Historical MyLady Platin Band 1

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Hochzeit wider Willen

Eine dicke Brille, unvorteilhafte Kleidung … Mit ihrer Kostümierung versucht Lenore Lester sämtliche Heiratskandidaten abzuschrecken. Rasch durchschaut der Duke of Heybury ihr falsches Spiel - und setzt alles daran die faszinierende Lenore vor den Traualtar zu führen.

Verliebt in einen Engel

Sophie erbebt, als Jack Lester seine Lippen auf ihre senkt. Sie liebt ihn, aber sie weiß: Um seine Familie zu unterstützen, muss er reich heiraten - und sie hat keine große Mitgift vorzuweisen. Auch wenn es Sophie das Herz bricht: Sie muss sich von Jack trennen …

Ist dieses Herz noch frei?

Enttäuscht von der Liebe, zeigt Harry Lester wenig Interesse für das schöne Geschlecht. Das ändert sich schlagartig, als er der bezaubernden Witwe Lucinda begegnet. Doch obwohl die glutvolle Schönheit ihn in Versuchung führt, will Harry sein Herz um jeden Preis schützen!


  • Erscheinungstag 28.10.2014
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783733764456
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Stephanie Laurens

HISTORICAL MYLADY PLATIN BAND 1

3 Romane von Stephanie Laurens

Hochzeit wider Willen

Wie unverschämt: Hinter Lenores Rücken hat der Duke of Heybury ihren Vater überzeugt, dass er sie zur Frau nehmen darf! Notgedrungen akzeptiert Lenore ihr Schicksal – und fühlt sich bald unwiderstehlich zu ihrem attraktiven Gemahl hingezogen. Will er wirklich eine reine Zweckehe führen – oder hat sie eine Chance auf Liebe und Leidenschaft?

Verliebt in einen Engel

„Halten Sie sich an der Mähne fest!“ Besorgt reitet Jack dem durchgehenden Pferd von Sophie Winterton hinterher – und rettet sie in letzter Sekunde. Als sie ihm dankbar in die Arme sinkt, erwachen nie gekannte Gefühle in ihm. Doch als er ihr auf dem Debütantinnenball einen Kuss raubt, behauptet sie plötzlich, einem anderen Mann versprochen zu sein!

Ist dieses Herz noch frei?

Was für ein Gentleman! Wild klopft Lucindas Herz, als sie Harry Lester zum ersten Mal begegnet. Sie muss diesen Mann erobern, verzehrt sie sich doch mit jeder Faser ihres Körpers nach ihm! Gekonnt setzt sie ihre weiblichen Reize ein, aber Harry gibt sich distanziert. Lucinda ist verzweifelt – bis sie schließlich von Harrys dunklem Geheimnis erfährt …

1. KAPITEL

Jason Montgomery, der fünfte Duke of Heybury, saß in der Bibliothek hinter seinem Schreibtisch und schaute missmutig die Eichentür an, die sich gerade geschlossen hatte. „Unmöglich“, murmelte er, während die Schritte seines Cousins Hector in der Ferne verhallten. Sein Blick wanderte zu einem großen Bild, das ihm gegenüber an der Wand hing.

Es zeigte einen jungen Mann mit sorglosem Lächeln, vergnügten grauen Augen und windzerzausten braunen Haaren. Die breiten Schultern umschloss eine gut sitzende rote Uniform Jacke.

Die Tür ging auf, und ein elegant gekleideter Gentleman kam herein. „Ich sah deinen Cousin weggehen“, erklärte Frederick Marshall lächelnd und nahm in einem Sessel Platz.

Der Duke stieß einen Seufzer aus. „Verdammt, Frederick, das ist nicht zum Lachen. Hector Montgomery ist ein Waschlappen. Es wäre der Gipfel an Verantwortungslosigkeit, ihn meine Nachfolge antreten zu lassen. Der Gedanke ist mir unerträglich – auch wenn ich das gar nicht mehr erleben würde. So verlockend die Idee auch sein mag …“, fuhr er mit einem grimmigen Lächeln fort „… sollte ich der Familie Hector als meinen Erben präsentieren, gäbe es einen Riesenaufruhr. Meine Tanten würden mich so lange unter Druck setzen, bis ich selbst heiraten würde.“

„Deine Tanten wären entzückt, wenn sie wüssten, dass du das Problem sowie dessen Lösung so klar erkennst.“

„Auf welcher Seite stehst du eigentlich?“

„Es hat doch keinen Sinn, sich vor den Tatsachen zu verschließen. Nachdem Ricky tot ist, musst du heiraten. Und je eher du dich zu einer Entscheidung aufraffst, desto unwahrscheinlicher ist es, dass deine Tanten die Sache selbst in die Hände nehmen.“ Frederick lehnte sich in seinem Sessel zurück und wartete, wie sein wohl gemeinter Rat aufgenommen wurde.

Die beiden Junggesellen verbanden viele gemeinsame Interessen, wobei Jason seinen Freund in jeder Beziehung übertraf. Er war ein ausgezeichneter Sportsmann, ein geübter Reiter, ein hart gesottener Spieler, ein berühmter Pistolenschütze sowie ein gefährlicher Frauenheld.

Frederick unterdrückte einen Seufzer, als er sah, dass der Blick seines Freundes unverwandt auf dem Portrait seines jüngeren Bruders ruhte. Kaum jemand wusste, wie nahe sich die Brüder trotz ihres Altersunterschiedes von neun Jahren gestanden hatten. Ricky, wie alle Welt ihn nannte, hatte über einen ungeheuren Charme verfügt, hinter dem sich ein starker Charakter verbarg, den er mit Jason gemein hatte. Als Captain der Garde hatte er bei Waterloo gekämpft und war in der Schlacht gefallen.

Eine gewisse Zeit hatte sich die Familie Montgomery, die sich der engen Beziehungen zwischen den Brüdern bewusst gewesen war, zurückgehalten. Seit Jahren hatte Einvernehmen darüber geherrscht, dass Ricky, der nicht so zynisch und hart wie Jason war, für die nächste Generation sorgen würde, sodass sein Bruder sein gewohntes Leben ohne Ehefesseln fortführen konnte. Als sich Jason jedoch mit aller Macht ins Vergnügen stürzte – Fredericks Ansicht nach, um sich von seiner Trauer abzulenken – wurden die Tanten ungeduldig. Da ihr arroganter Neffe durch kein Zeichen erkennen ließ, dass er sich seinen nun unvermeidlichen Pflichten widmen wollte, schien es ihnen an der Zeit, etwas zu unternehmen.

Auf einen Wink von einer der Tanten, Lady Agatha Colebatch, hatte Frederick beschlossen, Jasons Absichten zu erkunden.

„Verdammt, Ricky“, sagte Jason ärgerlich an das Bild seines Bruders gewandt, „warum bist du auf deine Weise zur Hölle gegangen und hast es mir überlassen, die Hölle auf Erden zu erleben?“

„Die Hölle auf Erden?“, wiederholte Frederick erstaunt.

„Kannst du dir eine treffendere Beschreibung der heiligen Institution der Ehe vorstellen?“

„So schlimm muss es nicht werden.“

„Bist du in dieser Beziehung Experte?“

„Nein, aber ich denke, du könntest als ein solcher gelten.“

„Ich?“, fragte Jason erstaunt.

„Waren etwa deine Geliebten in letzter Zeit nicht alle verheiratet?“

„Diese Frauen sind der Hauptgrund für meine ablehnende Haltung und das beste Beispiel dessen, was ich mir nicht als Ehefrau wünsche.“

„So viel Einsicht besitzt du also immerhin.“

„Frederick, alter Junge, haben dir meine Tanten vielleicht zufällig ein paar Wörtchen ins Ohr geflüstert?“, fragte Jason misstrauisch.

Frederick wurde rot. „Tante Agatha hat mit mir gesprochen, aber lediglich darauf hingewiesen, dass ihre Schwestern bereits Kandidatinnen in Erwägung zögen, und ich gut daran täte, dich zu warnen.“

„Nun, da du das getan hast, kannst du mir auch weiter helfen. Wen zum Teufel soll ich heiraten?“

Die Frage hing in der Luft, während die beiden Männer über die Möglichkeiten nachdachten.

„Wie wäre es mit dem Taunton-Mädchen? Sie ist hübsch genug, um dir gefallen zu können.“

„Die mit den blonden Löckchen?“ Als Frederick nickte, schüttelte Jason den Kopf. Nein, sie lispelt.“

„Hemmings Tochter? Sie erbt ein Vermögen und ist auf einen Titel aus, wie es heißt. Du musst nur ein Wort sagen, und sie gehört dir.“

„Drei Schwestern und eine jammernde Mutter inbegriffen. Nein, vielen Dank.“

Nachdem sie die Debütantinnen dieses Jahres und ihre älteren, noch unverheirateten Schwestern durchgegangen waren, versuchte Frederick es anders. „Angesichts deiner hohen Anforderungen sollten wir vielleicht zuerst klarstellen, was du von deiner zukünftigen Ehefrau erwartest, um dann eine geeignete Kandidatin zu finden“, schlug er vor.

Eine volle Minute herrschte Stille, die nur durch das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims unterbrochen wurde. „Ich wünsche mir eine tugendhafte Frau, die es versteht, die Verpflichtungen einer Herzogin wahrzunehmen und Heybury Abbey eine würdige Herrin ist.“

Frederick nickte nur. Heybury Abbey war der Sitz der Familie Montgomery in Dorset. Die Verantwortung für das riesige Haus zu übernehmen sowie bei den großen Familienfesten, die dort gelegentlich stattfanden, die Gastgeberin zu spielen, würde die Fähigkeiten der besterzogenen jungen Damen auf eine harte Probe stellen.

„Sie sollte zumindest präsentabel sein. Eine dumme, ungebildete Person wird nicht Duchess of Heybury werden“, fuhr Jason fort. „Natürlich muss sie imstande sein, mir ohne viel Aufhebens Erben zu schenken.“ Nach kurzem Nachdenken fügte Jason hinzu: „Natürlich wird sie sich meistens in Heybury aufhalten, falls ich ihre Anwesenheit in der Stadt nicht ausdrücklich wünsche.“

„Du willst sie auf dem Land einsperren, während du dich in London amüsierst? Ist das nicht ein bisschen hart?“

Jason lächelte ein Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. „Wie du vorhin bereits bemerkt hast, verfüge ich über ausreichende Erfahrungen mit gelangweilten Ehefrauen des ton. Sei versichert, dass meine Frau nicht dazugehören wird.“

„Aha.“ Frederick wusste nicht, was er sonst dazu sagen sollte. „Was verlangst du außerdem noch von deiner zukünftigen Frau?“

Jason lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Sie muss von guter Herkunft sein, andernfalls würde die Familie sie nicht akzeptieren. Zum Glück spielt eine Mitgift keine Rolle, aber die entsprechenden Verbindungen sind wichtig.“

„Angesichts dessen, was du zu bieten hast, dürfte das keine Schwierigkeiten bereiten. Sobald deine Absichten im ton bekannt sind, werden die Mütter mit heiratsfähigen Töchtern bis zu deiner Tür Spalier stehen.“

„Kein Zweifel, und diese Vision spornt mich dazu an, deinen Rat zu befolgen und sofort zu handeln – bevor die Horden mich überfallen. Dass ich gezwungen sein könnte, mich mit albernen Debütantinnen abzugeben, ist eine Horrorvorstellung.“

„Narren konntest du noch nie ertragen, du solltest also ‚intelligent‘ auf deine Liste setzen.“

Jason seufzte. „Ich frage mich, ob ein solches Musterbild überhaupt existiert.“

„Ich bin sicher, dass es irgendwo eine Frau gibt, die deinen hohen Anforderungen entspricht.“

„Die Frage ist nur, wo?“

Während der Duke über dieses Problem nachdachte, spielte er unbewusst mit dem Stapel von Einladungen, der auf seinem Schreibtisch lag. Als er merkte, womit sich seine Finger beschäftigten, las er die Absender. „D’Arcys, Penbrights, Minchinghams, Carstairs …“ Abrupt hielt er inne. „Die Lesters. Von denen hat man lange nichts gehört.“ Er faltete das einzelne Blatt auseinander und überflog die wenigen Zeilen. „Eine Einladung zu einem Wochenendvergnügen – vermutlich eine Art Zechgelage – in Lester Hall.“

„Ich habe ebenfalls eine Einladung dazu erhalten.“

„Hast du die Absicht hinzufahren?“

„Nein. Beim letzten Mal ging es mir dort viel zu zügellos zu.“

„Das muss bei Jack Lesters Jagdgesellschaft gewesen sein. Soviel ich weiß, war Lester Hall ein paar Jahre geschlossen. Kaum wahrscheinlich, dass ich dort eine passende Ehefrau finde.“ Er wollte die Einladung schon zur Seite legen, hielt aber dann inne. „Es gibt dort doch auch eine Schwester, jünger als Jack und Harry und älter als Gerald.“

„Das stimmt“, erwiderte Frederick. „Als wir das letzte Mal vor ungefähr sechs Jahren in Lester Hall waren, war sie ein kleines Ding, das sich ständig irgendwo versteckte.“

„Kaum verwunderlich angesichts der Vergnügungen, die in Lester Hall geboten wurden. Ich glaube nicht, dass ich sie getroffen habe.“

Frederick schaute seinen Freund mit großen Augen an. „Du denkst doch nicht etwa …?“

„Warum nicht?“

„Dann hättest du Jack und Harry als Schwäger. Gütiger Himmel!“

„Zumindest werden die Lester-Männer nicht von mir erwarten, dass ich mich in einen Mönch verwandle, wenn ich ihre Schwester heirate.“

„Vielleicht ist sie schon verheiratet.“

„Das glaube ich nicht. Ich vermute, dass sie die Leitung von Lester Hall übernommen hat. Die Einladung stammt von einer weiblichen Hand. Dass Jack, Harry und Gerald nicht geheiratet haben, wissen wir. Welche andere junge Frau sollte sonst dort leben?“

Frederick musste zugeben, dass sein Freund vermutlich recht hatte. „Du willst also hinfahren?“

„Ich denke schon“, erwiderte Jason. „Doch bevor wir uns festlegen, werde ich das Orakel befragen.“

„Das Orakel? Wir“

„Mit dem Orakel meine ich Tante Agatha. Da sie alles weiß, weiß sie auch, ob das Lester-Mädchen unverheiratet und als Ehefrau geeignet ist. Und was das ‚wir‘ betrifft … da du mich an meine Pflicht erinnert hast, kannst du mir bei der Ausübung deine Hilfe nicht verweigern.“

„Verdammt, Jason, du brauchst mich nicht, um deine Hand zu halten. Die Jagd nach Weiberröcken betreffend, verfügst du über mehr Erfahrung als jeder andere Mann, den ich kenne.“

„Das stimmt“, pflichtete ihm der Duke bei, „aber diesmal ist es anders … ich suche eine Ehefrau.“

„Nun, Heybury?“ Lady Agatha, deren Kopf ein imposanter purpurroter Turban krönte, saß aufrecht wie eine Königin auf dem Sofa. Sie wartete ungeduldig, während ihr Neffe sich über ihre ausgestreckte Hand beugte. „Dein Besuch bedeutet hoffentlich, dass du dir deiner Verantwortung, zu heiraten, bewusst geworden bist.“

Der Duke nahm in dem angebotenen Sessel Platz, bevor er antwortete: „Du hast recht wie immer, liebe Tante.“

Lady Agatha neigte majestätisch das Haupt. „Ziehst du eine bestimmte Frau in Betracht?“

„In der Tat.“ Jason genoss den Ausdruck des Erstaunens, der sich im Gesicht seiner Tante zeigte. „Bei der ersten Lady auf meiner Liste handelt es sich um eine Lester von Lester Hall in Berk­shire. Nur bin ich nicht sicher, ob sie noch unverheiratet ist.“

„Ich nehme an, du meinst Lenore Lester“, erwiderte Lady ­Agatha erstaunt. „Meines Wissens hat sie nicht geheiratet.“

„Ist Miss Lester deiner Meinung nach geeignet, die nächste Duchess of Heybury zu werden?“

„Ihre gute Herkunft steht außer Frage. Aufgrund der Verwandtschaft mit den Rutlands, Havershams und Ranelaghs wäre das eine höchst vorteilhafte Verbindung. Ihre Mitgift lässt allerdings zu wünschen übrig.“

„Das spielt keine Rolle“, versicherte Jason. „Und die junge Dame selbst?“

Lady Agatha spreizte die Hände. „Sie führt dem alten Lester den Haushalt. Seine Schwester wohnt zwar ebenfalls dort, aber Lenore ist die Hausherrin.“

„Warum hat sie nicht geheiratet?“

„Sie war erst zwölf Jahre alt, als ihre Mutter starb, und musste damals sozusagen den Haushalt übernehmen. Ihr blieb keine Zeit, um in London die Nächte zu durchtanzen.“

„Dann ist sie also nicht an die städtischen Vergnügungen gewöhnt“, stellte Jason fest. „Wie alt ist sie?“

„Vierundzwanzig.“

„Und sie ist ansehnlich?“

„Kennst du sie denn nicht?“, fragte Lady Agatha stirnrunzelnd.

Jason schüttelte den Kopf. „Aber du, oder nicht?“

„Guter Knochenbau“, begann sie zögernd. „Klare Haut, blonde Haare, grüne Augen, schlank … Was willst du sonst noch wissen?“

„Ob sie einigermaßen intelligent ist?“

„Oh, ja, dessen bin ich sicher.“

Jason war das Unbehagen seiner Tante nicht entgangen. „Du scheinst gewisse Vorbehalte gegen Miss Lester zu haben.“

„Keine Vorbehalte“, wehrte sie ab. „Doch wenn dir meine Meinung von Nutzen sein soll, wüsste ich gern, was dich veranlasst hat, sie ins Auge zu fassen?“

Jason zählte die Anforderungen auf, die er an seine Braut stellte. „Nun, liebe Tante, wäre sie geeignet?“

Nach kurzem Zögern nickte sie. „Ich kenne keinen Grund, der dagegen spricht.“

„Gut! Würdest du mich jetzt wohl entschuldigen? Ich beabsichtige, morgen früh nach Heybury und von dort aus weiter nach Lester Hall zu fahren. „Jason erhob sich und verließ nach einer kurzen Verbeugung den Raum.

Lady Agatha schaute ihm nach. Dass ihr Neffe so leidenschaftslos eine Ehe plante, überraschte sie nicht. Doch dass er ausgerechnet Lenore Lester gewählt hatte, war ihr unerklärlich.

„Bereit für eine vergnügliche Woche, Miss Lester?“

Lenore Lester reichte Lord Quentin, einem ältlichen Lebemann, die Hand. Sie stand in der Eingangshalle auf der großen Freitreppe und empfing die Gäste ihres Bruders. „Guten Tag, Mylord“, sagte sie. „Hoffentlich bleibt das Wetter schön. Bei Regen wäre es nur halb so vergnüglich.“

Seine Lordschaft nickte verwirrt. „Ja … natürlich.“

Lenore wechselte ein paar Begrüßungsworte mit Mrs Cronwell, die gleich nach Lord Quentin eingetroffen war. „Die Zimmer im Westflügel, Smithers“, wandte sie sich an den Butler.

Anschließend studierte sie die Gästeliste, die sie in der Hand hielt. Es war die erste Gesellschaft ihres Bruders, bei der sie die Gastgeberin spielte, obwohl ihr diese Rolle nicht neu war. Sie hatte sie vor fünf Jahren übernommen, als ihre Tante Harriet – ihre Anstandsdame – taub geworden war. Allerdings hatte es sich damals bei den Gästen um einen ausgewählten Kreis von vertrauenswürdigen Personen gehandelt. Trotzdem befürchtete Lenore nicht, dass ihr bei diesem zwangloseren Anlass die Zügel entgleiten würden.

Lenore rückte ihre goldgefasste Brille zurecht und strich mit einem Stift, der an einer Schnur um ihren Hals hing, die Namen von Lord Quentin und Mrs Cronwell aus. Die meisten Gäste waren bereits eingetroffen, nur einige Gentlemen fehlten noch.

Freundlich erklärte sie Lady Harrison und Lady Moffat, zwei Schwestern, die die Einladung ihres Bruders nur gemeinsam angenommen hatten, den Weg zum See. Lord Holyoake und Mr ­Peters, die sich erkundigten, wo Unterhaltung geboten wäre, teilte sie mit, dass sich ihre Brüder und einige Gäste im Billardzimmer befänden.

Als zwei elegante Gentlemen in die Halle traten, lenkte der größere, dessen Überlegenheit Lenore unbewusst sofort klar wurde, ihre Aufmerksamkeit auf sich. Da er den Hut in der Hand hielt, waren seine dichten kastanienbraunen Locken zu sehen. Die Neuankömmlinge blieben gleich hinter der Tür stehen, bis die Diener ihnen Mäntel, Hüte und Handschuhe abgenommen hatten. Nachdem der größere Gentleman sich in der Halle umgeschaut hatte, blieb sein Blick an Lenore hängen.

Sie spürte, dass er sie vom Scheitel bis zu den Fußspitzen musterte. Zorn stieg in ihr auf zusammen mit einem anderen, nicht definierbaren Gefühl. Sie straffte die Schultern. Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck kühler Höflichkeit an.

Plötzlich füllte sich die Halle mit Menschen. Ihr Bruder Gerald kam, eine ganze Anzahl von Gentlemen und Ladys im Schlepptau, vom Garten herein, während gleichzeitig ihr Bruder Harry zusammen mit einigen fröhlichen Herren das Billardzimmer verließ.

Lenore hielt über die vielen Köpfe hinweg Ausschau nach dem Mann, dessen Blick sie verärgert hatte. Sie gedachte ihm von Anfang an klarzumachen, dass sie es nicht schätzte, wenn sie unangemessen behandelt wurde. Während sie ihn beobachtete, wechselte er mit ihrem Bruder ein paar Begrüßungsworte. Auf eine Bemerkung seinerseits hin, reagierte Harry mit einem Lachen und einer Handbewegung in ihre Richtung. Lenore widerstand der Versuchung, ihre Gästeliste zurate zu ziehen. Ihr hervorragendes Gedächtnis ließ sie im Stich. Sie hatte den Gentle­man noch nie getroffen.

Er erreichte vor seinem Gefährten die Treppe und blieb vor ihr stehen. Als sie seinem Blick begegnete, verflüchtigten sich alle Gedanken daran, ihn zurechtzuweisen. Dies war kein Mann, der weibliche Kritik vertrug: feste, beinahe eckige Züge, ein harter und gebieterischer Ausdruck. Nur die klaren hellgrauen Augen und der schöne Schwung der Brauen nahmen dem Gesicht etwas von der Strenge.

Lenore streckte ihm die Hand entgegen. „Willkommen in Lester Hall, Sir.“

Der Gentleman umschloss ihre Finger mit festem Griff. Während er sich verbeugte, betrachtete sie seine elegante äußere Erscheinung. Alles in allem wirkte er auf sie zu groß, zu breitschultrig, zu überwältigend. Zum ersten Mal im Leben kostete es sie Mühe, ihre ruhige Haltung zu bewahren.

Als sie in seinen grauen Augen ein belustigtes Funkeln entdeckte, hob sie das Kinn und funkelte ihn warnend an, was ihn nicht zu stören schien.

„Ich bin Heybury, Miss Lester“, sagte er. „Meines Wissens haben wir uns noch nicht getroffen.“

„Unglücklicherweise nicht, Euer Gnaden.“ Lenores Ton deutete an, dass sie sich auch jetzt nicht sicher war, ob sie das heutige Treffen erfreulich finden sollte.

Der Duke, der einen solchen Empfang nicht gewohnt war, schaute die vor ihm stehende Frau aufmerksam an. Sie war über ihre. Mädchenzeit hinaus, schlank, geschmeidig und von der natürlichen Grazie einer Katze. An ihrem herzförmigen, feinknochigen blassen Gesicht war nichts auszusetzen. Die Brauen über den großen und leuchtenden hellgrünen Augen mit den dichten dunklen Wimpern waren schön geschwungen. Ein makelloser Teint, eine kleine, gerade Nase, auf der eine goldgefasste Brille saß, ein entschlossenes Kinn und volle Lippen trugen zu ihrer Attraktivität bei.

Jason trat lächelnd einen Schritt zur Seite, um Frederick vorzustellen. „Und dies ist …“

„Mr Marshall.“ Die Identität dieses Mannes war unschwer zu erraten. Als Lenore reichlich spät klar wurde, dass sie möglicherweise mit dem Feuer spielte, entzog sie dem Duke ihre Hand und reichte sie seinem Freund.

Frederick verbeugte sich mit einem liebenswürdigen Lächeln.

„Die Suite für Seine Gnaden, für Mr Marshall das Blaue Zimmer“, sagte sie zu dem Butler, der hinter ihr stand. An Mr Marshall gewandt, setzte sie hinzu: „Zweifellos wollen Sie sich in Ihren Räumen frisch machen. Wir sehen uns vor dem Dinner um halb sieben im Salon.“

Er lächelte, nickte zustimmend und ging die Treppe hinauf.

Lenore wartete darauf, dass sein Freund ihm folgen würde. Als die Sekunden verstrichen und der Duke sich nicht rührte, wurde sie nervös. Er trennte sie von den anderen Gästen, sodass sie sich des Gefühls nicht erwehren konnte, mit einem gefährlichen Mann allein zu sein.

Jason ließ es zu, dass die gespannte Atmosphäre sich noch steigerte, bevor er in gleichmütigem Ton bemerkte: „Wenn ich recht informiert bin, sind Sie während dieser Woche unsere Gastgeberin, Miss Lester.“

Lenore hob den Kopf. „Das ist korrekt, Sir.“

„Hoffentlich nehmen Ihre Pflichten Sie nicht zu sehr in Anspruch, meine Liebe. Ich freue mich schon darauf, etwas kennenzulernen, das ich bei früheren Besuchen in Ihrem Haus offenbar versäumt habe.“

Lenore blickte ihn gespielt harmlos an. In der Tat, Sir. Die Gärten sind dieses Jahr besonders schön. Vielleicht hatten Sie seinerzeit keine Gelegenheit, sich dort umzuschauen. Ein Spaziergang wäre sicherlich interessant für Sie.“

Um Jasons Lippen zuckte es. „Zweifellos, wenn Sie mich begleiten.“

„Ich fürchte, dass meine Pflichten meine Zeit ständig beanspruchen werden“, erwiderte Lenore. „Mein Bruder pflegt seinen Gästen eine umfassende Unterhaltung zu bieten.“

Jasons Augen funkelten. „Seien Sie versichert, Miss Lester, dass ich Ihre Abwesenheit bemerken werde. Ihr Bruder kann mich nicht anderweitig für Ihre Gesellschaft entschädigen. Keine Macht der Welt vermag mich daran zu hindern, Sie zu suchen und zu finden.“

Lenore war nicht bereit, irgendjemand zu gestatten, ihr geordnetes Leben durcheinanderzubringen. „Ich habe mich noch nie als eine der Annehmlichkeiten von Lester Hall betrachtet, Euer Gnaden. Sie werden sich mit dem begnügen müssen, was leichter zu haben ist.“

Jason war außerstande, ein Lächeln zu unterdrücken. „Leider beurteilen Sie mich völlig falsch, Miss Lester“, erwiderte er. „Ich würde Sie eher als eine der Attraktionen von Lester Hall bezeichnen – die Art von Attraktion, die häufig gesehen, aber selten hoch genug eingeschätzt wird.“

Ohne den intensiven Ausdruck in seinen Augen hätte Lenore seine Worte wohl als leeres Kompliment aufgefasst. Ihr Herz klopfte unbehaglich schnell. Es kostete sie Mühe, den Blick abzuwenden.

Dabei entdeckte sie Lord Percy Almsworthy, der sich durch die Menge zur Treppe durchdrängte. Vor Erleichterung wäre sie ihm am liebsten um den Hals gefallen. „Lord Percy“, rief sie, „wie schön, Sie wieder zu sehen.“

„Hallo, hallo“, erwiderte Seine Lordschaft. „Verdammt voll hier, nicht wahr?“

„Ich werde dafür sorgen, dass Sie sofort in Ihr Zimmer geführt werden.“ Lenore hob die Hand und winkte zwei Diener herbei. „Seine Gnaden war gerade im Begriff, nach oben zu gehen“, log sie, wobei sie nicht wagte, den Duke anzuschauen.

Zu ihrer Überraschung merkte Lenore, dass er ihre Hand nahm, sie an die Lippen zog und die Spitzen mit einem leichten Kuss streifte. „Bis später, Miss Lester“, sagte er leise. Dann ließ er ihre Hand los und folgte dem Lakai die Treppe hinauf.

Lenore schaute ihm sprachlos nach. Als sie sich wieder umdrehte, riss ein ärgerlicher Lord Percy sie aus ihrer Betäubung. „Miss Lester, mein Zimmer bitte, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

2. KAPITEL

Wie lange gedenkst du zu bleiben, nachdem du jetzt weißt, dass Miss Lester für deine Zwecke nicht geeignet ist?“, fragte Frederick.

Jason, der aus dem Fenster geblickt hatte, hob überrascht die Brauen. „Mein lieber Frederick, warum diese Eile, Miss Lester in Bausch und Bogen abzutun?“

Mit ausdrucksloser Miene nahm Frederick auf dem gepolsterten Fenstersitz Platz. „Meine Fantasie reicht nicht aus, mir vorzustellen, du könntest eine alte Jungfer heiraten. Und Lenore Lester ist zweifellos eine alte Jungfer. Wie schnell können wir uns also verabschieden, ohne Anstoß zu erregen?“

Jason setzte sich seinem Freund gegenüben „Meinst du nicht, dass das Altjüngferliche ein bisschen dick aufgetragen war?“

„Fühlst du dich ganz wohl?“, fragte Frederick stirnrunzelnd.

„Sehr wohl und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte. Und da das der Fall ist, finde ich Miss Lester sehr interessant.“

Frederick starrte ihn an. Aber sie trug eine Schürze.“

„Außerdem ein Kleid aus festem Cambric, obwohl Musselin der Mode entspricht. Normalerweise zieht sich niemand absichtlich derart unvorteilhaft an, und ich möchte wissen, warum Lenore Lester wünscht, wie eine alte Jungfer zu erscheinen. Zumindest ist es ihr gelungen, die Gäste hier davon zu überzeugen, dass sie das ist, was sie zu sein scheint.“

„Was macht dich so sicher, dass sie nicht ist, was sie zu sein scheint – eine alte Jungfer?“

Jason zuckte lächelnd die Achseln. „Ihre Ausstrahlung? Ihre Haltung? Jedenfalls kann sich Miss Lester anziehen, wie sie will, mich täuscht sie nicht.“

„Und die Brille?“, fragte Frederick.

„Fensterglas.“

„Bist du sicher?“

„Ganz sicher.“ Jason verzog die Lippen. „Mein lieber Frederick, das lässt nur einen Schluss zu, dass Miss Lester uns bewusst hinters Licht führen will. Wenn du durch ihre Verkleidung hindurchblickst, wirst du wie ich und zweifellos auch Tante Agatha entdecken, dass darunter ein Juwel verborgen ist. Lenore Lester muss ihre Haare nicht zu einem Knoten frisieren oder hochgeschlossene Kleider und Schürzen tragen.“

„Warum tut sie es dann?“

„Das möchte ich auch gern wissen. Und daher wirst du leider eine volle Woche der Vergnügungen, die Jack und Harry in Lester Hall bieten, ertragen müssen. Wir werden nicht abfahren, bevor ich nicht herausgefunden habe, was Lenore Lester verbirgt und warum.“

Neunzig Minuten später hallte der Salon vom Stimmengewirr wider. Als Lenore hereinkam, näherte sich ihr der Duke, bevor sie sich unter die Gäste mischen konnte.

„Guten Abend, Euer Gnaden“, sagte sie. „Fanden Sie Ihre Räume angemessen?“

„Perfekt. Vielen Dank“, erwiderte er, wobei er ihr direkt ins Gesicht schaute.

Die konventionellen Worte, die der gesellschaftlich geübten Lenore sonst so mühelos über die Lippen gingen, versagten in diesem Fall. Unwillkürlich fragte sie sich, warum seine Augen so viel Macht auf sie ausübten.

Jason hob eine Braue. „Erlauben Sie mir, Ihnen zu Ihrem Kleid zu gratulieren, Miss Lester“, sagte er. „Etwas Ähnliches habe ich noch nie gesehen.“

Bei Lenore klingelten Alarmglöckchen. Ihre neueste Kreation – ein langärmeliges hemdähnliches Gewand aus Seide, zugeknöpft bis zum Nacken, darüber eine sackartige Tunika – glich in keiner Weise den tief ausgeschnittenen, die Figur betonenden und verführerischen Abendkleidern aus dünnem Musselin, die ihre Geschlechtsgenossinnen trugen. Ihr Kleid sollte die gegenteilige Wirkung erzielen. Im Gegensatz zu den anderen Gästen schien der Duke ihren Trick zu durchschauen. „Ich habe keine Zeit, in London irgendwelchen Firlefanz zu besorgen“, erklärte sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag.

„Ich finde nicht, dass an Ihrer Aufmachung etwas fehlt. In Ihrem Fall würde mein Geschmack eher zu weniger als zu mehr tendieren, Miss Lester.“

Lenore merkte, dass sich ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hatten. Warum musste ausgerechnet er es sein, der hinter ihre Fassade blickte?

Sie entschloss sich zum Rückzug. „Ich muss mich um meinen Vater kümmern, Euer Gnaden. Würden Sie mich wohl entschuldigen?“

„Ich habe Ihren Vater noch nicht begrüßt, Miss Lester. Wenn Sie erlauben, begleite ich Sie zu ihm.“

Lenore zögerte, während sie die lange Kette um ihren Hals befingerte, an der eine Lorgnette hing. Zu ihrem Leidwesen fiel ihr kein triftiger Grund ein, um seine Begleitung abzulehnen. „Ich glaube, wir finden ihn am Kamin“, sagte sie.

Der Duke lächelte und führte sie zu der Stelle, wo ihr Vater in einem Rollstuhl vor dem Kamin saß.

Lenore beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn leicht auf die runzelige Wange.

Lord Lester beklagte sich. „Du bist heute spät dran. Was ist geschehen? Hat eines dieser leichten Mädchen versucht, unseren Butler zu verführen?“

Lenore, die an derartige Bemerkungen ihres Vaters gewöhnt war, bückte sich, um die Decke aufzuheben, die ihm von den Knien gerutscht war. „Natürlich nicht, Papa. Ich wurde lediglich aufgehalten.“

Der alte Mann schaute aus seinen wässrig blauen Augen zu Jason hoch.

Ehe er eine unhöfliche Frage stellen konnte, kam Lenore ihm zuvor. „Hier bringe ich dir den Duke of Heybury, Papa.“

Jason verbeugte sich höflich und nahm die Hand des alten Mannes, die ihm dieser entgegenstreckte.

„Habe Sie seit ein paar Jahren nicht mehr gesehen“, sagte Lord Lester. „Ich kannte Ihren Vater gut, und nach allem, was ich höre, sollen Sie ihm immer ähnlicher werden.“

„Das habe ich ebenfalls gehört“, erwiderte Jason.

Für einen Augenblick schien der Baron in der Vergangenheit zu verweilen. Dann hob er den Kopf. „Erinnere mich noch an ein Jahr in Paris, als Ihr Vater dort war. Unsere Gruppe, er eingeschlossen, erlebte dort sechs tolle Monate.“ Mit einer verächtlichen Handbewegung tat er die Anwesenden im Salon ab. „Diese Leute ahnen nicht, was sie versäumen.“

Der Duke, der mühsam ein Lächeln unterdrückte, beschloss in seinem eigenen Interesse, Lord Lester nicht zu ermutigen, weiter ins Detail zu gehen. „Inzwischen dürften sich dort durch Napoleons Leute die Verhältnisse ziemlich verändert haben“, sagte er.

„Der verdammte Emporkömmling!“, schnaubte der Baron verächtlich. Nachdem er sich sekundenlang über die Schwächen des Kaisers ausgelassen hatte, fuhr er fort: Doch der Krieg ist vorbei. Ist Ihnen da noch nicht in den Sinn gekommen, Sie könnten den Kanal überqueren und drüben la bonne vie genießen?“

Jason lachte. „Mein Geschmack ist absolut englisch, Sir“, erwiderte er. Wie um Lenore in das Gespräch mit einzubeziehen, schaute er sie direkt an, bevor er hinzusetzte: Außerdem habe ich Pläne für die Zukunft, die meine ganze Aufmerksamkeit erfordern.“

„Tatsächlich, Sir? Und was für Pläne sind das?“

„Ich stehe vor einem Rätsel, Miss Lester. Von einem Ergebnis, das offenbar mit den Tatsachen in Einklang steht, weiß ich dennoch, dass es falsch ist.“

„Klingt fast wie eine der alten Theorien, die dir so gefallen, meine Liebe“, schnaubte Lord Lester. „Du solltest Seiner Gnaden helfen.“

Der Duke vermochte ein kleines triumphierendes Lächeln nicht zu unterdrücken. Eine großartige Idee!“

„Ich glaube nicht …“, begann Lenore.

In diesem Augenblick kündigte Smithers an, dass das Dinner serviert würde.

Jason blickte Lenore erwartungsvoll an. Er war der höchste anwesende Peer, sodass es als Gastgeberin ihre Pflicht war, mit ihm als Tischherr die Gäste in den Speisesaal zu führen. „Würden Sie mir wohl liebenswürdigerweise den Arm reichen, Sir?“, fragte sie, da ihr nichts anderes übrig blieb.

Es überraschte sie kaum, dass er ihren Wunsch prompt erfüllte. Ein Diener kam, um den Rollstuhl ihres Vaters zu schieben.

Jason betrachtete wohlgefällig den hoch erhobenen goldblonden Kopf seiner Tischdame, deren Hand leicht auf seinem Arm ruhte. Erst als sie die relativ ruhige Halle erreichten, sagte er leise: „Ein Umstand fasziniert mich, den man am besten als kunstvolle Täuschung beschreiben könnte.“

„Kunstvolle Täuschung?“, wiederholte Lenore. „Zu welchem Zweck?“

„Das gedenke ich herauszufinden, Miss Lester.“

Lenore, die zu ihm hochblickte, ärgerte sich, dass sie sich neben ihm so klein fühlte. Sie war es gewöhnt, den Herren Auge in Auge gegenüberzutreten. Heyburys Größe verlieh ihm eine Überlegenheit, die sie als unfair empfand. Trotzdem war sie entschlossen, das kleine Spiel zu beenden. „Tatsächlich, Euer Gnaden?“, sagte sie im hochmütigsten Ton, der ihr zur Verfügung stand. „Und wie wollen Sie das Rätsel lösen, das Sie erwähnt haben?“

„Meine liebe Miss Lester, dazu bin ich durchaus befähigt. Mein ganzes früheres Leben scheint eine Vorbereitung auf diese Herausforderung gewesen zu sein.“

„Es fällt mir schwer, das zu glauben, Sin Sie müssen mir berichten, wenn Sie mit Ihrem Puzzle fertig sind.“

„Meine liebe Miss Lester, Sie werden als erste erfahren, wenn ich die Lösung meines Rätsels finde.“

Während sie ihren Platz am Kopfende der Tafel einnahm, stand er, eine Hand leicht auf die Lehne ihres Stuhls gelegt, hinter ihr.

Dass sich auch die anderen lachend und plaudernd hinsetzten, vernahm Lenore wie durch einen Schleier. Dann neigte er den Kopf und nahm neben ihr Platz.

Lenore holte tief und zitternd Luft. Heybury saß zwar zu ihrer Rechten, dafür hatte sie den jungen Lord Farningham, einen völlig harmlosen Gentleman, an ihre linke Seite platziert.

Zu ihrer Erleichterung erzählte Mrs Whitticombe, die neben Lord Farningham saß, eine Anekdote über Schildkrötensuppe, die ein gewisser Mr Weekes serviert hatte. Das verschaffte Lenore Gelegenheit, sich am Tisch umzusehen. Ihre Tante und Gerald saßen nebeneinander, Jack und Harry in der Mitte der Tafel einander gegenüber. Am anderen Kopfende der Tafel waren ihr Vater und sein alter Freund Mr Pritchard in ein Gespräch vertieft.

Scheinbar interessiert lauschte Lenore, wie der Herzog und Lord Farningham sich über die Jagd unterhielten. Als sich das Thema in der Mitte des zweiten Ganges, der aus Heilbutt in Cremesoße, Pilzen sowie Zunge in Portwein bestand, erschöpft hatte, sagte sie: „Erzählen Sie mir von Heybury Abbey, Euer Gnaden. Das Haus soll ja noch viel größer sein als Lester Hall.“

Er streifte sie mit einem unergründlichen Blick, bevor er antwortete: „Es ist tatsächlich sehr groß. Das ursprüngliche Gebäude stammt aus der Zeit unmittelbar nach der Eroberung durch die Normannen, doch meine Familie hat im Laufe der Jahre zahllose Anbauten vorgenommen. Man könnte das Ganze am besten als halbgotischen Gebäudekomplex inmitten von Klosterruinen bezeichnen.“

„Kein Gespenst?“

Jason schüttelte bedauernd den Kopf. „Leider nein.“

Lenore wandte sich wieder Lord Farningham zu, während Lady Henslaw die Aufmerksamkeit des Duke beanspruchte. Während der nächste Gang serviert wurde, lenkte Lord Farningham das Gespräch, an dem sich Lenore nicht beteiligte, auf Pferde.

Als in der Halle Unruhe entstand, ging Smithers nach draußen, um nach der Ursache zu forschen. Gleich darauf hielt er die Tür auf, und Lady Amelia Wallace kam, gefolgt von ihrer Gesellschafterin Mrs Smythe in den Speisesaal.

Jack erhob sich. Lenore legte mit einer gemurmelten Entschuldigung ihre Serviette weg und ging ihrer Cousine entgegen.

Amelia reichte Jack die Hand und tauschte einen liebevollen Kuss mit Lenore. „Es tut mir leid, dass ich so spät komme, aber eines unserer Pferde lahmte“, entschuldigte sie sich. Mit dem Rücken zur Tafel verzog sie das Gesicht. „Ich ahnte nicht, dass dies eine eurer ‚Wochen‘ ist.“

„Das spielt doch keine Rolle, meine Liebe. Du bist uns immer willkommen“, versicherte Jack.

„Ich setze dich neben Papa.“ Lenore sorgte dafür, dass ein weiteres Gedeck aufgelegt wurde.“

Während sie zu ihrem Platz zurückkehrte, überlegte sie, was Amelia zu ihrer Fahrt nach Berk­shire veranlasst hatte. Als sie die Gabel nahm und dabei hochblickte, bemerkte sie, dass der Duke seinen Stuhl ein wenig zurückgeschoben hatte und sie mit einem undeutbaren Ausdruck in den Augen beobachtete. Er lächelte und hob zu einem schweigenden Toast sein Glas.

Lenore wandte sich entschlossen Lord Farningham zu. Sie war sich nur allzu bewusst, dass sie sehr leicht die ganze Mahlzeit damit zubringen könnte, in Heyburys faszinierendes Gesicht zu starren.

Nach Beendigung des letzten Ganges, einer Auswahl von Cremes, kandierten Früchten und Gebäck, führte Lenore mit ihrer Tante Harriet die Damen in den Salon.

„Schamloses Geschöpf! Zieht ein rosa Seidenkleid an und glaubt, dass man nicht hindurchsehen kann. Dabei sieht man mehr, als man sollte.“

Der beißende Kommentar, den ihre Tante deutlich hörbar zischte, riss Lenore aus ihren Gedankengängen. Es war nicht schwer, zu erkennen, wen Tante Harriet meinte. Mrs Cronwell, die sich zum Glück ein ganzes Stück hinter ihnen befand, trug ein eng anliegendes Kleid aus rosa Seide, dessen tiefer Ausschnitt mit Straußenfedern verziert war. Lenore wusste, dass es sinnlos war, zu widersprechen. Da ihre Tante fast taub war, konnte man ihr nicht glaubhaft machen, dass ihre Bemerkungen, die sie für ein Flüstern hielt, im Umkreis von zehn Fuß zu verstehen waren. Nachdem die grauhaarige alte Dame es sich in ihrem Lieblingssessel bequem gemacht und eine Stickarbeit zur Hand genommen hatte, versprach Lenore, ihr eine Tasse Tee zu bringen. Sie hoffte, dass ihre Tante sich nicht langweilen und anfangen würde, laute Bemerkungen über die andere Gäste zu machen.

Natürlich waren einige Frauen anwesend, die Lenore nicht guten Gewissens als Freundinnen bezeichnen konnte. Doch sie hatte gelernt, nicht nur mit gesellschaftlich gleichgestellten Menschen umzugehen, sondern auch mit solchen, die sie eigentlich nicht mochte. Außerdem erfuhr sie bei Veranstaltungen wie diesen viel von dem, was außerhalb von Lester Hall vor sich ging.

Nachdem sie ihre Pflichtrunde hinter sich hatte, begab sie sich an die Seite ihrer Cousine, um den Grund für deren unerwarteten Besuch zu erfahren.

„Daran ist Rothesay Schuld“, erwiderte Amelia angewidert. „Er hat mich buchstäblich verfolgt.“

„Anscheinend gehört der Viscount zu den Gentlemen, denen es schwerfällt, das Wort ‚Nein‘ zu verstehen“, sagte Lenore.

„Es dürfte sich seinerseits eher um einen betrüblichen Mangel an Vorstellungskraft handeln. Er vermag einfach nicht zu glauben, dass irgendeine Dame ihn zurückweisen könnte.“

Amelia hatte sich mit sechzehn pflichtgemäß den Wünschen ihrer Eltern gefügt und einen vierzig Jahre älteren Mann geheiratet. Seit dem Tode ihres Mannes, der ihr ein nicht unbeträchtliches Vermögen hinterlassen hatte, waren sämtliche Mitgiftjäger des ton hinter der dreiundzwanzigjährigen Witwe her. Nur dass Amelia sich weder eine weitere Ehe ohne Liebe noch eine weniger respektable Verbindung wünschte.

„Ich bin sicher, dass ein paar Wochen genügen, um Lord Rothesays Eifer zu dämpfen. Ursprünglich hatte ich vor, bei Tante Mary zu bleiben. Doch da sie erst Ende des Monats aus Bath zurückkehrt, bin ich zu euch gekommen“, erklärte Amelia, wobei sie die Gentlemen beobachtete, die hereinkamen, weil sie weibliche Gesellschaft einem Glas Portwein vorzogen.

„Wie Jack bereits sagte, bist du hier immer willkommen“, bestätigte Lenore. „Ist jemand hier, von dem du Schwierigkeiten befürchtest?“, fragte sie, da ihre Cousine die Gentlemen nicht aus den Augen ließ.

„Nein“, erwiderte Amelia und hängte sich bei Lenore ein. „Mach dir keine Sorgen. Ich werde schon mit Jacks und Harrys Kumpanen fertig werden. Mich überrascht allerdings, Heybury hier zu sehen.“

„Warum?“, fragte Lenore neugierig.

Amelia dämpfte mit Verschwörermiene die Stimme. „Ich habe gehört, dass er sich entschlossen hat, zu heiraten. Da läge es doch wohl näher, dass er für eine Auswahl von Debütantinnen in Heybury Abbey den Gastgeber spielt und sich nicht hier mit deinen Brüdern amüsiert.“

Lenore wurde sich plötzlich eines unbehaglichen Gefühls bewusst. „Ich hätte ihn nicht für einen Ehekandidaten gehalten“, sagte sie.

„Ursprünglich hatte der Duke wohl auch nicht diese Absicht, sich zu vermählen. Nur dass sein Bruder, der für die Nachfolge in der Familie sorgen sollte, bei Waterloo gefallen ist. Daher muss Heybury das Opfer bringen.“

„Ob er das in diesem Licht betrachtet?“

„Ganz bestimmt“, versicherte Amelia. „Doch nach allem, was ich gehört habe, ist es seine zukünftige Ehefrau, die unser Mitleid verdient. Heybury ist ein gut aussehender Mann, der sehr charmant sein kann, wenn er es darauf anlegt. Leider steht Seine Gnaden nicht in dem Ruf, sanfteren Empfindungen zugänglich zu sein. Seine arme Frau dürfte daher mit einem gebrochenem Herzen enden.“

Charme war nicht das Wort, das Lenore im Zusammenhang mit Heybury benutzt hätte. Seine dominierende Ausstrahlung war stärker als Charme. Aber im Grunde hatte Amelia recht. Die zukünftige Lady Heybury war nicht zu beneiden.

Lenore ließ ihre Cousine bei Lady Henslaw zurück. Unter dem Vorwand, den Kragen ihres Kleides zurechtrücken zu müssen, blieb sie an der Wand stehen und schaute sich nach dem Duke um. Schließlich entdeckte sie ihn, wie er sich mit ihrem Vater unterhielt, der, in seinem Stuhl vor dem Kamin saß. Bei dem Anblick runzelte sie die Stirn. Den Erinnerungen eines alten Mannes zu lauschen, schien ihr ein seltsames Vergnügen für einen Mann wie Heybury zu sein. Andererseits vermochte sie kaum zu beurteilen, was ein Mann, der sich kürzlich zur Ehe entschlossen hatte, unterhaltsam fand. Während sie durch den Salon schlenderte, hatte sie ein wachsames Auge auf die empfindsameren Damen. Zwei davon, die Schwestern Lady Harrison und Lady Moffat, wurden von drei Gentlemen belagert.

„Guten Abend, Lord Scoresby“, sagte Lenore liebenswürdig.

Seine Lordschaft war gezwungen, bei seinen allzu direkten Annäherungsversuchen Lady Moffat gegenüber einzuhalten und ein paar höfliche Worte zu murmeln.

„Wie ich höre, haben Sie kürzlich Ihr Stadthaus bezogen, Lady Moffat“, wandte sich Lenore an die junge Frau.

Lady Moffat, die wie eine Ertrinkende nach einem Strohhalm griff, schilderte in allen Einzelheiten ihren neuen Haushalt. Lenore bemühte sich, Lady Harrison in das Gespräch mit einzubeziehen. Innerhalb von fünf Minuten stellte sie zu ihrer Befriedigung fest, dass sich Lord Scoresby wie auch Mr Marmaluke gelangweilt entfernten. Mr Buttercombe verschwand erst, als sich Frederick Marshall der Gruppe zugesellte und heiter mit den Damen zu plaudern begann. Lenore war ihm ausgesprochen dankbar für seine Hilfe.

Da Smithers gerade den großen Teewagen hereinschob, entschuldigte sie sich, um für diesen Abend ihre letzte Pflicht als Gastgeberin zu erfüllen. Entgegen ihrer Gewohnheit ließ sie sich von Smithers den Wagen nicht vor den Kamin, sondern zwischen zwei der großen Fenstertüren stellen. Da sich Heybury immer noch mit ihrem Vaters unterhielt, war ihr der Platz vor dem Kamin zu gefährlich.

Lenore bat einige Gentlemen, die Tassen weiterzureichen, beauftragte aber niemand, Tante Harriet den Tee zu bringen. Da man deren Reaktion nie voraussagen konnte, übernahm Lenore diese Aufgabe lieber selbst.

„Vielen Dank, meine Liebe“, dröhnte Tante Harriet so laut, dass Lenore zusammenzuckte. Als sie sich zum Gehen wandte, stand sie Heybury von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

„Keinen Tee?“, erkundigte sich der Duke, der sich insgeheim beglückwünschte, dass sein wohl berechnetes Warten an der Seite Mr Lesters den gewünschten Erfolg gehabt hatte.

„Ich habe schon eine Tasse Tee getrunken, Sir.“

„Sehr gut! Und da Sie bereits sämtliche Gäste mit Tee versorgt haben, sind Sie sicher bereit, mit mir einen kleinen Rundgang zu unternehmen?“

„Ganz der Vater! Immer hinter den Weiberröcken her. Nur dass Ihnen Lenore kein Vergnügen bereiten wird. Dazu ist sie zu gescheit“, schnaubte Tante Harriet.

Lenore wurde vor Verlegenheit blutrot. Als sie sich umschaute, sah sie, dass nur der Angesprochene in der Nähe war und niemand sonst diese schrecklichen Bemerkungen gehört haben konnte. Sie holte tief Luft. „Euer Gnaden, ich bitte meine Tante zu entschuldigen. Sie ist …“

Der Duke lachte. „Meine liebe Miss Lester, ich bin durch eine kleine Taktlosigkeit nicht so leicht zu beleidigen.“ Er ergriff die Gelegenheit, die das Schicksal ihm bot. „Trotzdem schlage ich vor, dass wir diesen Ort verlassen, bevor wir Ihre geschätzte Tante durch unsere Gegenwart noch weiter reizen.“

Lenore vermochte diesem Argument nichts entgegenzusetzen. Gerade kamen die Zofe ihrer Tante sowie der Kammerdiener ihres Vaters herein, um ihre Schutzbefohlenen abzuholen, die sich gleich nach dem Tee zurückzuziehen pflegten. Lenore gedachte ebenfalls nicht mehr lange zu bleiben. Sie beschloss, den Ladys Moffat und Harrison einen entsprechenden Wink zu geben. Nur dass ihr Gefährte sie daran hinderte.

„Ich möchte ein paar Worte mit Lady Harrison wechseln“, erklärte sie auf dessen unausgesprochene Frage.“

„Das ist meiner Ansicht nach keine gute Idee“, erwiderte er. „Die Dame wird in meiner Nähe sofort nervös.“

Lenore fand, dass man ihr das kaum verdenken konnte. „Falls es Ihnen gelingt, Ihren Hang zum Flirten zu unterdrücken, werden Lady Harrison und ihre Schwester Ihre Gegenwart bestimmt ertragen.“

„Meine liebe Miss Lester, da irren Sie sich gewaltig. Gentlemen wie ich flirten nicht. Dieses Wort deutet auf frivole Absichten hin, und meine Absichten sind immer vollkommen ernst.“

„Dann befinden Sie sich im falschen Haus, Euer Gnaden. Ich zumindest habe die Gesellschaften meiner Brüder immer als frivol empfunden.“

Der Duke setzte lächelnd seinen Weg fort, sodass Lenore nichts anderes übrig blieb, als neben ihm herzugeben. Ihrer Meinung nach besteht diese Woche also aus einer Reihe von frivolen Vergnügungen.“

Lenore machte eine Handbewegung in Richtung auf die versammelten Gäste. „Mylord, Sie waren doch schon früher hier.“

Jason neigte den Kopf. „Sagen Sie mir, Miss Lester, entdecke ich da wirklich eine missbilligende, ja kritische Note, in ihrer Haltung den Gesellschaften Ihrer Brüder gegenüber?“

Lenore wählte ihre nächsten Worte sehr sorgfältig. „Ich finde es nicht schlimm, dass meine Brüder ihrem Vergnügen nachjagen, wenn ihnen diese Art zu leben gefällt, und sie keinen Schaden anrichten.“

„Aber für Sie ist das nicht das Richtige.“

„Frivolität ist nicht mein Stil, Sir.“

„In der richtigen Gesellschaft kann ein frivoler Zeitvertreib sehr genussreich sein.“

„In dieser Beziehung sind Sie zweifellos Experte.“

Ein anerkennendes Lächeln spielte um seine Lippen. „Touché, Miss Lester!

Bevor sie etwas sagen konnte, redete er weiter: Macht es Ihnen eigentlich Spaß, solche Anlässe zu organisieren, oder betrachten Sie das Ganze nur als leidige Pflicht?“

Lenore konnte in dieser Frage keine versteckte Falle erkennen. „Ich denke, es macht mir Spaß“, gab sie schließlich zu. „schon weil sich diese Gesellschaften beträchtlich von den anderen unterscheiden, die wir von Zeit zu Zeit geben.“

„Doch Sie nehmen nicht teil an den Vergnügungen Ihrer Brüder.“

„Ich vertreibe mir die Zeit lieber mit ernsthaften Dingen.“

„Meine liebe Lenore, wie kommen Sie auf die Idee, die Jagd nach dem Vergnügen sei keine ernste Sache?“

Als sie sich abrupt von ihm entfernen wollte, hielt er ihre Hand, die auf seinem Arm gelegen hatte, fest. „Ich habe lhnen nicht erlaubt, mich mit meinem Taufnamen anzureden, Euer Gnaden“, protestierte sie im festem Ton.

Jason schaute sie unverwandt an. „Bedarf es denn dieser Förmlichkeit zwischen uns, meine Liebe?“

„Unbedingt“, versicherte Lenore, die ihn auf keinen Fall ermutigen wollte. Mit einem seltsam weichen Lächeln akzeptierte er ihr Urteil. Erst jetzt stellte Lenore fest, dass sie sich nicht länger im Salon, sondern auf der Terrasse befanden. Ein zweiter Blick zeigte, dass außer ihnen niemand hier draußen war. Sie war allein mit Heybury.

„Es kommt mir merkwürdig vor, dass Sie bereitwillig die ­Organisation übernehmen, ohne die Früchte ihrer Arbeit zu genießend.“

„Für die Vergnügungen sind meine Brüder zuständig, ich sorge lediglich für die Bequemlichkeit unserer Gäste.“

Heybury hielt immer noch ihre Hand fest und streichelte sanft die Innenfläche. Das schien ihr eine harmlose Liebkosung zu sein, gegen die sie sich nicht wehren wollte, weil es sich für ihn vielleicht nur um eine geistesabwesende Geste handelte. Lenore ging neben ihm zur Balustrade.

Es herrschte eine sommerliche Atmosphäre. Die blühenden Geißblattsträucher, die unterhalb der Terrassenmauer wuchsen, verbreiteten einen süßen Duft.

Jasons Züge wirkten entspannt, während er die Szenerie in sich aufnahm. „Obwohl Sie die Herrin von Lester Hall sind, trotzen Sie allen Verlockungen und verfolgen Ihre eigenen ernsthaften Interessen“, sagte er plötzlich. „Waren Sie denn nie versucht … Ihr Haar offen zu tragen?“

Sein Blick ruhte zwar auf den ordentlichen Zöpfen, die auf ihrem Kopf eine goldene Krone bildeten, dennoch wusste ­Lenore, dass seine Frage nicht ihrer Frisur galt. „Ich glaube, dass die Zerstreuungen, die Sie meinen, nur unnötige Schwierigkeiten zur Folge haben. Da mir intellektuelle Beschäftigungen mehr liegen, überlasse ich den frivolen Zeitvertreib anderen Leuten.“

„Und mit welchen intellektuellen Thema beschäftigen Sie sich derzeit?“

„Mit dem Alltagsleben der Assyrer“, antwortete Lenore, die sich durch einen schnellen Blick vergewisserte, dass ihn lediglich Wissbegier zu seiner Frage veranlasst hatte. „Es fasziniert mich, zu erfahren, wie sie gelebt, was sie getan und was sie gegessen haben.“

Während Jasons Blick auf ihren vollen Lippen ruhte, versuchte er die Tatsache zu verdauen, dass die junge Dame, die ganz oben auf der Liste seiner möglichen Bräute stand, uralte Zivilisationen interessanter fand als die Gegenwart. „Ich möchte Ihre Studien in keiner Weise schmälern, meine Liebe“, sagte er schließlich. „Dürfte ich Ihnen trotzdem einen Rat geben, der meiner langjährigen Erfahrung entstammt?“

Halb überzeugt, dass sie eigentlich ablehnen sollte und gleichzeitig neugierig, zu erfahren, was er dachte, nickte Lenore.

„Denken Sie nicht, dass es klüger wäre, die Annehmlichkeiten des Lebens zuerst auszuprobieren, bevor Sie sie in Bausch und Bogen verdammen?“

Sekundenlang vermochte sich Lenore fast einzureden, dass er nicht meinen konnte, was er ihrer Meinung nach dachte. Dann hob er die Lider, und sie fühlte sich erneut in seinen silbergrauen Augen gefangen. Ein seltsames Gefühl durchströmte sie, das von der Stelle ausging, wo er mit dem Daumen ihre Handfläche liebkoste. Wie um sich zu retten, suchte sie nach einer Antwort auf seine Frage, auf die es keine Antwort gab. Sie wusste, dass sie verloren war, als sie sah, dass seine grauen Augen zu leuchten begannen.

Jason, der zu erfahren war, um sie in die Arme zu nehmen, vertraute auf die Stärke der gegenseitigen Anziehungskraft, die sie zu ihm bringen würde. „Es gibt hier und jetzt eine ganze Welt, die Sie noch entdecken müssen, Lenore. Sind Sie denn gar nicht neugierig?“

Lenore schüttelte den Kopf.

Seine Lippen, nur wenige Zentimeter von den ihren entfernt, verzogen sich. „Lügnerin!“

Lenore schluckte. Da ihre eigenen Lippen trocken waren, fuhr sie mit der Zungenspitze darüber.

Als Jason plötzlich die Luft einsog, zuckte Lenore zusammen. Er umschloss mit beiden Händen ihre Schultern und schob sie von sich.

„Die Gefahren der Unschuld“, sagte er nach einem Blick in ihre grünen Augen, in denen ein verwirrter Ausdruck stand. „Sie sind doch noch unschuldig, nicht wahr, süße Lenore?“

Ob es sein Ton war oder die Art, wie er mit dem Daumen über ihre Oberlippe glitt – sie hob ärgerlich das Kinn, wobei ihr das Herz bis zum Halse klopfte. „Nicht alle Frauen werden von der Begierde getrieben, Euer Gnaden.“

„Soll das eine Herausforderung sein, meine Liebe?“, fragte er mit seidenweicher, gefährlich klingender Stimme.

Lenore geriet vollends außer Fassung. „Ganz bestimmt nicht“, fauchte sie. „Ich habe nicht vor, Ihnen die Langeweile zu vertreiben. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen? Schließlich muss ich mich auch noch um andere Gäste kümmern.“

Ohne auf seine Antwort zu warten, drehte sie sich auf dem Absatz um und kehrte in den Salon zurück. Dort stellte sie fest, dass die Gesellschaft entschieden ausgelassener und lärmender geworden war. Lady Moffat, Lady Harrison wie auch Amelia waren nicht mehr zu sehen.

Lenore machte sich unauffällig auf den Weg zur Tür. Sie reagierte mit Bestürzung auf den Aufruhr, der in ihrem Inneren tobte. In Zukunft würde sie den Duke meiden. Und das war schade, da sie gern mit ihm zusammen gewesen war.

3. KAPITEL

Als Lenore am nächsten Morgen gegen zehn Uhr die Treppe hinunterging, war sie entschlossen, dass es keine Wiederholung ihrer gestrigen Torheit geben würde. Unter der blauen Schürze, die sie über einem schlichten Morgenkleid trug, klopfte ihr Herz gleichmäßig. Und das sollte für den Rest der Woche so bleiben.

Sie hatte sich schon vor Jahren gegen eine Heirat entschieden. Ihrer Ansicht nach hatte eine Ehe nichts zu bieten, was sie nicht bereits besaß. Sie zog ein geruhsames Leben vor. Es hatte sie einige Mühe gekostet, sich einen Ruf als Exzentrikerin zu erwerben. Für ihre sorgsam ausgewählten Bekannten war sie die gescheite Miss Lester, eine junge Dame von untadeliger Herkunft und im Besitz eines zufriedenstellenden Vermögens, die von ihren verschiedenen Interessen vollständig in Anspruch genommen wurde und die außerdem ihrem Vater den Haushalt führte.

Sie hatte ihre Brüder ermutigt, Freunde und Bekannte nach Lester Hall einzuladen, in der Hoffnung, der Trubel würde ihren Vater aufheitern, der sich von einer langen Krankheit erholte. Lenore hatte darauf vertraut, dass sie inzwischen als erfahrene Frau galt und vor den Nachstellungen der männlichen Gäste sicher war.

Der Duke of Heybury hatte nur zwölf Stunden benötigt, um dieses Vertrauen zu erschüttern.

Lenore zwang sich dazu, positiver zu denken. Sie maß der Situation zu viel Bedeutung zu und hatte nichts zu befürchten. Trotz seines schlechten Rufes hatte niemand dem Duke jemals vorgeworfen, seine Grenzen zu überschreiten.

Im Haus war alles ruhig. Die Damen lagen noch im Bett, zu erschöpft, zum Frühstück nach unten zu kommen. Die Gentlemen hatten, wie sie hoffte, das Haus bereits verlassen. Harry hatte einen Ausritt geplant, um seine Rennpferde zu zeigen, die im Stall einer entfernt liegenden Farm untergebracht waren.

In diesem Augenblick wurde die Tür des Billardzimmers geöffnet.

„Sie haben verdammtes Glück Jason. Eines Tages werde ich Ihnen gewachsen sein und mich für meine Niederlagen rächen.“

Da sie die Stimme ihres Bruders Jack erkannte und wusste, dass sich unter den Gästen nur ein Jason befand, erstarrte Lenore. Für eine Flucht war es zu spät. Jack trat in die Halle, blickte nach oben und sah sie.

„Lenore, dieser Schuft hat mir gerade fünfundzwanzig Guineas abgewonnen, und ich habe nur fünf in der Tasche. Bringst du das wohl für mich in Ordnung, Schwesterlein?“

Die Bitte war von einem schmelzenden Blick begleitet, dem Lenore nie widerstehen konnte. Dabei wünschte sie sich sehr, ihrem schrecklichen Bruder mitteilen zu können, er solle seine Schulden selbst bezahlen. „Ja, natürlich“, erwiderte sie, da ihr nichts anderes übrig blieb. Dann drehte sie sich um, um Jacks Begleiter zu begrüßen.

Als Jason ihre Hand nahm, spürte er, dass ihre Finger flatterten wie ein gefangenes Vögelchen. „Guten Morgen, Miss Lester. Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen.“

„Sehr gut, vielen Dank“, log Lenore, ihre Hand zurückziehend.

„Ich muss nach den Hunden schauen. Higgs sagte etwas von einer Infektion. Papa bekäme einen Schlaganfall, wenn es etwas Ernsthaftes wäre. Wir sehen uns bei den Ställen, Heybury.“ Jack entfernte sich nach einem kurzen Nicken.

„Diesen Weg bitte, Euer Gnaden“, sagte Lenore.

Jason ging neben ihr einen Korridor entlang zu einer Tür, die zu einem kleinen Büro führte, das halb unter der Treppe lag. Von dem einzigen Fenster hatte man einen Blick auf den Rasen hinter dem Haus. Eine ganze Wand nahm ein Regal mit Kontobüchern ein. Lenore setzte sich hinter den alten Schreibtisch, auf dem sauber geordnete Stapel von Papieren lagen, und holte aus dem Täschchen an ihrer Taille einen kleinen Schlüssel.

„Ist dies Ihr Bereich?“

Lenore blickte hoch. „Ja. Ich führe den Haushalt und kümmere mich um einige Belange des Gutes.“

Jason, der sich gegen den Fensterrahmen lehnte, hob eine Braue. „Ich habe mich schon häufig gefragt, wie Jack und Harry das schaffen. Sie scheinen es kaum je für nötig zu halten, sich um ihre Ländereien zu kümmern.“

„Da ständig irgendwo Unterhaltung geboten wird, die ihre Zeit beansprucht, und mir diese Beschäftigung Spaß macht, sind wir vor langer Zeit zu einem Übereinkommen gelangt.“

„Es muss doch unbefriedigend sein, nicht wirkliche Machtbefugnis zu haben.“

„Ich habe schon immer hier gesessen, und jeder weiß, wer Lester Hall leitet.“ Lenore betrachtete durch ihre Brille den Duke, der mit seiner Aura maskuliner Kraft den kleinen Raum zu füllen schien. Einem Anfall von Neugier nachgebend, fragte sie. „Verwalten Sie Ihre Güter selbst, Euer Gnaden?“

„Selbstverständlich, Miss Lester. Das ist eine Verantwortung, die ich niemand übertragen kann und will.“

„Was halten Sie denn von unseren Corn Laws?“, fragte Lenore, die sich eifrig vorbeugte.

„Diese Gesetze zur Einschränkung des Getreidehandels werden nicht funktionieren“, erwiderte er nach einer Pause.

Anschließend entwickelte sich ein Gespräch, das Jason nie für möglich gehalten hätte. Lenore stellte eine Frage nach der anderen, als sie merkte, dass er sich über die Auswirkungen der umstrittenen landwirtschaftlichen Vorschriften im Klaren war.

Schließlich war ihr Wissensdurst gestillt, und sie lehnte sich mit einem Seufzer auf ihrem Stuhl zurück. „Sie glauben also, dass die Gesetze widerrufen werden?“

„Ja, aber bis dahin kann es einige Zeit dauern.“

Lenore war begeistert, dass ein Gentleman bereit war, über ein solches Thema mit ihr zu sprechen. Ihr Vater hatte längst den Kontakt mit der Außenwelt verloren. Ihre Brüder kümmerten sich nicht um Politik. Und unter ihren Bekannten gab es nur wenige, deren Güter groß genug waren, um die negativen Auswirkungen dieser Gesetze zu spüren.

Da ihr plötzlich einfiel, weshalb sie das Büro aufgesucht hatte, zog sie eine Schublade auf, der sie einen zweiten Schlüssel entnahm. Mit beiden Schlüsseln bewaffnet ging sie zu einem Schrank und schloss die Tür auf. Dahinter kam ein grauer Metallsafe zum Vorschein, den sie mit dem zweiten Schlüssel öffnete. Sie griff hinein, holte einen kleinen Beutel heraus und schüttelte sich eine Anzahl Goldmünzen in die Handfläche. Während sie mit Zählen beschäftigt war, umschloss eine große Hand die ihre mitsamt den Münzen.

„Behalten Sie sie.“

„Oh, nein“, rief Lenore, die mit männlichem Stolz zu vertraut war, um ein solches Geschenk anzunehmen. „Jack würde mir das nie verzeihen.“

Heybury schaute sie einen langen Augenblick an. Ich werde kein Geld von Ihnen akzeptieren, Jack jedoch mitteilen, dass seine Schuld bezahlt wurde.“

Lenore schüttelte beharrlich den Kopf.

Jason ließ lächelnd ihre Hand los. „Ich will kein Geld als Bezahlung für Jacks Schulden, Miss Lester. Stattdessen gebe ich mich mit der Antwort auf eine Frage zufrieden.“

„Was für eine Frage?“, erkundigte sich Lenore stirnrunzelnd.

„So nicht“, erwiderte er, während er sich gegen das Bücherregal lehnte. „Zuerst müssen Sie sich einverstanden erklären.“

Lenore überlegte, ob es klug war, sich in einen Handel mit ihm einzulassen. Fünfundzwanzig Guineas waren für ihre Verhältnisse keine große Summe. Andererseits konnte sie das gesparte Geld ihrem Sonderfonds für bedürftige Pächter hinzu­fügen.

„Nun gut.“ Sie ließ die Münzen wieder in den Beutel fallen, den sie in den Safe zurücklegte. Wie lautet Ihre Frage, Euer Gnaden?“

„Warum stellen Sie so beharrlich Ihr Licht unter den Scheffel?“

„Wie bitte?“

„Ich möchte wissen, warum Sie so sorgsam Ihre weiblichen Reize vor den Leuten verbergen, die sie am meisten zu schätzen wüssten.“

„Ich weiß nicht, was Sie meinen, Sir.“

„Das kann ich erklären.“ Mit zwei großen Schritten war er bei ihr und stützte sich mit beiden Händen auf das Regal hinter ihren Schultern, sodass sie zwischen seinen Armen gefangen war.

Lenore räusperte sich. „Ich bin überzeugt, dass Sie viel zu sehr Gentleman sind, um mich einschüchtern zu wollen.“

„Glauben Sie, was Sie wollen, meine Liebe, doch erlauben Sie mir, dieses Ding zu entfernen, hinter dem sich Ihre schönen ­Augen verstecken.“ Ehe sie sich versah, nahm er ihr die Brille von der Nase und ließ sie auf den Schreibtisch fallen.

Lenore unterdrückte einen Aufschrei und funkelte ihn wütend an.

„Eine große Verbesserung“, stellte er lächelnd fest. „Im Gegensatz zu der Mehrheit der Gäste hier bin ich weder blind noch leichtgläubig“, fuhr er fort. „Und daher möchte ich wissen, weshalb Sie Ihre weiblichen Reize so beharrlich verstecken.“

„Wenn es mir gefällt, meine weiblichen Reize, wie Sie es nennen, zu verstecken wer hätte da das Recht, mir das vorzuwerfen?“ Lenore war mit ihrer Antwort sehr zufrieden.

„Viele Leute glauben, dass eine schöne Frau zur Freude der Männer erschaffen wurde.“

„Ich bin nicht auf der Erde, um den Männern das Leben zu verschönen.“ Lenore warf den Kopf zurück, ihre Augen blitzten. „Tatsächlich habe ich entdeckt, dass es sich ohne Komplikationen, die von den Mitgliedern des männlichen Geschlechtes verursacht werden, leichter und ruhiger leben lässt.“

Als er sie scharf anblickte, merkte sie, dass sie zu viel gesagt hatte. „Das heißt …“, begann sie.

„Ich fange an zu begreifen“, fiel er ihr ins Wort. „Da Sie nicht den Wunsch haben, zu heiraten, kleiden Sie sich in Baumwolle und hoffen, dass niemand genau genug hinschaut, um sich für Sie zu interessieren.“

„Ich sehe keinen Grund, warum ein Mann sich für mich interessieren sollte, Sir.“

Seine Reaktion war anders, als sie gehofft hatte. Auf seinen Zügen zeigte sich ein Lächeln. Er packte mit der Hand hinten ein Stück Stoff ihres Kleides, sodass es über dem Busen eng anlag.

Lenores entsetztes Keuchen füllte den Raum. Beim Anblick ihrer deutlich sichtbaren Brustwarzen wurden ihre Augen ganz groß. Empört schlug sie seine Hand zur Seite.

„Da Sie von männlichen Interessen nur sehr wenig verstehen, sollten Sie Ihre Studien ausweiten, bevor Sie irgendwelche Schlussfolgerungen ziehen.“

„Da ich nicht die Absicht habe, zu heiraten, habe ich keinerlei Interesse für dieses Thema.“

Zu ihrer Erleichterung ließ er die Hände zu beiden Seiten fallen. Miss Lester, ist Ihnen noch nicht in den Sinn gekommen, dass Ihnen viel vorenthalten wird?“

„Nein, mein Vater und meine Brüder sorgen gut für mich.“

Ohne Vorwarnung umschloss er mit einer Hand ihr Kinn. ­Lenore vermochte kaum zu atmen. Der Ausdruck in seinen grauen Augen war ernst, beinahe finster. Ihr Vater und Ihre Brüder haben ihre Pflicht Ihnen gegenüber sträflich vernachlässigt. Eine Frau mit Ihrer Intelligenz und Schönheit sollte verheiratet sein.“

„Dieser Meinung bin ich nicht, Sir.“

„Dessen bin ich mir bewusst, meine Liebe. Vielleicht lässt sich das ändern.“

Lenore starrte wie paralysiert zu ihm in die Höhe. Ihr fiel nichts ein, was sie sagen konnte.

Die Tür ging auf. „Entschuldigen Sie bitte, Miss Lenore, ich komme wegen des Speiseplanes.“

Lenore löste sich von ihm und wich zurück. Sie bemerkte die Haushälterin, Mrs Hobbs, die unsicher auf der Schwelle stand. „Seine Gnaden und ich haben gerade das Schloss des Schrankes geprüft“, erklärte sie. „Es klemmt.“

Mrs Hobbs, die ein ganzes Bündel von alten Speisekarten an ihren üppigen Busen drückte, kam herein. „Ich werde John beauftragen, sich darum zu kümmern“, versprach sie.

„Nicht nötig, es funktioniert wieder.“ Lenore warf Heybury einen verzweifelten Blick zu. Sie hoffte, er würde sich gut benehmen und gehen.

Zu ihrer Erleichterung verbeugte er sich höflich. „Es freut mich, dass ich Ihnen behilflich sein konnte. Falls Sie wieder ein Problem haben, dessen Lösung im Bereich meiner bescheidenen Möglichkeiten liegt, zögern Sie nicht, mich zu rufen.“

„Vielen Dank, Euer Gnaden.“

Jason wandte sich zum Gehen. An der Tür drehte er sich noch einmal um und sah, dass Lenore in den Menükarten blätterte.

„Miss Lester?“

Lenore hob den Kopf. „Ja, Sir?“

Er deutete mit dem Finger auf eine Ecke des Schreibtisches. „Ihre Brille!“

Lenore verschluckte ein böses Wort, bevor sie sich das Gestell auf die Nase setzte. Als sie hochblickte, war ihr Peiniger verschwunden.

Eine Stunde später saß sie vor dem geöffneten Kontobuch und starrte aus dem Fenster, als Amelia den Kopf durch die Tür streckte.

„Da bist du ja. Ich dachte schon, ich würde dich nie finden.“

Lenore erwiderte das Lächeln ihrer Cousine, die den Raum durchquerte und sich in einer Wolke von aprikosenfarbenem Musselin in den Sessel vor dem Schreibtisch sinken ließ. „Ich nehme an, dass der gestrige Abend ohne Zwischenfall verlaufen ist?“

Amelia wischte die Frage zur Seite. „Mit allen ist leicht auszukommen, außer vielleicht mit Heybury. Aber Seine Gnaden war nicht anwesend. Übrigens habe ich dir eine Gastgeberinnenpflicht abgenommen.“

„Welche?“

„Die Melton-Schwestern hatten den armen Mr Marshall ziemlich geschafft, sodass ich ihn retten musste. Das erinnert mich an etwas.“ Amelias braune Augen blitzten. „Ich habe herausgefunden, warum Heybury hier ist.“

„Warum?“, fragte Lenore, die hoffte, dass Amelias Aufmerksamkeit die Atemlosigkeit in ihrer Stimme entging.

„Mr Marshall erzählte mir, dass Heybury das Zusammentreffen mit den ehestiftenden Müttern verabscheut. Vermutlich will er sich hier stärken, bevor er nach London zurückkehrt und sich seinem Schicksal stellt. Er hat nämlich sechs Tanten.“

„Das weiß ich“, murmelte Lenore, die mit den Gedanken ganz wo anders war. Als Amelia sie forschend anblickte, setzte sie hinzu. „Sie sind Freundinnen von Tante Harriet.“ Sie räusperte sich. „Was für eine Frau wird Heybury wohl heiraten?“

„Einen Diamanten reinsten Wassers“, antwortete ihre Cousine prompt. „Wer immer dieser Beschreibung entspricht und über die entsprechenden Verbindungen verfügt.“

Lenore versank in Schweigen.

Amelia, die mit den Bändern ihres Kleides spielte, fragte nach einer kleinen Weile: „Was weißt du über Mr Marshall?“

Lenore verbarg ihre Überraschung nicht. „Wie lange hat deine gestrige Rettungsaktion eigentlich gedauert?“

Amelia errötete. „Ich konnte den armen Mann doch nicht so ganz ohne Ansprache lassen. Die Melton-Schwestern sind zwar hübsch, aber ein bisschen dumm.“

Um Lenores Lippen zuckte es. „Bist du nicht hier, um etwas derartiges zu vermeiden?“

„Ich wollte vermeiden, gejagt zu werden. Meines Wissens hat Frederick Marshall noch nie im Leben eine Frau gejagt.“

„Das habe ich auch gehört. Seltsam, wenn man seine Freundschaft mit Heybury bedenkt.“

Amelia warf Lenore einen fragenden Blick zu. „Hältst du immer noch an deinem Ideal einer männerlosen Existenz fest?“

„Ganz gewiss. Es scheint mir unter den gegebenen Umständen das einzig Vernünftige zu sein. Ich dachte, ausgerechnet du würdest das verstehen.“

„Manchmal frage ich mich, ob das richtig ist. Wie soll man die Liebe finden, wenn man ihr aus dem Weg geht?“

„Du weißt, dass die Liebe nichts für uns ist.“

„Mag sein, aber träumst du nicht manchmal?“ Amelia bedachte Lenore mit einem verschmitzten Lächeln. Was ist aus deinen Träumen geworden, in denen du von einem strahlenden Ritter aus einem dunklen Kerker gerettet wurdest?“

„Ich habe vor langer Zeit realisiert, dass es in einem dunklen Kerker sehr unbequem wäre, und dass es riskant sein könnte, auf einen Ritter zu warten, der vielleicht niemals käme.“

Amelia verzog das Gesicht. „Warum bist du so überzeugt, dass es keine Hoffnung für uns gibt.“

„Liebe kommt bei den Mitgliedern des ton sehr selten vor und wenn, ist sie einseitig. Du musst dir einmal die Geschichten anhören, die sich Harriets Freundinnen erzählen. Wie sie ein solches Leben ertragen, weiß ich nicht. Ich könnte es jedenfalls nicht.“

„Du meinst zu lieben und nicht wieder geliebt zu werden.“

Lenore nickte, ohne hochzublicken.

„Wenn man keine Liebe gibt, kann man nicht erwarten, Liebe zu empfangen. Was wäre schlimmer, zu sterben, ohne geliebt zu haben, oder die Chance zu ergreifen und möglicherweise zu gewinnen?“

„Das hängt von den Aussichten zu gewinnen ab.“

„Oder von dem Mann, den man liebt.“

Schweigen breitete sich in dem kleinen Raum aus. Die beiden Frauen waren mit ihren Gedanken beschäftigt. Dann erklang in der Ferne ein Gong.

Mit einem tiefen Seufzer stand Amelia auf und schaute Lenore an. „Lunch!“

Als Lenore an diesem Abend in den Salon trat, fiel ihr Blick auf den Duke, der sich auf der anderen Seite des Raumes mit einigen Gästen unterhielt. Sie schlüpfte sofort in ihre gewohnte Rolle der liebenswürdigen Gastgeberin und begab sich von Gruppe zu Gruppe. Da sie diejenige mied, zu der Heybury gehörte, stand sie plötzlich neben Amelia, die angeregt mit ­Frederick Marshall, den Melton-Schwestern und zwei weiteren Gentlemen plauderte.

„Ich erklärte gerade, dass der Tanz heute Abend ganz informell ist“, sagte Amelia.

Lenore lächelte. „Ja, nur für die Hausgäste. Bei dem Ball am Freitag handelt es sich um eine größere Veranstaltung.“

„Wie aufregend! Wir beide freuen uns schon sehr darauf.“ Lady Harrison wechselte einen strahlenden Blick mit ihrer Schwester.

Der Klang des Gongs und Smithers laute Ankündigung des Dinners erinnerten Lenore an eine ungelöste Frage. Würde Heybury die Zwanglosigkeit einer Gesellschaft auf dem Lande nutzen, woanders an der Tafel Platz nehmen und es ihr überlassen, sich einen neuen Tischherrn zu wählen?

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Der Duke durchquerte soeben mit großen Schritten den Raum, erschien lächelnd an ihrer Seite und bot ihr den Arm. „Sollen wir, Miss Lester?“

„Gewiss, Euer Gnaden.“ Lenore legte die Fingerspitzen auf seinen Arm. Während sie der Tür zustrebten, konzentrierte sie sich völlig darauf, ihre flatternden Nerven zu beruhigen.

„Würde es helfen, wenn ich verspreche, nicht zu beißen?“

Die leisen Worte veranlassten Lenore überrascht hochzublicken. Der leicht belustigte Ausdruck in seinen Augen war nicht dazu angetan, sie ihren Gleichmut bewahren zu lassen.

Jason benahm sich getreu seinem Wort. Er plauderte liebenswürdig mit Mrs Whitticombe, die den Platz zu seiner Rechten erobert hatte, und ermunterte Lord Farningham in einem Maß, dass so etwas wie Heldenverehrung in den Augen des jungen Mannes leuchtete. Der Duke of Heybury konnte tatsächlich sehr charmant sein, wenn ihm der Sinn danach stand.

An diesem Abend verweilten die Gentlemen nicht lange beim Portwein. Der Klang der Geigen rief sie in den Großen Salon. Fünf Musiker, die in einem Alkoven untergebracht waren, spielten zum Tanz auf. Lenore war ständig beschäftigt ermutigte die schüchternen Damen teilzunehmen, und stellte sicher, dass sich keiner der Gentlemen ausschloss. Obwohl sie gern tanzte, tat sie es nur selten, weil sie für die meisten Partner zu groß war. Während sie sich gerade mit Mrs Whitticombe unterhielt, spürte sie eine Hand, die ihren Ellbogen umfasste.

Sie wusste, wer hinter ihr stand, bevor sie sich umdrehte und in seine grauen Augen schaute.

Jason bedachte Mrs Whitticombe mit einem liebenswürdigen Lächeln, bevor er sich seiner Gastgeberin zuwandte. „Würden Sie mir wohl die Ehre erweisen, diesen Walzer mit mir zu tanzen, Miss Lester?“

Ein Tanz mit dem hochgewachsenen Heybury war so verlockend, dass Lenore es nicht über sich brachte, abzulehnen.

„Ist es schwierig, in dieser Gegend Musiker zu finden?“

Er führte sie auf die Tanzfläche, und nach einigen Drehungen hatte Lenore das Gefühl zu schweben. Je mehr sie sich entspannte, desto mehr ließ sie sich von den Klängen des Walzers hinreißen.

Jason beobachtete schweigend ihr Gesicht. „Sie tanzen sehr gut, Miss Lester“, sagte er schließlich.

„Vielen Dank, Sir.“ Lenore richtete den Blick auf einen Punkt hinter seiner rechten Schulter. Dabei war sie sich der Stärke seines Armes, der um ihre Taille lag, und des festen Griffs, mit dem er ihre Hand umschloss, nur allzu bewusst. „Hat Ihnen Ihr Besuch in Harrys kleinem Rennstall gefallen?“, fragte sie, um sich abzulenken.

„Ja, Ihr Bruder betreibt ein ausgezeichnetes Gestüt.“

„Er hat mir erzählt, dass Sie ebenfalls exzellente Pferde besitzen.“ Ein kleines, zufriedenes Lächeln machte die Linien um seinen Mund weicher. Als er sie fester an sich zog, gab sie sich völlig der Musik hin. Sie war sehr enttäuscht, als der Tanz endete.

Jason lächelte ein wenig, als er, ihre Hand immer noch in der seinen, zu ihr hinunterblickte. „Ich sollte Sie zu Ihrer Anstandsdame zurückbringen, wage es aber nicht.“

Da sich Lenore an Tante Harriets Benehmen vom vergangenen Abend erinnerte, sagte sie: „Das wäre sicher nicht klug. Zum Glück bin ich über das Alter hinaus, mich solchen Regeln beugen zu müssen.“

Zu ihrem Erstaunen verhärtete sich sein Gesichtsausdruck. Sie irren sich, Miss Lester. Auch wenn Sie keine Debütantin mehr sind, sind Sie doch weit davon entfernt, eine alte Jungfer zu sein.“

Bevor Lenore sich dazu äußern konnte, stand Mr Peters vor ihr und bat sie um den nächsten Tanz. Als er sie hoffnungsvoll anschaute, erinnerte sich Lenore wieder ihrer Rolle als Gastgeberin. „Es ist mir eine Ehre, Sir“, sagte sie und reichte ihm die Hand. „Würden Sie mich wohl entschuldigen, Euer Gnaden?“

Jason verbeugte sich, die Hand aufs Herz gelegt. „Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen, Miss Lester.“ Um seine Lippen zuckte es, als er beobachtete, wie sie sich hoch erhobenen Hauptes entfernte.

Einige Zeit später begegnete ihm Frederick Marshall, der anscheinend eine Vorliebe für die Gesellschaft von Lady Wallace entwickelt hatte.

„Haben Sie vor, die ganze Woche lang hier zu bleiben, Euer Gnaden?“ Mr Marshalls Gegenwart gab Amelia die Sicherheit, ihre Frage zu stellen.

Jason hob eine Braue. „Das ist in der Tat meine Absicht. Was meinst du, Frederick?“, wandte er sich an seinen Freund. „Erwartest du, hier etwas zu finden, was dein Interesse erregt?“

Frederick maß ihn mit einem scharfen Blick, bevor er antwortete: „Ich sehe keinen Grund, warum wir uns hier nicht amüsieren sollten.“

„Großartig!“ Amelia lächelte, nachdem sie die gewünschte Auskunft erhalten hatte. „Ich freue mich schon auf Ihre Gesellschaft, meine Herren. Aber jetzt muss ich ein paar Worte mit Lady Henslaw sprechen. Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Mr Marshall? Euer Gnaden?“ Amelia ließ die Herren allein.

Jason, der ihr nachsah, stellte fest, dass sein Freund es ihm gleichtat. „Hoffen wir, dass Lady Wallace die Sache nicht zu ernst nimmt“, sagte er.

„Lady Wallace ist eine vernünftige Frau, mit der man ein Gespräch führen kann und die nicht erwartet, im Sturm erobert zu werden.“

Jason nickte. „Ich verstehe.“

„Wenn wir schon von Frauen sprechen, die im Sturm erobert werden wollen … dieser Walzer, den du mit Miss Lester getanzt und offensichtlich sehr genossen hast … er war an der Grenze des Unschicklichen … aber das weißt du ja selbst.“

Jason lächelte. „Zu meiner Verteidigung kann ich nur vorbringen, dass sie den Tanz ebenfalls genossen hat. Zweifellos ist sie die graziöseste Partnerin, die ich jemals hatte.“

„Ja, und das weiß jetzt die ganze Gesellschaft. Denkst du, sie wird dir dafür dankbar sein?“

„Daran habe ich nicht gedacht“, erwiderte Jason. „Ach ja, ich wollte dich schon fragen, ob dir Gerüchte über meine Absichten zu Ohren gekommen sind.“

Frederick verfolgte mit Blicken die tanzenden Paare, vor allem aber Lady Wallace. „Allerdings. Die meisten Gäste, die aus der Stadt gekommen sind, haben davon gehört.“

Jason stieß einen unhörbaren Fluch aus.

„Stört dich das?“, erkundigte sich Frederick erstaunt. „Das war doch unvermeidlich.“

„Es wäre mir lieber, wenn nicht jedermann Bescheid wüsste, obwohl das auf den Ausgang keine Wirkung haben dürfte. Ich nehme lediglich an, dass ich Überlegungen anstellen muss, wie ich das Problem angehe.“

„Du hast dich also auf Miss Lester festgelegt?“

„Überrascht dich das?“

Eingedenk des Walzers und dessen, was er enthüllt hatte, zuckte Frederick die Achseln. „Nicht wirklich. Doch wo liegt dein Problem?“

„Die Dame ist strikt gegen eine Ehe.“

Ein Hustenanfall bewirkte, dass Frederick sich zur Seite drehte. „Wie bitte?“, fragte er, sobald er dazu wieder in der Lage war.

„Du hast schon richtig gehört. Doch wenn du glaubst, ich würde mir die einzige Frau entgehen lassen, die meinen Anforderungen entspricht, hast du dich geirrt.“

4. KAPITEL

Als Lenore am nächsten Tag von den Plänen ihrer Brüder für den Abend erfuhr, war es zu spät, etwas dagegen zu unternehmen. Sie durfte gar nicht daran denken, wie die von Stunde zu Stunde ausgelassener werdende Gesellschaft ein musikalisches Stegreifprogramm gestalten würde. Ihre Brüder kannten eine Menge zweideutiger Lieder, und dass sie nicht wusste, wie sie sie im Zaum halten sollte, störte sie beträchtlich.

Als Heybury kam, um sie zum Dinner zu führen, hob er fragend die Brauen. „Ich wüsste gern, was Ihre gewohnte Ruhe beeinträchtigt hat, Miss Lester.“

„Es ist nichts, Sir. Bitte kümmern Sie sich nicht um meine Launen.“

„Meine Liebe, ich denke nicht daran, über etwas hinwegzusehen, was diese Falten auf Ihrer schönen Stirn verursacht hat.“

„Wenn Sie es denn wissen müssen … die Pläne meiner Brüder, uns heute Abend mit musikalischen Einlagen zu unterhalten, finden nicht meine Billigung.“

„Geben Sie zu, dass Ihnen weniger unsere mangelnden Talente, sondern die mögliche Auswahl der Darbietungen Sorgen bereiten. Nun, ich nehme es auf mich, den Übermut derjenigen zu dämpfen, die zum Exzess neigen. Oder zumindest in Grenzen zu halten“, fügte er hinzu.

„Ich bin nicht sicher, ob Ihnen das gelingt, Sir“, wandte ­Lenore ein.

„Zweifel, Miss Lester?“, fragte Jason ein wenig spöttisch. Entspannen Sie sich, meine Liebe, und überlassen Sie es mir, die Sache zu handhaben.“ Während sie sich hinsetzte, warf sie ihm einen unsicheren Blick zu. Er nahm zu ihrer Rechten Platz und lächelte. „Wer könnte wohl Menschen mit allzu freizügigem Benehmen besser mundtot machen als ein Wüstling?“

Da sie darauf keine Antwort wusste, widmete sich Lenore ihrer Suppe.

Als sich die Gesellschaft ins Musikzimmer begab, ging der Duke an Lenores Seite. Fordern Sie die Melton-Schwestern zum Spielen auf, sagte er. „Ich nehme an, dass Sie selbst auch am ­Piano geübt sind?“

„Ja, aber ich singe nicht“, erwiderte sie. Er lächelte nur und begleitete sie zu einem Platz in der ersten Reihe. Zu ihrer Überraschung setzte er sich neben sie.

Sein Plan erwies sich als einfach. Auf sein Drängen hin bat ­Lenore eine der jüngeren Damen nach der anderen, zu singen oder Piano zu spielen. Lady Henslaw gab erstaunlich gut eine alte Ballade zum Besten. Mrs Ellis folgte mit einem harmlosen Lied. Mrs Cronwell spielte mit echtem Können ein Menuett.

Aus dem Augenwinkel entdeckte Lenore, dass sich ihr Bruder Harry unbehaglich auf seinem Stuhl bewegte. Jason sah das auch. „Harry als nächster“, sagte er.

„Halten Sie das wirklich für klug, Sir?“, fragte Lenore.

„Verlassen Sie sich auf mich, Miss Lester.“

Ihrer Aufforderung folgend, stand ihr Bruder auf. „Komm und begleite mich, Cousine“, rief er Amelia zu, die sich sofort erhob und an das Piano setzte. Das Lied, das er gewählt hatte, war ein wenig gewagt, aber nicht unpassend. Zu Lenores Erleichterung schien Harry sich über den Applaus, der seinem Vortrag folgte, zu freuen.

„Bitten Sie Frederick Marshall“, sagte Jason. „Er singt sehr gut.“

Diese Behauptung erwies sich als wahr. Von Amelia am Piano begleitet, nahm Mr Marshall mit seinem angenehmen Bariton seine Zuhörer gefangen. Als am Ende des Liedes spontan Beifall aufrauschte, lächelten sich die beiden Vortragenden zu.

„Und jetzt Jack.“

Lenore drehte sich zu ihrem ältesten Bruder um, der mit gelangweilter Miene an der Wand lehnte. Als sie winkte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, sah sie, dass sein Blick zwischen ihr und dem Duke hin- und herflog.

„Nein, meine Liebe“, lehnte er ab. „Du bist dran, die Fahne des Hauses hochzuhalten. Ich schlage ein Duett zusammen mit dem Gentleman neben dir von.“

Lenore war gesellschaftlich zu erfahren, um ihre Bestürzung zu zeigen. Sie wandte sich Jason zu, der ihren Blick mit einem Lächeln und einer Handbewegung zum Piano beantwortete. „Sind Sie bereit, Miss Lester?“

Obwohl sie am liebsten zumindest einem der beiden den Hals umgedreht hätte, stand sie auf und ging neben Heybury zum Instrument. Nach einem kurzen, mit unterdrückter Stimme geführten Gespräch entschieden sie sich für eine Ballade, der sich Lenore einigermaßen gewachsen fühlte.

Später erinnerte sie sich kaum noch an die Darbietung. Sie wusste nur, dass sie annehmbar gesungen hatte. Ihre Altstimme war nicht so gut ausgebildet wie Amelias heller Sopran, passte aber gut zu Jasons mächtigem Bass. In perfekter Harmonie erklangen die letzten Töne. Als das Publikum zu klatschen begann, ergriff Jason sie bei der Hand und zog sie vom Klavierhocker in die Höhe.

„Ein erinnerungswürdiger Augenblick, meine Liebe. Vielen Dank!“

Lenore glaubte sicher zu sein, dass er ihre Fingerspitzen küssen würde, wie er das schon früher getan hatte. Nach einem Blick auf die Zuhörer legte er sich stattdessen ihre Hand auf den Arm.

Als Smithers mit dem Teewagen hereinkam, entschuldigte sie sich bei ihrem Partner und drängte sich durch die Gäste der relativen Sicherheit entgegen, die ihr das Füllen der Teetassen zu bieten schien. Sie war Heybury für seine Unterstützung dankbar, beschloss aber zugunsten ihres eigenen Seelenfriedens weniger Zeit in seiner Gesellschaft zu verbringen.

Am nächsten Tag, dem Mittwoch, war der Himmel hell und klar. Zu Lenores Überraschung waren die Gäste als Folge des vergangenen Abends ausgesprochen gut gelaunt. Die geräuschvolle Fröhlichkeit und die lauten Scherze der letzten Tage hatten lächelnden Mienen und angenehmen Gesprächen Platz gemacht.

Die Mehrzahl der Damen hatte verabredet, sich zum Frühstück im sonnigen Morgenzimmer zu treffen. Das Erstaunen der Herren darüber legte sich schnell, als sich die Gesellschaft in zwanglosen Gruppen am Tisch zusammenfand. Die Damen, die Tee tranken und an dünnen Scheiben Toast knabberten, plauderten angeregt mit den Herren, die sich von den Gerichten auf dem Sideboard ausgiebig bedienten.

Lenore achtete darauf, dass die jüngeren, weniger selbstbewussten Damen zu ihrem Recht kamen. Da bis jetzt nichts vorgefallen war, um die heitere Atmosphäre zu stören, hoffte sie, dass die Woche trotz des Einfallsreichtums ihrer Brüder reibungsloser als erwartet verlaufen würde. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass alles in Ordnung war, nahm sie einen Teller und wählte für sich einige Delikatessen aus.

Dann drehte sie sich um, um sich einen Platz zu suchen. Heybury saß auf der anderen Seite des Tisches, eine Hand auf die Lehne des freien Stuhles neben sich gelegt. Obwohl er sich mit Lord Holyoake unterhielt, ruhte sein Blick auf Lenore.

Die Versuchung, sich zu ihm zu setzen, war sehr groß. Stattdessen gesellte sie sich zu Lady Whitticombe und Lady Henslaw am hinteren Ende der Tafel. Dabei vermied sie es geflissentlich, in Heyburys Richtung zu schauen.

Lenore redete sich ein, Erleichterung zu spüren, dass er nicht den Versuch machte, mit ihr zu reden. Er fing jedoch ihren Blick ein, als sie den Kopf hob, weil die Gentlemen aufstanden. Zu ihrem Ärger vermochte sie die Augen nicht von ihm zu wenden, als er neben ihrem Stuhl stehen blieb.

„Guten Morgen, Miss Lester. Meine Damen“, sagte er und verbeugte sich höflich, bevor er sich den Herren auf ihrem Weg zur Waffenkammer anschloss.

Da die weiblichen Gäste den Vormittag in den Gärten verbringen wollten, zog Lenore sich in die Bibliothek zurück.

Nur dass die Assyrer jeglichen Reiz verloren hatten. Während sie sich noch Gedanken über ihr mangelndes Interesse für ein Thema machte, das sie noch vor einer Woche völlig in Anspruch genommen hatte, kam Amelia herein, setzte sich in einen Sessel und seufzte tief.

„Wie übt man auf einen Mann Anziehungskraft aus?“, fragte sie.

Lenore schaute sie erstaunt an. „Ich dachte, du wolltest dir die Männer vom Hals halten.“

„Darin habe ich ja viel Übung“, erwiderte Amelia. „Deshalb weiß ich auch nicht, wie ich das Gegenteil bewerkstelligen soll.“

„Und warum das Ganze?“

„Es geht um Mr Marshall“, gestand Amelia mit leuchtenden Augen. „Er behandelt mich, als ob nur meine Wünsche zählen. Ich fühle mich so sicher, so geborgen bei Frederick.“

„Frederick?“

„Warum soll ich um die Sache herumreden, Lenore? Ich möchte Frederick dazu bringen, in einer persönlicheren Art an mich zu denken. Doch wie schafft man eine so delikate Aufgabe, ohne einen falschen Eindruck zu erwecken?“

Da sie ganz offensichtlich eine Antwort erwartete, spreizte Lenore hilflos die Hände. „Ich habe keine Ahnung, was ich dir raten soll.“

„Unsinn“, erwiderte Amelia. „Du bist eine intelligente Frau und kannst mir zumindest einen Wink geben, wie ich vorgehen könnte.“

Lenore überlegte. „Wenn du versuchst, so viel wie möglich mit ihm zusammen zu sein, begreift er sicher, dass dir an seiner Gesellschaft etwas gelegen ist.“

„Das wäre immerhin ein Anfang.“ Amelias weiche Züge nahmen einen entschlossenen Ausdruck an. Und je mehr ich mit ihm rede, desto mehr habe ich die Möglichkeit, seine Gedanken in die entsprechende Richtung zu lenken. Doch ich muss sofort beginnen, weil mir sonst die Zeit knapp wird.“

Lenore schaute sie forschend an.

„Frederick wird Heybury Ende der Woche bestimmt nach London begleiten. Und angesichts ihrer Freundschaft ist anzunehmen, dass er ihm beisteht, wenn die Meute der ehestiftenden Mütter ihn überfällt. Ich würde lieber in die Stadt zurückkehren, anstatt zu Tante Mary nach Bath zu fahren. Aber ich möchte ­Rothesay nicht gegenübertreten, ohne zu wissen, ob es eine Chance für mich gibt.“

„Und falls Mr Marshall Interesse zeigt, riskierst du eine Konfrontation mit dem Viscount?“

„Falls Frederick echtes Interesse zeigt, würde ich für die Chance, glücklich zu werden, durch die Hölle gehen.“

Die Sehnsucht, die in ihrer Stimme mitschwang, erschreckte Lenore. Sie stand auf, umarmte Amelia und drückte sie an sich. „Liebes, ich wünsche dir viel Glück bei deinem Vorhaben.“

Ihre Cousine erwiderte die Umarmung. „Ich werde deinen Rat sofort in die Tat umsetzen. Da Frederick mich nicht jagt, werde ich ihn jagen müssen.“ Sie ging zur Tür, wo sie noch einmal stehen blieb. „In absolut damenhafter Weise natürlich.“

Lenore fragte sich, wie viel Ermutigung Frederick Marshall wohl benötigte.

Beim Lunch ging es sehr fröhlich zu. Die Gäste, die alle Förmlichkeit abgestreift hatten, versammelten sich am See, wo sie an einer langen Tafel, an kleinen Tischen und auf Decken saßen, die im Gras ausgebreitet waren. Smithers und seine Helfer servierten.

„Die Erdbeeren waren delikat, meine Liebe.“

Lenore drehte sich zu Heybury um. „Vielen Dank, Euer Gnaden.“ Sie rückte zur Seite, sodass er neben ihr Platz fand und zuhören konnte, wie die anderen über den nachmittäglichen Ausflug sprachen.

Jack zufolge soll das Bauwerk schon uralt sein“, sagte Mrs Whitticombe.

„Und mit Efeu bewachsen“, fügte Lady Henslaw hinzu. Das klingt schrecklich romantisch. Harry sagt, dass sich dort in früheren Zeiten die Liebespaare getroffen haben.“

Lenore schwieg. Die Fantasie ihrer Brüder kannte keine Grenzen. In dem alten Gemäuer, das während des Bürgerkrieges als Wachtturm errichtet worden war, war niemals etwas Romantisches passiert. Der untere Raum hatte als Kuhstall gedient, bis das Efeu ihn in Besitz genommen hatte. Doch die Aussicht vom höchsten Punkt aus war wunderbar. Die Gesellschaft würde nicht enttäuscht werden.

„Sie müssen schon oft dort gewesen sein, Miss Lester. Freut es Sie, einen Ausflug dorthin zu machen?“

Als Lenore den Kopf hob, entdeckte sie einen Ausdruck in Jasons Augen, bei dem sie innerlich erbebte. Ich würde mich langweilen. Ich beabsichtige, die Karpfen im Teich in der Mitte des Irrgartens zu füttern.“

„Zweifellos ein ruhigerer Ort, um einen schönen Nachmittag zu verbringen.

Während Lenore klopfenden Herzens auf seine nächsten Worte wartete, schaute er zu ihrem Erstaunen zur Seite.

Als sie der Richtung seines Blickes folgte und sah, dass Jack sich näherte, klar erkennbar in der Absicht, mit Heybury zu sprechen, murmelte sie „Euer Gnaden“ und wandte sich an Lady Harrison.

Jason, der vermeiden wollte, dass Jack schon jetzt sein Interesse bemerkte, ließ sie gehen.

„Sie sind ein Gauner, Jason. Was zum Teufel hat Sie bewogen, Lenore gestern Abend zu helfen?“

Heybury lächelte. „Weil Ihre Schwester recht hatte, wenn auch aus den falschen Gründen. Schauen Sie sich doch um. Wie vergnügt und entspannt würden sich die Damen wohl fühlen, wenn es nach Ihrem und Harrys Kopf gegangen wäre? In Zukunft sollten Sie Ihre Strategie ein bisschen sorgfältiger planen. Nehmen Sie diesen Rat von jemand an, der sich in solchen Dingen auskennt.“

Jack lachte. Angesichts Ihrer Erfahrung lässt sich dagegen kaum etwas einwenden. Dafür erwarte ich von Ihnen Revanche am Billardtisch. Harry soll die Gäste bei dem Ausflug begleiten. Wir spielen unsere Partie und folgen später nach.“

„Eine exzellente Idee!“

Enttäuscht und ärgerlich zugleich wartete Lenore, die der Unterhaltung mit halbem Ohr gefolgt war, bis Heybury und Jack im Haus verschwunden waren. Dann entschuldigte sie sich bei den Gästen und ging in die Küche. Dieses Mal sollte ihr Bruder seine Schulden selbst bezahlen.

Zehn Minuten später verließ sie mit einem Körbchen Brotkrumen am Arm das Haus. Sie ging zum Teich, der in der Mitte des Irrgartens lag. Dort angelangt, setzte sie sich ans Ufer, stellte den Korb neben sich und fing an, den hungrigen Fischen Brotkrumen zuzuwerfen.

Was hatte sie nur bewogen, Heybury hierher einzuladen? Zugegebenermaßen bedeutete er keine Gefahr für sie. Am Samstagmorgen würde er nach London zurückkehren und irgendeinem albernen Mädchen einen Antrag machen. Warum sie bei diesem Gedanken eine solche Enttäuschung empfand, war ihr allerdings unbegreiflich. Sie gestand sich ein, dass sie sich danach sehnte, einmal eine gewisse Erfahrung zu machen und das gleiche erregende Gefühl wie andere Frauen zu erleben. Die ersten Anzeichen davon spürte sie, wann immer Heybury in der Nähe war. Sie hätte den Gefühlen, die sie bisher instinktiv unterdrückt hatte, gern ein einziges Mal nachgegeben. Doch auch wenn sie unter Heyburys Bann geriet, würde er sie nicht verführen. Sie hatte den Ehrenmann hinter seiner Maske erkannt, und das bedeutete, dass sie vor ihm sicher war.

Zwanzig Minuten später machte sich Jason auf den Weg zum Irrgarten. In Gedanken beschäftigte er sich mit der Frau, die er suchte. Er nahm nicht an, dass sie ihren Widerstand gegen die Ehe bereits aufgegeben hatte. Doch da sie inzwischen wusste, dass er heiraten musste, konnte er ihre Einladung nur so deuten, dass sie mit ihm über die Angelegenheit sprechen wollte.

Ihr Wunsch, unverheiratet zu bleiben, war im Hinblick darauf, dass sie ihre Unabhängigkeit genossen hatte, begreiflich. Jason beabsichtigte, ihr klarzumachen, dass eine intelligente, unabhängige Frau sich vor einer Ehe mit ihm nicht fürchten musste.

Er war sich mit jedem verstreichenden Tag sicherer geworden, dass Lenore Lester die richtige Frau für ihn war, weil sie all seine Anforderungen erfüllte. Wenn er erst ihre Zurückhaltung überwunden und ihre Vorstellung von einer Ehe seinen Richtlinien entsprechend verändert hatte, zweifelte er nicht daran, dass sie keinen weiteren Grund finden würde, ihn abzuweisen.

Wenig später lagen die gewundenen Hecken des Irrgartens hinter ihm, und vor ihm erstreckte sich eine große viereckige Rasenfläche mit einem Teich in der Mitte, dessen Wasserfläche Seerosen bedeckten. Am dessen Rand saß Lenore, die damit beschäftigt war, Fische zu füttern.

Ihr Herz fing wie wild zu klopfen an, als sie merkte, dass er ihrer unausgesprochenen Einladung tatsächlich gefolgt war. „Guten Tag, Euer Gnaden“, begrüßte sie ihn mit aller Ruhe, die sie aufbringen konnte, während sie fortfuhr, den Karpfen Brotkrumen zuzuwerfen.

Sein Blick streifte die hohen Hecken, die sie umgaben. Da die meisten Gäste an dem Ausflug teilnahmen, war eine Störung kaum zu befürchten. Hätte er die Absicht gehabt, sie zu verführen, hätte er sich keinen besseren Platz vorstellen können.

„Haben Sie Lust, die Fische zu füttern?“

„Eigentlich nicht“, lehnte Jason nach einem Blick auf die großen Fische ab, die langsam hin und her schwammen. „Sie sehen ziemlich satt aus.“

Lenore konnte ihm nur beipflichten. „Weitere Nahrung brauchen sie tatsächlich nicht.“

Einen Augenblick lang äußerte Heybury nichts. „Kommen Sie, setzen Sie sich mit mir in die Sonne“, sagte er schließlich, zog sie auf die Füße, nahm ihren Korb und führte sie zu einer schmiedeeisernen Bank, die auf dem Rasen stand.

Während Lenore ihre Röcke ordnete, bedauerte sie plötzlich, sich nicht hübscher angezogen zu haben.

„Übrigens habe ich Jack gewinnen lassen“, sagte er, nachdem er neben ihr Platz genommen hatte.

„Warum?“

„Wir sind schneller fertig geworden. Er war sehr mit sich zufrieden, als wir uns trennten, weil er der Gesellschaft folgen wollte. Jason verschwieg, dass Jack seine geäußerte Absicht, den Nachmittag mit Übungen am Billardtisch zu verbringen, voller Misstrauen aufgenommen hatte. „Interessieren Sie sich ebenfalls für Spiele, meine Liebe?“

„Überhaupt nicht“, gab sie zu, um sich sofort zu erkundigen, welche Spiele er kannte.

Es war eine lange Liste, zumal er die Regeln jedes Einzelnen erklärte.

„Offensichtlich verbringen Sie in der Stadt viel Zeit in Ihren Clubs“, sagte Lenore, als er geendet hatte.

Jason lachte. „So mag es Ihnen erscheinen. Doch es machte mir lediglich in meiner frühesten Jugend wirklich Spaß, die ganze Nacht am Kartentisch zu sitzen.“ Nach einem Blick auf ihr schönes Profil setzte er hinzu: „Es gibt so viel angenehmere Dinge, um sich die Zeit zu vertreiben.“

Autor

Stephanie Laurens

Stephanie Laurens wurde in Ceylon (dem heutigen Sri Lanka) geboren. Sie begann mit dem Schreiben, um ihrem wissenschaftlichen Alltag zu entfliehen. Bis heute hat sie mehr als 50 Romane verfasst und gehört zu den erfolgreichsten Autorinnen historischer Liebesgeschichten. Die preisgekrönte New York Times-Bestsellerautorin lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern...

Mehr erfahren