Zwischen Schuld und Verlangen

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Er ist eiskalt, unerbittlich und unfassbar attraktiv … Mit rasendem Puls steht Ravenna vor Jonas Deveson, dem Milliardär, der ihre Mutter hasst. Weil sie seine Familie entzweite - und weil sie sein Geld gestohlen hat. Jonas ahnt nicht, dass Ravenna ohne dieses Geld nicht mehr am Leben wäre. Es gibt nur einen Weg, Jonas’ Rache abzuwenden: Sie muss die Schuld Penny für Penny abarbeiten. Als seine Haushälterin! Auf Deveson Hall entdeckt Ravenna unerwartete Seiten an Jonas - und plötzlich ist die härteste aller Strafen, dass sie ihrem brennenden Verlangen nicht nachgeben darf …


  • Erscheinungstag 17.02.2015
  • Bandnummer 2167
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701420
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Die letzte Buchprüfung ergab leider gewisse Unstimmigkeiten.“

Stirnrunzelnd musterte Jonas den Chef seiner Finanzbuchhaltung über den blankpolierten Schreibtisch hinweg.

Was brachte einen Mann wie Charles Barker dazu, unruhig auf seinem Stuhl herumzurutschen? Er war der Beste seines Fachs. Jonas hatte es sich zur Regel gemacht, nur Spitzenkräfte einzustellen. Versager hatten bei ihm keine Chance. Unter Barker funktionierte das Rechnungswesen so reibungslos wie eine gut geölte Maschine.

„Handelt es sich um etwas Gravierendes?“

Barker schüttelte den Kopf. „Gesamtwirtschaftlich gesehen nicht.“

Angesichts eines Firmenkapitals in Milliardenhöhe war dies eine beruhigende Auskunft. Dennoch beschlich Jonas ein ungutes Gefühl, als er sah, wie sein Finanzchef nervös seine Krawatte lockerte.

„Spucken Sie’s aus, Charles.“

Verkrampft lächelnd schob Barker seinen Laptop über den Schreibtisch.

„Hier, sehen Sie selbst. Die oberen beiden Zeilen.“

Jonas las. Eine Barauszahlung über mehrere tausend Pfund. Darunter eine weitere, diesmal über einen noch höheren Betrag. Nähere Angaben fehlten.

„Was hat das zu bedeuten?“

„Jemand hat Geld von Ihrem Anlagekonto abgehoben.“

Jonas’ Miene verdüsterte sich. Er benutzte dieses Konto nicht für Firmengeschäfte, sondern nur für private Investitionen größeren Umfangs.

„Wir sind der Sache nachgegangen.“ Natürlich. Auf Barker war Verlass.

„Und?“, fragte Jonas gespannt.

„Wie Sie wissen, war das Konto früher ein Gemeinschaftskonto.“

Wie hätte Jonas das jemals vergessen können? Sein Vater, Piers, hatte sich immer als der große Seniorchef der Firma aufgespielt. Dabei hatten sie beide gewusst, dass es allein Jonas’ Geschäftssinn und Ehrgeiz zu verdanken war, dass sich die schwer angeschlagene Investmentfirma wieder am Markt etabliert hatte. Piers war lediglich auf der Erfolgswelle mitgeschwommen. Bis sich die Wege von Vater und Sohn getrennt hatten.

„Ja, ich weiß.“ Bitterkeit schwang in Jonas’ Stimme mit.

Barker wand sich vor Unbehagen. „Es wurde ein altes Scheckheft Ihres Vaters benutzt. Eigentlich hätten alle gesperrt sein müssen, aber dieses eine …“

„Schon gut, verstehe.“ Jonas ließ den Blick über das Londoner Geschäftsviertel schweifen, das er von seinem Büro aus überblicken konnte.

Vater. Er hatte vor langer Zeit aufgehört, ihn so zu nennen. Seit er herausgefunden hatte, dass Piers Deveson trotz seines scheinheiligen Geredes von Anstand und Familientradition alles andere als ein Ehrenmann war. Es überraschte Jonas nicht weiter zu erfahren, dass der alte Mann zu guter Letzt noch einen Weg gefunden hatte, sich am Geld seines Sohnes zu vergreifen. Ein Wunder, dass er es nicht schon früher getan hatte.

„Dann hat Piers …“

„Nein!“ Charles Barker setzte sich kerzengerade auf. „Wir haben Grund zu der Annahme, dass nicht Ihr Vater das Geld abgehoben hat. Hier, bitte.“

Beide Schecks trugen die Unterschrift von Piers Deveson. Nur dass es sich dabei um Fälschungen handelte. Gut genug, um einen Fremden zu täuschen, aber nicht Jonas.

„Beachten Sie das Ausstellungsdatum.“

Als Jonas es las, war er wie vor den Kopf geschlagen. Die Vorstellung, sein Vater hätte sein Konto geplündert, war schlimm genug, aber dies …

„Wie Sie sehen, wurde der zweite Scheck einen Tag nach dem Tod Ihres Vaters ausgestellt.“

Fassungslos schüttelte Jonas den Kopf. Das Datum hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt, und das nicht nur, weil es noch nicht weit zurücklag.

Jahrelang war ihm sein Vater ein Dorn im Auge gewesen. Er hatte es als Schande empfunden, wie Piers Deveson und seine hinterhältige Geliebte in Saus und Braus zusammenlebten. Wie sie sich ungeniert in der Glitzerwelt der Reichen und Schönen tummelten, ohne sich darum zu kümmern, wen sie damit verletzten.

Die Nachricht vom Tod seines Vaters hatte keinerlei Regung in ihm ausgelöst. Keine Trauer. Keine Erleichterung. Nur Leere. Doch nun, Wochen später …

„Es war also nicht mein Vater?“

„Nein, aber wir haben die Betrügerin identifiziert. Sie hat sich ja nicht allzu schlau angestellt.“ Barker schien die peinliche Angelegenheit schnell hinter sich bringen zu wollen. „Es ist eine Ms Ruggiero, gemeldet unter der Adresse Ihres Vaters in Paris.“ Er reichte Jonas einen Zettel mit der Anschrift des Luxusapartments, in dem Piers sich mit seiner Geliebten vor sechs Jahren eingenistet hatte.

„Diese raffgierige Person will die Familie also weiterhin ausnehmen.“ Jonas’ kühlem, emotionslosem Ton war nicht anzumerken, wie sehr es in ihm brodelte.

Glaubte diese Frau im Ernst, er ließe sie ungeschoren davonkommen? Nach allem, was sie seiner Familie angetan hatte? So dumm konnte sie doch nicht sein!

Er sah sie vor sich, als wäre es gestern gewesen. Silvia Ruggiero, die Frau mit den reizvollen Kurven, dem feurigen Blick und den schwarzen Locken, die damals als Haushälterin bei den Devesons gearbeitet hatte.

Purer Sex, hatte einer seiner Freunde sie beschrieben. Wie wahr! Nur Wochen später hatte Jonas’ Vater seiner Familie, seinen Verpflichtungen und seinem ehrenwerten Leben den Rücken gekehrt und war mit seiner Haushälterin nach Paris durchgebrannt.

Vier Monate darauf war Jonas’ Mutter tot aufgefunden worden, gestorben an einer Überdosis Schlaftabletten. Ein Unfall, wie es hieß, doch Jonas wusste es besser. Seine Mutter hatte sich das Leben genommen.

Das Atmen fiel ihm schwer, auf seiner Brust lastete ein unerträglicher Druck. Die Frau, die für den Tod seiner Mutter verantwortlich war, hatte erneut zugeschlagen. Wie unverschämt von ihr, zu glauben, sie könne die Familie noch über Piers’ Tod hinaus schröpfen!

Zornig zerdrückte er das Stück Papier in seiner Faust und spürte, dass jeder Muskel seines Körpers angespannt war.

Seit sechs Jahren schwelte der Wunsch nach Rache in ihm. Bisher hatte er ihn unterdrückt, sich in die Arbeit gestürzt und jeden Kontakt zu seinem Vater und dessen skrupelloser Gefährtin vermieden.

Doch dieser Scheckbetrug war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

„Überlassen Sie alles Weitere mir, Charles.“ Er lächelte dünn. „Kein Grund, die Sache an die große Glocke zu hängen. Ich kümmere mich persönlich darum.“

Ravenna sah sich verzweifelt in der Wohnung um. Ein Großteil der Einrichtung, von den vergoldeten Louis-Quinze-Sesseln bis hin zu dem edlen Porzellan, bestand, wie sie inzwischen herausgefunden hatte, aus wertlosen Nachbildungen.

Ihre mamma hatte sich auch in harten Zeiten immer zu helfen gewusst.

Ravenna lächelte wehmütig. Nicht, dass das Leben in einem Luxusapartment in einem der teuersten Viertel von Paris eine besondere Härte darstellte. Erst recht nicht im Vergleich zu den armseligen Verhältnissen, in denen sie gelebt hatten, als sie noch ein Kind gewesen war. Da waren die Lebensmittel knapp und die Winter aus Mangel an warmen Decken und Kleidern hart gewesen.

Gestählt durch diese Erfahrung, hatte ihre Mutter die teuren Möbelstücke offenbar nach und nach durch Imitate ersetzt, als Piers und ihr das Geld ausging.

Silvia Ruggiero hatte sich immer irgendwie durchgeschlagen, auch wenn sie ihre Ansprüche, wie Ravenna fand, in den letzten Jahren lächerlich hoch geschraubt hatte. Doch Piers Deveson hatte es so gewollt, und ihre Mutter hatte ihn vergöttert.

Gut, dass Silvia jetzt bei ihrer Freundin in Italien war, um sich von dem Schock über Piers’ plötzlichen Tod zu erholen. Ravenna wünschte nur, ihre Mutter hätte ihr die traurige Nachricht nicht wochenlang vorenthalten, weil sie glaubte, sie schonen zu müssen.

Mütter!

Als Ravenna dann vor ein paar Tagen aus der Schweiz angereist war, hatte sie ihre mamma kaum wiedererkannt. Zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie älter aus, als sie war. Und krank vor Kummer. Ravenna machte sich große Sorgen um sie. Sie hatte Piers nicht besonders gemocht, aber ihre Mutter hatte ihn aufrichtig geliebt.

Gut, dass ihr wenigstens das Ausräumen der Wohnung erspart blieb. Es war das Mindeste, was Ravenna für sie tun konnte. Erst recht, da Piers sich ihr gegenüber so großzügig verhalten hatte, als es ihr schlecht ging. Dafür konnte sie sich auch mit den Gläubigern herumschlagen und die restliche Habe ihrer Mutter veräußern.

Froh, einen Experten beauftragt zu haben, der die wertvollen Stücke aus all dem billigen Ramsch heraussuchen würde, wandte sie sich wieder ihrer Inventur zu. Für sie, die eine bescheidene Unterkunft in einem Londoner Vorort bewohnte, sah alles gleich teuer und protzig aus.

Jonas drückte zum zweiten Mal auf den Klingelknopf. Er fragte sich schon, ob sie ausgeflogen war und er sich umsonst auf den Weg nach Paris gemacht hatte.

Normalerweise neigte er nicht zu Affekthandlungen, sondern ging wohlüberlegt und streng methodisch vor. Doch sein Instinkt sagte ihm, dass es Zeit für einen Überraschungsangriff war. Jetzt, einige Wochen nach Piers’ Tod, würde die Geliebte seines Vaters allmählich den Druck der Gläubiger zu spüren bekommen.

Der Türöffner summte, und eine leise rauchige Stimme sagte: „Hallo?“

„Ich möchte zu Madame Ruggiero.“

„Monsieur Giscard? Ich erwarte Sie schon. Bitte, kommen Sie herauf.“

Jonas durchquerte die marmorgeflieste Eingangshalle, ignorierte den Lift und lief zu Fuß die zwei Treppen zum Liebesnest seines Vaters hinauf. Eine schlanke junge Frau öffnete ihm die Wohnungstür.

Ohne sie zu beachten, stürmte er an ihr vorbei in die mit Möbeln vollgestopfte Diele. Die Tür zu dem ebenso opulent ausgestatteten Salon stand offen, doch Silvia Ruggiero war nirgends zu sehen.

„Sie sind nicht Monsieur Girard.“ Die vorwurfsvolle Stimme ließ ihn zu der jungen Frau herumfahren, die ihn misstrauisch musterte.

„Nein, bin ich nicht.“

Jetzt erst nahm er sich die Zeit, sie genauer anzusehen.

Sie hatte eine schlanke geschmeidige Figur mit hübschen Kurven an genau den richtigen Stellen, was auch ihre unvorteilhafte Kleidung nicht verbergen konnte. Regelrecht fasziniert aber war er von ihrem Gesicht mit dem breiten sinnlichen Mund, der geraden Nase und den hohen Wangenknochen. Sie hatte schön geschwungene Augenbrauen, große goldbraune Augen, die fast wirkten, als würden sie von innen leuchten, und lange dunkle Wimpern.

Jedes einzelne Detail ihres herzförmigen Gesichts wirkte für sich allein betrachtet fast zu ausdrucksvoll, doch alles zusammen ergab eine perfekte Mischung.

Sie war hinreißend. Nicht schön im herkömmlichen Sinn, aber sehr apart. Jonas, der sich kaum erinnern konnte, wann er sich das letzte Mal wirklich für eine Frau interessiert hatte, spürte, wie sich sein Puls beschleunigte.

„Und wer sind Sie, bitte?“, fragte sie mit einer ungeduldigen Kopfbewegung, was seinen Blick auf ihr kurzes dunkles Haar lenkte. Wenn sie es wachsen ließ, würde sie in ein paar Wochen Locken haben …

Warum hielt er sich mit solchen Nebensächlichkeiten auf?

„Ich suche Madame Ruggiero. Silvia Ruggiero.“

„Sie kommen unangemeldet.“ Ihr Ton war unerwartet schroff.

„Sie wird mich trotzdem empfangen.“

„Nein, bestimmt nicht. Sie sind der Letzte, den sie jetzt sehen will.“

„Sie wissen, wer ich bin?“ Erstaunt musterte er die junge Frau, die sich ihm energisch in den Weg stellte, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie war groß und brauchte nur leicht das Kinn zu heben, um ihm in die Augen zu sehen.

Trotzig erwiderte sie seinen Blick.

„Allerdings. Ich habe Sie nur nicht gleich erkannt.“

„Und wer sind Sie?“ Dass sie ihn kannte, war nicht weiter verwunderlich. Sein Bild war oft genug in der Zeitung. Doch auch er wurde das Gefühl nicht los, sie schon irgendwo gesehen zu haben.

„Offenbar niemand, an den man sich erinnert“, erwiderte sie mit einem matten Lächeln, das sein Herz höher schlagen ließ, obwohl es nicht ihm galt. „Silvia ist nicht da.“

„Dann warte ich eben.“ Er trat vor und prallte gegen ihre schlanke angespannte Gestalt, als sie ihm den Weg in den Salon versperrte. Sie wich keinen Schritt zurück. Und auch er regte sich nicht einen Millimeter. Obwohl es ihn verwirrte, ihren warmen Körper an seinem zu spüren. Aber so leicht gab er nicht auf.

Er sah ihr in die Augen, in denen sich Schock und Verwunderung spiegelten, und sagte mit leiser fester Stimme: „Ich werde nicht gehen.“ Zu seiner Überraschung verspürte er den Wunsch, ihre blassen Wangen zu streicheln, was ihn so irritierte, dass er ungewollt barsch hinzufügte: „Die Sache duldet keinen Aufschub.“

Er sah, wie sie schluckte. Sein Blick glitt von ihrem schönen Mund zu ihrem schlanken Hals. Ihre Haut verströmte den warmen sinnlichen Duft von Zimt.

„Gut, Sie können mit mir sprechen.“ Abrupt drehte sie sich um und durchquerte mit klappernden Absätzen den Salon.

Jonas, fasziniert vom Anblick ihrer wiegenden Hüften, folgte ihr.

Auf einem dick gepolsterten Sessel am Fenster nahm sie Platz, sodass sie das Licht im Rücken hatte. Ein alter Vorgesetzten-Trick, den Jonas sofort durchschaute. Anstatt sich zu setzen, lief er im Zimmer auf und ab, um sie nervös zu machen.

Wer immer sie war, sie steckte mit Silvia Ruggiero unter einer Decke. Er hatte keinen Grund, ihr zu vertrauen.

„Warum sollte ich meine Angelegenheiten mit einer Fremden besprechen?“, fragte er, den Blick auf eine überreich verzierte Wanduhr gerichtet.

Gab es denn hier nichts als überkandidelten Schnickschnack? Typisch neureich, dachte er verächtlich. Mehr Masse als Klasse. Seinem scharfen Auge war nicht entgangen, dass die prächtigsten Stücke wertlose Fälschungen waren.

Das sah seinem Vater ähnlich. Nur Schau und nichts dahinter. Erst recht in Dingen wie Liebe und Loyalität.

„Ich bin keine Fremde“, sagte die junge Frau scharf. „Was Sie sicher bemerkt hätten, wenn Sie nicht so unverhohlen damit beschäftigt wären, die Möbel zu taxieren.“

Zu seinem eigenen Erstaunen wurde er tatsächlich rot. Es stimmte, er verhielt sich unhöflich. Aber er sah keine Veranlassung, sich mit der Geliebten seines Vaters oder ihresgleichen gutzustellen.

Betont langsam drehte er sich um.

„Tun Sie mir den Gefallen und sagen Sie mir, wer Sie sind.“

„Ist das nicht offensichtlich? Ich bin Ravenna, Silvias Tochter.“

Ravenna sah, wie Jonas’ Miene gefror.

Nach all den Jahren hätte es ihr nichts ausmachen dürfen, doch das tat es.

Sie war ein schlaksiges Kind gewesen, mit langen Armen und Beinen, großen Füßen und einer Nase, in die sie erst hatte hineinwachsen müssen. Mit ihrem dunklen Haar, ihrem italienischen Namen und ihrer tiefen Stimme war sie in den englischen Schulen, die sie besucht hatte, immer eine Außenseiterin gewesen.

„Anders“ oder „ungewöhnlich“ hatten noch die freundlicheren Kommentare hinsichtlich ihres Aussehens gelautet, wenn sie mit ihrer zierlichen, bildschönen Mutter unterwegs gewesen war. Die schlimmeren, vor allem auf dem Internat, auf das ihre Mutter sie unter großen Entbehrungen geschickt hatte … Nein, das alles lag längst hinter ihr.

Dennoch hatte sie erwartet, dass Jonas sich an sie erinnern würde. Auch wenn sie bei ihrer letzten Begegnung noch eine Zahnspange und Zöpfe getragen hatte.

Zugegeben, auch sie hatte einen Moment gebraucht, um in dem unverschämten, elegant gekleideten Eindringling den jungen Mann von damals wiederzuerkennen. Den netten Sohn des Hauses, der sie weinend hinter den Ställen von Deveson Hall vorgefunden hatte, wohin sie sich in ihrem Kummer verkrochen hatte.

Freundlich und verständnisvoll war er damals gewesen. Ein strahlender Held in den Augen eines jungen Mädchens. Stark, vertrauenerweckend und sexy wie ein Filmstar.

Kaum zu glauben, dass jemand so Charmantes sich in einen solchen Unsympath verwandeln konnte!

Aber sexy war er immer noch.

Sie sah in seine grauen Augen, die sie prüfend musterten.

Sein Gesicht hatte die Weichheit der Jugend verloren und wies nun jene attraktiven, markanten Züge auf, die ihm seine aristokratischen Vorfahren vererbt hatten. Er war kein verzogenes Muttersöhnchen aus reichem Haus. Er war der hartgesottene, autoritätsgewohnte Mantel-und-Degen-Typ, den man sich gut vorstellen konnte, wie er hoch zu Ross Deveson Hall gegen Angreifer verteidigte.

Und reihenweise Frauen den Kopf verdrehte.

Ravenna fragte sich, wie sie einen Mann attraktiv finden konnte, der ihr nur Missbilligung und Feindseligkeit entgegenbrachte, seit er hier hereingestürmt war.

Doch die Schmetterlinge in ihrem Bauch entzogen sich jeder Logik.

Unbeirrt erwiderte sie seinen bohrenden Blick. Egal wie gutaussehend oder dominant Jonas Deveson war, sie würde sich von seinem arroganten Auftreten nicht einschüchtern lassen.

„Was wollten Sie mit meiner Mutter besprechen?“ Sie lehnte sich im Sessel zurück, schlug lässig die Beine übereinander und sah die Überraschung in seinen Augen. Hatte er gedacht, sie würde vor ihm kuschen?

„Wann kommt sie wieder?“ Seine Augen blitzten vor Zorn. Hinter seiner kühlen Fassade verbarg sich offenbar ein hitziges Temperament.

„Wenn Sie nicht bereit sind, höflich meine Frage zu beantworten, dann gehen Sie bitte.“ Ravenna erhob sich. Sie hatte genug Probleme am Hals und musste sich nicht auch noch mit Piers’ überheblichem Sohn abgeben, der sie noch dazu ziemlich nervös machte.

„Es handelt sich um eine Privatangelegenheit.“

Auf halbem Weg zur Tür drehte sie sich um. Er stand dicht hinter ihr, sein Gesicht hart und abweisend. Was immer er wollte, es klang nach Ärger. Und ihre mamma, völlig verzweifelt über den Tod ihres geliebten Lebensgefährten, war sicher nicht in der Lage, mit Jonas zu verhandeln. Ravenna musste sie beschützen.

„Meine Mutter ist nicht in Paris.“

„Wo ist sie dann? Sagen Sie es mir.“ Es war ein Befehl, keine Bitte.

Seine autoritäre Art trieb sie zur Weißglut, aber es gelang Ravenna, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. „Ich bin nicht Ihre Untergebene“, sagte sie kühl. Sie wusste, unter welchen Schuldgefühlen ihre Mutter gelitten hatte, weil dieser Mann nicht bereit gewesen war, sich mit seinem Vater zu versöhnen. „Glauben Sie nicht, Sie könnten mich herumkommandieren, nur weil meine Mutter früher für Ihre Familie gearbeitet hat. Sie haben mir gar nichts zu sagen.“

Zornbebend sahen sie einander an. Zumindest hielt Ravenna es für Zorn, was ihr Herz zum Rasen und ihren Nacken zum Prickeln brachte.

„Aber Ihrer Mutter.“ Jonas’ sanfte Stimme klang dennoch nach einer unverhohlenen Drohung. „Sie hat ein echtes Problem.“

Ravenna sah den harten Glanz in seinen Augen. Angst kroch in ihr hoch. „Sie sind nicht hier, um Ihre Hilfe anzubieten, oder?“

Sein zynisches Lachen bestätigte ihren Verdacht.

„Wohl kaum.“ Er legte eine Kunstpause ein, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. „Ich werde sie für ihr Vergehen hinter Gitter bringen.“

Alles um sie herum begann sich zu drehen. Haltsuchend streckte Ravenna die Hand aus, bekam Stoff zu fassen und krallte die Finger hinein.

Die letzten Monate waren mehr als hart gewesen. Sie hatten Ravenna an den Rand ihrer Belastungsgrenze gebracht. Und der blanke Hass, der ihr von Jonas Deveson entgegenschlug, war nun fast zu viel für sie. Er versetzte sie in Angst und Schrecken.

Er meint es ernst, dachte sie entsetzt. Er will meine Mutter verhaften lassen!

Eine Hand schloss sich um ihr Handgelenk. Lange kräftige Finger, die einen heißen Schauer durch ihren Körper jagten.

Da erst merkte sie, dass sie sich an das maßgeschneiderte Jackett ihres Gegenübers klammerte.

„Alles in Ordnung?“ Jonas’ besorgte Frage brachte sie zur Besinnung.

Sie riss sich los, wandte sich ab und trat ans Fenster. Der schwere Brokatvorhang, nach dem sie instinktiv griff, fühlte sich nicht halb so gut an wie der feine Wollstoff von Jonas Devesons Jackett …

Sei nicht albern.

„Ravenna?“

Sie horchte auf. Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Jonas hinter den Stallungen von Deveson Hall hatte sie verzückt gedacht, dass niemand ihren Namen so wunderbar aussprach wie er. Bis dahin war sie wegen ihres ausgefallenen Vornamens immer nur gehänselt worden. Rabenkrähe hatten die anderen sie genannt.

Bei ihm aber klang ihr Name auch jetzt wie eine Liebkosung.

„Alles okay mit Ihnen?“ Seine Stimme war plötzlich ganz nah.

„So okay, wie man sich fühlt, wenn einem jemand droht, die eigene Mutter ins Gefängnis zu bringen.“

Sie ließ den Blick einen Moment länger auf dem gepflegten Place des Vosges verweilen, der aussah, als könne nichts und niemand seine erhabene Ruhe stören. Im wahren Leben, das hatte Ravenna grausam zu spüren bekommen, gab es weder Beständigkeit noch Sicherheit.

Widerstrebend drehte sie sich zu ihrem Besucher um.

„Was soll sie denn verbrochen haben?“

„Von soll kann keine Rede sein. Glauben Sie, ich wäre hier …“, verächtlich sah er sich in dem Apartment um, „… wenn ich meiner Sache nicht sicher wäre?“

Ravenna wurde schwer ums Herz. Sie glaubte nicht, dass ihre Mutter etwas Schlimmes getan hatte, aber sie wusste auch, dass Jonas Deveson sich nicht ohne zwingenden Grund ihrer Mutter auf weniger als einen Kilometer nähern würde.

„Sie sind blind vor Zorn“, warf sie ihm vor und sah seine Augenbrauen in die Höhe schnellen. „Sie hassen meine Mutter und wollen sie dafür bestrafen, dass sie sich in Ihren Vater verliebt hat.“

Sein Blick verriet, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.

Die Hände in die Hüften gestemmt, fuhr sie fort: „Dachten Sie, ohne Piers an ihrer Seite wäre Silvia wehrlos? Da irren Sie sich. Sie ist nicht allein, merken Sie sich das.“

„Ach, hat sie sich schon den Nächsten geangelt? Die Frau ist unschlagbar.“

Ravenna nahm kaum wahr, wie sie auf ihn zustürzte, sah nur seine geweiteten Pupillen, als sie zum Schlag ausholte.

Blitzschnell fing er ihre Hand ab und riss ihren Arm hoch, sodass sie sich recken musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ihr Körper bebte vor Anstrengung in dem Bemühen, den Mann vor sich nicht zu berühren. Sie stand so dicht vor ihm, dass sie die Wärme spürte, die von ihm ausging.

Seine Augen unter den dichten dunklen Brauen schienen bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken. Er roch verlockend gut, männlich-herb und leicht nach Limone.

Erschrocken hielt Ravenna den Atem an. Sie befand sich auf gefährlichem Terrain, und das nicht nur wegen ihrer Mutter. Energisch versuchte sie sich loszureißen, doch Jonas hielt sie fest.

Auge in Auge mit ihm spürte sie die geballte Energie und Kraft, die sich unter seinem edlen Designer-Outfit verbarg. So elegant und distinguiert er wirkte, vermittelte er doch den Eindruck von rauer, ungezügelter Leidenschaft.

Ravenna atmete tief durch und versuchte, die aufsteigende Panik niederzukämpfen. Noch nie hatte sie sich einem Mann so ausgeliefert gefühlt.

„Niemand schlägt mich.“ Seine Lippen bewegten sich kaum, doch sie spürte seinen heißen Atem an ihrem Gesicht.

„Niemand beleidigt meine Mutter“, erwiderte sie.

Trotz ihrer misslichen Lage und der verwirrenden Gefühle, die Jonas in ihr weckte, hielt sie seinem feindseligen Blick tapfer stand. Innerlich aber verging sie vor Angst. Dieser Mann kannte kein Erbarmen.

„So kommen wir nicht weiter, Ms Ruggiero.“

„Dann brauchen Sie ja nicht länger den Macho zu spielen.“ Zum Glück ließ er sie los. Kritisch musterte sie ihr Handgelenk, aber sein harter Griff hatte keine Spuren hinterlassen. Keine äußeren jedenfalls.

„Nur damit Sie Bescheid wissen …“ Zornig musterte sie sein stolzes, abweisendes Gesicht. „Meine Mutter hat Ihren Vater geliebt.“

„Und das soll ich Ihnen glauben?“ Er lächelte spöttisch. „Erzählen Sie keine Märchen. Sie war auf der Suche nach einem reichen Liebhaber, das weiß doch jeder.“

„Meine Mutter war keine …“

„Mein Vater war wesentlich älter als sie“, fiel er ihr ins Wort. „Er hatte eine Frau, ein Zuhause, eine Familie und führte ein komfortables, geselliges Leben. Meinen Sie, er hätte das alles aufgegeben, wenn ihn nicht ein gerissener Vamp um den Finger gewickelt hätte?“

Ravenna wusste, wie viele Menschen Silvia und Piers mit ihrem Verhalten unglücklich gemacht hatten, aber sie hielt trotzdem zu ihrer Mutter.

„Sie glauben wohl nicht an die Liebe.“

„Liebe?“ Er lachte abfällig. „Silvia erfüllte sämtliche Klischeevorstellungen meines Vaters von einer Traumfrau. Ich wette, er hat sie genauso vorgezeigt wie seine übrigen Besitztümer.“ Sein Blick schweifte durch den Raum und blieb an dem Cézanne hängen, von dem Ravenna wusste, dass er kein Original war.

„Für Ihre Mutter war Piers doch nur die Eintrittskarte ins Glück. Alles, was sie mit ihm verband, war ein Faible für Luxus und eine Abneigung gegen harte Arbeit. Warum sollte sie weiter als Haushälterin schuften, wenn sie sich genauso gut von meinem Vater aushalten lassen konnte? Dafür brauchte sie doch nur ab und zu mit ihm …“

„Stopp! Ich will Ihre gemeinen Anschuldigungen nicht hören.“

„Aber Ravenna ….“ Diesmal klang ihr Name aus seinem Mund gar nicht angenehm. „Sie sind doch kein Schulmädchen mehr. Machen Sie sich nichts vor.“

„Es reicht!“ Sie hob abwehrend die Hände. „Sagen Sie mir, warum Sie hier sind.“

2. KAPITEL

Jonas brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Normalerweise ließ er sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Er war bekannt und gefürchtet dafür, dass er selbst bei den heikelsten Geschäftsverhandlungen einen kühlen Kopf bewahrte.

Auch privat hatte er seine Lektion gelernt. Schließlich hatte er von klein auf miterlebt, wie sein Vater von einer Affäre in die nächste geschlittert war, erst blind vor Verliebtheit, dann gelangweilt, schließlich frustriert.

Jonas war nicht wie sein Vater, sondern immer bestrebt gewesen, sich so deutlich wie möglich von seinem alten Herrn abzugrenzen. Jonas Deveson war zuverlässig, vertrauenswürdig und beherrscht.

Nur dass ihm momentan vor Aufregung die Hände zitterten. Angewidert sah er sich in dem kitschig ausstaffierten Liebesnest seines Vaters um. Es war sicher die Umgebung, die ihn so nervös machte.

„Und? Ich höre“, sagte eine rauchige Stimme hinter ihm.

Ravenna Ruggiero. Nie im Leben hätte er die junge Frau im Apartment seines Vaters mit dem verheulten Mädchen von damals in Verbindung gebracht. Dem schlaksigen Teenager mit den kindlichen Gesichtszügen und den Schleifen im Haar. Obwohl ihr Mund und ihre Augen ihm schon damals aufgefallen waren. Und ihre ungewöhnliche Stimme, die erahnen ließ, wie sexy sie einmal sein würde.

Autor

Annie West
Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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