Erben der Sehnsucht: Küsse - heiß wie die Sonne Siziliens

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Begeistert führt Carol auf der Mittelmeerinsel Sizilien das Vermächtnis ihres Onkels fort: ein malerisches Weingut. Als sie dann noch der heißblütige Dario leidenschaftlich küsst, ist sie überglücklich. Oder hat er es nur auf ihr Land abgesehen?


  • Erscheinungstag 10.03.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783956493126
  • Seitenanzahl 140
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carol Grace

Erben der Sehnsucht: Küsse – heiß wie die Sonne Siziliens

Aus dem Amerikanischen von Bettina von Bülow

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieser Ausgabe © 2013 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

The Sicilian’s Bride

Copyright © 2009 by Carol Culver

erschienen bei: Mills & Boon, London

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Maya Gause

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-312-6

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Isabel Morrison hatte sich verfahren. Auf der Suche nach den Weinbergen Monte Verde kurvte sie nun seit Stunden über staubige Straßen. Hier draußen auf dem Land gab es überhaupt keine Hinweisschilder, und der kleine Fiat, den sie gemietet hatte, war weder mit GPS noch mit einer Klimaanlage ausgestattet. Sie schmolz förmlich in der Septemberhitze. Natürlich hatte sie gelesen, dass es in Sizilien heiß war, aber von dieser Hitze hatte niemand etwas gesagt.

Kein Wunder, dass sie keinen Menschen traf, den sie nach dem Weg hätte fragen können. In dieser Mittagssonne liefen nur ein paar streunende Hunde und Engländer herum und genau eine Amerikanerin, die weit weg von zu Hause nach ihrem Stück des amerikanischen Traums suchte. Alles, was Isabel sich wünschte, was sie sich je ersehnt hatte, war ein eigenes Heim.

Das Haus sollte – wenn sie es denn je finden würde – der Ort für einen Neubeginn sein. Ein Ort, an dem sie endlich Wurzeln schlagen konnte, wo niemand wusste, welche Fehler sie in der Vergangenheit gemacht hatte. Ein Ort, wo sie ihren Lebensunterhalt verdienen konnte, denn auf diesem Weingut, dem Erbe eines Onkels, den sie niemals kennengelernt hatte, wollte sie Wein anbauen und verkaufen.

Als Baby war sie in Decken gehüllt in einem Korb und auf den Stufen eines Waisenhauses abgelegt worden. Auf einem Zettel, der am Korb befestigt war, wurden die barmherzigen Schwestern gebeten, sich um das Kind zu kümmern. Was diese nach bestem Wissen und Gewissen getan hatten. Von einem Onkel hatte sie nichts gewusst. Geschweige denn von seinem Leben in Sizilien oder von seinen Motiven, ihr ein Weingut zu hinterlassen. Aber anscheinend hatte er sich um sie gesorgt und ihr etwas vererbt. Und was für ein Erbe! Ein Haus für sie allein. Und nicht nur das, sondern obendrein noch Weinberge.

Sie hatte sich so gut es ging vorbereitet, bevor sie Amerika verließ: ein Dutzend Italienführer gelesen, Italienischunterricht genommen und einen Schnellkurs in Weinanbau belegt. Es gab ihr Sicherheit, wenn sie gut vorbereitet war und sich auf sich selbst verlassen konnte. Naivität und Vertrauensseligkeit hatten einmal dazu geführt, dass ihr Herz gebrochen wurde. Das sollte niemals wieder passieren.

Wenn sie jetzt nur endlich diese alte Villa und die wahrscheinlich arg vernachlässigten Weinberge Monte Verde finden würde, wäre sie im Geschäft. Sie würde sich einrichten, Reben anbauen und den Dessertwein Amarado produzieren, für den die Gegend früher berühmt gewesen war.

Nach der Karte, die der Anwalt, Signor Delfino, ihr gegeben hatte, sollte es gleich hier … da drüben … müsste es sein.

„Ich kenne jemanden, der Sie nächste Woche hinbringen kann“, hatte er angeboten.

„Haben Sie vielen Dank, aber ich kann nicht bis nächste Woche warten“, hatte sie geantwortet. Nächste Woche? Ihr ganzes Leben lang hatte sie auf einen Ort gewartet, der ihr Zuhause sein würde, da konnte keiner von ihr erwarten, sich noch einen Tag länger zu gedulden. Im Stillen hatte sie sich gefragt, ob er Zeit schinden wollte, denn er hatte versucht, sie zum Verkauf zu überreden, noch bevor sie das Gut gesehen hatte.

„Ich bin verpflichtet, Sie davon in Kenntnis zu setzen“, hatte er gesagt, „dass der Besitz sich in Folge von Vernachlässigung in einem desolaten Zustand befindet. Wenn Sie meinen Rat annehmen wollen …“ Er hatte sich vernehmlich geräuspert. „Verkaufen Sie das Anwesen an eine der eingesessenen Familien, eine, die Ihnen ein großzügiges Angebot macht. Ich kann die Details des Geschäfts für Sie abwickeln.“

Die Art, wie er das gesagt hatte, ließ darauf schließen, dass sie verrückt wäre, das Angebot abzulehnen.

„Richten Sie der betreffenden Familie bitte aus, dass ich ihr Interesse zu schätzen weiß, aber der Besitz steht nicht zum Verkauf.“ Egal wie viel sie bieten mochten, sie würde nicht verkaufen und herzlichen Dank, sie würde den Weg allein finden.

Auf der einen Seite der Straße rauschte ein Bach, gesäumt von Eukalyptusbäumen, auf der anderen Seite erstreckten sich goldene Weizenfelder und lange Reihen von Weinstöcken, an denen schwer die Trauben hingen. In der Luft lag ein würziger Duft: das Aroma der Eukalyptusbäume gemischt mit dem Geruch von Heu, das in der Sonne trocknet. Wenn sie nur wüsste, wie sie zu der Azienda gelangen sollte.

Ja, es war glühend heiß, und die Luft staubtrocken. Ja, sie hatte sich verfahren. Aber darüber hinaus war sie nervös, und trotz ihrer Vorbereitung fürchtete sich angesichts der Herausforderung, Trauben zu einem qualitativ hochwertigen Wein zu verarbeiten, den sie an anspruchsvolle Kunden verkaufen konnte. Eins nach dem anderen, beruhigte sie sich selbst. Vielleicht gab es auf dem Weingut ja einen freundlichen alten Verwalter, der sie unter seine Fittiche nahm und sie in die Geheimnisse des Berufs einweihte. ‘Dein Onkel hat mir erzählt, dass er dir das Gut vererben will’, würde er sagen, ‘du solltest die Familientradition fortführen … Lass mich dir am Anfang helfen.’

Isabel musste unwillkürlich lächeln, während sie sich diese Szene ausmalte. Die Flucht in Fantasiewelten war immer ihr Weg gewesen, mit den Widrigkeiten des Lebens umzugehen, zum großen Leidwesen ihrer Lehrer und Pflegeeltern, die ihr ständig vorhielten, eine Träumerin zu sein. Es war aber ihr Mittel, der unwirtlichen Realität zu entkommen.’

Als sie die Schule in Hard Knocks abschloss, hatte sie eine Lektion gründlich gelernt: Es ist lebenswichtig, den Notausgang zu kennen, wenn die Schwierigkeiten zu übermächtig werden. Ein anderer Überlebenstrick bestand darin, mit großem Selbstvertrauen und Selbstsicherheit aufzutreten, besonders wenn sie sich klein und schwach fühlte.

Gerade als sie dachte, es sei an der Zeit umzukehren und zurück in das kleine Dorf Villarmosa zu fahren und sich dort genauer zu erkundigen, entdeckte sie einen Mann in einem Weinberg. Haargenau die Sorte Mann, die sie für die Feldarbeit anheuern musste. Denn selbst wenn es einen freundlichen Menschen gäbe, der sie in der Anfangszeit unterstützte, bräuchte sie doch Arbeiter. Der Mann vor ihr war stark, groß, muskulös und offensichtlich an harte Arbeit gewöhnt. Als Einheimischer wusste er gewiss, wo ihr Weingut lag.

Sie war so erfreut, dass sie mit aller Kraft in die Bremse stieg und in einer Staubwolke zum Halten kam.

Isabel griff nach der Karte, stieg aus dem Auto aus und ging auf die Reihe im Weinberg zu, wo er unbeweglich stand und ihr entgegenstarrte, als hätte noch nie ein Fremder einen Fuß auf dieses Land gesetzt. Was es ihr leichter machte, ihn ebenfalls anzustarren. Sie blickte auf seine ausgeprägte Nase, die aussah, als wäre sie schon einige Male gebrochen gewesen. Sie blickte in seine Augen, die in dem sonnengebräunten Gesicht unglaublich blau strahlten.

Dann wanderte ihr Blick tiefer. Er trug kein Hemd, und seine Jeans saßen auf den Hüften. Sehr umsichtig bei diesem Klima. Und ausgesprochen sexy. Sie schluckte und versuchte, ihren Blick von seiner breiten Brust loszureißen. Vergeblich. Der Schweiß brach ihr auf der Stirn aus, und das Atmen fiel ihr schwer. Vielleicht war dies ihr Besitz. Womöglich arbeitete er schon für sie, und sie würde mit seiner Hilfe im Herbst Wein machen. Nein, so viel Glück auf einmal war äußerst unwahrscheinlich.

„Hallo!“, rief sie, als sie schließlich wieder gleichmäßig atmete. „Ciao, signore. Per favore, dove e la Villa Monte Verde?“ Immerhin ein vollständiger Satz. Vielleicht war die Grammatik nicht ganz perfekt, bestimmt verriet ihr Akzent, dass sie eine Touristin war, aber sie war stolz auf sich, weil sie es versucht hatte. Als sie gestern den Anwalt auf Italienisch angesprochen hatte, war der jedoch direkt ins Englische gewechselt.

Dieser Mann sprach bestimmt nur Italienisch, und so musste sie wohl oder übel ihre Sprachkenntnisse erproben. Sie fragte sich, ob alle Arbeiter so umwerfend aussahen. Egal! Sie hatte zugegriffen, als sich ihr die Chance bot, nach Sizilien zu gehen, weil sie einen Neuanfang wagen und Liebesbeziehungen vermeiden wollte, gleichgültig, wie attraktiv die Männer hier waren. In einer neuen Umgebung, mit einer steinernen Mauer um ihr Herz und einem ausgeklügelten Warnsystem war sie offen für neue Herausforderungen. Sie war durchaus bereit, auf ihrem Weg Fehler zu machen, solange es nicht dieselben Fehler waren, die sie in ihrer Vergangenheit begangen hatte.

Der Mann hob die Augenbrauen und schaute sie prüfend an. Sein Blick ließ ihr Herz schneller schlagen. Auf dem Flughafen hatte sie einen ersten Eindruck vom Chic der Italienerinnen bekommen, die allesamt so scheinbar mühelos elegant wirkten. Im Vergleich zu ihnen musste sie in ihrer verknitterten Bluse und dem schlichten Jeansrock, den sie auf die Schnelle aus dem Koffer gezogen hatte, richtig schäbig aussehen. Wenn er es denn überhaupt bemerkte.

Sein Blick fiel jetzt auf ihren Mietwagen, der auf der Straße geparkt war. Sie stand direkt vor einem alten Holzzaun, nahe genug, um den feindseligen Ausdruck zu erkennen, der auf einmal in diesen unglaublich blauen Augen lag. Sie hatte geglaubt, die Menschen seien freundlich hier. Offensichtlich ein Irrtum.

Er sagte kein Wort. Hatte er ihr Italienisch nicht verstanden? Oder wurde das Weingut hier anders genannt? „Die Azienda Agricola Spendora?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Sie sind sicher die Amerikanerin, die gestern angekommen ist“, antwortete er in einem nahezu perfekten Englisch. Seine tiefe Stimme, die die Spur eines verführerischen Akzents trug, war klangvoll und tief. Ein einfacher Arbeiter war er schon mal nicht.

Dass sie die Luft angehalten hatte, merkte Isabel erst, als sie langsam und beinahe hörbar ausatmete. „Wie haben Sie das nur erraten?“, sagte sie leichthin. „Ich vermute, mein Italienisch ist noch verbesserungswürdig.“

Er zuckte mit den Schultern, als sei es ihm tatsächlich völlig egal, ob sie nun ein Wesen aus einem fremden Universum war oder ein grammatikalisch fehlerfreies Italienisch sprach. „Was kann ich für Sie tun, Miss?“ Die Frage war höflich, sein Ton aber kühl, mit einem fast feindseligen Anklang.

Auch gut. Sie musste nicht mit jedem Arbeiter Freundschaft schließen, dem sie hier begegnete. Obwohl er fließend Englisch sprach, war er wahrscheinlich überarbeitet und unterbezahlt, dazu müde und durstig. Vielleicht konnte sie ihn abwerben, auch wenn er bereits irgendwo anders unterschrieben hatte. Einen guten Arbeiter, der zudem Englisch sprach, würde sie brauchen können.

„Mein Name ist Isabel Morrison, und ich suche mein Weingut, die Azienda Spendora.“ Sie konnte sich eines kleinen Anflugs von Stolz nicht erwehren, der sich in ihre Stimme eingeschlichen hatte. Mein Weingut klang einfach gut.

„Ich fahre Sie hin. Allein werden Sie es niemals finden“, sagte er. Bevor sie protestieren konnte, griff er nach einem Hemd, das an einem Ast gehangen hatte, und zog es über. Wie oft hatte man ihr eingebläut, nie, niemals zu einem Fremden ins Auto zu steigen? Und dieser Mann hier gehörte zu der Sorte von Fremden, die die Warnlampen bei ihr aufleuchten ließen. Sprachlich zu gewandt, viel zu selbstsicher und allzu beflissen, sie Gott weiß wohin zu chauffieren.

„Danke, wirklich freundlich, aber ich finde es schon selbst. Ich habe eine Straßenkarte“, sagte sie und hasste die leichte Nervosität, die ihrer Stimme anzuhören war.

„Haben Sie Angst vor mir?“, fragte er, und seine ganze Erscheinung – die Größe von über einem Meter achtzig, die breiten Schultern, die blauen Augen – schien sie herauszufordern: Gib deine Angst zu oder vergiss sie.

„Nein“, antwortete sie ein wenig zu schnell, während eine innere Stimme ihr zuflüsterte: nun, vielleicht ein bisschen.

„Ich bin Dario Montessori, und ich lebe hier ganz in der Nähe. Um genau zu sein, dies sind meine Weinberge.“ Er deutete mit dem Arm auf die Felder und Rebstöcke hinter sich. „Im Umkreis von einigen Meilen kenne ich hier jeden, und jeder kennt mich. Kommen Sie. Vielleicht kann ich Sie mit ein paar Nachbarn bekannt machen.“

„Jetzt?“

„Warum nicht? Nessun tempo gradisce il presente, wie wir in Italien sagen. Warten Sie hier. Ich hole mein Auto, und dann können wir los.“

Das war ein Befehl und Widerspruch nicht geduldet. Davon abgesehen wollte sie tatsächlich ihre neuen Nachbarn kennenlernen. Es wäre dumm, diese Gelegenheit nicht zu ergreifen. Schließlich war es ihr ein Anliegen, sich in das dörfliche Leben zu integrieren. Da konnte es nichts Besseres geben als eine kleine Rundtour mit einem Einheimischen. Also wartete sie einige Minuten, bis er um den Hügel herum in einem rot-schwarzen Kabrio mit Ledersitzen vorfuhr. Einhunderttausend Jahresgehalt waren für diesen Wagen schon nötig. Wer war dieser Mann wirklich? Warum machte er sich diese Umstände?

„Falls Sie vorhaben, mich zu kidnappen“, warnte sie ihn ganz tapfer, nachdem sie eingestiegen waren, „vergessen Sie es, denn ich habe keine reichen Verwandten, die Lösegeld zahlen könnten.“

Er warf einen Blick in ihre Richtung, der eindeutig besagte, dass das eben das Absurdeste war, was er je gehört hatte. „Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht, und ich glaube nicht, dass es hier in der Gegend in den letzten hundert Jahren eine Entführung gegeben hat. Entspannen Sie sich. Und was die Azienda angeht, kann ich Sie nur vorwarnen. Ich glaube, wenn Sie den Zustand sehen, in dem sie sich befindet, werden Sie an mich verkaufen wollen.“

„Merkwürdig“, sagte sie nachdenklich, „Sie sind schon die zweite Person, die ich treffe, die meinen Besitz kaufen will. Erst gestern …“

„Das war auch ich“, unterbrach er sie und bog in eine holprige, schmutzige Straße ein. „Ihr Anwalt hat in dieser Sache meine Familie vertreten.“

„Die Familie, die den größten Grundbesitz in der Region hat? Die Familie, die den preisgekrönten Marsala herstellt und in die ganze Welt exportiert?

Er nickte.

„Dann wissen Sie ja bereits, dass ich nicht verkaufe.“

„Sie haben das Haus noch nicht gesehen“, sagte er tonlos.

„Ich habe mir online ein Foto angesehen. Es sieht schön aus.“

„Ha“, schnaubte Dario und schüttelte angesichts ihrer Ignoranz den Kopf.

Er versuchte also auch, sie zu entmutigen. Auf dem Foto, das sie sich angeschaut hatte, sah das Haus klein aus. Es lag auf einem hügeligen Gelände, machte jedoch mit dem kleinen Olivenhain und den Weinreben einen lauschigen Eindruck.

„Das Foto wurde vor ein paar Jahren aufgenommen, als das Haus im Besitz meiner Familie war. Antonio hat es verkommen lassen.“

Isabel sträubte sich gegen die Kritik an ihrem Onkel, auch wenn er sie womöglich verdient gehabt hätte. Ihr als Mitglied der Familie stand es zu, ihn dafür zu tadeln, dass er den Verfall zugelassen hatte, aber diesem Mann räumte sie das Recht nicht ein. Zumindest nicht in ihrer Gegenwart. „Vielleicht hatte er seine Gründe“, schlug sie vor.

Der eisige Blick, mit dem er sie bedachte, sagte deutlicher als alle Worte, dass es keinen einzigen guten Grund gab.

„Kannten Sie ihn näher?“

„Er lebte zurückgezogen. Aber hier in der Gegend kennt jeder jeden.“

„Ich verstehe.“ Dabei verstand sie nichts. Was hatte ihren Onkel nur bewogen, nach Sizilien zu ziehen?

„Er hat einen Dreckstall hinterlassen.“

„Dann putze ich ihn eben“, beharrte sie. „Harte Arbeit macht mir nichts aus. Ich kann Wände anstreichen und Reparaturen selbst vornehmen. Habe ich früher schon gemacht.“ Als der Vermieter ihrer Wohnung in San Francisco sich einmal weigerte, notwendige Instandsetzungen durchführen zu lassen, hatte sie einiges eigenhändig repariert. Hier würde sie den zusätzlichen Anreiz haben, dass sie an ihrem Eigentum arbeitete.

Er hob die Augenbrauen. Offensichtlich war er von ihrer Bestimmtheit überrascht. Dabei hatte er gerade nur eine winzige Kostprobe bekommen. Jahrelang war sie, nachdem sie das Waisenhaus verlassen hatte, immer wieder für ihre Sturheit und Willensstärke gemaßregelt worden.

„Isabel ist ein sehr starrköpfiges Kind“, darüber waren sich die Sozialarbeiterinnen einig. Sie wurde von Familie zu Familie geschoben, eine Pflegestelle wechselte die nächste ab. Kein Wunder, dass niemand dieses rothaarige, starrsinnige Mädchen haben wollte. Kein Wunder, dass ihr jüngere, süßere und gehorsamere Kinder vorgezogen wurden. Keiner wollte ein Kind adoptieren, in dessen psychologischem Bericht die Worte ‘starr’ und ‘unbeweglich’ vorkamen.

Es war verletzend, übergangen zu werden, groß und schlaksig dazustehen, ein ums andere Mal die eingehenden Begutachtungen der adoptionswilligen Eltern auszuhalten und jedes Mal zurückgewiesen zu werden. Aber sie kam stets darüber hinweg. Selbst als sie schließlich wegen ihres Alters als ‘nicht mehr vermittelbar’ eingestuft wurde, machte sie das nur noch entschlossener, schnell erwachsen zu werden und auf eigenen Füßen zu stehen. Das war ihre Chance. Sie würde es ihnen zeigen.

„Kennen Sie sich mit dem Weinanbau aus?“

„Ein bisschen was weiß ich, aber ich muss noch einiges lernen“, gab sie zu.

„Wissen Sie, wie man eine Pumpe in Gang bringt, wie man Felder bewässert oder die Pflanzen vor Frost schützt? Wissen Sie eigentlich, wie schwer es ist, vulkanischen Boden zu bestellen? Haben Sie den Atem und das Geld, vielleicht Jahre auf die erste Weinernte zu warten?“ Sie hatte das Gefühl, dass er diese Befragung fast zu genießen schien. Der Ausdruck in seinen Augen und die erhobene Stimme verrieten ihn.

Was ihr aber wirklich auf die Nerven ging, war seine Art zu unterstellen, alles hier ginge weit über ihren Horizont und sie sei absolut nicht befähigt, auch nur den Versuch zu unternehmen, in sein Handwerk einzusteigen.

„Oder sind Sie nur in die Idee verliebt, Wein anzubauen“, fuhr Dario fort, „und abzufüllen?“

Als der Wagen durch ein Schlagloch holperte, wurde sie fast von ihrem Sitz katapultiert. „Jahre? Ich kann keine Jahre warten. Ich muss Wein anbauen und meinen Lebensunterhalt damit verdienen. Und ganz bestimmt ist es möglich. Ich werde mir Unterstützung holen. Aber wenn es so mühsam ist, Wein auf dem Gut anzubauen, warum wollen Sie es dann kaufen?“

„Es ist schwer, selbst für uns. Aber wir verfügen über die nötige Erfahrung. Und historisch gesehen ist es unser Land. War es Jahrhunderte lang. So wie Jahrhunderte lang sizilianischer Wein ausschließlich ins Ausland verkauft und mit anderen Weinsorten gemischt wurde. Doch inzwischen bekommen wir von den Weltmärkten die Beachtung, die wir verdienen. Zahlreiche Generationen der Montessoris haben auf diesem Land Wein angebaut, bevor wir vor einigen Jahren gezwungen waren, an Ihren Onkel zu verkaufen.“

„Gezwungen?“

„Das ist eine lange Geschichte, die Sie nichts angeht. Wir hatten einen Einbruch der Verkaufszahlen und anschließend finanzielle Schwierigkeiten, die uns genötigt haben, Land zu verkaufen. Das Familienunternehmen hat sich erholt, und jetzt wollen wir das Land zurück. Es gehört zu uns. Welchen Unterschied macht es für Sie? Sie haben das Gut noch nie gesehen, Sie haben nie dort gelebt oder das Land bestellt. Sie haben dort keine Picknicks veranstaltet, nie die Trauben direkt vom Weinstock gegessen und sind nie im Teich geschwommen. Für Sie bedeutet es nichts.“

Ein Teich? Sie besaß einen Teich? Sie würde Fische darin aussetzen, im kühlen Wasser schwimmen und die Vögel beobachten, die morgens am Ufer tranken. Jetzt war sie sich sicher, dass sie niemals aufgeben würde. Isabel setzte sich ganz aufrecht in den ledernen Schalensitz. „Sie täuschen sich. Es bedeutet eine Menge für mich. Es ist meine Chance, etwas Neues zu beginnen. Ich werde mein Geld mit dem Land verdienen, das mein Onkel mir hinterlassen hat.“

„Ihr Onkel hat keine einzige Weintraube dort angebaut.“

„Was nicht heißt, dass ich es nicht kann. Ich habe das Anwesen noch nicht gesehen, aber es gehört mir, und ich habe fest vor, auf der Azienda Spendora zu leben und meine Zelte dort aufzuschlagen. Es ist mein Recht, mich dort niederzulassen und einen Neuanfang zu machen. Jeder verdient diese Chance.“

Er schüttelte den Kopf, so als wäre sie so dumm wie naiv. Sie hatte schon Schlimmeres über sich gehört. „Ich habe keine Ahnung, was Sie vorher gearbeitet haben“, sagte er. „Aber wenn Sie einen Neuanfang machen wollen, warum kaufen Sie dann nicht ein Hotel, gründen eine Zeitung oder eröffnen ein Café? Das alles wäre für einen Neuling besser als ausgerechnet der Weinanbau. Wein braucht Zeit und Geduld und ein Händchen für den Boden.“

„Ich weiß Ihren Rat zu schätzen“, antwortete sie und besann sich dabei ihrer guten Erziehung. Sein offener Zynismus war unverschämt. „Sie können mir glauben, wenn ich sage, dass ich bereit bin, alle Mühen auf mich zu nehmen, um zum Erfolg zu gelangen.“

Als ob sie gar nichts gesagt hätte, fuhr er fort, mit einer Dampfwalze über ihre Zukunftspläne zu rollen. „Wollen Sie noch einen guten Rat?“

Noch ehe sie höflich ablehnen konnte, redete er schon weiter. „Suchen Sie sich einen Job. Es ist leichter, sich seinen Lebensunterhalt auf diese Weise zu verdienen als mit dem Weinanbau. Lassen Sie sich irgendwo anders nieder. Wissen Sie, ich könnte Sie jetzt zu irgendeinem Anwesen fahren, und Sie würden den Unterschied nicht merken.“

Der Schrecken fuhr ihr in die Glieder. „Machen Sie das gerade?“

Er wandte sich zu ihr um, als ob sie ihn gerade des kaltblütigen Mordes bezichtigt hätte. Wortlos deutete er am Straßenrand auf ein verwittertes Holzschild und las laut vor: „Azienda Spendora“.

Vor Erleichterung seufzte sie laut auf. Sie war nicht das Opfer einer Entführung. Er machte keinen Narren aus ihr, indem er sie zu einem anderen Weingut fuhr. Sie war angekommen. Das hier gehörte alles ihr. Ein Traum wurde gerade wahr. Oder ein Albtraum. In dem Augenblick, als sie vor dem Haus hielten, wusste sie, was er meinte.

Einzelne Dachziegel fehlten, und durch den fleckigen Zement der Hauswand zogen sich Risse. Sie stieg aus dem Auto aus und unterdrückte eine Welle der Enttäuschung. Gleichgültig, was sie empfand, sie wollte nicht, dass er ihre Frustration über den kläglichen Zustand des Hauses sah. Er würde es nur als Zeichen der Schwäche interpretieren und aufs Neue alles daran setzen, sie zum Verkauf zu überreden.

„Sie brauchen nicht zu warten“, sagte sie stattdessen. „Ich schaue mich nur ein bisschen um und finde später schon eine Mitfahrgelegenheit für die Rückfahrt.“

„Eine Mitfahrgelegenheit?“, fragte er ungläubig. „Das ist eine Privatstraße. Seit Monaten ist hier niemand entlanggefahren, nicht seit dem Tod Ihres Onkels.“

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