Arabian Nights (6-teilige Serie)

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Lassen Sie sich von Bestsellerautorin Penny Jordan in eine geheimnisvolle Welt unterm endlos weiten Sternenhimmel entführen. Hier in der Wüste wirkt die Magie der Liebe besonders stark: Sehnende Herzen finden einander und schlagen fortan im Einklang. Ob im glühenden Sandsturm oder während heißer Nächte im geschützten Scheichspalast - die Leidenschaft brennt unaufhaltsam ... Sechs Romane warten darauf, von Ihnen verschlungen zu werden!

Folgende Romane von Penny Jordan sind in diesem E-Book-Paket enthalten:

  • Das Geheimnis des Scheichs
  • Sonnenglut der Leidenschaft
  • Der Kuss des Scheichs
  • Die Braut des Scheichs
  • Nacht der Versuchung
  • Verbotene Träume im Wüstenpalast

  • Erscheinungstag 24.02.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513883
  • Seitenanzahl 960
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Penny Jordan

Arabian Nights (6-teilige Serie)

IMPRESSUM

Das Geheimnis des Scheichs erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© by Penny Jordan
Originaltitel: „Possessed by the Sheikh“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA, Band 1696

Umschlagsmotive: Katiekk, Sergii Baibak, azat1976 / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2021

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751513302

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Katrina stand gerade mitten im Souk, als sie ihn erblickte. Sie wollte mit dem Standbesitzer über eine Stoffbahn bestickter Seide verhandeln, als irgendetwas sie dazu veranlasste, den Kopf zu wenden. Er stand auf der anderen Seite der engen Gasse und trug die traditionelle weiße Dishadasha. Das Sonnenlicht betonte seine honigfarbene Haut und spiegelte sich in dem scharf geschwungenen Dolch, den er im Gürtel trug.

Als er merkte, dass ihm ihre Aufmerksamkeit entglitt, folgte der Ladenbesitzer ihrem faszinierten Blick.

„Er ist vom Stamm der Ayghar Tuareg“, sagte er.

Katrina antwortete nicht. Sie wusste von den Recherchen, mit denen sie begonnen hatte, bevor sie nach Zuran gekommen war, dass die Ayghar Tuareg ein stolzer Kriegerstamm gewesen waren, der in früheren Jahrhunderten die Handelskarawanen durch die Wüste begleitet hatte. Noch immer lebten sie traditionell als Nomaden.

Anders als andere Männer, die das traditionelle Gewand trugen, war er glatt rasiert. Seine Augen waren bernsteinfarben, darin tanzten kleine Goldflecken. Er hatte ungewöhnlich dichte Wimpern.

Seine Gestalt erinnerte Katrina an ein gefährliches Raubtier. Diesen Mann konnte niemand zähmen oder in den Käfig der Zivilisation sperren. Er gehörte der Wüste, er lebte nach seinem eigenen Ehrenkodex. Seine Züge strahlten eine gewisse Arroganz aus. Einerseits stieß er sie ab, andererseits musste sie ihn immer wieder anschauen.

Außerdem hatte er einen ungeheuer sinnlichen Mund!

Ein kleiner Schauer lief ihr den Rücken herab, und sie war ziemlich überrascht über die Wendung, die ihre Gedanken genommen hatten.

Schließlich war sie nicht in das Königreich Zuran gekommen, um über Männer mit sinnlichen Lippen nachzudenken. Sie war hier als Mitglied eines Teams von engagierten Gastwissenschaftlern, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Flora und Fauna der Gegend zu schützen. Doch sosehr sie auch versuchte, sich in Gedanken zur Ordnung zu rufen, so wenig konnte sie es verhindern, dass sie ihn ansehen musste.

Er hingegen schien sie gar nicht zu beachten. Angelegentlich betrachtete er das Kommen und Gehen in dem geschäftigen Basar. Tatsächlich sieht es wie eine Szene aus Tausendundeiner Nacht aus, dachte Katrina. Sie wusste, dass ihr Boss Richard Wagner sich über sie lustig gemacht hätte, wenn sie das in seiner Gegenwart gesagt hätte. Aber über Richard wollte sie jetzt nicht nachdenken. Obwohl sie ihm klargemacht hatte, dass sie nicht an ihm interessiert war, hatte er ihr immer wieder nachgestellt. Dabei war er ein verheirateter Mann! Und er hatte ausgesprochen unangenehm reagiert, als er merkte, dass sie seine Annäherungsversuche zurückwies.

Der Gedanke an Richard und seine sexuellen Avancen veranlasste Katrina dazu, sich wieder in den schattigen Teil des Ladens zurückzuziehen. In diesem Moment spürte sie den Blick der bernsteinfarbenen Augen auf sich gerichtet. Instinktiv zog sie sich noch weiter zurück, ohne zu wissen, warum.

Obwohl sicher verborgen in dem Schatten, wusste sie, dass er sie ganz genau beobachtete. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, und ihr brach der Schweiß aus den Poren.

In diesem Moment kam eine Gruppe schwarz gekleideter Männer und verschleierter Frauen die Gasse entlang, sodass sie ihn – und er sie – nicht mehr sehen konnte. Bis sie verschwunden waren, hatte er das Interesse an ihr offensichtlich verloren. Er hatte das lose Ende des indigofarbenen Tuchs seines Turbans übers Gesicht gezogen, und man sah nur noch seine Augen. So machten es die Männer seines Stammes. Hinter dem Fremden befand sich eine Tür, und er drehte sich um, um sie zu öffnen, wobei er sich aufgrund seiner Größe bücken musste.

Fasziniert betrachtete Katrina seine Hand auf der Klinke. Sie war schmal und lang, die Nägel waren sorgfältig manikürt. Das erstaunte sie. Inzwischen wusste sie sehr viel über die Nomadenstämme der arabischen Wüste und ihre Geschichte. Wegen der Farbe ihrer Gewänder wurden sie als die „blauen Männer“ bezeichnet. Zum einen war es bereits ein Anachronismus, dass ein Tuareg der Welt offen sein Gesicht zeigte. Aber wie kam es, dass ein Mitglied dieses Stammes außerdem noch so gepflegte Fingernägel hatte? Das hätte besser zu einem reichen Geschäftsmann gepasst.

Erneut pochte ihr Herz schneller. Sie war kein naives, leicht zu beeindruckendes junges Mädchen mehr, das glaubte, jeder Mann in einer Dishadasha sei ein mächtiger Führer. Bisher hatte sie auch nie davon geträumt, sich mit einem solchen Mann im Wüstensand herumzuwälzen. Nein, sie war eine außerordentlich qualifizierte vierundzwanzigjährige Wissenschaftlerin. Und trotzdem …

Als er schließlich durch die Tür verschwand, atmete sie erleichtert auf.

„Möchten Sie nun diesen Stoff kaufen? Die Seide ist fein … sehr fein. Und ich mache Ihnen einen guten Preis.“

Der Händler hatte recht, die Seide war wirklich hauchdünn gewebt, und das Eisblau würde fantastisch zu ihrem rotblonden Haar passen. Weil sie sich allein in der Öffentlichkeit bewegte, hatte sie das Haar zurückgebunden und unter ihrem breitkrempigen Hut versteckt.

Plötzlich musste sie wieder an den Mann mit den bernsteinfarbenen Augen denken. Wenn sie den Stoff kaufte und daraus ein Kleid schneidern ließ, würde die Seide ihren Körper verführerisch umschmeicheln, und er …

Sie ließ den Stoff aus den Händen fallen, als hätte sie sich daran verbrannt. Während der Händler ihn aufhob, betrat eine Gruppe uniformierter Männer die Gasse. Die Menschen stoben vor ihnen davon, als sie die Stände durchsuchten und Türen aufstießen. Offensichtlich suchten sie nach jemandem. Und es schien ihnen völlig egal zu sein, welchen Schaden sie dabei anrichteten.

Aus einem ihr unerklärlichen Grund fiel Katrinas Blick plötzlich auf die Tür, durch die der Nomade verschwunden war.

In diesem Moment öffnete sich die Tür erneut, und ein Mann in europäischer Kleidung trat heraus. Er trug eine helle Bundfaltenhose und ein Leinenhemd. Sie erkannte ihn sofort wieder und sah ihn überrascht an.

Aus dem Tuareg war plötzlich ein Europäer geworden. Ruhig drehte er sich um und schritt die Gasse entlang. Als er an Katrinas Stand vorbeiging, rief einer der uniformierten Männer ihm auf Englisch und Zuranesisch einen Befehl zu.

„He, du! Halt! Bleib stehen!“

Mit hartem Blick sah er sich um, prüfend, suchend, bis er sie entdeckte.

„Liebling! Da bist du ja! Ich habe dich doch gewarnt, nicht ohne mich loszugehen.“

Er umfasste ihr Handgelenk, ließ die Finger sanft über ihren Handrücken gleiten und verschränkte sie mit ihren, in der vertrauten Art, wie es Liebende tun. So hielt er sie in seinem Griff gefangen. Die Andeutung eines Lächelns ließ seine Züge weicher erscheinen, als er einen Schritt auf sie zuging.

„Ich bin nicht Ihr Liebling“, stieß Katrina atemlos hervor.

„Gehen Sie los“, befahl er ihr leise, aber mit einem Blick, der so gebieterisch war, dass sie ihm nicht zu widersprechen wagte.

Seite an Seite gingen sie durch die Gasse. Zuerst nahm Katrina nur den leichten Zitronenduft seines Eau de Cologne wahr, dann, als er ihr näher kam, den schwachen, aber berauschenden Moschusduft seines Körpers.

Inzwischen war die Gasse voller Uniformierter. Die rissen die Türen der kleinen Häuser auf, stießen Stände um und fegten die Waren von den Tischen, in der Absicht, irgendjemanden oder irgendetwas zu finden.

Die eben noch so entspannte, friedliche Atmosphäre war dahin. Jetzt hörte man überall Geschrei und spürte beinahe greifbar die Furcht der Menschen.

In diesem Moment fuhr ein großer Jeep mit hohem Tempo in die Gasse und kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. Ein Mann in Uniform stieg aus, geschützt von Leibwächtern. Katrina erkannte ihn sofort. Es war Zurans Innenminister, der Cousin des Herrschers.

Besorgt sah sie den Mann an ihrer Seite an. Als sie ihn das Gebäude gegenüber hatte betreten sehen, war er als Tuareg gekleidet gewesen und hatte sich kaum verhalten wie ein Mann, der nichts zu verbergen hatte. Es wäre nicht gut, die Aufmerksamkeit der schwer bewaffneten Männer in der Straße auf ihn zu lenken – und auf ihre eigenen Befürchtungen –, aber … Aber was? Aber er besaß eine gefährliche Faszination, die sie dazu verleitete … Wozu? Entschlossen versuchte sie, sich ihm zu entziehen. Er bemerkte ihre leichte Bewegung sofort und verstärkte daraufhin seinen Griff nicht nur, sondern zog sie noch tiefer in den Schatten eines Hauses hinein, sodass sie nun dicht an seinen Körper gedrängt vor ihm stand.

„Hören Sie, ich weiß ja nicht, was hier los ist, aber …“, begann sie.

„Seien Sie still!“ Seine Stimme klang kühl. Gleichzeitig hatte sie das Gefühl, seinen Herzschlag spüren zu können. Plötzlich musste sie an ihre Eltern denken. Ihre Eltern, die sich sehr geliebt hatten.

Sie seufzte tief. Er legte ihr sofort die Hand auf den Mund und bedeutete ihr zu schweigen.

Er roch nach Sand und Wüste und vielen anderen Dingen, die ihr fremd waren. Fremd, exotisch und gefährlich, aber gleichzeitig auch sehr aufregend.

Unwillkürlich öffnete sie leicht die Lippen, und er nutzte seinen Vorteil geschickt aus. Im nächsten Moment spürte sie seinen Mund auf ihrem, spürte schockiert seine Zungenspitze, die sie verlockte und einen Hitzestrahl durch ihren Körper schickte.

Sie gab sich seinem Kuss rückhaltlos hin und war überrascht über sich selbst. Nie hätte sie von sich gedacht, dass sie einmal einen ihr völlig fremden Mann im hellen Tageslicht küssen würde, und das dazu noch so leidenschaftlich.

Schwach vernahm sie, wie der Jeep davonfuhr. Aber der Fremde hörte nicht auf, sie zu küssen.

Und dann ließ er sie los, so abrupt, dass sie fast gestolpert wäre. Im nächsten Moment war er verschwunden, untergetaucht in der Menge, und ließ sie überwältigt und schockiert zurück, so als wäre sie verlassen worden.

„Eure Hoheit …“ Die Diener verbeugten sich vor ihm, als er durch den königlichen Palast eilte.

Die beiden Wächter, die vor der goldenen Tür zum Audienzsaal standen, waren bis an die Zähne bewaffnet. Auch sie verbeugten sich tief vor ihm und öffneten dann die Tür.

Xander stand nun vor seinem Halbbruder, dem Herrscher von Zuran. Jetzt war es an ihm, sich zu verbeugen. Sie hatten zwar denselben Vater, und es war allgemein bekannt, dass sein älterer Bruder ihm sehr gewogen war. Aber er war nun einmal der Herrscher ihres Landes, und als solcher musste Xander ihm Respekt zollen.

Als er ihn erblickte, stand sein Bruder sofort auf, ging auf Xander zu und umarmte ihn.

„Schön, dass du wieder bei uns bist. Ich habe nur Gutes über dich gehört, kleiner Bruder. Unsere Botschaften in Amerika und Europa sind des Lobes voll über dich.“

„Danke, das ist sehr freundlich, Eure Hoheit. Aber in Wirklichkeit gebührt die Ehre Euch. Ihr wart es, der mich mit der Aufgabe betraut hat, Eure Pläne für eine weitere Demokratisierung unseres Landes in der Welt zu verbreiten.“

In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und ein Diener brachte frischen Kaffee auf einem Tablett herein.

Als sie wieder unter sich waren, nahm der Herrscher Xanders Hand.

„Komm, lass uns hinaus in den Garten gehen. Dort können wir uns ganz ungestört unterhalten.“

Hinter dem Audienzsaal lag ein exotischer Garten mit vielen kleinen Brunnen.

Die beiden Männer in ihren weißen Gewändern gingen gemessenen Schrittes über den Mosaikfußboden.

„Es ist genau, wie wir gedacht haben“, sagte Xander schließlich, als er sicher war, dass sie nicht mehr gehört werden konnten. Sie hatten vor einem kleinen Fischteich Halt gemacht. Er bückte sich und warf den Fischen etwas Futter zu.

„Nazir zettelt eine Intrige gegen dich an.“

„Hast du dafür handfeste Beweise?“, fragte der Herrscher scharf.

Xander schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht. Aber es ist mir gelungen, mich in die Bande von Dieben und Verrätern einzuschleichen, deren Anführer El Khalid ist.“

„Dieser infame Schurke! Ich hätte ihn für den Rest seines Lebens ins Gefängnis sperren lassen sollen, statt ihm gegenüber so nachsichtig zu sein.“

„El Khalid hat dir nie verziehen, dass du ihn von seinem Land vertrieben hast, nachdem du gemerkt hattest, was er im Schilde führte. Ich nehme an, Nazir hat ihm versprochen, ihn als Herrscher einzusetzen, wenn es ihm gelingt, dich aus dem Weg zu räumen. Sicher wird Nazir es so darstellen, als wäre El Khalid derjenige, der dich vom Thron stürzen will. Er kann es sich nicht erlauben, mit deiner Ermordung in Verbindung gebracht zu werden.“ Xander runzelte die Stirn. „Du musst sehr vorsichtig sein.“

„Keine Angst, ich werde gut beschützt. Ehrlich gesagt, es wundert mich nicht. Nazir hat mich schon immer gehasst. Aber er wird es nicht wagen, offen die Hand gegen mich zu erheben.“

„Schade, dass du ihn nicht einfach außer Landes verweisen kannst.“

Der Herrscher lachte. „Ohne konkrete Beweise geht das leider nicht, mein Bruder. Schließlich sind wir jetzt eine Demokratie, was wir teilweise auch deiner Mutter zu verdanken haben. Aber das bedeutet, dass wir uns an die Gesetze halten müssen.“

Dass sein Halbbruder seine, Xanders, Mutter erwähnte, erstaunte Xander. Seine Mutter war ursprünglich die Lehrerin des Herrschers gewesen. Politisch liberal eingestellt, hatte sie ihrem jungen Schüler alles über das Wesen der Demokratie beigebracht. Aber sie hatte sich auch in seinen Vater verliebt, und der hatte diese Liebe erwidert.

Xander war aus dieser Verbindung entsprungen, doch er hatte seine Mutter nie kennengelernt. Sie war einen Monat nach seiner Geburt an einem Fieber gestorben. Doch vorher hatte sie seinem Vater noch das Versprechen abgenommen, ihr kulturelles Erbe dadurch zu ehren, dass er ihren Sohn aufzog.

So war es dazu gekommen, dass Xander in Europa und Amerika erzogen worden war. Danach hatte ihn sein Halbbruder zum Sonderbotschafter für Zuran ernannt.

„Du bist viel mehr in Gefahr als ich“, warnte ihn jetzt der Herrscher. „Es gefällt mir gar nicht, dass du ein solches Risiko eingehst.“

Xander zuckte die Schultern. „Aber wir waren uns doch einig, dass man niemanden sonst mit dieser Aufgabe betreuen kann. Außerdem ist die Gefahr gar nicht so groß. El Khalid hat mich in meiner Rolle längst akzeptiert. Für ihn bin ich nur ein Tuareg, der wegen krimineller Aktivitäten aus seinem Stamm ausgeschlossen wurde. Ich habe ihm auch schon bewiesen, dass ich mein Geld wert bin. Letzte Woche haben wir eine Handelskarawane ausgeraubt und all ihre Waren beschlagnahmt.“

„Wirklich? Davon habe ich ja noch gar nichts gehört. Ich werde dafür sorgen, dass man sie entschädigt.“

„Nicht nötig“, erwiderte Xander lächelnd. „Zum einen fand der Angriff im Niemandsland hinter der Landesgrenze statt, also genau da, wo El Khalid sein Hauptquartier aufgeschlagen hat. Und zum anderen war es alles Schmuggelware.“

„Dann ist es kein Wunder, dass sie sich nicht bei mir beschwert haben.“

„Es gibt aber Hinweise darauf, dass El Khalid nicht allein operiert. Er rühmt sich, mit einer sehr wichtigen Person in Kontakt zu stehen. Aber weder Nazir noch irgendeiner seiner Männer bekennt sich öffentlich zu einer Verbindung mit ihm. Wie dem auch sei, ich gehe davon aus, dass Nazir deine Ermordung zu unserem Nationalfeiertag plant. Denn dann lässt es sich nicht vermeiden, dass du öffentlich auftrittst. Um das Attentat genau zu planen, wird er sich mit El Khalid treffen müssen. Übrigens hat auch El Khalid verlauten lassen, dass er bald ein gemeinsames Treffen einberufen wird, an dem alle teilnehmen sollen. Aber bis jetzt hat er nicht gesagt, wo und wann es stattfinden soll.“

„Und du glaubst, dass Nazir bei diesem Treffen anwesend sein wird?“

„Ja, davon gehe ich aus. Ich denke, er wird es auch organisieren. Er wird sichergehen wollen, dass die Männer, die Khalid für diese Mission auswählt, vertrauenswürdig sind. Das wird er bestimmt keinem anderen überlassen wollen. Daher glaube ich, dass er da sein wird. Und ich werde auch da sein.“

Sein Halbbruder sah ihn stirnrunzelnd an. „Hast du denn gar keine Angst, dass Nazir dich erkennen wird?“

„Wenn ich als Tuareg verkleidet bin?“ Xander schüttelte den Kopf. „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Vergiss nicht, sie bedecken schließlich immer ihr Gesicht.“

Der Herrscher wirkte noch immer besorgt.

„Seid Ihr mit der Entwicklung des neuen Hotelkomplexes zufrieden, Eure Hoheit?“, fragte Xander und sah seinen Halbbruder warnend an. Er hatte ein kaum wahrnehmbares Geräusch vernommen. Offensichtlich näherten sich ihnen Schritte. „In unseren Botschaften wird viel Lob geäußert über die Expansion des Fremdenverkehrs in unserem Land.“

Dann trat der Mann zu ihnen, über den sie gerade gesprochen hatten. Dicke Ringe glitzerten an seinen Fingern. Er ignorierte Xander völlig und verbeugte sich steif vor dem Herrscher.

„Nazir.“ Die Stimme des Herrschers klang kühl. „Was führt dich hierher? Es passiert nicht oft, dass der Innenminister trotz seiner vielen Pflichten Zeit findet, uns aufzusuchen.“

„Ich habe wirklich viel zu tun, das stimmt“, erwiderte Nazir, der sich über seine eigene Bedeutung sehr wohl im Klaren zu sein schien.

„Wie ich hörte, hat es vorhin im Souk Ärger gegeben“, bemerkte Xander.

Nazir warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „Ach, das hat nichts zu bedeuten … Ein kleiner Dieb hat etwas Aufsehen erregt, das ist alles.“

„Ein kleiner Dieb? Aber schließlich waren Sie persönlich anwesend.“

„Ich war zufällig in der Gegend. Was geht es Sie an, wie ich meine Arbeit erledige?“

„Nichts Geringeres als das eines besorgten Bürgers“, antwortete Xander freiheraus.

Nazir wandte sich wieder dem Scheich zu. „Man hat mir gesagt, Eure Hoheit, dass Ihr Euch dagegen entschieden habt, Euch am Nationalfeiertag von meiner persönlichen Eskorte begleiten zu lassen, wie ich es Euch geraten habe.“

„Ich bin dir wirklich dankbar, dass du meinetwegen so besorgt bist, Cousin. Aber ich muss vor allem an das Volk denken. An das Volk und an unsere ausländischen Verbündeten. Vergiss nicht, ich versuche gerade, Zuran für den Tourismus attraktiv zu gestalten. Es würde sicher keinen sehr stabilen Eindruck machen, wenn ich mich bei einer solchen Gelegenheit von einer Garde schwer bewaffneter Wächter begleiten ließe.“

„Abgesehen davon“, brach Xander leise das spannungsgeladene Schweigen, das nach den Worten des Herrschers folgte, „muss man sich auch immer fragen, wer die Wächter bewacht.“

Ein mörderischer, hasserfüllter Blick traf ihn aus Nazirs Augen. „Wenn Sie damit sagen wollen …“

„Ich will damit überhaupt nichts sagen“, brachte Xander ihn kalt zum Schweigen. „Ich stelle nur eine Tatsache fest.“

„Was für eine Tatsache?“

„Nun, es ist doch bewiesen, dass die Präsenz uniformierter Männer in letzter Zeit schon öfters zu unangenehmen Zwischenfällen geführt hat. Zwischenfälle, die völlig außer Kontrolle geraten sind.“

„Genau, und ich möchte nicht in die Verlegenheit kommen, irgendeinem Botschafter erklären zu müssen, warum einer seiner Untertanen von einem übereifrigen Wächter erschossen wurde“, setzte der Herrscher hinzu.

„Lasst uns darüber noch einmal unter vier Augen sprechen“, erwiderte Nazir zum Herrscher gewandt. Er verbeugte sich kurz und ging.

Der Scheich warf seinem jüngeren Halbbruder einen besorgten Blick zu.

„Unser Cousin vergisst den Respekt, den er dir schuldet“, sagte er ärgerlich.

Xander zuckte die Schultern. „Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er mich nicht mag. Genauso wenig, wie er meine Mutter gemocht hat.“

„Und unseren Vater? Unser Vater war der größte Herrscher, den das Land je hatte. Daran sollte Nazir besser denken. Er war schon als Kind dir gegenüber stets feindselig eingestellt. Davon haben Vater und ich leider erst zu spät erfahren, Xander.“

„Ich habe gelernt, damit und mit ihm zurechtzukommen.“

„Ja, aber sein Vater und er haben deine Mutter gehasst. Sie misstrauten dem Einfluss, den sie auf meinen Vater hatte. Und als er sie dann auch noch heiratete …“

„Nazir mag mich hassen, aber dich möchte er vom Thron stürzen“, stellte Xander trocken fest und fügte hinzu: „Verzeih, ich sollte mich jetzt besser in die Wüste zurückziehen, bevor meine Abwesenheit auffällt. Ich dachte schon, dass Nazir und seine Männer mich im Souk gesucht hätten. Aber inzwischen weiß ich, dass sie hinter einem anderen Tuareg her waren.“

„Offiziell heißt es, du seist nur kurz hier in Zuran und würdest heute Abend wieder abreisen, um dir eine wohlverdiente Ruhepause zu gönnen. Eigentlich schade, dass du keine Zeit hast, dir unsere neuen Errungenschaften anzuschauen. Es gibt ein paar hübsche junge Fohlen in den Ställen, und der neue Yachthafen ist auch fast fertig.“

Xander lächelte, denn er kannte die Schwäche seines Halbbruders für Pferde.

Auf dem Rückweg zum Palast sagte der Herrscher zu ihm: „Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken an die Gefahr, der du dich aussetzt. Schließlich bist du mir sehr lieb und teuer. Vielleicht teurer, als du weißt. Deine Mutter war für mich fast wie meine eigene Mutter. Sie hat mir eine Welt des Wissens eröffnet. Nur ihrem Einfluss auf meinen Vater ist es zu verdanken, dass unser Land langsam in der Moderne ankommt. Nach ihrem Tod hatte er keinen Lebenswillen mehr. Ich habe beide verloren, kleiner Bruder. Aber dich möchte ich nicht verlieren.“

„Genauso wenig wie ich dich“, erwiderte Xander, und die Brüder umarmten sich.

„Hallo, meine Schöne! Na, wie sieht’s aus, hast du Lust, mich heute Abend zu begleiten? Wie ich höre, gibt Seine Hoheit ein großes Fest, um den Beginn der neuen Jagdsaison zu feiern. Danach gehen wir alle noch in einen Club.“

Tom Hudson, der Fotograf des Teams, war ein schamloser und unverbesserlicher Charmeur. Aber man musste ihn einfach mögen, daher lächelte Katrina ihn an.

Doch noch bevor sie seine Einladung ablehnen konnte, mischte sich Richard in ihr Gespräch ein.

„Wir sind hier, um zu arbeiten, und nicht, um uns herumzutreiben. Besser, Sie vergessen das nicht, Hudson. Außerdem müssen wir alle morgen sehr früh aufstehen.“

In der peinlichen Stille, die nun folgte, schnitt Tom hinter Richards Rücken ein Gesicht.

Richard war ohne Zweifel sehr qualifiziert, aber in der Gruppe nicht besonders beliebt. Am meisten hatte Katrina unter ihm zu leiden.

„Er ist grauenhaft“, sagte Beverley Thomas, das einzige weibliche Mitglied außer Katrina, später zu ihr, als sie sich auf Katrinas Bettkante niederließ.

Sie waren in einer luxuriösen Privatvilla untergebracht. Die Quartiere der Frauen lagen getrennt von denen der Männer und vom Dienstbotentrakt.

Zuerst hatte Katrina es merkwürdig gefunden, dass sie und Beverley sich nachts einschließen mussten, um nicht belästigt zu werden. Aber angesichts Richards Nachstellungen war sie inzwischen ganz froh, dass man von ihnen erwartete, sich den Landessitten zu fügen.

„Mir tut nur seine Frau leid“, gab Katrina zu.

„Ja, mir auch. Aber du weißt ja, er mag es nicht, wenn man über sie spricht. Ist dir eigentlich klar, dass er von dir wie besessen ist?“

Katrina sah sie betroffen an.

„Nun, vielleicht ist Besessenheit ein zu starkes Wort. Er scheint jedenfalls entschlossen zu sein, dich ins Bett zu kriegen.“

„Vielleicht möchte er das gern, aber es wird nicht dazu kommen“, versicherte Katrina ihr. „Weißt du, mit seinen unerwünschten Annäherungsversuchen könnte ich ja noch fertig werden. Aber ich habe Angst, dass er seine Position ausnutzt, um mich dafür zu bestrafen, dass ich nicht darauf eingehe. Schließlich ist dies mein erster Job, und ich bin immer noch in der Probezeit.“

„Versuch, ihn auf Abstand zu halten“, riet Beverley ihr und unterdrückte ein Gähnen. „So, jetzt gehe ich schlafen. Es war ein langer Tag. Wie Richard ja ganz richtig gesagt hat, müssen wir morgen sehr früh aufstehen.“

Katrina lächelte. Sie freute sich schon sehr auf die morgige Expedition. Sie hatten vor, eines der Wüstentäler zu erkunden, die Wadis genannt wurden.

Eigentlich hätte sie längst schlafen müssen. Sie war bereits vor einer Stunde ins Bett gegangen. Aber immer, wenn sie die Augen schloss, erschien das Bild des „Mannes mit den bernsteinfarbenen Augen“, wie sie ihn für sich genannt hatte.

Und sie erinnerte sich nicht nur an seine Augenfarbe, sondern vor allem an seinen Kuss. Allein der Gedanke daran ließ sie erschauern.

Das ist lächerlich, sagte sie sich. Eine vierundzwanzigjährige Frau mit einem Doktortitel in Biochemie konnte doch nicht einem so primitiven sexuellen Impuls gehorchen. Und das gegenüber einem Fremden! Einem Fremden, der möglicherweise auch noch ein gefährlicher Verbrecher war.

Aber der Gedanke an seinen leidenschaftlichen Kuss ließ sie einfach nicht los.

Erneut fielen ihr ihre Eltern ein. Sie waren beide hoch qualifizierte Wissenschaftler gewesen, die einander sehr zugetan waren. Sie hatten füreinander gelebt und waren gemeinsam bei einem Unfall während einer Ausgrabung ums Leben gekommen.

Damals war Katrina erst siebzehn gewesen. Kein Kind mehr, aber auch noch nicht erwachsen. Ihre Eltern, beide Einzelkinder, hatten keine Verwandten gehabt. Nach ihrem Tod war sie Vollwaise geworden. Sie hatte sich ihr ganzes bisheriges Leben danach gesehnt, von jemandem wirklich geliebt zu werden. Gleichzeitig fürchtete sie sich vor dieser Sehnsucht, weil diese sie so verletzbar machte.

Daher hatte sie sie tief in ihrem Inneren begraben und sich stattdessen auf ihr Studium konzentriert. Es war ihr auch gelungen, sich mit einigen Studenten anzufreunden, aber sie hatte stets darauf geachtet, dass diese ihr nicht zu nahe kamen.

Mit vierundzwanzig betrachtete sie sich als einigermaßen erwachsen und reif. Aber jetzt … So etwas für diesen Fremden zu empfinden war alles andere als reif und erwachsen.

Ich bin in einem fremden Land mit fremden Sitten, sagte Katrina sich. Einem Land, das sie schon immer fasziniert hatte. Daher hatte sie auch die Sprache gelernt. Das Erscheinen des Fremden hatte sie völlig unvorbereitet getroffen, und sie hatte nicht gewusst, ob sie bleiben oder fliehen sollte. Doch es hatte einen Adrenalinstoß in ihr ausgelöst. Kein Wunder, dass sie die ganze Geschichte so sehr berührte.

Aber wie weit ging das Ganze? War es mehr als eine rein körperliche Reaktion auf einen attraktiven Mann? Einen Mann, vor dem sie auf jeden Fall auf der Hut sein musste?

Jeder kann doch mal einen Fehler machen, sagte sie sich. Außerdem war es sehr unwahrscheinlich, dass sie sich noch einmal begegnen würden. Sie wollte nicht einmal vor sich selbst zugeben, wie sehr dieser Gedanke sie deprimierte.

2. KAPITEL

Die Sonne stieg gerade am Horizont auf, als sie die Villa verließen und in einem Konvoi mit mehreren Jeeps in die Wüste aufbrachen. Zu Katrinas Unbehagen hatte Richard darauf bestanden, dass sie ganz allein mit ihm in einem der Wagen fuhr.

„Hier hast du es viel bequemer, schließlich sind wir an der Spitze“, sagte er zu ihr und lachte. „Die anderen müssen den Staub schlucken, den wir aufwirbeln.“

Es stimmte, dass er bei dem hohen Tempo eine Menge Sand aufwirbelte. Trotzdem hätte Katrina es vorgezogen, mit jemand anderem mitzufahren.

„Warum entspannst du dich nicht ein bisschen?“, schlug Richard vor. „Bestimmt musst du noch Schlaf nachholen. Und die Fahrt wird ziemlich lang dauern. Am besten, du trinkst noch etwas Wasser. Vergiss nicht, wir müssen darauf achten, nicht auszutrocknen.“

Gehorsam nahm sie die Flasche in Empfang, die er ihr reichte, und trank daraus.

Vielleicht war es ja gar keine so schlechte Idee, ein wenig Schlaf nachzuholen. Plötzlich merkte sie, wie müde sie war. Der andere Vorteil würde sein, dass sie sich nicht mit Richard unterhalten musste. Wahrscheinlich hatte sie zu viel über den Mann mit den bernsteinfarbenen Augen nachgedacht. Als sie die Augen schloss, merkte sie, dass Richard das Tempo noch mehr erhöhte.

Als Katrina schließlich erwachte, war es bereits spät am Nachmittag. Die Sonne, die durch die Windschutzscheibe schien, weckte sie. Sie hatte anscheinend ziemlich lange geschlafen. Abrupt setzte sie sich in ihrem Sitz auf und sah Richard vorwurfsvoll an.

„Du hättest mich wecken sollen“, sagte sie zu ihm. „Wann werden wir denn endlich das Wadi erreichen?“

Es dauerte ein paar Sekunden, bevor er antwortete. Der Blick, mit dem er sie betrachtete, ließ sie frösteln.

„Wir fahren nicht zum Wadi“, erwiderte er. „Ich habe für uns einen anderen Ort ausgesucht, der viel romantischer ist. Ein Ort, an dem ich dich für mich allein haben kann. Ein Ort, wo ich dir alles Mögliche zeigen kann, wo ich dich lehren kann …“

Katrina sah ihn entsetzt an. Hoffentlich hatte sie ihn falsch verstanden. Aber ihr Gefühl sagte ihr, dass es keineswegs der Fall war.

„Richard, das geht doch nicht! Wir müssen zum Wadi fahren. Die anderen werden uns erwarten, sie …“

„Nein, sie glauben, dass wir zurückkehren mussten“, sagte er ruhig. „Ich habe ihnen mitgeteilt, dass du dich nicht wohl fühlst. Es war wirklich eine gute Idee von mir, dir Schlaftabletten ins Wasser zu geben.“

Sie starrte ihn entsetzt an. Das war ja grauenhaft!

„Richard, das ist lächerlich! Ich werde sofort die anderen anrufen, und dann …“

„Das geht leider nicht. Ich habe dir nämlich dein Handy aus der Tasche genommen.“

Katrina konnte es nicht fassen.

„Du bist verrückt! Komm, lass uns jetzt zu den anderen fahren, und dann vergessen wir die ganze …“

„Nein!“ Er bedeutete ihr zu schweigen. „Wir fahren zur Oase. Ich habe seit Tagen darüber nachgedacht, wohin ich dich entführen kann, und das ist genau der richtige Ort dafür. Sie liegt im verlassensten Teil der Wüste, in einem richtigen Niemandsland. Bestimmt sagt dir der Ort zu. Du hast doch eine Schwäche für dieses Land. Früher haben dort immer die Karawanen angehalten, um ihre Kamele zu der Wasserstelle zu führen.“

Ihr Mund war plötzlich wie ausgetrocknet, und das Herz klopfte ihr vor lauter Angst bis zum Hals. Eigentlich hatte sie keine Angst vor Richard, aber sein Verhalten ließ nur eine Vermutung zu. Vielleicht hatte Beverley recht, und er hatte sie die ganze Zeit im Sinn gehabt. Das war kein angenehmer Gedanke.

„Schau, da vorn ist die Oase“, sagte Richard in diesem Moment und zeigte auf ein paar einzelne Palmen in der Ferne. Daneben glitzerte verführerisch das Wasser eines Teichs.

Unter anderen Umständen wäre Katrina von dem Anblick entzückt gewesen.

Die Vegetation, die die Oase umgab, war unerwartet grün und üppig, besonders am Rand. Wahrscheinlich war hier einmal ein Fluss gewesen, denn anders ließ sich der tiefe Spalt an der felsigen Seite nicht erklären. Vielleicht hatte es ja sogar einmal einen Wasserfall gegeben, der den Felsen hinabgestürzt war.

Es musste auf jeden Fall Wasser geben, wahrscheinlich eine unterirdische Quelle, die die Vegetation ermöglichte. Aber obwohl die Oase ein wunderschönes Naturschauspiel bot, verspürte Katrina nicht den Wunsch, dort mit Richard allein zu bleiben.

Sie bezweifelte, dass es ihr gelingen würde, ihn von seinen Plänen abzubringen. Und das bedeutete, sie musste ihn irgendwie ablenken, um an die Autoschlüssel zu kommen.

„Ich habe auch ein Zelt mitgebracht“, informierte er sie. „Es wird uns an nichts fehlen.“

„Das war wirklich klug von dir“, sagte Katrina. „Ich glaube, ich bleibe am besten im Auto, während du alles auspackst, meinst du nicht auch?“

Richard schüttelte den Kopf.

„Nein, das kommt nicht in Frage. Ich habe mir nicht solche Mühe gegeben, nur damit du jetzt einfach entkommen kannst. Und an eine solche Dummheit hast du doch sicher gedacht, oder?“

Er kann mich schließlich nicht dazu zwingen, auszusteigen, dachte sie störrisch. Aber sie hatte nicht mit seiner Entschlossenheit gerechnet.

„Tut mir leid, du lässt mir keine Wahl.“ Er beugte sich nach hinten und holte ein paar Handschellen vom Rücksitz. „Ich hatte wirklich gehofft, das wäre nicht nötig. Aber wenn du nicht tust, was ich von dir verlange, muss ich dich leider an die Autotür fesseln.“

Katrina merkte, dass ihr der kalte Schweiß ausbrach. Richard war gefährlich, und sie hatte ihn unterschätzt. Er hatte die Autotür bereits abgeschlossen. Wenn sie zulassen würde, dass er sie fesselte, wäre sie verloren.

„Ich brauche etwas frische Luft“, teilte sie ihm mit und bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Hast du etwas dagegen, wenn ich mich in der Oase ausruhe, während du die Sachen auspackst?“

„Natürlich nicht, meine Liebe“, versicherte er ihr und lächelte sie an. „Dann lass uns sehen, ob wir ein nettes Plätzchen für dich finden.“

Ich darf jetzt nicht die Hoffnung aufgeben, sagte Katrina sich, während Richard sie zur Oase geleitete.

„Da vorn sieht es schon ganz gut aus“, meinte er und zeigte auf einen schattigen Platz unter Palmen. Doch als Katrina darauf zugehen wollte, hielt er sie zurück. Im nächsten Moment vernahm sie ein scharfes metallisches Klicken. Das mussten die Handschellen sein, die er ihr im Auto gezeigt hatte. Ohne nachzudenken, rannte sie los, geradewegs auf den schmalen Felsspalt zu. In ihrer Panik hörte sie die Motorengeräusche nicht, ebenso wenig die Schreie bewaffneter Reiter. Zu spät erkannte sie, was dies alles bedeutete. Im nächsten Moment hatte sie den Pass hinter sich gelassen und lief direkt auf die Gruppe von Flüchtlingen zu.

Sie wurden von El Khalid angeführt, aber es war ein junger Leutnant, der sie als Erster erblickte. Er riss das Steuer seines alten Landrovers herum und nahm ihre Verfolgung auf.

Richard, der Katrina durch die schmale Felsspalte gefolgt war, machte auf der Stelle kehrt und eilte zurück zu seinem Auto. Er ignorierte ihre Notlage, startete den Motor und raste davon, so schnell er nur konnte.

Katrina hatte seine Flucht nicht bemerkt.

Die Luft war voller Staub, fast meinte sie zu ersticken. Das Fahrzeug befand sich jetzt auf gleicher Höhe, der Fahrer lehnte sich aus dem Fenster und versuchte, mit einer Hand nach ihr zu greifen.

Sofort drehte sie sich um und lief in die Richtung, aus der sie gekommen war. Entsetzt merkte sie, dass sie erneut verfolgt wurde, denn wie aus dem Nichts tauchte ein bewaffneter Reiter auf.

Er näherte sich Katrina so rasant, dass sie schon bald den Atem seines Pferdes spürte. Er holte sie ein, beugte sich zu ihr herunter. Im nächsten Moment fühlte sie sich von einer starken Hand ergriffen und hochgezogen. Ohne zu wissen, wie ihr geschah, saß sie plötzlich vor dem Reiter im Sattel als seine Gefangene.

Sie keuchte und bekam kaum noch Luft. Dann erstarrte sie. Dieser Duft … dieses nach Zitronen duftende Eau de Cologne kam ihr bekannt vor. Und auch der Körper des Mannes, die Kraft, die von ihm ausging, lösten Erinnerungen in ihr aus, die sie am liebsten verdrängt hätte. Abrupt wandte sie den Kopf und sah ihn an.

Sie konnte nur seine Augen sehen: Sie waren bernsteinfarben mit kleinen Goldflecken darin, die Augen eines Tigers. Entsetzt hielt sie den Atem an, dann schaute sie wieder nach vorn.

Auf seinen verächtlichen Blick war sie nicht gefasst gewesen. In der Ferne sah sie Richards Auto verschwinden. Dieser Feigling, er flüchtete und überließ sie ihrem Schicksal. Tränen liefen ihr über die Wangen und fielen auf die dunklen Hände, die die Zügel hielten.

Ungeduldig wischte er sie ab. Dann beugte er sich kurz zu seinem Pferd hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie wendeten, und er galoppierte auf die Gruppe der wartenden Männer zu, die sie beobachteten.

Plötzlich erschien derselbe Wagen, der sie vorher verfolgt hatte, und fuhr mit hohem Tempo auf sie zu. Katrina sah das wutverzerrte Gesicht des Mannes. Er hob die Faust und schüttelte sie zornig gegen ihren Entführer. Dann überholte er sie und traf vor ihnen bei den anderen ein.

Es ging alles so schnell, dass sie keine Zeit zum Nachdenken hatte. Dann waren sie am Ziel angekommen. Das Pferd kam vor einem kräftigen Mann zum Stehen, und er bedeutete ihnen, endlich abzusteigen.

Als Erstes fiel ihr das Gewehr auf. Außerdem hatte er einen Patronengürtel um die Hüfte geschlungen und trug wie alle Männer aus dieser Gegend den traditionellen geschwungenen Dolch. Es schien sich um den Führer der Gruppe zu handeln.

Neben ihm stand der Mann, der sie verfolgt hatte. Er gestikulierte wild mit beiden Armen, zeigte immer wieder auf sie und stieß Verwünschungen in einer Sprache aus, von der sie kein Wort verstand.

„Warum hast du den Mann entkommen lassen?“, fragte der Führer ihren Befreier auf Zuranesisch.

Nach einer kleinen Pause antwortete er: „Wie hätte ich es mit einem Jeep aufnehmen können? Mein Pferd ist zwar schnell, aber so schnell auch wieder nicht. Nur Sulimen hätte ihn noch eingeholt, aber er war ja hinter einer anderen Beute her.“

„Er hat mir meinen Preis weggeschnappt, und nun beschuldigt er mich auch noch. Das Mädchen gehört mir, El Khalid“, verlangte der Fahrer des Landrovers aufgebracht.

„Du hast Sulimens Worte gehört, Tuareg. Was sagst du dazu?“

Katrina brach der kalte Schweiß aus. Am liebsten hätte sie ihren Befreier angefleht, sie nicht Sulimen zu überlassen. Aber sie wusste, es war am besten, sich zurückzuhalten.

Warum antwortete ihr Befreier nicht? Hoffentlich würde er jetzt nicht nachgeben. Sie hatte Angst, ihm in die Augen zu schauen.

„Meine Antwort lautet: Ich habe das Mädchen, und er nicht. Sie wird mir in Zuran City ein hohes Lösegeld einbringen, wenn ich sie zurück zu ihren Leuten bringe.“

„Niemand wird das Camp verlassen, bis ich es sage“, erwiderte der Führer entschieden. „Ich habe euch hier im Lager für eine spezielle Mission versammelt. Wenn wir Erfolg haben, wird uns das alle reich machen. Aber da ihr beide Anspruch auf das Mädchen erhebt, werdet ihr um sie kämpfen.“ Er nickte kurz. Bevor Katrina protestieren konnte, wurde sie schon von zwei Männern weggeführt.

Ängstlich blickte sie sich um und sah, wie El Khalid ihrem Retter seinen scharfen Dolch zuwarf.

Das Herz schien ihr fast stillzustehen, als er und Sulimen jetzt miteinander zu kämpfen begannen. Auch Sulimen hielt einen Dolch in der Hand und holte sofort zum ersten Stoß aus. Die anderen Männer hatten sich in einem Kreis um sie versammelt.

Da sie zwischen ihren beiden Wächtern eingekeilt war, konnte Katrina immer nur kurze Blicke auf das Kampfgeschehen erhaschen. Als ihre Wächter sie verschleppten, hatten die zwei Männer ihre Tunikas abgelegt und kämpften jetzt mit entblößtem Oberkörper gegeneinander.

Inzwischen war es ganz dunkel. Laternen beleuchteten die Szene, die Katrina wie aus einer anderen Welt erschien.

Nur das schwere Atmen der beiden Männer und das Stampfen ihrer Füße auf dem staubigen Boden erfüllte die Luft.

Dann hörte sie, wie einer der beiden einen Schmerzensschrei ausstieß.Einer der Wächter nickte beifällig, und ein paar Tropfen Blut fielen zu Boden. Ängstlich sah Katrina den Kämpfenden zu. Hoffentlich war der Mann mit den bernsteinfarbenen Augen nicht schwer verletzt. Eigentlich merkwürdig, sie hätte sich vor allem um ihre eigene Sicherheit sorgen müssen. Aber sie konnte nur an ihn denken und wäre ihm gern zu Hilfe geeilt.

Dann hörte sie ein zweites Stöhnen, aber diesmal schien der andere getroffen zu sein.

„Tuareg“, riefen die beiden Männer neben ihr aus. Sie applaudierten begeistert.

Der Kampf schien ewig zu dauern und nahm an Grausamkeit immer mehr zu. Katrina konnte kaum noch zusehen, ihr war übel.

Endlich war es vorbei, die Männer brachen in Beifallsrufe aus. Dann führte man sie in die Mitte des Kreises, wo die beiden Kämpfer mit dem Führer standen.

Sie hatte nur Augen für einen von ihnen und hoffte sehr, dass er den Kampf gewonnen hatte. Erleichtert vernahm sie im nächsten Moment das Wort „Tuareg“ aus den Kehlen der Männer. Dann hob ihr Befreier mit einer Siegergeste beide Dolche in die Höhe, während sein Gegner neben ihm zu Boden sank.

Als er sich umdrehte, erkannte Katrina schockiert, dass auch er verletzt war. Eine tiefe Wunde zog sich über seine Wange, aus der Blut tröpfelte. Auch die Brust schien getroffen zu sein, und am rechten Arm hatte er eine tiefe Schnittwunde.

Erneut spürte sie die Übelkeit in sich aufsteigen, aber sie ignorierte diese und zwang sich, ihren Blick von seiner entblößten Brust abzuwenden. Sulimen hingegen schien überhaupt nicht verwundet zu sein, was Katrina erstaunte, denn der Tuareg hatte offensichtlich den Kampf gewonnen.

„Hier ist dein Preis“, sagte El Khalid feierlich zu ihm und zeigte auf Katrina. „Nimm sie dir!“

Bildete sie es sich nur ein, oder war die kleine Verbeugung, die ihr Befreier in Richtung des Führers machte, leicht spöttisch? Falls dem so war, schien es jedenfalls außer ihr niemandem aufgefallen zu sein.

Noch immer schenkte der Tuareg ihr keine Beachtung. Stattdessen gab er El Khalid seinen Dolch zurück und bückte sich, um nach seiner Tunika zu greifen.

Anstatt seinen Dolch in die Scheide zu stecken, stürzte Sulimen sich in diesem Augenblick mit gezückter Waffe auf ihn und wollte sie ihm in den Rücken stoßen.

Katrina stieß einen Schrei aus, aber es schien, als hätte sein eigener Instinkt den Tuareg gewarnt. Im letzten Moment sprang er beiseite, wirbelte herum und riss seinem Gegner die Waffe aus der Hand.

Dann wurde Sulimen von drei Männern gepackt und fortgeschleift. Als ob nichts passiert wäre, griff ihr Befreier ruhig nach seiner Tunika und legte sie an. Danach bedeutete er ihr mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen.

Er ging so schnell, dass sie ihn kaum einholen konnte. Als sie ihn endlich erreicht hatte, blieb er stehen und sah sie tadelnd an.

„Du sollst nicht neben mir, sondern hinter mir gehen“, beschied er ihr kühl.

Sie traute ihren Ohren nicht. Was fiel ihm ein! Sie sollte hinter ihm gehen? Das verbot ihr der weibliche Stolz.

„Ich denke ja gar nicht daran“, erwiderte sie empört. „Ich bin nicht dein … dein Vieh … und außerdem gehen in Zuran die Männer immer neben ihren Partnerinnen über die Straße.“

„Wir sind aber nicht in Zuran, sondern in der Wüste. Du gehörst jetzt mir, und ich kann mit dir machen, was ich will.“

Ohne ihre Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging schnell auf die Zelte zu, die hinter einer felsigen Mulde vor den Blicken Fremder verborgen waren.

Davor brannten mehrere Feuer. Frauen in dunklen Gewändern rührten das Essen in großen Töpfen. Beim köstlichen Duft der Speisen fiel Katrina auf, wie lange sie schon nichts mehr gegessen hatte.

Sie war nicht überrascht, als ihr Befreier sie nun zu einem Zelt führte, das ein wenig abseits von den anderen lag.

Davor stand ein alter Geländewagen, dahinter war sein Pferd an einem Pfosten angebunden. Es wurde gerade gefüttert und dabei von einem kleinen Jungen bewacht. Aber Katrina hatte keine Zeit, ihre Umgebung gebührend betrachten zu können. Ihr Begleiter packte sie am Handgelenk und zog sie unsanft in das Innere des Zeltes.

Solche Zelte hatte sie bereits gesehen, und zwar auf einer Ausstellung in Zuran City, die dem Leben der Nomaden gewidmet war. Aber sie hätte sich nie träumen lassen, es einmal aus nächster Nähe zu sehen. Mehrere Lampen warfen ein weiches Licht auf den zentralen Platz in der Mitte, der mit herrlichen Teppichen und dem traditionellen Diwan ausgestattet war. Auf dem Boden lagen Kissen verstreut, außerdem gab es einen niedrigen Holztisch, auf dem eine Kaffeekanne stand.

Plötzlich musste sie daran denken, was an diesem Tag alles passiert war. Tränen schossen ihr in die Augen, und sie spürte ihre Erschöpfung.

„Warum weinst du? Vermisst du deinen Liebhaber? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dasselbe empfindet wie du. Sonst hätte er dich bestimmt nicht Hals über Kopf verlassen.“

Katrina sah ihn entgeistert an. „Richard ist nicht mein Liebhaber! Er ist ein verheirateter Mann …“

„Natürlich ist er dein Liebhaber. Warum würde er dich sonst an einen so verlassenen Ort bringen?“ Ein zynisches Lächeln umspielte seine Lippen, sein Blick war kühl.

„Er hat mich gezwungen …“

„Selbstverständlich!“ Natürlich glaubte er ihr nicht.

Sie sah ihn herausfordernd an.

„Kannst du mir bitte einmal sagen, warum du dich als Tuareg verkleidet hast? Offensichtlich bist du doch gar kein …“

„Sei still!“, fuhr er sie ärgerlich an.

„Nein, ich denke nicht daran. Ich habe dich nämlich schon einmal gesehen, und zwar im Souk von Zuran City. Vielleicht erinnerst du dich nicht, aber wir …“

Sie stieß einen gedämpften Schrei aus, als sie seine Hand auf ihrem Mund spürte. Die Warnung in seinem Blick war unübersehbar. Er wiederholte seine Worte noch einmal.

„Du sollst jetzt still sein.“

Katrina reichte es langsam. Zuerst hatte man sie entführt, dann bedroht, und nun dies! Zornig biss sie in die Hand. Überrascht bemerkte sie den leicht salzigen Geschmack seines Blutes. Mit einem Fluch riss er die Hand fort.

„Du bist ja eine richtige Wildkatze!“, rief er aus und wischte das Blut an seiner Tunika ab. „Aber es wird dir nicht gelingen, mich zu vergiften. Na los, reinige die Wunde!“

Katrina sah ihn mit geröteten Wangen an. Sie war selbst schockiert über das, was sie getan hatte. Gleichzeitig war sie noch immer empört über die Behandlung, die er ihr angedeihen ließ. Diese verletzte ihren weiblichen Stolz. Und es gab noch etwas anderes – das Bewusstsein einer Gefahr, die etwas Erregendes hatte. Unwillkürlich gingen ihre Gedanken in eine ganz bestimmte Richtung. Konnte es sein, dass sie ihn begehrte? Und wollte sie vielleicht sogar mehr von ihm?

Nein, das war lächerlich! Sie waren sich jetzt so nah, dass sein heißer Atem ihre Wange streifte. Wortlos nahm sie das Tuch entgegen, das er ihr reichte, tauchte es in die Schale mit Wasser, die neben ihr stand, und tupfte damit vorsichtig die Wunde ab.

Dann entzog er ihr die Hand plötzlich und trat einen Schritt zurück. Seine Stimme klang rau, als er sagte: „Lass das! Du richtest sonst noch mehr Schaden an.“

„Warum benimmst du dich so unmöglich?“, begehrte sie zu wissen. „Wer bist du überhaupt? Als ich dich im Souk gesehen habe, wirktest du wie ein Europäer.“

„Ich verbiete dir, so etwas zu sagen. Du weißt nichts über mich.“

Sie spürte die Feindseligkeit, die von ihm ausging, aber sie ließ sich davon nicht beirren.

„Ich weiß, dass du kein Tuareg bist“, beharrte sie.

„Ach ja?“ Plötzlich klang er nicht mehr ärgerlich, sondern amüsiert.

„Ja“, erwiderte sie mutig. „Ich habe nämlich eure Geschichte studiert, und ich weiß, dass kein echter Tuareg jemals sein Gesicht in der Öffentlichkeit entblößen würde. Aber genau das hast du in der Gasse getan.“

Danach herrschte eine Weile Stille. Dann sagte er mit einem warnenden Unterton: „An deiner Stelle würde ich alles vergessen, was ich damals in Zuran City gesehen habe.“

Katrina holte tief Luft. „Wirst du mir jetzt endlich sagen, wer du bist?“

Ein paar Sekunden lang hoffte sie, dass er ihre Frage tatsächlich beantworten würde. Doch dann zuckte er nur die Schultern.

„Wer ich bin, ist völlig unwichtig. Aber was ich tue, ist von größter Bedeutung. Diejenigen von uns, die El Khalid Gefolgschaft leisten, haben gute Gründe dafür. Wir leben außerhalb des Gesetzes, wie du wahrscheinlich weißt. Es wäre besser für dich, wenn du das nie vergisst.“

„Heißt das, du bist ein Krimineller?“, fragte sie. „Ein Flüchtling?“

„Du stellst zu viele Fragen. Ich versichere dir, du willst gar nicht wissen, wer ich in Wirklichkeit bin.“

Sie bemühte sich, ein Frösteln zu unterdrücken.

„Nun, dann sag mir doch wenigstens, wie ich dich nennen soll“, forderte sie ihn auf.

Er zögerte kurz und nickte dann.

„Du kannst mich …“ Xander verstummte. Ihr seinen wahren Namen, nämlich Allessandro, zu nennen, das war unmöglich. Dann hätte man ihn zu leicht wiedererkannt. Hier in diesem Rebellencamp, wo es allgemein respektiert wurde, wenn ein Mann seine Identität geheim hielt, nannten ihn alle nur den „Tuareg“. Er hatte sich selbst den Familiennamen Sadeen gegeben, was ein sehr gebräuchlicher Name in Zuran war. Aber aus irgendeinem Grund, den er sich selbst nicht recht erklären konnte, wollte er nicht, dass diese Frau ihn „Tuareg“ nannte.

„Du kannst mich Xander nennen“, sagte er schließlich. Xander war die Kurzform seines Namens und wurde nur von denen benutzt, die ihm sehr nahe waren, wie zum Beispiel seinem Halbbruder oder seiner Schwägerin. Daher bestand auch nicht die Gefahr, dass er von irgendjemandem wiedererkannt werden würde.

„Xander?“, fragte Katrina stirnrunzelnd. „Das ist ja sehr ungewöhnlich. Ich glaube nicht, dass ich den Namen schon jemals gehört habe.“

„Meine Mutter hat mich so genannt“, informierte er sie. „Und wie heißt du?“

„Ich heiße Katrina Blake“, erwiderte sie. Sie zögerte kurz, dann stellte sie ihm die Frage, die sie wirklich bewegte. „Wie lange werde ich … Wann kann ich nach Zuran City zurückkehren?“

„Das kann ich dir nicht sagen. El Khalid hat den Befehl gegeben, dass niemand das Lager ohne seine Erlaubnis verlassen darf.“

Einen Moment lang war Katrina versucht zu fragen, was sie zu der Oase geführt habe. Es brannte ihr tatsächlich auf den Lippen, aber die Vorsicht gebot ihr, sich zurückzuhalten.

„Bleib hier“, befahl er ihr dann. „Am besten, du verlässt das Zelt nicht.“

„Wohin gehst du?“, fragte sie erschrocken, als er auf den Ausgang zuging.

Er drehte sich zu ihr um. „Ich will mich umziehen. Meine Kleidung ist völlig verschmutzt, wie du sicher bemerkt hast.“

Katrina errötete.

„Was ist mit deinen Wunden?“, fragte sie. „Solltest du sie nicht behandeln lassen?“

Er zuckte die Schultern. „Das sind doch nur Kratzer, nicht weiter schlimm. Sie werden bald verheilt sein.“

Plötzlich fiel ihr etwas ein. „Warum hat Sulimen eigentlich den Kampf verloren? Du warst doch derjenige, der verletzt wurde.“

„Das Ziel ist nicht, den anderen zu verwunden, sondern ihn zu entwaffnen“, erwiderte er.

Als er sich wieder umdrehte, sah sie sehnsuchtsvoll zum Ausgang.

„Es liegen zweihundert Meilen Wüste zwischen hier und Zuran City“, sagte Xander völlig emotionslos.

Sein Ton ließ Katrina verzweifeln. Die Wüste war wie ein Gefängnis – ein natürliches Gefängnis, aus dem sie nicht entkommen konnte. Natürlich wusste er das. Aber wusste er auch, welche Ängste sie ausgestanden hatte, als Sulimen sie zur Trophäe haben wollte? Wie erleichtert sie gewesen war, als er sich eingemischt hatte? Wie komplex und widersprüchlich die Gefühle waren, die sie für ihn empfand? Hoffentlich nicht, dachte Katrina. Schon jetzt fühlte sie sich in seiner Gegenwart viel verletzlicher, als gut für sie war.

Entschlossen sah sie ihn an.

„Damit wirst du nicht durchkommen“, sagte sie ruhig. „Richard wird die Polizei benachrichtigen, und dann …“

„Wir sind hier im Niemandsland. Weder dein Liebhaber noch die Behörden können uns etwas anhaben“, erwiderte er kurz.

„Richard ist mein Boss, nicht mein Liebhaber.“ Ihre Wangen glühten, als sie den Blick sah, mit dem er sie betrachtete.

„Warum habt ihr euch dann ganz allein in der Wüste aufgehalten, an einem so verlassenen Ort? Es überrascht mich allerdings nicht, dass du euer Verhältnis leugnest. Schließlich hat er dich feige im Stich gelassen.“

„Bestimmt hat er geglaubt, es wäre besser, wenn wenigstens einer von uns beiden Hilfe holt“, sagte Katrina. „Wem hätte es schon genutzt, wenn wir beide gefangen genommen worden wären?“

„Wem es genutzt hätte? Das ist sehr europäisch gedacht. Vergiss nicht, wir sind in der Wüste. Hier gelten ganz andere Gesetze. In unserer Kultur verhalten wir uns anders unseren Frauen gegenüber. Wir verpflichten uns, sie mit unserem Leben zu beschützen. Aber solche Werte gelten bei euch nicht, oder? Ich würde mir lieber das Herz aus der Brust reißen, als die Frau zu verlassen, der es gehört.“

Katrina überlief plötzlich ein Schauer. Die Intimität, die aus seinen Worten geklungen hatte, erinnerte sie wieder an ihre verbotenen sinnlichen Gedanken. Hatte sie sich nicht immer nach einem solchen Mann und nach einer solchen Liebe gesehnt? Und hatte sie sich nicht gleichzeitig gesagt, dass sie sich nach etwas verzehrte, was nicht existierte? Hatte sie nicht alles versucht, um diese Hoffnungen zu begraben, und sich stattdessen auf die Realität konzentriert?

Plötzlich musste sie schlucken und wandte sich ab.

„Dann geh doch, wenn du willst“, meinte er kühl. „Wenn Sulimen dich nicht erwischt, wird es die Wüste tun.“

Sie antwortete nicht. Wie konnte sie fliehen, wenn ihr klar war, dass er die Wahrheit sprach?

Wortlos verließ er sie, um seine Kleidung zu wechseln.

Katrina fühlte sich schwach und hilflos. Das Zelt und sein Bewohner waren ihr Gefängnis und ihr Wächter. Aber hier war sie wenigstens sicher.

Trotzdem durfte sie niemals vergessen, wer dieser Mann war. Sie hatte vor nicht allzu langer Zeit einen Artikel gelesen, in dem es darum ging, dass eine Gefangene sich in ihren Wärter verliebt hatte. Das durfte ihr nicht passieren. Aber warum dachte sie überhaupt daran?

Weil er sie geküsst hatte? Mit einem Mal bekam sie Kopfschmerzen, und ihr war übel. Die Mischung aus Furcht und Erregung war einfach zu viel für sie.

Unruhig begann sie, im Zelt auf und ab zu gehen. Nervös lauschte sie auf jedes Geräusch. Deshalb war sie überrascht, als Xander plötzlich vor ihr stand, denn sie hatte ihn gar nicht kommen hören.

Er trug jetzt eine blütenweiße Tunika, sein Kopf war unbedeckt. Im fahlen Licht der Lampe konnte sie die feinen Härchen auf seiner Brust sehen.

Dieser Anblick löste etwas in ihr aus, tief in ihrem Inneren, unbekannte Gefühle, die sie sich nicht erklären konnte.

Er schien sich auch gewaschen zu haben, denn sein Haar war noch ganz nass. Als er auf sie zukam, nahm sie erneut den Duft seines Eau de Cologne wahr, der ihr jetzt schon so vertraut vorkam. Ihr Herz schlug schneller, und sie räusperte sich nervös.

Der Gegensatz zwischen seiner sauberen Erscheinung und ihrem eigenen, verschwitzten Äußeren war für Katrina schwer zu ertragen. Doch das war es nicht allein. Er machte sie nervös. Sie versuchte, den Blick von ihm abzuwenden, als er jetzt begann, das Gewand anzulegen.

Um ihre Verlegenheit zu überspielen, fragte sie ihn: „Wie lange willst du mich eigentlich hierbehalten?“

„So lange wie nötig.“

Sie musste schlucken. „Was … was willst du tun?“ Ob er ahnte, wie verunsichert sie war?

Er sah sie spöttisch an. „Tun?“

„Ich …“ Sie schwieg und machte dann einen erneuten Versuch. „Ich meine, wirst du dich mit unserem Team in Verbindung setzen und ihnen sagen, dass ich …“

„Du stellst zu viele Fragen. In deinem Land gibt es doch ein Sprichwort über Neugier, oder?“

„Ja, wir sagen: Neugier verdirbt alles“, erwiderte sie.

„An deiner Stelle würde ich mich eher fragen, ob deine Leute bereit sind, dich freizukaufen, und wenn ja, zu welchem Preis. Das ist wichtiger als die Frage, ob ich sie über deinen Aufenthaltsort informieren werde.“

Sie spürte Panik in sich aufsteigen, aber sie weigerte sich, dieser nachzugeben. Nach dem Tod ihrer Eltern war sie völlig auf sich gestellt gewesen, und das in noch sehr jungen Jahren. Aber es hatte sie auch gelehrt, sich der Realität zu stellen, egal, wie bitter das manchmal war.

Jetzt drängte sich ihr eine sehr unangenehme Frage auf, auf die sie eine Antwort finden musste. Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen.

„Was ist, wenn … wenn sie das Lösegeld nicht zahlen können?“

Er schwieg eine Weile. In seinen Augen blitzte etwas auf, was sie sich nicht erklären konnte.

„In diesem Fall muss ich meine Ware auf einem größeren Markt anbieten“, antwortete er. Als sie ihn verständnislos ansah, fügte er hinzu: „Was glaubst du, wer wird sonst noch gut für eine attraktive junge Frau bezahlen?“

Sie sah ihn entsetzt an. Das … das konnte doch nicht sein Ernst sein. Konnte er … würde er tatsächlich …

Wortlos legte er den Turban an, schlüpfte in ein Paar Sandalen und verließ das Zelt, ohne ihr auch noch einen Blick zu gönnen.

Jetzt war sie allein. Er war fort. Wenn sie wollte, konnte sie fliehen. Aber wohin? Bestimmt war das Camp gut bewacht. Schließlich handelte es sich bei den Männern, die sie gefangen hielten, um Gesetzlose. Bei einem Fluchtversuch würde man sie gewiss gewaltsam zurückholen. Und selbst wenn ihr die Flucht gelingen sollte, wusste Katrina, dass sie es nicht zu Fuß bis nach Zuran City schaffen würde. Nein, sie hatte keine andere Möglichkeit, als brav hier zu warten, bis ihr Wärter wieder zurückkam und ihr sagte, was er mit ihr vorhatte.

Aber was konnte das sein?

Wie sollte sie sich verhalten, wenn er plötzlich herausfand, dass er sie begehrte? Bei diesem Gedanken fing ihr Herz heftig zu klopfen an. Die Vorstellung war sehr aufregend.

Neugierig sah sie sich im Inneren des Zelts um. Offensichtlich lohnte sich sein unehrenhaftes Leben. Davon zeugte jedenfalls die reiche Ausstattung.

Die Teppiche auf dem Boden und an den Wänden waren feinste Knüpfarbeit und von besserer Qualität als alles, was sie im Souk gesehen hatte. Vorsichtig strich Katrina mit dem Finger darüber. Das bestimmende Motiv auf dem Teppich war der Lebensbaum. Die Seidenfäden fühlten sich so warm an, als wären sie lebendig.

Auf dem reich geschnitzten Diwan waren prächtige Kissen aufgestapelt, sie glitzerten wie Juwelen. Die flackernden Öllampen warfen geheimnisvolle Schatten in den Raum, die die Sinnlichkeit der ganzen Umgebung noch betonten. Rechts vom Diwan lag eine Laute auf dem Boden, und an einer Wand stand ein Regal mit vielen Büchern darin.

Neugierig trat Katrina darauf zu und betrachtete sie. Das erste Buch, das ihr ins Auge fiel, war The Rubaiyat of Omar Khayyam, ein Gedichtband persischer Mystik. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie stellte das Buch ins Regal zurück und ließ sich auf einem der Kissen nieder. Noch immer hatte sie schreckliche Kopfschmerzen, sie fühlte sich physisch und psychisch erschöpft. Müde schloss sie die Augen.

Nachdenklich ging Xander durch die Reihe der anderen Zelte auf sein Zelt zu. Er sah kurz nach seinem Pferd. Als dieses ihn erblickte, wieherte es freudig auf und rieb den Kopf gegen seine Schulter. Der Junge, den er fürs Aufpassen bezahlte, sprang vom Boden auf und setzte sich dann langsam wieder, als er ihn erkannt hatte.

Katrinas Bemerkung über seine europäische Erscheinung nagte an ihm. Er musste wieder an seine Mutter denken, die von allen Zuranesen geliebt und respektiert worden war – mit Ausnahme von Nazir und Nazirs Vater. Wie ihm sein Halbbruder erzählt hatte, hatte sie mit Freuden die Lebensgewohnheiten ihres Mannes angenommen. Sie hatte die Wüste und die Menschen darin geliebt. Aber natürlich hatte sie nie ganz zu ihnen gehört, genauso wenig, wie er ganz zu ihnen gehörte. Sein Vater hatte darauf bestanden, dass er eine europäische Erziehung bekam, denn er wollte ihm dadurch ermöglichen, sein kulturelles Erbe kennenzulernen. Außerdem hatte er natürlich das Versprechen halten wollen, das er seiner Frau auf dem Sterbebett gegeben hatte. Aber Xander hatte nie das Gespräch vergessen, das sein Vater eines Tages mit einem britischen Kolonialbeamten geführt hatte, der die Aufgabe gehabt hatte, ihn nach England zu begleiten.

„Das Problem ist, der Junge lebt zwischen zwei Welten“, hatte der Diplomat kritisch bemerkt.

Und er hatte recht gehabt, wie Xander inzwischen wusste. Während ein Teil von ihm immer in die Wüste gehören würde, gab es einen anderen Teil, der sich auf dem diplomatischen Parkett in Washington, London und Paris sehr wohl fühlte. Er schätzte die Arbeit, die er dort für Zuran machen konnte, sie verschaffte ihm große Befriedigung. Als Junge war er unter seinen zuranesischen Verwandten aufgewachsen, die ihn mit Liebe überschüttet hatten. Aber die ganze Zeit über hatte er gewusst, dass er anders war als sie. Er war kein Europäer, aber er war auch nicht nur Zuranese.

Aus diesem Grund und durch den Verlust seiner Mutter trug er immer ein Geheimnis mit sich herum – und die Bürde seines Gefühls der Isolation.

Irgendwie war es Katrina gelungen, diese Mauer zu durchbrechen und die Dunkelheit zu berühren, die in seiner Seele verborgen lag. Nicht allein deshalb wünschte er sich aus ganzem Herzen, dass sie möglichst bald wieder aus seinem Leben verschwand.

Als Kind war ihm sein Erbe aus zwei Kulturen eher als Quelle der Verwirrung und als Bedrohung erschienen. Aber als Erwachsener hatte er das Ganze in einem viel positiveren Licht gesehen, und es war ihm gelungen, seine Talente zum Wohle anderer einzusetzen. Trotzdem war ihm bewusst, dass es einige Leute gab, die ihn wegen seiner Herkunft verachteten.

Mit Unterstützung seines Halbbruders hatte er hart dafür gearbeitet, die Beziehungen seines Landes zum Rest der Welt zu verbessern. Tatsächlich war ihm dafür auch die Ehre zuteil geworden, als Sonderbotschafter von Zuran durch die Welt reisen zu können. Zu seinen Aufgaben gehörte dabei unter anderem auch ein Programm, das er selbst entworfen hatte und in dem es um einen Studentenaustausch zwischen europäischen Studenten und solchen aus dem Nahen Osten ging. Das Ziel war, die Verständigung zwischen beiden Gruppen zu fördern, und es war so erfolgreich gewesen, dass man ihn sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen hatte.

Aber im Moment war ihm nicht nach Frieden zu Mute, denn seine Gefühle befanden sich in einem heftigen Aufruhr. Daran war nur Katrina Blake schuld! Mit allem, was seine Pläne möglicherweise durchkreuzen könnte, hatte er gerechnet, aber nicht mit dem Auftauchen einer Frau wie ihr. Sie war eine Gefahr für sich selbst und auch für ihn. Außerdem erstaunte ihn ihr Verhalten. In ihrer Situation wäre es normal gewesen, mit Furcht zu reagieren. Stattdessen hatte sie ihn mit Fragen bestürmt und provoziert. Sie konnte alles ruinieren, sie stellte ein Risiko für seine geheime Mission dar, das er sich nicht leisten konnte. Hätte El Khalid nicht den ausdrücklichen Befehl gegeben, dass niemand das Lager verlassen durfte, hätte er sie sofort heimlich aus dem Camp geschafft und dafür gesorgt, dass sie so schnell wie möglich zu ihren Freunden zurückkehrte. Und dann hätte er in Ruhe seine Arbeit fortführen können.

Aber stattdessen …

Wahrscheinlich war es ein Fehler gewesen, sich einzumischen. Er hätte sie Sulimen und ihrem Schicksal überlassen sollen. Plötzlich musste er wieder an ihren Kuss denken. Ihre Lippen hatten nach Rosen geduftet und nach Honig sowie Mandeln geschmeckt. Ihr Körper war so grazil wie der einer jungen Gazelle, und ihre Augen …

Er zwang sich, seine Gedanken im Zaum zu halten. Seine Schwägerin, die sich nichts sehnlicher wünschte, als dass er endlich heiraten würde, hatte ihm bereits ein halbes Dutzend möglicher Kandidatinnen vorgestellt. Aber keine von ihnen hatte ihn interessiert. Sie waren alle viel zu nett gewesen, zu brav, zu langweilig. Sanfte kleine Tauben, die immer tun würden, was der Mann ihnen sagte. Doch das wollte er nicht, er sehnte sich nach einer unabhängigen Frau, nach einer wilden Wüstenfalkin, die nur von einem einzigen Mann gezähmt werden konnte – und auch dann nur zu ihren eigenen Bedingungen.

Eine Frau, die in seinen Armen leidenschaftlich dahinschmelzen würde, die ihm etwas entgegensetzen konnte. Eine Frau, die sich ihm mit allem, was sie besaß, hingeben würde und die dasselbe auch von ihm erwartete. Eine Frau, mit der er durch die Wüste reiten konnte, für die er Musik spielen und der er Gedichte vortragen konnte. Eine Frau, wie seine Mutter es gewesen war und die doch ganz einzigartig sie selbst war.

Vor langer Zeit hatte er entschieden, dass es eine solche Frau nicht gab. Das glaubte er eigentlich immer noch. Bestimmt war Katrina Blake keine solche Frau. Wie auch?

Warum verschwendete er überhaupt Gedanken an sie, wenn er sich besser auf seine Mission konzentrieren sollte? Er war sich inzwischen sicher, dass die wichtige Persönlichkeit, mit der El Khalid in Kontakt stand, Nazir war.

Obwohl er alles versucht hatte, ihren Führer dazu zu bewegen, ihm mitzuteilen, wann diese wichtige Person eintreffen würde, hatte El Khalid nur ausweichend erklärt, dafür gebe es noch keinen genauen Termin. Xander war gezwungen gewesen, sich damit zufrieden zu geben, denn natürlich wollte er El Khalid nicht misstrauisch machen.

Nazir hingegen konnte es sich nicht leisten, zu lange zu warten. Der Nationalfeiertag war in fünf Tagen, und er würde gewiss nicht erfreut über die Anwesenheit einer jungen Frau im Camp sein. Einer Frau, die ihn verraten konnte, wenn sie wieder zu ihren Leuten zurückkehrte. Von Nazirs Standpunkt aus gesehen wäre es gewiss ratsam, wenn dies nicht geschah.

In diesem Moment wehte Essensgeruch zu ihm herüber, und ihm fiel ein, dass er noch gar nichts gegessen hatte. Er ging hinüber zu einer der Kochstellen und häufte sich eine große Portion Lammragout auf den Teller, zusammen mit einem frisch gebackenen Fladenbrot.

3. KAPITEL

Das Erste, was Xander beim Betreten seines Zelts sah, war Katrina, die schlafend auf einem der Kissen lag. Ihr Gesicht war blass, sie wirkte erschöpft.

Stirnrunzelnd betrachtete er sie. Ihr Haar, das sie anfangs streng zurückgebunden trug, hatte sich gelöst, die Locken umrahmten ihr Gesicht. Plötzlich fiel ihm auf, wie hell ihre Haut war. Aber wahrscheinlich war dies nur eine Wirkung ihres Make-ups. Xander misstraute ihr, einschließlich der Lüge, die sie ihm erzählt hatte, dass sie in die Wüste verschleppt worden sei.

Wenn sie noch weiter in dieser Stellung lag, würde sie gewiss mit einem verkrampften Nacken aufwachen. Er stellte seinen Teller auf dem Tisch ab und kniete sich zu ihr nieder.

Seine Mutter hatte ebenfalls diese helle Haut gehabt. Deshalb war auch er nicht ganz dunkel, seine Haut besaß einen warmen Goldton.

Als er ihre perfekt geformten Brüste bemerkte, die sich unter der Bluse deutlich abzeichneten, biss er sich auf die Lippe. Sein Körper reagierte sofort auf sie, und er hielt schockiert den Atem an.

Natürlich hatte er schon viele junge Frauen gesehen, die spärlicher bekleidet gewesen waren und äußerst provozierend auf Männer wirkten. Er war selbst davon überrascht gewesen, wie wenig ihn das angesprochen hatte. Daher ärgerte er sich auch darüber, dass Katrinas Anblick ihn so erregte. Es ging einfach nicht, er wollte nicht, dass diese Frau ihn berührte.

Schließlich war er kein sexhungriger Teenager. Er hatte genug Erfahrung auf diesem Gebiet. Wenn ihn eine Frau interessierte, musste er nur die Hand ausstrecken. Es gab viele, die nur darauf warteten, mit ihm ins Bett zu gehen. Was war also an ihr so besonders? Sie war die Geliebte eines anderen Mannes. Eines verheirateten Mannes, wie er sich selbst sagte.

Stirnrunzelnd blickte er auf sie hinab und versuchte, die Botschaft zu ignorieren, die ihm sein Körper überdeutlich schickte. Denn am liebsten hätte er sie auf der Stelle hochgehoben und sie hinüber zu seinem Schlaflager getragen.

In diesem Moment rührte Katrina sich im Schlaf. Eine Locke fiel ihr in die Stirn. Automatisch streckte Xander die Hand aus und strich sie ihr zurück.

Sofort öffnete sie die Augen und sah ihn an. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie seinen intensiven Blick registrierte. Sie lag bewegungslos da, war ihm schutzlos ausgeliefert und wagte kaum zu atmen.

Xander streckte die Hand aus und strich ihr sanft über die Wange. Kleine Wellen der Erregung durchliefen sie und ließen sie erzittern.

Er zog die Hand zurück, sein Blick verdunkelte sich.

„Ich habe dir etwas zu essen gebracht“, sagte er kurz angebunden.

Katrina schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht hungrig.“

„Lügnerin“, erwiderte er und fragte ärgerlich nach: „Was ist? Ist unser Essen nicht gut genug für dich?“

„Nein, das ist nicht der Grund.“

„Sondern?“

„Ich … Richard …“

„Richard? Dein Lover?“

„Er ist nicht mein Lover. Er wäre es gern geworden, aber ich … Er hat mich reingelegt, er hat mich unter Drogen gesetzt und …“

Xander sah sie entgeistert an. „Er hat dich unter Drogen gesetzt? Und du hast Angst, ich könnte dasselbe tun?“ Er klang sehr zornig. „Warum sollte ich?“

Hartnäckig verweigerte sie ihm die Antwort.

„Glaubst du wirklich, ich würde dich unter Drogen setzen, um Sex mit dir zu haben?“

Sie errötete. Der Gedanke, mit ihm Sex zu haben, war alles andere als abstoßend.

„Selbst wenn es so wäre … essen die Nomaden nicht immer zuerst, noch vor ihren Frauen?“

„Vor ihren Frauen? Aber du bist nicht meine Frau, oder? Eine andere Sitte ist, dass der Gast bei uns stets Vorrang hat.“

„Ich bin aber nicht dein Gast.“ Sie sah ihn scharf an. „Ich bin deine Gefangene!“

Er stand auf, holte den Teller und tunkte das Brot in die Sauce. Das Lammfleisch duftete köstlich.

Katrina sah ihm hilflos beim Essen zu. Ihr war flau vor Hunger. Xaver ließ sich durch sie nicht stören und verzehrte in aller Ruhe seine Mahlzeit. Zwischen zwei Bissen sagte er: „Erzähl mir mehr über deinen Liebhaber …“

„Er ist nicht mein Liebhaber“, erwiderte sie erregt. „Das habe ich dir doch schon gesagt.“

„Aber du warst damit einverstanden, mit ihm ganz allein in die Wüste zu fahren.“

„Nein! Wir waren auf einer Expedition … eine ganze Gruppe von uns. Wir untersuchen die Fauna und Flora der Gegend. Richard hat mich unter einem Vorwand in seinen Wagen gelockt und dann …“

Er spürte, dass die Gefühle sie zu überwältigen drohten.

„Als mir klar wurde, was er im Schilde führte, war es schon zu spät. Dann hielt er bei der Oase an, und ich habe gehofft, es würde mir gelingen, ihn abzulenken und zu fliehen.“

„Ihn abzulenken? Wie denn? Ich kann es mir schon vorstellen. Schließlich gibt es nur eine Möglichkeit, wie eine Frau einen Mann ablenken kann.“

Jetzt hatte Katrina genug!

„Du bist genauso schlimm wie Richard“, sagte sie heftig. „Du verstehst überhaupt nichts! Glaub doch, was du willst! Es ist mir egal!“

„Mir ist es auch egal. Jedenfalls, was dein Liebesleben betrifft. Das Einzige, was mich interessiert, ist dein finanzieller Wert.“

Er schob ihr den Teller hin.

„Hier! Ich verspreche dir, ich habe nichts ins Essen gemischt. Nun probier schon!“

Sie sah ihn erleichtert an. Einen Moment lang hatte sie befürchtet, dass er … Eigentlich wusste sie gar nicht genau, was sie befürchtet hatte. Aber jetzt fand sie ihn schon viel netter.

Das Lammragout schmeckte so gut, wie sie erwartet hatte. Sie war wirklich unglaublich hungrig.

Als sie mit dem Essen fertig war, sagte Xander zu ihr: „Ich muss mit El Khalid ein paar Dinge besprechen und mich auch um mein Pferd kümmern. Aber zuerst zeige ich dir, wo du schlafen kannst.“

Katrina war so müde, dass sie kaum die Augen offen halten konnte. Erschöpft folgte sie ihm in den anderen Teil des Zelts, der durch einen schweren Vorhang vom Wohnbereich abgetrennt war.

Es dauerte ein paar Minuten, bis sie sich an das schattige Halbdunkel gewöhnt hatte. Erst dann sah sie das große Bett mit den vielen Kissen.

„So, wenn du hier durchgehst, findest du die Dusche und …“

„Eine Dusche!“ Sie sah ihn erleichtert an. Der Gedanke, den Staub endlich von ihrer Haut abwaschen zu können, war sehr verlockend. Aber noch mehr faszinierte sie der Anblick des Bettes – seines Bettes!

Doch er hatte sich bereits von ihr abgewandt. Noch bevor sie etwas sagen konnte, war er verschwunden und ließ sie in der halbdunklen Kammer zurück. Neugierig sah Katrina sich um. Das Bett war groß genug für zwei Leute. Hinter dem Schlafbereich befand sich ein kleines Bad mit Dusche und Toilette. Es war zwar einfach, aber sehr sauber. Sie konnte sich im Moment nichts Besseres wünschen.

Da sie nicht wusste, wann Xander zurückkommen würde, beeilte sie sich mit dem Duschen. Nach kurzem Zögern wickelte sie sich in eines der luxuriösen Badetücher, die aufgestapelt in einem Regal lagen. Gehörten sie vielleicht jemand anderem? Oder stammten sie aus einem Diebstahl? Trotz ihrer moralischen Skrupel war ihr klar, dass sie keine Alternative hatte. Danach wusch sie schnell ihre Unterwäsche.

Als sie alles erledigt hatte, konnte sie nur noch ins Bett kriechen. Hier fiel sie sofort in einen tiefen Schlaf, noch immer eingehüllt in das Badetuch.

Die Versammlung von Abtrünnigen, die sich um El Khalid geschart hatten, war fast vollzählig, als Xander sich zu ihnen gesellte. Er ließ sich mit gekreuzten Beinen auf dem Boden nieder.

„Du bist spät dran, Tuareg“, bemerkte einer von ihnen anzüglich.

„Wahrscheinlich war er zu sehr damit beschäftigt, seinen Preis zu genießen“, warf ein anderer ein und setzte warnend hinzu: „Du solltest besser vorsichtig sein, Tuareg. Sulimen macht kein Geheimnis daraus, dass er glaubt, das Mädchen gehöre rechtmäßig ihm.“

Xander zuckte nur die Schultern.

„Sulimen kann mir drohen, so viel er will, das Mädchen bleibt bei mir. Was mich interessiert, ist die Frage, ob El Khalid bereits mehr über die geheimnisvolle wichtige Person erzählt hat, die uns alle reich machen soll“, sagte er.

Die anderen schüttelten die Köpfe, und im nächsten Moment betrat El Khalid den Versammlungsort, begleitet von seinen Leutnants.

Zwei Stunden später wussten die Männer immer noch nicht viel mehr, obwohl sie ihren Führer mit Fragen bestürmt hatten. Aber er wollte ihnen nichts über die Identität des Mannes verraten, der zur Oase kommen wollte. Xander vermutete, dass er höchstwahrscheinlich auch nicht viel mehr wusste als sie.

Gegen Mitternacht war die Versammlung dann zu Ende, und er schlug den Rückweg ein. Kurz vor seinem Zelt sah er noch einmal nach seinem Pferd und nach dem kleinen Jungen, der darauf aufpassen sollte. Auch er schlief bereits.

Der Junge war eine Waisenkind, das ihm irgendwann einmal zugelaufen war. Wenn alles vorbei war, würde Xander seinen Halbbruder bitten, sich um ihn zu kümmern und ihm eine gute Ausbildung zukommen zu lassen. Danach konnte er einen Job in einem seiner Ställe bekommen.

Im Zelt nahm er sein Handy aus der Tasche und schaltete es an. Er hatte dafür gesorgt, dass alle verdächtigen Informationen, die ihn hätten belasten können, bereits gelöscht waren. Dann wählte er schnell die Geheimnummer seines Halbbruders und sah immer wieder zum Eingang des Zelts, um sicherzugehen, dass er nicht gestört wurde.

„Kleiner Bruder!“

Die Freude in der Stimme seines Bruders war nicht zu überhören. Xander berichtete ihm von den Ereignissen der letzten Stunden und benutzte dabei den Code, den sie für solche Fälle vereinbart hatten.

„Hat man dich darüber informiert, dass eine junge Engländerin entführt wurde? Sie gehört zu einer wissenschaftlichen Expeditionsgruppe.“

„Ja, ich habe davon gehört“, bestätigte sein Bruder. „Der Leiter der Gruppe hat uns mitgeteilt, dass die Entführung etwa dreißig Meilen vor der Stadt in der Wüste stattgefunden hat. Natürlich lasse ich den Fall untersuchen.“

Xander runzelte die Stirn. Die Oase lag etwa zweihundert Meilen nördlich von Zuran City. Das bedeutete, Richard hatte gelogen, was den Ort der sogenannten Entführung betraf.

„Das Mädchen ist in Sicherheit, obwohl jemand versucht hat, es in Gefahr zu bringen. Ich werde weiterhin für die Sicherheit der jungen Frau sorgen.“

Dann beendeten sie ihr Gespräch. Xander dachte noch einmal über die neuen Informationen nach. Richard begehrte Katrina vielleicht, aber bestimmt liebte er sie nicht. Seine Verachtung für ihn wuchs von Minute zu Minute. Er hatte zwar Katrinas Behauptung, Richard habe sie unter Drogen gesetzt, nicht geglaubt. Denn schließlich war sie kein naives junges Ding, sondern eine unabhängige junge Frau, die bestimmt schon zahlreiche Affären mit Männern gehabt hatte.

Aber das hieß noch lange nicht, dass sie es verdiente, einem Mann wie Sulimen in die Hände zu fallen.

Sie mochte eine weitere Komplikation für seinen Plan bedeuten, doch er würde alles tun, um sie vor Sulimen zu beschützen. Schließlich war sie eine Frau, noch dazu eine Ausländerin. Es war seine Pflicht, auf sie aufzupassen.

Während ihres kurzen Gesprächs hatte sein Halbbruder ihn noch darüber informiert, dass Nazir angekündigt hatte, das Land für mehrere Wochen zu verlassen. Beiden wussten, dass dies nur ein Alibi war, das es ihm ermöglichen würde, sich mit El Khalid zu treffen und das Attentat sorgfältig zu planen.

Bestimmt wollte Nazir dann selbst den Thron besteigen, nachdem er den Herrscher aus dem Weg geräumt hatte. Xanders Halbbruder hatte zwar einen Sohn, doch der war noch viel zu jung und unerfahren für eine solche Aufgabe. Nazir musste von Anfang an jeden Verdacht zerstreuen, dass er irgendetwas mit dem geplanten Anschlag zu tun haben könnte. Nur so konnte er vom Regierungsrat gewählt werden.

Eines war klar – viel Zeit blieb Nazir nicht mehr, wenn er sein Ziel erreichen wollte.

Xander betrat den Schlafbereich seines Zelts und wickelte sich den Turban vom Kopf. Als er das blaue Tuch betrachtete, fiel ihm wieder Katrinas Bemerkung über seine Herkunft ein. Sie hatte damit nur zum Teil recht gehabt – tatsächlich stammte sein Vater zur einen Hälfte vom Stamm der Tuareg.

Katrina … Er mochte den Klang ihres Namens. Ein Dichter oder ein Liebhaber hätten dazu bestimmt ein Gedicht gemacht. Als junger Mann hatte Xander einmal geglaubt, dass es ihm beschieden sei, Gedichte zu schreiben. Wollte er ihr Liebhaber sein? Er war sich nicht sicher.

Er legte das Tuch zur Seite, trat zum Bett und sah nachdenklich auf Katrina hinab. Sie hatte sich in ein flauschiges Badetuch eingehüllt und schien tief und fest zu schlafen. Ihr Kopf lag auf ihrem Arm, sie wirkte fast kindlich. Das Badetuch schien verrutscht zu sein, und er konnte eine ihrer rosigen Brustspitzen erblicken.

Der Anblick löste heftiges Begehren in ihm aus.

Aber wenn er sie jetzt berührte, wäre er nicht besser als Sulimen. Daher zwang er sich, an ihr vorbei in das kleine Badezimmer zu gehen. Hier legte er seine Kleidung ab und nahm dann eine lauwarme Dusche.

In der Dunkelheit der Wüstennacht wieherte plötzlich ein Pferd, das durch ein Raubtier auf Beutejagd verschreckt worden war. Das Geräusch weckte Katrina aus ihrem tiefen Schlaf.

Zuerst wusste sie nicht, wo sie sich befand, dann fiel ihr plötzlich alles wieder ein.

Die Nächte in der Wüste waren bitterkalt, besonders im Winter. Katrina fröstelte und wickelte das Badetuch fester um sich.

Dabei fiel ihr auf, dass sie ganz allein im Bett lag. Ein Blick auf ihre Uhr zeigte ihr, dass es drei Uhr nachts war. Von Xander war nichts zu sehen.

Sie verstand selbst nicht, warum sie darüber so enttäuscht war. Vielleicht, weil sie sich nun schon so lange nach einem Mann sehnte. Nach ihrem Seelenpartner, nach demjenigen, mit dem sie ihr Leben teilen wollte. Ihr erster und zugleich einziger Liebhaber.

Aber Xander konnte unmöglich dieser Mann sein.

Der, von dem sie träumte, war edel und gut, ehrenwert, freundlich und rücksichtsvoll. Xander war das Gegenteil von alledem. Sie konnte ihn nicht respektieren und ihm nicht vertrauen. Wie hätte sie ihn da lieben können?

Doch auch wenn sie ihn nicht liebte, begehrte sie ihn. Das Verlangen nach ihm war so stark, dass es sie zu überwältigen drohte. Was war größer – ihr Schock oder ihr Begehren? Ihr Ärger auf ihn oder ihr Verlangen nach ihm? Ihre Vorsicht oder der Wunsch, sich mit ihm zu vereinen? Ihr Stolz oder ihre Leidenschaft?

Nein … das konnte nicht sein, durfte nicht sein.

Ungeachtet der Tatsache, dass sie nackt und die Nacht kühl war, stieg sie aus dem Bett. Unterschiedliche Gefühle tobten in ihr um die Vorherrschaft.

Wie sollte sie sich verhalten, wenn er plötzlich Anspruch auf sie, auf ihren Körper erheben würde? Denn was konnte er sonst von ihr wollen? Was würde sie tun, wenn er sie berührte, wenn er ihren Körper erkundete, ihre Brüste streichelte … und mehr noch? Lustvolle Schauer durchliefen sie.

Woher rührten diese verbotenen Gedanken? Welche Seite in ihr verführte sie dazu? Sie war immer davon ausgegangen, dass die Liebe vor dem Verlangen kam, eine geistig-seelische Beziehung der körperlichen vorausging.

Xanders Leben war so verschieden von dem ihren, wie es nur sein konnte. Er hatte nichts mit den Werten gemein, an die sie glaubte. Er war ein Lügner und ein Mann, der seine eigenen Bedürfnisse an die erste Stelle setzte. Wieso begehrte sie ihn dann? Die Menschen, die sie bewunderte, dachten zuerst an andere und danach an sich selbst.

Katrina merkte plötzlich, dass sie Luft brauchte, um einen klaren Kopf zu bekommen. Sie griff nach dem Badetuch, wickelte es um sich und ging auf den Ausgang zu.

Xander war sofort aufgewacht, als er ihre Schritte vernahm. Als er sah, dass sie sich vorsichtig in Richtung Ausgang bewegte, schlug er die Decke seines improvisierten Bettes zurück und folgte ihr.

Sie wollte gerade den schweren Vorhang zurückziehen, als sie Xanders Hand auf ihrem Arm spürte.

„Wo willst du hin?“, fragte er mit weicher Stimme.

Sofort schüttelte sie seine Hand ab. „Lass mich los!“, verlangte sie ärgerlich.

Aber er dachte gar nicht daran. Ihre Nähe entflammte sein Begehren erneut, und er trat ihr in den Weg.

Ehe Katrina sich versah, spürte sie seine Lippen auf ihren.

Sie war erstaunt darüber, wie rückhaltlos sie darauf reagierte. Wie von selbst öffnete sich ihr Mund, und sie schmiegte sich unwillkürlich an ihn. Als sie seine suchende Zungenspitze spürte, stöhnte sie auf. Das Verlangen schoss durch ihren Körper, es schmolz ihren Widerstand wie Feuer das Eis. Wie zwei Ertrinkende klammerten sie sich aneinander. Sie spürte, wie das Badetuch zu Boden glitt, aber es war ihr egal. Ihr Körper glühte, ein Feuerstrom schien durch ihre Glieder zu fließen. Plötzlich fiel ihr auf, dass auch Xander unter seinem Gewand nichts anhatte.

Wenn ihr Kuss schon so erotisch gewesen war, wie unglaublich sinnlich fühlte es sich dann jetzt an, da sie seinen Körper in seiner ganzen Länge spüren konnte. Noch nie im Leben war sie so erregt gewesen. Unwillkürlich schmiegte sie sich noch fester an ihn, sehnte sich nach ihm, begehrte ihn mit jeder Faser ihres Körpers. So musste es Süchtigen gehen, die ihre Droge so sehr brauchten, dass diese sie am Ende zerstörte. Erwartete sie mit Xander ein ähnliches Schicksal? Würde dieses unstillbare Verlangen nach ihm sie eines Tages zerstören?

Der Gedanke war erschreckend. Mit letzter Kraft riss Katrina sich von ihm los. Sie bückte sich schnell, hob rasch das Badetuch auf und floh damit ins Innere des Zelts.

Würde er ihr nachkommen? Und wenn ja, würde sie sich gegen ihn wehren können? Würde sie ihrem Körper das versagen, wonach er sich so verzehrte? Sie holte tief Atem. Plötzlich merkte sie, dass sie am ganzen Leib zitterte. Noch immer war ihr Blick auf den Vorhang gerichtet, der den Schlaf- und Wohnbereich voneinander trennte.

Aber Xander erschien nicht.

Als ihr Atem endlich wieder ruhiger ging, war sie froh darüber, dass er ihr nicht gefolgt war.

Auf der anderen Seite des Vorhangs versuchte Xander sich einzureden, dass auch er kurz davor gewesen war, das Intermezzo zu beenden. Aber zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Stunden dauerte es ziemlich lange, bis sein Verlangen nach ihr auf ein erträgliches Maß abgekühlt war.

4. KAPITEL

Katrina arbeitete konzentriert an der Skizze einer Pflanze.

Da sie der Oase nicht entkommen konnte, hatte sie sich entschlossen, die Zeit hier wenigstens zu nutzen. Obwohl Xander anfangs nicht sehr angetan gewesen war von ihrer Bitte, ihr Papier und Stifte zu besorgen, hatte er schließlich nachgegeben und ihr alles gebracht. Schließlich hatte er sogar noch einen Schemel geholt, auf dem sie während der Arbeit sitzen konnte.

Es waren jetzt bereits drei Tage seit ihrer Entführung vergangen. Und fast drei Nächte, seit … Sofort versuchte sie, sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Aber so interessant die Pflanze auch war – sie war nicht halb so interessant wie Xander.

Plötzlich bewegte sich etwas. Katrina blickte auf und sah, dass Sulimen sie beobachtete. Natürlich hatte sie Angst, war jedoch entschlossen, es sich nicht anmerken zu lassen. Auf gar keinen Fall sollte er merken, wie nervös seine Gegenwart sie machte.

Es war nicht das erste Mal, dass er sich ihr näherte. Sie hatte dabei immer ein unbehagliches Gefühl gehabt, das sie verletzlich machte.

Daher versuchte sie, mit dem Zeichnen fortzufahren, als ob sie ganz allein wäre. Aber es war ihr nicht möglich. Dazu war er zu aufdringlich, starrte sie die ganze Zeit über an, ließ sie nicht aus den Augen.

Die Art, wie er sie anschaute, ließ sie wünschen, sie würde die Bhurka tragen, das traditionelle schwarze Gewand der Nomadenfrauen, zusammen mit dem Schleier, der sie vor den Blicken der Männer verbarg. Aber natürlich war sie wie immer in Jeans und T-Shirt gekleidet.

Mit jeder Minute, in der sie versuchte, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, wurde sie unruhiger und nervöser. Am Ende musste sie sich eingestehen, dass sie ihn nicht ignorieren konnte. Und sie konnte auch nicht bleiben, wenn er sie die ganze Zeit über unverwandt anstarrte.

Deshalb erhob sie sich, wandte ihm den Rücken zu und begann, ihre Sachen zusammenzusuchen. Dabei sagte sie sich, dass sie irgendwann ja sowieso hätte aufhören müssen. Denn schließlich versank die Sonne gerade am Horizont, und es würde sicher bald dunkel werden.

Doch als sie sich auf den Weg zu Xanders Zelt machte, verschwand Sulimen wieder so lautlos, wie er aufgetaucht war. Katrina ging an den anderen Zelten vorbei, und ihr fiel auf, welch große Spannung über dem Lager hing. Es war eine Mischung aus Erwartung und Gefahr, die sie sich nicht erklären konnte. Ein Schauer lief ihr den Rücken herunter. Sie lebte hier unter Außenseitern der Gesellschaft, die man wegen ihrer Verbrechen ausgestoßen hatte. Xander war einer von ihnen, das durfte sie nie vergessen.

Sie zuckte erschrocken zusammen, als sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Zu spät erkannte sie, dass Sulimen keineswegs verschwunden war, wie sie gedacht hatte. Während sie ihren Gedanken nachgegangen war, hatte er sie heimlich verfolgt und stand jetzt vor ihr. Sein Blick verriet, was er von ihr wollte.

Sofort zog sie sich zurück und lief eilig auf Xanders Zelt zu. Kalter Schweiß brach aus ihren Poren, Angst erfasste sie.

„Katrina!“

Sie blieb abrupt stehen, als sie Xander erblickte, der sie stirnrunzelnd ansah. Er war nicht allein, neben ihm standen El Khalid und einige andere Männer.

„Tuareg! Die Frau. Wie viel willst du für sie haben?“, hörte Katrina Sulimen fragen.

Schockiert sah sie ihn an, ihr wurde eiskalt. Sulimen wollte sie von Xander kaufen? Das konnte doch nicht wahr sein! Nein, bestimmt war das nur ein böser Traum.

Entsetzt sah sie Xander an. Kein Muskel zuckte in seinem Gesicht, er zeigte keinerlei Regung. Sie flehte im Stillen, dass er sie nicht diesem anderen Mann überlassen würde, den sie so sehr verabscheute.

Er nahm sich Zeit mit der Antwort. Überlegte er sich, wie viel er für sie verlangen konnte? Oder was profitabler für ihn war – sie Sulimen zu überlassen oder von ihren Leuten Lösegeld zu fordern, wie er es ja ursprünglich geplant hatte.

Plötzlich merkte sie, dass er sie anschaute. Ihr flehender Blick verriet ihm, was in ihr vorging. Gleichzeitig gefiel es Katrina nicht, dass sie von seiner Gnade abhängig war, es verletzte ihren Stolz.

„Sie ist nicht zu verkaufen.“

Erleichtert vernahm sie die Worte, ging zu ihm hin und stellte sich neben ihn. Doch ihre Reaktion war übereilt gewesen.

„Ich will sie aber haben, Tuareg“, beharrte Sulimen ärgerlich. „Ich gebe dir das Doppelte von dem, was du sonst als Lösegeld für sie bekommen würdest. Ist das kein faires Angebot, El Khalid?“

Ängstlich sah Katrina, wie El Khalid von einem zum anderen schaute.

„Doch, das ist ein sehr faires Angebot. Hör zu, Tuareg, ich möchte nicht, dass meine Brüder sich streiten. Daher wünsche ich, dass du sie Sulimen überlässt.“

Sie hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden. Ihr war übel, und sie hatte schreckliche Angst.

Sulimen schritt auf sie zu, und sie stellte sich schutzsuchend hinter Xander.

Ihre Verletzbarkeit, ihre Furcht und die Tatsache, dass er genau wusste, welches Schicksal Katrina erwartete, wenn er sie Sulimen überließ, ließen Xander erkennen, dass er alles tun musste, um sie zu beschützen. Auch wenn er ihre Angst nicht gespürt hätte, hätten ihn sein Ehrgefühl und sein eigener moralischer Kodex dazu veranlasst, sie vor Schlimmerem zu bewahren. Aber er kannte nur ein Mittel, um das zu bewirken.

„Entschuldige, El Khalid, aber ich kann deinem Wunsch leider nicht nachgeben“, sagte er.

„Wie bitte?“

Katrina merkte, wie sehr Xander den Führer durch seine Worte verärgert hatte. Seine beiden Leibwächter griffen bereits nach ihren Dolchen. Diese waren prächtig verziert und doch mehr als nur Dekoration.

Es war ihr unmöglich, Xander anzuschauen. Sie wusste, er würde keine andere Wahl haben, als sie aufzugeben.

„Was willst du damit sagen?“, fragte El Khalid stirnrunzelnd, während Sulimen immer näher kam.

„Ich habe mich entschlossen, sie zur Frau zu nehmen“, verkündete Xander überraschend.

Es entstand eine kleine Pause. Katrina zitterte plötzlich am ganzen Leib. Dies konnte nicht sein Ernst sein. Er wollte sie nur beschützen, mehr nicht. Natürlich wusste sie aus ihren Studien über dieses Land, dass sie als verheiratete Frau für jeden anderen Mann tabu war. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er …

„Er lügt“, sagte Sulimen aufgebracht. „Das sind alles nur Lügen!“

Sein Gesicht war wutverzerrt, während Xander völlig unbewegt blieb. El Khalid sah die beiden Kontrahenten nachdenklich an.

„Schluss damit! Wir haben Wichtigeres zu tun, als uns wegen einer solchen Bagatelle zu streiten. Wie ich bereits sagte, ich möchte nicht, dass ihr euch streitet. Tuareg, du hast behauptet, du wolltest die Engländerin zur Frau nehmen. Gut, dann soll es so geschehen. Ihr werdet beide heute Abend vor meinem Diwan erscheinen. Und dir, Sulimen, muss ich ja wohl nicht sagen, welche Strafe denjenigen erwartet, der sich der Frau eines anderen nähert.“

Damit wandte er sich zum Gehen und sagte noch zu Xander gewandt: „Ihr habt zwei Stunden für die Hochzeitsvorbereitungen.“

Jetzt waren sie endlich allein im Schatten der Zelte. Es war inzwischen dunkel geworden.

„Was … was hat El Khalid damit gemeint, als er von den Hochzeitsvorbereitungen gesprochen hat?“, stieß Katrina hervor. Noch immer wusste sie nicht, wie ihr geschah und ob sie das Ganze nicht doch träumte.

„Genau das, was er gesagt hat. Wir haben zwei Stunden Zeit, um uns auf die Hochzeit vorzubereiten.“

„Nein!“ Schockiert sah sie ihn an. Das war doch sicher alles nur ein Scherz, es konnte nicht wahr sein.

„Ich dachte immer, es dauert Wochen, um sich in Zuran auf eine Hochzeit vorzubereiten“, protestierte sie. „Und was die Hochzeit angeht … normalerweise erstreckt sie sich doch über mehrere Tage und …“

„Normalerweise ja, aber für Fälle wie diesen gibt es eine Verkürzung der Formalitäten. Es ist noch nicht so lange her, dass unser Land von Stammeskriegen erschüttert wurde. Manchmal war es genau das richtige Mittel zum Frieden, die Frau oder Schwester eines Gegners zu heiraten. Dafür braucht es nur zwei Voraussetzungen: Wir müssen gemeinsam vor El Khalid erscheinen und ihm sagen, dass wir heiraten wollen. Die zweite Voraussetzung …“

„Aber wie soll das gehen?“, fragte Katrina entgeistert.

„Ganz einfach. Als Führer hat El Khalid traditionell die Macht, zwei Menschen miteinander zu verheiraten. Aber wenn du es vorziehst, dass ich dich Sulimen überlasse, werde ich natürlich …“

„Nein“, unterbrach Katrina ihn sofort. „Was ich nur nicht verstehe … Du willst mich doch bestimmt nicht heiraten, oder?“

„Natürlich nicht“, erwiderte er grimmig. „Aber selbst unter Dieben gibt es so etwas wie ein Ehrgefühl. Und ich habe Dinge über Sulimen gehört, die mich nicht ruhig schlafen lassen würden, ließe ich es zu, dass er dich mir abkauft.“

„Dass er mich dir abkauft? Was sind denn das für Begriffe? Ich bin schließlich ein Mensch und kein … kein Besitz“, brachte sie fassungslos hervor.

Xander schüttelte den Kopf. „Ich weiß, was du meinst. Das sind große Worte, aber sie bedeuten hier gar nichts.“

„Wie barbarisch! Du bist barbarisch“, warf sie ihm an den Kopf. Erst jetzt wurde ihr die Ungeheuerlichkeit ihrer Situation bewusst.

„Vergiss nicht, wir sind hier nicht in Europa. Wir sind nicht einmal in Zuran City“, erwiderte er. „Die Wüste ist eine strenge Lehrmeisterin. Ihre Bewohner leben unter einem strengen Gesetz – oder sie müssen sterben.“

Etwas in seinen Worten und die Art, wie er sie anschaute, jagten Katrina Angst ein. Plötzlich kehrten all ihre Furcht und ihre Ängste wieder zurück und drohten sie zu überwältigen.

„Was macht ihr alle nur hier?“, fragte sie verzweifelt. „Was geht hier vor? Ich weiß, ihr plant etwas, und ich habe das Gefühl, es ist etwas Schreckliches.“

„Sei still!“

Seine Stimme klang jetzt eiskalt. Aber so schnell ließ Katrina sich nicht einschüchtern. Sie sah ihn wütend an. Es würde ihm nicht gelingen, sie so schnell zum Schweigen zu bringen.

„Wenn dir dein Leben lieb ist, behältst du das alles für dich“, warnte Xander sie. Das Funkeln in seinen Augen verriet ihr, dass mit ihm nicht zu spaßen war.

„Wenn ich … wenn ich mich einverstanden erkläre, bei dieser Farce mitzumachen, musst du mir versprechen, dass es keine richtige Hochzeit wird.“

„Was soll das bedeuten, keine richtige Hochzeit?Inden Augen von El Khalid und seinen Männern wird es durchaus eine richtige Hochzeit werden. Oder willst du von mir wissen, ob ich vorhabe, mit dir ins Bett zu gehen, wie es einem Bräutigam der Tradition gemäß zusteht? Selbst wenn ich es täte, könnte ich dem Stamm ja nicht das blutverschmierte Tuch zum Beweis deiner Jungfräulichkeit zeigen, oder?“

„Das meine ich nicht“, erwiderte Katrina errötend. Sie war froh, dass es inzwischen dunkel war. So konnte Xander nicht sehen, wie sehr seine Worte sie getroffen hatten.

„Ich … Was ich sagen wollte, war … Ich will nur ganz sicher sein, dass die Hochzeit nicht legal ist.“

„Keine Angst“, erwiderte er spöttisch. „Im europäischen Sinne wird die Hochzeit nicht legal sein.“

Das war die Antwort, die sie erhofft hatte. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Es gefiel ihr nicht, dass sie zu einer solchen Verbindung gezwungen wurde. Es missfiel ihrem Stolz, dass man sie hier als Besitzstück betrachtete, das beliebig verkauft werden konnte. Gleichzeitig war ihr klar, dass es tausendmal besser war, mit Xander als mit Sulimen zusammen zu sein. Andererseits: Wie sollte sie emotional mit dieser Situation umgehen? Diese Frage ließ sich nicht so leicht beantworten.

Vom ersten Augenblick an hatte sie sehr stark auf Xander reagiert. So stark, dass sie es sich selbst kaum erklären konnte. Die Realität, in der er lebte, hätte eigentlich inzwischen dazu beitragen müssen, sie von ihren romantischen Ideen in Bezug auf ihn zu kurieren. Aber das war nicht geschehen. Noch immer begehrte sie ihn, verzehrte sich nach seinen Berührungen. Warum gelang es ihr nicht, in ihm vor allem den Dieb und den Lügner zu sehen – und nicht den Mann, der sie mit seiner starken Präsenz so sehr berührte? Schließlich besaß er nichts, das ihren Respekt verdiente. Von ihrer Liebe einmal ganz zu schweigen.

Der Gedanke schockierte Katrina. Sie liebte ihn schließlich nicht. Aber du willst ihn haben, sagte ihre innere Stimme. Du begehrst ihn … du sehnst dich nach ihm … und wenn er …

Nein! Nein, darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Sie würde es nicht einmal vor sich selbst zugeben und auch keinen weiteren Gedanken darauf verschwenden. Allein die Vorstellung, wie es wäre, als Xanders Frau zu leben, trieb ihr die Röte ins Gesicht. Die Vorstellung, wie es wäre, wenn seine Hände über ihren Körper glitten und er sie überall berührte, war so erregend, dass sie … Die Vorstellung, ihn nackt neben sich im Bett zu sehen, ihn zu berühren, seinen Duft einzuatmen, seine Brust zu küssen … Sie erschauerte. Nein, über all dies durfte sie nicht nachdenken, weil es nicht geschehen würde.

Wie konnte sie Achtung vor sich selbst haben, wenn sie diese Gefühle für einen Mann wie Xander hatte? Und ohne Respekt gab es nun einmal keine Liebe. Niemals.

Xander stand im Eingangsbereich seines Zelts und blickte hinaus in die Dunkelheit. Er wartete auf Katrina, damit sie gemeinsam vor El Khalid treten konnten, um ihm zu verkünden, dass sie heiraten wollten.

Er hatte ihr gegenüber zwar behauptet, diese Eheschließung sei nicht legal, aber das stimmte nicht ganz. In Zuran wurde eine solche Zeremonie durchaus als verbindlich anerkannt. In ihrem Fall lag die Sache natürlich anders. Sobald er seine Mission erfüllt hatte, würde das alles nicht mehr gelten. Als Mitglied der herrschenden Klasse brauchte er für eine Heirat das Einverständnis seines Halbbruders. Dieser würde die Verbindung sofort beenden, wenn er von den Umständen erfuhr, unter denen sie zu Stande gekommen war. Der Herrscher würde bestimmt verstehen, dass Xander gar keine andere Wahl gehabt hatte, als Katrina zu beschützen. Wie auch immer ihr Lebensstil vorher gewesen sein mochte, er durfte nicht zulassen, dass sie Sulimen in die Hände fiel. Dafür hatte Sulimen einen viel zu schlechten Ruf. Es war allgemein bekannt, dass er bereits zwei Frauen vergewaltigt und geschlagen hatte. Man sagte ihm nach, er sei ein Sadist.

Aber davon würde er Katrina natürlich nichts erzählen.

An diesem Mittag hatte er ein kurzes, geheimes Treffen mit drei Agenten des Regierungsrats gehabt, die ebenfalls El Khalids Bande unterwandert hatten. Sie hatten dieselben Informationen wie er: El Khalid bereite sich auf die Begegnung mit einer sehr hochstehenden Persönlichkeit vor. Aber auch sie hatten nicht zu sagen vermocht, wann dieser Mann bei ihnen eintreffen werde.

Xander hatte den Eindruck gehabt, dass sie sich nicht der drohenden Gefahr für den Herrscher bewusst waren. Sein Halbbruder hatte ihm erzählt, Nazir habe vor ein paar Tagen eine Reise nach Europa angetreten, angeblich, um dort Geschäfte zu tätigen.

In diesem Moment vernahm er ein leises Geräusch und drehte sich um. Katrina trat zögernd näher. Ihr Blick verriet ihm ihre große Angst. Er presste die Lippen zusammen. Sie war eine zusätzliche Komplikation, auf die er gern verzichtet hätte.

„Ich muss dich warnen“, sagte er zu ihr, als sie in das Zelt hineingingen. „Sobald du mit mir verheiratet bist, darfst du nichts tun, was die Aufmerksamkeit anderer Männer erregen könnte.“

Sie sah ihn verärgert an. In der letzten halben Stunde hatte sie an nichts anderes denken können als an das, was jetzt vor ihr lag. Sie hatte sich redlich Mühe gegeben, nicht in Panik zu verfallen und nicht dem Gefühl grenzenloser Verlassenheit nachzugeben. Aber sie hätte nie geglaubt, dass sie einmal unter solchen Umständen heiraten würde. Mehr denn je sehnte sie sich nach der Liebe und dem Schutz ihrer Eltern, nach jemandem, dem sie sich anvertrauen konnte. Aber natürlich gab es niemanden. Sie war ganz allein. Allein, noch dazu eine Gefangene, die man zu einer schmachvollen Ehe zwang aus Gründen, die nichts mit Liebe zu tun hatten.

„Wie kannst du so etwas zu mir sagen?“, fragte sie entrüstet. „Es ist schließlich nicht meine Schuld, dass Sulimen …“

„Nein?“ Sein Blick war verächtlich.

„Wenn ich ihn gewollt hätte, wäre ich jetzt wohl nicht hier, oder?“, verteidigte sie sich mit blitzenden Augen.

„Ich habe nicht behauptet, dass du ihn gewollt hast. Aber vielleicht hast du ihn ermutigt? Vielleicht haben dir die Aufmerksamkeiten deines Liebhabers gefehlt? Oder vielleicht …“

Katrina hatte genug gehört. „Ich habe ihn nicht ermutigt, und Richard war auch nicht mein Liebhaber!“

„Ja, es ist leicht, das zu behaupten. Aber kannst du es denn auch beweisen?“

In diesem Punkt lag Xander völlig daneben, doch Katrina dachte nicht daran, ihm zu verraten, dass sie bisher noch nie mit einem Mann geschlafen hatte.

Sie hatte sich vor langer Zeit geschworen, sich nur dem Mann hinzugeben, den sie liebte. Sie hatte ihre Träume, auch wenn manche sie deswegen vielleicht für idealistisch hielten.

„So, jetzt sollten wir gehen.“

Xander hob den Vorhang und ließ ihr den Vortritt. Er hielt den Blick unverwandt auf sie gerichtet, wie ein Raubtier, das seine Beute fixierte.

Erneut hatte er sich das blaue Tuch der Tuareg um den Kopf gewickelt, was ihm großartig stand. Aber sein Gesicht wirkte verschlossen. Katrina hätte nicht zu sagen vermocht, was in ihm vorging. Wie schon zuvor spürte sie die Aura der Macht und Autorität, die von ihm ausging.

Sie hatte keine Ahnung, woher der reich bestickte Umhang kam, den er trug. Dieser sah jedenfalls sehr kostbar aus. Xander wirkte wie ein Ehrenmann, ein Mann, so streng und mächtig wie die Wüste selbst. Ein Mann, der mit anderen nichts gemein hatte, dessen Präsenz ihr Respekt einflößte, so wie die Wüste es tat. Er war ein Mann, dem andere Männer gehorchten und den andere Frauen begehrten.

Genau wie sie?

Ja, sie begehrte ihn, hatte jedoch Angst davor, es sich selbst einzugestehen. Denn die Stärke ihres Gefühls für ihn erschreckte sie zutiefst.

Dennoch straffte sie sich jetzt und sah ihm stolz ins Gesicht.

„Wenn du glaubst, dass ich ein paar Schritte hinter dir gehen werde, hast du dich geirrt“, sagte sie hoheitsvoll.

„Ich dachte, du hättest die Geschichte der Wüstenstämme studiert.“

„Ja, das habe ich auch.“

„Gut, dann weißt du doch bestimmt, dass die Tuareg eine matriarchalische Gesellschaft haben.“

„Aber du bist doch gar kein echter Tuareg, oder?“, fragte sie, als sie an seiner Seite durch die Zeltreihen ging.

In diesem Moment lief ein Junge auf sie zu. Zu Katrinas Erstaunen entspannten sich Xanders Züge bei seinem Anblick sofort. Er lächelte ihn an und sagte dann ein paar Worte zu ihm in einem Dialekt, den sie nicht verstand.

„Er ist eine Waise“, erklärte er ihr, als der Junge sich wieder entfernte. „Ich bezahle ihn dafür, dass er sich um mein Pferd kümmert. Mein Pferd braucht Gesellschaft, und der Junge braucht ein warmes Bett.“

Katrina sah ihn überrascht an. Seine Stimme hatte fast zärtlich geklungen. Er hatte also doch eine mitfühlende Seite. Das berührte sie mehr, als sie sich eingestehen wollte.

Die Abendluft war schon recht kühl. Katrina fröstelte. Aber das konnte natürlich auch mit ihrer Nervosität angesichts der bevorstehenden Ereignisse zusammenhängen.

Der Duft von gebratenem Lamm wehte von den Lagerfeuern zu ihr herüber und verursachte ihr Übelkeit. Ihr Magen rebellierte gegen den Gedanken an Essen. Als sie schließlich den Platz erreichten, an dem El Khalid für gewöhnlich seine Treffen abhielt, sah sie, dass sich schon einige Männer versammelt hatten, um der Hochzeitszeremonie beizuwohnen. Dann hörte sie plötzlich Musik und den Gesang der Frauen.

Als sie zu ihnen hinüberschaute, sagte Xander leise zu ihr: „Bestimmt haben sie von dem Ereignis gehört und wollen mit dabei sein. Diese Musik wird immer bei Hochzeiten gespielt. Du musst keine Angst haben, dafür gibt es keinen Grund.“

Es war nett von ihm, dass er versuchte, sie zu beruhigen. Katrina war vor Aufregung die Kehle wie zugeschnürt, aber sie gab sich alle Mühe, ihre Nervösität zu verbergen.

El Khalid thronte bereits auf seinem Diwan, umgeben von seinen Leibwächtern. Hinter ihm saßen die Frauen seines Clans gemeinsam mit den Musikern.

Katrina erstarrte. Sie konnte es nicht tun. Nein, sie konnte diese Sache auf keinen Fall durchziehen. Panik ergriff sie, und sie stöhnte unwillkürlich auf. Verzweifelt sah sie sich nach einem Fluchtweg um.

„Vergiss nicht, dass es keine wirkliche Hochzeit ist. Es hat nichts zu bedeuten.“

Seine Worte legten sich wie Balsam auf ihre angespannten Nerven. Im nächsten Moment merkte sie, dass er ihre Hand genommen hatte und sie drückte. Flehend sah sie ihn an und versuchte, sich zusammenzureißen.

In diesem Moment brach die Musik ab. El Khalid winkte sie nach vorn. Hand in Hand schritten sie auf ihn zu, bis sie unmittelbar vor ihm standen.

Jetzt erst ließ Xander ihre Hand los. Katrina empfand es als einen schmerzlichen Verlust und sehnte sich nach dem Kontakt mit ihm, der ihr Halt gegeben hatte.

Alles, was ihr zugestoßen war, war so fremdartig und überraschend gewesen. Jetzt war er ihr einziger Halt in dem Albtraum, in den sich ihr Leben verwandelt hatte. Ohne ihn … ohne ihn wäre sie Sulimens Nachstellungen zum Opfer gefallen, ohne ihn …

Instinktiv trat sie näher an ihn heran. Die Wärme seines Körpers tröstete sie, beruhigte sie, als würde sie sich damit in einen magischen Schutzkreis begeben, in dem sie sicher war. Aber war nicht auch die Liebe ein magischer Schutzkreis, in dem diejenigen Zuflucht fanden, die sie gefunden hatten?

Doch jetzt versuchte sie, sich wieder auf El Khalid zu konzentrieren.

„Gib mir deine Hand“, befahl er Katrina.

Widerstrebend tat sie, wie ihr geheißen. Im Gegensatz zu Xanders gepflegter Hand waren seine Nägel schmutzig und rissig.

„Und du gibst mir die deine“, sagte er zu Xander.

Dann legte er die beiden Hände ineinander.

„Ist es euer beider Wunsch zu heiraten?“, fragte er.

Katrina war sich die ganze Zeit über bewusst, dass die Zeremonie nichts bedeutete, dass sie nur ein Mittel zum Zweck war. Trotzdem berührte das Ganze sie tief, was ja eigentlich lächerlich war. El Khalid war schließlich kein religiöser Mann. Er war ein Dieb und ein Krimineller, und dies war nur eine Farce, nichts weiter.

„Ja, es ist unser Wunsch“, hörte sie Xander sagen.

El Khalid sah sie fragend an. Katrina senkte den Kopf und flüsterte: „Es ist auch mein Wunsch.“

„Gut! Gemäß unserer Tradition gebe ich dir jetzt diese junge Frau zum Weib, Tuareg.“

Katrina sah ihn erstaunt an. Er klang plötzlich so feierlich.

„Nimm ihre Hand!“, befahl der Rebellenführer Xander.

Ihre Kehle war wie ausgetrocknet. Ihr Herz pochte so laut, dass sie meinte, alle müssten es hören. Xander nahm ihre Hand und verschränkte die Finger mit ihren.

Es hatte etwas sehr Intimes, und sie hielt den Atem an. Manche Dinge brauchten keine Worte. Handfläche an Handfläche, nackter Körper an nacktem Körper, seine Finger verschränkt mit ihren.

Sie zitterte, verbotene Gedanken schossen ihr durch den Kopf.

El Khalid äußerte einen scharfen Befehl, und eine verschleierte Frau trat mit einem Schal aus feinster Seide auf sie zu.

Der Rebellenführer nahm ihn ihr ab und schlang ihn um die Handgelenke der beiden. Dabei sprach er ein paar Worte auf Zuranesisch. Nervös warf Katrina Xander einen Seitenblick zu. Sein Gesicht wirkte verschlossen, fast grimmig.

Noch immer schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sie hatte das Gefühl, als würden sie durch dieses Ritual auf eine Weise miteinander verbunden werden, die sowohl sehr konkret wie auch symbolisch war. Vor Rührung traten ihr Tränen in die Augen.

Xander hatte behauptet, diese Hochzeit bedeute nichts, und vielleicht stimmte das ja auch für ihn. Sie empfand es anders, nämlich sehr real.

Während sie noch immer versuchte, mit ihren widerstreitenden Gefühlen klarzukommen, wiederholte El Khalid seine Worte. Dann wandte er sich Xander zu und sagte: „Du hast diese Frau zum Weib genommen, Tuareg. Von jetzt an wird sie dorthin gehen, wohin du gehst. Möge euch ein langes, glückliches Leben mit vielen Kindern beschieden sein!“

Die Frau nahm ihnen den Schal ab. Langsam löste Xander seine Hand von ihrer. In diesem Moment fing die Musik erneut zu spielen an. Hilflos sah Katrina in die bernsteinfarbenen Augen ihres Bräutigams. Dabei hatte sie das Gefühl, als wäre ihrer beider Schicksal von nun an tatsächlich miteinander verknüpft, und zwar auf eine Art und Weise, die ebenso primitiv wie verbindlich war. Sie war erstaunt über die Kraft der Zeremonie. Was auch immer in Zukunft mit ihnen geschah, dieser Moment würde sie auf ewig miteinander verbinden. Wie konnte Xander angesichts der Magie dieses Augenblicks nur so ruhig bleiben?

Die Menge teilte sich, um ihnen Platz zu machen. Wie betäubt ließ Katrina sich von Xander durch die Reihen der Männer führen. Es wurde viel gelacht und applaudiert, im Hintergrund sangen die Frauen.

„Wenn du vorhaben solltest, ohnmächtig zu werden“, warnte er sie, „warte doch bitte wenigstens, bis wir im Zelt sind.“

5. KAPITEL

„Warum hast du mir nicht gesagt … warum hast du mich nicht vorgewarnt?“, fragte Katrina Xander, sobald sie wieder allein waren.

Er zuckte die Schultern. „Wovor? Davor, dass man unsere Handgelenke zusammenbinden würde? Um ehrlich zu sein, war ich darauf gar nicht vorbereitet“, sagte er. „Es ist eine sehr alte Sitte. Mir war nicht klar, dass sie noch angewendet wird.“

„Warum haben sie es dann gemacht?“, hakte sie nach.

„El Khalids Wort ist hier Gesetz“, erwiderte er. „Er kann tun und lassen, was er will. Aber das ist ja jetzt nicht mehr wichtig …“

Er versuchte, Katrina das Gefühl zu geben, als hätte ihn das Ganze kalt gelassen. Aber so war es nicht, im Gegenteil. Durch das Zusammenbinden der Hände waren sie von nun an für immer miteinander verbunden. Diese Tradition seines Stammes reichte weit in die Vergangenheit zurück. Er war selbst erstaunt darüber gewesen, welche Kraft das Ritual hatte. Auf eine primitive, archaische Weise hatte er das Gefühl gehabt, als würde Katrina nun wirklich ihm gehören. Damit hatte er nicht gerechnet.

Aber ihm war auch klar, dass er es sich nicht leisten konnte, solchen Gefühlen nachzuhängen. Das Gleiche galt für Katrina. Stirnrunzelnd sah er sie an.

„Es ist eine alte Berbersitte“, sagte er. „Man sollte das Ganze nicht überbewerten.“

Natürlich merkte er, wie tief betroffen sie war. Er gab sich Mühe, ihr gegenüber nicht zu zeigen, dass es ihm nicht anders ging.

„Damit ist die Sache erledigt“, sagte er und zwang sich, wieder in die Gegenwart zurückzukehren. Es konnte nämlich sehr gut sein, dass Nazir heute im Lager auftauchte, um sich mit El Khalid zu beraten. Und dann musste er sich auf seine Mission konzentrieren.

„Ich schlage vor, du legst dich schon einmal hin“, sagte er zu Katrina in ungewöhnlich scharfem Ton.

Sie sah ihn entgeistert an. Sie waren erst seit ein paar Minuten verheiratet, und schon kommandierte er sie herum. Als ob sie … Und dann fiel ihr ein, dass dies ja ihre Hochzeitsnacht war. Wenn Xander darauf bestand, dass sie ihren ehelichen Verpflichtungen nachging, konnte sie ihn nicht davon abhalten. Ihre einzige Waffe waren Worte.

„Bitte vergiss nicht, dass diese Hochzeit nichts bedeutet“, erinnerte sie ihn. „Daher kannst du mir auch keine Befehle geben.“

„Nicht als dein Ehemann“, erwiderte er grimmig. „Aber du scheinst zu vergessen, dass du noch immer meine Gefangene bist. Du bist in meiner Macht, daher kann ich mit dir tun, was ich will. Geh jetzt ins Schlafgemach und bleib dort!“

Doch so leicht ließ sie sich nicht abweisen.

„Warum hast du mich überhaupt geheiratet?“, begehrte sie auf. „Nur wegen des Lösegelds, oder weil du mich wirklich beschützen und vor Sulimen retten wolltest?“

Die Intensität seines Blicks traf sie wie ein Blitz, der ihr durch und durch ging. Sie hatte das Gefühl, als könnte Xander ihr bis auf den Grund ihrer Seele schauen.

Es passierte nur sehr selten, dass er durchschaut wurde, aber Xander hatte den Eindruck, als wäre Katrina dieses Kunststück gelungen. Obwohl er sich alle Mühe gegeben hatte, auch ihr gegenüber den Banditen zu spielen, hatte er immer wieder den Eindruck, als würde sie die bessere Seite seines Charakters sehen.

Konnte es sein, dass sie seine Maskerade als das erkannt hatte, was sie war – eine Verkleidung? Spürte sie seine Verletzlichkeit, was sie anging? Und fiel ihr auch die Spannung auf, die von Anfang an zwischen ihnen geherrscht hatte? Die Hitze seines Verlangens nach ihr und sein Kampf um Selbstbeherrschung? Das starke Bedürfnis, sie in seine Arme zu schließen und das Ehegelübde zu erfüllen, das er gerade abgelegt hatte?

Er hatte bereits ein paar Schritte auf sie zugemacht, als ihm bewusst wurde, in welcher Situation sie sich befanden. Er durfte sich jetzt nicht aus der Fassung bringen lassen. Katrina war eine junge Frau, die sicher nicht zum ersten Mal ihre Sexualität dazu benutzte, von einem Mann zu bekommen, was sie wollte.

„Was soll ich dir darauf antworten?“ entgegnete er. „Dass ich dich geheiratet habe, um dich vor einem schlimmeren Schicksal zu bewahren? Oder hast du vielleicht gehofft, meine Schwäche ausnutzen zu können? Willst du mich etwa verführen, um mich dazu zu bewegen, dir so deine Freiheit zurückzugeben?“

Katrina sah ihn empört an. „Ich dachte mir schon, dass du so etwas sagen würdest“, erwiderte sie. „Eine andere Möglichkeit kommt dir wohl nicht in den Sinn, oder?“

„Was für Möglichkeiten gibt es denn noch?“, fragte er grimmig.

„Wenn du es genau wissen willst, so hatte ich gehofft, etwas in deinem Charakter zu finden, das Respekt verdient. Eine Tugend, die …“

„Die es dir erlauben würde, mich zu manipulieren“, vervollständigte er ihren Satz.

Sie berührte einen Punkt in ihm, den zuvor noch keine Frau berührt hatte. Und er wollte auch nicht, dass irgendjemand ihm in dieser Hinsicht zu nahe kam, am allerwenigsten sie. Ihre Worte erinnerten ihn an seine eigenen Vorstellungen über die Liebe und das Heiraten. Von seinem Halbbruder wusste er, dass seine Mutter und sein Vater sich sehr geliebt hatten. Jedenfalls genug, um die kulturellen Unterschiede zwischen ihnen zu überbrücken. Eine solche Liebe warf einen großen Schatten, und er wünschte sich eine ebenso starke Bindung. Aber sein Stolz war groß und verbot ihm, jemals eine Frau zu lieben, die er nicht respektierte. Das war die eine Seite. Das Erbe seines Vaters hingegen bedeutete, er konnte auch keine Frau lieben, die sich bereits anderen Männern hingegeben hatte.

Wie konnte eine Frau wie Katrina es wagen, tatsächlich anzuzweifeln, dass er ihres Respekts würdig war. Für eine solche Unterstellung müsste er sie bestrafen.

„Ich bin nicht so leicht zu verführen wie dein feiger englischer Liebhaber“, sagte er verächtlich. „Vielleicht kannst du ihn ja um den Finger wickeln, aber mich wirst du nicht so leicht täuschen.“

Katrina sah ihn entgeistert an. Sie spürte, dass er mit diesem Angriff auch ihre sexuellen und moralischen Werte in Frage stellen wollte.

„Du hast nicht das Recht, so mit mir zu sprechen“, sagte sie mit eisiger Stimme. Er wusste genau, wie er sie treffen konnte. Aber warum sollte sie sich das gefallen lassen? „Falls du es schon wieder vergessen haben solltest, Richard war nicht mein Liebhaber“, setzte sie wütend hinzu.

Xander zuckte die Schultern. „Mir ist es völlig egal, mit wem du dein Bett geteilt hast, das kannst du mir glauben.“

Das war eine faustdicke Lüge, aber was sollte er machen? Jetzt musste er dieses Gespräch vor allem schnell beenden und herausfinden, ob Nazir bereits im Lager eingetroffen war.

„Ich habe noch etwas zu erledigen“, sagte er. „Warte nicht auf mich, das wäre nur Zeitverschwendung.“

Er warf ihr einen Blick zu, der sie bis ins Mark traf.

Wie gern hätte sie ihm geantwortet, hätte sie seine Anschuldigungen zurückgewiesen. Aber es war zu spät. Er griff nach dem Vorhang, hob ihn hoch, und schon im nächsten Moment war er in der Dunkelheit verschwunden.

Nur ein Wort blieb ihr im Gedächtnis: Verführung. Obwohl Xander es in einem anderen, negativen Zusammenhang gebraucht hatte, stiegen in ihr dadurch viele Bilder hoch. Bilder, die ihre Knie weich werden ließen und ihr Verlangen nach ihm noch steigerten.

Nein, sie wollte ihn nicht verführen, aber wenn sie sich selbst gegenüber ganz ehrlich war, hätte sie nichts dagegen gehabt, wenn er dasselbe mit ihr vorgehabt hätte. Was, zum Teufel, war nur mit ihr los? Er war ein rücksichtsloser Mensch, arrogant und unehrenhaft. Es gab nichts Gutes an ihm, und sie war eine Närrin, wenn sie versuchte, diese Tatsache zu ignorieren.

Außerdem hatte er ihr bisher keinen Anlass gegeben zu glauben, dass er ihre Gefühle teilte. Im Gegenteil! Noch im Nachhinein zitterte sie vor Empörung beim Gedanken daran, wie verächtlich er mit ihr gesprochen hatte. Er war voller Vorurteile und hielt sie offensichtlich für eine Frau, die mit jedem ins Bett ging. Für ihre Jungfräulichkeit hatte sie sich bewusst entschieden, sie spiegelte ihre tiefsten Werte und Überzeugungen wider. Sie war etwas Kostbares für Katrina, und sie dachte gar nicht daran, sich deswegen vor einem Mann wie Xander zu rechtfertigen.

Er war es nicht wert, dass sie sich seinetwegen so viele Gedanken machte und Gefühle für ihn hegte. Am besten schlug sie sich die ganze Angelegenheit ein für alle Mal aus dem Kopf. Aber das war leichter gesagt als getan. Ein Frösteln überlief sie. Etwas Dunkles, Gefährliches umgab Xander, etwas Ungezähmtes, nach dem die Frau in ihr sich zutiefst sehnte. Und es lag nicht in ihrer Macht, sich dagegen zu wehren.

Als er auf leisen Sohlen durch das Lager ging, musste Xander erneut über die starke Anziehung nachdenken, die Katrina auf ihn ausübte. Mit dem Verstand konnte er diese Tatsache vielleicht zurückweisen, aber sein Körper hinderte ihn daran.

Sie berührte ihn tiefer als jede Frau vor ihr. Doch es gab keinen Platz für sie in seinem Leben und keinen Platz für das Verlangen, das er nach ihr verspürte.

Als er sich El Khalids Zelt näherte, zwang er sich, den Gedanken an sie zunächst zu verdrängen. Jetzt ging es um Nazir und den Grund, weswegen er das Lager aufgesucht hatte. Hatte er sich möglicherweise getäuscht? Die Agenten hatten ja auch nicht geglaubt, dass Nazir in ein Komplott gegen den Herrscher verwickelt sein könnte. Xander hingegen war davon überzeugt, dass Nazir seinen Halbbruder umbringen wollte. Die Frage war nur, wann und wie das geschehen sollte.

Jetzt war er vor dem Zelt des Rebellenführers angekommen und hielt sich konsequent im Schatten. Stirnrunzelnd vernahm er plötzlich das Geräusch eines nahenden Fahrzeugs. Im nächsten Moment erblickte er einen chromblitzenden Jeep, der mit quietschenden Bremsen wenige Meter von ihm entfernt anhielt. Xander konnte sein Glück kaum fassen, als er sah, wer in dem Auto gesessen hatte und jetzt ausstieg: kein anderer als sein Cousin Nazir, flankiert von seinen Leibwächtern.

Noch bevor sie das Zelt betreten konnten, erschien bereits El Khalid, verbeugte sich tief vor Nazir und bat ihn einzutreten.

Xander hatte also doch richtig vermutet! Er musste sofort den Agenten davon Mitteilung machen und schlug den Weg zu ihrem Zelt ein.

6. KAPITEL

Plötzlich erwachte Katrina aus ihrem erotischen Traum. Darin hatte man sie, in einen Teppich gehüllt, ins Zelt eines mächtigen Kriegers gebracht, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit Xander gehabt hatte.

Sie errötete tief, als sie an die Einzelheiten des Traums dachte und an die Schamlosigkeit, mit der sie sich darin präsentiert hatte: in Schleier gehüllt, die in allen Farben des Regenbogens glitzerten und ihren nackten Körper kaum verhüllten. Durch die aufgetragene Goldpaste hatte man ihre sexuellen Merkmale hervorgehoben, was den Reiz noch erhöhte.

Mit verführerischen Bewegungen hatte sie sich Xander genähert. Er hatte versucht, ihr gegenüber gleichgültig zu bleiben, aber ihr war die verräterische Reaktion seines Körpers nicht verborgen geblieben.

Dann war sie immer näher gekommen. Fasziniert hatte er den Blick nicht von ihr abwenden können. Sie war die Fleisch gewordene Verführung, ihr Körper ein einziges Versprechen der Lust.

Xander saß auf einer Art Thron, und als sie jetzt vor ihm stand, sprachen beide kein Wort. Dann kniete sie vor ihm und bot ihm in einer Geste der Unterwerfung ihre Brüste dar, die ebenfalls mit Juwelen geschmückt waren.

Mit angehaltenem Atem streckte sie die Hand aus und berührte ihn sanft an der Hüfte, direkt neben dem untrüglichen Zeichen seiner erregten Männlichkeit. Xander hielt es vor lauter Spannung kaum noch aus, und auch Katrina konnte sich nur noch mit Mühe aufrecht halten. Ihr ganzer Körper bebte vor Lust, alles in ihr sehnte sich danach, mit ihm eins zu sein.

Sie war kurz davor, ihn an seiner empfindlichsten Stelle zu berühren, da hatte er schon die Hand nach ihr ausgestreckt und sie in einer einzigen Bewegung auf seinen Schoß gezogen. Im nächsten Moment spürte sie seine Zungenspitze, die ihre Brustspitze umkreiste, spürte die Hand, die sich ihrem Zentrum der Lust näherte und die Schleier wegschob, um ungehindert Zugang zu finden.

Katrina stöhnte auf. Er hob den Kopf und sah sie triumphierend an. Dann fanden seine Finger ihr Ziel, und sie seufzte vor Verlangen.

Er war äußerst geschickt mit seinen Berührungen, verstand es, sie fast bis zum Höhepunkt zu bringen. Erst als sie es nicht mehr aushielt, gab er ihrem Drängen nach und brachte sie auf den Gipfel der Lust.

Das war alles, woran sie sich erinnerte, dann war sie aufgewacht. Beschämt erkannte Katrina, dass es falsch gewesen war, sich so gehen zu lassen, selbst im Traum. Sie sollte froh darüber sein, dass sie endlich allein und in Sicherheit war. Dennoch ließ sich das leise Nachbeben ihres Körpers nicht leugnen.

So lag sie mit offenen Augen im Bett und fürchtete sich fast davor, wieder einzuschlafen.

In etwa drei Stunden würde die Morgendämmerung hereinbrechen. Xander hatte mit den Agenten vereinbart, dass sie das Lager sofort verlassen sollten, sobald El Khalid seinen Leuten den wahren Grund für ihre Mission bekannt gegeben hatte. Danach mussten sie dem Herrscher schleunigst Mitteilung über das geplante Attentat machen.

Eigentlich wäre es Xander lieber gewesen, sie wären auf der Stelle aufgebrochen, aber sie hatten sich standhaft geweigert, das Lager zu verlassen, bis sie endgültige Beweise für Nazirs finstere Absichten hatten.

Er stand mitten im Zelt und lauschte auf die leisen Atemzüge, die aus dem Schlafbereich zu ihm drangen. Katrina … seine Frau … Aber war sie nicht die Frau eines anderen Mannes? Oder hatte sie vielleicht sogar mehrere Liebhaber? Der Gedanke behagte ihm gar nicht, er wurde sofort eifersüchtig. Er machte einen Schritt auf das Schlafgemach zu und blieb dann stehen. Jetzt durfte er sich auf gar keinen Fall gehen lassen. Was sie in ihm auslöste, war nur ein Traumbild, das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Sicher würde es sich eines Tages auflösen, genau wie das drängende Verlangen seines Körpers nach ihr.

Katrina wachte am frühen Morgen auf, als die Männer zum Gebet gerufen wurden. Aber die Ereignisse des letzten Tages hatten sie so sehr erschöpft, dass sie gleich wieder in den Schlaf versank.

Xander hingegen war bereits lange wach. Die Spannung in seinem Körper ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Kaum war die Stunde des Gebets vorüber, machten auch schon Gerüchte die Runde durch das Lager, wie Staub, der vom Wüstenwind getragen wurde. Es hieß, El Khalid habe einen wichtigen Besucher empfangen und würde bald seine Männer versammeln, um ihnen von diesem Treffen zu berichten.

Gemeinsam mit den anderen erschien Xander kurz danach vor dem Zelt des Rebellenführers. Er achtete darauf, in der Nähe der Agenten zu bleiben, ohne sich direkt zu ihnen zu setzen. Wenn er sich nicht irrte, gehörten zwei der Männer, die vor dem Zelt standen, zu Nazirs Leibgarde. Bestimmt hatten sie von Nazir genaue Instruktionen erhalten, bei der Versammlung Augen und Ohren offen zu halten und ihm alles zu berichten, was ihre Mission gefährden könnte.

El Khalid hielt eine Rede, die ebenso kurz wie präzise war. Man erwartete von ihm und seinen Männern, dass sie am Nationalfeiertag in Zuran City für Aufruhr sorgten.

„Die ganze Aufregung war völlig übertrieben“, sagte einer der Agenten zu Xander, nachdem das Treffen vorüber war. „Es war nicht die Rede davon, dass dem Herrscher etwas geschehen soll.“

„Nazir wird niemand anderen damit beauftragen, meinen Bruder umzubringen. Er wird ihn selbst töten, und zwar dann, wenn El Khalid und seine Männer den Aufstand anzetteln. Offiziell wird er gar nicht im Land sein, das wissen wir bereits. Ich bin mir ganz sicher, dass er es so geplant hat“, sagte Xander zu den Agenten. „Wahrscheinlich wird er sich als einer von El Khalids Männern verkleiden und dann zur Tat schreiten, wenn mein Halbbruder sich in der Öffentlichkeit zeigt.“

„Aber dafür gibt es keine Beweise“, beharrte einer der Agenten.

„Wollen Sie riskieren, dass ich mich geirrt habe?“, fragte Xander zornig. „Ist das Leben des Herrschers nicht wichtiger als alle Bedenken?“

Daraufhin herrschte eine Weile Stille. Dann sagte ein anderer Agent: „Wir werden das Lager jetzt verlassen, um unseren Bericht abzuliefern. Sobald wir außer Reichweite sind, wird uns ein Hubschrauber in die Hauptstadt bringen. Das bedeutet, wir können den Regierungsrat innerhalb weniger Stunden über alles informieren. Unsere Empfehlung wird so lauten, dass wir eine Abteilung der Armee beordern werden, das Lager zu stürmen und alle Insassen festzunehmen. Wenn Sie mit Ihrer Vermutung recht haben, wird auch Nazir unter den Gefangenen sein.“

Xander wusste, dass ihm die Hände gebunden waren. Er konnte nicht mehr tun, als er bereits getan hatte. Die Agenten noch mehr anzutreiben wäre zwecklos. Ebenso zwecklos wie der Versuch, seinen Bruder dazu zu bewegen, am Nationalfeiertag auf sein traditionelles Bad in der Menge zu verzichten.

Die Sonne war bereits am Horizont erschienen, als Xander den Rückweg antrat.

Katrina erwachte aus einem tiefen Schlaf durch den herrlichen Duft frisch gebrühten Kaffees. Sekundenlang versuchte sie, sich zu orientieren, dann wurden ihr wieder die Realität und die Gefahr, in der sie schwebte, bewusst.

Sie war nicht nur eine Gefangene, sondern jetzt auch noch mit ihrem Wärter verheiratet! Nachdenklich sah sie auf ihr Handgelenk. Von nun an war sie für immer mit Xander verbunden. Abrupt setzte sie sich auf, ihr war schwindelig.

Wie immer lauschte sie auf Geräusche von draußen, die ihr verraten würden, wo er sich befand und was er gerade tat. Dann eilte sie ins Badezimmer und ging unter die Dusche. Plötzlich musste sie wieder an ihren Traum von letzter Nacht denken und errötete. Es war nur ein Traum gewesen, aber das darin Erlebte war ihr körperlich so gegenwärtig, als wäre alles wirklich geschehen.

Ihr Körper reagierte sofort, ihre Brustspitzen richteten sich auf. Daher stellte sie schnell die Dusche aus und trocknete sich ab.

Zwei Minuten später stand sie vor dem Vorhang, der die beiden Bereiche des Zelts voneinander trennte. Sie holte tief Atem und rief sich noch einmal ins Gedächtnis, wer Xander in Wirklichkeit war. Ganz sicher war er nicht der Mann ihrer Träume, der Mann, nach dem ihr Herz sich verzehrte. Diesen Mann gab es nicht, er war eine Illusion.

Entschlossen zog sie den Vorhang zurück und betrat den Wohnbereich. Xander stand in der Mitte und sah sie an. Ihre Blicke trafen sich, und Katrina errötete tief. Sie versuchte, seinem Blick standzuhalten, aber es gelang ihr nicht.

Denn eines war klar: Dieser Mann war jetzt ihr Ehemann. Sie war für immer mit ihm verbunden. Dieser Umstand schaffte eine Intimität zwischen ihnen, die genauso intensiv war, als hätten sie sich letzte Nacht geliebt. Ein Schauer lief ihr den Rücken herunter, sie war ganz gespannte Erwartung.

Als er sie beobachtete, musste Xander sich eingestehen, dass ihre Schüchternheit genau das war, was ein Ehemann von seiner jungen Braut am Morgen nach der Hochzeitsnacht erwarten konnte. Wären sie wirklich so ein altmodisches Paar gewesen, wäre er jetzt bestimmt zu ihr hingegangen, hätte sie in die Arme geschlossen und zum Bett geführt, wo sie in der vergangenen Nacht die Freuden der Liebe genossen hatten.

Aber natürlich war dies nicht der Fall.

Während er langsam den blauen Schal ablegte, der seinen Kopf bedeckte und seiner Verkleidung als Tuareg diente, umspielte ein bitteres Lächeln seine Lippen. Es gab wohl kaum eine Frau, die einer schüchternen Braut weniger geglichen hätte als Katrina. Mit wie vielen Männern hatte sie eigentlich geschlafen, bevor sie den albernen Narren kennenlernte, der sie ihrem Schicksal überließ, um sich selbst in Sicherheit zu bringen?

Xander merkte plötzlich, dass zwei Seiten in ihm miteinander kämpften. Da gab es die alte Blutlinie seines Vaters, die Art, wie er aufgewachsen war, und dann die europäische Seite seiner Mutter.

Wie konnte er jemals hoffen, eine Frau zu finden, die beide Seiten akzeptierte und verstand? Eine Frau, die er so sehr brauchte und so sehr liebte, dass er ohne sie nicht mehr leben konnte?

Im Moment kam es ihm allerdings sehr gelegen, dass es in seinem Leben keine Frau gab. Schließlich hatte er ganz andere Sorgen.

„Was war eigentlich los? Ich habe viel Lärm und Pferdegetrappel gehört“, sagte Katrina. Sie gab sich große Mühe, so zu tun, als wäre nichts Besonderes vorgefallen. Dabei wusste sie ganz genau, dass sie gestern Abend geheiratet hatten und dass sie jetzt in den Augen der anderen Männer Xanders Frau, aber auch sein Besitz war.

„Es war alles wie immer“, erwiderte er kühl und setzte hinzu: „Was dachtest du denn? Dass dein Liebhaber aufgetaucht wäre, um dich zu befreien?“

Sie sah ihn ärgerlich an. „Eigentlich habe ich nur versucht, mit dir ins Gespräch zu kommen.“

„Sieh mal, was ich dir mitgebracht habe“, sagte er und zeigte ihr eine schwarze Bhurka, wie sie auch von den anderen Frauen in der Öffentlichkeit getragen wurde.

„In Zukunft wirst du dich in der Öffentlichkeit nicht mehr ohne dieses Gewand zeigen.“

Schockiert sah Katrina ihn an.

„Ich denke ja nicht daran!“, entgegnete sie empört.

„Ich sage es noch einmal: Du wirst dich in Zukunft nur noch in diesem Gewand in der Öffentlichkeit zeigen. Wenn du es nicht freiwillig tust, muss ich dich leider dazu zwingen.“

„Und wie willst du das tun?“, fragte sie höhnisch. „Willst du es mir mit Gewalt überziehen?“

„Nein, natürlich nicht. Wenn du dich weigerst, werde ich dafür sorgen, dass du das Zelt nicht verlässt. Wenn nötig, werde ich dich hier anbinden, so wie ein Ziegenhüter seine Ziegen anbindet, damit sie ihm nicht fortlaufen.“

Katrina traute ihren Ohren nicht. Was für eine primitive Drohung!

„Ich werde dieses Gewand auf gar keinen Fall tragen“, sagte sie entschlossen. „Übrigens riecht es nach dem Parfüm einer anderen Frau“, fügte sie verächtlich hinzu.

Xander antwortete nicht. Er hatte einen stolzen Preis gezahlt, um eine von El Khalids Frauen dazu zu überreden, ihm ihre Bhurka zu verkaufen. Auch er wusste, dass es nach dem Parfüm einer anderen Frau roch, musste aber dafür sorgen, dass Katrina seine Drohung ernst nahm. Und zwar sowohl um seiner wie auch um ihrer Sicherheit willen. Wenn Nazir ins Lager zurückkehrte – was er Xanders Ansicht nach ganz sicher tun würde –, durfte er sie auf keinen Fall sehen. Denn er hätte sich bestimmt sofort gefragt, was eine Europäerin hier zu suchen habe. Falls er ein Sicherheitsrisiko in ihr sah, würde er sie ohne die geringsten Skrupel sofort umbringen. Xander war sich dessen ganz sicher, daher musste er für ihren Schutz sorgen. Als Frau eines Tuareg würde sie keinen Verdacht erregen, und sie würde auch für Nazir keine Gefahr darstellen.

„Du musst die Bhurka zu deiner eigenen Sicherheit tragen“, sagte er ruhig.

Einen Moment lang hatte Katrina das Gefühl, als läge ihm ihr Wohl tatsächlich am Herzen.

„Meinst du wegen Sulimen?“, fragte sie ängstlich.

Er trat sofort einen Schritt auf sie zu, wie um sie zu beruhigen. „Seinetwegen musst du dir keine Sorgen machen, er wird dir nichts tun. Darauf gebe ich dir mein Wort. Aber die anderen Frauen werden von dir erwarten, dass du dasselbe Gewand trägst wie sie, und die Männer werden erwarten, dass du dich wie meine Frau kleidest. Glaub mir, es ist wirklich nur zu deinem Schutz.“

Katrina spürte instinktiv, dass er die Wahrheit sagte. Erneut reagierte sie auf sein Mitgefühl, das sie berührte. Sie streckte die Hand aus und nahm die Bhurka von ihm entgegen. Dann zog sie diese über und rümpfte die Nase, als sie das starke Parfüm roch.

Xander war sehr erleichtert. Jetzt musste er sich ihr gegenüber auch nicht mehr verstecken, denn es hatte ihn große Mühe gekostet, ihr nicht zu zeigen, wie sehr ihre Nähe und die körperliche Wirkung, die sie auf ihn ausübte, ihn aus dem Gleichgewicht brachten.

Die andere Frau musste viel größer sein als sie, denn die Bhurka war Katrina um einiges zu weit. Aber schließlich hatte sie den Stoff so arrangiert, dass sie sich darin bewegen konnte. Xander ließ sie dabei in Ruhe und ging hinüber ins Schlafgemach. Wenige Minuten später kehrte er mit einem großen Betttuch zurück.

Verwundert sah sie ihm dabei zu, wie er es auseinanderfaltete, seinen Dolch herausholte und sich dann mit einem schnellen Schnitt eine kleine Wunde am Oberarm zufügte. Die Wunde fing sofort zu bluten an, und er wischte das Blut am Tuch ab.

„Was machst du denn da?“, fragte sie entgeistert.

„Das gehört zu unserer Tradition. Unter den Nomaden ist es üblich, den anderen Mitgliedern des Stammes am Morgen nach der Hochzeitsnacht ein blutverschmiertes Tuch zu zeigen – als Beweis dafür, dass die Braut noch Jungfrau war. Wenn wir diesen Beweis nicht liefern, wird das sowohl deinen Ruf als unbefleckte Braut wie auch meinen als dein Ehemann beschädigen.“

Sie sah ihn sprachlos an, ihr fehlten die Worte. Das war ja furchtbar! Nach allem, was er ihr gerade erzählt hatte, würde es ihr unmöglich sein, sich jemals wieder in der Öffentlichkeit zu zeigen.

„Was ist los?“, fragte Xander sie alarmiert, als sie die Bhurka wieder auszog.

„Nichts, ich … ich habe gemerkt, dass ich keinen Hunger mehr habe.“

Er sah sie an, und plötzlich brach es aus ihr heraus: „Glaubst du wirklich, ich würde unter normalen Umständen zulassen, dass du mit diesem Tuch die Neugier anderer Leute befriedigst? Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie ich mich dabei fühle?“

Sie fürchtete, im nächsten Moment in Tränen auszubrechen, und gab sich alle Mühe, dies zu verhindern. Jetzt durfte sie auf gar keinen Fall die Nerven verlieren. Ihr war klar, dass sie von seiner Seite kein Mitgefühl zu erwarten hatte.

„Du kannst uns nicht nach europäischen Maßstäben beurteilen. Hier geht es nicht um Moral. Diese Sitte hat den Zweck, dein Geschlecht zu beschützen, und nicht, es zu demütigen.“

„Das verstehe ich nicht“, erwiderte sie kopfschüttelnd.

„Dann will ich es dir erklären. Vergiss nicht, das Leben der Nomaden ist sehr gefährlich. Oft kommen Menschen bei den Stammeskämpfen ums Leben. Starb früher ein Mann, so konnte seine Familie sich weigern, sein Kind aufzuziehen, wenn sie nicht ganz sicher wusste, dass die Frau bei der Hochzeit noch Jungfrau gewesen war. Der Beweis für die Jungfräulichkeit einer Frau beschützt ihre Ehre und die Ehre ihrer Familie. Eine Tuaregfrau in deiner Position wäre normalerweise stolz darauf, unbefleckt in die Ehe gegangen zu sein, und ihr wäre daran gelegen, dass alle dies erfahren.“

„Schon möglich, aber ich bin nun einmal keine Tuaregfrau“, erwiderte Katrina.

„Du bist aber auch keine Jungfrau mehr“, entgegnete er kühl.

„Also, ich …“

Xander unterbrach sie. „Ich habe jedenfalls Hunger, auch wenn du keinen hast“, sagte er und wickelte sich erneut das blaue Tuch um den Kopf, bis sie nur noch seine Augen sehen konnte. Er wirkte stolz und unnahbar, aber gleichzeitig auch sehr attraktiv. Ob es Katrina nun gefiel oder nicht, sie fand ihn faszinierend.

Doch das ging nicht so weit, dass sie ihm gefolgt wäre, als er nun mit dem Bettlaken in der Hand das Zelt verließ. Nein, das wäre wirklich zu weit gegangen.

7. KAPITEL

Eine halbe Stunde später meldete Katrinas Magen sich laut und vernehmlich. Aber sie versuchte, ihn zu ignorieren.

„Ich habe dir etwas zu essen und Kaffee gebracht.“

Mit großen Augen sah sie Xander dabei zu, wie er ein Tablett mit Speisen und eine Kanne Kaffee auf dem Tisch absetzte. Er hatte tatsächlich an sie gedacht? Das überraschte sie. Bisher hatte sie immer geglaubt, er wäre grausam und sadistisch. Aber im Moment verhielt er sich ihr gegenüber so rücksichtsvoll, dass sie den Eindruck hatte, sich in ihm geirrt zu haben.

„El Khalids Mutter meinte, dass du dich heute Morgen nicht gezeigt hast, wäre ein Beweis für deine Bescheidenheit.“

Sie nahm dies mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis. Doch beim Anblick des Essens meldete sich erneut ihr Magen.

„Ich muss jetzt gehen. Bitte vergiss nicht, die Bhurka zu tragen, falls du das Zelt verlassen willst.“

Katrina wartete, bis er draußen war, dann stürzte sie sich heißhungrig auf das Essen. Der Kaffee duftete herrlich und schmeckte noch viel besser. Außerdem hatte Xander ihr frisches Obst gebracht und köstliche kleine Pasteten, die ihren Hunger stillten.

Vor dem Zelt kümmerte er sich um sein Pferd und gab ihm etwas zu fressen. Dabei musste er aber die ganze Zeit über an Katrina denken.

Warum machte ihm der Gedanke an sie mit einem anderen Mann so viel aus? Warum hatte er das Zelt verlassen müssen, um seinem Begehren nach ihr nicht nachzugeben und eine sichere Distanz zwischen ihnen zu schaffen? Er war doch ein viel zu aufgeklärter Mann, um sich von mittelalterlichen Ritualen beeindrucken zu lassen. Es war schließlich nur aus Vernunftgründen geschehen. Der einzige Weg, um sie im Lager beschützen zu können, war gewesen, sie zu heiraten.

Nachdenklich betrachtete er sein Pferd, eine herrliche arabische Stute, auch sie war ein Geschenk seines Halbbruders. Ihre samtenen Augen verrieten die Qualität ihrer Zucht.

Warum hatte es ihn so berührt, als Katrina heute Morgen so erschöpft und ausgelaugt gewirkt hatte? Warum hatte er den plötzlichen Wunsch gehabt, sie in seine Arme zu schließen und ihr zu versichern, dass sie sich um nichts Sorgen machen müsse. Das war doch Wahnsinn! Für solche Gefühle war kein Raum in seinem Leben!

Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass mit dem Pferd alles in Ordnung war, schlug Xander den Weg zur Oase ein. Er gab sich gleichmütig und tat so, als ob er nur einen kleinen Spaziergang machen würde. Denn er ging davon aus, dass Nazir einige seiner Männer als Spione im Lager zurückgelassen hatte, um ihn über alles auf dem Laufenden zu halten.

Plötzlich verspürte er den Impuls, seinen Halbbruder anzurufen. Er hatte sein Handy mitgenommen, doch dann zögerte er. Nazir war schlau, es war ihm durchaus zuzutrauen, dass er die Telefonleitung des Herrschers angezapft hatte, obwohl er ja offiziell außer Landes war.

Stirnrunzelnd registrierte er plötzlich ein Geräusch und blickte zum Himmel. Ein Hubschrauber näherte sich ihm, kam von Sekunde zu Sekunde immer näher.

Das musste Nazir sein! Er hätte sich kaum ein besseres Transportmittel aussuchen können, um nach Zuran zu fliegen und dann schnell wieder zu verschwinden, nachdem er sein Ziel, den Herrscher zu ermorden, erreicht hatte. Ob er El Khalid in seine Pläne eingeweiht hatte? Xander bezweifelte es. Er konnte sich zwar gut vorstellen, dass der Rebellenführer keine Skrupel gehabt hätte, an diesem Plan mitzuwirken. Aber bestimmt hätte er dafür einen hohen Preis verlangt, den Nazir höchstwahrscheinlich nicht zahlen wollte.

Außerdem war Nazir viel zu schlau, um Mitwisser zu riskieren, die ihn am Ende noch belasten würden. Nein, bestimmt würde er es so darstellen wollen, dass sein Halbbruder von den Rebellen ermordet worden war, entschied Xander.

Der Hubschrauber in Tarnfarben kam immer näher. Xander drehte sich um und tat so, als würde er die Oase betrachten. Er musste unbedingt jedes Aufsehen vermeiden.

Aber da er bei der Landung dabei sein wollte, schlug er den Rückweg zum Lager ein.

Wie zu erwarten, löste die Ankunft des Hubschraubers eine Welle von Spekulationen aus. Neugierig scharten sich die Männer auf dem Versammlungsplatz.

Nach ein paar Minuten stieg ein Passagier aus. Obwohl er – statt eines italienischen Maßanzugs – das traditionelle Gewand trug und sich einen Bart hatte wachsen lassen, erkannte Xander ihn sofort, auch an seiner Gangart: Es war kein anderer als Nazir.

Also hatte er recht gehabt! Obwohl ihn das freute, wuchs sein Hass auf seinen Cousin noch weiter. Sein Halbbruder, der Herrscher, war ihm stets wohlgesinnt gewesen und hatte ihn mit Ämtern und Reichtümern überschüttet. Aber seine Machtgier war so groß, dass er dafür so weit gehen würde, den Mann, der ihm nur Gutes getan hatte, zu ermorden, um dann seinen Platz einzunehmen. Doch er hatte nicht mit Xander gerechnet. Er würde alles tun, um Nazirs Plan zu verhindern. Es freute ihn, dass er jetzt wenigstens die Möglichkeit hatte, Nazir im Auge behalten zu können.

In diesem Moment trat El Khalid aus seinem Zelt, um den Neuankömmling zu begrüßen. Er verbeugte sich tief vor ihm und hieß ihn willkommen. Unbemerkt trat Xander näher, in der Hoffnung, doch ein wenig von ihrem Gespräch zu belauschen.

Es war jetzt schon über eine Stunde her, dass Xander sie verlassen hatte. Katrina wurde es im Zelt allmählich langweilig.

Irgendwann stand sie auf und ging auf den Ausgang zu. Es gab keinen Grund für sie, Xanders Befehl zu gehorchen. Sie war schließlich nicht wirklich seine Frau. Die Hochzeit war nur eine Farce gewesen.

Gleichzeitig durfte sie eines nicht vergessen: Auch wenn sie nicht wirklich seine Frau war, war sie doch auf jeden Fall seine Gefangene.

Sie fragte sich, wie hoch das Lösegeld sein mochte, das er für sie fordern würde. Die Regierungsstelle, für die sie arbeitete, war nur ein kleines Ressort mit beschränkten Mitteln. Oder dachte er vielleicht, sie hätte eine Familie, die einen hohen Preis für ihre Freilassung zahlen würde? Es kam ja immer wieder vor, dass Geiseln genommen wurden und ihre Familien dann ein hohes Lösegeld zahlen mussten. Aber nie hätte Katrina gedacht, dass ihr selbst einmal ein solches Schicksal zustoßen würde.

Sie wünschte, sie hätte den Mut zu flüchten. Doch sie wusste, dass das Lager streng bewacht wurde. Selbst wenn es ihr gelingen sollte, die Wächter zu überlisten, würde sie nicht sehr weit kommen. Der Tod in der Wüste wäre ihr gewiss.

Natürlich konnte sie versuchen, ein Auto zu stehlen, aber dafür musste sie einen Wagen finden, den sie auch steuern konnte und der einen vollen Tank hatte.

Nein, das alles war recht unwahrscheinlich. Bestimmt war es am vernünftigsten, einfach zu bleiben, wo sie war.

Am vernünftigsten? Hatten denn ihre Motive etwas mit Vernunft zu tun? Oder ging es nicht in Wirklichkeit um ihren heimlichen Wunsch, von Xander …

Katrina musste plötzlich daran denken, dass sie sich im einundzwanzigsten Jahrhundert befanden. Auch Frauen gestand man inzwischen zu, Lust zu empfinden, ohne dass es gleich um Liebe ging. Frauen konnten genau wie Männer mit so vielen Partnern Sex haben, wie es ihnen beliebte, und niemand würde sich darüber aufregen. Sie konnten mit einem Mann schlafen und ihn am Morgen danach verlassen. Aber konnte sie das auch? Und – noch viel wichtiger – wollte sie das überhaupt?

Autor

Penny Jordan

Am 31. Dezember 2011 starb unsere Erfolgsautorin Penny Jordan nach langer Krankheit im Alter von 65 Jahren. Penny Jordan galt als eine der größten Romance Autorinnen weltweit. Insgesamt verkaufte sie über 100 Millionen Bücher in über 25 Sprachen, die auf den Bestsellerlisten der Länder regelmäßig vertreten waren. 2011 wurde sie...

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