Ein Scheich zum Verlieben

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Rahman Harun ist nicht der einfachste Patient, den Amanda jemals hatte - aber der faszinierendste! Trotz seiner abweisenden Art kümmert sie sich nach einem Unfall aufopfernd um ihn. Und die gemeinsamen Stunden in seinem eleganten Chalet am Lake Tahoe verändern ihr Leben …


  • Erscheinungstag 12.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735746
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Scheich Rahman Harun war ein ausgezeichneter Skiläufer und mit Begeisterung und einer gehörigen Portion Draufgängertum bei der Sache, wie bei allem, was er tat. Der heutige Tag in Squaw Valley war besonders schön gewesen, und er wollte ihn mit einer letzten Abfahrt beenden. Er wurde langsam müde, und mit zunehmender Kälte vereiste der aufgeweichte Schnee und verschlechterte die Piste. Aber das war ihm egal, solange er noch einmal hinunterfahren konnte und ihm dabei der Wind um die Ohren pfiff!

Natürlich, mit Lisa wäre es noch viel aufregender gewesen. Seine schöne, faszinierende Freundin hätte ihm keine Ruhe gelassen, noch schneller, noch wagemutiger zu sein. Rahman könnte einfach nicht glauben, dass sie nie wieder zusammen Ski laufen würden. Jedes Mal, wenn eine graziöse Frauengestalt in einer roten Jacke an ihm vorbeifuhr, glaubte er für eine Sekunde, es sei Lisa. Aber sie war es nicht, konnte es nicht sein. Denn Lisa war tot.

Tränen brannten in seinen Augen. Nie wieder würde sie versuchen, ihn zum Slalomlaufen, zum Drachenfliegen oder sonst einem verrückten Abenteuer zu überreden. Sie hatte ihr Schicksal einmal zu oft herausgefordert und mit ihrem Leben dafür bezahlt. Die strahlenden, sorglosen Tage waren für immer vorbei. Nicht nur für sie, sondern auch für ihn.

Wenn wenigstens Rafik jetzt bei ihm wäre! Als Kinder waren sie unzertrennlich gewesen, hatten in allen erdenklichen Sportarten miteinander rivalisiert. Aber mittlerweile war sein Zwillingsbruder verheiratet und hatte wenig Zeit für ihn. Obwohl Rahman seine Schwägerin wirklich gern mochte, fehlte ihm Rafiks Gesellschaft sehr.

Es wurde höchste Zeit, sich ans Alleinsein zu gewöhnen. Nichts war von Dauer, und die Einsamkeit konnte jederzeit mit voller Wucht von ihm Besitz ergreifen. Für morgen hatte sich ein ganzer Schwarm Freunde angesagt. Ob sie ihm über seine trübe Stimmung hinweghelfen würden?

Die Sonne verschwand am Horizont, und in der Dämmerung wurde es schwierig, die Piste zu erkennen. Seine Bretter glitten über eine vereiste Stelle, und er geriet ins Schleudern. Dann, plötzlich, schien mit großer Geschwindigkeit der Boden auf ihn zuzurasen. Rahman überschlug sich und stürzte den Abhang hinunter … immer weiter und weiter. Mit seinem Kopf prallte er auf den hart gefrorenen Schnee, und als er schließlich wie betäubt und mit dem Gesicht nach unten in einer Schneewehe liegen blieb, befand er sich nur wenige Meter von einem Baum entfernt.

Alles tat ihm weh. Zuerst hatte er das Gefühl, keinen heilen Knochen mehr im Leibe zu haben. Wahrscheinlich war es aber nicht gar so schlimm. Die Bindungen seiner Skier hatten sich Gott sei Dank gelöst; dagegen hingen die Stöcke noch an seinen Handgelenken. Er würde ein paar Minuten warten, bis der Schmerz etwas nachgelassen hatte und sein Atem wieder ruhiger ging. Dann würde er aufstehen und sich langsam auf die Heimfahrt machen. Für heute hatte er genug vom Skilaufen.

Als er jedoch nach einer Weile versuchte, sich aufzurichten, durchfuhr ihn der Schmerz so scharf, als hätte man ihm einen Dolch in die Brust gestoßen. Da wusste er, dass er allein nicht weiterkommen würde. Er versuchte, um Hilfe zu rufen. Aber alles, was er hervorbrachte, war ein Stöhnen.

1. KAPITEL

Mit dem verschneiten Dach und der rustikalen Inneneinrichtung glich die North Star Home Health Agency in Pine Grove, Kalifornien, eher einer Skihütte als einer Stellenvermittlung für Pflegepersonal. Die Agentur machte einen ebenso freundlichen und einladenden Eindruck wie die Besitzerin Rosie Dixon, die jetzt ihrer Freundin Amanda mit einem strahlenden Lächeln gegenübersaß.

„Ich habe einen Super Job für dich“, verkündete sie.

„Was, schon? Ich habe doch noch nicht mal ausgepackt.“

„Tja, wir sind eben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, erwiderte Rosie. „Deshalb bist du doch auch hier, oder?“

Warum war sie hier? Warum hatte sie ihre hervorragende Stelle in Chicago gekündigt, um ins ferne Kalifornien zu kommen? Dafür gab es einen Grund, aber der war so beschämend, dass Amanda ihn nicht einmal ihrer Freundin anvertrauen konnte.

„Ich bin bloß froh, dass du endlich Vernunft angenommen hast“, fuhr Rosie munter fort. „Seit Jahren sage ich dir, dass wir hier das reinste Paradies haben.“

Amanda blickte aus dem Fenster auf die Menschen, die draußen vorbeigingen, und auf die Berge im Hintergrund. Ob es ein Paradies war oder nicht, spielte keine Rolle. Sie war weder am Skilaufen noch am Bergsteigen interessiert. Worauf es ihr ankam, war einzig und allein der Tapetenwechsel.

„Was für ein Job ist es denn?“, fragte Amanda und zog ihren Mantel aus.

„Genau das Richtige für dich. Ein Skiunfall. Perforierte Lunge, gebrochener Knöchel, Gehirnerschütterung und noch ein paar Problemchen. Der Patient will auf keinen Fall im Krankenhaus bleiben. Er will nach Hause, das heißt, nach San Francisco. Das geht natürlich nicht. Als Alternative käme das Ferienhaus seiner Familie infrage. Der Arzt ist dagegen. Aber ich habe vorgeschlagen, wenn er sein Einverständnis gibt, dann besorge ich für den Patienten eine erstklassige private Krankenschwester mit viel Erfahrung. Eine, die jahrelang auf der Intensivstation gearbeitet hat und sich mit Unfällen auskennt. Mit anderen Worten …“, Rosie zeigte mit einer dramatischen Geste auf Amanda, „… meine beste Freundin und Zimmergenossin aus der Studentenzeit, Amanda Reston!“

Bewundernd sah diese ihre Freundin an. Seit den gemeinsamen Studientagen hatte Rosie sich nicht verändert, obwohl sie inzwischen verheiratet und Mutter eines entzückenden Zwillingspärchens war. Sie war noch genauso überschwänglich wie damals. Amanda wünschte, dass sie selbst wieder etwas von dieser Begeisterung und Lebensfreude spüren würde. Beides hatte sie in Chicago eingebüßt, dafür hatte Dr. Ben Sandler gesorgt, ihr Chef auf der Intensivstation am St. Vincent’s Memorial Krankenhaus.

Entschlossen schob sie die Gedanken beiseite und wandte sich wieder der Gegenwart zu. „Dem Patienten scheint es ja noch ziemlich schlecht zu gehen, wenn der Arzt ihn nicht entlassen will.“

„Das kann man wohl sagen. Er hat eine Drainage in der Brust und kann sich so gut wie gar nicht bewegen“, sagte Rosie.

„Kein Wunder, dass er nicht raus darf“, erwiderte Amanda. „Wann war denn der Unfall?“

„Vor einer Woche. Seitdem geht es in unserem kleinen Krankenhaus wie in einem Taubenschlag zu. Aus der ganzen Welt kommen Freunde und Verwandte angeflogen, kümmern sich nicht um Besuchszeiten und bestellen Pizza für die ganze Etage. Partys, Musik und Fernseher laufen auf Hochtouren. Du kannst dir denken, dass wir an so was hier nicht gewöhnt sind. Na ja, wenn der Patient auch ein steinreicher Scheich ist…“

„Ein Scheich! Mit Harem und Kamelen und Zelten in der Wüste?“

„Ein Scheich mit enorm viel Geld, der die besten Schulen besucht hat und traumhaft aussieht. Das behaupten wenigstens die Schwestern. Ich kann es nicht beurteilen, bisher kenne ich ihn nur vom Telefon.“ Rosie seufzte.

„Und?“

„Tja, der Mann weiß, was er will, und er ist daran gewöhnt, es auch zu bekommen. Aber er kann von Glück sagen, wenn er in seinem Zustand vom Krankenhaus in das Ferienhaus umziehen darf.

Das Feriendomizil ist übrigens eine Villa unten am See. Mit einer Haushälterin und einem Apartment für das Pflegepersonal.“ Amanda war nicht gerade begeistert. Der Scheich schien problematisch zu sein, und Probleme brauchte sie im Augenblick wirklich nicht. Die hatte sie in Chicago zur Genüge gehabt.

„Und wenn ich den Posten nicht will?“, fragte sie.

„Dann kannst du morgen in unserem Krankenhaus auf der Intensivstation anfangen. Die nehmen dich mit Kusshand. An deiner Stelle würde ich mir aber den Patienten erst mal ansehen und bei der Gelegenheit auch gleich unser Krankenhaus. Danach kannst du dich dann entscheiden. Und heute Abend kommst du zu uns, vergiss das nicht. Es gibt Fondue.“

Amanda stand auf. „Ach Rosie, ich will dir doch nicht noch mehr zur Last fallen. Du hast schon so viel für mich getan.“

Rosie umarmte sie. „Rede doch keinen Unsinn. Ich bin so froh, dass du endlich gekommen bist. Du warst doch schon immer meine beste Freundin. Alles konnte ich dir sagen …“ Sie bekam feuchte Augen. „Jetzt fange ich gleich an zu heulen.“

„Ich auch“, gestand Amanda, und ihre Stimme zitterte verdächtig. Rosie war wirklich ihre beste Freundin. Trotzdem, was in Chicago passiert war, konnte sie selbst ihr nicht anvertrauen.

„Also dann bis später. Um sechs Uhr bei uns“, erwiderte Rosie, jetzt wieder mit fester Stimme. „Wir freuen uns schon. Und mach dir keine Sorgen … wenn du den Scheich nicht magst, dann muss er sich halt jemand anderen suchen.“

Als Amanda am Krankenhaus ankam, entdeckte sie, wie klein es war im Vergleich zu St. Vincent’s. Ob es ihr gelingen würde, hier zu arbeiten? Dazu kam noch die Umstellung von der Großstadt Chicago auf ein Städtchen wie Pine Grove. Hoffentlich hatte sie sich in ihrem Wunsch nach Veränderung nicht zu viel zugemutet.

An der Rezeption stellte sie sich vor und erkundigte sich bei Carrie, der Schwester vom Dienst, nach der Zimmernummer des Scheichs. Kurz danach stand sie vor dem Krankenzimmer. Sie öffnete die Tür, trat ein und blieb stehen.

Der Raum lag im Dämmerlicht. Es herrschte absolute Stille, von Besuchern oder lauter Musik war keine Spur. Durch die herabgelassenen Jalousien drangen noch einige späte Sonnenstrahlen. Eine kleine Nachttischlampe verbreitete zusätzlich sanftes Licht. Amandas Blick fiel auf den Mann, der regungslos im Bett saß. Als Erstes bemerkte sie seinen melancholischen Gesichtsausdruck. Natürlich hatte sie nicht erwartet, den Kranken in heiterster Stimmung vorzufinden. Aber nach allem, was sie von ihm gehört hatte, war sie auf diese Tragik in den samtbraunen Augen nicht vorbereitet. Da war keine Spur von dem reichen, anmaßenden Playboy, den sie sich vorgestellt hatte. Ein Fuß war stark bandagiert und hochgelagert; ein weißer Verband um seine Stirn kontrastierte scharf mit dem schwarzen Haar.

Langsam wandte er sich um und sah sie prüfend an. Auf diesen Blick war Amanda nicht vorbereitet. Unwillkürlich ballte sie die Hände. Welche Gedanken verbargen sich wohl hinter der verbundenen Stirn? Sie wollte etwas sagen, sich vorstellen, fragen, wie es ihm ginge. Aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Was war mit ihr los? Er war doch nur ein Patient wie jeder andere. Nein, das stimmte nicht. Sie war noch nie jemandem wie ihm begegnet. Schließlich brach er das Schweigen.

„Wer sind Sie?“ Seine Stimme war tief und melodisch, klang aber etwas brüchig. Unwillkürlich regte sich ihr Mitgefühl für ihn in seinem hilflosen Zustand. Bevor sie noch antworten konnte, fuhr er jedoch in festerem Ton fort: „Können Sie nicht näher kommen und die Jalousien hochziehen? Ich kann Sie ja kaum sehen.“ Zweifellos war er ans Kommandieren gewöhnt. Da kam er bei ihr an die falsche Adresse. Sie fand ihre Stimme wieder.

„Ich bin Schwester Amanda Reston.“

Er verbeugte sich leicht im Sitzen. „Rahman Harun. Leider bin ich im Moment nicht in der Lage, Ihre Bekanntschaft in formvollendeter Weise zu machen.“ Sein Blick glitt über ihre Figur und ihre langen Beine, die in den eng anliegenden Stretchhosen gut zur Geltung kamen.

Amanda wurde rot. Sie kam sich vor wie ein Teenager.

Sein Blick wich nicht von ihr ab. „Krankenschwestern stelle ich mir eigentlich anders vor. Nicht so jung und so hübsch. Und nicht so schick angezogen.“

Natürlich, jetzt musste er seinen Charme an ihr ausprobieren! Als Nächstes würde er sie bitten, Pizza für ihn zu bestellen. Nicht mit ihr! Sie war eine hoch qualifizierte Krankenschwester und kein Dienstmädchen. Wenn sie ihn gesund pflegen sollte, musste er sich nach ihren Anweisungen richten und nicht umgekehrt.

„Ich bin im Moment nicht im Dienst“, erwiderte sie steif.

„Was verschafft mir dann die Ehre Ihres Besuchs, Schwester? Wollten Sie einmal sehen, wie ein Scheich aussieht? Und wie schlecht es auch ihm gehen kann?“ Er lachte freudlos und verschluckte sich dabei. Automatisch reichte sie ihm ein Glas Wasser. Er nahm es entgegen und umschloss dabei ihre Hand. Die Berührung durchfuhr sie wie ein elektrischer Schlag. Beinahe hätte sie das Glas fallen lassen.

„Jetzt weiß ich, wer Sie sind“, fuhr Rahman fort und stellte das Wasser wieder auf den Nachttisch. „Sie sind die Superschwester, die man mir versprochen hat. Mit der jahrelangen Erfahrung und so. Ich war allerdings auf jemand Älteren gefasst. Mit grauen Haaren und dicken Beinen, “ Wieder glitt sein Blick über ihre schlanke Figur. „Anscheinend habe ich diesmal Glück gehabt. Gut. Dann können wir ja jetzt gehen, Schwester.“ Er machte Anstalten, aufzustehen.

Amanda fühlte sich überrumpelt. „Halt, nicht so schnell. Sie sind ja noch nicht entlassen, und ich bin mir auch noch gar nicht sicher, ob ich Sie überhaupt als Patienten übernehmen will.“

Empört sah er sie an. „Und warum nicht? Für Sie ist es doch nur ein Job, Schwester. Und ich bin ja auch nicht wählerisch. Ich will nur hier raus. Dafür brauche ich eine Privatschwester. Ohne die muss ich bleiben. Und das kann ich einfach nicht.“ Voller Widerwillen sah er sich in dem Raum um. „Ich komme mir vor wie im Gefängnis.“

Um ihn abzulenken, fragte sie: „Wie ist es denn passiert?“

„Der Unfall? Das Übliche. Ich konnte nicht aufhören, obwohl ich eigentlich schon zu müde war. Da verlor ich die Kontrolle und stürzte. Laufen Sie Ski?“

Amanda schüttelte den Kopf.

„Schade. Es ist ein großartiger Sport. Ich kann mir nichts Schöneres denken als eine Schussfahrt. Die Geschwindigkeit, der Wind.“ Er lächelte, und einen Moment sah Amanda den Mann vor sich, der er vor dem Unfall gewesen sein musste. Wieder regte sich ihr Mitgefühl.

„Glauben Sie an Unfälle?“, fragte er sie.

„Natürlich.“

„Ich nicht. Ich glaube, dass man genau das bekommt, was man verdient. Es war meine Schuld. Genau wie …“ Er stockte. Seine Augen glitzerten. Dann wiederholte er: „Es war meine eigene Schuld. Ich war unachtsam und leichtsinnig und bekam, was ich verdiente. Und jetzt zahle ich für meinen so genannten Unfall.“ Erschöpft lehnte er sich zurück und schloss die Augen.

Besorgt zog Amanda sich einen Stuhl heran, setzte sich und griff dann nach seinem Handgelenk. Der Puls ging schnell, aber regelmäßig. Als sie ihre Hand zurückziehen wollte, hielt Rahman sie fest.

„Ihre Hand ist kalt“, murmelte er. „In meiner Heimat sagt man ‚Kalte Hände, heißes Blut.‘ Stimmt das, Amanda?“

Hatte sie sich verhört, oder hatte er das wirklich gesagt? Sie war nur froh, dass er anscheinend keine Antwort von ihr erwartete und dass niemand ihren Puls fühlte. Der ging jetzt auch viel zu schnell. Es musste an der Höhe liegen, obwohl sie in den Bergen bisher keine Probleme gehabt hatte.

Rahman rührte sich nicht, er schien eingeschlafen zu sein. Noch immer hielt er ihre Hand, und Amanda machte keine Anstalten, sie ihm zu entziehen. Sie war sich nicht sicher, ob sie Angst hatte, ihn aufzuwecken, oder ob sie einfach das Gefühl von Wärme und Energie, das von ihm ausging, nicht verlieren wollte.

Eins war sicher: Er erweckte Gefühle in ihr, die mit denen einer Krankenschwester für ihren Patienten nichts zu tun hatten. Und das konnte sie sich nicht leisten, nach dem Fiasko mit Dr. Sandler in Chicago. Der Scheich war kein Patient für sie. Da käme sie nur vom Regen in die Traufe.

Vorsichtig zog sie ihre Hand zurück, stand auf und schlich betont langsam zur Tür. Als sie auf den Flur trat, blieb sie wie angewurzelt stehen. Vor ihr stand der Scheich – oder vielmehr ein hoch gewachsener Mann, der ihm zum Verwechseln ähnlich sah. Hatte sie bereits den Verstand verloren?

„Schwester Reston? Ich bin Rahmans Zwillingsbruder Rafik. Könnte ich Sie einen Augenblick sprechen?“

„Gern“, antwortete Amanda mechanisch und folgte ihm zu einer Sitzecke auf dem Gang. Sie konnte sich denken, was er von ihr wollte, und legte sich bereits ihre Antwort zurecht. So Leid es mir auch tut, ich kann mich nicht um Ihren Bruder kümmern. Ich bin nicht die richtige Krankenschwester für ihn. Das liegt an mir, nicht an ihm. Aber ich kann es einfach nicht. Es geht über meine Kräfte.

2. KAPITEL

„Und? Wie war’s?“, fragte Rosie, als ihre Freundin in die Küche kam, in der es angenehm nach Käse und Kirschwasser duftete.

„Er ist ein schwieriger Fall“, antwortete Amanda und hängte ihren Mantel an einen Kleiderhaken.

Rosie nickte und reichte ihr ein Glas Weißwein.

„Schwieriger, als dir lieb ist?“

„Ich weiß nicht.“ Wie konnte sie es Rosie verständlich machen? Nach so vielen Jahren war sie zum ersten Mal einem Patienten begegnet, der Gefühle in ihr weckte, die mit Krankenpflege nichts zu tun hatten. Diesen Schock hatte sie noch nicht überwunden.

Die Tür ging auf, und Rosies Mann Jake kam hereingestürmt. „Amanda! Willkommen in Kalifornien! Deiner neue Heimat, hoffe ich“, rief er ihr fröhlich zu. Amanda war ihm bisher nur ein Mal begegnet: bei seiner und Rosies Hochzeit in Chicago. Und jetzt begrüßte er sie, als gehöre sie zur Familie. Dann umarmte er Rosie und küsste sie stürmisch, wie nach einer wochenlangen Trennung. Dass die beiden glücklich miteinander waren, war für jeden sichtbar.

Trotz eines kleinen Anflugs von Neid freute sich Amanda aufrichtig für ihre Freundin. Sie wusste, dass auch Rosie Kummer und Enttäuschungen in ihrem Leben gekannt hatte. Rahmans Worte kamen ihr in den Sinn. Jeder bekommt, was er verdient. Sollte das heißen, dass sie, Amanda, ihr Schicksal verdient hatte? Sie hoffte es nicht. Aber wie dem auch sei, sie hatte aus ihrem Fehler gelernt. Nie wieder würde sie einem Mann vertrauen.

Die Tür öffnete sich zum zweiten Mal, und herein kamen die Zwillinge Sara und Nora. Für Amanda war es Liebe auf den ersten Blick. Sie beugte sich zu den dreijährigen Mädchen hinab und nahm sie in die Arme. Die beiden waren entzückend und glichen sich wie ein Ei dem anderen. Willig folgte Amanda ihnen ins Kinderzimmer, um mit Puppen zu spielen, den Hamster zu bewundern und tausend Fragen zu beantworten.

Am liebsten hätte sie den ganzen Abend mit Sara und Nora verbracht. Sie lauschte ihrem Geplapper und spürte, wie sie sich nach und nach entspannte und die Strapazen des Tages vergaß.

Sie hatte sich bisher nie danach gesehnt, selbst Kinder zu haben. Aber jetzt, als sie die zarten Wangen der Kleinen streichelte und den süßen Duft ihrer seidigen Löckchen einatmete, wünschte sie von ganzem Herzen, sie wäre an Rosies Stelle.

Leider sah die Wirklichkeit anders aus. Sie hatte einen aufreibenden Tag hinter sich mit vielen neuen Eindrücken, die sie noch nicht verkraftet hatte. Dazu kam die Bekanntschaft der Brüder Harun, von denen der eine schwierig und anspruchsvoll war und der andere liebenswürdig und überzeugend. Rafik sah genauso gut aus wie sein Bruder, aber in seiner Gegenwart spürte Amanda nichts von der elektrisierenden Spannung, die entstand, wenn sie mit Rahman zusammen war.

Als es für die beiden Mädchen an der Zeit war, schlafen zu gehen, erhielt Amanda von beiden einen Gutenachtkuss, worauf sie widerstrebend zu Rosie und Jake in die Küche zurückging.

„Die beiden sind ganz vernarrt in dich“, sagte Rosie beim Abendessen.

„Das beruht auf Gegenseitigkeit“, antwortete Amanda. „Ich finde, sie sind einfach süß.“

„Wir sind auch sehr stolz auf sie“, erwiderte die Freundin. „Aber jetzt erzähle, wie es mit dem Scheich ging.“

„Also, ich habe ihn besucht und mit ihm gesprochen. Und entschieden, den Fall nicht zu übernehmen.“

„Warum nicht?“

„Er ist genauso, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Ungeduldig, arrogant und anspruchsvoll. Einfach nicht der richtige Patient für mich.“

„Na ja, in seinem Zustand zeigt man sich nicht gerade von der besten Seite“, meinte Rosie.

„Das ist mir klar. Er hat große Schmerzen und ist mutlos. Außerdem ist er daran gewöhnt, dass immer alles nach seinem Kopf geht. Und jetzt kann er sich kaum bewegen und muss wegen jeder Kleinigkeit klingeln. Ich kann mir gut vorstellen, wie ihm zu Mute ist.“ Unwillkürlich dachte sie wieder an den tragischen Ausdruck in seinen Augen und erinnerte sich an den Druck seiner Hand.

Rosie lächelte.

„Aber…“, fuhr Amanda mit fester Stimme fort, als wolle sie sich selbst überzeugen, ‚,… ich habe das Gefühl, dass er gesund auch nicht viel anders ist. Obwohl…“ Sie stockte.

Rosie sah sie wissend an. „Er hat es dir angetan, stimmt’s? Das überrascht mich eigentlich. Ich dachte immer, du lässt dich durch niemand aus der Ruhe bringen. Aber dem Scheich scheint es gelungen zu sein.“

„Wahrscheinlich habe ich Mitleid mit ihm.“ Wahrscheinlich habe ich mehr für ihn übrig, als mir recht ist.

Sie verstand sich selbst nicht mehr. Rahman war nicht ihr erster gut aussehender männlicher Patient. Warum fühlte sie sich so stark zu ihm hingezogen? Rosies Stimme holte sie aus ihren Gedanken auf.

„Entschuldige, ich habe nicht zugehört.“

„Ich sagte, demnach wirst du den Job also nicht übernehmen“, wiederholte Rosie.

„Doch.“

Autor

Carol Grace
Carol Grace wurde mit Fernweh im Blut geboren. Sie wuchs in Illinois auf, sehnte sich aber sehr bald danach, die weite Welt zu erkunden. Während des Studiums erfüllte sie sich diesen Traum erstmals mit einem Auslandssemester an der Sorbonne in Paris. Ihren Abschluss machte sie an der Universität von Los...
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