Julia Ärzte zum Verlieben Band 190

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Hart hat die hübsche Ärztin Robyn für ihren Erfolg gearbeitet, kommt sie doch aus einfachen Verhältnissen. Genau wie der engagierte Krankenpfleger Avery, der ihr Herz erobert! Sie ahnt nichts von seinem Geheimnis: Avery stammt aus einer schwerreichen Familie und ist Milliardär …

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  • Erscheinungstag 04.05.2024
  • Bandnummer 190
  • ISBN / Artikelnummer 9783751526173
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Scarlet Wilson, Julie Danvers, Annie Claydon

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 190

1. KAPITEL

So sollte der Tag nicht starten. Ganz bestimmt nicht!

Dr. Robyn Callaghan strich sich zum zwanzigsten Mal das Haar aus dem Gesicht und fragte sich, warum die Klimaanlage des Krankenhauses für alle anderen zu funktionieren schien, nur nicht für sie.

Schweiß rann ihr über den Rücken, während sie zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinaufstürmte. Zum sechsten Mal alarmierte sie ihr Pager heute Vormittag. Ihr Frühstück, das gleichzeitig ihr Mittagessen war, stand unberührt auf einem Tisch in der Kantine, zusammen mit einem großen Becher Kaffee. Sie hatte keine Zeit gehabt, auch nur einen Bissen davon zu essen. Sobald sie eine Minute Pause machen konnte, musste sie an die Banane denken, die sie sich in die Tasche gesteckt hatte.

Sie stieß die Türen zur Kardiologie auf und schaffte drei Schritte, bevor der Pager erneut losging. Herzstillstand. Nein. Nicht schon wieder. Den Rest hörte sie sich gar nicht erst an.

Als in der Nähe ein Echo ihres Pagers ertönte, blickte sie auf und rannte los in Richtung kardiologische Intensivstation. Dort war sie heute schon zwei Mal gewesen.

Ein Hüne von Mann preschte aus dem Zimmer zu ihrer Linken und stieß beinahe mit ihr zusammen. Zum Glück täuschte die breitschultrige Statur … der Typ bewegte sich wie ein Tänzer, als er ihr geschickt auswich und ihr ein leicht amüsiertes Lächeln zuwarf. „Falsche Richtung“, sagte er, während der Rest der Nachricht wiederholt wurde.

Herzstillstand. Haupteingang.

Fast hätte sie laut geflucht. Sie fuhr herum und sauste Mr. Leichtfuß hinterher, der bereits die Tür zum Treppenhaus erreicht hatte. Wäre der Pager drei Minuten früher losgegangen, hätte sie sich den Aufstieg sparen können!

Ihr Herz hämmerte, als sie mit ihrem athletischen Kollegen Schritt zu halten versuchte. Im Erdgeschoss angekommen, blieb er kurz stehen und hielt ihr die Tür auf.

„Danke“, stieß sie atemlos hervor, lief weiter zum Haupteingang. Dort lag ein Mann im Anzug auf dem Boden, ein paar Leute knieten um ihn herum.

Als sie näher kam, sah sie, dass eine Krankenschwester bereits mit der Herzdruckmassage begonnen hatte. „Ich hole den Wagen.“ Robyn flitzte nach rechts zur Ambulanz.

Vollständig bestückt stand der leuchtend rote Notfallwagen vor einem der Sprechzimmer. Im Laufschritt schob sie ihn zum Haupteingang, ihr Gehirn funktionierte auf Autopilot. Sie hob den Defibrillator herunter, zog das Schutzpapier von den beiden Elektroden und positionierte sich über der Krankenschwester.

Diese unterbrach die Wiederbelebung für ein paar Sekunden, riss das Hemd des Mannes auf, sodass Robyn die Elektroden auf seine Brust kleben konnte. Sofort las die Maschine die Herzfrequenz aus.

Der Mann von der Kardiologie schnappte sich Beatmungsbeutel und Maske vom Instrumentenwagen und begann, Luft in die Lungen des Patienten zu pumpen. Dessen Gesichtsfarbe verriet, dass er nicht selbstständig atmete.

Aller Augen richteten sich auf den Monitor. Zwei Sekunden später erlosch er.

Robyn beugte sich vor und versetzte dem Gerät einen Stoß. Noch nie hatte sie erlebt, dass sich ein Defi von selbst abschaltete. Die Schwester in ihrem blassrosa Krankenhauskittel wirkte verdattert. Aber der Typ – der Tänzer –, der die grüne OP-Kleidung der Kardiologie trug, sprang auf. „Es gibt für alles ein erstes Mal. Ich hole einen anderen.“

Er joggte davon, und Robyn und die Ambulanzschwester starrten einander an. Robyn fasste es nicht. Wenn sie das hier irgendwann in ihrem ärztlichen Freundeskreis erzählte, würden alle entsetzt den Kopf schütteln. Aber sie weigerte sich, in Panik zu geraten. Zwar gehörte ein Defi heutzutage zur Standardausrüstung eines jeden Krankenhauses, doch es hatte Zeiten gegeben, wo das nicht der Fall war. „Sie übernehmen den Beatmungsbeutel, ich die Herzdruckmassage“, sagte sie zu der Schwester.

Unter idealen Umständen würde sie versuchen, einen Venenzugang zu legen, aber das musste vorerst warten. Apropos … wo blieb der Anästhesist? Normalerweise kam bei einem Herzstillstand einer sofort dazu, aber sosehr sie auch die Ohren spitzte, sie hörte keine eiligen Schritte.

Aus einem der nahe liegenden Zimmer kam ein Pflegehelfer, stutzte und fragte: „Soll ich euch eine Fahrtrage bringen?“

Beide Frauen, auf die Reanimation konzentriert, nickten.

„Wissen Sie irgendetwas über diesen Mann?“, fragte Robyn die Krankenschwester.

Kopfschüttelnd lächelte diese schwach. „Ich wollte gerade zur Pause gehen.“ Sie blickte über die Schulter. Die Tür zur Ambulanz war geschlossen. „Die denken bestimmt, ich bin in der Kantine.“

„Robyn Callaghan“, stellte sie sich rasch vor. „Habe gerade in der Kardiologie angefangen.“

„Monica Garske“, sagte die Schwester. „Arbeite seit zwanzig Jahren in der Ambulanz und habe noch nie auf einen Herzstillstand reagieren müssen.“ Sie lächelte nervös.

Eine feste Hand landete auf ihrer Schulter. „Und Sie machen einen großartigen Job.“ Der Mann in der grünen OP-Kleidung kniete sich neben den Patienten, in einer Hand einen Defi. Schnell und geschickt tauschte er die Elektroden und startete das Gerät. Ein älterer Mann erschien, feiner Schweiß bedeckte seine Stirn. Der Anästhesist, endlich!

„Bitte sagt mir, dass wir den Mann höher lagern können. Sonst schafft mein Rücken das nicht.“

„Keine Sorge, Joel“, sagte Mr. Grünkittel beruhigend. „Ardo holt uns eine Rollliege.“

Robyn sah wieder auf den Monitor. „Kammerflimmern“, verkündete sie gleichzeitig mit ihrem Gegenüber. Ihre Blicke trafen sich, und unwillkürlich stockte ihr der Atem.

Zum ersten Mal nahm sie den Mann richtig wahr. Die OP-Kleidung betonte seine grünen Augen. Sonnengebräunte Haut und etwas längeres dunkles Haar erinnerten sie an das italienische Model aus der Werbung vor ein paar Jahren, das in enger weißer Badehose dem Meer entstieg und für ein Aftershave warb.

Hätte sie Zeit gehabt, hätte sie den Anblick ausgiebig genossen. Doch jetzt war ihr Gehirn auf Wichtigeres ausgerichtet, und die Beobachtungen hielten sich nur einen Wimpernschlag lang in ihrem Bewusstsein auf.

„Bereit zum Schocken“, sagte sie, beugte sich vor, drückte den Startknopf und sah sich um. „Hände weg vom Patienten.“

Hände hoben sich, niemand berührte mehr den reglosen Körper. Unter dem Stromstoß zuckte er, aber die Herzfrequenz blieb unverändert.

Eine Fahrtrage wurde herangerollt, und aus dem Augenwinkel sah Robyn eine Plastikmatte. Fünf Sekunden. Mehr brauchte es nicht, um die Matte unter den Patienten zu schieben und ihn auf die Trage zu heben. Dann wurde der Defi neben seiner Brust platziert.

„Bereit zum Schocken“, sagte Robyn erneut, als wäre es das Normalste der Welt. Idealer wäre es gewesen, wenn sie Zeit gehabt hätte, ihn in einen passenden Untersuchungsraum zu bringen und genau zu untersuchen. Aber ein Herzstillstand war eine heikle Sache. Er ließ einem keine Zeit. Tatsächlich war die Zeit sein ärgster Feind. Je schneller Robyn ihn aus diesem Zustand schockte, umso besser.

„Hände weg!“ Wieder drückte sie auf den Knopf, und die elektrische Ladung wurde augenblicklich zu den Elektroden auf der Brust des Mannes geleitet.

Immer noch keine Reaktion. Robyn erhöhte die Stromstärke. Als sie sich aufschaute, sah sie, wie der ältere Anästhesist die Atemwege checkte und Mr. Grünkittel auf einen Arm des Patienten klopfte, bereit, eine Kanüle in die Vene zu schieben. Robyn mochte keinen der beiden kennen, doch sie schienen genau zu wissen, was sie zu tun hatten.

Sie wartete, bis der Zugang gelegt und gesichert war. Manchmal war es eine knifflige Angelegenheit, wenn die Venen kollabierten, aber ihr Kollege hatte es im Handumdrehen geschafft.

Der Defi war bereit, und Robyn warnte erneut: „Hände weg!“

Der Körper bäumte sich auf, und nach einer seltsamen Pause veränderte sich die Herzfrequenz, der Monitor piepte. Robyn hielt die Luft an. „Sinusrhythmus, bradykard“, sagte sie schließlich.

„Notaufnahme oder Kardiologie?“, fragte der Anästhesist.

„Notaufnahme“, antwortete Mr. Grünkittel im selben Moment, als sie „Kardiologie“ sagte.

Sie starrte ihn an. Sie war die leitende Ärztin des Notfallteams. Die Entscheidung sollte sie treffen.

„In der Kardiologie sind keine Betten frei“, meinte er mit einem beschwichtigenden Lächeln. „Also fürs Erste in die Notaufnahme, und ich gehe hoch, um ein Bett klarzumachen, sobald wir den Patienten stabilisiert haben.“

„Und Sie sind …?“

Da war es wieder. Das feine Zucken einer Augenbraune. Ja, ihr war klar, dass sie unhöflich war. Aber er hatte sich noch nicht vorgestellt.

„Avery Smith. Kardiologie.“ Er hatte ein breites, gewinnendes Lächeln. Was nicht hilfreich war. Weil dieser Typ viel zu gut aussah, was sie am Arbeitsplatz gar nicht gebrauchen konnte.

„Robyn Callaghan, ich bin Ihre neue Ärztin“, entgegnete sie forsch.

Neben ihr griff jemand zum Bettgitter und arretierte es. „Na, dann in die Notaufnahme“, sagte der Pflegehelfer und schob die Trage in die Richtung.

Avery hielt Schritt, ließ das Gitter auf seiner Seite einrasten und wandte sich an den Anästhesisten. „Hätte nicht gedacht, dass du heute Rufbereitschaft hast, Joel.“

„Hatte ich auch nicht, aber bei Emmanuels Frau haben vorzeitige Wehen eingesetzt. Er musste weg.“

„Gemma geht’s gut, oder?“, fragte Avery besorgt. „Wie weit ist sie, drei Wochen zu früh?“

Joel lächelte und nickte. „Du erinnerst dich aber auch an alles. Die Fruchtblase ist geplatzt, Gemma bekam Wehen und hat Emmanuel angerufen, dass sie in die Klinik fährt. Ich habe noch nie jemanden so glücklich gesehen.“

„Warum ziehst du dann ein langes Gesicht?“, wollte Avery wissen. „War es so schlimm, die Rufbereitschaft zu übernehmen?“, neckte er.

Joel schüttelte den Kopf. „Nein, gar nicht, aber es bedeutet, dass ich die OP-Team-Wette um Babys Geburtsdatum verloren habe.“

Avery lachte auf. Vor ihnen glitten die Automatiktüren der Notaufnahme auseinander. Auf dem Weg zu den Schockräumen stellte sich ihnen eine genervt wirkende Frau mit zerzaustem blonden Haar entgegen. „Was soll das werden?“, fragte sie stirnrunzelnd.

Robyn regte sich über den Tonfall auf und wollte schon gepfeffert antworten, da kam Avery ihr zuvor. „Das …“, betonte er, allerdings sehr viel freundlicher, als sie es gesagt hätte, „… ist ein Herr, der am Haupteingang einen Herzstillstand erlitten hat. Ich bin noch nicht dazu gekommen, mir seine Papiere anzusehen, da wir ihn drei Mal schocken mussten, um einen Sinusrhythmus herzustellen. Die Kardiologie ist voll. Könnten Sie uns einen Raum geben, wo Robyn, unsere Ärztin, …“ Er sagte ihren Namen, als seien sie beste Freunde. „… unseren Patienten stabilisieren kann, während ich mich oben bei uns um ein freies Bett kümmere?“

Die Frau verdrehte die Augen und seufzte. „Na, dann.“ Sie deutete mit dem Kopf auf eine Tür. „Da rein. Aber nicht zu lange. Hier geht es schon den ganzen Tag zu wie im Taubenschlag.“ Sie bedachte Robyn mit strengem Blick. „Eine Krankenschwester kann ich Ihnen aber nicht abstellen.“

Diesmal konnte Robyn sich nicht zurückhalten. „Wäre er vor Ihrer Notaufnahme zusammengebrochen, hätten Sie mir dann auch keine Schwester zur Verfügung stellen können?“

Sie sah buchstäblich, wie es im Gehirn der anderen arbeitete. Robyns schottischer Akzent verstärkte sich, wenn sie sauer war. Und jetzt war sie sauer. Ihr Gegenüber schien einen Moment zu brauchen, um ihre Ansage zu verarbeiten.

„Okay.“ Sie wandte sich an Avery. „Aber in einer Stunde brauche ich meinen Raum wieder.“ Damit wandte sie sich ab und verschwand.

„Sind hier alle so freundlich?“, murmelte Robyn, als ihr Patient plötzlich aufstöhnte. Sofort beugte sie sich über ihn und sagte bewusst langsam: „Hi, ich bin Robyn, eine der Ärztinnen am Leonora Paz Memorial Hospital. Erinnern Sie sich, was passiert ist?“

Er schwieg sichtlich verwirrt, schüttelte dann den Kopf. Avery stellte sich an die andere Seite und ließ seinen Charme spielen. „Ich bin Avery vom Krankenpflegepersonal. Sie befinden sich in der Notaufnahme. Darf ich in Ihre Jackentasche greifen? Wir möchten Ihren Namen und weitere Angaben wissen.“

Der Mann nickte schwach. Avery zog eine Brieftasche aus der Tasche und klappte sie auf. „Hal Delaney?“

Wieder nickte der Angesprochene, und Avery reichte den Führerschein an einen Kollegen weiter, damit dieser die Personalien aufnahm. „Kann ich jemanden verständigen, dass Sie hier sind?“

Hal seufzte, immer noch benommen, und betastete seine Hosentaschen. Nach ein paar Sekunden registrierte er, dass sein Hemd weit offen war und Elektroden auf seiner Brust klebten. „Was ist geschehen …?“, wollte er wissen.

Robyn war nicht zufrieden. Sie hätte sich gern umfassend um den Patienten gekümmert, aber die hektische Notaufnahme war nicht der richtige Ort. Behutsam entfernte sie die Elektroden und klebte neue auf Hals Brust, um ihn an einen Herzmonitor anzuschließen. Schließlich wand sie eine Blutdruckmanschette um seinen Arm.

„Hal“, begann sie leise. „Wir müssen uns unterhalten. Ihr Herz hat nicht richtig geschlagen. Sie sind am Haupteingang des Krankenhauses zusammengebrochen, und wir mussten Sie mit Elektroschocks zurückholen.“

Seine Augen weiteten sich, und er blickte sie ängstlich an.

„Wollten Sie hier jemanden besuchen? Oder sind Sie hergekommen, weil Sie Beschwerden hatten?“

„Nein, ich hatte einen Termin.“

„In der Ambulanz?“

Hal schüttelte den Kopf. „Mit Mr. Paz.“

Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, aber Robyn entging es nicht. Avery erstarrte. Wie ein Wildtier im Scheinwerferlicht.

Robyn war neu hier, doch sie wusste, dass das Krankenhaus zum Gedenken an die verstorbene Ehefrau eines milliardenschweren Geschäftsmanns erbaut worden war. In San Diego und Umgebung schien der Name Paz mit immensem Reichtum verknüpft zu sein. Sie war sicher, dass es sich bei Mr. Paz nicht um den Gründer handelte, sondern seinen Sohn. Oder vielleicht Enkel?

Sie tat, als hätte sie Averys merkwürdige Reaktion nicht bemerkt, und wandte sich an den Krankenpflegeschüler hinter ihr. „Können Sie im Büro von Mr. Paz anrufen und seiner Sekretärin mitteilen, dass Mr. Delaney erkrankt ist und sich zurzeit in der Notaufnahme befindet?“

Der junge Mann strahlte, anscheinend froh darüber, dass er diese wichtige Aufgabe übernehmen durfte. Avery dagegen gab sich alle Mühe, gefasst zu wirken. „Ich gehe nach oben und organisiere ein Bett“, sagte er. „Wenn eins frei ist, rufe ich kurz durch, und wir bringen Mr. Delaney in die Kardiologie.“

Robyn hätte sich gern näher damit befasst, warum ihr Kollege es eilig hatte, von der Bildfläche zu verschwinden. Aber sie hatte genug damit zu tun, EKG-Ausdrucke zu studieren, eine eventuelle Röntgenaufnahme des Thorax anzuordnen und schließlich einige Medikamente zu verabreichen. Was immer mit Avery los war, musste warten.

„Na schön“, murmelte sie, wandte den Blick von dem sich rasch entfernenden Avery ab und konzentrierte sich auf ihren Patienten. Sie veranlasste Bluttests und setzte sich neben Hal, um die Anamnese aufzunehmen. Ihr Magen knurrte laut und vernehmlich, und sie dachte sehnsüchtig an ihr Frühstück-Mittagessen, das sie in der Kantine hatte stehen lassen müssen.

Hal hatte inzwischen wieder mehr Farbe in den Wangen. Er presste eine Hand auf die Brust. „Au …“, klagte er. „Das tut weh.“

„Das kommt von der Herzdruckmassage. Keine Sorge, wir vergewissern uns, dass keine Rippen gebrochen sind.“ Robyn checkte die Blutdruckwerte auf dem Monitor. Sie waren überraschend niedrig.

„Haben Sie sich irgendwie unwohl gefühlt?“

Rasch stellte sie ihm ihre Fragen, um sich ein Bild zu machen, warum Hal vor dem Eingang kollabiert war. Bevor sie fertig werden konnte, tauchte ein großer, breitschultriger Mann an der Tür auf und fragte gar nicht erst, ob er eintreten dürfe. „Hal, wie geht es dir?“

Irritiert stand Robyn auf. „Ich fürchte, Mr. Delaney ist im Moment nicht in der Lage, Besuch zu empfangen.“

Es war, als hätte sie kein Wort gesagt. Der Mann ignorierte sie und trat ans Bett, griff mit beiden Händen nach Hals Hand. „So kann man auch um einen Geschäftstermin herumkommen.“

„Entschuldigen Sie“, mischte Robyn sich ein. „Ich bin mitten in einer Untersuchung. Sie müssen draußen warten.“

Ein aufgeregter Notaufnahme-Manager erschien am Türrahmen. Sonst war er die Gelassenheit in Person, doch jetzt wirkte er hochgradig nervös und warf Robyn einen betretenen Blick zu. Anscheinend war er nicht begeistert, dass sie in diesem Schockraum die ärztliche Betreuung innehatte.

„Jon“, begann sie steif. „Gerade erst habe ich Mr. Delaney am Haupteingang wiederbelebt. Ich brauche Zeit, um ihn zu untersuchen und zu behandeln. Geleiten Sie den Besucher bitte nach draußen, damit ich mich um meinen Patienten kümmern kann?“

Eine unangenehme Stille breitete sich aus.

Nach einer Weile lachte Jon gekünstelt auf. „Robyn, Dr. Callaghan, darf ich Ihnen Mr. Paz vorstellen, unseren Krankenhausdirektor?“

Robyn fing sich schnell und nickte. „Freut mich, Sie kennenzulernen. Sie haben sicher Verständnis dafür, dass Ihr Freund jetzt versorgt werden muss. Ich brauche eine vollständige Anamnese und diverse Laborwerte, um eine gründliche Einschätzung seines Gesundheitszustands vorzunehmen.“

Sie hätte schwören können, dass Jon um einige Nuancen blasser geworden war. Mr. Paz war sicherlich ein wichtiger Mann, aber sie war Ärztin. Sollte sie die Behandlung eines kritisch erkrankten Patienten unterbrechen, weil ein Geschäftsfreund es so haben wollte? Der Gedanke brachte sie dazu, sich schützend zwischen ihren Patienten und Mr. Paz zu stellen. „Ich melde mich gern bei Ihnen, wenn ich fertig bin. Sobald unsere Tests abgeschlossen sind und Mr. Delaney stabil ist, bringen wir ihn in die Kardiologie. Sicherlich können Sie ihn dort besuchen.“

Ein freundliches Lächeln sparte sie sich.

Nicht, dass sie reiche Menschen nicht mochte. Ihr gefiel nur nicht die Anspruchshaltung, die mit ihrem Reichtum daherkam. Aufgewachsen in einer von Armut geprägten Gegend von Glasgow, hatte Robyn mehr Glück gehabt als die meisten dort. Sie war gut in der Schule und erhielt ein Stipendium für Medizin. Während die Studiengebühren bezahlt wurden, musste sie für Verpflegung, Unterkunft und Krankenhauspraktika selbst aufkommen. Einige Zuschüsse waren hilfreich, für den Rest jobbte sie in den unterschiedlichsten Branchen. Sie lieferte Pizza aus, arbeitete im Pflegeheim, im Supermarkt, einer Bücherei, im Fitnessstudio und in Bars.

Unter ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen waren Kinder vermögender Familien. Während sie sich, nur um zu überleben, neben Studium und Praktika den Rücken krumm arbeitete, fuhren sie in ihren schicken Wagen durch die Gegend, gaben mit ihren teuren Wohnungen an und stellten lässig die neuesten Geräte zur Schau … Handys, Tablets, Smartwatches.

Damit hätte sie leben können.

Was sie jedoch nicht mochte, waren gewisse Verhaltensweisen, die sich Reiche gegenüber denjenigen erlaubten, die vom Schicksal weniger großzügig bedacht worden waren. Es brachte sie auf die Palme. Jedes Mal, wenn sie einem neuzeitlichen König Midas begegnete, war sie deutlich reizbarer als sonst.

Es war nicht hilfreich gewesen, dass sie ein einziges Mal riskiert hatte, jemanden aus der Reicher-als-reich-Kategorie zu daten. Schnell fand sie heraus, dass er nicht mit ihr zusammen war, weil er eine Beziehung mit ihr wollte, sondern weil sie intelligenter war als er und ihm beim Studium helfen konnte. Schmerzlich musste sie begreifen, dass er sich nur mit ihr amüsiert hatte, bis er einen wohlhabenderen Ersatz mit besseren Beziehungen fand, der ihm bei seiner langfristigen Karriereplanung Türen öffnete. Die bittere Erfahrung bestärkte sie nur in ihren Vorbehalten gegen ererbten Reichtum und die Anspruchshaltung der reicheren Klassen. Und es stählte ihren Willen, sich aus eigener Kraft aus der Armut zu befreien.

Ein schottischer Sturkopf zu sein, hatte auch sein Gutes. Robyn fühlte sich nicht verpflichtet, das lastende Schweigen zu brechen. Stattdessen ließ sie ihre Worte unverblümt auf Mr. Paz wirken. Außerdem war sie eine Meisterin des grimmigen Blicks. In ihrer Zeit als Ordnerin in einem Glasgower Fußballstadion hatte sie gelernt, andere mit Blicken niederzuzwingen. Betrunkene und krawallbereite Fans waren eine gute Übung gewesen.

Jon räusperte sich. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie sich mit ihrer Haltung vielleicht keinen Gefallen tat. Sie war neu hier. Sie war dem Chefarzt der Notaufnahme praktisch nur im Vorübergehen begegnet. Ganz gewiss war sie dem CEO des Krankenhauses noch nie begegnet.

„Mr. Paz, wollen wir Dr. Callaghan etwas Zeit geben, die Untersuchung Ihres Freundes abzuschließen?“, schlug Jon diplomatisch einen Ausweg aus der verfahrenen Situation vor.

Mr. Paz drückte seinem Freund wieder die Hand. „Wir sehen uns oben, Hal. Ich werde dafür sorgen, dass unser bester Kardiologe sich um dich kümmert.“ Er warf Robyn einen finsteren Blick zu und verließ das Zimmer.

Jon wollte ihm folgen, doch Robyn setzte ein strahlendes Lächeln auf. „Können Sie mir jemand vom Pflegepersonal schicken? Es ist noch einiges zu tun, und es ginge schneller, wenn ich jemanden hätte, der mit allem hier vertraut ist.“

Jon machte ein Gesicht, als hätte er ihr einiges zu sagen, sah jedoch Mr. Paz nach, der sich rasch entfernte, und murmelte nur: „Okay“, bevor er ebenfalls verschwand.

Fünf Stunden später war Robyn erledigt. Sie hatte Hal im Fahrstuhl nach oben begleitet, dort geholfen, ihn auf ein Intensivpflegebett zu verlegen, seiner verantwortlichen Krankenschwester einen umfassenden Bericht gegeben und sämtliche Untersuchungsergebnisse und Laborwerte mit dem streng dreinblickenden leitenden Oberarzt besprochen.

Sie hatte ihre Sache gut gemacht. Das tat sie immer. Trotzdem blieb der nagende Gedanke, ob sie sich vielleicht an ihrem neuen Arbeitsplatz selbst ein Bein gestellt hatte.

Als sie schließlich zum Stützpunkt zurückkehrte, hätte sie sich in einen Stuhl hauen und heulen können. Oder jemanden überfallen und seinen Kittel nach Essbarem durchsuchen …

Sie nahm letzte Eintragungen in der Patientenakte vor und sah sich um. Stationszentralen waren normalerweise ein Mekka leckerer Snacks. Aber dieser Stützpunkt war penibel aufgeräumt. Nirgends die übliche Kollektion angekauter Kugelschreiber mit Pharmawerbung oder Papierfetzen mit kaum leserlichen Notizen. Nicht einmal eine halb aufgerissene Kekspackung. So eine sterile Zentrale hatte sie noch nie gesehen.

Robyn seufzte und ging Richtung Behandlungsraum. Stimmen drangen heraus.

„Dr. Grantig bleibt ein halbes Jahr bei uns.“

„Wer ist Dr. Grantig?“

„Die mit den roten Haaren. Schottin. Helle Haut. Ist ganz hübsch.“

Robyn blieb stehen.

„Und hat jetzt schon diesen Spitznamen weg? So lange ist sie doch noch nicht hier.“

„Meine Freundin arbeitet im Katheterlabor. Als Dr. Grantig anfing, war sie ziemlich nervös. Stieß gegen ein Instrumententablett, als sie ein Angiogramm überwachte, und sie mussten die gesamte Prozedur wiederholen. Seitdem läuft sie mit grimmiger Miene durch die Gegend.“

„Wer hat die Angio gemacht?“

„Raul Hempur.“

„Dracula? Oh nein. In seiner Gegenwart einen Fehler zu machen, wäre mein größter Albtraum.“

„Nun, jetzt ist es ihrer.“

Gelächter ertönte und ein Knistern, das sich verdächtig nach einer Tüte Süßigkeiten anhörte. Robyn fand, es sei Zeit für einen geräuschlosen Rückzug, und war zwei Schritte rückwärtsgegangen, als Avery Smith aus einem der Krankenzimmer kam.

Sie zuckte zusammen und erstarrte. Ich glaube es nicht.

„Dr. Callaghan? Alles in Ordnung?“

Demütigung für Anfänger war nicht der Kurs, den sie heute besuchen wollte. Sie schüttelte den Kopf, marschierte ins Behandlungszimmer und blickte die drei Männer fest an. „Dr. Grantig zu Ihren Diensten! Gibt es hier irgendetwas zu essen? Die Kantine ist geschlossen, und ich sterbe vor Hunger. Habe heute noch nichts gegessen.“

Auch diese drei Gehirne schienen erst verarbeiten zu müssen, was sie gerade gehört hatten. Wenn Robyn ärgerlich war, sprach sie schneller und mit starkem Akzent.

Sie spürte Avery hinter sich. Drei Augenpaare wussten nicht, wo sie hinsehen sollten, als ihre Besitzer Robyns Sätze endlich verstanden hatten. Ein Krankenpfleger, ein Physiotherapeut und ein Kardiotechniker. Letzterer hielt ihr die halb leere Tüte hin und zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Bitte, bedienen Sie sich.“

„Danke. Übrigens heiße ich Robyn.“

Eine warme Hand legte sich ihr leicht auf die Schultern. „Soll ich Ihnen zeigen, wo der Personalraum ist? Dort können Sie sich hinsetzen und ein paar Minuten Pause machen.“

Schon hatte sie eine scharfe Antwort parat, dass sie keine Pause bräuchte. Ihr war klar, dass er den Friedensstifter spielen wollte. Da fügte er hinzu: „Wir haben eine Kaffeemaschine.“ Magische Worte, die sie augenblicklich milder stimmten.

Ohne den anderen dreien einen weiteren Blick zu gönnen, verschwand sie zur Tür hinaus. „Ich hoffe, der Kaffee ist gut“, sagte sie.

Avery nickte und führte sie weiter den Flur hinunter in einen mittelgroßen Raum mit einem kleinen Tisch und Stühlen, einigen Schränken, bequemen Sesseln, Spülbecken, Mikrowelle und ja, einer Kaffeemaschine, die vor sich hin blubberte und köstliche Aromen in ihre Richtung wehte.

Robyn wartete nicht auf die Aufforderung, sich einen Kaffee zu nehmen. Sie trat an einen der Hängeschränke, holte einen Becher heraus und goss sich Kaffee ein. Aus ihrer Tasche zog sie ein Döschen Süßstoff, ließ zwei in den Kaffee fallen und stand einfach da, den Becher in beiden Händen vor ihrer Nase. Der Duft hüllte sie ein, sie schloss die Augen, atmete tief durch.

Irgendwann fiel ihr auf, wie still es war, und sie öffnete die Augen wieder. Avery Smith betrachtete sie mit amüsiertem Blick. Endlich eine Gelegenheit, sich den Typen genauer anzusehen. Wenn er sie anstarrte, durfte sie zurückstarren.

Und er sah definitiv wie ein Bruder des Aftershave-Models aus. Die OP-Kleidung betonte seine breiten Schultern, die muskulöse Brust und die langen Beine. Am faszinierendsten waren jedoch seine grünen Augen. Die sie immer noch anblickten.

„Tschuldigung, sollte ich Ihnen auch einen Becher eingießen?“

Er lachte über ihre sarkastische Bemerkung und schüttelte den Kopf, bevor er sich einen Becher nahm, Kaffee einschenkte und den kleinen Kühlschrank neben der Spüle aufzog. Er roch an der Milch, checkte das Haltbarkeitsdatum und goss erst dann etwas in seinen Becher. „Milch?“, fragte er.

Sie konnte nicht anders, sie musste lächeln. „Sie arbeiten auch schon lange im Krankenhaus, hm?“ Robyn hielt ihm ihren Becher hin, damit er einen Schuss Milch hineingab.

Er tippte auf den Zettel an der Kühlschranktür. „Eine verzweifelte Seele hat tatsächlich eine Notiz angeklebt, um die Leute dazu zu bewegen, die frischeste Milch hinten zu lagern und die älteste zuerst zu verbrauchen.“

Da musste sie lachen. „Hat er oder sie wirklich geglaubt, dass das funktioniert?“ Sie griff in die Kekstüte, nahm zwei Schokoladenkekse heraus und ließ sich in einen der alten Sessel fallen.

Als sie vom Keks abbiss, knurrte ihr Magen laut und vernehmlich. Avery lachte, als sie rot wurde.

Sie klopfte sich auf den Bauch. „Seit gestern Abend habe ich praktisch nichts gegessen. Was ich mir in der Kantine gekauft hatte, musste ich stehen lassen. Der Pager ging los, bevor ich einen Bissen in den Mund stecken konnte.“

Er sah sie verwundert an. „Wie oft wurden Sie heute alarmiert?“

Robyn schob sich den Rest des Kekses in den Mund. „Sechs Mal.“

„So oft? Ich habe den Pager übernommen, als ich heute Morgen zum Dienst kam. Der Herzstillstand am Haupteingang war mein erster Alarm.“

„Ich dachte, das Krankenpflegepersonal fängt um sechs an?“

„Stimmt.“ Er seufzte. „Offiziell habe ich heute frei und wollte in der Sozialklinik im Stadtzentrum arbeiten, aber ein Kollege in der Kardiologie hat sich krankgemeldet. Übrigens, machen Sie sich nichts daraus, was die anderen vorhin gesagt haben. Hier kriegt jeder einen Spitznamen.“

„Wirklich? Wie lautet Ihrer?“

Avery bewegte sich, als wäre sein bequemer Sessel plötzlich äußerst unbequem geworden, und zog eine Grimasse. „Mr. Sunshine.“

Sie stöhnte auf. „Das ist nicht Ihr Ernst. Sie sind der Sonnenschein und ich Dr. Grantig?“

„Sie haben gerade erst hier angefangen. Man kennt Sie noch nicht.“

„Tja, warten Sie’s ab. Wenn sie mich kennengelernt haben, verpassen sie mir einen, der zehn Mal schlimmer ist als Dr. Grantig.“ Robyn rümpfte die Nase. „Und wer springt in der Sozialklinik für Sie ein?“

Er trank von seinem Kaffee. „Ich habe mit einem Freund getauscht und übernehme seinen Sonntagsdienst. So, und nun erzählen Sie mir ein bisschen von sich. Ihr Akzent gefällt mir.“

Robyn versuchte, seinem Blick standzuhalten. Sie hasste persönliche Fragen und versuchte, so wenig wie möglich von sich preiszugeben. „Sie zuerst.“

„Ich bin Avery Smith, sechsundzwanzig Jahre alt, examinierter Krankenpfleger. Geboren und aufgewachsen in San Diego. Habe mir die Kardiologie ausgesucht, weil mich alles an dem Fachgebiet brennend interessiert. Die Transplantationen, die OPs, die implantierbaren Defis, die Schrittmacher, die Betreuung herzinsuffizienter Patienten, die Angiogramme, die Herzinfarkt-Behandlungen … Ich könnte noch mehr aufzählen.“

Sie lächelte schwach. „Weil Ihr Herz daran hängt?“

„Richtig.“ Er belohnte ihren schlappen Witz mit einem jungenhaften Grinsen. „Wahrscheinlich lernen Sie auch meine beste Freundin kennen. Serena Dias arbeitet auf der Intensivstation. Wir haben zusammen die Ausbildung gemacht und eine Weile zusammengewohnt.“ Er schüttelte leicht den Kopf. „Das war natürlich, bevor sie der Liebe ihres Lebens begegnete. Toby Renfro ist einer unserer Chirurgen, und sie sind gerade zusammengezogen.“

„Also hat man Sie hängen gelassen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Könnte man so sagen.“ Avery beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Knien ab. „Oder auch, dass ich mich für meine beste Freundin sehr freue. Sie hat dieses Glück mehr als verdient.“

„Sonnig beim Spitznamen, sonnig im Wesen? Werden Sie nie grantig?“

Er leerte seinen Kaffeebecher. „Versuche ich, zu vermeiden. Das Leben ist zu kurz. Aber glauben Sie nicht, dass Sie so einfach davonkommen. Seien Sie fair, erzählen Sie mir von sich.“

Robyn zwang sich zu einem Lächeln. „Ich habe in Glasgow Medizin studiert, bin dort auch geboren und aufgewachsen. Mein erstes Krankenhausjahr war in Aberdeen. Danach habe ich mich für ein internationales Austauschprogramm beworben und bin hier gelandet.“

„Sie haben sich das Paz Memorial nicht ausgesucht?“

„Man konnte nur das Land wählen, nicht das Krankenhaus. Nach Aberdeen war ich in Deutschland und hatte als Nächstes die USA angegeben.“

„Die meisten Ärzte, die hier anfangen, haben ein strenges Auswahlverfahren hinter sich. Das Paz Memorial ist für seine kardiologische Abteilung, seine Chirurgen und die technischen Verfahren berühmt. Manche Mediziner versuchen seit Jahren, hier einen Job zu bekommen.“

Der Subtext war klar. Sie war nicht gut genug für dieses elitäre Krankenhaus. Für den Rest der Welt mochte er Mr. Sunshine sein, aber für sie wirkte er im Moment nicht besonders sonnig.

„So wie Sie?“, fragte sie sarkastisch.

„Nur wenige aus meinem Abschlussjahrgang haben sich hier erfolgreich um eine Stelle bemüht.“

„Mussten Sie sich einem strengen Auswahlprozess unterziehen?“ Robyn war sauer.

„Vier Vorstellungsgespräche“, kam prompt die Antwort.

Sie beugte sich vor. „Wie kommen Sie darauf, dass es bei mir anders war?“

Er blinzelte, und sie gab ihm ein paar Sekunden, ehe sie fortfuhr.

„Weltweit hatten sich 70 000 für das Austauschprogramm beworben. Ausgesucht wurden 100.“ Sie stand auf. „Leider war ich nicht die Nummer 1 auf ihrer Liste, aber Nummer 2.“ Robyn sah, wie seine Augen sich weiteten. „Also habe ich mir meinen Platz hier mehr als verdient. Und erzählen Sie mir nichts von Auswahlverfahren. Ich habe mein Leben lang erfahren, wie unfair sie sein können – es sei denn, man verfügt über ein dickes Bankkonto.“

Avery wurde blass und stand rasch ebenfalls auf. „Was soll das heißen?“

„Ich meine, dass die aus den reichsten Familien die besten Plätze bekommen. So war es zumindest für mich an der Uni. Bei der Auswahl im Rahmen dieses Programms hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass es fair zuging. Ich hatte die Chance, wegen meiner Leistungen ausgesucht zu werden, nicht wegen meines Bankkontos.“

Er betrachtete sie mit gerunzelter Stirn, als wüsste er nicht genau, was er sagen sollte.

Die Tür ging auf, eine Krankenschwester kam herein. Ein Blick auf die beiden, und sie machte auf dem Absatz kehrt, um wieder zu verschwinden.

Entnervt hob Robyn die Hand. „Hab ich mir den neuen Spitznamen schon wieder verdient …“

Sie beobachtete, wie Avery ein paar Mal tief durchatmete, und fragte sich, was um alles in der Welt sie gesagt hatte, dass er sich so aufregte. Jetzt blickte er sie an. „Ich glaube, wir haben uns auf dem falschen Fuß erwischt.“ Er legte die Hand flach auf die Brust. „Dieses Krankenhaus liegt mir sehr am Herzen. Das Paz Memorial hat einen großartigen Ruf, und es bedeutet mir viel aus Gründen, die ich nicht erklären kann. Von Ihrem Austauschprogramm wusste ich nichts. Die meisten Ärzte müssen sich explizit bewerben, wenn sie ihre Ausbildung hier fortsetzen wollen. Es herrscht ein harter Wettbewerb.“ Avery zögerte kurz. „Und ich bin überzeugt, dass das Bankkonto bei der Auswahl keine Rolle spielt. Aber ich entschuldige mich, ich wollte nicht defensiv klingen.“

„Ja, ich denke auch, dass wir einen schlechten Start hatten“, versicherte sie, während sie an seine Worte dachte. Was waren das für Gründe, die er nicht erklären konnte? „Allerdings haben Sie mich vorhin unten in der Notaufnahme im Stich gelassen.“

„Habe ich nicht.“

„Oh, doch, Avery. Als der Krankenhausdirektor auftauchte, haben Sie Fersengeld gegeben. Wieso?“

In seinen Augen blitzte etwas auf. Ärger? Verdruss? Furcht? Sie konnte es nicht recht deuten.

„Stimmt nicht“, verteidigte er sich. „Ich hatte gerade meinen Dienst begonnen und wusste, dass in der Abteilung nichts frei war. Also wollte ich mich nützlich machen und Ihnen hier oben ein freies Bett besorgen, damit Mr. Delaney die beste Expertise und Behandlung bekommt, die er braucht.“

„Sie klingen, als hätten Sie aus einer Broschüre abgelesen“, erwiderte sie sarkastisch.

Er schüttelte den Kopf.

„Meinen Sie wirklich, dass Sie einer neuen Ärztin den größten Gefallen tun, wenn Sie sie mitten in einem Notfall alleinlassen – in ungewohnter Umgebung, mit Pflegepersonal, das sie nicht kennt, und Prozeduren, die ihr noch nicht vertraut sind?“

An seiner Wange zuckte ein Muskel. „Ich hatte keine Ahnung, dass Sie noch nie in einer Notaufnahme waren. Für die Einführung neuer Mitarbeiter bin ich nicht zuständig. Das sollte erfolgt sein, bevor Sie hier eingesetzt werden. Die Abläufe sollten Ihnen vertraut sein. Außerdem war der Leiter der Notaufnahme bei Ihnen. Sie waren also in den besten Händen.“

Robyn knirschte stumm mit den Zähnen. Sechs Monate. So lange würde sie hierbleiben. Und sie wollte alles lernen, was möglich war, von jedem und jeder im Team. Warum musste sie an diesen Typen geraten? Ein falscher Fuffziger. Auch wenn alle ihn Mr. Sunshine nannten, sie ließ sich nicht täuschen. Nicht eine Sekunde lang!

Ihr tat der Rücken weh. Die letzten beiden Nächte hatte sie kaum geschlafen, weil ihr Zimmer in der Nähe der Krankenhausküche lag, wo anscheinend die ganze Nacht Anlieferungen kamen. Müde war sie auch. Und immer noch hungrig. Dass sie bei einigen schon als zickig galt, machte es nicht besser!

Auf medizinischem Gebiet war sie exzellent, aber sie musste zugeben, dass ihr Umgang mit Menschen manchmal zu wünschen übrig ließ.

Sie seufzte. „Von meiner Warte aus gesehen, sind Sie praktisch aus der Notaufnahme gerannt. Sie konnten nicht einmal sicher sein, dass unser Patient stabil war. Was mich betrifft, werden Sie eins feststellen, Avery: Ich nenne die Dinge beim Namen, so wie ich sie sehe.“

Stirnrunzelnd streckte er einen Arm aus. „Habe ich ein Bett für Ihren Patienten besorgt oder nicht?“

Es fiel ihr nicht leicht, aber sie nickte.

„Ist die Kardiologie im Moment der beste Ort für Mr. Delaney?“

Wieder nickte sie.

„Dann hat alles seine Richtigkeit. Sie sehen Gespenster. Vielleicht sind Sie müde. Vielleicht sollten Sie sich hinsetzen, eine Pause machen und etwas essen. Ein neuer Arbeitsplatz ist immer eine Herausforderung. Was die Abläufe betrifft, kann ich sie gern mit Ihnen durchgehen. Alle hier sind nur zu gern bereit, unsere neuen Ärztinnen und Ärzte zu unterstützen. Sie brauchen nur zu fragen.“

„Es fällt schwer, zu fragen, wenn alle mit Tratsch und Spitznamen beschäftigt sind.“

Avery holte tief Luft und nickte. „Sie haben recht. Ich entschuldige mich dafür und werde mit ihnen reden. So läuft das nicht in unserer Abteilung.“

Er versuchte, nett zu sein. Was ihr auch nicht half.

„Ich bin ein großes Mädchen.“ Sie hob das Kinn. „Ich brauche Ihr Mitleid nicht.“

Damit wandte sie sich ab und ging zur Tür. In dem Moment knurrte ihr Magen laut und vernehmlich. Robyn kehrte um, schnappte sich die restlichen Schokoladenkekse, spürte dabei seinen Blick. Ohne ihn anzusehen, verließ sie den Raum. Schaute flüchtig auf die Uhr und machte sich auf den Weg zum Stützpunkt. Ihr Dienst war beendet, und sie konnte es kaum erwarten, Übergabe zu machen und von hier zu verschwinden.

Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, nach San Diego zu kommen.

2. KAPITEL

„Du hast was getan?“ Serena warf den Kopf zurück und lachte schallend.

Avery stöhnte unterdrückt, bevor er einen Schluck von seinem Kaffee trank. „Hör auf, das hilft mir nicht gerade. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so einen schlechten Eindruck auf jemanden gemacht zu haben.“

„Nein, du bist es gewohnt, charmant durch den Tag zu segeln, immer ein Lächeln auf den Lippen. Sie mag als grantig gelten, aber vielleicht ist sie die eine, die dich dazu bringt, dich mehr ins Zeug zu legen.“

Er legte den Löffel hin und starrte seine Freundin an. „Warum sagst du das?“

Serena begann, die Pflaume und den Apfel zu zerlegen, die sie in der Kantine gekauft hatte. Avery und sie saßen im Innenhof, wo normalerweise die Sonne brannte. Doch heute war es bewölkt und angenehm warm. Abseits des geschäftigen Treibens in der Kantine, war es hier ruhiger. Tische und Bänke, ein gewundener Pfad und viel Grün boten ein idyllisches Ambiente.

Sie grinste ihn an, und Avery schüttelte den Kopf. „Du bist verliebt, ein verrückter Zustand, in dem man alle um sich herum zu glücklichen Paaren verkuppeln möchte. Glaub mir, unser Schottenmädchen wird mich eher mit der Axt verfolgen!“

Serena stützte den Kopf in eine Hand und machte ein verträumtes Gesicht. „Ein bisschen Glück schadet nicht.“

Er nickte zustimmend. Drei Jahre lang hatten sie sich ein Apartment geteilt. Er kannte Serena besser als jeder andere, und er hatte sie nie glücklicher gesehen, seit sie mit Toby zusammen war.

„Rate, was passiert ist, nachdem du ausgezogen bist?“

„Was denn?“

„Der Geschirrspüler hat den Geist aufgegeben. Ich schwöre, für dich hat er perfekt funktioniert, für mich nie. Jetzt, da du weg bist, hat er beschlossen, zu streiken.“

Sie lachte. „Weißt du auch, warum? Du redest nicht nett mit ihm.“ Ein verschmitztes Lächeln glitt über ihr Gesicht. „Wie’s aussieht, redest du auch mit anderen Leuten nicht nett.“

Avery stöhnte auf und barg den Kopf in den Händen. „Ich habe mein Bestes gegeben.“ Er atmete tief durch. „Es war nicht hilfreich, dass der Patient, den wir wiederbelebt haben, besonderen Besuch bekam.“

Serena schob sich ein Stück Pflaume in den Mund. „Ach, wen denn?“

„Leo Paz.“

Sie hörte auf zu kauen, machte große Augen. „Nein.“

„Doch.“

„Hat dein Onkel dich erkannt?“

„Ich war so schnell weg, dass er mich nicht gesehen hat – noch ein Grund, warum Robyn sich über mich geärgert hat. Sie warf mir vor, sie im Stich gelassen zu haben.“

„Und, hast du?“

Avery richtete den Blick zum Himmel. „Nein … Ja, vielleicht …“

„Mr. Paz.“ Serena schüttelte den Kopf. „Seit ich hier arbeite, habe ich ihn noch nie gesehen.“

„Ich auch nicht. Heute das erste Mal von Weitem.“

Sie blickte ihn neugierig an. „Was hätte er wohl gesagt, wenn er dich erkannt hätte?“

Ihm wurde schlecht bei der Vorstellung. „Keine Ahnung. Zwischen ihm und meiner Mutter gab es böses Blut. Wäre sie noch am Leben, würde ich auf keinen Fall hier arbeiten. Sie hätte es gehasst.“

„Da bin ich mir nicht sicher. Zu deinen Großeltern hatte sie ein gutes Verhältnis. Probleme haben ihr nur die Geschwister gemacht.“

„Nun ja, sie wurde von einem verheirateten Mann schwanger. Ein skandalöses Betragen. Mein Onkel wurde nicht müde, ihr das bei jeder Begegnung vorzuhalten.“

„Letztendlich ging es ihn nichts an. Du hast mir erzählt, dass deine Großeltern nie ein schlechtes Wort über deinen Vater verloren haben. Es ist nur traurig, dass er gestorben ist, als du noch so klein warst.“

Avery seufzte. „Geld und Familien machen alles kompliziert. Seit dem Tod meiner Mutter gehört mir ein Teil dieses Krankenhauses, aber das behalte ich für mich. Der Rest der Familie weiß, dass es mich gibt. Allerdings haben sie keine Ahnung, dass ich noch in San Diego bin. Geschweige denn, als Krankenpfleger arbeite.“

Serena legte ihre Hand auf seine. „Deine Mom ist hier sehr gut betreut worden. Musst du nicht oft daran denken, wenn du Dienst hast?“

Er blickte in die Ferne. „Ja und nein. Ich bin nie in der Onkologie, und außerdem brach ihre Leukämie-Erkrankung so plötzlich und aggressiv aus.“ Seufzend fügte er hinzu: „Es gibt immer noch einiges, das wir nicht heilen können. Damit müssen wir leben. Hier zu arbeiten, hilft mir, das Andenken an meine Großeltern und meine Mutter zu ehren. Mein Onkel übernahm die Krankenhausleitung erst nach Moms Tod. Ich habe immer vermutet, dass er die Ellbogen einsetzte, um den Job zu bekommen. Das war und ist seine Art, um im Leben etwas zu erreichen. Mein Anwalt riet mir, mich von meinen Onkeln und Tanten fernzuhalten. Er war gar nicht damit einverstanden, dass ich hier arbeiten wollte. Hielt es für zu riskant. Allerdings hat mich mein Onkel zuletzt gesehen, als ich ein Teenager war. Während meine Mutter krank war, hat er sich nicht blicken lassen, und sie war wütend darüber, wie rücksichtslos er die Krankenhausleitung übernahm. Damit sollte ich nichts zu tun haben. Sie wollte, dass ich frei von all dem familiären Drama war.“

Serena biss sich auf die Lippe. „Aber du bist aus gutem Grund Krankenpfleger geworden. Du liebst die Kardiologie. Natürlich willst du dann in einem der besten Häuser auf diesem Gebiet arbeiten.“ Sie nahm einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. „Du kannst nichts dafür, dass es nach deiner Großmutter benannt wurde. Wahrscheinlich wäre vieles anders, wenn dein Großvater noch lebte.“

Er verdrehte die Augen. „Wenn mein Großvater noch lebte, wäre er über hundert.“

„Wir hatten schon hundertjährige Patienten“, antwortete sie mit einem sanften Lächeln und drückte ihm die Hand. „Dir war immer klar, dass deine Kolleginnen und Kollegen irgendwann herausfinden können, dass du nicht Smith, sondern Paz heißt. Du kannst jederzeit deinem Onkel über den Weg laufen, und er kann dich erkennen. Du brauchst einen Plan für alle Fälle.“

Avery trank den letzten Schluck Kaffee. „Nach Schottland abzuhauen, die Option habe ich wohl gerade abgehakt. Wie wäre es mit Frankreich? Oder Hawaii? Dort wollte ich schon immer einmal arbeiten.“

„Suchst du absichtlich Orte aus, die ich mit Baby nur per Flugzeug erreichen kann, wenn ich dich besuchen möchte?“

„Du besuchst mich?“

„Wir besuchen dich. Ich, Baby und Toby. Versuch nicht, vor uns davonzulaufen. Du wirst gelegentlich als Babysitter gebraucht. Egal, wohin du gehst.“

Er erwiderte ihren Händedruck. „Ich fühle mich geehrt. Zuerst einmal muss ich mich mit der neuen Ärztin in unserer Abteilung vertragen.“

„Wie grantig ist sie?“

„Ich bin mir nicht sicher. Ist sie überhaupt grantig? Oder einfach rebellisch? Wenn stimmt, was sie mir über ihr Auswahlverfahren erzählt hat, muss sie eine sehr gute Ärztin sein. Vermutlich sagt sie einfach, was sie denkt.“ Avery strich sich mit den Fingern durchs Haar. „Mein Problem ist nur, dass ich Schwierigkeiten habe, alles zu verstehen, wenn sie richtig loslegt – ihr Akzent ist ziemlich stark. Das macht es nicht einfacher.“

„Na, du weißt schon, wie du das löst, oder?“

Er schüttelte den Kopf und nahm sich ein Stück von ihrem Apfel. „Nein, wie denn?“

„He.“ Sie gab ihm einen Klaps auf die Finger. „Hände weg vom Snack einer Schwangeren. Du spielst mit deinem Leben.“ Serena musterte ihn prüfend. „Wir reden ziemlich viel über die neue Ärztin. Wie sieht sie aus?“

„Was tut das zur Sache?“

„Interessant“, meinte sie amüsiert. „Du gehst sofort in Verteidigungsstellung. Los, beschreib mir, wie sie aussieht.“

„Rothaarig, aber eher kastanienbraun als rotblond. Blaue Augen. Ungefähr deine Größe und Figur.“

„Ganz schön viele Details. Dir ist ihre Augenfarbe aufgefallen? Ich bin beeindruckt. Und der Farbton ihrer roten Haare auch? Was ist mit dir passiert?“

„Ich bin Krankenpfleger“, antwortete er indigniert. „Ich muss aufmerksam beobachten.“

„Ich glaube nicht, dass es daran liegt“, sagte sie mit einem neckenden Lächeln.

Avery stöhnte unterdrückt. „Stopp. Beantworte mir lieber meine Frage. Wie löse ich das Problem mit dem Akzent?“

„Ganz einfach. Du wirst dich daran gewöhnen, wenn du mehr Zeit mit ihr verbringst. So viel wie möglich. Oh, und mach sie nicht wütend.“

„Das habe ich nicht vor. Darf ich Hulk, den grünen Supermann, zitieren? ‚Sie würden mich nicht mögen, wenn ich wütend bin.‘ Ich denke, das gilt auch für sie.“

„Möchte Mr. Sunshine sein sonniges Wesen einsetzen?“

„Ich kann nichts dafür, dass ich ein glücklicher Mensch bin. Meine Mutter sagt, ich kam mit einem Lächeln auf die Welt.“

Serena legte eine Hand auf ihren sanft gerundeten Bauch. „Verteile gern von deinem Sonnenschein an dieses Kleine. Ich hätte gern ein glückliches Baby.“

Lächelnd saßen sie eine Weile schweigend da. Averys Gedanken wanderten zu Robyn zurück.

Nach einigen Minuten lehnte er sich zurück, streckte Rücken und Arme. Sie schmerzten. Das Krankenhaus hatte heute wie verhext einen Herzstillstand nach dem anderen angezogen. Situationen, die für alle Beteiligten anstrengend waren. „Sechs“, murmelte er.

„Sechs was?“

„Sechs Herzstillstände. So viele hatte Robyn bei ihrem ersten Dienst zu bewältigen.“

„Das kann nicht wahr sein. Was war da bloß los?“

„Keine Ahnung.“

„Tja, das würde jeden grantig machen.“

„Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass du #TeamRobyn sein wirst?“

„Weil ich von Natur aus #TeamFrau bin. Aber stell dir doch einen Tag wie heute vor, du neu hier und in der Notaufnahme allein gelassen. Dann gehst du in deine neue Abteilung und hörst, dass sie dir schon einen garstigen Spitznamen verpasst haben. Ich an ihrer Stelle würde den Dr. Grantig mit Stolz tragen!“

Avery atmete langsam aus. „Hab’s verstanden. Außerdem fremde Stadt, fremdes Krankenhaus. Ich habe ihr wirklich nicht geholfen. Weil ich wegen meines Onkels angespannt war.“

„Wie gesagt, du brauchst einen Notfallplan, wenn die Wahrheit ans Licht kommt. Erst recht, da du deinem Onkel jederzeit wieder über den Weg laufen kannst.“

„Du hast recht.“ Er schaute sich im Hof um. „Ich weiß nur nicht, ob ich bereit bin, das Geheimnis zu lüften – und ein Paz zu sein.“

Serena drückte ihm kurz die Schulter. „Tja, ich kann dir nicht sagen, wie du mit deiner Familie umgehen sollst. Aber was Robyn betrifft, könnte ich dir einen Tipp geben.“

„Immer her damit.“

„Kauf ihr etwas Süßes. Kuchen, Schokolade, Bonbons. Was mögen sie in Schottland?“

„Woher soll ich das wissen?“

Sie stand auf. „Finde es heraus. Du hast bei Dr. Grantig etwas wiedergutzumachen.“

Seit einer Stunde kämpfte Robyn gegen die Verzweiflung an. Nein, sie würde nicht weinen. Auf keinen Fall! Aber jedes Mal, wenn die dröhnenden Motoren der Liefer-Lkws sie wieder aus dem Schlaf rissen, musste sie daran denken, wie in der Kardiologie über sie getratscht wurde. Nicht zu reden von ihrem Streit mit Avery Smith.

Der Job in Deutschland war viel einfacher gewesen. Zumindest hatte sie dort ungestört schlafen können. Das Krankenhaus stellte Ein-Zimmer-Apartments zur Verfügung, nur fünf Minuten zu Fuß vom Arbeitsplatz entfernt. Die Ärztinnen und Ärzte des Austauschprogramms fingen am selben Tag an, sodass im Lernen und Arbeiten eine angenehme Gemeinschaft entstand.

Hier startete sie ein paar Wochen nach den anderen, weil es Schwierigkeiten mit ihrem Arbeitsvisum gegeben hatte. Ein Fehler der Krankenhausverwaltung, für den sie nichts konnte. Aber inzwischen hatten die anderen Freundschaften geschlossen, sich die besten Zimmer gesichert und die Stadt kennengelernt.

Als erneut das Piepen eines weiteren Lkws anzeigte, dass der Fahrer rückwärts rangierte, hatte Robyn genug. Sie warf das Kissen, das sie sich aufs Ohr gedrückt hatte, von sich. Nichts konnte den Lärm um sie herum dämpfen. Zum Glück musste sie erst später zur Arbeit.

Sie duschte, zog sich an und drehte ihr langes Haar zu einem lässigen Knoten oben auf dem Kopf. Vielleicht konnte sie sich beim Joggen mit der Stadt vertraut machen und irgendwo frühstücken.

Das Paz Memorial lag nicht direkt an der Bucht, aber doch nahe genug, dass Robyn die Marineschiffe sehen konnte und wusste, welche Richtung sie einschlagen musste. Obwohl es noch nicht einmal sechs Uhr war, sah sie weitere Frühsportler auf der Hafenpromenade laufen. Eine breite asphaltierte Strecke, beschienen vom hellen Morgenlicht. Robyn ging es langsam an, lief zwei Kilometer, bevor sie den Hafenbereich verließ und durch die Straßen joggte. Das Gaslamp Quarter, der historische Stadtkern, war ganz in der Nähe, und zu ihrer Erleichterung hatten einige Läden bereits geöffnet. Es dauerte nicht lange, da stieg ihr der verlockende Duft aus einer Bäckerei in die Nase, und sie stellte sich davor in die kurze Schlange. Als sie an der Reihe war, nahm sie gleich zwei herrlich duftende Kaffees und drei kleine süße Kuchen.

Auf dem fünf Minuten dauernden Spaziergang zum Krankenhaus verputzte sie die Kuchen und trank den ersten Kaffee. Wie in allen Krankenhäusern, herrschte auch im Paz Memorial nie Stille. Eine Gruppe Frauen und Männer traf gerade munter redend und lachend zu ihrem Dienstbeginn ein. Alle schienen sich zu kennen. Robyn kannte niemanden.

Ihr Herz zuckte. Was für ein Riesenbetrieb! Mit über 600 Betten und als Level-2-Traumazentrum kategorisiert, beschäftigte es Myriaden von Menschen. Woher sollte sie die Zeit nehmen, hier Freundschaften zu schließen?

Sie blieb stehen, betrachtete das stete Kommen und Gehen. Ihr Zimmer war winzig und wenig gemütlich. Ja, sie würde duschen und sich dann in die Bibliothek setzen. In Ruhe Prozeduren und Abläufe studieren, bevor sie sich zum Dienst meldete. Vielleicht sogar nach einem Apartment in der Nähe suchen. In der Regel war das Verwaltungspersonal sehr hilfsbereit, wenn man Tipps brauchte.

Mit neuer Zuversicht drehte sie sich schwungvoll um, machte einen Schritt – und stieß mit jemandem zusammen. Ihr Kaffee flog in die Luft und landete wieder auf ihr. Robyn keuchte auf, als der anderen Person die große weiße Schachtel aus den Händen glitt und mit einem vernehmlichen Platschen am Boden aufkam.

„Verzeihung“, hauchte sie, während der Kaffee ihr über das Lauf-Outfit rann.

Ein leiser Fluch ertönte. Avery Smith trug ein – vormals – weißes Hemd und blaue Jeans. Robyn bezweifelte, dass dieses Hemd jemals wieder weiß sein würde.

Nicht nur, weil es voller Kaffeespritzer war, nein, es war auch mit einem interessanten Muster aus leuchtend roten, braunen und rosa Flecken dekoriert. „Was haben Sie bloß da drin gehabt?“, fragte sie und deutete mit dem Kopf auf die Schachtel.

„Dessert“, meinte er mürrisch, hob den demolierten Pappkarton auf und den Deckel an.

Robyn lugte hinein. „Ach herrje!“ Die Marmeladen-Donuts waren explodiert, und die Apfeltörtchen hatten sich mit den Schokoladencreme-Cupcakes vermählt. „Hat heute jemand Geburtstag?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe ein bisschen Kuchen mitgebracht.“ Kurzes Zögern. „Das mache ich ab und zu.“

Irgendetwas an der Art seiner Antwort irritierte sie. Sie bezweifelte nicht, dass er seine Kolleginnen und Kollegen gelegentlich mit etwas Süßem erfreute, aber irgendwie glaubte sie ihm nicht ganz.

Avery hob die Schachtel. „Suchen wir uns Besteck und essen die kläglichen Reste?“

„Nein danke, ich nicht. Ich habe gerade gefrühstückt und wollte in die Bibliothek, bevor mein Dienst anfängt.“ Sie verzog das Gesicht. „Tut mir leid wegen Ihrer Kleidung.“

„Kein Ding. Ich ziehe sowieso Arbeitskleidung an.“ Mit einem schwachen Lächeln in Richtung Pappkarton fügte er hinzu: „Bis später in der Abteilung.“ Das klang resigniert. Bedauerte er, dass sie gleichzeitig mit ihm Dienst hatte? Vielleicht hatte er doch keine Lust, mit ihr zusammenzuarbeiten.

Na schön, dann nicht, dachte sie gereizt. Und da sie nicht wusste, was sie sagen sollte, wandte sie sich ab und ging.

Über eine Stunde später suchte Avery immer noch nach einer Möglichkeit, sich mit Robyn wieder gut zu stellen. Theoretisch müsste sie sich auch darum bemühen, aber er ahnte, dass ihr Gehirn nicht so tickte. Die Donuts waren ein Schuss in den Ofen gewesen. Er hatte nicht einmal sagen können, dass er sie als Friedensangebot mitgebracht hatte. In dem Moment war es ihm albern erschienen.

Also zurück auf Anfang.

Zwei Mal durchstreifte er die komplette Abteilung. Suchte bei den Kardiobetten, den Tagesbetten, auf der Intensivstation, im Katheterlabor und der Kardio-Reha. Nirgends eine Spur von Robyn.

„Weiß jemand, wo unsere neue Ärztin ist?“, fragte er an der Stationszentrale nach.

„Dr. Grantig?“, fragte einer der Physiotherapeuten.

„Dr. Callaghan“, betonte Avery.

„Sie ist unten in der Notaufnahme, sieht sich einen Teenager mit Verdacht auf Herzfehler an. Der Kinderarzt wollte ihn nicht aufnehmen, aber sie hat sich quergestellt. Als Letztes habe ich gehört, dass sie versucht hat, Dr. Anker zu erreichen, damit er ihr Rückendeckung gibt.“

„Dr. Anker?“ Avery stöhnte unterdrückt auf. Der Mann hatte den Ruf weg, von allen Chefärzten der schwierigste zu sein. „Warum er?“

„Weil sie einen Hang zu Tragödien hat?“, meinte der andere achselzuckend.

Natürlich machte er sich sofort auf den Weg nach unten. Sagte sogar, dass er ihr beistehen wolle. Eine Krankenschwester nickte solidarisch, eine andere verdrehte die Augen.

Dafür, dass es mitten in der Woche war, herrschte in der Notaufnahme ungewohntes Chaos. Er sah einen Kollegen und sprach ihn an. „Hey, Michael, hier findet eine Party statt, und du sagst mir nicht Bescheid?“

Michael lud sich gerade Nachschubmaterial auf die Arme, drehte sich um und packte Avery einen Teil in die Hände. „Massenkarambolage auf einer Schnellstraße und ein Pflegeheim mit Norovirus. Zwei Ärzte liegen krank zu Hause, sodass wir zu wenig Mediziner haben. Bist du hier, um zu helfen?“

„Ich suche unsere neue Ärztin.“ Er ging mit, die Arme voller Material. „Aber ich kann oben anrufen und sagten, dass ihr die nächste Stunde Hilfe braucht.“

Michael nickte. „Großartig. Deine Ärztin ist bei einem Kind in Kabine 7. Hat sich mit dem Kinderarzt verkracht.“ Er warf Avery einen Seitenblick zu. „Ich mag sie. Nicht auf den Kopf gefallen. Und sie hat angeboten, sich für uns ein paar Noro-Patienten anzusehen. Hat nicht gezögert, einzuspringen. Nicht wie manche Herren aus anderen Abteilungen.“ Mit finsterer Miene sah er ein paar Chirurgen nach, die buchstäblich aus der Notaufnahme sprinteten.

Er betrat eine Untersuchungskabine, lud das Material ab und bedeutete Avery, seinen Stapel auf einen Rollwagen zu legen. „Hilfe ist sehr willkommen. Geh zur Weißwandtafel und übernimm alles, was du erledigen kannst. Schrei, wenn du Unterstützung brauchst.“

Avery schluckte. Er half immer gern, kannte jedoch seine Grenzen. Sein Examen lag noch nicht lange zurück, und die meisten, die in der Grube arbeiteten – wie sie die Notaufnahme nannten –, hatten mehrere Jahre Erfahrung vorzuweisen. Aber um einige Patienten konnte er sich kümmern. Die Älteren aus dem Pflegeheim waren sicher dehydriert. Er würde Blut abnehmen, Antiemetika verabreichen, Venenzugänge legen und es den Kranken so bequem wie möglich machen. Zwar war er auf Kardio-Patienten spezialisiert, aber immer bereit, zu helfen, wenn Not am Mann war. Oder Not an der Frau – Robyn schien genauso zu denken wie er.

Faszinierend. Der flüchtende Chirurg war nichts Neues. Sobald die meisten Ärzte ihren Facharzt in der Tasche hatten, ließen sie sich bei anderen Disziplinen nicht mehr blicken.

Er ging zu Kabine 7. Sofort hörte er Robyns schottischen Akzent. Avery blickte durch den Spalt in den Vorhängen. Sie hatte die Laufklamotten gegen ein knielanges, in der Taille gegürtetes rotes Hemdblusenkleid getauscht und trug dazu flache schwarze Schuhe. Die Farbe hatte er nicht erwartet, aber sie stand ihr. Warum sollten Rothaarige kein Rot tragen können? Ein breites schwarzes Stirnband hielt ihr die Haare aus dem Gesicht. Auf den weißen Kittel hatte sie verzichtet.

Sie deutete auf den Ultraschallbildschirm. „Hier sieht man, wie das Blut durch dein Herz fließt.“ Avery sah genau, worauf sie abzielte – eine der Herzklappen.

„Erzähl mir, in welchen Situationen du schlecht Luft bekommst“, fragte sie den Teenager.

Der wirkte verlegen. „Ich habe zugenommen, weiß auch nicht, warum. Ich spiele immer noch Basketball, aber mir fehlt die Energie. Wenn ich zehn Minuten gespielt habe, bin ich außer Atem.“

„Kommen Sie ruhig herein“, sagte sie leise, ohne sich vom Patienten wegzudrehen.

Avery zuckte leicht zusammen, wie ertappt, weil sie gemerkt hatte, dass er dort stand. Er trat durch die Vorhänge und nickte dem jungen Mann zu. „Hi, ich bin Avery Smith, einer der Krankenpfleger in der Kardiologie.“ Er wandte sich Robyn zu. „Ich wollte sehen, ob Sie vielleicht Hilfe brauchen.“

Sie lächelte nervös. „Ich habe Dr. Anker angepiept. Können Sie checken, ob er unterwegs ist?“

Avery nickte und ging zurück zum Stützpunkt. Er hatte ihn noch nicht erreicht, als ihm Dr. Anker – in Golfkleidung – entgegenkam. Ein guter Kardiologe, aber schon älter und leider ab und zu chauvinistisch.

Er nickte Avery zu. „Gut, endlich jemand mit Verstand. Haben Sie ihr gesagt, dass sie mich nicht hätte herholen müssen?“

Avery richtete sich auf. „Ich denke, der Patient wird Sie interessieren. Es sieht aus, als hätte er eine Herzklappenerkrankung. Hat unsere neue Ärztin gut beobachtet.“

Dr. Anker starrte ihn einen Moment lang an. Avery hätte schwören können, dass er die Rädchen in seinem Gehirn laufen hörte.

Vor allem aber wusste er genau, was er auf dem Monitor gesehen hatte – genau wie Robyn. Sie hatte recht gehabt, als sie dem Kinderarzt widersprach, der den Jungen entlassen wollte.

Dr. Anker holte tief Luft und nickte. „Wenn das so ist, lassen Sie mich mal sehen.“

Als sie sich der Untersuchungskabine näherten, hörten sie, wie Robyn mit jemandem sprach. „War Simon als Kind krank?“, fragte sie.

Der Kardiologe zog den Vorhang zurück und runzelte die Stirn. Robyn unterhielt sich per Videocall mit einer Frau. Wahrscheinlich Simons Mom, vermutete Avery.

Sie wartete die Antwort ab und drehte sich um. Eine leichte Röte stieg ihr in die Wangen, und Avery sah, dass sie unsicher wurde. Sie reichte Dr. Anker die elektronische Patientenkartei.

„Simon, dies ist Dr. Anker, der Facharzt, den ich für dich gerufen habe. Er wird dich untersuchen und sicher auch mit deiner Mom sprechen wollen.“

Dr. Anker wischte bereits durch die Aufzeichnungen. „Thorax-Röntgen, Blutproben, EKG.“ Er blickte auf. „Wo ist das Echokardiogramm?“

„Ich habe es gerade durchgeführt“, entgegne...

Autor

Julie Danvers
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Annie Claydon

Annie Claydon wurde mit einer großen Leidenschaft für das Lesen gesegnet, in ihrer Kindheit verbrachte sie viel Zeit hinter Buchdeckeln. Später machte sie ihren Abschluss in Englischer Literatur und gab sich danach vorerst vollständig ihrer Liebe zu romantischen Geschichten hin. Sie las nicht länger bloß, sondern verbrachte einen langen und...

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