sie sich überhaupt noch richtig an die Gesichter erinnern konnte.

Wie deprimierend.

Phoebe drehte sich zu ihrer Schwester und erhaschte den tröstlichen Duft von Veilchen. „Du weißt, dass Maximus immer strenger geworden ist, seit ich mir den Arm gebrochen habe.“

Das war vor vier Jahren geschehen, als Phoebe das Augenlicht noch nicht ganz verloren hatte. Sie hatte eine Stufe in einem Geschäft übersehen und war kopfüber gestürzt. Dabei hatte sie sich den Arm so schlimm gebrochen, dass er geschient werden musste.

„Er möchte dich beschützen“, bekräftigte Cousine Bathilda.

Sie saß Phoebe und Hero gegenüber, neben Artemis. Phoebe konnte das asthmatische Atmen von Mignon auf ihrem Schoß hören. Cousine Bathilda war für Phoebe und Hero seit dem Tod ihrer Eltern wie eine Mutter gewesen. Sie waren vor vielen Jahren durch die Hand eines Straßenräubers in St. Giles gestorben, als Phoebe noch ein Baby gewesen war. Aber gleichzeitig war Cousine Bathilda für gewöhnlich auf Maximus Seite, denn er war der Patriarch – Fratriarch? – der Familie.

Sie hatte sich ein oder zwei Mal gegen seine Herrschaft aufgelehnt, sich ansonsten mehr oder weniger gefügt.

Und Cousine Bathilda hatte Maximus nie davon abgehalten, Phoebe seine erdrückende Art von Schutz aufzubürden.

Geistesabwesend strich Phoebe über den Samt des Sofas, spürte den weichen Flor in der einen Richtung und die etwas rauere Textur in der anderen. „Ich weiß, dass er mich liebt. Ich weiß, dass er sich Sorgen um mich macht. Aber damit hat er mich völlig eingeschränkt. Auch vor diesem Angriff hat Maximus mich nicht auf Feste oder Jahrmärkte oder irgendwohin gehen lassen, wenn er es für gefährlich hielt. Ich befürchte, dass er mich jetzt in Watte packen und hinten in einen Schrank zur Aufbewahrung stellen wird. Ich … ich weiß einfach nicht, ob ich so leben kann.“

Worte reichten nicht aus, um ihre Angst bei dem Gedanken, dass sie noch weniger Freiheit haben würde, auszudrücken.

Warme Finger bedeckten ihre und beruhigten sie. „Ich weiß, Liebes“, meinte Hero. „Du hast dich brav an seine Anweisungen gehalten.“

„Lass mich mit ihm reden“, sagte Artemis. „In der Vergangenheit war er sehr unerbittlich, was deine Sicherheit angeht, aber vielleicht kann ich ihm vermitteln, wie eingeengt du dich fühlst, und er wird ein wenig lockerlassen.“

„Wenn sonst schon nichts, könnte er wenigstens meinen ständigen Schatten entfernen“, murmelte Phoebe.

„Das ist sehr unwahrscheinlich“, warf Cousine Bathilda ein. „Und außerdem, Captain Trevillion ist jetzt nicht hier, oder?“

„Nur, weil ich zu Hause bin.“ Phoebe atmete heftig aus. „Es würde mich überhaupt nicht überraschen, wenn er hinter der Tür lauern würde, solange ich Tee trinke. Und seht ihr Hathaway und Reed?“

„Ja …?“

Die verwirrte Frage kam von Hero.

„Sie stehen immer noch beim hinteren Fenster, oder nicht?“ Sie wartete nicht auf eine Antwort. Sie mochte seit ein paar Minuten nicht mehr gehört haben, wie die Diener sich bewegten, aber sie wusste, dass sie sie anstarrten. „Maximus hat sie als zusätzliche Wachen für mich abgestellt.“

Es folgte ein Schweigen, das ihr unangenehm war, bis Artemis sagte: „Phoebe …“ und sich dann beinahe sofort selbst unterbrach. „Nein, Liebling, nicht die Teetasse. Die ist nichts für kleine Kinder, befürchte ich.“

Die letzten Worte waren an William, Heros ältestes Kind gerichtet, einen entzückenden Zweieinhalbjährigen, der, dem plötzlichen ohrenbetäubenden Kreischen nach zu urteilen, diese Teetasse wirklich hatte haben wollen.

„Oh William“, murmelte Hero aufgebracht, als ein Wimmern das Erwachen ihres zweiten Sohns auf ihrem Schoß ankündigte. „Jetzt hat er Sebastian aufgeweckt.“

„Es tut mir so leid, Mylady.“ Smart, Williams Kindermädchen, musste herübergekommen sein, um sich um ihren Schützling zu kümmern.

„Nicht Ihre Schuld, Smart“, meinte Hero. „Die Teesachen sind schrecklich verlockend.“

„Darf ich?“ Phoebe streckte Hero die Hände entgegen.

„Danke, Liebes“, antwortete Hero. „Vorsichtig, ich befürchte, er sabbert ein wenig.“

„Das tun die besten Babys“, meinte Phoebe beruhigend, als sie das sich windende Gewicht ihres Neffen auf dem Schoß spürte. Sofort umschloss sie den Jungen beschützend mit den Armen. Sebastian war erst drei Monate alt und konnte noch nicht aufrecht sitzen. Sie umfasste seinen pummeligen Bauch und hielt ihn aufrecht. Dabei roch sie den süßen Duft von Milch auf seiner Haut. „Mach dir nichts aus dem, was Mama sagt, Seb, Süßer. Ich bin verrückt nach sabbernden Männern.“

Sie wurde für ihren Unsinn mit einem gluckernden Gurren belohnt und hatte plötzlich winzige Finger im Mund.

„Du wolltest ihn haben“, erinnerte ihre Schwester sie.

„Soll ich Master William nach draußen bringen, Mylady?“, flüsterte die leise Stimme von Williams Kindermädchen.

„Na, William möchtest du mit Smart gehen und den Garten erkunden?“, fragte Hero fröhlich. „Hier, nimm einen süßen Keks mit. Danke, Smart.“

Die Tür öffnete und schloss sich.

„Ich mag das Mädchen“, bemerkte Cousine Bathilda, während Phoebe sanft den Mund um Sebastians kleine Finger schloss. „Sie scheint kompetent zu sein, ist aber auch nett zu unserem süßen William. Wo hast du sie gefunden?“

„Mm“, machte Hero zustimmend. „Ich mag Smart auch. Sie ist so viel besser als das erste Kindermädchen, das wir hatten. Würdet ihr glauben, dass Smart von Lady Margarets ehemaliger Haushälterin empfohlen wurde? So eine schrecklich patente junge Frau – die Haushälterin meine ich, nicht Megs – aber sie hat gekündigt und Megs recht plötzlich verlassen. Ich vermute, sie hat eine bessere Stelle gefunden.“

„Was ist besser als die Tochter eines Marquess?“, warf Artemis ein.

„Ein Duke“, antwortete Cousine Bathilda unverblümt. „Ich habe gehört, das Mädchen führt jetzt Montgomery den Haushalt in seinem Stadthaus.“

„Wie erfährst du all diese Dinge?“ fragte Hero beinahe verzweifelt. Phoebe fühlte mit ihr. Cousine Bathilda wusste immer vor allen anderen vom besten Klatsch und Tratsch.

„Worüber sonst, glaubt ihr, rede ich, wenn ich Tee mit meinem Kreis weißhaariger Damen trinke?“, meinte Cousine Bathilda. „Nun, erst gestern habe ich gehört, dass Lord Featherstone dabei erwischt wurde, wie er den Ententeich in Hyde Park mit Lady Oppertyne bewunderte.“

„Das klingt aber nicht besonders skandalös“, meinte Hero verwirrt.

„Lord Featherstone trug dabei keine Breeches“, erklärte Cousine Bathilda triumphierend. „Oder Leibwäsche.“

Phoebe spürte, wie ihre Augenbrauen nach oben schossen.

„Aber er trug Lady Oppertynes Strumpfband um seinen …“

„Möchtet ihr noch Tee?“, bot Hero hastig an.

„Bitte“, erwiderte Artemis.

Porzellan klirrte.

Phoebe machte mit den Lippen ein unhöfliches Geräusch, das ihren Neffen zum Kichern brachte. Sie kniff die Augen zusammen und spähte so angestrengt sie konnte, aber das Licht im Salon musste zu trüb sein. Sie konnte nicht einmal den Umriss von Sebastians Kopf erkennen. „Hero?“

„Ja, Liebes?“

„Welche Farbe hat sein Haar?“

Es folgte eine kurze Stille. Phoebe mochte nicht sehen können, aber sie wusste, dass die anderen Frauen sie anstarrten. Einen Moment lang wünschte sie – wünschte sie von ganzem Herzen – dass sie normal wäre. Dass sie keine Sorge, ja vielleicht gar eine Last, für ihre Familie wäre. Dass sie verdammt nochmal einfach hinschauen und sehen könnte, welche Haarfarbe ihr wundervoller Neffe hatte.

Aber sie konnte es nicht.

Etwas klapperte auf dem Teetisch. „Oh, Phoebe, es tut mir leid“, stieß Hero hervor. „Ich kann nicht glauben, dass ich dir nie erzählt habe …“

„Nein, nein.“ Phoebe schüttelte den Kopf und unterdrückte ihren Unmut. Sie hatte die Frage nicht gestellt, damit sich alle schuldig fühlten. „Es ist nicht … du musst dich wirklich nicht entschuldigen. Es ist nur … ich will es einfach wissen.“

Hero atmete hörbar ein, und es klang beinahe wie ein Schluchzen.

Phoebe presste die Lippen aufeinander.

Artemis räusperte sich. Ihre Stimme war tief und beruhigend wie immer. „Sein Haar ist schwarz. Sebastian ist natürlich ein kleines Baby, aber ich glaube, er wird kein bisschen wie unser süßer William aussehen. Seine Augen sind von dunklerem Braun, seine Haut ist recht dunkel – anders als Williams helle Haut – und ich glaube, er wird die Batten-Nase bekommen.“

„Oh nein.“ Phoebe spürte, wie sie grinste und sich ihre Schultern entspannten. Maximus hatte eine leichte Andeutung der Batten-Nase, aber wenn man nach den Gemälden ihrer Vorfahren ging, konnte dieses besondere Merkmal sehr ausgeprägt sein.

„Ich glaube, eine große Nase verleiht einem Mann eine gewisse Würde“, ließ sich Cousine Bathilda mit nur einem Hauch Missbilligung in der Stimme vernehmen. „Sogar dein Captain hat eine recht große Nase, und ich finde, es macht ihn recht schneidig.“

„Er ist nicht mein Captain“, meinte Phoebe und dann, obwohl sie wusste, sie sollte nicht, musste sie einfach hinzufügen: „Schneidig?“

„Ziemlich gut aussehend“, präzisierte Cousine Bathilda.

Gleichzeitig erklärte Artemis: „Ich weiß nicht, ob schneidig ganz …“

„Zu streng.“ Heros Stimme beendete den verbalen Zwist.

Alle hielten inne, um Luft zu holen.

In der folgenden Stille wimmerte Baby Sebastian.

„Er ist vermutlich hungrig“, sagte Hero und nahm ihren Sohn.

Phoebe hörte auf das Rascheln der Kleidung, als ihre Schwester sich das Kind an die Brust legte. Hero entsprach in ihrem Wunsch, ihre Kinder selbst zu stillen, zwar nicht der Mode, aber Phoebe beneidete sie. Es wäre so schön, sich einen kleinen, warmen Körper an die Brust zu legen. Zu wissen, dass sie ihr eigenes Kind ernähren und lieben konnte.

Phoebe neigte den Kopf und hoffte, dass man ihr ihre Sehnsucht nicht ansah. Die Sache war die, dass sie nur sehr wenig Möglichkeiten hatte, passende Gentlemen zu treffen – immer angenommen, es gäbe einen Mann, der eine Blinde zur Frau nehmen würde.

„Also wie genau sieht Captain Trevillion aus?“, hakte sie nach, um ihre verdrießlichen Gedanken zu verdrängen.

„Nun“, begann Hero gedehnt. „Er hat ein schmales Gesicht.“

Phoebe lachte. „Das sagt mir gar nichts.“

„Linien.“ Artemis sprach. „Er hat Linien im Gesicht. Er hat diese Einbuchtungen um seinen Mund, der ein bisschen schmal ist.“

„Seine Augen sind blau“, warf Cousine Bathilda ein. „Sie sehen wirklich recht hübsch aus.“

„Aber stechend“, meinte Hero. „Oh, und er hat dunkles Haar. Soweit ich das verstanden habe, trug er als Dragoner eine weiße Perücke, aber seit er im Ruhestand ist, hat er es wachsen lassen und es zu einem sehr strengen Zopf geflochten.“

„Und natürlich trägt er nur schwarz“, fügte Artemis hinzu.

„Wirklich?“ Phoebe krauste die Nase. Sie hatte nicht gewusst, dass sie die ganze Zeit über von einer Verkörperung des Todes begleitet worden war.

„Die Gesellschaft der Damen!“, rief Cousine Bathilda plötzlich.

„Was ist damit?“, fragte Artemis.

„Nun, wir treffen uns morgen“, erwiderte Cousine Bathilda.

„Natürlich“, bemerkte Hero. „Aber wird Maximus Phoebe erlauben teilzunehmen?“

Die Gesellschaft der Damen für Waisen und Findelkinder war Heros Lieblingsprojekt. Ein Club, der nur aus Damen bestand – Gentlemen durften nicht beitreten –, und er war gegründet worden, um einem Waisenhaus im Elendsviertel St. Giles zu helfen. Die Gesellschaft der Damen traf sich unregelmäßig, aber Phoebe freute sich sehr auf die Treffen, denn sie gehörten zu den wenigen gesellschaftlichen Ereignissen, an denen Maximus sie teilhaben ließ.

Oder zumindest bis jetzt.

„Er wird sie nicht gehen lassen“, sagte Artemis leise. „Nicht nach den Ereignissen gestern.“

„Oh, aber wir überprüfen ein mögliches neues Mitglied.“ In Heros Stimme schwang Betroffenheit mit. „Sollen wir das Treffen verschieben, was meint ihr?“

„Nein“, antwortete Phoebe sehr bestimmt. „Ich bin es leid, mich zu verstecken und mir sagen zu lassen, wann und wohin ich gehen darf.“

„Aber Liebes, wenn es gefährlich ist …“, gab Artemis zu bedenken.

„Ein Treffen der Gesellschaft der Damen?“ fragte Phoebe ungläubig. „Wir alle wissen, dass die Treffen sicherer sind als alles andere.“

„Sie finden in St. Giles statt“, meinte Cousine Bathilda.

„Und all die adeligen Damen unserer Gesellschaft kommen in Begleitung ihrer stärksten Diener. Ich werde von Beschützern umgeben sein, einschließlich meines eigenen Captains und seiner zwei Soldaten. Ich bin mir nicht sicher, ob Reed überhaupt noch weiß, dass er bei Maximus in Diensten steht und nicht bei Trevillion.“

„Zumindest gibst du zu, dass er dein Captain ist.“ Hero klang neckend, dann wurde sie ernst. Irgendwo im Raum wurde eine Tür geöffnet. „Aber ich weiß nicht, wie du an Maximus vorbeikommen willst.“

„Das weiß ich auch nicht, aber ich werde es“, verkündete Phoebe. „Ich bin eine Frau, kein Singvogel in einem Käfig.“

Sie spürte seine Gegenwart, bevor sie die Schritte seiner Stiefel hinter sich hörte. Mist. Wenn er einen Duft benutzte, würde sie wenigstens wissen, wann er in der Nähe war.

„Mylady“, sagte Trevillion mit rauer Stimme. „Ich habe eine Nachricht von Seiner Gnaden erhalten, dass der Mann, der hinter dem Angriff steckt, nicht länger eine Bedrohung für Sie darstellt. Vermutlich wollte er Sie entführen lassen. Darf ich jedoch sagen, dass Sie, wenn Sie auch kein eingesperrter Vogel sind, doch mehr als nur eine Frau sind. Sie sind ein kostbares Artefakt. Solange es Männer gibt, die sie davonstehlen möchten, werde ich an Ihrer Seite sein.“

Phoebe wurde vor Ärger ganz warm. Sobald sie mit ihrem Captain unter vier Augen sprechen konnte, würde sie ihm genau sagen, was dieses „Artefakt“ von seinen Worten hielt.

Trevillion beobachtete, wie Lady Hero sich von den anderen Frauen verabschiedete. Sie hatten einen schützenden Kreis um seinen Schützling gebildet, und er vermutete, dass er jetzt etwas zu hören bekommen hätte, wenn sie nicht alle wohlerzogene Damen gewesen wären.

Dem zarten Rosa von Lady Phoebes Wangen nach zu urteilen erwartete ihn das vielleicht immer noch. Sie trug heute ein himmelblaues Kleid. Statt dem üblichen Fichu hatte ihr Mieder einen zarten Spitzenabschluss, der ihre vollen Brüste auf hinreißende Weise umschloss und umrahmte. Er konnte sich nicht davon abhalten, daran zu denken, dass die kühle Farbe des Kleids ihren Mund wie eine reife Beere aussehen ließ. Weich. Süß. Üppig. Ein Mund, in den er am liebsten hineingebissen hätte.

Er blickte beiseite und zügelte seine Gedanken.

„Ich bin so froh, dass du am Treffen der Gesellschaft morgen teilnehmen kannst“, sagte Lady Hero, während sie ihre Schwester auf die Wange küsste. Sie warf Trevillion einen düsteren Blick zu, bevor sie mit hocherhobenem Kopf aus dem Salon rauschte.

Trevillion seufzte leise.

Miss Picklewoods Schoßhund wand sich in ihren Armen, und die Dame beugte sich steif hinab, um den Hund herunterzulassen. „Ich glaube, Mignon ist bereit für ihren täglichen Spaziergang.“

„Wunderbar“, sagte Ihre Gnaden und lächelte den kleinen Hund an, der um die Röcke der Damen tanzte. „Ich lasse mein Mädchen Bon Bon holen und wir kommen mit, ja?“

„Hervorragend“, erklärte Miss Picklewood. „Phoebe, kommst du auch mit?“

„Ich denke, ich drehe eine Runde durch meinen Garten“, erwiderte Lady Phoebe. Sie hatte ein höfliches Lächeln auf den Lippen, aber Trevillion hörte die Schärfe in ihrer Stimme.

Sein Verdacht wurde bestätigt, als sie sich ohne ein weiteres Wort umdrehte und aus dem Salon rauschte.

Ihre Gnaden warf ihm einen mitfühlenden Blick zu, als er seinem Schützling folgte, aber ihr Mitleid kümmerte ihn nicht.

Der Salon befand sich oben an einer großen Treppe, die hinunter zum Erdgeschoss von Wakefield House führte. Trevillion sah genau zu, wie Lady Phoebe die glänzenden Marmorstufen hinabstieg. Sie zögerte nicht einmal – das hatte sie noch nie – aber er hasste diese Treppe dennoch.

Unten drehte Phoebe sich um und ging in den hinteren Teil des Hauses. Dabei ließ sie ihre Fingerspitzen über die Wand des Ganges gleiten. Er stakste weniger anmutig hinterher und beobachtete dabei den Schwung ihrer hellblauen Röcke.

Sie war beinahe bei den hohen Türen, die zum Garten hinausführten, als er sie einholte. „Es ist kindisch zu versuchen, schneller zu sein als ein verkrüppelter Mann.“

Sie drehte sich nicht um, aber richtete sich zur vollen Größe auf. „Ich befürchte, wir Artefakte sind oft kindisch, Captain.“

Mit diesen Worten öffnete sie die Tür und eilte zu den breiten Granitstufen, die in den Garten hinabführten. Das Blau ihres Kleids, das sich von dem Grau des Granits und dem satten Grün des Grases leuchtend abhob, betonte den Kastanienton ihres hellbraunen Haars. Sie sah wie der Inbegriff des Frühlings aus, beinahe engelsgleich, so bezaubernd war sie.

Nun, wenn sie nicht entschlossen von ihm davonmarschiert wäre.

Er machte ein paar große Schritte vorwärts und nahm ihren Arm. „Wenn Sie gestatten, Mylady.“

Er glaubte beinahe, sie bei diesen Worten knurren zu hören, aber er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern legte sich einfach ihre Hand auf den linken Arm. Der Rasen war uneben, und sie musste wissen, dass sie riskierte, auf ihre stolze kleine Nase zu fallen.

„Sie sind wohl kaum ein Krüppel“, sagte sie plötzlich.

Er verzog den Mund, als er sie die Stufen hinabgeleitete. „Ich bin nicht sicher, wie man einen Mann sonst nennen sollte, der unfähig ist, ohne einen Stock zu stehen, Mylady.“

Sie schnaubte zur Antwort. „Nun, Sie mögen sich für einen Krüppel halten – auch wenn Sie es offensichtlich nicht sind – aber ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, dass ich, was ich auch sonst sein mag, ganz sicher kein Artefakt bin.“

„Es tut mir leid, wenn ich Sie beleidigt habe, Mylady.“

„Tut es das?“

Er unterdrückte ein Seufzen. „Vielleicht, wenn Sie mir erklären, warum meine vollkommen vernünftigen Beobachtungen Sie beleidigen, Mylady.“

„Wirklich, Captain, es ist kein Wunder, dass Sie nicht verheiratet sind.“

„Nicht?“

„Niemand möchte Artefakt genannt werden, besonders keine Frau.“

Ein wohlkalkulierter Rückzug wäre vielleicht angebracht. „Vielleicht war meine Feststellung zu unverblümt, aber Sie müssen zugeben, dass Sie für Ihre Familie sehr wertvoll sind, Mylady.“

„Muss ich das?“ Sie blieb stehen, und er musste es ihr gleichtun, wenn er in ihrer Nähe bleiben wollte. „Warum? Ich werde von meiner Familie geliebt – und ich liebe sie zurück – aber ich muss Ihnen sagen, dass sich mir der Magen umdreht, wenn man mich ein wertvolles Ding nennt.“

Überrascht von einer solch wilden Reaktion sah er sie an. „Viele Männer werden Sie so sehen. Sie sind die Schwester eines Dukes, eine Erbin, die …“

„Tun Sie das?“

Er blickte sie an, diese bezaubernde, ungestüme, einen in den Wahnsinn treibende Frau. Natürlich betrachtete er sie nicht nur als ein Artefakt. Wäre sie nicht blind gewesen, hätte sie das mit Sicherheit bereits gewusst.

Er hatte zu lange gebraucht. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn auffordernd an. „Nun, tun Sie das, Captain Trevillion?“

„Es ist meine Pflicht, für Ihre Sicherheit zu sorgen, Mylady.“

„Das habe ich nicht gefragt, Captain“, entgegnete sie sofort. „Bin ich für sie nur ein wertvolles Objekt? Eine juwelenbesetzte Schatulle, die man vor Dieben schützen muss?“

„Nein“, antwortete er knapp.

„Gut.“ Sie legte ihm die Hand wieder auf den Arm, und ihre Berührung brannte sich durch die vielen Lagen Stoff, die sie trennten, in seine Haut.

Irgendwann würde er brechen, und dann würde sie erkennen, dass er nicht aus Stein gemacht war.

Kein bisschen.

Aber dieser Tag würde nicht heute sein.

Die Stufen endeten auf einem Stück Gras. Dahinter befand sich Lady Phoebes Garten, ein Gewirr von ordentlich gestreuten Kieswegen, die sich zwischen Hügeln mit üppigen Blumen hierhin und dorthin schlängelten. Trevillion hatte noch nie zuvor einen solchen Garten gesehen. Erstens waren die Blumen alle weiß. Rosen, Lilien, alle Arten von Margeriten und Dutzende anderer Blüten, die Trevillion nicht benennen konnte, denn er hatte sich noch nie besonders für Pflanzen interessiert.

Den zweiten Unterschied in diesem Garten bemerkte man nur, wenn man sich ihm näherte: Es war der Duft, der in der Luft lag. Trevillion hatte nie gefragt, aber so weit er das sagen konnte, verströmte jede Blume im Garten einen Duft. Den Garten zu betreten war wie in das Boudoir einer Fee zu kommen. Bienen summten träge über den Blüten, während die duftschwangere Brise die Sinne verzauberte.

Trevillion drehte sich um und sah, wie Lady Phoebe sich sichtlich entspannte. Sie ließ die Schultern sinken, die halbgeballten Hände lösten sich und ein Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. Sie hob das Gesicht in den Wind, und er hielt den Atem an. Hier draußen, allein mit ihr, konnte er sie so lange ansehen, wie er wollte. Er konnte die zarte Kurve ihrer Wange, ihre sture Augenbraue und ihren halbgeöffneten Mund mit dem Blick liebkosen.

Er sah wieder beiseite und kräuselte angesichts seiner Schwäche sarkastisch die Lippen. Sie war alles, was er nicht war: jung, unschuldig, voller Lebensfreude. Das blaue Blut von jahrhundertealtem Adel floss in ihren Adern.

Er war ein zynischer, älterer, ehemaliger Soldat, und sein Blut war gewöhnlich rot.

„Wer war er?“, fragte sie und unterbrach ihn in seinen Gedanken.

Autor

Elizabeth Hoyt
Elizabeth Hoyt zählt zu den US-amerikanischen Bestseller-Autoren der New York Times für historische Romane. Ihren ersten Roman der Princess-Trilogie „Die Schöne mit der Maske“ veröffentlichte sie im Jahr 2006, seitdem folgten zwölf weitere Romane. Gern versetzt die erfolgreiche Schriftstellerin ihre Romanfiguren in das georgianische Zeitalter. Nachdem ihre beiden Kinder zum...
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