Bianca Gold Band 27

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GESTÄNDNIS NACH EINER SÜßEN NACHT von FERRARELLA, MARIE
Darf sich Kenzie so von ihren heißen Gefühlen für ihren neuen Nachbarn Quade mitreißen lassen? Schließlich erwartet sie ein Baby - was der smarte Wissenschaftler aber nicht erfahren soll, bis sich Kenzie seiner Liebe sicher sein kann. Doch reicht die Zeit dafür?

VERFÜHRT VON SO VIEL CHARME von NEFF, MINDY
Leidenschaftlicher kann man sich nicht lieben als Flynn und Darcie es in dieser Nacht tun. Am nächsten Morgen ist Flynns perfekte Traumfrau jedoch verschwunden. Erst Monate später meldet sie sich wieder. Mit einer Nachricht, die Flynns Leben für immer verändert …

ICH HAB DIR LIEBE GESCHWOREN von O'DONNELL, JODI
Sieben Jahre lang hat sich die hübsche Rancherin Addie nach Deke gesehnt, ihrem Traummann, der ihr ewige Liebe geschworen hatte. Dennoch ließ er sie mit der Frucht ihrer Liebe unter dem Herzen allein zurück. Nun plötzlich taucht er wieder auf …


  • Erscheinungstag 29.05.2015
  • Bandnummer 0027
  • ISBN / Artikelnummer 9783733730468
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Marie Ferrarella, Mindy Neff, Jodi O'Donnell

BIANCA GOLD BAND 27

Das Glück unter meinem Herzen

MARIE FERRARELLA

Geständnis nach einer süßen Nacht

Nach einer fantastischen Liebesnacht mit seiner neuen Nachbarin Kenzie ist Quade sich sicher: Die fröhliche Kenzie ist die Frau seines Lebens! Keine Sekunde will er mehr ohne sie sein! Doch das lässt sie nicht zu. Immer wieder entzieht sich Kenzie seiner Liebe. Was hat die faszinierend schöne Frau nur vor ihm zu verbergen?

MINDY NEFF

Verführt von so viel Charme

Nie würde Darcie dem attraktiven Architekten Flynn einen Kuss verweigern. Schließlich träumt sie schon seit ihren Teenagertagen davon. Wie könnte sie ihm also bei ihrem zufälligen Treffen in einem Hotel in Philadelphia eine Liebesnacht ausschlagen? Deren Folgen aber verschweigt sie ihm lieber – denn es wäre wohl Illusion, an seine Gefühle zu glauben …

JODI O'DONNELL

Ich hab dir Liebe geschworen

Wird die bezaubernde Rancherin Addie ihm noch einmal ihr Herz öffnen? Vor sieben Jahren musste Derek sie auf dem Gipfel ihrer Leidenschaft Hals über Kopf verlassen. Dabei hatte er ihr ewige Liebe geschworen. Und er liebt sie auch heute noch! Als er nun zurückkehrt, erlebt er allerdings eine faustdicke Überraschung – und ihre tiefe Skepsis …

PROLOG

1. Juni 1864

Amanda Deveaux schloss die Hand um das Medaillon. Vor drei Jahren hatte sie es nun angelegt und seither niemals abgenommen. Sie hatte versprochen, es so lange zu tragen, bis er zurückkommen und ihr einen Heiratsantrag machen würde. Sie trug das Medaillon zum Zeichen, dass sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte. Auf dem zarten Oval aus blauem Wedgwood erhob sich das elfenbeinerne Profil einer jungen Griechin. Es zeigte Penelope, die auf die Heimkehr des Odysseus wartete.

Genau wie sie darauf wartete, dass Will zu ihr nach Hause kam. Will, der sie gebeten hatte, auf ihn zu warten. Will, der versprochen hatte zurückzukehren. Ganz gleich, wie gering die Aussicht darauf in diesem elenden Krieg zwischen den Nord- und Südstaaten auch sein mochte.

Er hatte es geschworen, und sie hatte ihm geglaubt. Sie glaubte ihm immer noch. Weil Lieutenant William Slattery sie niemals belogen hatte.

Sie kannten sich seit Kindertagen. Und liebten sich seit Kindertagen. Will hatte den scharfen und herablassenden Bemerkungen ihrer Mutter ebenso getrotzt wie den forschenden Blicken ihres Vaters. Da Wills Familie nicht so wohlhabend war wie Amandas, fand er nie die Anerkennung ihrer Eltern. Aber er hatte sich mit ihren Eltern abgefunden, weil er Amanda liebte. Und er war der beste Freund ihres verstorbenen Bruders Jonathan gewesen. Jonathan gehörte zu den tapferen Männern, die bei Chancellorsville gefallen waren.

Immerhin wussten sie über Jonathans Schicksal Bescheid. Über Will wussten sie nichts.

Seit der Schlacht von Gettysburg hatten sie kein Lebenszeichen mehr erhalten. Nicht mehr, seit sein Name auf der Vermisstenliste vermerkt worden war.

In diesen Tagen fühlte sich Amandas Herz an, als läge es ihr bleischwer in der Brust. Es war mühsam, all die Jahre über das letzte Fünkchen Hoffnung nicht erlöschen zu lassen. Sie hielt den Atem an, als ihr Blick den Weg entlangschweifte, der zu den Feldern ihrer Familie führte. Das Land war ruiniert und wartete darauf, dass Will auftauchte, um es zu bestellen. Wie er es versprochen hatte.

„Es ist eine Schande, dass du dich so an einen Mann verschwendest, dessen gewöhnliche Herkunft aus jeder Pore blitzt.“

Belinda Deveaux trat auf die verfallene Veranda hinaus und warf ihrer ältesten Tochter einen vorwurfsvollen Blick zu. Nachdem Jonathan gestorben war, war sie die Älteste. Amanda hob den Kopf. Belinda hatte einst zu den schönsten Frauen im Land gehört, aber jetzt war ihr Gesicht gezeichnet von Ärger und Ungeduld.

Sie spitzte den Mund. „Frasier O’Brien würde dich heiraten.“

Erstaunt riss Amanda die Augen auf. Frasier O’Brien war aus dem Krieg zurückgekehrt – man munkelte, er sei desertiert –, um das marode Geschäft seines Vaters zu übernehmen. Frasier war ein gewiefter Mann, und auch jetzt hatte er es wieder verstanden, aus der verzweifelten Lage, in der das Land steckte, prächtige Gewinne zu ziehen. Er zählte zu den reichsten Männern weit und breit, und in Belindas Augen war er der klare Favorit als Amandas Ehemann. Schon immer hatte Geld ihre Aufmerksamkeit erregt.

„Frasier hat es auf Savannah abgesehen. Er hat um ihre Hand angehalten“, erinnerte Amanda ihre Mutter und dachte empört an ihre kleine Schwester.

„Stimmt. Aber er will dich“, entgegnete Belinda mit wissendem Blick. „Vergiss nicht, dass es deine letzte Chance auf einen Ehemann sein könnte. Schließlich bist du beinahe einundzwanzig. Was soll nur aus dir werden, wenn du Frasier nicht heiratest?“

„Mach dir um mich keine Sorgen, Mutter. Zerbrich dir lieber den Kopf um Savannah. Deiner Meinung nach ist sie mit einem Mann verlobt, dessen Herz ihr nicht gehört.“

„Ich mache mir aber Sorgen um dich“, beharrte Belinda. „Ich mache mir Sorgen um dich, weil du dummes Ding in einen toten Mann verliebt bist.“

Amanda spürte, wie die Wut in ihr aufstieg. „Will ist nicht tot!“, schrie sie auf. „Wenn er tot wäre, wüsste ich es! Ich würde es fühlen. Hier drin! Hier, wo mein Herz pocht.“ Sie schlug sich auf die Brust wie eine reuige Sünderin. „Ich wüsste es. Aber er kommt zurück. Er hat es versprochen.“

Belinda richtete sich auf. Seit Jonathans Tod war sie hager und eingefallen, trug nur noch Schwarz und glich einem Gespenst.

„William Slattery ist tot“, verkündete sie. „Genauso tot wie dein Bruder. Je schneller du den Tatsachen ins Auge blickst, desto eher wirst du wieder zu Verstand kommen.“

Amanda ließ ihre Mutter stehen und ging fort. Fort von dem Haus, um das sich dringend jemand kümmern musste. Wie jeden Tag ging sie fort und stellte sich an die Straße, um Ausschau zu halten.

„Warte auf mich“, hatte Will geflüstert, bevor er seine Umarmung ein letztes Mal löste. Und das würde sie, weil sie ihm gehörte. Für immer. Und nichts auf der Welt konnte daran etwas ändern.

1. KAPITEL

Gegenwart

„Du glühst ja förmlich! Du lieber Himmel! Merkst du eigentlich, dass du regelrecht leuchtest? Das hätte ich nie und nimmer für möglich gehalten. Pablo, ich möchte nicht, dass du ihr mit dem Rougepinsel zu nahe trittst. Du könntest ohnehin nichts tun, um sie noch schöner zu machen. Gibt es an unseren Kameras eine Einstellung für glühende Gesichter?“

Die letzte Frage feuerte die Produktionsassistentin Kenzie Ryan über ihre Schulter hinweg dem Set entgegen, das die Nachmittags-Talkshow … And Now a Word from Dakota aufnahm, während sie die Schwelle zur Garderobe ihrer besten Freundin Dakota Delaney überschritt.

Dakota Delaney Russell hieß sie jetzt offiziell, denn vor kurzem hatte sie Ian Russell geheiratet. Der Star der täglichen Talkshow war gerade aus den zweiwöchigen Flitterwochen zurückgekehrt. Kenzie war die Einzige, die ihre Freundin noch mehr vermisst hatte als das Publikum.

Kenzie bemerkte, dass der große, schlanke Visagist zu ihrer Linken, der darauf bestand, dass man ihn Pablo nannte, ihr einen grimmigen Blick zuwarf, weil sie ihn von der Arbeit abhielt. Sie beschloss, nicht auf ihn zu achten. Dakota gehörte generell nicht zu den Leuten, die viel Make-up brauchten. Sie hatte eine lebhafte Ausstrahlung und war ausgesprochen attraktiv.

Angestrengt drängte Kenzie die Übelkeit zurück, die in ihr aufstieg. Sie zwang sich zu einem Lächeln und wandte sich der Frau zu, der sie einst ihre geheimsten Gedanken anvertraut und mit der sie ein Zimmer im Studentenwohnheim geteilt hatte. Sie schob sich eine blonde Locke aus der Stirn. „Es war die Hölle ohne dich, Dakota. Ich hasse es, mit anderen Talkmastern zu arbeiten. Sie sind ganz anders als du.“

Dakota drehte sich um. „Schön, wenn man vermisst wird.“

„Vermisst?“ Kenzie lachte gequält. „Wenn du angerufen hättest, um mir zu eröffnen, dass du deine Flitterwochen verlängerst, wäre ich vermutlich aus dem Fenster gesprungen.“

Pablo ließ den Blick über ihre einsfünfundsechzig schweifen. „Meinst du, bei deiner Größe wärst du so einfach über die Fensterbank gekommen?“, fragte er gereizt und ließ die Verschlüsse seines Make-up-Koffers zuschnappen. Er hatte gerade den Posten des Chef-Visagisten Albert Hamlin übernommen, der jetzt für die Haupt-Talkshow zur besten Sendezeit arbeitete. Heute sollte Pablo zum ersten Mal mit Dakota arbeiten, obwohl er schon Gelegenheit gehabt hatte, die Gast-Stars zu schminken, die manchmal in der Show auftraten. Es war verständlich, dass Pablo es nicht schätzte, wenn man seine Arbeit behinderte.

Dakota lächelte den temperamentvollen Mann versöhnlich an. „Vielleicht könntest du mir ein bisschen die Lippen nachziehen“, schlug sie vor.

Er seufzte theatralisch und öffnete seinen Schminkkoffer zum zweiten Mal. „Wie Sie wünschen, Mrs Delaney.“ Nachdem er Dakotas Lieblingsfarbe gefunden hatte, hielt er ihr den Stift entgegen.

Kenzie konnte sich nicht länger beherrschen und schob den Mann zur Seite, um ihre beste Freundin in die Arme zu schließen. Dakota war die Frau, der sie die schönsten Augenblicke ihres Lebens ebenso anvertraute wie die schlimmsten.

Im Moment stand es um Kenzie nicht gerade zum Besten, aber jetzt war wohl kaum der richtige Augenblick, ihre Probleme zur Sprache zu bringen.

Die Umarmung war stürmisch und warmherzig.

„War es toll?“, fragte sie und gab Dakota wieder frei. „Sag, dass es fantastisch war!“ Kenzie seufzte und ließ ihre Gedanken in die College-Zeit zurückschweifen. Damals hatten sie bis in die frühen Morgenstunden zusammengehockt und sich über ihre Dates unterhalten. Damals war das Leben noch wesentlich einfacher gewesen. Man musste nur darauf achten, nicht zu schlechte Noten zu bekommen. Und natürlich darauf, vor einem Date keinen Nervenzusammenbruch zu erleiden. „Ich kann ein bisschen Tagträumerei gut gebrauchen, aber mein Privatleben gibt gerade nichts her.“

„Weil du keines hast“, murmelte Pablo atemlos in sich hinein, aber immer noch so laut, dass der Elektriker, der auf dem Flur eine Glühbirne auswechselte, es genau hören konnte und auflachte.

Kenzie warf ihm einen bösen Blick zu, widersprach aber nicht, weil er recht hatte. Sie hatte kein Privatleben – jedenfalls war sie nicht besonders gesellig. Seit sie vor einer Woche zur Produktionsassistentin befördert worden war, hatte sie beschlossen, sich akribisch um alle Einzelheiten des Programms zu kümmern. Es lag nicht an ihr, dass sie keine Menschen um sich hatte, denn das Leben, das sie bis vor ein paar Wochen geführt hatte, lag in Trümmern vor ihr. Ihr Herz war gebrochen, und sie hatte nicht die geringste Absicht, sich Hals über Kopf in das nächste Date zu stürzen und möglicherweise wieder ins Unglück zu rennen.

Es störte Kenzie ungemein, dass sie nicht so widerstandsfähig war, wie sie es von sich angenommen hatte. Aber sie musste den Tatsachen ins Auge blicken. Sie war es nicht, und sie würde lernen müssen, damit zu leben, anstatt sich an das Märchen vom fürsorglichen, liebevollen Mann zu klammern, der nirgendwo existierte außer vielleicht in einem Drehbuch.

Dakota griff nach dem Lippenstift und legte sich das sanfte Pink selbst auf. Kenzie stellte fest, dass Dakota noch energischer und tatkräftiger wirkte als in den Jahren, in denen sie sie kennen gelernt hatte. Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass sie sich im Vergleich zu ihrer Freundin blass und schlaff fühlte und diese ständige Müdigkeit überhaupt nicht mehr loswurde. Wie eine alte Uhr, die nicht mehr richtig aufgezogen werden konnte.

Das hat natürlich seinen Grund, dachte sie bei sich.

Dakota gab Pablo den Lippenstift zurück, drehte sich zu Kenzie um und musterte ihre Freundin aufmerksam. Langsam machte sie sich Sorgen. „Pablo, würdest du uns bitte für ein paar Minuten allein lassen?“

„Ein Gespräch unter Frauen?“, erwiderte er beleidigt, weil er ausgeschlossen wurde. „Ich habe alles Recht der Welt, bei einem Gespräch unter Frauen dabei zu s… okay, schon gut.“ Hastig brach er ab und griff nach seinem Make-up-Koffer. „Ich weiß, wann ich fehl am Platze bin.“

Kenzie schloss die Augen und schüttelte den Kopf, als Pablo den Raum verließ und laut krachend die Tür hinter sich zuzog. „Seit seiner Beförderung ist er so temperamentvoll.“

Dakota hatte keine Lust, über den Visagisten zu sprechen. Ihre Gedanken kreisten nur um ihre Freundin. Sie stand auf und nahm Kenzies Hände in ihre. „Wo wir gerade von Beförderung sprechen, Zee. Mir ist zu Ohren gekommen, dass du zur Produktionsassistentin aufgestiegen bist.“

Kenzie zuckte beiläufig die Schultern. „Ja, stimmt.“

Dakota verkniff es sich, ihre Freundin, deren Scheitel ihr gerade bis ans Kinn reichte, zu umarmen. „Du liebe Güte, das ist doch toll! Ich freue mich wirklich sehr für dich.“

Kenzie hatte große Mühe, eine Welle der Übelkeit zu unterdrücken, die sie schier zu überwältigen schien. Reiß dich zusammen, Zee, beschwichtigte sie sich mit aller Macht, reiß dich zusammen. Konzentrier dich.

„An mich brauchst du keinen Gedanken zu verschwenden. Schau dich lieber an.“ Sie trat zurück und musterte Dakota. „Verheiratet. Und du strahlst immer noch.“

„Ja, es liegt wirklich an ihm“, meinte Dakota lachend, setzte sich wieder und seufzte unwillkürlich. „Liebe ist wirklich fantastisch …“ Sie brach abrupt ab und schaute Kenzie misstrauisch an. „Wo wir gerade davon sprechen … wie geht es Jeff und dir? Oder soll ich besser nicht fragen?“

Das Schulterzucken wirkte ausweichend. Und unglücklich. Sie wusste, dass sie Dakota nichts vormachen konnte. Außerdem wollte sie es auch gar nicht. Wenn es nur nicht so wehtun würde, darüber zu sprechen. „Mir geht es gut. Jeff auch.“

Dakota kniff die Brauen zusammen. Sie kannten sich seit einer halben Ewigkeit, und niemand durchschaute die lebhafte kleine Frau besser als sie. Die Schlussfolgerung lag auf der Hand. „Aber zusammen geht es euch nicht gut.“

„Stimmt“, seufzte Kenzie. Es lag schon zwei Wochen zurück, aber trotzdem hatte sie immer noch das Gefühl, mit glühenden Kohlen zu jonglieren, wenn sie an die Trennung dachte. Dabei war Jeff freundlich gewesen und hatte sich größte Mühe gegeben, sie nicht zu verletzen. Als ob das überhaupt möglich gewesen wäre, wenn man bedachte, wie sie sich anfangs gefühlt hatte.

Sie bemühte sich sehr, ihn zu hassen, aber es gelang ihr nicht. Sie war einfach nur traurig. „Wir sind nicht mehr zusammen. Er ist zu seiner Frau zurückgekehrt.“

Dakota stand der Mund offen. Das war ihr neu. „Zu seiner Frau?“

Kenzie lachte trocken. Das Geräusch klang hohl in der engen Garderobe. „Ja. Ein nebensächliches Detail. Er hatte vergessen, es zu erwähnen.“

Ihre Freundin war so erstaunt, dass sie nur den Kopf schütteln konnte. „Er ist verheiratet?“

„Ja, verheiratet. Er war getrennt. Hat er jedenfalls behauptet.“ Sie befürchtete, einen mitleidigen Ausdruck in Dakotas Augen zu entdecken, und straffte die Schultern, wie sie es so oft bei ihr gesehen hatte, und hob das Kinn. Es war eine reine Schutzmaßnahme. „Er ist aus meinem Leben verschwunden.“

Einen Moment lang schauten sie sich in die Augen. Kurz entschlossen beugte Dakota den Kopf vor. Nur so weit, dass sie sich die Haare aus dem Nacken streichen konnte, um nach den beiden Enden des Samtbandes zu greifen und es aufzubinden.

Kenzie runzelte die Stirn. „Dakota, was machst du da?“

Sie nahm die Halskette ab und streckte sie ihrer Freundin entgegen. An dem Samtband hing das Medaillon, das sie in einem Antiquitätengeschäft unweit von New York erstanden hatte. Sie glaubte felsenfest daran, dass Ian und sie in erster Linie durch das Medaillon zueinander gefunden hatten. Es gehörte eine Geschichte dazu.

„Ich nehme mir das Medaillon ab, damit ich es an dich weitergeben kann.“

„Dakota …“, protestierte Kenzie kopfschüttelnd.

Sie wollte zurücktreten, aber ihre Freundin war schneller, ergriff ihre Hand und drehte sie um, sodass die Handfläche nach oben zeigte. Dakota legte das Medaillon hinein. Sie erinnerte sich noch sehr gut an das Gespräch, das sie damals mit der Frau geführt hatte, die ihr das Medaillon verkauft hatte. Die alte Dame hatte ihr aufgetragen, dass sie das Schmuckstück, sobald sie seinen Zauber am eigenen Leib erfahren habe und ihrer großen Liebe begegnet sei, an jemanden anders weitergeben solle, der den Zauber gut gebrauchen konnte. An jemanden wie ihre beste Freundin.

„Ich habe den Zauber gespürt. Jetzt bist du dran.“

Kenzie starrte sie entgeistert an. „Du glaubst doch nicht wirklich …“

„Oh doch, ich glaube“, unterbrach sie rigoros. „Ich habe nicht viel Ahnung von Magie und Zauberei, aber der Schmuck hat genau so gewirkt, wie es mir prophezeit worden war.“ Sie fuhr hastig fort, als sie Kenzies zweifelnden Blick sah. Schließlich war sie selbst zunächst auch ungläubig gewesen. „Die alte Dame im Antiquitätengeschäft hat mir erzählt, dass diejenige, die das Medaillon trägt, ihrer großen Liebe begegnen wird.“

„Dakota, wir leben in New York. Wir sind zu klug, um uns solche Märchen auftischen zu lassen.“ Obwohl sie sich insgeheim wünschte, an solche Zauberei glauben zu können. An Happy Ends und an Männer, die ihre Frauen bis zum letzten Atemzug liebten. Aber sie fühlte sich zu alt für solche Illusionen. Es war höchste Zeit, endlich erwachsen zu werden. „Purer Schwindel. Und du weißt es.“

„Nein“, widersprach Dakota mit fester Stimme. „Weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich Ian über den Weg gelaufen bin, und zwar noch an jenem Nachmittag, an dem ich mir das Medaillon umgelegt hatte. Vielleicht ist es verrückt.“ Sie machte eine kleine Pause und fuhr dann fort. „Aber es gibt keine andere Erklärung außer Zauberei. Als ich noch einmal zu dem Antiquitätengeschäft gefahren bin, um mit der alten Dame zu sprechen, hat mir der Inhaber erklärt, dass dort niemand arbeitet, auf den meine Beschreibung passt. Aber ich habe tatsächlich mit ihr gesprochen. Ich habe sie tatsächlich gesehen. Sie hat genauso ausgesehen wie die Ur-Urgroßtante des Inhabers auf dem Foto, das an der Wand hing. Dieselbe Ur-Urgroßtante, die an jenem Tag beerdigt wurde, an dem ich das Medaillon kaufte.“ Die Geschichte klang grotesk, und wenn man sie ihr erzählt hätte, hätte sie kein einziges Wort geglaubt. Aber sie hatte alles selbst erlebt. „Wenn das keine Zauberei ist, dann frage ich mich, was es sonst sein soll.“

Kenzie starrte die Halskette an. Das Medaillon zeigte das Profil einer Frau. Es war in Elfenbein geschnitzt und hob sich zart vom Hintergrund aus blauem Wedgwood ab. Das Stück war wirklich wundervoll, aber es war nur Schmuck und konnte ein gebrochenes Herz nicht heilen. „Ich glaube nicht an Zauberei.“

Dakota schloss die Hand um Kenzies, als wollte sie sie trösten. „Das war früher mal anders.“

Kenzie zog ihre Hand fort. „Früher habe ich auch an den Weihnachtsmann geglaubt. Inzwischen bin ich erwachsen geworden.“

Die alte Dame im Antiquitätengeschäft hatte nicht behauptet, dass man an den Zauber glauben musste, damit er wirkt. „Okay. Du musst nicht daran glauben. Du musst es nur tragen.“ Sie warf Kenzie einen flehenden Blick zu. „Was hast du schon zu verlieren?“

Kenzie lachte. „Das Medaillon zum Beispiel.“ Sie schaute das Schmuckstück an und schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass mir so etwas oft passiert. Ich hätte ein rasend schlechtes Gewissen, wenn ich es verlieren würde.“ Sie versuchte, ihrer Freundin das Medaillon wieder in die Hand zu drücken.

Aber Dakota schob die Hand fort. „Dann pass auf, dass du es nicht verlierst“, riet sie Kenzie, suchte deren Blick und fügte hinzu: „Trag es einfach. Um mir einen Gefallen zu tun, Zee.“

Kenzie hatte das Gefühl, dass ihr das Herz in die Hose rutschte. Natürlich gefiel ihr das Medaillon. Es war wunderschön, und sie hätte sich gefreut, es anlegen zu können. Aber sie wusste auch, dass es keine magischen Kräfte besaß. Nur ganz junge und ganz alte Menschen glaubten an Magie. Und Abergläubige. Das war nichts für sie. „Zeitverschwendung.“

Den Einwand konnte Dakota nicht akzeptieren und wischte ihn fort. „Die Zeit vergeht sowieso.“

„Du lässt einfach nicht locker.“

„Stimmt.“ Sie lächelte von einem Ohr zum anderen. Es schien, als strahle der ganze Raum. „Manchmal kommt es mir vor, als würde ich schweben.“

Es muss wundervoll sein, sich so zu fühlen, dachte Kenzie unwillkürlich. „Bleib so bis nach der Show, okay?“

„Abgemacht.“ Dakota fixierte das Medaillon mit dem Blick. „Falls du …“

„… das Medaillon anlegen willst, ich weiß. Ich habe dich besser durchschaut, als du denkst.“ Sie seufzte und ergab sich. „Gut. Ich trage es.“

Ihre Freundin warf ihr einen erwartungsvollen Blick zu. „Jetzt.“

Kenzie schaute auf die Uhr. Sie musste wieder an die Arbeit. „Dakota …“

Dakota erhob sich und stellte sich hinter Kenzie. Sie streckte den Arm um sie herum und öffnete die Hand, um das Medaillon zu nehmen, mit dem ihre Freundin herumspielte. „Jetzt“, wiederholte sie.

Seufzend übergab Kenzie ihr das Schmuckstück mit dem Samtband, obwohl sie eigentlich vorgehabt hatte, es in ihrer kleinen Schmuckkassette zu verstauen. „Okay. Du bist hier der Boss.“

„Nein“, korrigierte Dakota, befestigte das Samtband und trat vor Kenzie, um ihr Werk zu betrachten. „Ich bin deine Freundin.“

Kenzie wusste, dass Dakota es gut meinte. Dakota wollte für sie immer nur das Beste. Aber in ihrer jetzigen Lage wünschte sie sich nur noch eines: eine Auszeit zu nehmen, sich ins Bett zu verkriechen und die Decke über den Kopf zu ziehen.

Natürlich musste sie sich um ihre Karriere kümmern. Aber es gab noch etwas Wichtigeres. Sie musste sich um ein neues Leben kümmern. Um das neue Leben, das in ihrem Innern wuchs, wie sie gestern Vormittag erfahren hatte.

Es sah so aus, als würde Jeff niemals vollständig aus ihrem Leben verschwinden.

Oder jedenfalls ein Teil von ihm.

Sie war schwanger. Sicher erst ein paar Wochen, denn länger lag es noch nicht zurück, dass Jeff und sie miteinander geschlafen hatten. Dreieinhalb Wochen. Kurz vor Dakotas Hochzeit.

Verdammt, wie hatte das nur passieren können? Die Wissenschaft hatte riesige Fortschritte gemacht. Man durfte erwarten, dass die Verhütung mit der Pille hundertprozentig funktionierte. Aber man konnte sich offenbar nie sicher sein. Sie hatte verhütet, und trotzdem trug sie das neue Leben in sich. Ein Baby, das nie und nimmer hätte gezeugt werden dürfen.

Aber es existiert, dachte sie und legte die Hand auf den vollkommen flachen Bauch.

Sechs Tests hatte sie gemacht. Alle hatten das gleiche Ergebnis angezeigt. Sechs Tests konnten nicht irren, sosehr sie es sich auch wünschte.

Sie hatte die Tests in sechs verschiedenen Apotheken gekauft, damit ausgeschlossen war, dass die Packungen möglicherweise aus einer fehlerhaften Serie stammten.

Sechs Mal hatte sie es versucht.

Kein einziger Test hatte ihr auch nur ein Fünkchen Hoffnung gelassen. Jeder hatte dasselbe Ergebnis angezeigt: Sie war schwanger.

Heute Morgen unter der Dusche hatte Kenzie sich das heiße Wasser länger als gewöhnlich über die Haut rinnen lassen. Sie wusste, dass sie ihre Frauenärztin aufsuchen musste, damit wirklich jeder Irrtum ausgeschlossen war. Allerdings zweifelte sie nicht an der Zuverlässigkeit der sechs Tests.

Freitag, dachte sie, trocknete sich ab und legte das Handtuch beiseite. Sie würde den Termin auf Freitag legen. Oder auf irgendwann nächste Woche. Jetzt war sie zu sehr mit der Show beschäftigt.

Die Show! Du lieber Himmel, ich muss mich beeilen, dachte sie, ohne auf die Uhr im Schlafzimmer zu schauen. Sie spürte, wie die Minuten verrannen.

Kenzie schlüpfte in ihren grünen Rock und in das blassgrüne Sweatshirt. Beide waren viel zu weit. Wie lange das wohl noch so bleibt, überlegte sie. Noch sehr lange, wenn die ersten zehn Minuten nach dem Aufstehen irgendetwas zu bedeuten hatten. Sie hatte sich übergeben müssen. Ihr war schon übel geworden, als sie noch im Halbschlaf lag. Dann hatte sie versucht, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, was ihr jedoch nur teilweise gelungen war.

Als sie überstürzt das Apartment verlassen wollte, bemerkte sie, dass sie das Medaillon vergessen hatte. Die Versuchung war groß, einfach weiterzugehen, aber sie wusste, dass sie Dakota damit verletzen würde. Das wollte sie auf keinen Fall riskieren. Sie glaubte zwar immer noch nicht an den Zauber, aber das kleine ovale Schmuckstück war wirklich wundervoll.

Sie knüpfte das Samtband im Nacken zusammen und betrachtete sich einen Moment lang.

Nichts.

„Zauberei, oder was?“, murmelte sie abfällig. Man konnte nicht gerade behaupten, dass ein Blitz direkt vom Himmel in ihr Inneres fuhr. Es kitzelte noch nicht einmal. Aber trotzdem machte das Medaillon den Eindruck, als säße es genau dort, wo es hingehörte.

Sie strich mit den Fingern darüber, während sie die Wohnung verließ, und murmelte irgendetwas über Aberglauben vor sich hin. Stimmt, dachte sie, als Dakota mit dem Medaillon am Set aufgetaucht ist, war ich ziemlich begeistert. Außerdem hatte ihr der Gedanke gefallen, dass es einst im Besitz einer Schönheit aus den Südstaaten gewesen war. Aber das war vor ein paar Wochen gewesen, als es um Dakotas Hals gehangen hatte.

Kenzie schaute auf die Uhr und unterdrückte ein verzweifeltes Stöhnen.

Wie konnte es sein, dass die Zeit so schnell verflog? In einer knappen halben Stunde musste sie im Studio sein, und es herrschte dichter Verkehr. In New York City musste man das hinnehmen. Der dichte Verkehr war eine Macht, mit der man Tag und Nacht zu rechnen hatte, und oft genug behielt diese Macht die Oberhand.

Beeil dich, mahnte sie sich selbst und verzichtete auf das Frühstück. Es musste auch ohne gehen. Sie war sich sowieso nicht sicher, ob ihr Magen die Nahrung bei sich behalten würde. Sie zog sich die Schuhe an, griff nach ihrer großen Handtasche, die ihr halbes Leben beinhaltete, und verließ das Apartment in Queen’s Garden in Richtung Garage.

Plötzlich stoppte sie. Sie würde nirgendwo hinfahren können.

Ein Umzugswagen blockierte die Ausfahrt ihrer Garage. Der Fahrer war vorwärts auf die Zufahrt gefahren und stieß mit der Motorhaube beinahe gegen ihren Wagen. Die rückwärtigen Türen des Trucks waren beide zur Seite geklappt, sodass jeder Passant ins Innere schauen konnte. Sie wollte wissen, wem der Truck und der Inhalt im Laderaum gehörten.

Es war weit und breit niemand zu sehen.

Verzweifelt zählte Kenzie die verrinnenden Minuten und stützte die Hände auf die Hüften. Sie ließ den Blick vor der Garage auf- und abschweifen. „Verdammt!“, fluchte sie laut und deutlich.

„Irgendwas nicht in Ordnung?“

Die Stimme hinter ihr klang abgründig tief und rau. Kenzie wirbelte erschrocken herum. Die Handtasche schwang ihr so heftig am Handgelenk, dass sie den Mann mit dem Bariton direkt in den Unterleib traf.

Als sie sich vollständig umgedreht hatte, fiel ihr Blick auf einen Riesen. Er überragte ihre einsfünfundsechzig um mindestens zwanzig Zentimeter. Der Mann beugte sich schmerzverzerrt vornüber, und die Farbe seines attraktiven Gesichts wandelte sich von Braun zu Aschgrau. Seine grünen Augen zogen sie sofort in den Bann.

Kenzie erschrak zutiefst, als sie merkte, was sie gerade getan hatte und wie er sich fühlen musste. „Du lieber Himmel, das tut mir wirklich leid. Kann ich irgendetwas für Sie tun?“, rief sie entsetzt.

„Sie könnten ein paar Schritte zurücktreten“, stieß Quade Preston hervor, während er versuchte, wieder normal zu atmen und die Fassung zurückzugewinnen. Im Moment schienen sie beide keinen klaren Gedanken fassen zu können.

„Oh, ja, natürlich.“ Kenzie trat zurück und starrte ihn immer noch mit weit aufgerissenen Augen an.

Sie kam sich vor wie David, nachdem er Goliath in die Knie gezwungen hatte. Wenn man davon absah, dass sie völlig unabsichtlich gehandelt hatte. Wenn es überhaupt jemanden gab, den sie auf diese Art treffen wollte, dann war es Jeff. Obwohl sie wusste, dass es nicht ganz fair war. Jeff hatte ihr niemals versprochen, die Sterne vom Himmel zu holen – oder auch nur am nächsten Morgen neben ihr aufzuwachen. Sie hatte nur angenommen, dass …

In jüngster Zeit fuhren ihre Gefühle Achterbahn. Im Moment war ihr gleichzeitig nach Lachen und Weinen zumute, obwohl sie wusste, dass beides unangemessen war – insbesondere das Lachen.

„Ich kann Eiswürfel zum Kühlen holen“, bot sie an, weil sie sich gerade daran erinnerte, dass ihrem Bruder Donald das Gleiche passiert war, als sie noch Kinder gewesen waren. Ihr Vater hatte die betroffene Körperregion sofort mit Eis gekühlt.

„Bleiben Sie mir bloß vom Leib“, stieß er hervor, klang aber diesmal schon weniger schmerzverzerrt.

2. KAPITEL

Okay, wenn er nicht will, dass ich ihm helfe, dann bin ich entschuldigt, dachte Kenzie und wollte gehen.

„Ich mache mich sofort aus dem Staub“, sagte sie zu dem zusammengekrümmten Mann. „Sobald Sie Ihren Truck weggefahren haben. Sie versperren meinem Mustang den Weg.“ Sie zeigte auf den leicht verstaubten roten Wagen in der Garage. Sie hatte ihn erst am letzten Wochenende gewaschen. Aber in New York war der Dreck ausgesprochen hartnäckig.

Quade musste sich gehörig zusammenreißen. Immer noch schmerzte sein ganzer Körper. Er fühlte sich verwundbar wie ein neugeborenes Kätzchen, und das Bild gefiel ihm ganz und gar nicht. Der kleine Blondschopf hatte ihn tatsächlich mit der Handtasche an der empfindlichsten Stelle getroffen.

Selbst das Atmen fiel ihm schwer. Quade biss sich heftig auf die Innenseite der Unterlippe, um zu verhindern, dass er irgendwelche Laute ausstieß, die zeigten, wie groß der Schmerz war. Mit einer Hand klammerte er sich am Truck fest, um nicht in die Knie zu gehen, und er zitterte immer noch.

„Gut“, presste er mühsam hervor, schluckte schwer und grub in der Tasche nach den Schlüsseln.

Irgendwie gelang es ihm, sich hinter das Steuer des Trucks zu klemmen, obwohl jede Bewegung höllisch wehtat. Er legte den Gang ein und bewegte das Fahrzeug so weit weg, dass Kenzie an ihren Wagen herankam.

„Danke“, sagte sie und stieg ein.

Als Kenzie an ihm vorbeifuhr, hatte er den Eindruck, dass sie ihn entschuldigend anlächelte. Quade vermied immer noch jede überflüssige Bewegung und verfolgte den roten Mustang mit dem Blick, während Kenzie langsam die Straße entlangfuhr.

Aus dem Auspuff drang eine dichte Qualmwolke. Sie verliert Öl, dachte er.

Quade seufzte und straffte vorsichtig den Körper. Er musste sich wieder an die Arbeit machen. Es blieb ihm genau ein Tag für den Umzug – heute –, bevor er seinen Arbeitsplatz am Wiley Memorial Research Lab antreten würde. Genau ein Tag, um ein neues Leben zu beginnen.

Und um endlich das alte Leben hinter sich zu lassen.

Es war kein guter Tag.

Zwei Mal wäre Kenzie beinahe zusammengebrochen. Beide Male war Dakota in ihrer Nähe. Um ein Haar hätte sie ihrer Freundin erzählt, dass sie schwanger war.

Aber jedes Mal war ihr die Kehle plötzlich wie zugeschnürt gewesen, und die Worte wollten ihr einfach nicht über die Lippen kommen. Schon seit Jahren hatte sie vor Dakota keine Geheimnisse mehr und betrachtete sie fast als Zwillingsschwester. Aber sie musste sich selbst erst an ihre Schwangerschaft gewöhnen, bevor sie es fertig brachte, mit anderen darüber zu reden.

Wider besseres Wissen hoffte sie immer noch, dass es einfach nur ihr Körper war, der aus irgendeinem Grund rebellierte. Sie beschloss, sofort ihre Frauenärztin aufzusuchen, und drängte die Arzthelferin, ihr kurzfristig einen Termin zu verschaffen.

Kenzie hatte Glück. Eine andere Patientin hatte abgesagt. Dr. Neuberts Arzthelferin Lisa schob sie auf mittags um eins. Ihr Magen rebellierte vor Nervosität, als Kenzie ihrer Freundin erklärte, dass sie zum Mittagessen gehen wolle, aber rechtzeitig zur Show zurückkommen werde. Hastig stürzte sie aus dem Gebäude.

Keine zwanzig Minuten später lag sie auf dem Untersuchungsstuhl und zählte die Flecken an der Decke, während Dr. Ann Neubert, seit fünf Jahren ihre Ärztin, sie untersuchte.

Kaum hatte Dr. Neubert die Untersuchung beendet, als Kenzie sich auch schon auf die Ellbogen stützte und vergeblich versuchte, den Gesichtsausdruck der Frau zu deuten.

„Mir fehlt etwas, stimmt’s?“, drängte sie und hoffte inständig auf eine Bestätigung.

Ann zog sich die Handschuhe aus und warf sie in den Mülleimer.

„Nein, Ihnen fehlt nichts“, meinte die Ärztin mit weicher Stimme und schaute ihre Patientin ermutigend an, als ob sie ahnte, was ihr durch den Kopf ging. „Babys machen das Leben bunter. Sie werden lernen, die Welt mit ganz anderen Augen zu sehen.“

Du lieber Himmel, es stimmt. Ich bin wirklich schwanger. Was um alles in der Welt soll ich jetzt nur tun?

Darauf war sie nicht vorbereitet. Nie und nimmer hatte sie damit gerechnet. „Das sagt sich so leicht“, murmelte sie vor sich hin. „Sie sind verheiratet.“

Es überraschte sie, dass die Ärztin die Patientenakte aus der Hand legte und sich auf den Tisch neben ihr setzte.

„Nein, war ich nicht, als ich damals erfahren hatte, dass ich schwanger bin“, erklärte Dr. Neubert mit ernstem Blick und lachte dann auf. „Meine älteste Tochter war das Resultat einer wilden, ungestümen Nacht am Strand mit einem attraktiven Journalisten, der am nächsten Tag nach Europa geflogen ist, um über den Krieg zu recherchieren.“

Kenzie erinnerte sich dunkel daran, dass die Frau zwei hübsche kleine Töchter hatte, und dazu einen noch attraktiveren Ehemann, der für eine große Zeitung arbeitete. „Ist Ihr Ehemann nicht auch Journalist?“

Ann zwinkerte. „Es ist ein und derselbe.“ Die Ärztin ergriff Kenzies Hände und gab ihr einen Moment lang das Gefühl von Ruhe und Sicherheit. Irgendwie würden sich die Schwierigkeiten schon klären. „Ich will damit nur andeuten, dass der Vater des Babys und Sie vielleicht …“

Die Ruhe verschwand. Kenzie schüttelte den Kopf. „Das wird nicht geschehen. Er ist zu seiner Frau zurückgekehrt, von der ich nicht wusste, dass es sie gibt.“ Sie zuckte hilflos die Schultern. „Vielleicht habe ich ihn auch nicht so geliebt, wie man jemanden liebt, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen will.“

Ann legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Die Probleme werden sich klären. Sie werden schon sehen. Auf die eine oder andere Art.“ Sie machte eine kleine Pause, bevor sie sich erhob, und betrachtete das Medaillon. „Hübsches Stück. Neu?“

Kenzie betastete den Schmuck. Bis jetzt hatte er sich als Blindgänger erwiesen. „Ja, es ist neu. Danke.“

Ann nickte und wühlte in der Kitteltasche. „Hier haben Sie meine Privatnummer. Wenn Sie reden wollen, können Sie mich jederzeit anrufen“, erklärte sie und verließ den Raum.

Sekunden später hatte Kenzie sich vom Untersuchungsstuhl erhoben. Sie musste sich um die Show kümmern.

An den Rückweg zum Sender konnte sie sich später nicht mehr erinnern. Ihre Gedanken versanken in einem einzigen Nebel, und immer wieder ging ihr nur ein einziger Satz durch den Kopf: Du bist schwanger. Du bist schwanger. Ihr Herz pochte heftig.

Sobald die Show abgewickelt war, rief sie Jeff an. Sogar jetzt verspürte sie noch ein flaues Gefühl im Magen, als sie die vertraute Nummer wählte. Aber es musste sein. Es führte kein Weg daran vorbei. Jeff hatte ein Recht, es zu erfahren. Und sie wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen.

Jeff hörte schweigend zu, während sie ihm hastig gestand, was passiert war. Als sie fertig war, verhielt er sich mitfühlend und bot Unterstützung an. Er zeigte sich genauso wie damals, als sie sich in ihn verliebt hatte.

Und dann sagte er: „Hör zu, Mac. Wenn du Geld brauchst, um es …“

„Nein“, unterbrach sie ihn, bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte.

„Du willst es also behalten?“ Er klang überrascht.

Natürlich will ich das Baby behalten, dachte sie entrüstet. Was sonst? Ihre Hormone schienen sofort verrückt zu spielen, so sehr missfiel es ihr, wie unmenschlich er über das Baby sprach. „Es ist ein Baby, Jeff. Kein ‚es‘.“

Er schwieg lange, als wollte er sich jedes Wort genau überlegen. „Ich möchte nicht der Vater dieses Kindes sein.“

„Ich weiß“, erwiderte sie mit fester Stimme. „Ich dachte nur, dass du ein Recht hast zu erfahren, dass jemand mit der Hälfte deines genetischen Materials herumläuft.“

Sie hätte schwören können, dass er erleichtert aufseufzte. Als er wieder das Wort ergriff, war er ganz der Alte. „Ich werde meinen Anwalt anweisen, dass er die Papiere für die Unterhaltszahlungen fertig macht.“

Irgendwie machte sie das nur noch wütender. „Als ob ich dich deshalb angerufen hätte.“

„Ich weiß. Aber ich will es so. Ich melde mich wieder bei dir.“ Er legte auf, als ob er befürchtete, dass sie ihm heftige Vorwürfe machen könnte.

Sie saß in ihrem kleinen Büro, legte den Hörer auf die Gabel und ließ es dabei bewenden, obwohl sich wieder ein flaues Gefühl in ihrem Bauch einstellte. Beinahe dort, wo ihr Baby langsam heranwuchs.

Irgendwie gelang es ihr, den Tag zu bewältigen. Sie wich Dakotas bohrenden Fragen aus und bereitete die Aufnahmen für den kommenden Tag vor. Anstatt bis nach sechs Uhr abends zu bleiben, wie es sonst für sie üblich war, verschwand sie, sobald sich die Gelegenheit dazu bot.

Unterwegs holte sie das Essen ab, das sie vom Büro aus bestellt hatte. Sie wollte so schnell wie möglich nach Hause und sich in ihrem Apartment einschließen. Sie wollte die Welt so lange aussperren, wie es nur irgend möglich war. Es war klar, dass sie ihren Zustand nicht bis in alle Ewigkeit würde geheim halten können. Obwohl sie wusste, dass manche Frauen dank geringer Gewichtszunahme und sehr weiter Kleidung genau das schafften.

Sie bezweifelte, dass sie solches Glück haben würde.

Der Umzugswagen parkte immer noch auf dem Gelände, als sie auf den Parkplatz hinter dem Gebäude einbog. Aber diesmal versperrte er ihr nicht die Zufahrt. Der Truck belegte drei freie Plätze auf dem Gästeparkplatz. Einige Mieter mit Gästen würden nicht gerade in Jubel ausbrechen.

Nicht mein Problem, dachte sie und lenkte ihren Mustang auf den leeren Parkplatz.

Die Tüte mit dem Essen fühlte sich warm an. Ihre Mahlzeit konnte also noch nicht ganz kalt geworden sein. Der Gedanke an warmes Essen tröstete sie.

Bis ich es in den Mund schiebe, dachte sie trocken. Danach sieht es wieder ganz anders aus.

Sie griff nach ihrer Tasche und nahm die Tüte mit dem Essen in die andere Hand. Auf dem Weg zu ihrem Apartment sah sie, dass die Tür zur Nachbarwohnung sperrangelweit offen stand. Beim Anblick eines Möbelstücks, das aus dem Umzugswagen stammen musste, spannte sie sich unwillkürlich an.

Das konnte nur heißen, dass der Mann, dem sie beinahe seine Männlichkeit geraubt hatte, ihr neuer Nachbar war. Kenzie biss sich auf die Unterlippe. Welchen Eindruck hatte sie bei der ersten Begegnung hinterlassen …

Sie linste in sein Apartment, konnte ihn aber nirgends entdecken und verkniff sich den Impuls, die Wohnung zu betreten. Sie hatte keine Lust, sich von ihm auch noch vorwerfen lassen zu müssen, unbefugt in sein Reich eingedrungen zu sein. Soweit sie es sehen konnte, herrschte im Wohnzimmer ein einziges Chaos. Überall standen Kartons herum. War er den ganzen Tag über umgezogen? Natürlich war er das. Die meisten Männer hatten ein schwieriges Verhältnis zu solchen Dingen. Männer behandelten Umzüge wie einen Großkampftag. Umzüge kamen gleich nach Krieg, Hungersnöten und Überschwemmungen.

Kenzie wusste genau, dass sie nach Hause gehen sollte, bevor ihr lauwarmes Essen eiskalt wurde. Aber schon als Kind hatte man ihr eine pathologische Neugier bescheinigt, und sie schaffte es nicht, sich von der Türschwelle zu lösen.

Gab es auch eine neue Nachbarin? Nichts deutete daraufhin. Die Einrichtung schien eindeutig einem Mann zu gehören, obwohl es auch Frauen gab, die eine klare Linie und sparsame Möblierung bevorzugten.

Immer noch keine Spur von ihm.

„Hallo?“, rief sie. Keine Antwort. Das zweite Mal rief sie etwas lauter.

Und bekam eine Antwort.

Quade kam aus dem hinteren Teil des Apartments. Als er sie erblickte, spannte er sich unwillkürlich an, obwohl seine Miene regungslos blieb. Sie trug etwas in einer braunen Papiertüte, und die mörderische Handtasche war von ihrem Handgelenk verschwunden. Er musterte sie ängstlich und schaute ihr schließlich in die Augen.

„Darf ich mir noch schnell ein Tablett suchen? Als Schutzschild, um weitere Angriffe abzuwehren.“

Kenzie lachte und schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. Sie wusste, dass es nicht nur auf den Lippen, sondern auch in den Augen leuchtete. „Tut mir leid wegen heute Morgen.“

„Schon gut.“ Er stieß das Wort hervor, als wollte er jede Unterhaltung im Keim ersticken.

Eigentlich war das ein Wink an Kenzie, sich zurückzuziehen. Aber sie fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihr Nachbar einen heimlichen Groll gegen sie hegte. Und es gehörte nicht viel dazu, zu erkennen, dass genau das der Fall war. Sie musste versuchen, den Schaden zu begrenzen.

Kenzie dachte an die braune Tüte, die sie in der Hand hielt.

Weil er ihr den Rücken zukehrte und das Klebeband von einem Karton abriss, der beinahe ihre Größe erreichte, machte sie einen Schritt in die Wohnung.

„Hungrig?“

Er würdigte sie keines Blickes. „Warum fragen Sie? Haben Sie eine Portion Rattengift zu verschenken?“

Sofort stellten sich ihr die Nackenhaare auf, aber sie zwang sich, ihre Stimme nicht feindselig klingen zu lassen. „Sie sind nicht besonders freundlich.“

Diesmal schaute er sie an. Es war die Art von Blicken, die selbst Männer mit einem schwarzen Gürtel in Karate zwei große Schritte zurücktreten lässt. „Normalerweise vermeide ich den Umgang mit Menschen, die versucht haben, mich zu kastrieren.“

„Es war ein Unfall.“

„Und Sie haben sich entschuldigt.“ Der Tonfall klang kalt und gab nicht zu erkennen, was ihm durch den Kopf ging, abgesehen davon, dass er im Moment gerade nicht gestört werden und sie abweisen wollte.

„Ja, das habe ich“, erwiderte sie beharrlich.

„Entschuldigung akzeptiert.“ Was muss ich noch machen, um diese Frau aus meinem Wohnzimmer herauszubekommen? fragte er sich genervt. Soll ich sie höchstpersönlich hinaustragen? Er fuhr fort, das Klebeband von dem Karton abzureißen, obwohl er heute gar nicht mehr auspacken wollte. „Sie haben Ihre Mission erfüllt.“

Kenzie unterdrückte einen Seufzer und machte sich auf den Weg, blieb dann aber abrupt stehen.

Nein, es kam nicht infrage, daraus eine Geschichte zu machen, die ihr noch tagelang im Kopf herumging. Sie wollte beweisen, dass sie eine freundliche Nachbarin war, und wenn sie ihn dazu am Fußboden festnageln musste.

„Nach der Arbeit habe ich kurz bei Sam Wong’s angehalten.“

„Schön für Sie.“ Stirnrunzelnd betrachtete er den Inhalt des Kartons. Offenbar war er falsch etikettiert worden. Die Sachen gehörten in die Küche. Gut, dann kann ich doch gleich ein paar Dinge auspacken, dachte er.

Er wirkte eine Spur freundlicher. Sie beschloss, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen. „Der beste chinesische Imbiss in der ganzen Stadt.“

Quade zerrte den Karton in die Küche und ignorierte die Frau, die in sein Apartment eingedrungen war, nach Kräften. „Ich werd’s mir merken.“

Sie folgte ihm in die kleine Küche. Die Hausverwaltung hatte den Raum reinweiß streichen lassen. Man musste fast die Augen zusammenkneifen, so sehr blendete es. „Ich habe mehr zum Dinner gekauft, als ich essen kann.“

Quade kramte in dem Karton herum und holte einen Stapel sorgfältig eingewickelter Teller heraus. Seine Schwester hatte sie eingepackt, während sie mit allen Mitteln versuchte, ihm den Umzug auszureden. Aber er war überzeugt, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Im Moment jedenfalls. Bis die Wunde etwas besser verheilt war.

„Pure Verschwendung“, gab er zurück.

Es fehlte nicht viel, und sie wäre explodiert. Warum behandelte er sie wie den letzten Dreck, während sie nur versuchte, ein nachbarschaftliches Verhältnis aufzubauen? „Möchten Sie probieren?“

Er stellte die eingewickelten Teller auf dem Schrank ab und schaute sie schließlich an. „Warum sollte ich Ihr Dinner probieren?“

„Vielleicht kann ich Ihrer schillernden Persönlichkeit nicht widerstehen.“

Einen Moment lang machte es den Eindruck, als wolle er sie am Kragen packen und achtkantig hinauswerfen. Aber dann überraschte er sie. Er lachte. Sekunden später hatte er sich wieder im Karton vergraben und zog den zweiten Stapel Teller hervor. „Dann müsste ich behaupten, dass Sie ein ernstes Problem haben.“

„Würde ich von mir nicht behaupten. Von Ihnen dagegen schon.“ Die Tüte in ihrer Hand wurde langsam schwer. Kenzie lehnte sich gegen den Küchenschrank. „Sind Sie immer so?“

Er hatte nicht die mindeste Ahnung, wovon sie gerade sprach. Er wusste nur, dass Carla viel zu viel eingepackt hatte. Er brauchte nur Geschirr für eine Person. Nicht für acht. Das war Ellens Revier gewesen. Sie war diejenige gewesen, die gern Menschen um sich herum hatte. Und er hatte nie jemanden anders als Ellen gemocht.

„Wie bin ich denn?“

„Wie der Kinderschreck Dennis the Menace.“

Er hörte auf, den Karton auszupacken, und schaute sie lange und durchdringend an. Zum Schluss ließ er den Blick demonstrativ auf ihrer Handtasche ruhen. „Nur wenn ich mit einem schrecklichen Kind wie Dennis konfrontiert werde.“

„Damit bin wohl ich gemeint.“

„Sehen Sie hier sonst noch jemanden?“

Entweder sie machte auf dem Absatz kehrt, wünschte ihn zur Hölle und zog sich in ihr Apartment zurück, oder sie versuchte es noch mal von vorn. Sie war von Natur aus optimistisch und hasste den Gedanken, mit anderen in Unfrieden zu leben. Also versuchte sie es noch einmal.

Sie legte die Handtasche auf den Tisch und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich glaube, unsere erste Begegnung war nicht besonders glücklich. Ich heiße Kenzie Ryan.“

Nachdenklich starrte er die ausgestreckte Hand an, als sei er überhaupt nicht darauf vorbereitet, sie zu schütteln. Dann zuckte er die Schultern und schloss seine festen, gebräunten Finger um ihre.

„Quade Preston.“ Er verzichtete darauf, sich mit seinem Doktortitel vorzustellen. Je weniger sie von ihm wusste, desto besser. Gleich darauf ließ er ihre Hand wieder los. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen. Ich habe zu arbeiten.“

Sie hatte es immerhin versucht.

„An Ihrer schillernden Persönlichkeit, nehme ich an.“ Kenzie machte auf dem Absatz kehrt, griff nach ihrer Tasche, strich das Friedensangebot aus ihrem Gedächtnis und wollte gehen.

Sie war fast an der Tür angekommen, als sie ihn sagen hörte: „Sie brauchen einen Ölwechsel.“

Kenzie stoppte abrupt und drehte sich herum. Fast war sie überzeugt, dass sie sich nur einbildete, seine Stimme gehört zu haben. „Wie bitte?“

„Einen Ölwechsel“, wiederholte Quade. „Ihr Wagen verliert Öl.“ Er stieß den halb geleerten Karton zur Seite. „Heute Morgen habe ich es bemerkt. Als Sie zur Arbeit gefahren sind.“

Kenzie kam zurück in die Küche. „Sie sind Automechaniker?“

Er schüttelte den Kopf und ging an ihr vorbei aus der Küche. Wie groß er ist, dachte sie unwillkürlich.

„Nur aufmerksam. Wie lange liegt der letzte Ölwechsel zurück?“ Seine tiefe Stimme drang aus dem Schlafzimmer zu ihr hinüber.

Kenzie musste nachdenken. „Ich meine mich zu erinnern, dass es geschneit hat.“

„Wäre praktischer, wenn Sie es mir anhand des Kilometerstands sagen könnten“, erklärte er und kam zurück ins Zimmer. „Alle dreitausend Kilometer ist die Faustregel.“

„Faustregel?“ Sie tat so, als würde sie ihre Faust untersuchen. „Hier steht nichts geschrieben. Aber … vielleicht haben Sie Lust auf einen chinesischen Imbiss?“

„Ihr Bad würde mich mehr interessieren.“

„Wie bitte?“

Er deutete mit dem Daumen über die Schulter, wo sein eigenes Bad lag. „Das Wasser in der gesamten Wohnung ist abgedreht. Die Leitung muss erneuert werden.“

„Dann können Sie nicht duschen.“

„Stimmt. Ich kann hier gar nichts machen.“

Kenzie begriff, dass er dringend ein Bad brauchte, und lud ihn ein, ihr zu folgen. „Verstehe. Kommen Sie doch mit.“

Sie durchsuchte die Handtasche nach dem Schlüsselbund, und kurz vor ihrer Wohnung hätte sie beinahe den gesamten Inhalt ausgekippt. Im letzten Moment gelang es Quade, ihr die Tasche abzunehmen, und er musterte ihre Waffe mit einer Mischung aus Respekt und Geringschätzung. „Was verstecken Sie eigentlich in der Tasche?“

„Mein ganzes Leben“, erwiderte sie und zog den Schlüsselbund heraus.

Er stellte fest, dass sie mindestens fünfzehn Schlüssel am Bund hatte. „Wie viele Türen müssen Sie aufschließen, um Ihre Wohnung zu betreten?“

„Sie werden sich wundern.“ Es gab nur ein Schloss zu ihrer Wohnung und einen Autoschlüssel. Alle anderen Schlüssel hatten mit ihrer Arbeit zu tun. „Ich bin Produktionsassistentin.“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu, während sie den Schlüssel ins Schloss steckte.

Kenzie bemerkte, dass er nicht besonders beeindruckt war. Und langsam bezweifelte sie, dass überhaupt irgendetwas auf der Welt diesen großen, dunklen, ernsten und unglaublich attraktiven Mann beeindrucken konnte.

3. KAPITEL

Kenzie wartete darauf, dass Quade sie höflich fragte, wo sie als Produktionsassistentin beschäftigt war. Aber hinter ihrem Rücken herrschte nur Schweigen, während sie die Tür aufschloss.

Daher ergriff sie die Initiative. Es kostete sie kaum Überwindung, denn sie war von Natur aus überschwänglich und ungeduldig. „Ich arbeite für … And Now a Word from Dakota.

Ihre Bemerkung schien Quade zu überraschen. „Und was ist das?“

Sie öffnete die Tür. „Die Show, die ich produziere.“

Er schüttelte den Kopf. „Tut mir leid. Nie gehört.“ Offenbar merkte er, dass er zu ruppig geklungen hatte, und er fügte hinzu: „Ich stamme nicht aus dieser Gegend.“

Ihre Augen glitzerten neugierig, während sie den Schlüssel in die verborgenen Regionen ihrer riesigen Handtasche zurückfallen ließ. „Oh, woher kommen Sie denn?“

Quade schaute sich um. Ihr Apartment war ähnlich geschnitten und eingerichtet wie seines, nur spiegelverkehrt. Und es wirkte wesentlich weiblicher. „Sie stellen eine Menge Fragen.“

„Nur wenn ich freiwillig keine Auskünfte bekomme.“ Sie neigte den Kopf zur Seite und betrachtete ihn neugierig. Sein Gesichtsausdruck wirkte völlig unbeteiligt. Wie sieht er eigentlich aus, wenn er lächelt? fragte sie sich. Oder wenn er entspannt ist? Kann er sich überhaupt entspannen? Vorhin hatte er gelacht, allerdings nur wenige Sekunden lang. Als sie ihn angesehen hatte, war das Lachen bereits wieder verklungen. „Sie sind weder besonders mitteilsam noch besonders neugierig, nehme ich an?“

„Ich darf wohl annehmen, dass Sie neugierig genug für zwei sind.“ Weil Kenzie aussah, als warte sie auf eine eindeutigere Antwort, fügte er hinzu: „Sie haben recht. Ich bin nicht besonders neugierig.“ Nicht ganz richtig, korrigierte er sich insgeheim. „Andere Menschen interessieren mich jedenfalls nicht besonders.“

„Und was interessiert Sie?“

„Krankheiten.“

„Ist das nicht ein wenig morbide?“

„Nein. Es geht darum, Menschen das Leben zu retten.“

„Sie retten anderen Menschen das Leben?“, hakte sie nach, als er schwieg.

Quade reichte es. Er hatte sich nachbarschaftlich und freundlich benehmen wollen, aber langsam beschlich ihn das Gefühl, dass er bis zum Ende des Jahres genug geplaudert hatte. Vielleicht sogar noch darüber hinaus.

„Wo ist Ihr Bad?“, drängte er und erinnerte sie daran, weshalb er überhaupt zu ihr in die Wohnung gekommen war.

„Hier entlang.“ Sie zeigte in den hinteren Teil der Neunzig-Quadratmeter-Wohnung. „Direkt neben meinem Schlafzimmer.“

„Danke“, murmelte Quade und verließ sie eilig, bevor sie ihn weiter aushorchen konnte.

Kenzie blieb einen Moment im Flur stehen. Wenn ihr neuer Nachbar nicht so verflixt gut aussehen würde, wäre er das perfekte Abbild eines verrückten Wissenschaftlers. Aber er war wirklich ausgesprochen attraktiv, und sein Anblick erinnerte sie unwillkürlich an Männer beim Beach-Volleyball. Man brauchte nicht viel Fantasie, um sich die wohlgeformten Muskeln unter dem T-Shirt vorzustellen. Bestimmt hatte er einen Waschbrettbauch, bei dem man die Muskelstränge einzeln zählen konnte …

Dieser Mann kann jede Frau erobern, die ihm gefällt, dachte sie unwillkürlich.

Hast du dem männlichen Teil der Bevölkerung nicht abschwören wollen? erinnerte sie sich und ging in die Küche. Kopfschüttelnd stellte sie die braune Tüte mit dem Essen auf den kleinen Tisch, an dem vier Hocker standen.

Es kam überhaupt nicht infrage, auch nur einen einzigen Gedanken an ihn zu verschwenden. Im Moment bin ich sowieso nicht zu haben, redete sie sich ein. Und selbst wenn, ich bin schwanger. Damit sind Männer für mich erledigt.

Aber das hieß noch lange nicht, dass sie nicht freundlich sein durfte. Ich bin immer freundlich, dachte Kenzie und fuhr sich unwillkürlich mit der Hand durchs Haar. Sie brauchte Freunde, die sie das Chaos vergessen ließen, in das ihr Leben in den letzten Wochen gestürzt war.

Ihr Appetit ließ bereits merklich nach, obwohl sie nicht einen Bissen zu sich genommen hatte. Sie stellte ein Gedeck auf den Tisch und ließ die Hand kurz auf der Schublade ruhen, als sie überlegte, ob sie für Quade ebenfalls decken sollte.

Er hatte nicht gesagt, ob er bleiben oder gehen wollte. Aber sie hielt es für eine nachbarschaftliche Geste, ihn an seinem ersten Abend in der neuen Wohnung zu einem kleinen Imbiss einzuladen, und legte kurz entschlossen eine Gabel neben den Extra-Teller.

Als sie hörte, dass er die Badezimmertür öffnete, hatte sie gerade die Schachteln aus der immer noch warmen Papiertüte genommen. Sie knüllte die Tüte zusammen, warf sie zum Altpapier und bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass Quade auf dem Weg zur Wohnungstür war.

Sie verließ die Küche und ging zur Tür. „Sie haben mir immer noch nicht verraten, woher Sie stammen.“

„Richtig. Habe ich nicht.“

„Warum?“, drängte sie. „Ist es ein Geheimnis?“

„Sind hier alle Nachbarn so wie Sie?“

„Befürchten Sie, dass wir eine Inquisition veranstalten?“

Quade lachte kurz, obwohl die Mundwinkel sich nicht einen Millimeter nach oben bewegten. „Nein, ich wollte wissen, ob alle so neugierig sind. Aber wir können uns auch gern auf Ihre Formulierung einigen.“

„Ich kann natürlich nicht für alle sprechen“, gab Kenzie zu. „Aber die Frau, die vor Ihnen in Ihrem Apartment gewohnt hat, ist ihren Mitmenschen mit ausgesprochen gesundem Interesse begegnet. Und sie hat sich sehr dafür interessiert, was im Haus vor sich geht.“

„‚Gesundes Interesse‘? Soll das heißen, dass sie am liebsten jeden neuen Bewohner an einen Lügendetektor angeschlossen und ihn mit Fragen bombardiert hätte?“

Sie lächelte bei seinem Vergleich, und er dachte spontan, dass ihr Apartment plötzlich in hellerem Licht erstrahlte. „So ungefähr.“

„Ich komme aus Chicago.“

Sie nickte und freute sich, dass er den Schritt gewagt hatte. „Ich bin ursprünglich aus Boston.“

Aber er war nicht gekommen, um zu plaudern. Es interessierte ihn nicht im Geringsten zu erfahren, wer seine Nachbarn oder Arbeitskollegen waren und was sie machten. Er wollte nur seiner Arbeit nachgehen – und vergessen.

„Ich kann mich nicht erinnern, Sie danach gefragt zu haben.“

„Stimmt. Deshalb habe ich es Ihnen freiwillig erzählt.“ Ihre Augen glitzerten, als sie ihn anschaute. „Was wollen Sie sonst noch wissen?“

Quade verzog das Gesicht. Er hatte schon viel zu viel Zeit verschwendet. „Noch nicht einmal das möchte ich wissen.“

Sie lächelte weiter. „Solche Antworten nennt man wohl ‚brutal ehrlich‘.“

„Solche Antworten gibt man, wenn man jemandem zu verstehen geben will, dass er seine Nase nicht in fremde Angelegenheiten stecken soll.“ Er wollte die Wohnung verlassen, hielt aber nochmals inne. „Ich dachte, dass die Menschen in New York sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.“

„Das ist nur üble Nachrede von irgendjemandem, der sich noch nie im Leben die Mühe gemacht hat, seine Nachbarn wirklich kennen zu lernen.“ Nachdem sie ihre Salve abgefeuert hatte, schaute sie ihn an und lächelte strahlend.

Ellen hat genauso gelächelt, dachte Quade plötzlich und stellte fest, dass es ihm das Herz wärmte.

Abrupt straffte er sich, als könnte er die Erinnerungen durch eine starre Körperhaltung verscheuchen. „Ich muss weiter auspacken.“ Mit einem Nicken deutete er in den hinteren Teil des Apartments. „Danke, dass ich Ihr Bad benutzen durfte.“

„Jederzeit wieder.“ Sie kam näher. „Und ich kann Sie wirklich nicht für ein Rührei begeistern? Noch nicht einmal ein bisschen?“

„Nein, danke, ich habe schon gegessen“, erklärte er. „Einen Burger und Pommes frites.“

„Aber Sie hatten bestimmt noch keinen Nachtisch“, platzte sie heraus, wirbelte herum und überflog den Inhalt der Papiertüte mit dem Blick. Sie griff nach einem chinesischen Glückskeks und bot ihn Quade an.

„Danke“, sagte er.

Es sah aus, als wollte er den Keks geradewegs in die Tasche stecken, ohne sich die Botschaft anzuschauen. Und in der Tasche würde er wahrscheinlich bleiben, bis er die Hose in die Waschmaschine stopft. Falls er die Taschen seiner Hose überhaupt leert, bevor er selbige wäscht, überlegte Kenzie.

Sie ergriff sein Handgelenk, bevor er die Hand in die Tasche stecken konnte. Überrascht schaute er sie an. „Wollen Sie ihn nicht auspacken? Ich weiß, Sie behaupten, dass Sie nicht im Geringsten neugierig sind, aber ich finde es immer lustig, die Botschaften von Glückskeksen zu lesen.“

„Dann behalten Sie ihn doch besser“, erwiderte er und wollte ihn ihr zurückgeben.

Aber sie hob die Hände und verweigerte die Annahme. „Nein. Es bringt Unglück, einen verschenkten Glückskeks wieder zurückzunehmen. Er gehört jetzt Ihnen.“

Quade seufzte, riss die Verpackung auf, zog den weißen Zettel heraus und rollte ihn auf. „Du bist dem Schicksal in die Arme gelaufen“, las er laut vor.

Nein, falsch, dachte er unwillkürlich. Das Schicksal ist aus meinem Leben verschwunden. Mit dem letzten Atemzug, den Ellen gemacht hat. „Zufrieden?“, fragte er Kenzie.

„Fürs Erste ja“, erwiderte sie wahrheitsgemäß.

Immerhin lügt sie nicht. Quade nickte ihr kurz zu und verschwand.

Kenzie rannte ihm nach. „Melden Sie sich ruhig, wenn Sie etwas brauchen!“, rief sie ihm nach.

Er nickte kurz und herablassend, bevor die Tür mit einem Klicken hinter ihm ins Schloss fiel.

„Der Typ sieht verdammt gut aus.“

Kenzie erschrak und unterdrückte einen Schrei. Sie drehte sich um und erblickte eine kleine, etwas rundliche ältere Dame in der Tür zur übernächsten Wohnung. Die Frau hatte das silbrige Haar kurz geschnitten und sah aus, als sei sie Ende fünfzig, vielleicht auch Anfang sechzig. Ihre blauen Augen glitzerten, als sie Quade nachschaute, und sie streichelte den Hund, den sie eine Spur zu fest an der Leine hielt. Es handelte sich um einen Jack-Russell-Terrier, der durch sanftes Knurren zu verstehen gab, dass er es hasste, unentwegt getätschelt zu werden.

„Ein neuer Nachbar“, stieß Kenzie hervor und nickte in Richtung Quades Wohnung.

Plötzlich verspürte sie keinen Hunger mehr, und sie hatte auch keine Lust mehr, allein zu sein, obwohl sie sich den ganzen Nachmittag eingeredet hatte, dass sie sich nach Einsamkeit sehnte. Sie ging zu der alten Dame hinüber. Die Frau kam ihr nicht im Geringsten bekannt vor. Kenzie würde sich mit Sicherheit an jemanden erinnern, der problemlos die Hauptrolle in einem Film über Frau Holle spielen könnte.

„Darf ich fragen, ob Sie auch gerade erst eingezogen sind?“

„Ich?“ Unwillkürlich legte die alte Dame die Hand auf den ausladenden Busen und lachte herzlich. Es klang voll und tief und passte nicht unbedingt zum engelsgleichen Aussehen der Frau. „Nein. Cyrus und ich leben hier schon seit einer Ewigkeit.“

„Cyrus?“

„Mein Hund.“

„Aha.“ Kenzie musterte die Frau aufmerksam. Nein, sie kam ihr überhaupt nicht bekannt vor. „Tut mir leid. Mein Terminkalender ist übervoll. Vermutlich sind wir uns einfach noch nicht über den Weg gelaufen.“

Die alte Dame lächelte wie ein Engel. „Sie haben recht. Ich muss gestehen, dass ich nichts dagegen einzuwenden hätte, dem jungen Mann über den Weg zu laufen.“ Die Frau linste an Kenzie vorbei, als ob sie hoffe, noch einen Blick von Quade zu erhaschen. Aber die Tür zu seiner Wohnung blieb verschlossen. „Er war den ganzen Tag mit dem Umzug beschäftigt.“

Kenzie nickte. „Ich weiß.“

„Wissen Sie auch, wie er heißt?“, fragte die Frau neugierig.

„Quade Preston.“ Kenzie gefiel der Klang seines Namens. Männlich und stark.

Der alten Dame schien der Name ebenfalls im Kopf herumzugehen. „Hört sich ausgesprochen maskulin an. Er macht keinen besonders freundlichen Eindruck, aber das kann daran liegen, dass er hier neu ist“, vermutete sie. „Wer schüchtern ist, verhält sich oft abweisend, glauben Sie nicht auch?“

„Ja, kann sein.“

Wie auf ein Fingerschnipsen schien die alte Dame aus ihrer Trance gerissen. Verwirrt wandte sie den Blick von Quades Apartment ab und schaute Kenzie an.

„Wo bleiben meine Manieren?“ Die Frau streckte Kenzie die Hand entgegen. „Ich heiße Agnes Bankhead. Meine Freunde nennen mich Aggie.“ Ihre Augen strahlten, als Kenzie ihre Hand ergriff. „Ich glaube, wir werden Freunde. Wenn Sie mir Ihren Namen verraten.“

Kenzie mochte die alte Dame auf Anhieb. Irgendetwas an Aggie erinnerte sie an ihre verstorbene Tante. Eigentlich war Sara die Tante ihres Vaters, aber im Herzen war sie so jugendlich gewesen, dass sie um viele Jahre jünger gewirkt hatte als ihr Vater.

„Kenzie.“

Aggie neigte den Kopf zur Seite, sodass ihr die kurzen silbergrauen Locken um die Wangen flatterten. „Vorname oder Nachname?“

„Der Nachname meiner Mutter, mein Vorname.“ Sie trug den Familiennamen ihrer Mutter. „Kenzie Ryan.“

Die alte Dame schüttelte ihr kräftig die Hand, bevor sie sie losließ. „Kenzie Ryan, schön, Sie kennen zu lernen.“

Kenzie wunderte sich noch immer, dass sie sich zum ersten Mal begegneten. Wenn man nebeneinander in einem Haus lebte, hätte man annehmen können, dass man sich schon viel früher über den Weg lief. „Was hatten Sie gesagt, wie lange Sie schon hier wohnen?“

„Sie fragen sich, warum wir uns nicht schon früher begegnet sind, nicht wahr?“, meinte Aggie wissend. „Das hat seine Gründe. Ich arbeite zu Hause.“ Sie deutete auf ihre Wohnungstür. „Ich klebe förmlich an meinem Computer. Bis letzte Woche habe ich als freiberufliche Grafikerin gearbeitet.“ Sie beugte sich vor, als wolle sie ein Geheimnis verraten. „Als freie Grafikerin muss man sich nach Kräften anstrengen, um sein Brot zu verdienen. Viele scheitern früher oder später.“

Sie hielt abrupt inne und schaute zu den tiefgrauen Wolken am Himmel. „Sieht nach Regen aus. Kommen Sie doch zu mir in die Wohnung, wir können uns dort weiter unterhalten.“

Kenzie freute sich über die Einladung. „Gern“, erwiderte sie und folgte Aggie und ihrem Hund in das gemütliche Apartment. „Und was ist letzte Woche passiert?“

Aggie schloss die Tür und ließ den Hund los, der sich sofort auf seinem Lieblingsplatz niederließ.

„Letzte Woche habe ich gründlich über mein Leben nachgedacht und festgestellt, dass ich es leid bin, auf Kundenfang zu gehen. Ich möchte in Zukunft nur noch das tun, was mir Spaß macht … und anderen auch.“

„Und was ist das?“

Aggie grinste von einem Ohr zum anderen. Wenn sie so lächelte, konnte man leicht denken, dass sie erst Mitte dreißig war. „Stand-up-Comedy.“

Kenzie starrte sie an. Es dauert Jahre, bis man sich zu einem erfolgreichen Künstler entwickelt. Jahre, in denen man durch die Clubs tingelt, in denen mehr halbseidene Gestalten an der Bar herumlungern, als seriöse Gäste an Tischen sitzen. Sie musste die alte Dame falsch verstanden haben. „Wie bitte?“

Die blauen Augen glitzerten wissend. Und sie schienen zu lachen. „Sie befürchten, dass ich den Verstand verloren habe, stimmt’s?“

„Nein, ganz bestimmt nicht. Ich bin der Meinung, dass jeder versuchen sollte, sich seine Träume zu erfüllen.“

„Nicht unbedingt mit zweiundsiebzig.“

„Zweiundsiebzig?“, wiederholte Kenzie ungläubig. „Sie sind zweiundsiebzig?“

„Ja.“ Aggie legte eine Hand auf Kenzies Rücken und führte sie sanft in die anheimelnde Küche. Auf den Tapeten prangte ein Blumenmuster, das den Raum noch wärmer erscheinen ließ. „Ich weiß, ich sehe keinen Tag älter aus als einundsiebzig. Es liegt an den Genen, die ich von meiner Mutter geerbt habe.“ Sie schaltete die Kaffeemaschine an und stellte die Kanne unter den Filter. Heißes Wasser tröpfelte in die Kanne. Dann drehte sie sich wieder um und lehnte sich gegen die Ablage. „Man erzählte mir, dass meine Ur-Ur-Urgroßmutter in meinem Alter noch aussah wie fünfzehn. Was soll man dagegen machen?“ Sie ging zur Abstellkammer, öffnete die Tür und griff ins Innere. „Tee?“, fragte sie über die Schulter.

Vielleicht hat Aggie wirklich das gewisse Etwas, überlegte Kenzie. Die Frau ist amüsant und unterhaltsam. Vielleicht ist sie originell genug, um sich in der Comedy-Szene durchzusetzen.

„Äh, ja, bitte.“

Aggie stellte die Schachtel mit den Teebeuteln vor Kenzie auf die Küchenablage. Das kalte Wasser war durch die Maschine gelaufen und erhitzt. „Earl Grey, stimmt’s?“ Sie griff nach einer Tasse und einer Untertasse. „Keine Milch.“

Kenzie war Teetrinkerin in einem Land von Kaffeekonsumenten. Und sie trank ihren Tee genau so, wie Aggie ihn angeboten hatte. Es passierte nicht oft, dass ihr auf Anhieb die richtige Sorte angeboten wurde.

„Woher wissen Sie das?“, fragte sie verwundert.

Das heiße Wasser floss dampfend über den Teebeutel. Aggie stellte die Kanne ab, wartete einen Moment und schwenkte den Teebeutel dann volle fünf Minuten lang im Wasser, bis sie ihrem Gast die Tasse anbot.

„Manchmal habe ich übersinnliche Kräfte. Das habe ich auch von meiner Mutter geerbt“, gestand sie stolz. „Sie ist aus Schottland nach Amerika gekommen. Als junges Mädchen. Viele Menschen hatten das zweite Gesicht. So nannte man es damals.“

Kenzie hatte den Tee noch nicht angerührt.

„Trinken Sie, solange er heiß ist, meine Liebe“, fügte sie hinzu. „Der Tee wird Ihren Magen beruhigen.“

„Wie kommen Sie darauf?“, fragte Kenzie und musterte die alte Dame durchdringend.

Aggie erwiderte den Blick mit einer Unschuldsmiene. „Das Baby bringt Sie reichlich durcheinander, nicht wahr, meine Liebe?“

Kenzie stand der Mund offen.

4. KAPITEL

„Woher wissen Sie …“ Kenzie bemerkte, dass ihre Frage bereits ein Eingeständnis war, riss sich zusammen und begann noch einmal von neuem. „Ich meine, wie kommen Sie darauf, dass ich schwanger sein könnte?“

Weil sie keine Anstalten machte, ihren Tee zu trinken, drückte Aggie ihr die Tasse mit sanftem Druck in die Hände. „Sie sehen irgendwie danach aus. Wenn ich einer Frau in die Augen schaue, dann sehe ich ihr mehr oder weniger an, ob sie ein Baby erwartet oder nicht. Außerdem war ich einmal Hebamme.“ Sie lächelte, als sie Kenzies verunsicherten Gesichtsausdruck sah. „Ich war nicht immer Grafikerin. Aber keine Sorge, es bleibt unser Geheimnis. Schließlich geht es niemanden etwas an.“ Sie beugte sich vor. „Wussten Sie, dass eine Prise Ingwer im Essen gegen die morgendliche Übelkeit hilft?“

Das war ihr ebenso neu wie die Tatsache, dass sie schwanger war. „Ingwer? Hilft auch Ginger Ale?“ Sie hatte gehört, dass einige Frauen auf Mineralwasser und Salzgebäck schworen. Aber ihre Übelkeit hatte sich dadurch nur noch verschlimmert.

„Nein, besser ist das Gewürz.“ Aggie holte eine kleine Blechdose aus der Abstellkammer und stellte sie neben die Schachtel mit den Teebeuteln. „Streuen Sie ihn über das Essen. Es beruhigt Ihren Magen.“ Die alte Dame lächelte mütterlich. „Bald haben Sie es hinter sich.“

„Im Moment steht es mir noch bevor“, entgegnete Kenzie, schaute auf ihren superflachen Bauch und stellte sich vor, wie rund und prall er in wenigen Monaten aussehen würde.

Aggie nickte zustimmend. „Noch nicht einmal jetzt verlieren Sie Ihren Humor. Das gefällt mir.“ Sie tätschelte Kenzie die Hand. „Sie werden es schon schaffen. Mit einer gehörigen Portion Humor übersteht man selbst die schwierigste Situation.“

„Vermutlich haben Sie recht. Sie sehen wirklich viel jünger aus, als Sie es in Ihrem Alter eigentlich müssten. Ich hatte Sie auf Mitte fünfzig geschätzt.“

Aggie freute sich sichtlich über das Kompliment und lächelte strahlend. „Ich glaube, wir werden dicke Freunde, meine Liebe.“ Sie deutete auf die Tasse. „Und jetzt trinken Sie Ihren Tee, solange er noch heiß ist.“

„Ja, Ma’am.“ Kenzie hob die Tasse und trank.

Als sie in ihre Wohnung zurückkehrte, war die Mahlzeit aus dem chinesischen Imbiss eiskalt geworden. Aggie hatte ihr Chicken à la King mit dampfendem Reis serviert, und als Kenzie ihr erklärte, dass es als Kind ihr Lieblingsgericht gewesen war, hatte die alte Dame vergnügt gelächelt.

Sie hatte ein wenig Ingwer über die Mahlzeit gestreut, Kenzie zugezwinkert und versprochen, dass sie sich am nächsten Morgen wie neugeboren fühlen würde.

Kenzie hegte zwar ihre Zweifel, aß aber mit überraschendem Appetit.

Zu Hause verfrachtete sie die chinesische Mahlzeit in die Gefriertruhe, räumte auf und ging zu Bett.

Eigentlich war sie es gewohnt, sich unruhig hin- und herzuwälzen. Aber heute fiel sie sofort in einen tiefen Schlaf.

Ein Klingeln an der Tür riss Kenzie aus dem Schlaf. Das Geräusch schlingerte durch ihre Träume, bis ihr bewusst wurde, woher es stammte.

Langsam öffnete sie die Augen und schaute gewohnheitsmäßig auf die Uhr auf dem Nachttisch. Erschrocken fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, den Wecker zu stellen. Das Klingeln hatte sie eine halbe Stunde vor der Zeit geweckt, zu der sie aufstehen musste.

Mühsam richtete sie sich auf. Wer konnte das sein?

Jeff, der plötzlich sein Herz für sie entdeckt hatte?

Kenzie schlug die Decke zur Seite, sprang aus dem Bett und schlüpfte in den kurzen Morgenmantel, den sie ans Fußende des Bettes auf die Decke gelegt hatte. Barfuß und schlaftrunken stolperte sie zur Tür.

„Du bist zurück!“, rief sie, noch bevor sie die Tür ganz geöffnet hatte.

Sekunden später verstummte sie enttäuscht.

Das Klingeln hatte sie aus dem Tiefschlaf gerissen, und die Traumreste geisterten ihr immer noch durchs Hirn. Auf der anderen Seite stand der halb nackte Quade. Sie schluckte schwer. Die Zunge klebte ihr am Gaumen.

Ihre Vermutung über seinen Bauch bestätigte sich. Er hatte tatsächlich einen Waschbrettbauch. Die verwaschenen Jeans hingen ihm an den schlanken und straffen Hüften. Der Anblick hätte die Männer hordenweise ins Fitness-Studio getrieben, weil sie sich der Illusion hingeben würden, es ihm nachmachen zu können.

Ihr Gruß schien ihn erschreckt zu haben. „Ja, bin ich“, gab er zu und schien sich zu wundern, dass sie so aufgeregt war, nur weil er vor ihrer Tür stand. „Immer noch kein fließendes Wasser.“

Sie blinzelte und stellte fest, dass Quade ein großes Handtuch und eine kleine Kulturtasche, die zweifellos Seife und Rasierzeug enthielt, bei sich trug. Er deutete in den hinteren Teil ihrer Wohnung. „Ich dachte …“

Es ist ihm ausgesprochen peinlich, stellte sie fest, und es muss ihm schwer gefallen sein, ein zweites Mal bei mir aufzutauchen. Man musste kein großer Menschenkenner sein, um festzustellen, dass er es gar nicht schätzte, andere Leute um einen Gefallen zu bitten. Er war anderen ungern etwas schuldig, ganz gleich, wie nichtig der Anlass war.

Kenzie trat zurück und öffnete die Tür weiter. „Ja, selbstverständlich. Kommen Sie herein.“

Er trat über die Schwelle und drehte sich nach ihr um, während sie versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen. „Sie haben jemanden anders erwartet, stimmt’s?“

Sie presste die Lippen aufeinander, überlegte, ob sie lügen sollte, und schüttelte dann den Kopf. „Nein.“

„Aber die Begrüßung …“

Sie unterbrach ihn, bevor er weitere Fragen stellen konnte. Das Thema war für sie erledigt. „War nicht für Sie bestimmt.“ Zu ihrer Überraschung spielte ein oberflächliches Lächeln um seine Mundwinkel. Am liebsten hätte sie seine Lippen mit den Fingerspitzen berührt, um zu überprüfen, ob sie sich das Lächeln nicht einbildete. Aber sie konnte sich beherrschen. „Was?“

Er lächelte weich und sexy. „Sieht aus, als wäre ich nicht der Einzige, der abweisend reagiert, wenn die Lage es erfordert.“

Quade beobachtete, wie sie den Gürtel ihres Morgenmantels enger zusammenzog. Trotzdem konnte man ihren Körper immer noch gut erkennen. Der Stoff war fast durchsichtig und bedeckte ein kurzes, sexy Nachthemd, das aus dem gleichen Material gearbeitet war. Der Saum des Morgenmantels und des Nachthemdes spielten verführerisch um ihre Oberschenkel.

Kenzie war klein, aber trotzdem erweckte es den Eindruck, dass sie lange Beine hatte. Lange, wohlgeformte Beine, die das Auge zu einer Fantasiereise über ihren Körper einluden.

Als ob du dafür Zeit hättest, mahnte Quade sich selbst. Er musste das Leben, das ihm aus den Händen geglitten war, wieder aufnehmen. „Ich halte Sie nicht davon ab, selbst zu duschen, oder?“

„Sie können gern duschen, wenn Sie wollen“, erwiderte sie und zuckte gleichgültig die Schultern. „Ich koche inzwischen Kaffee für Sie.“

„Trinken Sie selbst keinen Kaffee?“, hakte er nach, während er an ihr vorbeiging.

„Tee“, erklärte sie.

„Stürzen Sie sich nicht in Arbeit mit dem Kaffee“, lehnte er ab. „Ich bin sowieso in Eile. Wenn ich mich irgendwo neu vorstellen muss, brauche ich meine Zeit.“

„Fangen Sie einen neuen Job an?“, fragte sie interessiert.

„Ja“, stieß er unwirsch hervor und eilte ins Bad.

Angestrengt versuchte sie, nicht darauf zu achten, wie weit der Bund seiner ausgeblichenen Jeans schon heruntergerutscht war und dass sie mit jedem Schritt weiter hinunterzurutschen drohte.

Sie strengte sich so sehr an, dass es ein paar Minuten dauerte, bis sie bemerkte, dass sie heute Morgen nicht als Erstes zur Toilette gerannt war und dass ihr der Magen nicht in der Kehle zu hängen schien wie in den letzten Wochen.

Erst als sie nach den Teebeuteln griff, stellte sie fest, dass die Übelkeit ausgeblieben war. Verwundert hielt sie inne und wartete auf eine verspätete Welle. Nichts passierte.

„Es funktioniert tatsächlich“, murmelte sie erfreut. Der Ingwer tat seine Wirkung. Aggie hatte recht behalten.

Kenzie lächelte, als sie tief durchatmete und den Atem einen Moment lang anhielt, bevor sie ihn wieder aus den Lungen ließ. Es fühlte sich gut an, den Morgen wie ein menschliches Wesen zu begrüßen und nicht wie ein Häufchen Elend, vor dem sich sogar ein Hund verkriechen würde.

„Danke.“

Kenzie stand am Herd und bereitete gerade das Frühstück zu, als ihr die tiefe Männerstimme ins Bewusstsein drang. Sie drehte sich um.

Quade stand nur wenige Schritte von ihr entfernt und sah aus, als wolle er gleich gehen. In seinem Haar und auf seiner Brust glitzerten immer noch ein paar Wassertropfen. Es enttäuschte sie ein wenig, dass der sexy Stoppelbart verschwunden war, aber er trug äußerst attraktive Boxershorts. Das feuchte Handtuch hatte er sich über die Schulter geworfen.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Kenzie die Sprache wiederfand, und sie bemühte sich um ein freundliches Lächeln. „Warum bleiben Sie nicht zum Frühstück?“ Sofort bemerkte sie, dass er widersprechen wollte, und entschloss sich, logisch zu argumentieren, weil sie annahm, dass ihm das gefallen würde. „Wenn Sie sich selbst etwas kochen, können Sie nicht abwaschen. Außerdem haben Sie kein Wasser zum Kaffeekochen.“

„Ich frühstücke eigentlich nie“, lehnte er ihr Angebot ab, „und soweit ich sehe, gibt es in dieser Stadt alle paar Meter eine Espressobar, wo ich einen Kaffee trinken kann.“

„Im Unterschied zu einer Espressobar müssen Sie bei mir nicht drei Dollar und mehr zahlen“, konterte sie, schenkte ihm einen Kaffee in den Becher, den sie bereits aus dem Schrank geholt hatte, ein, und schob ihn zu ihm hinüber. „Schwarz, nicht wahr?“

„Woher wissen Sie das?“, fragte er und griff nach dem Becher.

Autor

Jodi Odonnell
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Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...

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Mindy Neff stammt ursprünglich aus Louisiana, dem Süden der USA, lebt aber jetzt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern im sonnigen Kalifornien.

Das Wichtigste im Leben sind ihr Familie, Freunde, schreiben und lesen. Wenn sie nicht an einer Romance arbeitet, dann kümmert sie sich um die Buchhaltung der...

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